LINKS! 12/2017

Page 1

Foto: Südstädter / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0

Unternehmen haben soziale Verantwortung!

Links!

im Digitalabo. Jede Ausgabe schon drei Tage früher im Mailpostfach! Jetzt kostenlos bestellen: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder 0351/84 38 9773.

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Dezember 2017

Siemens-Werk in Görlitz „Ein Unternehmen muss zum Wohlergehen und Fortschritt der Gesellschaft beitragen – nicht nur kurzfristig, sondern nachhaltig im Interesse zukünftiger Generationen.“ Dieses Zitat stammt nicht etwa von einem linken Politiker oder Gewerkschafter, sondern von Joe Kaeser, dem Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG. Es ist in einer aktuellen Broschüre des Konzerns zu finden. Für die Beschäftigten der Siemens-Werke in Leipzig und Görlitz, die im Rahmen eines weltweiten Stellenabbauprogramms geschlossen werden sollen, müssen diese Worte der blanke Hohn und ein Schlag ins Gesicht sein. Sie zeigen die Doppelmoral vieler heutiger Manager, die ihre Unternehmen gerne als Hort sozialer Verantwortung und als der Gesellschaft verpflichtet inszenieren. Dies aber nur so weit, wie es dem Image des Unternehmens nutzt, etwa wenn es darum geht, Fördergelder und öffentliche Aufträge abzugreifen oder allgemein den Umsatz zu steigern. Tatsächlich zählt für immer mehr Manager nur das Ziel, die Kapitalinteressen zu bedienen und grenzenlose Profite zu realisieren. Der Gewinn muss schließlich jedes Jahr gesteigert werden. Doch grenzenloses Wachstum kann es nicht geben. Das spielt aber für die heutige Profitgier keine Rolle. Der Siemens-Konzern legt zwar ein Rekordjahr mit Milliardengewinn hin, schließt aber Standorte aus dem Kraftwerksbereich, weil sich in diesem Segment vermutlich in Zukunft nicht mehr so leicht Geld verdienen lässt. Anstatt die Standorte neu auszurichten, entsorgt man sie gewissermaßen als Restmüll und die Arbeitsplätze gleich dazu. Diese Vorgehens-

weise ist an Verantwortungslosigkeit nicht zu überbieten. Leider wiederholen sich ähnliche Muster in den letzten Jahren immer wieder. Bundesoder Landesregierung schauen diesem Treiben ungerührt zu oder lassen sich bestenfalls zu halbherzigen symbolischen Erklärungen hinreißen. Unternommen wird natürlich nichts. Doch damit muss endlich Schluss sein. Solchen Geschäftspraktiken muss ein Riegel vorgeschoben werden. Massenentlassungen und Standortschließungen bei profitablen Unternehmen müssen gesetzlich untersagt werden. Gleichzeitig muss es aber auch um einen gesellschaftlichen Wandel gehen, dass ein solches Vorgehen von Unternehmen geächtet wird und sich auch bei diesen ein Bewusstseinswandel einstellt, dass man nicht tun und lassen kann, was man will, wenn es um Kapitalinteressen geht. Dazu braucht es natürlich gewerkschaftlichen und öffentlichen Druck, den wir unterstützen. Für Sachsen wäre es bitter, wenn ein weiteres Mal gute Arbeitsplätze unwiderruflich verloren gehen würden. In den vergangenen Jahren sind viele Betriebe oder Standorte großer Unternehmen von der Bildfläche verschwunden. Einen großen Kampf der sächsischen Landesregierung konnte man selbst mit viel gutem Willen nicht erkennen. Es muss aber das Mindeste sein, dass die Regierung mit allen Mitteln um die Arbeitsplätze kämpft, auch wenn sie natürlich nicht der Arbeitgeber ist. CDU und SPD müssen sich daran messen lassen, ob sie gute Arbeit in Sachsen halten und schaffen. Da sieht es bislang dürftig aus. • Sabine Zimmermann


Links! 12/2017 Herr Otto, kürzlich titelte ein Nachrichtenmagazin „Siemens versteht die Energiewelt nicht mehr“. Gibt Siemens in der Energiebranche den VW-Konzern? Die einen wollen nicht glauben, dass die Zeit für Verbrennungsmotoren abläuft, die anderen sehen die Energie der Sonne nicht und bleiben am Öl kleben. Ich glaube, da hat sich einfach sowie bei den Automobilisten eine gewisse Arroganz breit gemacht, weil man einfach der Überflieger war. Aber: Wir wissen, dass große Konzerne plötzlich von der Bildfläche verschwunden sind, die vor zehn oder zwanzig Jahren noch jeder kannte. Sowas kann immer wieder passieren. Mein Eindruck von außen ist, dass Siemens-Chef Kaeser und Konsorten nicht mehr wirklich Bodenhaftung haben. Die schweben über den Dingen, jagen der Rendite hinterher. Das verstellt den Blick auf die Zukunft und so unterbleiben notwendige Innovationen in Bereichen, die erst auf längere Sicht Gewinn abwerfen könnten. Komplette Regionen leiden dann, wenn Konzerne Entwicklungen verschlafen. Umso erfreulicher ist es, wenn Mercedes sagt: Wir produzieren unsere E-Zelle in Ostsachsen. Damit bekennt sich Daimler zum Standort Ostdeutschland. Generell gilt: Der Gegensatz von Kapital und Arbeit war nie sichtbarer als heute. Das manifestiert sich unter anderem in dem, was jetzt bei Siemens passiert. Die Frage, die sich für mich als Gewerkschafter stellt, ist: Wer hat am Ende wirklich das Sagen? Diejenigen, die die Wertschöpfung betreiben – und damit auch für den Wohlstand sorgen? Oder die wenigen, die Gewinne abschöpfen und sich einen Dreck darum scheren, wie es den Menschen geht, die Werte schaffen, und die kein Problem damit haben, zur Not einen profitablen Standort zu schließen, wenn anderswo noch höhere Gewinne winken? Der Berichterstattung zufolge ist die Produktion bei Siemens in Görlitz durchaus „zukunftsfähig“. Ja, absolut! Die Produktion hier ist auch von der Energiewende nicht betroffen. In Görlitz geht es um die Fertigung von Industriedampfturbinen, die vielseitig einsetzbar sind und die auch künftig in dieser Form benötigt werden. Wenn man das jetzt abstößt, könnte man damit einen Fehler wiederholen, den man schon einmal in Leipzig machen wollte. Inwiefern? In Böhlitz-Ehrenberg wollte man ebenfalls ein Siemenswerk schließen. Das konnten wir verhindern, und heute ist der Standort Benchmark! Man wollte das Werk abstoßen, weil die Konzernführung meinte: Diesen Zweig brauchen wir nicht. Eine glatte Fehleinschätzung. In Görlitz droht die gleiche Gefahr, denn die Zukunft geht in Richtung dezentrale Energieversorgung. Dafür ist man hier gut aufgestellt. Zu den Merkwürdigkeiten bei Siemens scheint es zu gehören,

Links! im Gespräch

Sechseinhalb Milliarden in der Hinterhand Görlitz steht auch für Waggonbau, Maschinen- und Anlagenbau, Braunkohle. Überall Hiobsbotschaften – nun auch Siemens! Ralf Richter sprach mit Jan Otto, Geschäftsführer der IG Metall Ostsachsen. sollen vom Stellenabbau betroffen sein? Es betrifft in Gänze 960 Leute. Wenn dieses Werk dicht gemacht wird, werden alle entlassen. Man kann nicht sagen, man beschäftigt da irgendwie hundert Menschen weiter, das funktioniert nicht. 2023 soll das gesamte Werk dicht sein, aber das heißt nicht, dass alle erst in dem Jahr ihre Stelle verlieren. Es wird vorher einen Teilabbau geben.

dass man die Görlitzer Produktion wenigstens zu Teilen in Mühlheim an der Ruhr fortzuführen gedenkt. Ist das wahr? So kann man das lesen. Das ist ja unglaublich. Dann kommt man zum gesellschaftspolitischen Rahmen zurück. Wenn Kaeser nach der Bundestagswahl der Erste ist, der kritisiert, dass die Eliten versagt haben, liegt die Gegenfrage auf der Hand: Welche Rolle spielt Herr Kaeser eigentlich? Gehört er denn nicht genau zu diesen „Eliten“? Verzeihen Sie, dass ich abschweife, aber … Bitte. Wir sind ein politisches Blatt. Wo ist die AfD denn groß geworden? Das war doch insbesondere in Ostdeutschland. Und warum? Lassen wir das Flüchtlingsthema mal beiseite. Es liegt vielerorts schlicht und einfach daran, dass die Leute sich abgehängt fühlen – und da haben die Leute verdammt noch mal recht. Und wenn dann die Kanzlerin sagt: „Nicht schön, aber das ist eine Unternehmensentscheidung“ – ja bitte, wofür brauchen wir denn dann diesen Staat noch? Wo bleibt die soziale Marktwirtschaft? Ich verstehe, was sie sagen wollen. Bleiben wir jetzt aber doch bei Görlitz. Wie viele Menschen

Ein Problem ist seit der Agenda 2010 das Leiharbeiterunwesen. Wie sieht es damit bei Siemens aus? Das sind keine 40 Leute bei Siemens – also ganz wenige. Fünfhundert Meter weiter bei Bombardier sieht die Lage vollkommen anders aus. Dort sind längst die meisten Arbeitskräfte Leiharbeiter. Ich habe gehört, dass es bei Siemens in Görlitz noch 80 Auszubildende gibt. Wie geht es mit denen weiter? Wir hatten es gerade geschafft, durchzusetzen, dass das Siemens Professional Education Center SPE nicht geschlossen wird, und es für weitere drei Jahre gerettet. Aber da wussten wir noch gar nicht, welches Damoklesschwert über dem Werk schwebt. Im Schnitt befinden dort etwa einhundert Azubis beziehungsweise. Studierende. Was aber soll aus einer Siemens-Bildungsanstalt werden, wenn das Werk, für das man die Fachkräfte ausbildet, geschlossen wird? Ich gehe davon aus, dass auch das SPE nicht mehr lange existiert, sollte das Werk liquidiert werden. Sie haben einen harten Arbeitskampf angekündigt. Welches Ziel wollen Sie erreichen? Wir wollen, dass der Standort bleibt – und nicht nur das, sondern dass wir ihn auch weiter entwickeln. Wir haben tolle Leute, eine starke Entwicklungsabteilung mit 90 Personen, was schon etwas Besonderes für den Osten ist, wo sonst ja hauptsächlich nur verlängerte Werkbänke stehen. Diese Mannschaft ist in der Lage, zügig ein neues Produktportfolio zu entwickeln, wenn es sein muss. Alles was dann noch ge-

Seite 2

braucht wird, sind Investitionen. Das Geld dafür hat Siemens, und wir werden dafür streiten und kämpfen. Da gebe ich nicht auf. Sie haben auch einen Plan B für den Fall, dass es nicht klappt? Jetzt konzentrieren wir uns erst einmal auf den Kampf. Ich sage Ihnen, die Chancen für einen Erfolg waren nie so gut, so kompliziert das jetzt alles auch politisch sein mag in Land, Bund, Kommune. Mit dieser schweren Situation jetzt bei Bombardier und Siemens, die gleichzeitig in der Krise sind, gibt es gute Aussichten, die Kollegen, die ganze Stadt zu mobilisieren. Vielleicht kann man bei der Gelegenheit den Menschen hier auch vermitteln, dass es nicht die Flüchtlinge sind, die ihnen die Stellen wegnehmen. Das wird an einer ganz anderen Stelle entschieden. Es heißt, die IG Metall sei sauer, dass sie im Zusammenhang mit dem geplanten Stellenabbau von Siemens mit „Radolfzell 2“ konfrontiert wird. Was wurde bei diesem Abkommen zwischen Siemens und der IG Metall seinerzeit ausgehandelt? Dieses Abkommen wurde von uns ursprünglich für den Notfall abgeschlossen. In diesem Fall hätten wir notgedrungen betriebsbedingten Kündigungen zugestimmt. Die Situation ist aber jetzt so, dass Siemens große Gewinne einfährt und von Notfall gar keine Rede sein kann. Dieses Abkommen war als Aktionsplan bei schwerer Schieflage des Unternehmens gedacht – darum ist es ein Unding, dass Siemens jetzt mit Radolfzell 2 kommt. Wir reden mit ihnen nicht ein Wort, bevor sie diese Schließung nicht vom Tisch nehmen! Was auch wichtig ist: Siemens kann keine betriebsbedingte Kündigung aussprechen, ohne dass die Arbeitnehmervertreter auf allen Ebenen zustimmen. Wir erwarten aber Konzepte für eine Umsteuerung. Wer wenn nicht ein Konzern mit sechseinhalb Milliarden in der Hinterhand wäre dazu in der Lage? Wann wird denn in Görlitz demonstriert? Bombardier hängt ja auch … Wir planen im Januar mit beiden Belegschaften in Görlitz Demos. Ich hoffe, dass wir da mehr als fünf Leute sein werden. Zum Abschluss noch etwas anderes: Görlitz will 2025 wieder Kulturhauptstadt Europas werden. Jeder, der die Fußgängerbrücke überquert und das blühende und junge Leben im polnischen Teil der Stadt sieht, fragt sich: Wieso wächst diese Stadt nicht zusammen, kulturell und wirtschaftlich? Wo ist denn der gemeinsame deutsch-polnische Wirtschaftsraum rings um Görlitz/Zgorzelec? Es gibt momentan noch keine Entwicklungen in dieser Hinsicht. Wenn Sie mich fragen, liegt die Ursache in einer verfehlten Ansiedelungs-Politik auf deutscher Seite. Auf der Gewerkschaftsebene aber gibt es Kontakte über die Neiße.


Die dritte Seite

Seite 3

12/2017 Links!

Für eine neue Normalarbeitszeit! Zeit ist zur knappsten und wertvollsten Ressource geworden. Die IG-Metall diskutiert aktuell das Modell einer „kurzen Vollzeit“. Beschäftigte sollen den tariflich gesicherten Anspruch erhalten, ihre Arbeitszeit auf bis zu 28 Stunden absenken zu können. Dies klingt zunächst nach einer tollen Sache, die Forderung ist aber nicht weitreichend. Die Absenkung soll nur für zwei Jahre gelten. Das Vollzeit-Arbeitsverhältnis bleibt bestehen, damit man zurückkehren kann. Dies bedeutet jedoch keineswegs eine Zahlung des vollen Entgelts während dieser zwei Jahre. Der Lohnausgleich wird nur gefordert für bestimmte Gruppen wie Schichtarbeiter, Pflegende oder Kinderbetreuungspflichtige. Das Modell ist somit keine Forderung nach einer neuen Normalarbeitszeit zwischen 28 und 35 Stunden für alle. Und auch die Forderung, dass Arbeitnehmer mehr Freizeit wählen können, aber dafür auf eine Gehaltserhöhung verzichten, ist Quatsch. Denn so bezahlen die Arbeitnehmer nur selbst ihre Arbeitszeitverkürzung.

Viele Branchen haben noch nicht einmal die 35-Stunden-Woche eingeführt. Stattdessen sind für die Beschäftigten 40 Stunden plus Überstunden die Normalität. Zudem gibt es 28 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht nur Unterschiede bei der Höhe der Löhne zwischen Ost und West, sondern auch solche in den Arbeitszeitregelungen. So sieht der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für Beschäftigte im Tarifgebiet Ost eine regelmäßige Arbeitszeit von wöchentlich 40 Stunden, im Tarifgebiet West nur von 38,5 Stunden vor. Beschäftigte im Osten arbeiten also im Jahr 78 Stunden, mithin rund zwei Wochen länger im Jahr für das gleiche Geld als ihre westdeutschen Kollegen. So etwas ist nicht hinnehmbar!

Durch eine kürzere Wochenarbeitszeit für alle könnte die Arbeitslosigkeit gesenkt werden. So wäre Vollbeschäftigung möglich. Auch im Hinblick auf die Digitalisierung und den damit verbundenen Überfluss an Stellen, die künftig nicht mehr gebraucht werden, ist die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung notwendig. Wenn die von der Digitalisierung betroffenen Menschen nicht in die Arbeitslosigkeit geschickt werden sollen, dann muss die verbleibende Arbeit umverteilt werden. Weiterhin ist die Gesundheit ein wichtiger Grund. Eine Überlastung vieler Arbeitnehmer ist leider oftmals eher die Regel als die Ausnahme. In den letzen Jahren haben psychische Erkrankungen

Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Stellenanteile, die bei solchen Modellen wegfallen, nicht neubesetzt werden. Dies heißt mehr Arbeit, mehr Druck und mehr Stress für die anderen. Die Möglichkeit, in Teilzeit zu gehen, ist ebenso nicht ausreichend, da solche Beschäftigungsverhältnisse meist nicht existenzsichernd sind. Wir brauchen eine kurze Vollzeit für alle, bei vollem Personal- und Lohnausgleich!

Die Produktivität wuchs zwischen 1960 bis 2000 um hundert Prozent. Während die durchschnittliche Arbeitszeit in den 60er Jahren noch bei 48 Stunden wöchentlich lag, wäre es im Jahr 2000 möglich gewesen, nur noch 24 Stunden pro Woche zu arbeiten. Das wäre möglich, doch die gegenwärtigen Machtverhältnisse lassen das nicht zu. Denn eine kürzere Arbeitszeit für alle würde bedeuten, dass die Gewinne und Profite der Unternehmen geschmälert werden. Die Arbeitgeber fordern stattdessen eine höhere Flexibilisierung. Die geht jedoch nur zu Lasten der Beschäftigten. Eine Arbeitszeitverkürzung für alle will die herrschende Klasse natürlich nicht und stellt eine kürzere Arbeitszeit als Utopie dar. Doch davon dürfen wir uns nicht beirren lassen. Wir als Linke sind in der Pflicht, Missstände nach außen zu tragen und die Forderung nach einer deutlichen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich zu unterstützen und dafür zu kämpfen. Denn dies ist kein Randthema, sondern betrifft die gesamte Gesellschaft. Neben den Gewerkschaften sollten daher wir das Sprachrohr für die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung und damit dem Gewinn von Lebenszeit sein! • Theresa Ruttloff

Aufpassen beim Anpassen „In der Sachversicherung ergeben sich ab dem 1. Januar Änderungen aufgrund von Anpassungsmaßnahmen.“ Das teilte mir meine Versicherung unlängst mit. Die „Anpassungsmaßnahmen“ waren nichts anderes als eine Erhöhung der Beiträge für die vertraglich vereinbarten Versicherungen. Warum kann man da eigentlich nicht schreiben, „erhöhen wir die Beiträge“? Die Beiträge haben sich ja nicht selbst erhöht oder, vornehm gesagt, „angepasst“. Ehrlich formuliert weiß man doch auch genau, wer über Zuwachs von Geld und wer über seinen Verlust quittieren kann. Solche Briefe bekommen gegen Jahresende viele, und fast immer ist von „Anpassung“ die Rede und nicht von „Erhöhung“, obwohl diese meistens der Fall ist. Ich suche in den Wörterbüchern und in einschlägigen Artikeln im Netz nach der Bedeutung von „anpassen“ und nach Synonymen. „Erhöhung“ kommt als Synonym nicht vor. Im DUDEN-Deutsches Universalwörterbuch finde ich als passende Bedeutungsvariante, „etwas einer Sache angleichen; etwas auf etwas abstimmen“. Bei DUDEN.de finde ich, „sich nach

infolge von Überarbeitung beträchtlich zugenommen. Eine Arbeitszeitverkürzung würde nicht nur zu einer Erleichterung für den Einzelnen führen, sondern auch zu einer erheblichen Entlastung des Gesundheitssystems.

jemandem, etwas richten.“ Wonach richtet sich meine Versicherung? Sie richtet sich, so richtet sie mir aus, nach den „gestiegenen Zahlungen für Leistungsfälle“. Aber ist damit schon alles erklärt? In der Zeitung lese ich, dass das Studentenwerk ChemnitzZwickau 2018 „Preisanpassungen“ vornehmen muss. Der dunklen Rede heller Sinn: Die Mieten pro Wohnheimplatz werden 2018 um sieben Euro steigen. Woran werden die Mieten angepasst? Sie werden angepasst (so lerne ich aus der Zeitung), um die Unterkünfte „wirtschaftlich“ betreiben zu können. Merke: Die Möglichkeit, etwas wirtschaftlich betreiben zu können, ist der Auslöser der „Anpassung“. Da muss man also nach der Bedeutung von und Synonymen für „wirtschaftlich“ fragen. DUDEN bietet mir im Wörterbuch und im Internet als eine Bedeutungsvariante von „wirtschaftlich“ an, „sparsam mit etwas umgehend“. Sieh’ da! Um sparsam mit etwas umgehen zu können, zum Beispiel mit Wohnheimplätzen, muss man mehr Geld verlangen. An wessen Sparsamkeit werden dann die Mieten für solche Plätze angepasst, wenn sie

de facto erhöht werden? An die der Studierenden sicher nicht! Die Synonyme bei DUDEN.de klären mich auf, „wirtschaftlich“ steht beispielsweise für „gewinnbringend“, „lohnend“, „profitabel“, „lukrativ“. Zu guter Letzt lässt DUDEN vollends die Katze aus dem Sack und bietet als sinnverwandtes Wort noch „fett“ an. Mag sich jede

und jeder jetzt selbst ihre und seine Gedanken machen, welche Erkenntnis über die herrschende Ökonomie darin steckt und wen „fett“ zu machen in dieser Wirtschaftsweise „Anpassungen“ dienen. Die gewählten Beispiele sind jedoch noch harmlos, denke ich aktuell, an dem Tag, an dem ich diesen Text schreibe, an Siemens. Siemens passt an. Das heißt, Siemens macht sich gewinnbringend, lohnend, profitabel, lukrativ. Deshalb wird Siemens sieben-

tausend Mitglieder seiner Belegschaft abbauen. Siemens wird allein in Sachsen zwei Werke schließen und in Erfurt eines vielleicht verkaufen. Das ist „Anpassung“ an die veränderte Nachfrage nach Kraftwerksausrüstungen, die den Profit schmälern könnte. Der ist doch gerade um 11 Prozent auf über sechs Milliarden gestiegen. Da darf es keine Verminderung geben. So hieße ja „Anpassung“ plötzlich Einbuße beim Konzern. Wir haben aber doch gerade gelernt, dass „anpassen“ für Unternehmen „gewinnbringend“ meint, andere aber bezahlen. Im konkreten Fall (und in vielen anderen auch) sind es die von der Firma abhängigen Lohnempfängerinnen und -empfänger. Kaum war die Nachricht von den „Anpassungen“ bei Siemens raus, stieg der Aktienkurs. Er passte sich an die „wirtschaftliche“ Lösung der Probleme an. Und wenn das den Belegschaften nicht passt, so schlägt ihnen die Personalvorständin vor, vom Protestmodus auf den Kooperationsmodus umzustellen, sich also an die Situation anzupassen. Frühverrentung, eine Auffanggesellschaft, Qualifizierung für eine andere Arbeit sind die Zaubermittel der Anpassung. Die Aktionäre gewinnen. Die Belegschaft muss Entlassungen, drastische Einkommenseinbußen und Veränderungen bis hin zum Umzug an andere Arbeitsorte hinnehmen. Man muss wirklich aufpassen beim Anpassen.


Hintergrund

Links! 12/2017

Seite 4

Auch Legenden haben kurze Beine Jörn Schütrumpf enttarnt den Kniefall deutscher Linker vor dem Moskauer Diktat nach 1919. Von Wulf Skaun ins allgemeine Bewusstsein zurück, die vor 100 Jahren linkes politisches Geschehen in Deutschland mitbestimmten wie Arthur Crispien, Wilhelm Düwell, Alfred Henke und Ernst Däumig.

Das Feuilleton bläst 2017 die Revolutionsfanfare. Verbaler Pulverdampf entfacht einen vielkalibrigen Hype um die Russische Großrevolte, das Spektakel auf der Weltbühne vor 100 Jahren. Totgesagte leben eben länger. Die Historikerzunft, auf Jahrestage geeicht, steht den journalistischen Edelfedern nicht nach. Ihre Erinnerungsstücke spielen die atemberaubenden Aufruhrtage, die die „Welt erschütterten“, minutiös nach, wälzen revolutions-theoretische Fragen alter und neuer Couleur oder holen bekannte und vergessene Zeitzeugen samt ihrer ideellen und praktischen Haltung gegenüber dem Epochenereignis von 1917 ins Rampenlicht. Jörn Schütrumpf, langjähriger Chef des Karl Dietz Verlages, nunmehr im Dienste der Rosa-Luxemburg-Stiftung, steuert zum 100. Jubiläum einen Aufsehen erregenden Beitrag aus zeitgenössischer linker Perspektive bei. Seine Schrift „Diktatur statt Sozialismus. Die russische Revolution und die deutsche Linke 1917/18“ präsentiert sich als eine quellenreiche, knapp kommentierte Dokumentation, an der künftige Geschichtsschreibung nicht vorbeigehen kann. Wie die 1917er Revolutionsschüsse die alte Welt erzittern ließen, erschüttern einige brisante Zeitzeugnisse auch festgefügte Erkenntnisbilder DDR-sozialistisch geschulter Generationen. Beim 27. Jour fixe Anfang November, unter dem Dach der Rosa-Luxem-

burg-Stiftung Sachsen in Leipzig, bestätigt sich dieser Effekt. Selten korrespondieren Diskursthemen mit dem Charakter des als unkonventionell bezeichneten Gesprächskreises so eng wie Schütrumpfs revolutionshistorische „Ausgrabungen“. Vor wiederum vollem Haus liefert der promovierte Historiker einige markante Kostproben. In seiner ihm eigenen Manier, Historie spannend und unterhaltsam aufzubereiten, Geschichte in Geschichten zu erzählen, macht er Frontverläufe zwischen Befürwortern und Gegnern der Bolschewiki und ihrer Herrschaftsmittel sichtbar. Dabei holt er auch vergessene Akteure

Ein Kabinettstück des Abends: Wie der Autor in tief verdunkelte Bereiche deutscher Linkspolitik vor einhundert Jahren blicken lässt. Wie er an Beispielen demonstriert, dass Pro- und Kontra-Positionen zu Bolschewiki und ihrer Revolution von Rosa Luxemburg (unter Pseudonym), Franz Mehring, Paul Levi, Clara Zetkin, Otto Bauer, Rudolf Breitscheid, Eduard Bernstein, Karl Kautsky und anderen damals ganz selbstverständlich und in respektvoller Streitkultur in publizistischen Organen von SPD und USPD („Sozialistische Auslandspolitik“!) ausgetauscht wurden. Wie er so den Spannungsbogen aufbaut für kommende Pointen. Denn später, unter dem Schreckensregime Stalins und seines Machtapparates, will es keine kritisch-distanzierten Stimmen gegeben haben, wie sie doch zum Beispiel auch in dem Stuttgarter Spartakusblatt „Der Sozialdemokrat“ publiziert waren. Jahrzehntelang blieb dessen besonders beweiskräftiger vollständiger Jahrgang 1918 verschollen. Bis Schütrumpfs unermüdliche Jagd nach der „verschwundenen Materie“, seine schier aussichtslosen Suchaktionen in in- und ausländischen Archiven und dokumentarischen Aufbewah-

rungsstätten doch noch belohnt werden. Im Bundesarchiv wird er 2016 fündig. In einem eigens angefertigten Schuber schlummert eine 1970 im Institut für Marxismus-Leninismus (IML) verfilmte Kopie des wohl einzig erhaltenen Exemplars vom vermissten Jahrgang. Ob bewusst versteckt oder einfach vergessen, mag der Historiker nicht entscheiden. Der Aufdruck der Fundsache lautet immerhin: Nicht ausleihen! Das Material ist brisant genug. So brisant wie auch die 1921/22 unter Lenins Druck von Clara Zetkin in die Welt gesetzten Legenden, die später für die „linke“ Verunglimpfung Rosa Luxemburgs prägend wurden und deren kritische Position gegenüber den demokratiefeindlichen Methoden der Bolschewiki aushebeln sollten. Die erste behauptete wider besseres Wissen, die im Gefängnis einsitzende Rosa habe, weil sie keine Zeitungen zur Verfügung hatte, gar nicht gewusst, was in Russland tatsächlich geschah, und daher falsche Urteile über die Revolution gefällt. Die zweite gerierte sich als Lügengespinst über Luxemburgs Stellung zum Selbstbestimmungsrecht der Nationen, die sich bekanntlich von Lenins Auffassung unterschied. Die Geschichte hat die „Doppellegende“ längst ad absurdum geführt. Wer und warum sie auch noch in DDR-Zeiten genährt hat, harrt im Detail sicherlich noch finaler Aufklärung.

Null Bock auf Wohnungslosigkeit Sozial-Skandal des Monats

nungsnotfälle gibt. So registrierte die Diakonie für 2015 mehr als 3.000 Fälle, auch 450 Kinder waren betroffen. Mithin hat sich die Zahl seit 2004

Foto: Birgit Kulbe / flickr.com / CC BY-NC 2.0

Deutschlandweit leben 860.000 Menschen ohne eigene Wohnung, darunter 32.000 Kinder. Betroffen sind größtenteils Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind oder die Schulden haben. Das geht etwa aus dem Jahresbericht der Wohnungslosenhilfe Chemnitz der Diakonie hervor. Dass in einem der reichsten Länder der Welt fast eine Million Menschen auf den Straßen leben, ist ein Skandal! Dabei handelt es sich bei den Zahlen nur um grobe Schätzungen. Denn nicht alle, die wohnungslos oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind, nehmen Hilfsangebote an; Wohnungslosigkeit hat nicht nur soziale, sondern in manchen Fällen auch psychische oder andere Ursachen. Die steigenden Zahlen zeigen deutlich: Der Sozialstaat versagt, weil er nicht allen Betroffenen die Hilfe gibt, die sie benötigen. Auch in Sachsen ist damit zu rechnen, dass es mehr Woh-

Die Landesregierung muss endlich auf Wohnungsnotfälle reagieren, fordert Susanne Schaper verdoppelt, was auch mit Hartz IV zusammenhängt. Denn wer keine – oftmals kleinere – Wohnung findet, die den strikten Vorgaben entspricht, droht ebenfalls wohnungslos zu werden. Die sächsische Staatsregierung illustriert ihre Ignoranz gegenüber diesem Missstand durch die Tatsache, dass sie nichts unternimmt. So gibt es im Freistaat immer noch keine Wohnungsnotfallstatistik oder Lebenslagenberichterstattung über Menschen, die von Sozialleistungen abhängig sind. Es wäre allerdings die erste Voraussetzung einer Lösung, dass das Problem analysiert wird. Entsprechende Forderungen der LINKEN stießen im Landtag auf die Ablehnung von CDU und SPD. Wir halten dennoch an unseren Forderungen fest, wie in Nordrhein-Westfalen eine solche Berichterstattung einzufüh-

ren und einen Lebenslagenreport zu erstellen. Wir unterstützen selbstverständlich auch den Vorschlag der Diakonie, stärker in den sozialen Wohnungsbau zu investieren. Schließlich erhält der Freistaat dafür Geld vom Bund, das nicht länger zweckfremd etwa in Förderungen für Eigenheime fließen darf. Außerdem muss die sächsische Regierung auf der Bundesebene gegen das unwürdige Sanktionsregime bei Hartz IV-Betroffenen einsetzen. Denn Mietschulden, aber auch zu niedrige Regelsätze, und damit verbunden eine zunehmende Verschuldung, sind Hauptursachen für die steigende Wohnungslosigkeit. Wenn Leistungsempfänger aufgefordert sind, in kleinere oder billigere Wohnungen zu ziehen, eine solche aber gerade in den Großstädten nicht zu finden ist, kann die Konsequenz nicht lauten, dass sie auf der Straße landen.


Seite 5

Es war ein lange gehegter Wunsch, den 100. Jahrestag der (früher so genannten) „Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“ in der Stadt zu verbringen, die unmittelbar mit ihr verbunden ist. Der erste Eindruck ist für den Besucher, der vor einigen Jahren zum letzten Mal in der Stadt war, schon positiv: Der Flughafen Pulkowo empfängt inzwischen mit einem neuen, großzügigen Terminal. Zwar hat der Flughafen nach wie vor keinen Schienenanschluss, aber man wartet maximal fünf Minuten, um per Bus oder Linientaxi zur nächstgelegenen U-Bahn-Station „Moskowskaja“ zu gelangen. In der Stadt selbst ist ohnehin die Metro das schnellste Verkehrsmittel. Dazu geht es in der von St. Petersburg, verglichen mit Moskau, vergleichsweise entspannt zu. Und die Preise für alle genannten Verkehrsmittel betragen für unsere Verhältnisse moderate 40 Rubel, also etwa 58 Cent. Angekommen im direkt an der Newa und über einem Metrokreuz gelegenen Hotel „Moskwa“, machten wir uns gleich wieder auf den Weg zum „Newski-Prospekt“, der Hauptstraße von St. Petersburg. Dort sind, verständlich für eine 5-Millionen-Stadt, zu jeder Tages- und Nachtzeit viele Menschen unterwegs. Aber am Spätnachmittag des Sonntages strömten ungewöhnlich viele zum Schlossplatz. Vom dort stürmten bekanntlich am 7. November 1917 bewaffnete Arbeiter, Soldaten und Matrosen das Winterpalais. Aus jenem Anlass fand am Abend eine grandiose Licht-Show statt. Dabei wurden in bewegten Bildern Szenen der russischen Geschichte vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Bürgerkrieg an die Front des Generalstabsgebäudes projiziert. Diese Präsentation lief mehrmals hintereinander ab, während in den Pausen internationale Aktionskünstlergruppen ihre Projekte zum Thema „St. Petersburg“ auf die gegenüberliegende Front des Winterpalais strahlten. Der nächste Tag war dem Besuch von mit der Revolution verbundenen Stätten gewidmet. Zunächst fuhren wir zum Finnischen Bahnhof, auf dem Lenin nicht nur nach seiner berühmten Reise aus der Schweiz über Deutschland zum ersten Mal nach seinem Exil im April 1917 wieder in Russland eintraf, sondern auch zwei weitere Male nach Aufenthalten in Finnland. Die Lok, auf der Lenin, als Heizer verkleidet, das Land illegal wieder verließ und auf der er auch erneut einreiste, wurde 1957 der Sowjetunion von der finnischen Regierung geschenkt und kann auf dem Bahnhof besichtigt werden – was wir natürlich, gemeinsam mit einer Gruppe österreichischer Kommunisten, getan haben. Danach legten wir ein paar rote Nelken am Lenindenkmal auf dem Bahnhofsvorplatz, heute Leninplatz, nieder. Das Denkmal zeigt Lenin bei seiner Rede vom Panzerwagen auf diesem Platz unmittelbar nach seiner Rückkehr aus dem Schweizer Exil im April 1917, wo er seine „Aprilthesen“ skizzierte. Anschließend schlenderten wir zum Ufer der „Bolschaja Newka“, an deren gegenüberliegendem Ufer der symbolträchtige Kreuzer „Aurora“ zu sehen ist. Ein weiteres „Muss“ in unserem Programm war der Smolny. Auf dem Weg

Hintergrund

Zum 100. Jahrestag an der Newa Reinhold und Heidi Gläß erlebten ein emotionales Revolutionsjubiläum in St. Petersburg

dorthin durchquerten wir zunächst den Taurischen Park und sahen schon von der Rückseite das „Taurische Palais“, einen besonders prächtigen der vielen Stadtpaläste. Die beiden Wachgebäude am Eingang zum weitläufigen, parkartigen Gelände des Smolny tragen Aufschriften wie „Proletarier aller Länder, vereinigt euch“. Beim Gang Richtung Smolny-Institut passiert man zwei Statuen von Marx und Engels zu beiden Seiten des Wegs. Dann steht man vor dem berühmten Gebäude des von Katarina der Zweiten als Schule für adlige Töchter errichteten Instituts, das dem benachbarten Smolny-Kloster angeschlossen war. Leider beherbergt das Gebäude kein Museum; immerhin wurde von hier aus der bewaffnete Aufstand geleitet. Lenin, Trotzki und weitere Revolutionsführer arbeiteten hier während der Oktoberereignisse. Heute ist im Smolny ein Teil der Stadtverwaltung von St. Petersburg untergebracht.

Name des Palastes rührt daher, dass ihn Katharina II. ihrem Feldherrn und Geliebten, Fürst Potjomkin, zum Geschenk für dessen erfolgreiche Eroberung der Krim in den Kriegen gegen die Türkei machte („Taurien“ ist frühere Bezeichnung der Krim). Heute ist das Taurische Palais Sitz der Interparlamentarischen Versammlung der Staaten der GUS. Ausklingen ließen wir den Tag mit einem Besuch des vor allem innenarchitektonisch interessanten Neuen Marijnskij-Theaters, wo wir die Aufführung eines Prokofjew-Balletts sahen. Den nächsten Tag, den 7. November selbst, wollten wir Veranstaltungen widmen, die unmittelbar mit dem Jubiläum zu tun hatten. Das Wetter war für Petersburger Verhältnisse in dieser Jahreszeit ungewöhnlich schön. So konzentrierten wir uns auf Unternehmungen im Freien, obwohl auch in etlichen Museen und Kulturstätten Ausstellungen und Veranstaltungen zum Jubiläum stattfanden.

Nach einem Blick in den Innenhof und auf die Kirche des Smolny-Klosters passierten wir das Taurische Palais an seiner Vorderfront. Hier hatte der Petrograder Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten seinen Sitz. Der

Wir machten uns erneut auf den Weg zum Finnischen Bahnhof, wo schon zahlreiche Menschen am Lenindenkmal versammelt waren und Blumengebinde niedergelegt hatten. Revolutionäre Musik leitete in ein Meeting

12/2017 Links! „Kommunisten Russlands“ über. Dabei handelt es sich um eine kommunistische Splitterpartei, die sich 2012 gegründet hat und die Wert auf eine Abgrenzung zur KPRF legt. Sie hält sich für die legitime Nachfolgerin der KPdSU und die Partei Lenins, während die KPRF ihrer Meinung nach einen zu opportunistischen Kurs fährt. Es erschien der Parteivorsitzende, „Genosse Maxim“, der eine rhetorisch brillante und extrem kämpferische Rede vom Denkmal aus hielt. Anschließend kamen weitere Mitglieder der Führung der Partei, u. a. ein ehemaliger Gouverneur des Leningrader Gebiets und der Vorsitzende des Komsomol, zu Wort. In jedem Falle interessant, gleichgültig, wie man es bewertet, war es zu hören, wie sich der Diskurs unter den Linken (das wäre auch bei der KPRF nicht prinzipiell anders gewesen) von unserem unterscheidet. So spielt beispielsweise die Kategorie „Patriotismus“ eine herausragende Rolle und das Verhältnis zu Lenin, vor allem aber zu Stalin, ist gänzlich anders. So wurde u. a. ein neu gestifteter „Orden der Oktoberrevolution“ mit der Nr. 1 symbolisch an Lenin und der Nr. 2 an Stalin verliehen. Dies wurde mit einem Plakat, das am Denkmal angebracht wurde, symbolisch dargestellt. Im Übrigen ging es vor allem darum, zumindest die sozialen Errungenschaften der Sowjetunion wenigstens schrittweise wieder herzustellen. Diese Notwendigkeit wurde mit vielen einleuchtenden Argumenten begründet. Aus einer Reihe von Umfragen unter der russischen Bevölkerung wurde viel Optimismus dafür geschöpft, dass nach zeitweiligen Rückschlägen die kommunistische Bewegung noch siegen würde: Beispielsweise hielten mittlerweile über 46 Prozent das sowjetische für das bessere Gesellschaftssystem und die absolute Mehrheit sieht die Oktoberrevolution und ihre Ergebnisse überwiegend positiv. Daher war es folgerichtig, dass zum Abschluss des Meetings der Newa eine Flaschenpost übergeben wurde, deren Botschaft sich an jene richtet, die an dieser Stelle den 200. Jahrestag in einem dann kommunistischen Russland begehen würden. Eine gut inszenierte und emotional aufgeladene Aktion. Wir hatten anschließend viel Nachdenk- und Redebedarf und gingen zum Kreuzer Aurora, der, vor wenigen Jahren generalüberholt, wieder an seinem alten Platz liegt. Er ist heute als Museum zugänglich. Angesichts des Besucherandrangs beließen wir es bei einer „Außenbesichtigung“, bestaunten den Berg roter Nelken, der vor dem Schiff aufgerichtet worden war, und genossen das Zusammensein mit vielen grundsätzlich Gleichgesinnten. Der Abend gehörte einem Besuch der „Music Hall“, wo ein Konzert mit „Musik der Revolution“ stattfand. Der Opernchor brachten in künstlerisch überzeugender und beeindruckender Weise Lieder zu Gehör, die wir ja auch kannten, darüber hinaus auch viele andere – eine Veranstaltung mit Gänsehauteffekt! Wir ließen noch das Flair des spätabendlichen Newski-Prospekt auf uns wirken, bevor wir nachdenklich, aber voller Eindrücke und positiver Emotionen die Heimreise antraten.


Doppelter Jour-fixe im November. Bereits eine Woche nach der turnusmäßigen 27. Runde, über die in dieser Ausgabe ebenfalls berichtet wird, ging Nummer 28 als Spécial über die Leipziger Bühne der Rosa-LuxemburgStiftung Sachsen. Das Besondere hat einen Namen: Peter Brandt (69). Der älteste Sohn Willy Brandts ist nicht nur ein vielgefragter, sondern auch vielgesichtiger Mann. Mit Alttrotzkist, Historiker, Universitäts-Professor, Buchautor, Vorstandsmitglied von Historischer Kommission der SPD und Friedrich-Ebert-Stiftung ist er unvollständig beschrieben. Klaus Kinners Vorstellung im vollbesetzten Salon des Hauses umfasst etliche Ämter und Funktionen mehr, darunter den Vorsitz im wissenschaftlichen Beirat für die neue Dauerausstellung im Geburtshaus von Karl Marx in Trier. Kinner würdigt auch die wissenschaftlichen Leistungen des Experten für Neuere Deutsche und Europäische Geschichte. Dass der linke Sozialdemokrat als Brückenbauer eines kooperativen Verhältnisses seiner Partei zur entschiedenen Linken gilt, verleiht dem Abend einen Hauch von „Brüder in eins nun die Hände“-Atmosphäre. Peter Brandt hat seine in diesem Frühjahr bei edition bodoni erschienenen beiden Anthologiebände „Freiheit und Einheit“ mitgebracht. Sie sind angefüllt mit Vorträgen und Essays aus den Jahren 1982 bis 2017. Statt eines Vortrags werden diese in jeder Beziehung schwergewichtigen Geschichtsbücher Quelle einer bekömmlichen Mischung aus Erzählung, Lesung und Dialog mit dem diskursfreudigen Auditorium. Der Historiker nimmt es zunächst mit auf eine Tour d’Horizon durch beide Druckwerke. Band eins beinhaltet Beiträge über die deutschen Freiheitsund Einheitsbestrebungen während des 19. Jahrhunderts. Im zweiten Teil werden „Fortschritt und Reaktion in Deutschland während des 20. Jahrhunderts − das Nationale und das Universale“ verhandelt. Für das Leipziger Publikum wählt der Autor aus dem Kosmos seiner geschichtspolitischen Betrachtungen drei Lesestellen aus, die, Vortragserfahrung, „Ostdeutsche für sich als besonders interessant markieren“. „Revolution muss Spaß machen“ Bereits die erste Textdarbietung zur Idee der nationalen Einheit demonstriert Peter Brandts redlich- bedachtsamen und historisch-konkreten Umgang mit Andersdenkenden. So gibt seine Kritik an Alexander Abuschs (KPD) vereinfachte, auf zwei Klassenli-

„Ich bezeichne mich als Sozialist. Was mit 1917 passierte, hat den Begriff Kommunismus diskreditiert“ Peter Brandt

Hintergrund

Seite 6

Freiheit und Einheit Jour fixe spécial: Peter Brandt erzählt, liest und diskutiert über sein geschichtspolitisches Lebensthema. Von Wulf Skaun nien in der deutschen Geschichte verengte Auffassungen in dessen Schrift von 1945 „Der Irrweg einer Nation“ zu bedenken, dass es dem Autor primär darum ging, die Kontamination des Nationalen durch den Faschismus herauszuarbeiten. Als Wertschätzung für die im Westen lange Zeit desavouierte DDR-Geschichtswissenschaft darf Brandts Hommage an Ernst Engelberg gelten. Dessen Bismarck-Biografie war 1985 in beiden deutschen Staaten gleichzeitig erschienen. Mit Genugtuung registriert das Publikum, dass der feinfühlige Gast Engelbergs Verständnis von Epoche, Revolution und Evolution, von Erbe- und Traditionspflege mit dem Hinweis auf das verdienstvolle Wirken der Leipziger Universalhistoriker Walter Markov und Manfred Kossok verbindet, die zu den Gründungsmitgliedern der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen gehörten. Aus dem zweiten Band von „Freiheit und Einheit“ liest Brandt Passagen seiner 2008 verfassten Rückschau auf die „radikale Demokratiebewegung“ des Jahres 1968, an der er als junger Trotzkist beteiligt war. Im Zentrum stehen die Studentenproteste des SDS und als Personifizierung der Revolte Rudi Dutschke, dessen „Revolution muss Spaß machen“ eine mit Marx, Korsch und Lukács eher deterministisch als voluntaristisch gedachte Losung gewesen sei. Kalkulierte Zweideutigkeit Willy Brandts Die Diskussion nimmt sogleich Fahrt auf, als nach der Rolle des Trotzkismus in Geschichte und Gegenwart gefragt wird. Brandt weiß, dass auch seine eigene trotzkistische Jugendphase angesprochen ist. So antwortet er ohne Umschweife, dass er dieser linksradikalen Strömung von etwa 1965 bis 1975 anhing, bis er begriff, dass auch die ehernen Dogmen des Trotzkismus keiner freiheitlich-demokratischen Bewegung galten. Längst zu zersplittertem Sektendasein verkümmert, wisse der Trotzkismus von heute keine Antwort auf die aktuellen Epochenprobleme. Seine einstige Opposition gegen die Stalin-Diktatur habe aber Stalinismus-Gegner geprägt. Aus dem Publikum unterstreicht Peter Porsch diesen Gedanken, indem er an Ernest Mandels Einfluss in eigener Studentenzeit erinnert.

Foto: TH.Korr / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0

Links! 12/2017

Die Frage um eine „Bremser“-Rolle Willy Brandts und Egon Bahrs im deutschen Vereinigungsprozess beantwortet Peter Brandt jenseits bekannter Urteile. Mit Willy Brandts sich scheinbar widersprechenden öffentlichen Äußerungen von 1988 „Die Hoffnung auf Wiedervereinigung wurde geradezu zur Lebenslüge der zweiten deutschen Republik“ und von 1989 nach dem Fall der Berliner Mauer „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“ konfrontiert, überrascht Brandt-Junior mit Wissen aus nächster Nähe. Das Lebenslüge-Zitat interpretiere er als „kalkulierte Zweideutigkeit“. Sein Vater habe bei der deutschen Einheitsfrage die Silbe „Wieder“ betont wissen wollen als Mahnung gegen alles Imperiale, das es schon mal gab; auch als Reflex auf westdeutsche Wiedervereinigungspläne, die noch bis 1970 auf eine Revision der Ostgrenzen nach Polen orientiert waren. Das populäre Wortspiel vom Zusammenwachsen legitimiere pointiert das real Geschehene. „Der Fuchs“ Egon Bahr sei erst aus seiner Strategie zu verstehen: das Eisen im Feuer halten, aber nie davon reden. Bahr habe in staatsrechtlich-diplomatischen Kategorien, nicht in bürgerbewegten Szenarien gedacht, an Wege zur Gesamtstaatlichkeit, an der auch die DDR-Führungsschicht hätte beteiligt werden müssen. „An mir liegt es nicht!“ Wie solle sich das Verhältnis zwischen SPD und Linkspartei entwickeln? Peter Brandts Haltung ist eindeutig. Beide müssten endlich zu gemeinsamem, langfristigem Dialog finden, in dem mit

offenen Karten gespielt werde, um eine sach- und problemorientierte Zusammenarbeit zu organisieren. Das verbiete es, auf je eigenen Grundsatzpositionen und alten Klischees zu beharren. Wenn sich beide Parteien ein realistisches Bild von den Leuten an der jeweils anderen Basis verschafften, würden sie nach seiner Erfahrung mehr Gemeinsamkeiten vorfinden als vermutet. Auf Klaus Kinners Einwurf, es sei nicht einmal gelungen, die Historischen Kommissionen beider Parteien zusammenzubringen, reagiert sein Kollege prompt: „An mir liegt es nicht!“ Warum die SPD, anders als die CDU, keine früheren SED-Mitglieder, die sich für einen demokratischen Sozialismus in der DDR stark gemacht hatten, in ihre Reihen aufgenommen habe, lautet eine weitere Frage. Brandt glaubt, zwei Gründe hätten in SPDKreisen gegen einen solchen Schritt gesprochen: Befürchtungen, durch Masseneintritte früherer SED-Genossen minorisiert zu werden und mangelndes Interesse der anders sozialisierten Schröder-Generation, die die Intentionen Brandts und Bahrs gar nicht verstanden hätten und sich zudem böswilligen Angriffen von rechts, mit SED-Leuten zu mauscheln, nicht aussetzen wollten. Selbstkritik von SPD und Linkspartei notwendig Die Frage, wie der sozialen Polarisierung, der Kluft zwischen Profitwachstum und Stagnation der Reallöhne Einhalt geboten werden könne, veranlasst den Historiker, seinen politischen Standort zu benennen: „Ich bezeichne mich als Sozialist. Was mit 1917 passierte, hat den Begriff Kommunismus diskreditiert. Sonst hätte ich im Sinne des Kommunistischen Manifests auch Kommunist genannt werden können.“ Trotz höheren Lebensstandards in den entwickelten Ländern halte er den Kapitalismus als Weltsystem für brüchig. Hier sei mehr Systemkritik dringend geboten. Aber praktische Lösungen seien schwierig, da die „Arbeiterklasse an sich, aber nicht mehr für sich“, zahlenmäßig noch am größten als „Dienstleistungsproletariat“, existiere. Dankbar zeigt sich Peter Brandt für die Frage, für wie stabil er die Berliner Republik angesichts einer schockierenden Rechtsentwicklung halte. Sie gibt ihm Gelegenheit, noch einmal vereinte Anstrengungen von SPD und Linkspartei einzufordern, deren Defizite, „nicht mehr an bestimmte Gruppen des arbeitenden Volkes heranzukommen“, und weil sie als Teil des „etablierten politischen Spektrums wahrgenommen“ werden, die Rechtsaußen-AfD gestärkt habe. „Das ist gefährlich. Ich sehe aber keine faschistische Gefahr in Deutschland.“ Statt moralisierend die „bösen Führer“ der AfD aufs Korn zu nehmen, sei ein selbstkritischer Ansatz der beiden linken Parteien vonnöten. Ich hoffe, dass die SPD aus ihrer Wahlkatastrophe Lehren zieht. Und mit erhobener Stimme: „Ich sage eins: Wir müssen wieder die soziale Frage ins Zentrum stellen!“ Herzlicher Applaus. „Brüder in eins nun die Hände“Stimmung. Manfred Neuhaus lädt zu finaler Rotweinrunde.


12/2017 Links!

Seite 7

Am 27. November, genau einen Monat vor seinem 85. Geburtstag und zwei Wochen nach seiner Frau Ruth, ist in Leipzig der Historiker Hans Piazza verstorben. Geboren in einer nicht-nazistischen Arbeiterfamilie in Chemnitz, nahm Hans Piazza 1951 das Studium der Geschichte an der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig auf. Ein Jahr später delegierte ihn die Universität zum Auslandsstudium nach Leningrad. Nach dem 1957 hervorragend bestandenen Examen arbeitete er für ein Jahr als Lehrer an der Kreisparteischule der SED in Magdeburg – ein durchaus DDR-typischer Lebenslauf.

Komintern und Antikolonialismus

Trauer um Elmar Faber Es war in letzter Zeit recht still um Elmar Faber geworden. Aus dem aktiven Geschäftsleben hatte sich der namhafte Leipziger Verleger nach dem Ende des gemeinsam mit seinem Sohn Michael geführten Unternehmens Faber & Faber 2011 zurückgezogen. Seine Autobiografie „Verloren im Paradies. Ein Verlegerleben“ erschien 2014 im renommierten, einst von ihm geleiteten Aufbau-Verlag und sorgte nochmals für Aufsehen. In diesem Werk zeichnete der am 1. April 1934 in Thüringen Geborene seine wichtigsten Lebensstationen nach, darunter das Studium der Germanistik in Leipzig, seinen SED-Eintritt

Vom Zug der Revolution Wie so oft wurden sie nicht gefragt. Ob sie wollten oder nicht. Sie mussten einsteigen – und wurden mitgenommen. Vom Zug der Revolution.

Prof. Dr. Mario Keßler (New York) erinnert an seinen kürzlich verstorbenen Freund und Lehrer, den Leipziger Historiker Hans Piazza

Auf den Schienen der Macht – da wurden Warnsignale und neue Weichenstellungen ignoriert. Immer war der Fahrtwind stärker. Vom Zug der Revolution. Wer dennoch aussteigen wollte – um nach besseren Wegen zu suchen. Der musste nachlösen – im GULAG oder in Bautzen. Weniger „Glückliche“ wurden gleich ganz überrollt. Vom Zug der Revolution.

Ab 1958 war Hans Piazza Assistent, ab 1962 Oberassistent am Institut für Allgemeine Geschichte der Leipziger Universität, an deren Philosophischer Fakultät er 1963 mit dem Thema „Der Londoner Dockarbeiterstreik von 1889. Ein Beitrag zur Geschichte der sozialistischen Bewegung und des Neuen Unionismus in England“ promoviert wurde. Gutachter waren sein von ihm lebenslang verehrter Lehrer Walter Markov sowie Lothar Rathmann, später langjähriger Rektor der Alma mater Lipsiensis. Der Wahrnehmung einer Dozentur 1965 und der Ernennung zum Universitätsdozenten 1969 folgte 1970 noch vor der Habilitation die Berufung zum Professor für Allgemeine Geschichte mit dem Schwerpunkt internationale Arbeiterbewegung. An der Habilitation ließ es Hans Piazza dann nicht fehlen: 1971 erfolgte diese zum Thema „Die Kommunistische Internationale und die nationale Befreiungsbewegung“.

Später kamen Panzer hinzu. Denn man ging ja mit der Zeit. Nun sind beide aus der Zeit gefallen – und außer Dienst gestellt. Die Panzer waren schnell verschlissen. Und die „Lokomotive der Geschichte“ – sie fährt nun rückwärts. Vom Zug der Revolution. • René Lindenau Schöne Bescherung! Foto: Universitätsarchiv Leipzig

Auf diesem Gebiet erwarb sich Hans Piazza mit zahlreichen Publikationen einen guten Ruf als quellengründlich arbeitender Historiker. Wer in der DDR auf solchem Feld „unterwegs“ war, wusste, wie schwer es war, historische Tatsachen an die Öffentlichkeit zu bringen, ohne ihnen Gewalt anzutun. Hans Piazza rang stets darum, und es gelang ihm auch unter ungünstigsten Umständen weitestgehend. Seine Integrität kann eine große Zahl von Doktoranden, darunter der Ver-

Lyrisches

fasser dieser Zeilen, und Diplomanden bezeugen, von denen fast alle, wie auch Hans Piazza selbst, zu Beginn der neunziger Jahre ihre Arbeitsplätze in der Wissenschaft verloren. Sein Berufungsgebiet wurde nun für überflüssig erklärt, und als langjähriger Direktor der Sektion Geschichte und Prorektor der Universität wurde er als

1956 und die spätere Leitung mehrerer großer ostdeutscher Verlagshäuser ab 1975. Im Rückblick auf seine Zeit als Verleger in der DDR bekannte er über sich selbst nicht ohne Stolz: „Ein Ausbund an Findigkeit bin ich gewesen.“ 1990 wurde er Mitglied der PDS und aus eigener Anschauung kann der Autor dieser Zeilen bezeugen, dass Elmar Faber bis zum Schluss an seiner linken und zugleich kritischen Weltanschauung konsequent festhielt. Jetzt ist er am 3. Dezember im Alter von 83 Jahren gestorben. Die Trauerfeier für ihn findet am 19. Dezember, 13.00 Uhr auf dem Leipziger Südfriedhof statt. Christoph Hein wird die Gedenkrede halten. • Volker Külow

„staatsnah“ eingestuft. Seine große wissenschaftliche und pädagogische Erfahrung, die hervorragende Kenntnis zweier Fremdsprachen und die Tatsache, dass er ohne jede Beschönigung über eigene Fehler und Versäumnisse – niemals über die der anderen – sprach, zählte nicht. Hans Piazza wurde mit dem Zusammenbruch der DDR wie der Sowjetunion, seiner beiden Heimatländer, nie wirklich „fertig“. Zu meiner Habilitation 1990 – ich bestand darauf, dass er als Gutachter mitwirkte, während manche sich von dem marxistischen Historiker abwandten – überreichte er mir ein Exemplar seines Lehrbuches „Allgemeine Geschichte der Neuesten Zeit 1917 – Gegenwart“, das kurz zuvor in der DDR erschienen war. Er schrieb mir die Worte hinein: „Mache und schreibe Geschichte besser, als wir es taten.“ Seine Geschichte der Liga gegen Imperialismus blieb ungeschrieben – kurz nach seiner Entlassung von der Universität befiel ihn eine tückische Krankheit, deren sich ausbreitenden Tumoren er lange widerstand, die ihm aber die Energie, die für wissenschaftliche Arbeit nötig ist, raubte. Ihr ist Hans Piazza nun erlegen. Die Erinnerung an einen aufrechten Menschen und Wissenschaftler bleibt.

zündende Parole voll gänseschmalzfetter Gier mehr Profit mehr Arbeitsplätze dieser Gedanke zündet bei nadelnden Politspießern wäre Kapitalismus ein Tannenbaum dann mit Zündkerzen Weitblick-Beweis mit Sehschwäche und haßfrei Kritik an Linkspartei: Ehrliches Schwarz von Konservativen braun unter Deckfarbe Schwarz sind Konservative die blind vor Schlacke-Haß politischen Fortschritt bekämpfen sein Name: Linkspartei • Jürgen Riedel Ware wahre Weihnacht am Wühltisch verkommen Heilig? geweihte Nacht im Weihrauch verraucht Rauschkauf raubt Sinn Geruch aus meiner Kindheit Schneesternenstaub feinstes Winterweiß • Janina Niemann-Rich


Links! 12/2017

Seite 8

Kennedys späte Erkenntnis Trotz Aktenfreigabe durch Donald Trump bleiben die Hintergründe des Kennedy-Attentats wohl verborgen, meint Prof. Dr. Horst Schneider ranz miteinander lebt, seine Streitfälle einer gerechten und friedlichen Lösung unterwirft.“

Im Oktober 2017 ging eine Nachricht um die Welt, die große Aufmerksamkeit erregte. US- Präsident Ronald Trump hat zugestimmt, dass die Geheimakten, die den Mord an John F. Kennedy am 22. November 1963 betreffen, veröffentlicht werden dürfen. Zwar ist damit nicht klar, ob die Dienste Brisantes zurückbehalten oder schon vernichtet haben, aber mit dieser Entscheidung wird der Streit über Kennedys Politik und Tod neu angefacht. Zwei Drittel aller USABürger glauben nicht, dass damals mit Lee Harvey Oswald der wahre Einzeltäter verhaftet und umgebracht wurde. Viele bringen den Mord in Zusammenhang mit dem Auftritt des US-Präsidenten am 10. Juni 1963 an der Universität in Washington. Der Auftritt trug den Titel „Über eine Strategie des Friedens“. Einleitend erklärte Kennedy: „Ich habe ... diesen Zeitpunkt und diesen Ort gewählt, um ein Thema zu erörtern, über das zu oft Unwissenheit herrscht und bei dem die Wahrheit zu selten gesehen wird – und doch ist es eines der wichtigsten Themen auf Erden: der Weltfrieden.“ Der Frieden könne und dürfe nicht eine Pax Americana sein, „die der Weit durch amerikanische Waffen aufgezwungen wird“. Kennedy sprach von einem „echten Frieden“, der es allen Menschen und Nationen ermöglicht, ein besseres Leben aufzubauen.

Kennedy verwies auf die neue Qualität der Vernichtungswaffen: „Ein totaler Krieg ist sinnlos.“ Er wandte sich gegen die These, wonach die Hochrüstung („Abschreckung“) das einzige Mittel sei, um die Sowjetunion vom Angriff abzuhalten: „Die Beseitigung des Krieges und der Waffen liegt eindeutig im Interesse des einen wie des anderen.“ Kennedy ging davon aus, dass Menschen die Probleme schaffen, also Menschen sie auch lösen können und müssen: „Der Weltfriede ... erfordert nicht, dass einer den anderen liebt. Er erfordert lediglich, dass man in gegenseitiger Tole-

Vor 60 Jahren verstorben: Gerhart Ziller Geboren am 19. April 1912 Dresden, absolvierte Gerhart Ziller von 1926 bis 1930 die Lehre als Elektromonteur und technischer Zeichner sowie danach in der Abendschule die Ausbildung zum Maschienenbauingenieur. Bereits während seiner Lehrzeit wurde er Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes (KJVD) und des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes (DMV). 1930 trat er in die KPD ein und war bis 1933 Redakteur der KPD-Zeitung „Arbeiterstimme“. Unmittelbar nach der Errichtung der faschistischen Diktatur wurde Ziller im Januar 1933 für sechs Wochen inhaftiert. Danach war er als Gelegenheitsarbeiter tätig, im September 1933 folgte seine

erneute Festnahme. Ein Sondergericht in Freiberg verurteilte ihn „wegen Aufrechterhaltung des verbotenen KJVD“ zu einem Jahr Zuchthaushaft, die er bis Januar 1935 in Waldheim verbrachte. Von 1937 bis 1944 arbeitete er als Inge-

nieur in Dresden, bis er im Juli 1944 wegen Verbindung zur antifaschistischen Bewegung „Freies Deutschland“ abermals verhaftet wurde. Zunächst ins KZ Sachsenhausen verschleppt, war er ab Februar 1945 bis zur Befreiung durch die US-Armee im April 1945 in Leipzig inhaftiert. Befreit von der möderischen faschistischen Diktatur, gehörte Gerhart Ziller zu den Aktivisten der ersten Stunde des lebensrettenden wirtschaftlichen Neuaufbaus. Er übte in Sachsen verschiedene leitende Funktionen aus, vor allem in der Brennstoffindustrie und der Energiewirtschaft, und war schließlich von April 1949 bis Oktober 1950 als Minister für Industrie und Verkehr der Landesregierung Sachsen tätig. Damit hatte Ziller wesentlichen Anteil an der Schaffung der lebenswichtigen wirtschaftlichen Grundlagen der antifaschistisch-demokratischen Ordnung nicht nur in Sachsen. Im November 1950 wurde Gerhart Ziller zum Minister für Maschinenbau der Regierung der DDR berufen. Im Februar 1953, übernahm er die Leitung des Ministeriums für Schwermaschinenbau.

Nachdem Kennedy Grundsätzliches und damals Ungewöhnliches zur Notwendigkeit und den Bedingungen eines echten Friedens gesprochen hatte, wandte er sich den Beziehungen der USA zur UdSSR zu: „Lassen Sie uns zweitens unsere Haltung gegenüber der Sowjetunion überprüfen.“ Um die Bedeutung dieser Aufforderung zu verstehen und zu würdigen, muss berücksichtigt werden, dass damals die Achse der Weltpolitik, der kalte Krieg und die NATO-Strategie vom Ost-West- Konflikt bestimmt wurden. Kennedy kennzeichnete die Grundeinstellung der US-Bürger so: „Wir Amerikaner empfinden den Kommunismus als Verneinung der persönlichen Freiheit und Würde im tiefsten abstoßend. Dennoch aber können wir das russische Volk um viele seiner Leistungen willen – sei es in der Wissenschaft und Raumfahrt, in der wirtschaftlichen und industriellen Entwicklung, in der Kultur und in seiner mutigen Haltung rühmen.“ Hier ist nicht der Platz, um die vielen Vorschläge zur Verbesserung der amerikanisch­sowjetischen Beziehungen aufzuzählen, obwohl viele von aktueller praktischer Bedeutung sind. Zu diesen Maßnahmen sollten gehören: RhetoriIm Juli 1953 folgte seine Wahl zum Mitglied und Sekretär für Wirtschaft des ZK der SED. Ebenso gehörte er ab demselben Jahr der Volkskammer der DDR an, in der er ab 1954 Vorsitzender ihres Wirtschaftsausschusses war. Es war die Zeit, in der unter dem Druck der Zuspitzung des Kalten Krieges die Politik des forcierten Aufbaus des Sozialismus betrieben wurde, die von der Wirtschaft des Landes gewaltigste Leistungen verlangte. Ziller, der wie wohl kein zweiter genaueste Sachkenntnis von der Lage der Wirtschaft der DDR und deren optimaler Leistungskraft besaß, erkannte, dass das auf Dauer ohne

sche Feindseligkeit war zu vermeiden. Die USA wollten mit jedem Land auf der Erde in einen friedlichen Wettstreit treten. Erste Schritte der Rüstungskontrolle sollten die Intensität des Wettrüstens bremsen. Eine etappenweise allgemeine und vollständige Abrüstung sollte eingeleitet werden. Kernwaffenversuche in der Atmosphäre, im kosmischen Raum und unter Wasser sollten verboten werden (Ein entsprechender Vertag wurde am 5. August 1963 in Moskau abgeschlossen). Kennedy schloss: „Wir stehen nicht hilflos vor dieser Aufgabe und sind nicht hoffnungslos im Hinblick auf ihren Erfolg. Voller Vertrauen und ohne Furcht werden wir weiter arbeiten, nicht in Richtung auf eine Strategie der Vernichtung, sondern in Richtung auf eine Strategie des Friedens.“ Die beiden Hauptaufgaben, die er 1963 nannte – die Atomwaffen abzuschaffen und Beziehungen der friedlichen Koexistenz zwischen der UdSSR und den USA herzustellen – sind 65 Jahre später unerfüllt. Die USA verfolgen bis heute eine Strategie des Krieges und der Aggressionen. Ob der US-Präsident mit seiner Rede 1963 sein Todesurteil gesprochen hat, ist weder bewiesen noch widerlegt. Es ist auch nicht zu erwarten, dass die Hintergründe und Hintermänner des Mordes entlarvt werden. ernsthafte Schädigung der Wirtschaft nicht möglich war. Daher trat er 1956 in der Parteiführung dafür ein, die weitere Entwicklung in der DDR mit mehr realistischem Blick zu betreiben und eine längere Zeitspanne für den Aufbau des Sozialismus zu veranschlagen. Statt sachlich darüber zu befinden, wurde jedoch diese Ansicht nicht nur zurückgewiesen, sondern zugleich auch als revisionistische Konzeption bezeichnet. Damit war Ziller neben Karl Schirdewan und Ernst Wollweber ins Zentrum der innerparteilichen Auseinandersetzungen gerückt. Sein Freitod am 14. Dezember 1957 im Alter von nur 50 Jahren erfolgte inmitten der Angriffe auf ihn. Sein Nachfolger im Amt wurde Heinrich Rau. • Prof. Dr. Kurt Schneider Foto: Am 12.12.1957 wurde in der Parkgaststätte in Leipzig-Markkleeberg der III. Bundeskongress Deutscher Architekten eröffnet. An der dreitägigen Beratung nehmen 120 Architekten teil. Hauptfragen waren die Typenprojektierung im Wohnungsbau und der sozialistische Wohnkomplex im Städtebau. Das Bild zeigt während einer Kongresspause (v.l.n.r.) den Hauptabteilungsleiter im Ministerium für Aufbau, Schneideratus; Staatssekretär Kosel vom Ministerium für Aufbau; Gerhart Ziller, Sekretär des ZK der SED und Chefarchitekt Henselmann, Berlin.


Beide deutschen Staaten nahmen für sich in Anspruch, der bessere Staat zu sein. Doch im Unterschied zur DDR verstiegt sich die BRD lange Zeit darauf, der alleinige deutsche Staat zu sein, weshalb eine Wiederherstellung der Einheit Deutschlands nur durch einen „Beitritt der „Zone“ – die Bezeichnung Staat wurde verweigert – „zu Deutschland (BRD)“ möglich sei. Diese völkerrechtswidrige Position schloss zugleich die Nichtankennung der Staatsgrenze der DDR gegenüber der BRD, der lediglich das Merkmal einer innerdeutschen Ländergrenze zukäme, ein. Die sogenannte „Hallstein-Doktrin“ besagte, dass die BRD diplomatische Beziehungen zu jedem Staat abbrechen würde, der die DDR anerkennt. Seine politische Brisanz erfuhr dieses Gehabe dadurch, dass beide deutsche Staaten, an der Trennlinie beider Weltsysteme und ihrer sich feindlich gegenüberstehenden Militärbündnisse gelegen, in die Weichenstellung der Weltgeschichte eingebunden waren. Hier, wie in diesem Ausmaß und dieser Schärfe nirgendwo sonst, standen sich nicht nur entgegengesetzte Gesellschafts- und hochexplosive atomare Waffensysteme gegenüber, sondern zugleich Menschen einer Nation. Die gesellschaftliche Entwicklung, weitestgehend geprägt durch den Kalten Krieg, hatte daher bis hinein in die familiären Beziehungen gravierende Auswirkungen. Daran zu erinnern ist notwendig, um zu verstehen, warum jeder Schritt zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD nicht nur für Europa bedeutsam war. Mit der Regierung Willy Brands vollzog sich seitens der BRD durch die mit dem Bau der Berliner Mauer gewonnenen Erkenntnisse und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen eine neue Haltung gegenüber den sozialistischen osteuropäischen Staaten, begrifflich gekennzeichnet durch „Neue Ostpolitik“. Diese fand ihren wesentlichen rechtlichen Niederschlag in den Verträgen mit der UdSSR (12.8.1970), mit Polen (7.12.1970), mit der DDR (21.12.1972) und der CSSR (11.12.1973). Sie enthielten Gewaltverzichtsfestlegungen und die Respektierung der gegebenen territorialen Verhältnisse und Grenzen. In Verbindung damit ist auch das Viermächte-Abkommen über Berlin vom 3.9.1971 zu nennen. Insgesamt ist festzustellen, dass auf westdeutscher Seite erst in der Phase der „Neuen Ostpolitik“ offiziell von zwei deutschen Staaten die Rede war. Im „Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik“ bekundeten beide Seiten „unbeschadet der unterschiedlichen Auffassungen ... zu grundsätzlichen Fragen, darunter zur nationalen Frage“ ihr Bestreben, in Verantwortung für die Erhaltung des Friedens einen Beitrag zur Entspannung und Sicherheit in Europa zu leisten. Dem sollte die Entwicklung „gutnachbarlicher Beziehungen zueinander auf der Grundlage der Gleichberechtigung“ dienen, wofür die in der Charta der UNO niedergelegten Ziele und Prinzipien, „insbesondere der souveränen Gleichheit aller Staaten, der

Geschichte

12/2017 Links!

Ausdruck friedlicher Koexistenz

den Deutschen in der Deutschen Demokratischen Republik“ nicht mehr gewährleistet. Am 31. Juli 1973 fällte das Bundesverfassungsgericht einstimmig das Urteil, dass der Vertrag „mit dem Grundgesetz vereinbar“ ist. Im Einzelnen: „Es ist kein beliebig korrigierbarer Schritt wie viele Schritte in der Politik. Er stellt eine historische Weiche, von der aus das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik neu gestaltet werden soll.“

Am 21. Dezember 1972 wurde der Grundlagen-Vertrag über die Beziehungen zwischen der BRD und der DDR besiegelt. Prof. Dr. Kurt Schneider blickt zurück

Bundesarchiv, Bild 183-50395-0006 / Schmidt / CC-BY-SA 3.00

Seite 9

Nach der Vertragsunterzeichnung. Der Staatssekretär beim Ministerrat der DDR Dr. Michael Kohl (r.) und der Bundesminister für besondere Aufgaben Egon Bahr beantworten Fragen der Journalisten. Achtung der Unabhängigkeit, Selbständigkeit und territorialen Integrität, dem Selbstbestimmungsrecht, der Wahrung der Menschenrechte und der Nichtdiskriminierung“, die Richtschnur sein sollten. Eindeutig wurde klargestellt, „dass keiner der beiden Staaten den anderen international vertreten oder in seinem Namen handeln kann“. Zugleich wurde der Grundsatz bekräftigt, „dass die Hoheitsgewalt jedes der beiden Staaten sich auf sein Staatsgebiet beschränkt. Sie respektieren die Unabhängigkeit und Selbständigkeit jedes der beiden Staaten in seinen inneren und äußeren Angelegenheiten.“ Weitere Vertragsartikel betrafen die Unterstützung der Bemühungen um eine Verminderung der Streitkräfte, Rüstungsbegrenzung und Abrüstung, ohne dass dadurch Nachteile für die Sicherheit der Beteiligten entstehen sollten. Ein Zusatzprotokoll zum Grundlagenvertrag hielt die Vereinbarung beider Seiten fest, eine Kommission aus Beauftragten der Regierungen beider Staaten zu bilden, um eine Dokumentation über den Grenzverlauf zu erarbeiten und damit im Zusammenhang stehende Probleme zu benennen. Des Weiteren wurden zur Normalisierung der Beziehungen 11 Punkte formuliert, die der Regelung praktischer und humanitärer Fragen dienen sollten. Ebenfalls am 21.12.1972 richtete die Regie-

rung der BRD an die Regierung der DDR einen von Egon Bahr unterzeichneten „Brief zur deutschen Einheit“. Darin erklärte sie, „dass dieser Vertrag nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesrepublik steht, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt“. Bei der Ratifizierung des Grundlagenvertrages lehnte ihn die CDU/CSUBundestagsfraktion mehrheitlich ab. Doch damit nicht genug. Am 28. Mai 1973 beantragte die Bayrische Staatsregierung beim Bundesverfassungsgericht festzustellen, dass der Grundlagenvertrag „nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und deshalb nichtig“ sei. Zur Begründung wurde vor allem angeführt, dass der Vertrag gegen die „Wahrung der staatlichen Einheit Deutschlands“ verstoße und es nicht hinnehmbar sei, dass die BRD „nicht mehr für Gesamtdeutschland handeln“ könne, wenn die DDR als „gleichberechtigter, unabhängiger und selbständiger Staat“ anerkannt wird. Ebenso werde durch eine vertraglich vereinbarte und anerkannte Staatsgrenze die Spaltung Deutschlands vertieft und damit gegen das „Wiedervereinigungsgebot“ verstoßen. Insgesamt sei durch den Vertrag „die im Grundgesetz begründete Schutz- und Fürsorgepflicht gegenüber

Damit war mit diesem Vertragswerk, das auf den Grundsätzen der Politik der friedlichen Koexisteenz zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung basierte, eine Grundlage für gleichberechtigte Beziehungen auf der Basis des Völkerrechts gegeben, die dem Erhalt des Friedens in Europa höchst dienlich waren. Die BRD hatte nach 23 Jahren (!) die DDR mit völkerrechtlichen Konsequenzen staatlich anerkannt, wenn auch mit der wesentlichen Einschränkung, dass aus der Sicht der BRD keine völkerrechtliche Anerkennung der DDR erfolgt war. Vor allem anerkannte sie nach wie vor nicht die Staatsbürgerschaft der DDR. Für sie galt weiterhin nur eine deutsche Staatsbürgerschaft, die der BRD. So wurde der Vertrag in der Folgezeit oftmals seitens der BRD vor allem im Hinblick auf die rechtsstaatliche Hoheit der DDR nicht eingehalten. Konservative Kräfte, die vehement das Zustandekommen des Vertrages zu verhindern versucht hatten, waren nunmehr bestrebt, ihn zu unterlaufen bzw. selektiv auszulegen. Obwohl der Grundlagenvertrag nach wie vor volle Gültigkeit besaß – er war von keiner der beiden Seiten gekündigt worden – wurde er dennoch bereits im Vorfeld der Ausarbeitung des Einigungsvertrages vom 12. Dezember 1990 von beiden Seiten absolut missachtet. Souveränität und Gleichberechtigung waren für die DDR nicht mehr gegeben. Die BRD empfand sich als der Sieger der Geschichte und handelte danach. Vor allem die einstigen Gegner des Grundlagenvertrages triumphierten. Es entstand ein Vertragswerk, nach dem der Osten – lange Zeit als Beitrittsgebiet bezeichnet – Westen werden sollte, was den Geist des auf der Grundlage des Völkerrechts abgeschlossenen Vertrages vom 21. Dezember 1972 negierte. Der von der Mehrheit der Mitglieder der Volkskammer in einer dramatischen Nachtsitzung beschlossene Beitritt war de facto im Kern die Übergabe der sozialistisch geprägten DDR an den westdeutschen Raubtierkapitalismus. Die Auswirkungen waren katastrophal. Die Lebensleistungen von Generationen DDR-Bürger wurden seither missachtet und behandelt, als müssten sie sich für 40 Jahre sozialistische Entwicklung schämen. Die Folge erlittender Demütigung ist eine zunehmende Entfremdung von Staat und Demokratie. Kürzlich stellte der Chef der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, fest, dass die westdeutschen Eliten bis heute den Osten dominieren, was als „kultureller Kolonialismus“ erlebt werde. Die neue Bundesregierung hat diesbezüglich ein 27-jähriges Erbe, dem sie sich ernsthaft stellen muss.


Links! 12/2017

Seite 10

Terminübersicht Cunnersdorf, 8. Dezember, 18 Uhr n Workshop Verein, Stiftung, Genossenschaft? – Teil 2 Mit Thomas Richter (Kulturmanager) In Kooperation mit dem Verein Alte Schule e.V. Alte Schule, Schulweg 10, 01920 Schönteichen/OT Cunnersdorf Welche Rechtsform ist für mein Projekt, meine Idee die geeignetste? Wie gründe ich sie, was ist zu beachten? Leipzig, 14. Dezember, 18 Uhr n Vortrag und Diskussion „Ich kann nicht aus Hass schreiben...“*** REIHE: Jour Fixe - ein unkonventioneller Gesprächskreis. Mit Norbert Mahron (Schriftsteller), Moderation: Michael Zock. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 10. Januar, Mittwoch, 16.30 Uhr n Ausstellungsbesuch Roter Oktober - Kommunismus als Fiktion und Befehl* Treffpunkt Versteinerter Wald, dasTietz, Moritzstaße 20, 09111 Chemnitz Die Ausstellung bezieht sich auf das 100jährige Jubiläum der Februar- und Oktoberrevolution(en) in Russland 1917. Sie thematisiert den Aufstieg, Wandel und Fall der kommunistischen Utopie. Genauso aber fragt sie nach der heutigen Virulenz einer neuerlichen Konjunktur kommunistischer bzw. antikapitalistischer Denkbilder. Leipzig, 11. Januar, 18 Uhr n Vortrag und Diskussion „Die Farbe Rot“ und „Das sowjetische Jahrhundert“ REIHE: Jour Fixe - ein unkonventioneller Gesprächskreis. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Klaus Kinner und Manfred Neuhaus stellen zwei monumentale Werke zur Geschichte des Kommunismus und des sowjetischen Imperiums vor: Gerd Koenen „Die Farbe Rot. Ursprünge und Geschichte des Kommunismus“ und Karl Schlögel „Das sowjetische Jahrhundert. Archäologie einer untergegangenen Welt“. In Koenens Darstellung wird der Kommunismus aus dem Reich der reinen „Ideen“ auf den Boden der menschlichen Geschichte zurückgeholt. Er macht plausibel, warum Marxismus, Sozialismus und Kommunismus eine naheliegende Antwort auf die vom modernen Kapitalismus erzeugten Umwälzungen waren – aber ebenso, wie und weshalb der „Kommunismus“ als politisches System in Russland wie in China in Terror und Paranoia endete. Leipzig, 12. Januar, 19 Uhr n Film und Gespräch RAW CHICKS.BERLIN* Mit Beate Kunath (Filmemacherin) Cineding, Karl-Heine-Str. 83, 04229 Leipzig

Leipzig, 16. Januar, 18 Uhr n Vortrag und Diskussion Alt gegen Jung? Brüche und Kontinuitäten im Werk von Karl Marx* REIHE: Marxexpedition. Mit Michael Heinrich (Berlin) und Christian Schmidt (Leipzig/Berlin). Moderation: Antonella Muzzupappa (Berlin) Institut fuer Zukunft, An den Tierkliniken 38, Kohlrabizirkus, 04103 Leipzig Die Debatte über Kontinuitäten und Brüche im Marx'schen Werk ist ebenso alt wie unabgeschlossen. Vielfach wird die Meinung vertreten, zwischen dem jungen („philosophisch-humanistischen“) und dem alten ("wissenschaftlichen") Marx liege ein radikaler Bruch. Anders die These von der Einheit des Marx'schen Werkes: dieselben Motive und Themen durchziehen das gesamte Werk. Wir wollen den Argumenten für die These des Bruchs bzw. der Kontinuität nachgehen. Dresden, 16. Januar, 18 Uhr n Vortrag und Diskussion Linke Kommnunalpolitik und solidarische Ökonomie in Katalonien REIHE: Junge Rosa. Mit Christian Schaft (MdL Thüringen). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Chemnitz, 20. Januar, 13 Uhr n Workshop Marxlesekreis Bibliothek, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz Diesmal beschäftigen wir uns mit den Schriften von Friedrich Engels „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ sowie „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie“. Dresden, 24. Januar, 19 Uhr n Vortrag und Diskussion Wie tickt der Osten? Eine Erkundung von Enttäuschung, Entzug und Empörung* Mit Prof. Dr. Raj Kollmorgen (HS Zittau, Fakultät für Sozialwissenschaften, Direktor des Instituts für Transformation, Wohnen und soziale Raumentwicklung) WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Seit der Bundestagswahl wird wieder einmal erstaunt konstatiert, dass der Osten irgendwie anders tickt als sich das die meisten Politiker*innen und wohl auch Wissenschaftler*innen denken. Wo liegen die Wurzeln dieser Phänomene? Wieso scheint es immer noch zwei politische Kulturen in Ost und West zu geben? Und was ist in Zukunft zu erwarten? Chemnitz, 25. Januar, 17 Uhr n Lesung „Ich mache ein Lied aus Stille …” - eine Eva-und-Erwin-Strittmatter-Lesung* mit „Die Ausleser” und Mike Melzer (RLS Sachsen). Eine Veranstaltung des

Soziokulturellen Zentrum querbeet in Kooperation mit der RLS Sachsen Soziokulturelles Zentrum querbeet, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz Voranmeldung unter buergertreff@ querbeet-chemnitz.de. 12 Euro Eintritt incl. Menü Leipzig, 25. Januar, 18.30 Uhr n Vortrag und Diskussion „Freiheit wird nie geschenkt, immer nur gewonnen.“ Heinrich Böll zum 100. Geburtstag* REIHE: Rosa L. in Grünau. Mit JensEberhard Jahn (Publizist). Komm-Haus, Selliner Str. 17, 04207 Leipzig (Örtlichkeit barrierefrei) Chemnitz, 28. Januar, 11 Uhr n Vortrag und Diskussion Matinee - Auschwitz als Steinbruch. Was von den NS-Verbrechen bleibt* Mit Thomas Willms (Diplom-Politikwissenschaftler, Bundesgeschäftsführer der VVN-BdA). All-In, Rosenhof 14, 09111 Chemnitz Wie die Verbrechen des NS-Regimes vergegenwärtigt werden, ist zunehmend einem ökonomischen und ideologischen Markt überlassen. Thomas Willms stellt dar, welche Aspekte der Erinnerungen von Zeitzeugen von Anfang an ignoriert wurden und welche Missverständnisse die Vorstellungen über Konzentrationslager bestimmen. Leipzig, 30. Januar, 18 Uhr n Vortrag und Diskussion „endlich einmal mit derben rembrandtschen Farben geschildert“ – Marx’ Leben und Werk in der neueren Biografik. Eine Bestandsaufnahme am Vorabend des Bicentenaire. REIHE: PHILOSOPHISCHE DIENSTAGSGESELLSCHAFT. Mit Prof. Dr. Manfred Neuhaus (Philosoph) RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­ lage von 10.950 Explaren gedruckt. Der Redaktion gehören an: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Thomas Dudzak, Ralf Richter Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, pixelio, iStockphoto

Nichts sei wünschenswerter, so lautet eine Marx-Sentenz aus dem Jahre 1850, als dass die Leute, die an der Spitze der Bewegung standen, „endlich einmal mit derben rembrandtschen Farben geschildert werden, in ihrer ganzen Lebendigkeit“. Es war alles andere als selbstverständlich, die dieser Metapher innewohnenden Maßstäbe für das biografische Genre auf die Lebensgeschichte ihres Schöpfers anzuwenden. Dies scheint sich mit Blick auf das bevorstehende 200. Geburtsjubiläum von Karl Marx gravierend zu verändern. Dresden, 31. Januar, 18 Uhr n Vortrag und Diskussion Demokratisierung von Erinnerung – Fehlstellen deutscher Geschichtsschreibung* Mit Thomas Krüger (Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung) und Peter Porsch (Vorsitzender der RLS Sachsen), Moderation: Daniela Schmohl (RLS Sachsen). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Deutschlands höchster politischer Bildner erregt Aufmerksamkeit mit der Forderung nach einer „Demokratisierung von Erinnerung“ als Forschungsziel von Geschichtsschreibung. So bleibe die Bewertung der DDR als „pathologisches, diktatorisches System“ zwar legitim, aber eindimensional, wenn die asymmetrischen Verflechtungen mit dem anderen deutschen Staat unbeachtet bleiben. Analoges treffe für die alte Bundesrepublik zu. Nötig sei die kritische Erarbeitung einer „integrierten Nachkriegsgeschichte“ sowie eine Pluralisierung von Geschichtsbildern – für eine zeitgemäße Schulbildung und auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Migrationsgesellschaft. *** in Kooperation der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e.V.

Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Telefon 0351-8532725 Fax 0351-8532720 Redaktionsschluss: 23.11.2017 Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 07.02.2018. Die Zeitung „Links!“ kann kostenfrei abonniert werden. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Erscheinen unserer Zeitung unterstützen. Kostendeckend für ein Jahresabo ist eine Spende in Höhe von 12 Euro. Sollten Sie an uns spenden wollen, verwenden Sie bitte folgende Konto­daten: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07 BIC: GENODEF1DRS Dresdner Volksbank Raiffeisenbank Aboservice: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder Telefon 0351-84389773


Seite 11

Rezensionen

12/2017 Links!

Denkanstöße für ein gutes Leben Ralf Richter mahnt mit Christian Schüle: Einfach mal innehalten! Das Buch von Christian Schüle, das in der edition Körberstiftung erschien, heißt „Wir haben die Zeit“. Erst im Untertitel ist die Rede von Denkanstößen. Auf dem Blauen Cover sieht man eine stilisierte Uhr mit Stunden, Minuten und Sekundenzeiger. Ein Menschlein wird vom Minutenzeiger gejagt. Während er gejagt wird, kommt ihm eine Idee, so scheint es. In der Zeit zwischen den Jahren ist es an der Zeit, sich über Zeit Gedanken zu machen. Über Freizeit. Über Arbeitszeit. Über Lebenszeit – oder gar über Lebensarbeitszeit. Nutze ich meine Zeit richtig – oder ist es ein anderer, der meine Zeit verbrät, und werde ich spätestens im Januar wieder vom Minutenzeiger gejagt? In den 90er Jahren stand in den westlichen Ländern fest, dass die Ausbildungszeiten immer länger geworden waren. Waren in den 60er Jahren viele nach der achten Klassenschule in den Beruf beziehungsweise die Berufsausbildung gegangen, schloss sich nun für eine immer größere Zahl nach dem Abi das Studium an. Gern war man zwischendurch noch ein Jahr in der Orientierungsphase und studierte dann etwas länger. Im Ergebnis kam man mit Ende zwanzig von der Uni. Das veränderte das Reproduktionsverhalten: Geheiratet wurde immer später, und wenn

noch nicht öffentlich ausgewerteten Panama-Papers. Die gleichen Konzerne, die hier heute auf „Mitbestimmung“ schwören, führten und führen sich Ausland gegenüber den dort Beschäftigten oft ganz anders auf. Immer noch beruht der Wohlstand des Westens auf einer schamlosen Ausbeutung der Länder Afrikas, Lateinamerikas und Asiens.

Ende der 80er Jahre noch über-25jährige Mütter in der DDR als „Spätgebärende“ galten, wundert sich heute kaum noch jemand, wenn eine Frau mit Ende dreißig oder Mitte vierzig ein Kind bekommt. Aber leben wir nun wirklich besser? Freier? Gesünder? Der Autor sieht da gewaltige Defizite. Den gehetzten, erschöpften Menschen kurz vor dem Burnout, geplagt von Depressionen und Schlafstörungen, rastund ruhelos die Karriereleiter hinaufjagend. Terrorisiert von E-Mails, SMS, im dauernden Terminstress. Es fallen treffende Formulierungen wie: „Permanente Mobilität steckt in der DNA des digitalen Nomaden.“ Bevor wir irgendwo angekommen sind, sind wir schon wieder weg. Und so kommen immer weniger von uns an: Ort, Partner, Arbeitsstellen – alles ist permanent austauschbar. Zwar jettet nicht jeder zwischen Rio und Shanghai hin und her, aber mancher Leiharbeiter hat schon dreißig Jobs in verschiedensten Regionen des Bundesgebietes plus Österreich gehabt. Ist das das neue Leben? Immer auf Achse, immer erreichbar? Leider greift der Autor in seiner Analyse zu kurz. Das Verschwinden des Taylorismus und die Entstehung der Digitalwirtschaft werden wie ein Naturgesetz dargestellt; es fehlt aber die nähere Untersuchung der Triebkräfte. Geradezu

grob fahrlässige Falschdarstellungen gibt es auch, etwa wenn der Autor behauptet: „Das Wesen der Kapitalismus besteht in seiner Häutung.“ Es ist vollkommen egal, wie oft sich der Kapitalismus häutet – sein Wesen bleibt immer gleich: Es besteht in der Profitmaximierung, und dabei ist jedes Mittel recht: Tricksen, betrügen, Steuern hinterziehen. Man denke an sämtliche Autokonzerne in Deutschland oder an die immer

Fazit: Wenn die Lektüre dazu führt, dass Menschen erkennen, dass sie in einem Hamsterrad gefangen sind und im Interesse ihrer Gesundheit und sozialen Beziehungen etwas Grundlegendes ändern müssen, dann hat das Buch seinen Zweck erfüllt. Das Plädoyer für eine kürzere Arbeitszeit für alle ist zweifellos richtig. Doch viel wäre schon erreicht, wenn der Mut wachsen würde, die Dinge einfach wieder bei ihrem richtigen Namen zu nennen. Wir haben kein Problem mit „Arbeitszeitverdichtung“, sondern eher eines mit der schamlosen Ausbeutung, die seit der Einführung der Agenda 2010 zugenommen hat. Immer mehr können von ihren Stellen nicht leben und ruinieren dann als Multi-Jobber ihren Alltag und ihre Gesundheit. Da ist man dann wieder ganz beim Autor, wenn er meint, dass am bedingungslosen Grundeinkommen kein Weg vorbei führt. In Finnland wird es möglicherweise 2020 für alle kommen. Das Buch kostet 22 Euro.

Umsturz René Lindenau hat eine Ausstellung über die Revolution 1917 besucht Wie es sich für ein gutes Haus dieser Sparte gehört, hat das Deutsche Historische Museum in Berlin wieder ein herausragendes geschichtliches Jubiläum, nunmehr den 100. Jahrestages der russischen Oktoberrevolution mit einer Ausstellung gewürdigt. Noch bis zum 15. April 2018 kann sie besichtigt werden. Auf 1.000 Quadratmetern finden die Besucher 500 Exponate aus der Zeit der Oktoberevolution. Der Rundgang durch die Umsturz–Geschichte macht auf die politischen Vorläufer und ihre tiefgreifenden Folgen aufmerksam. In Wort und Bild, in Uniformen, Kleidern, Schmuck, Plakaten, Plastiken wird der vorrevolutionäre Zustand illustriert, der in die revolutionäre Situation münden sollte, sprich in die Revolution von 1917. Auf der einen Seite unfassbarer Reichtum und auf der anderen Seite unbeschreibliche Armut! Das hält auf Dauer keine Gesellschaft aus. Doch während die zaristischen Ketten zerrissen wurden, wurden sie zunehmend durch die neuen der Bolschewiki ersetzt. Kuratorin Kristiane Janeke sagte vor der Ausstellungseröffnung: „Dem Anspruch auf Befreiung und Emanzipation standen immer auch Terror, Gewalt und Repression gegenüber. Beides

war untrennbar verbunden, es waren zwei Seiten derselben Medaille.“ Darin besteht meines Erachtens die ganze Tragik dieses Aufbruchs in eine neue Epoche, die, von Fehlern, Versäumnissen und von Verbrechen erdrückt, doch zum Abbruch einer Alternative führte, die mit so viel Hoffnungen und Erwartungen begann. Einen Einblick in die Widersprüchlichkeit der vorrevolutionären wie der revolutionären Abläufe dieser Epoche bietet der Gang durch die Museumsräume. Das heißt, die Exposition zeigt beide Seiten der Medaille. So bekommt man eine zaristische Generalsuniform und ein Gemälde mit einem ärmlichen Bauern und seiner kleinen Tochter zu sehen. Im Gegensatz dazu in den grellsten Farben ein riesiges Bild von der Eröffnung des II. Kongresses der Komintern (Issak Brodski,1924). Doch wer kann an diesem Punkt vergessen, dass einer der Komintern-Vorsitzenden, Grigori Sinowjew, 1936 ein Opfer von Stalins Schauprozessen wurde? Allein in den Jahren 1929 bis 1953 sollten nach Angaben von General Dimitri Wolkogonow 21,5 Millionen Menschen Repressionen ausgesetzt werden („Lenin – Utopie und Terror, ECON Verlag, 1994, S. 312). Ex-

emplarisch dafür steht die Skulptur eines Häftlings, der an einen Karren gekettet ist. Sie stammt von Maria M. Strachowskaja (1879-1962). Welche hohen Erwartungen viele Menschen mit dieser Revolution verknüpften, möge eine Postkarte belegen, die der spätere Regierende Bürgermeister Berlin, Ernst Reuter (SPD), aus der russischen Gefangenschaft (1916) an seine Eltern schrieb: Er habe begonnen, die russische Sprache zu lernen, und hoffte es gut zu machen, um im Laufe der Jahre als Verwalter von der Bolschewiki eingesetzt zu werden. Ein Verdienst der Ausstellungsmacher ist, dass sie einen Blick über den russischen Tellerrand hinaus, auf andere Länder ermöglichen. Zur Betrachtung kommt somit, welche verschiedenen Reaktionen und Gegenreaktionen die Oktoberrevolution auch andernorts auslöste. Angst, Hysterie, Hass oder Aufbruch, Sympathie, Zuversicht wären nur einige Prädikate. Zunächst fühlten sich mit Beginn der Revolution viele Künstler inspiriert, neue Wege zu gehen. Architekten ersannen für die damalige Zeit sehr mo-

derne Gebäude. Auch in der Wirtschaft eröffneten sich neue Möglichkeiten. Doch kommt man nicht umhin, auf die Kehrseite der Medaille zu schauen. Über eine Million Menschen floh nach den Oktober-Ereignissen aus Russland, darunter viele Intellektuelle und Künstler. Der Dichter Wladimir Majakowski brachte sich 1930 um, und der Ideengeber für die Neue Ökonomische Politik (NÖP), Nikolai Bucharin, wurde 1938 von Stalins Knechten erschossen. Und dann wieder Rotbannerorden, rote Kampfbanner, Lenins Totenmaske, ein Fragment von Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin, eine Budjonny-Mütze und vieles andere mehr. Ein vielleicht symptomatisches Ausstellungsstück ist die Skulptur des russisch-amerikanischen Künstlers Alexander Kosolapow; „Hero, Leader, God“ ist ihr Titel. Man sieht Lenin, Mickey Mouse und Jesus – alle in Hand in Hand im schönsten Rot. Wer hoffte, jene rote Utopie könne man anno 1917 zu verwirklichen beginnen, irrte. Das Versprechen, eine gerechte, demokratische Welt zu schaffen, konnte bis heute nicht erfüllt werden. Nicht nur in Russland, sondern überall!


Links! 12/2017

Die letzte Seite

reichten Spitzenplätze, bis die Beatles auftauchten und das Blatt sich wendete. Mitte der 1960er Jahre überschwemmten britische Beatgruppen den amerikanischen Markt. Trotzdem blieb Fats populär und genoss hohe Anerkennung, auch weil die neue „Konkurrenz“ seine Songs mit neuem Gewand erfolgreich coverte. Er blieb auch ein gefragter Pianist bei zahlreichen Plattenproduktionen von Rockgiganten, so dass er keinesfalls „brotlos“ wurde. 1968 tauchte er wieder als Sänger auf, mit „Lady Madonna“ von Lennon und McCartney. Den Titel interpretierte er so leidenschaftlich, dass es wirkte, als stamme er aus seiner eigenen Feder. Das war ein überwältigender Wurf, der ihn in die internationalen Charts zurückbrachte.

Fats Domino war mit sich im Reinen, ein unermüdlicher Musikant der allerersten Reihe, der es spielend vermochte, seine Zuhörerschar durch seine persönliche Ausstrahlung und seinen mitreißenden Musizierstil zu begeistern. Wie kein anderer chargierte er einen speziellen Sound der Musik von New Orleans, und seine Songs wurden in kürzester Zeit regelrechte Megahits.

Doch zurück zu Fats Domino. Jobbte er anfangs noch als Pianist für weniger Dollar Gage pro Abend, wollte es ein glücklicher Umstand, dass er Anfang der Vierziger den Trompeter Dave Bartholomew traf. Der entdeckte sofort Fats‘ musikalische Begabung und holte ihn in seine Bigband. Bartholomew war ein geschickter Komponist und Arrangeur, der auch als guter Produzent galt. In ihm fand Fats Domino einen idealen Co-Autor, mit dem er fortan Songs kreierte, die, von Bartholomew produziert, schon bald auf Schellack auf den Markt kamen und im Nu die Charts der Rhythm And Blues-Szene eroberten. 1949 erschien die erste Single „The Fat Man“, die Anfang 1950 ein Riesenhit wurde. Auch seine Veröffentlichungen „Goin’ Home“, „Rocking Chair“,

1970 erhielt er das Angebot, bei Warner Brothers zu produzieren, und sein Album „Fats“ erschien. Er überzeugte weiter mit Studioproduktionen und Livemitschnitten, zumal er im BluesRevival den richtigen Nerv traf. 1974 trat er sehr erfolgreich beim Jazzfestival in Montreux auf.

Fotos: Heinrich Klaffs / Wikimedia Commons / CC BY-SA 2.0

Antoine Dominique Domino Jr erblickte am 10. Mai 1929 in New Orleans das Licht der Welt. Schon als kleiner Junge war von den Klängen des Boogie Woogie begeistert, auch tiefgründige Bluesballaden ließen ihn aufhorchen, Jazz und Ragtime ebenfalls. So lag es nahe, dass er bei einem verwandten Boogie-Pianisten Klavierunterricht nahm. Als Zehnjähriger bestritt er schon erste Auftritte in den unzähligen Bars seiner Heimatstadt, wo man ihn wegen seiner Körperfülle liebevoll „Fats“ taufte. Er wurde rasch populär, von Bar zu Bar empfohlen und im wahrsten Wortsinn herumgereicht. Mit vierzehn Jahren beschloss er, die Schule zu verlassen und professioneller Musiker zu werden. In dieser Zeit lernte er in einem Club „Professor Longhair“ kennen, den er später als seinen Meister bezeichnete. Der war der Wegbereiter des Rhythm And Blues schlechthin. Der als Bogalusa im Bundesstaat Louisiana stammende Pianist, der eigentlich Henry Roeland Byrd hieß, galt als eine Art Vaterfigur der Blues- und Jazz-Szene von New Orleans. „Professor Longhair“ wurde er genannt, weil es damals in den Rotlichtvierteln üblich war, dort auftretende Pianisten mit einem solchen Titel zu beehren, und weil er sein Haar wachsen ließ. Der spezielle Sound der New-Orleans-Musik war schon immer von kreolisch-karibischen Einflüssen geprägt, und „Longhair“ verschmolz geschickt Elemente von Calypso, Rumba- und Sambarhythmen. Seinen internationalen Durchbruch erlebte er jedoch erst 1973 beim Newport Jazz Festival und galt fortan als „der farbigste und einflussreichste Pianist seit Jelly Roll Morton, der aus dem Milieu von New Orleans emporgekommen ist“. Das jedenfalls äußerte ein äußerst kompetenter Musikjournalist einmal über ihn.

Seite 12

Der Domino-Effekt wirkt fort Jens-Paul Wollenberg mit einem Nachruf auf den Pionier des Rhythm And Blues „Please, Don’t Leave Me“ und „Goin‘ To The River“ kamen gut an. Anfang der Fünfziger wurde die biedere Schlagerwelt der Weißen von den heißen Beats des Rhythm And Blues förmlich überrollt, das kam den schwarzen Protagonisten zugute. Dominos Einfluss auf den Rock’n’Roll, die Beatmusik, später Rock oder Pop geheißen – deren Ursprung liegt trotz aller modischen Tendenzen tief im Blues – war enorm. Schließlich überwand er scheinbar mühelos die Grenzen bisheriger Attribute. Dass er auch weiße Sänger beeinflusste, war aufgrund seiner Medienpräsenz unvermeidlich. Seine Hits erreichten längst nicht mehr nur afroamerikanische Hörer. Immerhin besannen sich selbst aufkommende „Paradiesvögel“ am Anfang ihrer glitzernden Karrieren noch auf die schwarzen Wurzeln „ihrer“ Musik, Elvis Presley sei erwähnt. Dominos Songs, die er mit süffisanter Gelassenheit vorzutragen pflegte, untermalt durch virtuoses Klavierspiel mit Honky-Tonk-Flair, umgarnte ein unaufdringlicher, swingender Drive, dem man sich kaum entziehen kann. Auch seine soulige, bis ins hohe Alter jugendlich klingende Stimme strahlt eine faszinierende Kraft aus, fundamentiert vom Beat der RhythmusInstrumente und der stark vom Chica-

go-Blues geprägten Bläsersätze. Seine Texte, meist von augenzwinkernder Selbstironie, aber auch von überschäumender Leidenschaft geprägt, behandelten Themen wie den Verlust von Liebesbeziehungen, die Vergänglichkeit alles Irdischen, Sehnsüchte und Freuden, aber auch das Aufbegehren gegen leider noch immer präsente rassistische Tendenzen. In seinem bekanntesten Song „The Fat Man“ heißt es: „They call me the fat man / 'Cause I weigh two hundred pounds / All the girls they love me / 'Cause I know my way around – Sie nennen mich den fetten Mann, weil ich zweihundert Pfund wiege. Alle Mädchen lieben mich deshalb, denn ich weiß, wie man’s macht.“ Dass dieser Song in den Siebzigern vom ebenfalls schwergewichtigen Frontmann der Superboogieband „Canned Heat“ Bob Hite sehr erfolgreich gecovert wurde, war gewiss kein Zufall. Doch nicht nur diese Band vergötterte Fats Domino, er galt vielen als Vorbild und musikalischer Wegweiser: David Bowie, Ricky Nelson, den Beatles, den Rolling Stones, Jimmy Rodgers, den Everly Brothers, Jerry Lee Lewis, Paul Anka, Elvis Presley … Dominos Erfolg war nicht mehr aufzuhalten, er wurde ein Weltstar. Allein in den englischen Charts tauchten seine Lieder an die zwanzig Mal auf und er-

Auch in den 80er Jahren endeten seine Konzerte nicht; den Blues stellte er nie als Grundlage seiner Musik in Frage. 1986 wurde er völlig zu Recht in die „Rock’n’Roll Hall of Fame“ aufgenommen, ein Jahr später erhielt er den „Grammy“ für sein Lebenswerk. 1990 kam das Livedoppelalbum „My Blue Heaven“ auf den Markt, das als eines seiner besten gelten kann. 1993 folgte eine große Tournee durch ganz Europa. 1998 würdigte US-Präsident Bill Clinton Fats Domino mit der „National Medal oft the Arts“. Trotz seines hohen Alters tourte Fats weiter durch die Staaten. Allmählich wurde es ruhiger um ihn, und er zog sich langsam aus dem Musikgeschäft zurück. Regelmäßig stand er noch beim New Orleans-Festival auf der Bühne. Am 29. August 2005 löste Hurrican „Katrina“ eine große Flutkatastrophe aus. Am Tag zuvor hatte Fats Domino noch mit seinem Agenten telefoniert und ihm mitgeteilt, dass er trotz der behördlichen Aufforderung zur Evakuierung seine Wohnung nicht verlassen werde. Als der Hurrican abzog und eine überschwemmte Ruinenlandschaft hinterließ, galt Fats Domino als verschollen. Bis am 1. September im Radio die Nachricht verbreitet wurde, dass er mit einem Rettungsboot aus dem dritten Stockwerk seines Hauses gerettet worden sei! 2007 erschien sein Sampler „Goin‘ Home“, auf dem außer ihm auch namhafte Rockstars vertreten sind. Im Mai trat er im sehr angesagten „Tipitina’s“ in New Orleans auf. Am 20. Mai 2009 gastierte er beim Festival „The Domino Effect“, das ihm gewidmet war. Er war unbestritten einer der bemerkenswertesten Musiker des Rhythm And Blues, dem es gelang, Grenzen zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Jung und Alt zu überwinden. Am 24. Oktober 2017 ist Antoine „Fats“ Domino in Harvey, Louisiana im Alter von 89 Jahren gestorben.


12/2017 Sachsens Linke!

Seite 1

Dezember 2017

Sachsens Linke

Aktuelle Informationen stets auch unter www.dielinkesachsen.de

Stadt-Land und das Ende der Solidarität? Ohne flächendeckende Präsenz kein Erfolg, meint Daniel Knorr Nicht erst seit dem Landesparteitag debattieren wir die Stärkung des ländlichen Raumes und den Erfolg der LINKEN in urbanen Zentren. Sätze wie „Wir müssen sukzessive die Unterstützung für die Kreisverbände zurückfahren – sie sind nur Kostenfaktoren“ verkennen die Bedeutung und Potentiale des ländlichen Raumes. In vielen Gesprächen wurde deutlich: Wir haben entweder eine Ahnung vom urbanen Zentrum oder eine Vorstellung vom ländlichen Raum, aber meist fehlt der Erfahrungsschatz, der beides umfasst. Wenn wir unsere Politikfähigkeit bewerten, müssen wir die Standortnachteile der Kreisverbände beachten. Dazu zählen vor allem die Distanzen, fehlende hauptamtliche Strukturen, eine geringe Einwohnerdichte, geringerer Zuzug, geringeres Potential an aktiven Mitstreiter*innen, Pressemonopole mit fehlender Lokalberichterstattung und eine hohe Komplexität bei der Organisation von Politik, beispielsweise wenn pro Kreisverband 30 bis 60 Kreistags-, Gemeinderats-, und OrtschaftsratsWahlen vorbereitet werden müssen. So schwierig das politische Agieren

im ländlichen Raum sein mag, es ist auch für die urbanen Zentren nötig. Wollen wir das Potential des ländlichen Raumes AfD & CDU überlassen und uns nur noch mit der SPD um die Eliten in den Großstädten streiten? Junge Menschen werden doch nicht erst mit ihrem Umzug in die Universitätsstädte politisiert! Nehmen wir den Verein Bon Courage aus Borna, von den ursprünglich 50 Mitgliedern aus dem Kreis wirken heute über 40 in Leipzig. Ohne die Arbeit im ländlichen Raum wären viele Mitstreiter*innen, von denen wir heute in den urbanen Zentren profitieren, keine Partner*innen geworden. Eine flächendeckende Präsenz ist deshalb notwendig und auch Voraussetzung für eine starke LINKE in Städten! Ich möchte keine Wahlergebnisse Einzelner in Frage stellen. Politik hängt auch mit den Personen zusammen, die sie transportieren, aber am Ende spiegelt das Ergebnis vor allem die Gesamtleistung der Partei. Ich kann mich den Gratulationen an Sören Pellmann nur anschließen. Er hat das historische Moment genutzt und für uns das erste Direktmandat in Sachsen geholt.

Mehr aber auch nicht. Für mich ist es unvorstellbar, dass André Hahn in SOE weniger LINKE Politik betrieben, Jörn Wunderlich weniger Termine vereinbart und Caren Lay in Bautzen weniger Positionen der LINKEN transportiert hat. Wir haben alle über Jahre im Ehren- wie Hauptamt gekämpft und persönlich auf viel Zeit für die Familie verzichtet. Wenn wir also davon ausgehen, dass unsere Wahlergebnisse nicht nur von Werbeträgern abhängen, sondern vom Potential, das sich durch unsere Positionen aktivieren lässt, kommt man in Leipzig an der Arbeit der offenen Bürger-, Projekt- und Kulturbüros nicht vorbei. Hier ermöglichte das Engagement der Bundestagsabgeordneten Susanna Karawanskij und Axel Troost eine strukturelle und personelle Absicherung. In Kombination mit der Landesgruppe konnte in Graswurzelarbeit mit knapp 120 Initiativen/Vereine und Projekten kooperiert werden, davon hat DIE LINKE in den neu gewonnenen Milieus erheblich profitiert. Vor diesem Hintergrund wäre es naheliegend, da Susanna und Axel nicht mehr im Bundestag sind, ihre Projekte im ländlichen Raum solidarisch weiterzuführen. Aber leider gibt es auch schlechte Gewinner. Von den 12 Mitarbeiter*innen von Susanna und Axel in der Region Leipzig hat keiner eine Arbeitsperspektive bei einem Bundestagsabgeordneten. Gehen wir als Partei mit hohen gewerkschaftlichen Maßstäben so mit unseren Mitarbeiter*innen um? Jenseits der Landesgruppe wird sich kein Bundestagsabgeordneter in die politische Arbeit der Landkreise Leipzig und Nordsachsen einbringen. Sieht so unsere innerparteiliche Solidarität aus? Ist das der verantwortungsvolle Umgang mit der Region? Zuletzt: Da ich auf eigenen Wunsch als Mitarbeiter der Landesgruppe ausscheide, möchte ich denen danken, die in den letzten drei Jahren intensiv mit mir in der Region Leipzig zusammengearbeitet haben, aber auch die Mitarbeiter von Jörn Wunderlich würdigen: Danke an Anna Gorskih, Jacob Wagner, Andy Sauer, Paul Hösler, Steffen Juhran, Fabian Blunck, Michael Sehrt, Michael Eichhorn, David Himmer, Florian Krahmer, Sabine Schmidt, Andreas Salzwedel, Sven Merbeth, Moritz Thielicke, Alexander Weiß sowie den bisherigen Abgeordneten Susanna Karawanskij, Jörn Wunderlich und Axel Troost.

Keine Angst vor Neuwahlen Kaum ist der neue Bundestag gewählt, sind die letzten Plakate eingeholt, steht schon wieder alles auf der Kippe. CDU, Grüne und FDP konnten sich nicht auf eine Koalition einigen, die FDP in Person von Christian Lindner hat den Ausstieg gewählt. Die SPD, eigentlich nicht am Verhandlungstisch und durch ihren Vorsitzenden am Wahlabend auf Opposition eingeschworen, steht plötzlich im Fadenkreuz der veröffentlichten Meinung. Man kriegt das Gefühl: Mancher Leitartikler will die Sozialdemokratie möglichst schnell in der nächsten GroKo sehen, um sich bloß die anstrengende Berichterstattung im drohenden Wahlkampf zu sparen. Egal wie die Sache ausgeht: Wir als Partei sind gerade nicht Herrin des Verfahrens. Wir sind verdammt dazu, zuzuschauen, wie sich im politischen Berlin eine Koalition zusammenfindet. Oder eben nicht. Der Ball liegt jetzt bei anderen. Und dennoch: Wir müssen keine Angst haben. Wieso auch? Wir haben gerade einen Bundestagswahlkampf hinter uns gebracht, bundesweit erfolgreich. Auch wenn uns die Ergebnisse in Sachsen nicht befriedigen können: Die geleistete Arbeit, das ehrenamtliche Engagement der GenossInnen und SympathisantInnen, die uns als Partei im ganzen Land sichtbar gemacht haben, war aller Ehren wert. Deshalb glaube ich, dass wir uns vor Neuwahlen nicht fürchten müssen. Sollten wir 2018 Neuwahlen zum Bundestag erleben, dann werden wir wieder rausgehen, unserer Politik ein Gesicht geben und für eine starke Linke kämpfen. Und ich bin dankbar dafür, dass es so viele Menschen gibt, die daran mitgewirkt haben und mitwirken wollen.


Sachsens Linke! 04/2017

Seite 2

Leserbriefe Zu „Vor 45 Jahren: Viermächteerklärung zum UNO-Beitritt von DDR und BRD“ (Sachsens Linke 11/2017, S. 9)

Verhängnisvoller Eklat Der UNO-Beitritt der beiden deutschen Staaten wurde von einem verhängnisvollen Eklat der Bundesregierung begleitet, der bis heute (und auch künftig) schmerzliche Folgen für uns Deutsche hat: Auf Grund der großen Tradition und Bedeutung der deutschen Sprache für Kultur und Wissenschaft war von vielen UN-Mitgliedsstaaten erwartet worden, dass Deutsch zur sechsten Amts- und Arbeitssprache der Vereinten Nationen bestimmt werden würde. Ein entsprechender Antrag wäre in der UN-Generalversammlung von zahlreichen Ländern Osteuropas, des Mittleren Ostens, Asiens und der Dritten Welt bestätigt worden. Jedoch schreckte im letzten Moment die Bundesregierung davor zurück, diesen Antrag zu stellen. Den für Deutsch freigehaltenen „sicheren Platz“ nahm Arabisch ein. (Quelle: Dr. Franz Stark, „Sprache – ,Sanftes‘ Machtinstrument in der globalen Konkurrenz) • Diethold Tietz, Sprachrettungsklub Bautzen

Zu „(K)ein freies Kurdistan?“ (Links! 11/2017, S. 3)

Imperialistische Bestrebungen überwinden, sonst gibt es keine Verhandlungslösung für die Kurden Auch ich bin für eine Verhandlungslösung. Dazu ist ein genaues Hinsehen wichtig. Die erwähnte Volksabstimmung fand nur im Irak statt und bezog sich auch nur auf irakisches, nicht auf syrisches Gebiet. Die Türkei hatte bisher die nordirakisch-kurdische Regierung unterstützt, um ihren Einfluss auf den Irak auszudehnen. Dafür verlangte sie die Bekämpfung der Rückzugsorte der PKK. Barzani geht es um seine Machtsicherung. Dafür dienten das Referendum und auch seine vorherige Bündnispolitik. Dagegen wollen die PKK und die nordsyrischen YPG/YPJ/ PYD eine Demokratisierung der Gesellschaft, nicht eine Abspaltung. Allerdings haben sie sich aus taktischen Gründen mit den USA verbündet. Die USA will wirklich eine Abspaltung des Gebietes von Syrien, um eigene Stützpunkte zu errichten und das Gebiet und seine Ressourcen zu kontrollieren. Es ist unklar, wer sich durch-

setzt. Die Barzani-Perschmerga ließen die Yesid*innen im Stich, die nordsyrischen demokratisch-kurdischen Kräfte befreiten sie und ermöglichten ihnen anschließend ihre Selbstverteidigung. Außerdem kämpfen sie selbst laut dem deutschen Fernsehen wesentlich entschiedener als die BarzaniPerschmerga gegen den IS. Trotzdem unterstützte bisher die Bundesregierung diese Perschmerga, während die PKK als Terrororganisation verleumdet wird und auch das Zeigen von YPG/ YPJ-Symbolen unter bestimmten Umständen verfolgt wird. Zeigt das nicht die Demokratiefeindlichkeit der BRD-Regierung? Wer eine Verhandlungslösung will, muss die imperialistischen Bestrebungen der USA, der BRD und ihrer Verbündeten überwinden. • Uwe Schnabel, Coswig Zu „Ist doch nur ein Kompliment!“ (Sachsens Linke! 11/2017, S. 3)

Alle Formen des Patriarchats müssen weg, das wäre besser für uns alle Auch ich bin für ein gleichermaßen selbstbestimmtes Leben für alle Personen, unabhängig davon, welches Geschlecht ihnen zugeordnet wird oder wie sie sich selbst sehen. Notwendig dafür ist die Überwindung des Patriarchats in allen seinen Formen, also aller Herrschaftssysteme. Dazu gehört die Überwindung aller Formen von Gewalt, nicht nur der unmittelbar körperlichen, sondern auch der strukturellen, institutionellen und verbalen Gewalt und jener, die durch gesellschaftliche Normen ausgeübt wird. Wenn es eine Norm ist, dass sich Frauen* (also als Frauen identifizierte Personen) um Haushalt und Kinder kümmern müssen, werden sie es statistisch häufiger tun bzw. es wird von ihnen erwartet. Damit bekommen sie weniger Berufschancen und weniger Einkommen. Wenn Männer* (also als Männer betrachtete Personen) ihre Bedürfnisse durchsetzen, gelten sie als stark, Frauen* als zickig. Männer* gelten als leistungsfähiger. Damit werden sie im kapitalistischen System bevorzugt. Frauen* werden nicht nur in der Werbung häufig auf ihr Äußeres reduziert. Viele Personen haben dies leider verinnerlicht, auch um sich nicht ständig dagegen wehren zu müssen, verhalten sich entsprechend und geben dies an andere weiter. Somit ist es nicht nur notwendig, sich gegen alle Formen sexualisierter Gewalt, einschließlich sexistischer Sprüche zu wehren. Es müssen auch die geschlechtsbezogenen Normen und patriarchalen Strukturen und Institutionen überwunden werden. Das ist gut für alle. Setzen wir uns deshalb gemeinsam dafür ein. • Rita Kring, Dresden

Neues aus dem Landesvorstand Der neue 18-köpfige Landesvorstand hat direkt nach dem Parteitag die Arbeit aufgenommen. Vom 17. bis zum 19. November traf sich das Gremium zur Klausur in Dresden. Zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit gab sich der Landesvorstand eine Geschäftsordnung und verständigte sich in erster Lesung über die Arbeitsschwerpunkte. Vertieft wurde die Debatte im Bereich der Mitgliederarbeit: Der Vorstand wird ein Mitgliederkonzept erarbeiten und beschließen. Untersetzt wird die neue Qualität der Mitgliederarbeit von einer neuen Stelle in der Landesgeschäftsstelle, auf die sich Landesvorstand und „Kleiner Parteitag“ mit Beschluss des Stellenplanes verständigt haben. Erstmals erhält die Landespartei personelle Ressourcen, um Mitgliederarbeit vor Ort zu unterstützen. Auch die Offensive ländlicher Raum wurde debattiert. Aus der ersten Ideenskizze entstand eine Roadmap mit Meilensteinen. Ziel ist es, bis Mai ein Konzept vorzulegen und mit der Mitgliedschaft umzusetzen. Mit Beschluss des Finanzplans 2018 wurde das Projekt mit 100.000 Euro budgetiert. Der Landesvorstand hat zudem gemäß Beschluss des Leitantrages die Einrichtung einer Grundsatzkommission als Arbeitsgemeinschaft beschlossen. Das Gremium wird mit sechs Mitgliedern besetzt, die in Zukunft Debattenprozesse vorbereiten und moderieren sollen und zu diesem Zweck insbesondere externen Sachverstand hinzuziehen können. • Thomas Dudzak

Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­lage von 10.950 Explaren gedruckt. Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt, Ralf Richter, Stathis Soudias. Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, pixelio, iStockphoto Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Telefon 0351-8532725 Fax 0351-8532720 Redaktionsschluss: 23.11.2017 Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 07.02.2018.


12/2017 Sachsens Linke!

Seite 3

Ein Europäer aus Ostberlin Dietmar Bartsch erinnert an den LINKEN-Politiker Dominic Heilig rator und sensibler Spötter. Vielen von uns bleibt er in guter Erinnerung als ein Paradiesvogel im schwarzen Dress.

Am 31. Oktober verstarb Dominic Heilig. Er wurde keine vierzig Jahre alt. Dominic war eines der größten politischen Talente unserer Partei. Und weit mehr als das. Er hat die Europaund die Innenpolitik, die antifaschistische und die Menschenrechtspolitik unserer Partei und ihrer Bundestagsfraktion mit geprägt. Die Bundestagsfraktion DIE LINKE trauert um einen profilbestimmenden Mitarbeiter, ich habe einen verlässlichen Mitstreiter und guten Freund verloren. In der PDS und in der LINKEN war Dominic unter anderem Bundesjugendreferent, mehrmals Mitglied des Parteivorstandes, Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten und der Bundestagsfraktion, Arbeitskreiskoordinator in der Fraktion, Leiter des Büros der Europäischen Linken und Mitglied im Vorstand der EL sowie Mitglied und Sprecher des Forums Demokratischer Sozialismus. Der in Ostberlin Geborene war ein leidenschaftlicher Europäer und Internationalist. Europa-Skepsis war ihm suspekt, Nationalismus zuwider. Kaum jemand erreichte eine solche Tiefe in der Analyse der europäischen Linken. Dominic beließ es nicht dabei. Solidarität hieß für ihn, aktiv zu handeln – im Kosovo, in Portugal, in Griechenland und an vielen weiteren Orten. Wenn unsere Partei mit einigem Erfolg auf den Weg ist, eine Partei des Demokratischen Sozialismus zu werden, dann auch und nicht zuletzt deshalb, weil es

Ich habe Dominic 2001/2002 kennengelernt. Er war mir immer ein fordernder und unbequemer, ein kluger und humorvoller Begleiter, Mitstreiter und Ratgeber. Rückschläge – sowohl für die Partei als auch für ihn selbst – haben ihn schmerzlich getroffen, weckten aber letztlich immer den Kämpfer in ihm. Aufgeben kam für ihn nie in Frage. Als ich vor rund zwei Jahren mit Dominic darüber sprach, ob er als Vorstandsreferent unmittelbar an meiner Seite arbeiten möchte, hatte er nur eine Bitte: „Sperre mich nicht im Büro ein! Ohne Reisen, ohne andere Kulturen, Laute, Gerüche, Geschmäcker und vor allem Menschen kann ich nicht sein!“

in ihr solche wie Dominic Heilig gibt, die fortführen und weiterentwickeln, was Michael Schumann, Lothar Bisky und andere begonnen haben. In spielerischer Ernsthaftigkeit gelang es Dominic, schier Unvereinbares unter einen Hut zu bekommen. Er war Politiker und Publizist, Weltbürger und Fan bei Union Berlin an der Alten Försterei in Berlin-Köpenick. Dominic war Leitwolf und Mitarbeiter, DJ und Vortragsreisender, ein Taktiker mit offenem Visier, ein engagierter Mode-

Dominic hat viele von uns bereichert, auch weil er selbst ein reiches Leben geführt hat. Ja, er nahm auch die Lebensfreude ernst! Seine große Liebe galt Lissabon – das war sein Lebensgefühl: als LINKER nicht in der Minderheit sein, mit Sozialistinnen und Sozialisten unter Sonnenschein leben, mit gutem Essen und Trinken das Dasein genießen. Und selbstverständlich liebte er als Weltbürger das Meer! „Eisern Union“ war für den eher mäßig Fußballbegeisterten mehr Weltanschauung denn verbiesterter

Wettstreit. Der Fußballverein hat sicher sachkundigere Mitglieder, aber an Leidenschaft ließ sich Dom nicht übertreffen. Und – natürlich! – das Chagall, die Stammkneipe des fds in Berlin. Bei Dominic stand es für eine Lebenshaltung: LINKE dürfen vieles sein, aber nicht bierernst! Mit Trübsal lässt sich kein Marsch für eine bessere Welt blasen! Ein Buch hatte Dominic stets im Gepäck, und selbst beim Wissen aus der „BUNTEN“ konnte ihm so leicht niemand etwas vormachen! Enge Freunde wissen, mit Dom, wie wir ihn nannten, konnte man „Stadt-LandFluss“ auch zu italienischer Popmusik, Ostrock oder belgischen Interpreten spielen. Dominic musste und konnte alles aufsaugen: Politisches und Publizistisches, Musik und Literatur, Tanz und Film, Sport und Natur ... Ein Leben im Dauerlauf, regeneriert wurde bei einer Kippe. Dominic steckte voller Lebenswillen, doch eines Tages reichte die Kraft nicht mehr. Er ging am Reformationstag – ausgerechnet! So als wolle er sich mit einem Augenzwinkern von uns verabschieden. Seiner Partnerin, seinen drei Kindern, seinen Eltern und seiner Schwester gilt mein tiefes Mitgefühl. Vor meinem großartigen Weggefährten verneige ich mich. Wir LINKE müssen nicht gläubig sein, aber optimistisch: Vielleicht gibt es da oben ja doch ein Chagall ...

Ausnahmen für Spätis? Unter diesem Titel stand eine Debatte im Leipziger Projekte- und Abgeordnetenbüro Interim by linXXnet. Es ging um Ladenöffnungszeiten, Konsumfreiheiten und Arbeitnehmer*innenrechte. Bei der Veranstaltung, die von Linksfraktion im Landtag organisiert wurde, diskutierte der gewerkschaftspolitische Sprecher Klaus Tischendorf mit der Geschäftsführerin von ver.di Leipzig, Ines Kuche, der Kreuzer-Redakteurin Britt Schlehahn sowie mit Tom, einem Späti-Inhaber. Moderiert wurde die Veranstaltung von Marco Böhme. Anlass waren Klagen von Spätverkaufsstellen in Leipzig, die das Ordnungsamt ermahnte, das Ladenöffnungsgesetz einzuhalten. Das verbietet eine Öffnung nach 22 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen. Doch dann machen die „Spätis“ ihren größten Umsatz. Sie verstehen sich nicht als klassische Einzelhändler, sondern als soziale und kulturelle Räume, als Nachbarschaftsläden „von der Straße für die Straße“. Ihre regionale Produktvielfalt unterscheidet sie vom Supermarkt, wie Tom schildert. Daher sollten sie auch nicht unter die allgemeinen Ladenöffnungszeiten fallen. Britt Schlehahn ergänzt,

dass die 30 Spätis zum urbanen Leben und zum Lifestyle gehören und damit zur Attraktivität der Stadt beitragen. Es stellt sich zudem die Frage, warum die Ordnungsämter gerade jetzt ein Auge auf die Spätverkaufsstellen werfen, wo sich das Gesetz nicht geändert hat und die meisten Spätis seit den Neunzigern existieren. Tom vermutet: „Man möchte kreative Kiezräume verdrängen.“ „Teilzeit, 6-Tage-Woche, Wettbewerbsdruck, der über Löhne ausgehandelt wird: Arbeitsbedingungen im Handel nicht noch verschlechtern!“ (Ines Kuche) Auf der anderen Seite argumentieren Klaus Tischendorf und Ines Kuche, dass mit einer Ausnahmeregelung für Spätverkaufsstellen im Ladenöffnungsgesetz Tür und Tor geöffnet würde für eine Ausweitung der Ladenöffnungszeiten insgesamt. So würde die Sonntags- und Nachtarbeitszeit auch die Verkäufer*innen in den Supermärkten und Discountern treffen. Dies wäre ein gravierender Rückschritt in den errungenen Arbeitnehmer*innenrechten. Für Tischendorf ist es außerdem nicht erforderlich, nach 22 Uhr sowie an

Sonntagen einkaufen zu gehen – und sei es nur für ein Bier beim Späti um die Ecke. Er stelle sich vielmehr die Frage: „In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Soll es nur um Umsatz und Konsum rund um die Uhr gehen?“ Was die einen Freiheit nennen, also jederzeit einzukaufen und den „von oben“ verordneten Sonntagsruhetag zu stören, ist für die anderen ein Zeichen der Entschleunigung, weg von Konsum und Alltagstrubel. Dabei spielten religiöse Argumente nur eine untergeordnete Rolle, so Tischendorf und Kuche. Vielmehr seien auch Vereine und Familien auf einen freien Tag angewiesen. „Ausnahmen für Spätis schaffen, ohne das Ladenöffnungsgesetz generell zu liberalisieren“ (Marco Böhme) Auch wenn die Teilnehmer*innen betonten, dass die Konfliktlinie nicht zwischen Gewerkschaften und Spätverkaufsstellen verläuft, sondern zwischen Gewerkschaften und großen Handelsketten, welche die Ladenöffnungszeiten ausweiten wollen, wurde ein differenziertes Bild von Arbeit und Konsum deutlich. Dabei sind sich alle

einig, dass nicht Arbeitszeiten generell ausgeweitet werden sollen. Vielmehr sollte es eine Ausnahmeregelung für Spätis geben, die Rechtsicherheit gibt und nicht auf klassische Supermärkte und Discounter angewandt werden darf. Eine dahingehende Petition wurde vom Landtag bereits abgelehnt, auch mit den Stimmen der LINKEN. Dennoch soll die Diskussion über Ausnahmeregelung für Spätis in der Fraktion weitergehen. Als erster Schritt ist ein Gespräch mit Späti-Besitzer*innen und dem Wirtschaftsministerium geplant, um zu prüfen, inwiefern eine Ausnahmeregelung rechtlich möglich wäre. Klaus Tischendorf hat zugesagt, darüber mit Wirtschaftsminister Martin Dulig zu sprechen. Ziel sollte eine Regelung sein, mit der die Kiezkultur nicht nur in Leipzig, sondern in ganz Sachsen gewahrt bleibt und dafür keine Arbeitnehmer*innenrechte aufs Spiel gesetzt werden. Denn wenn es keine rechtssichere Regelung für Spätis gibt, drohen sie zu schließen. Dann gäbe es nur noch Discounter, so die Sorge aus dem Publikum. • Elisabeth Hennig


Sachsens Linke! 12/2017

Nicht reden, machen! Zur Gesamtmitgliederversammlung am 21. Oktober 2017 haben wir einen neuen Kreisvorstand gewählt. Ich freue mich, dass wir es geschafft haben, Erfahrung und jugendlichen Enthusiasmus in unserem Kreisvorstand zu vereinen. Jetzt liegt es an uns, etwas Gutes daraus zu machen. In der konstituierenden Sitzung am 8. November 2017 wurde Theresa Ruttloff in geheimer Wahl zur stellvertretenden Kreisvorsitzenden gewählt. Als erste Maßnahme habe ich angekündigt, dass ich versuche, die Basisgruppen zu besuchen. Bisher ist mir das schon in Lößnitz, Marienberg und Aue gelungen. Ich schreibe ganz bewusst „gelungen“, denn auch ich bin als Kreisvorsitzender ehrenamtlich neben meiner beruflichen Tätigkeit unterwegs, das heißt, mein Terminkalender ist ziemlich voll.

Seite 4

DIE LINKE. Kreisverband Erzgebirge

Gewerkschaften stellen Forderungen

den Kandidaten in die Öffentlichkeit zu kommen, damit die Menschen, die linke Politik vertreten, bekannt werden und ein Gesicht bekommen. Persönlich freue ich mich auch, dass unsere Landesvorsitzende Antje Feiks Mitglied in unserem Kreisvorstand ist. So haben wir immer einen kurzen Draht zur Landespartei. Hier wird ein erster wichtiger Schwerpunkt sein, ganz schnell zu klären, welche/er Bundestagsabgeordnete sich für das Erzgebirge verantwortlich fühlt. Dabei geht es hauptsächlich um die Präsenz im Erzgebirgskreis. Wir dürfen nicht nur über den sogenannten „ländlichen Raum“ reden, sondern müssen auch aktiv etwas dafür tun. Glück Auf! • Holger Zimmer, Kreisvorsitzender

Der Kreisvorstand hat sich dazu bekannt, am 26./27. Januar 2018 eine Klausur durchzuführen. Ziel wird es sein, inhaltliche Schwerpunkte für 2018 zu setzen und die daraus resultierenden Aufgaben innerhalb des Kreisvorstandes an die einzelnen Mitglieder zu verteilen. Im Nachgang zur Klausur wird es im Februar eine Beratung mit den Ortsvorsitzenden geben, die danach vierteljährlich durchgeführt wird. In Vorbereitung der Klausur wird die AG Zukunft ein Strategiepapier erarbeiten, das sich daran ausrichtet, dass wir 2019 Wahlen haben. Ziel ist es, ab Januar mit der Kandidatensuche für die einzelnen Wahlkreise zu beginnen. Wir müssen es schaffen, bereits 2018 mit

Der Erzgebirgskreis ist der einwohnerstärkste in Sachsen und gehört zu den TOP 25 der bevölkerungsreichsten Landkreise Deutschlands. Er verfügt über eine der höchsten Industriedichten, gehört aber auch zu den bedeutendsten Tourismusregionen in Sachsen. Das alles klingt sehr gut. Es zeigt aber in besonderer Weise, vor welchen großen Herausforderungen unsere Region steht. Auf seiner Jahresklausur hat sich der DGB Kreisvorstand Erzgebirge damit beschäftigt. Es wurde beschlossen, sich im nächsten Jahr öffentlichkeitswirkam in diese Debatte einzubringen. Die DGB-Vorstandsmitglieder waren sich einig, dass die Anhebung der Löhne eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Gewinnung zusätzlicher Arbeitskräften für die Unternehmen in der Erzgebirgsregion ist. DGB-Kreisvorstandssitzungen sollen genutzt werden, um mit Personal- und Betriebsräten, Beschäftigten und Unternehmensleitungen darüber ins Gespräch zu kommen. Wie in den letzten Jahren bereits erfolgreich durchgeführt, wollen wir in Unternehmen und Einrich-tungen vor Ort unsere turnusmäßigen Beratungen durchführen. Wenn aber Zuwanderung und Gewinnung von Arbeitskräften im Erzgebirge besser gelingen soll, bedarf es vor allem einer anderen Willkommenskultur. Wir werden uns dafür einsetzen, dass Fremdenfeindlichkeit und rechtsradikale Parolen nicht unwidersprochen bleiben. Es hilft keinem Unternehmer oder Handwerksbetrieb, wenn er solchen Aussagen nicht offensiv mit uns gemeinsam bekämpft. Hier gibt es für alle Beteiligten einen

lohnenswerten Anknüpfungspunkt für eine gemeinsame Kampagne von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in unserem Landkreis. Ein weiterer Schwerpunkt unserer gewerkschaftspolitischen Arbeit wird die Situation im Bildungsbereich sein. Wir sehen die Gefahr, dass der zunehmende Personalmangel an den Schulen zu einem der größten Hemmnisse für unsere Fachkräfte wird. Deshalb werden wir die Initiativen unserer Mitgliedsgewerkschaft GEW im Erzgebirge aktiv unterstützen. Es wurde beschlossen, dass das alljährlich am 1. Mai auf dem Markt von Annaberg-Buchholz stattfindende Familienfest unter dieses Thema gestellt wird und sich alle Einzelgewerkschaften unserer Region mit eigenen Aktionen daran beteiligen werden. • Klaus Tischendorf, Kreisvorsitzender DGB Erzgebirge

Bildungsarbeit 2018 „Der junge Marx“ und die Ehrung langjähriger Parteimitglieder – passt das zusammen? Wir im Ortsverband Stollberg und Umgebung waren der Meinung: ganz bestimmt. Und noch mehr, wir neuen Mitglieder haben uns aufgenommen gefühlt. Beim anschließenden Mittagessen wurde politisch gefachsimpelt und für 2018 vorgedacht, welche Gedanken aus dem Film wir vertiefend diskutieren wollen. Manch einer unserer älteren LINKEN wird die Erläuterungen zu den Klassikern wieder hervorsuchen, und wir Jungen wollen Fragen stellen: Wie aktuell ist „Proletarier aller Länder vereinigt euch“, wie doppelt frei ist heute der Lohnarbeiter und wie halten wir LINKEN es mit der Dialektik? Man kann es Diskussionen oder Bildungsabende nennen, auf jeden Fall wollen wir jungen Mitglieder uns Antworten erarbeiten, und das einschließlich der Erfahrungen unserer „Alten“. Als jüngstes Ortsvorstandsmitglied werde ich einen Termin- und Inhaltsplan vorschlagen. • Tobias Wetzel

Kein Vergessen – für das Recht auf Leben! Am 27. Januar, dem Tag des Erinnerns an die Opfer des Nationalsozialismus, erinnern wir auch an Menschen, die wegen einer Krankheit oder Behinderung dem Massenmordprogramm „Euthanasie“ zum Opfer fielen. Euthanasie bedeutet aus Sicht eines Sterbenden und seiner Angehörigen „guter Tod“. Was Menschen unter dem Deckmantel dieses Begriffes angetan wurde, gehört zu den schlimmsten Verbrechen der deutschen Geschichte. 1924/25 schrieb Hitler: „Wenn da keine Kraft mehr ist, für die eigene Gesundheit zu kämpfen, endet das Recht

zu leben“ (Mein Kampf, S. 282). Im Sinne nationalsozialistischer Rassenhygiene wurde in juristischen und medizinischen Kreisen im Dritten Reich offen diskutiert, sogenanntes „lebensunwertes Leben“ zu beenden. 1939 begann die systematische Euthanasie. Nachdem ein behindertes Kind „eingeschläfert“ worden war, befahl Hitler, in ähnlichen Fällen genauso vorzugehen. Dieser Erlass war offenbar die einzige Rechtsgrundlage der Euthanasie, denn aktive Sterbehilfe war laut Strafgesetzbuch sogar verboten. Ab September 1939 dehnte das NS-Regime Hitlers Euthanasie-Befehl auf Erwach-

sene aus. Ein Großteil der Bevölkerung bekam davon kaum etwas mit, denn in diese Zeit fiel auch der Angriff auf Polen. Horrende Gehälter lockten Ärzte, die Nazi-Ideologie über den Hippokratischen Eid zu stellen und, ebenso wie Pfleger, in den sechs Tötungszentren (bereits genutzte psychiatrische Kliniken) zu arbeiten. Anstalten, in denen als Duschräume getarnte Gaskammern errichtet wurden. Neben Kranken und Behinderten wurden auch 4000 bis 5.000 traumatisierte Veteranen des Ersten Weltkrieges

ermordet, weil seelische Leiden als Folgen eines Kriegseinsatzes nicht anerkannt wurden. Insgesamt fielen rund 200.000 Menschen dem Euthanasie-Programm der Nazis zum Opfer. An sie erinnert heute und jeden Tag das Mahnmal von Richard Serra in der Berliner Tiergartenstraße, wo sich damals „T4“ befand, die Steuerzentrale der Grausamkeiten. Kein Vergessen! Alerta, Genossinnen und Genossen! • Kathleen Noack


Seite 5

DIE LINKE. Kreisverband Zwickau

Die Jugend der Anderen

Kurz gemeldet

Foto: Andrea Pavanello / Wikimedia Commons/ CC BY-SA 3.0 IT

Geschenk für den Feuerwehrverein

Eine Ausstellung macht in Crimmitschau auf sich aufmerksam. Im Textilmuseum werden große Fotos gezeigt, auf denen Mädchen mit traurigen oder gleichgültigen Gesichtern zu sehen sind. Die Bilder entstanden bereits in den 80er Jahren, mit Erlaubnis der DDR-Behörden. Deshalb wundert es auch nicht, dass die Fotos grau in grau gehalten sind. Die Begleittexte sind aber erst nach der Wende entstanden und sagen dem Betrachter, wie schlimm es im Jugendwerkhof war. Mahlzeiten mussten im Speisesaal sogar unter dem Bild von Ernst Thälmann eingenommen werden. „Die Jugend der Anderen“ heißt diese Ausstellung, und kein Besucher geht davon aus, dass die Mädchen von ihrem Aufenthalt im Werkhof begeistert waren. Aber sie waren in ihrem jungen Leben gestrauchelt und brauchten Hilfe. Man sollte sich das heute nicht so einfach vorstellen. Es musste viel passiert

Anlässlich des 1. Weihnachtsmarktes an der Feuerwache übergab die Fraktion DIE LINKE im Werdauer Stadtrat zwei Saugschläuche (A) an die Freiwillige Feuerwehr Werdau. Die Schläuche werden benötigt, damit die Kameraden an Wettkämpfen teilnehmen und regelmäßig trainieren können. • Heiko Döhler, Werdau Foto: Thomas Michel

12/2017 Sachsens Linke!

Gregor Gysi las in Zwickau Am 25.11.2017 war Gregor Gysi zu Gast im Haus der Sparkasse Zwickau. Die Veranstaltung war super – danke an die Buchhandlung Marx! Es war einfach Gregor Gysi live mit einer Lesung, die eigentlich nur aus dem Prolog „Ich habe schon als Kind gelernt, dass man Sätze nicht mit ,ich‘ beginnen soll“ und dem Epilog „Ich bin wild entschlossen, das Alter zu genießen“. Alles andere war eine liebevolle Darstellung seines Lebens. Er war 1990 wahrscheinlich der einzige „Doofe“ auf der Welt, der Vorsitzender seiner Partei (einer linken Partei) werden wollte. „Wenn ich

sein, bis das Jugendamt die Heimerziehung anordnete: Schul- und Arbeitsbummelei zumindest, Eigentumsdelikte noch dazu. Vor allem aber war es die Hilflosigkeit der Eltern. Nicht selten waren es Extremfälle, deren Beschreibung heute sehr schwer fällt, die damals aber notwendige Sanktionen zur Folge hatten. In der Ausstellung werden sie als „ungerechtfertigt“ und noch drastischer bezeichnet. So ist es aber mit Sanktionen, die bei Betroffenen immer unwillkommen sind. Zur Eröffnungsveranstaltung, die auf breites Interesse stieß, klangen realistischere Töne an. Der erste Redner verwahrte sich gegen den Begriff „Zwangsarbeit“. Die nächste Rednerin meinte zu Recht, dass dies keine objektive Ausstellung sei. Sie soll „subjektiv, biografisch und emotional“ betrachtet werden. Dem ist nichts hinzuzufügen. • Wolfgang Gaertner

Linksjugend blickt zurück 2017 stand unter dem Stern des Wahlkampfes. Die Weltraumflotte der linksjugend ['solid] Zwickau machte sich also auf, diese Gefilde zu erkunden. So wurden fleißig Flyer in den Wahlkreisen von Sabine Zimmermann und Jörn Wunderlich verteilt und Plakate angebracht. Bei Infoständen und Kochtouren war man ebenso aktiv wie beim Rainbowflash in Zwickau. Diese Aktion soll mehr Akzeptanz für Menschen der LSBTTIQ-Community schaffen und wird 2018 wieder stattfinden.

zu erreichen. Um uns für den Wahlkampf nochmal zu stärken, nahmen wir an einer mehrtägigen Bundestagsfahrt unseres MdB Jörn Wunderlich teil. Nochmals vielen Dank dafür!

Im April fand ein Vortrag mit Anne Helm zur „Neuen Rechten“ statt. Einen Tag später wurde im Jugendzentrum „Café Taktlos“ in Glauchau eine Vernetzungsfeier organisiert. Viele sah man auf dem Pfingstcamp wieder. Hier gab es eine Menge politischen Input, neue Kontakte und Spaß. Zu einer neuen Art der Außenwerbung kam es Mitte Juni. Wir mieteten uns in das Hohenstein-Ernstthaler Kino Capitol ein und präsentierten den Film „Der junge Karl Marx“. Filmische Angebote sind sicher eine neue Chance, Menschen

Die Kommunalwahlen 2019 werden 2018 ihre Schatten vorauswerfen. Wir werden Kandidierende suchen und sie mit Inhalten versorgen. So findet am 9.2./10.2. ein Input-Seminar des Kommmunalforums zu den vielfältigen Aufgaben kommunaler Mandate statt. Einen Monat vorher, am 6. Januar, wird unser Vorstand neu gewählt. Bereits eine Woche später finden die Wahlen zum Kreisvorstand statt, auf denen ich mich erneut als JuPo zur Wahl stelle.

Anfang November fand der Landesparteitag in Chemnitz statt, an dem wir mit vier Jugend-Delegierten teilnahmen. Alexander Weiß bewarb sich für den Landesvorstand – und erhielt sensationelle 71 von 169 Stimmen. Herzlichen Glückwunsch!

• Michael Berger

Vorstandswahl in Crimmitschau Am 11. November wählte in der Gaststätte „Goldene Säge“ eine Versammlung des Crimmitschauer/Neukirchner Ortsverbandes den Ortsvorstand. Als Gast konnten wir Sandro Tröger begrüßen. Der Vorstand hat zwei weibliche und sieben männliche Mitglieder. Zum Vorsitzenden wurde Jürgen Schunn wiedergewählt, zum Stellvertreter Wolfgang Spiegelberg. Die weiteren Mitglieder sind Manuela Fahland, Susan Sawatzki, Peter Gleißner, Heinrich Sawatzki, Ralf-Peter Napierala, Kevin Scheibel, Wolfgang Gärtner.

gewusst hätte, was alles auf mich zukommt, hätte ich es nicht gemacht.“ Er schlug den Bogen bis zum Thema Jamaika: „Jamaika ist super, wenn man an Strände, Rum, Reggae denkt – und nicht an Merkel, Seehofer, Lindner und Özdemir“. Gregor Gysi, der in zwei Monaten 70 wird, war wortgewandt wie immer – einfach begeisternd. • Heiko Döhler, Werdau

• Jürgen Schunn Zwickauer Ortsvorstand gewählt Für den 18. November waren 178 Mitglieder eingeladen. Nach zum Teil hitzigen Diskussionen unterlag Stefan Ott dem bisherigen Vorsitzenden, der 34 von 53 Stimmen erhielt. Die Abstimmung über den Stellvertreter brachte zunächst ein Patt. Nach Verzicht von Eva Dürr wurde Thomas Koutzky mit 81 Prozent gewählt. Der Antrag der BO Zwickau-Mitte zur Erweiterung des Vorstandes auf acht Mitglieder erhielt gegenüber einem Einzelantrag zur Verkleinerung auf vier Mitglieder die Mehrheit. So konnten Lutz Dressel für Finanzen, Eva Dürr, Ute Brückner, Heidi Uhlmann, Gudrun Forner sowie Klaus Riedel gewählt werden. • Redaktion

Kreisparteitag 2018 Am 13. Januar 2018 findet ab 9.30 Uhr in der Sachsenlandhalle in Glauchau unser Kreisparteitag statt. Bis dahin wünscht der Kreisvorstand allen Genossinnen und Genossen eine besinnliche Weihnachtszeit und einen guten Start in ein gesundes und glückliches 2018!


Sachsens Linke! 12/2017

Seite 6

DIE LINKE. Kreisverband Meißen

Linksfraktion fordert Rentenberatung vor Ort Das Rentenrecht ist inzwischen oft zu komplex für ehrenamtliche Beratung. In Großenhain fordert die LINKE einen hauptamtlichen Ausgleich, berichtet Harald Kühne Dem aufmerksamen Leser wird es aufgefallen sein: DIE LINKE führt in Großenhain keine Rentensprechstunde mehr durch. Das ist kein Zufall, sondern hat Ursachen. Die Probleme, mit denen die Bürger in unser Büro kommen, sind so komplex, dass dies eine ehrenamtliche Rentenberatung nicht mehr leisten kann. DIE LINKE will, dass die Großenhainerinnen und Großenhainer wieder in regelmäßiger Form eine professionelle Rentenberatung vor Ort bekommen. Deshalb wird sie im Dezember einen entsprechen Antrag

in den Stadtrat einbringen, in dem der OB aufgefordert wird, sich um dieses Problem intensiv zu kümmern. In der von unserer Fraktionsvorsitzenden Kerstin Lauterbach unterzeichneten Begründung heißt es: Die Zahl der älteren Bürgerinnen und Bürger Großenhain wird immer größer. Damit wächst auch der Bedarf an einer regelmäßigen und fachkompetenten Rentenberatung. In der Praxis ist es so, dass betroffene Großenhainerinnen und Großenhainer nach Riesa oder Dresden fahren müssen, um eine Beratung zu

Ein Denkmal und seine Geschichte

erhalten bzw. Anträge (einschließlich dem auf Witwenrente) zu stellen. Ein weiterer Aspekt ergibt sich durch die Gesetzeseinführung zur sogenannten „Flexi-Rente“. Damit kann auch erstmals die Regelaltersrente aufgebessert werden. Sie erfordert allerdings professionelle Beratung, was nur mit einem Zugang zum Rentenkonto möglich ist. Vieles davon könnte man klären, wenn es Rentenberatungen vor Ort gäbe. Mit dem öffentlichen Personennahverkehr sind die Leute nicht selten über einen halben Tag unterwegs. Gegen

Nach der Wahl ist vor der Wahl Eindrücke von der ersten Sitzung des neuen Kreisvorstands Das hat gesessen. Normalerweise reißt man sich nicht gerade um einen ehrenamtlichen Vorstandsposten auf Kreisebene in dieser Partei. Dachte der alte Vorstand. Und das war falsch. Auf diesem Kreisparteitag „drohte“ die Basis mit Bereitschaft – und es traten unerwartet viele Kandidaten zu Wahl an. So gesehen war die Neuwahl interessant und voller Unwägbarkeiten. Und ebenso der Arbeitsbeginn des neuen Vorstands. Dass die politische Atmosphäre nach der Bundestagswahl 2017 dramatisch anders geworden ist, fasste als Gast Bärbel Heym, Fraktionsvorsitzende im Kreistag, ihren Eindruck vom Kreis-Parteitag in Worte.

Hallo Lenin statt „Goodbye Lenin“: Das gibt es nicht allzu oft, aber in Großenhain ist es Realität. 1971 wurde ein Denkmal zu Ehren des 100. Geburtstags des Revolutionsführers auf dem damaligen Leninplatz aufgestellt. 21 Jahre später fiel es der Denkmalsstürmerei zur Wende zum Opfer. Obwohl es gar kein richtiges Lenindenkmal im herkömmlichen Sinne ist, sondern u.a. auch an den Arbeiterund Soldatenrat erinnerte, der 1918 auf dem Großenhainer Flugplatz den Funkspruch der Kieler Matrosen empfing und sachsenweit verbreitete. Nun ist das Denkmal wieder auf dem Großenhainer Flugplatz gelandet. Nach einer Odyssee zwischen Verstecken, Eingraben und deutscher Bürokratie soll es nun gar restauriert wer-

den. Es steht mittlerweile eingerüstet auf dem Gelände eines kleinen aber feinen Flugplatzmuseums, das durchaus einen Besuch wert ist. Die Großenhainer Genossinnen und Genossen jedenfalls machten sich aus Anlass des 100. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution auf die „Roten Socken“, besuchten das Denkmal, sahen sich Sequenzen des berühmten Eisensteinfilms an und diskutierten darüber, was die Ereignisse von damals für uns heute bedeuten. Man kann zur Oktoberrevolution stehen wie man will, ein wichtiger Meilenstein der Weltgeschichte ist sie allemal. Und es lohnt sich, weiter darüber nachzudenken.

Dass im ehemaligen „Aktivist“ in Meißen mit dem verdient kritischen Gastbeitrag von Genossin Dr. Jana Pinka der jüngst stattgefundene Landesparteitag noch nicht „fertig verarbeitet“ war, zeigte sich noch in der Sitzung an Berichten von Teilnehmern aus unserem Kreis, die sie sicherlich auch gern allen Mitgliedern vorgetragen hätten, wenn die Formalien des WahlProzedere nicht so viel Zeit gekostet hätten. Kreisgeschäftsführer Harald Kühne brachte es kritisch auf den Punkt: „Die Wahlordnung bietet mehr Spielräume zur Vereinfachung.“ Womit er wohl Recht hat. Interessant war ein Versuch von Eberhard Holdt (Mitglied des Landesrats) aus Zabeltitz, sein auf dem Landesparteitag speziell verfolgtes Thema „sozialökonomischer Umbruch“ auf die Realität unseres Kreises herunter zu brechen. Mit Recht (und Blick auf die Uhr) wurde er an einer ausführlichen „ML-Vorlesung“

Dresden spricht auch die Tatsache, dass der Anschluss von Bahn und Bus zu weit entfernt vom Zentrum liegt, für Ortsunkundige kaum zu finden ist und dass es keine Parkplätze für Besucher gibt. Selbst in einer kleineren Stadt wie Radeburg ist eine Rentenberatung an jedem zweiten Donnerstag im Monat möglich. Sachsenweit ist bekannt, dass die Schließung von Rentenberatungsstellen zur einen erhöhten Anzahl von Petitionen im Sächsischen Landtag geführt hat. Es ist Zeit, vor Ort Abhilfe zu schaffen.

gehindert – was uns jedoch nicht der Notwendigkeit enthebt, die „ökonomische Determiniertheit des historischen Prozesses“ (laut Marx) nicht nur anzuerkennen sondern auch auf gegenwärtige Umbrüche, deren Zeugen wir werden, anzuwenden. Wenn ein Betrieb im Kreis die Herstellung von Reinstsilizium aus Mangel an Fachkräften einstellt, dann sollte das DIE LINKE im Kreis hellhörig machen. Reinstsilizium war 1989 ein Sargnagel der DDR – zumindest im damaligen Bezirk Dresden. Kommende Vorstandsitzungen werden Bilanzen ziehen und zur „Abschlussprüfung“ könnten die kommenden Kommunalwahlen werden. Wir denken jedenfalls heute schon dran. • Reinhard Heinrich

Letzte LandtagsBesuchergruppe 2017 Einen interessanten Nachmittag im Sächsischen Landtag erlebten Mitglieder des VdK Großenhain. Sie verfolgten auf der Besuchertribüne ein Stück der Plenarsitzung. In der anschließenden Gesprächsrunde berichtete ich über meine Arbeit und beantwortete vielfältige Fragen. Mit dem Sonderbus ging es dann wieder nach Hause. Den Organisatoren und dem Busunternehmen Langer ein herzliches Dankeschön! Auch im nächsten Jahr sind politische Bildungsfahrten in dem Sächsischen Landtag geplant. Interessenten können sich jetzt schon unter 03522/5598270 melden. • Kerstin Lauterbach


Seite 7

12/2017 Sachsens Linke!

DIE LINKE.Kreisverband Bautzen

Kämpfen für das Spreehotel Das Integrationszentrum und sein Betreiber sind wichtig für Bautzen, findet Caren Lay

Doch der Reihe nach. Nachdem die Stadt Bautzen nicht in der Lage war, eine geeignete Erstaufnahme vorzuhalten, war Peter-Kilian Rausch der einzige, der eine Unterkunft anbot. Schon lange bevor die ersten Geflüchteten ins Spreehotel zogen, gründeten Anlieger eine Bürgerinitiative gegen die geplante Einrichtung. Im Stadtrat gab es heftige Diskussionen zum Spreehotel, mit einer knappen Mehrheit gegen die Stimmen der CDU-Fraktion wurde es eingerichtet. Mit Eilanträgen an das Verwaltungsgericht versuchten „besorgte Bürger“, den Start zu verhindern – vergeblich. Direkt mit dem Einzug der ersten Bewohner starteten Demonstrationen, organisiert von NPD-Funktionären, gegen das Spreehotel. Es folgten Angriffe auf Bewohner und auf das Objekt. Vorzeigeobjekt und Integrationszentrum Doch trotz all der Widerstände und vor allem dank des außergewöhnlichen Engagements von Peter-Kilian Rausch wurde aus dem Spreehotel eine weit über den Landkreis Bautzen hinaus als Vorzeigeobjekt gelobte Einrichtung.

Rausch selbst brachte sich sogar noch beim Bündnis „Bautzen bleibt bunt“ mit ein. Allerdings blieb Rausch mit seinem ehemaligen Hotel rechten Kräften ein Dorn im Auge, in einigen Bautzner Gaststätten bekam er sogar Hausverbot. Vor allem aus den Reihen der CDU ließ man kaum eine Gelegenheit aus, ihn anzugehen. Bisheriger Höhepunkt

war die Entscheidung des stellvertretenden Landrates Udo Witschas, das Spreehotel als Unterkunft vom Netz zu nehmen und damit auch die finanziellen Beiträge des Landkreises zu streichen. Es geht um eben jenen Witschas, der sich mehrfach mit NPD-Funktionären traf und mit dem NPD-Kreisvorsitzenden Wruck kollegiale Chatunterhaltungen führte. Auf Initiative u.a. der LINKEN-Kreistagsfraktion wurden Wege gesucht, das

Soll Spreetal selbstständig bleiben? Wo soll das eigentlich alles noch hinführen? Diese Frage müssen sich Landes- und Bundespolitiker stellen. Wenn die Kommunen mit immer mehr Pflichtaufgaben überhäuft werden und die Finanzierung nicht folgt, sind die kleinen Gemeinden irgendwann am Ende. Wenn in Berlin Entscheidungen zur Braunkohle getroffen werden und daraufhin Steuereinnahmen wegfallen, macht das die Gemeinden kaputt. Der Bund muss Ersatz leisten und darf die betroffenen Gemeinden mit diesem Problem nicht alleine lassen. Wenn die Einwohnerzahl der Gradmesser der finanziellen Ausstattung ist, aber die Infrastruktur erhalten werden muss, dann ist die Bemessungsgrundlage falsch gewählt. So kommt eine Frage zur anderen. Da bin ich noch nicht bei der Identifikation mit der Gemeinde und beim Erhalt der demokratischen Mitbestimmung. Wir brauchen ein Umdenken bei der Staatsregierung und das schnell.

Spreehotel als Einrichtung zu erhalten. Nach Gesprächen mit dem Landkreis und der Stadt Bautzen sollte ein Integrationszentrum entstehen. Anerkannte Flüchtlinge finden nur mit großen Problemen Wohnraum, der auch an sie vermietet wird. Das Spreehotel wäre hier eine gute Anschlusslösung nach dem Abschluss des Asylverfahrens, wenn Anerkannte schließlich keinen Anspruch mehr auf einen Platz in einer

Foto: Silvio Lang

Das Gerangel um das ehemalige „Spreehotel“ in Bautzen, das als Flüchtlingsunterkunft genutzt wurde, war im Rückblick Vorbote des politischen Rechtsrucks, der bei den Bundestagswahlen insbesondere in Ostsachsen seinen Ausdruck fand. Der Widerstand gegen das Spreehotel war von Beginn an groß und wurde von Rechtsextremen, „besorgten Bürgern“, der AfD, aber auch von Teilen der CDU getragen.

Folgende Punkte sehe ich als relativ zügig umsetzbar: Die laufende Diskussion im Landtag zur Novellierung der Gemeindereform sollte genutzt werden, um kleinere Gemeinden bessere Kooperationsbeziehungen mit anderen Gemeinden zu ermöglichen und damit ihre Verwaltungen zu entlasten. Das Finanzausgleichgesetz des Freistaates gehört auf den Prüfstand und die Kommunen müssen mit besseren Finanzen ausgestattet werden. Wir brauchen schnellstens Entscheidungen zum Strukturwandel in unserer Region, um den Menschen ein Zeichen zu geben, dass es sich lohnt hierzubleiben. Nur dann werden sich auch Unternehmen hier ansiedeln. Unsere Region hat nur eine Chance, wenn die oberen Ebenen endlich Nägel mit Köpfen machen. Eine Gemeindefusion ist nicht die Lösung, sondern nur eine kurzfristige Beruhigungspille. • Ralph Büchner

Unterkunft haben und in die Zuständigkeit der Arbeitsagentur fallen. Nötig dafür ist aber, dass sich Landkreis und Stadt an der Finanzierung beteiligen. Doch nun nutzten die Bautzner CDUStadträte im Finanzausschuss des Stadtrates, zusammen mit den Stadt-

räten des Bürgerbündnisses, eine fahrlässig von der Stadtverwaltung gebotene Möglichkeit, die bis zum Jahresende zugesagten Gelder zu streichen. Damit steht die Finanzierung in Frage und die Zukunft der Einrichtung in Gänze. Die Summe, um die es geht, ist vergleichsweise gering: 25.000 Euro. Das Spreehotel muss erhalten bleiben Anstatt sich also über die engagierte Arbeit zu freuen, die weit über das gesetzliche Notwendige hinaus geht und überall anerkannt wurde, wird das Projekt von Anfang an von interessierter Seite torpediert. Ausgerechnet die CDU, die sich stets um den Ruf der Stadt sorgt, erweist Bautzen einen Bärendienst. Es wird dem Ruf der Stadt nicht gerade nützen, wenn ein erfolgreich geführtes Integrationszentrum schließen muss. Die CDU und das Bürgerbündnis im Stadtrat müssen diese Entscheidung korrigieren und sich für eine Integrationseinrichtung in Bautzen aussprechen. Der Stadtrat und der Oberbürgermeister müssen alle Wege prüfen, mit einem Finanzzuschuss das Spreehotel noch zu retten. Sonst wird Peter-Kilian Rausch Bautzen verlassen – das wäre ein riesiger Verlust für die Stadt. Wir brauchen mehr Menschen in Bautzen von seinem Schlage und nicht weniger.

Neonazi-Laden als Sponsor für Bautzener Sportverein untragbar Der MDR und vice.com berichteten über das Sponsoring des Fußballvereins SV Bautzen durch den NeonaziSzeneladen „Nordland“ in Wilthen. Für den Bautzener Landtagsabgeordneten Heiko Kosel zeugt der Fall einmal mehr, „wie eng die Vernetzung rechtsradikaler Strukturen in unserer Gesellschaft vorangeschritten ist.“ Es mache ihn betroffen, dass sich bisher niemand aus dem Verein, weder Spieler noch Funktionäre, öffentlich von diesem Neonazi-Sponsor distanziert hat. Wie das Online-Nachrichtenmagazin vice.com berichtet, verkauft der Sponsor aus dem Landkreis Bautzen „Marken wie Thor Steinar, Yakuza oder Label 23, die vor allem in der rechtsextremen Szene und in rechten Hooligankreisen beliebt sind. Daneben gibt es Quarzsandhandschuhe – vom BGH als gefährliches Werkzeug eingestuft – und Mini-Boxhandschuhe mit dem Aufdruck eines Tiger-Panzers der Wehrmacht, daneben der Spruch: ,Lasst die Katzen los‘ – ein Titel der rechtsradikalen Band Blitzkrieg.“ Des Weiteren wird berichtet, dass „der Betreiber des Ladens unter anderem mit der rechts-

extremen Band Asatru in Verbindung“ steht, die „2011 vom Sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft“ wurde. Wer die Augen vor solch offensichtlichen Zusammenhängen verschließt, mache sich mitschuldig an der Verbreitung offen neonazistischen Gedankenguts in unserer Gesellschaft, meint Kosel. „Sollte sich der SV Bautzen nicht von dem genannten Sponsor trennen, muss der Sächsische Fußballverband reagieren und ein klares Zeichen setzen, wenn er seine Glaubwürdigkeit in Sachen Fairness und Toleranz im Sport glaubwürdig vertreten will. Sport findet im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung statt und wird in diesem Rahmen auch durch die Gesellschaft gebraucht und gefördert. Wer diesen Rahmen verlässt, muss auch über die Konsequenzen nachdenken!“ Die Stadt Bautzen sei gehalten, die Förderung des SV Bautzen mit öffentlichen Mitteln zu hinterfragen. „Sie sollte ihm vorher aber die Möglichkeit geben, sich nach einem geeigneten Sponsor umzuschauen und ihn dabei möglichst unterstützen.“


Sachsens Linke! 12/2017 Die EU durchlebt eine existenzielle Krise. Alle Völker Europas, ob sie Mitglied sind oder nicht, leiden unter der Austeritätspolitik und den sozialen Ungleichheiten. Der Frieden und das Klima sind bedroht. Wir können es nicht akzeptieren, dass die einzige Alternative vermeintlich aus einem Wettbewerb zwischen populistischen, xenophoben und extrem rechten nationalistischen Kräften besteht, welche die Völker trennen und eine Verschärfung der neoliberalen Austeritätspolitik vorschlagen. Es gibt Menschen, die einen anderen Weg suchen: den Weg eines Europas des sozialen und ökologischen Fortschritts, eines feministischen und antirassistischen Europas, eines demokratischen, einladenden und friedlichen. Zusammenarbeit mit anderen progressiven Kräften wird auch von der Partei der Europäischen Linken erwartet.

„Wenn wir die Differenzen, die uns trennen, nicht überwinden können, werden das Unsoziale und der Rechtsextremismus wieder gedeihen. Wir haben nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten und eine Verantwortung, der wir gerecht werden müssen“ Gregor Gysi

Seite 8

Gemeinsam für ein besseres Europa Marika Tändler-Walenta war beim Forum der progressiven Kräfte in Marseille

Am 10. und 11. November 2017 nahm die Europäische Linke am ersten alternativen europäischen Forum in Marseille teil, das einen neuen Raum für langfristige Zusammenarbeit bieten, ein breites Bündnis aus linken, grünen und progressiven Parteien, Plattformen und Bewegungen, Gewerkschaften und soziale Organisationen, NGOs und Intellektuellen aus ganz Europa schaffen will. In Marseille haben Menschen aus den unterschiedlichsten Organisationen diskutiert, wie wir Europa verändern, reformieren, retten können.

Der Anspruch bestand darin, einen Ort und Raum für progressive Linke in Europa zu schaffen, um einen langfristigen Prozess der Zusammenführung der fortschrittlichen Kräfte zu ermöglichen. Neben Gregor Gysi, Judith Benda, Heinz Bierbaum, Claudia Haydt, Martin Schirdewan, Janis Walter und Gabi Zimmer nahmen verschiedene Vertreter der Partei DIE LINKE und der Jugendorganisationen am Forum teil. Dabei waren dreißig Länder durch Parteien, Gewerkschaften, Verbände oder

Bewegungen vertreten, die sich mit der Zusammenführung linker Kräfte befassten. Aus Deutschland nahmen u.a. Vertreter*innen von ver.di, Blockupy und dem Jugendverein Roter Baum teil. Ein erster Schritt bestand in einer breiten Debatte über Friedensfragen, Arbeitsrechte und nachhaltige Entwicklung, die möglichst in erste progressive Lösungsansätze münden. Neben einem großen Plenarsaal gab es Workshops zu den Themen Brexit, Allgemeingüter und Freihandelsabkommen. Am ersten Abend gab es zudem eine Aktion am Hafen von Marseille, mit dem Ziel, Solidarität mit Migrant*innen zu zeigen. Der Samstagabend wurde unter dem Motto „Die Welt gehört uns“ mit einem Konzert von Mélissa Laveaux und Le peuble d' herbe beendet. In der Diversität der progressiven Kräfte liegt gleichzeitig die Stärke des Marseille-Forums, um auch weiter Aktionslinien zu ermöglichen, mit denen wir auf Herausforderungen reagieren können. Einigkeit herrschte vor allem darüber, dass wir gemeinsam ein alternatives Modell der europäischen Integration entwickeln wollen: ein horizontales, egalitäres, sozial fortschrittliches Modell, das solidarisch mit den Völkern aus anderen Teilen der Welt ist; eines, das eine neue und gerechtere internationale Ordnung fördert und dem es gelingt, Versuche der Schaffung eines ultra-liberalen, autoritären Europas, das jeglicher Solidarität entbehrt und Züge von Fremdenfeindlichkeit aufweist, zu stoppen. Ein ständiger Raum der Zusammenkunft auf europäischer Ebene ist nötig, damit Alternativen zu den neoliberalen und konservativen Regierungen den Weg zu größeren progressiven Mehrheiten öffnen können. Die gemeinsame Abschlusserklärung sprach sich dementsprechend dafür aus, 2018 ein zweites Forum zu organisieren. www.marseilleseuropeanforum.eu

Warum rechts? Versuch einer Erklärung Wieso sympathisieren immer mehr Menschen mit Rechtspopulist*innen? Warum gewinnen Parteien wie die AfD und Bewegungen wie Pegida Unterstützung, während die NPD nie eine Massenmobilisierung erreichte? Diesen Fragen stellte sich der Politikwissenschaftler und Psychologe Thomas Kliche von der Hochschule Magdeburg-Stendal auf der vierten fds-Akademie in der Leipziger Villa Rosental.

Wert wird in solchen Lagen auf das Festhalten an Bewährtem und das Delegieren von Verantwortung gelegt. Einige Menschen wünschen sich in Krisensituationen eine starke Persönlichkeit, die ein Gefühl von Sicherheit und Führung vermittelt und den Hass gegen politische Gegner wieder salonfähig macht. Statt konkrete Auswege aus der Krise aufzuzeigen, wird gegen „die da oben“ gehetzt.

Kliches Schwerpunkt sind politische Ängste. Das macht ihn zum Experten für (Rechts-)Populismus. Vom Rechtsextremismus unterscheide sich Populismus, weil weniger Wert auf politische Inhalte gelegt wird. Vielmehr lebten populistische Strömungen von Emotionen wie Verbundenheitsgefühlen, Wut und Enttäuschung. Momentan wird das klassische Parteiengefüge schwächer und besonders das Jahr 2015 zeigte anhand der „Flüchtlingskrise“, dass die Parteien überfordert waren. Die Menschen erlitten einen Globalisierungsschock. Besonderer

Welche Gründe haben Menschen, Rechtspopulist*innen zu folgen? Kliche unterscheidet drei Motivationen. Erstens scheint vielen die Idee einer Verantwortungsarmut zu gefallen, wobei sie wenig Interesse für Politik zeigen müssen. Hier übernehmen die Populist*innen und verkaufen Politik verständlich, gefühlsbezogen und konsumbereit. Die zweite Motivation ist das Gefühl, gesellschaftlich abgehängt worden zu sein. Die rechtspopulistische Bewegung setzt sich vermeintlich für die Ausgebeuteten und Vergessenen ein und nutzt dazu (deut-

sche) Nationalität als Anspruch auf gewisse Leistungen oder Privilegien. Die dritte Motivation: Studien zeigen, dass ungeachtet aller gesellschaftlichen Gegebenheiten immer zwischen 12 und 18 Prozent der Bevölkerung rechte Überzeugungen wie Rassismus oder Homophobie teilen.

den Parteien interne Streitigkeiten und die Unfähigkeit, Gesellschaftsentwürfe zu entwickeln, die sich konkret umsetzen lassen. Die Linke solle sich mit nicht-parlamentarischen und nahen Bewegungen besser vernetzen und sich offener aufstellen, um ein breites linkes Bündnis anzustreben.

Rechtspopulist*innen wie die AfD oder Donald Trump versprechen also eine Aufwertung des „Wir-Gefühls“ und stellen ein einfaches Weltbild bereit. Sie suggerieren Kontrolle durch eine Störungsmacht, in Form von Protestwahlen. Populist*innen versprechen ihren Wähler*innen Politik als „Gefühlsgenuss“ und entwickeln sich aus affektiven Beweggründen zu einer Protestbewegung, resümierte Kliche.

Nach Kliches Vortrag diskutierten die Zuhörer*innen vor allem eine Frage: Wie soll man den Mut nicht verlieren und andere von einer sozialen, linken Gesellschaft überzeugen? Der Experte hatte kein Allheilmittel gegen politischen Pessimismus, er ging jedoch fest davon aus, dass es sich lohnt, für seine Ideale einzustehen. Eines weiß Kliche ganz bestimmt: „Die politische Situation kann sich immer verändern und es ist an uns allen, sich außerhalb der Parteikategorien zu vernetzen, interne Auseinandersetzungen beizulegen und immer weiter mutig mit Lösungsverschlägen zu jonglieren.“

Was können wir angesichts des Rechtsrucks tun? Keine einfache Frage, für die Kliche auch keine Patentlösung hatte. Trotzdem sprach er Handlungsempfehlungen aus. Er bemängelte an den mittig-links stehen-

• Juliane Esser


Seite 9

Auswertung der Wahlkampagne

12/2017 Sachsens Linke!

Deine Meinung ist gefragt! Hier kannst Du Deine Meinung zum Bundestagswahlkampf festhalten. Denn Du weißt am besten, was vor Ort funktioniert hat und was nicht! Also: Ausfüllen, ausschneiden und ab die Post an die Landesgeschäftsstelle der LINKEN Sachsen, Kleiststraße 10a, 01129 Dresden. Oder Du gehst online: www.soscisurvey.de/ wahlauswertung2017 Vielen Dank für Deine Hilfe!

Inhaltlich war die Kampagne für mich leicht verständlich. c stimme überhaupt nicht zu c stimme eher nicht zu c stimme eher zu c stimme voll und ganz zu Unsere Kampagne war insgesamt klar strukturiert. c stimme überhaupt nicht zu c stimme eher nicht zu c stimme eher zu c stimme voll und ganz zu

Wie schätzt Du ganz allgemein Deine Erfahrung mit Wahlkämpfen ein? c gar keine Erfahrung c wenig Erfahrung c viel Erfahrung c sehr viel Erfahrung

Es ist uns gelungen, die Inhalte unserer Kampagne zu vermitteln. c stimme überhaupt nicht zu c stimme eher nicht zu c stimme eher zu c stimme voll und ganz zu

Wie schätzt Du Deine Aktivität im Bundestagswahlkampf 2017 ein? c nicht aktiv c kaum aktiv c eher aktiv c sehr aktiv

Unser Wahlprogramm war zu kompliziert. c stimme überhaupt nicht zu c stimme eher nicht zu c stimme eher zu c stimme voll und ganz zu

An wie vielen Wochentagen warst Du im Schnitt im Wahlkampf? ____________________________

Wie bewertest Du das Infomaterial? c sehr schlecht c eher schlecht c eher gut c sehr gut

Mit welchen Tätigkeiten hast Du den Wahlkampf unterstützt? Bitte eintragen: „gar nicht“, „selten“, „oft“ oder „sehr oft“ Flyer verteilen ____________________________ Plakatieren ____________________________ Infostände/Kochtouren ____________________________ Gespräche im persönlichen Umfeld ____________________________ Wie oft hast Du Wahlkampfveranstaltungen der LINKEN besucht? Bitte eintragen: „gar nicht“, „selten“, „oft“ oder „sehr oft“ Größere Veranstaltungen meines Ortsverbands ____________________________ Veranstaltungen meines Kreis-/Stadtverbands ____________________________ Veranstaltungen des Landesverbands ____________________________ Ich konnte mich insgesamt gut in den Wahlkampf einbinden. c stimme überhaupt nicht zu c stimme eher nicht zu c stimme eher zu c stimme voll und ganz zu Der Bundestagswahlkampf hat mich persönlich im Großen und Ganzen … c sehr unterfordert c eher unterfordert c richtig gefordert c eher überfordert c stark überfordert Wie bewertest Du unsere Kampagne zur Bundestagswahl ganz allgemein? c sehr schlecht c eher schlecht c eher gut c sehr gut

... und unsere Kleinwerbemittel? c sehr schlecht c eher schlecht c eher gut c sehr gut Wie bewertest Du unsere Plakate? c sehr schlecht c eher schlecht c eher gut c sehr gut Unsere A1-Plakate waren im Großen und Ganzen … c sehr schlecht platziert c eher schlecht platziert c eher gut platziert c sehr gut platziert Unsere Großflächen waren im Großen und Ganzen … c sehr schlecht platziert c eher schlecht platziert c eher gut platziert c sehr gut platziert Wie bewertest Du unsere Veranstaltungen und Touren? Bitte eintragen: „sehr schlecht“, „eher schlecht“, „eher gut“ oder „sehr gut“ Kochtour ____________________________ Truck-Tour ____________________________ Promi-Veranstaltungen ____________________________ Abschlussveranstaltung in Leipzig ____________________________ Folgendes gefiel mir besonders: ____________________________ ____________________________ Folgendes hat mir gar nicht gefallen: ____________________________ ____________________________

Wie bewertest Du ganz allgemein die Organisation vor und während des Wahlkampfes in Sachsen? c sehr schlecht c eher schlecht c eher gut c sehr gut Der Wahlkampf in Sachsen wirkte auf mich gut vorbereitet. c sehr schlecht c eher schlecht c eher gut c sehr gut Es standen immer genug Kleinwerbemittel zur Verfügung. c stimme überhaupt nicht zu c stimme eher nicht zu c stimme eher zu c stimme voll und ganz zu Es stand immer genug Infomaterial zu Verfügung. c stimme überhaupt nicht zu c stimme eher nicht zu c stimme eher zu c stimme voll und ganz zu Material wurde pünktlich und unkompliziert geliefert. c stimme überhaupt nicht zu c stimme eher nicht zu c stimme eher zu c stimme voll und ganz zu Probleme & Fragen wurden schnell und kompetent beantwortet. c stimme überhaupt nicht zu c stimme eher nicht zu c stimme eher zu c stimme voll und ganz zu Die Partei hat mich gut auf den Wahlkampf vorbereitet. c stimme überhaupt nicht zu c stimme eher nicht zu c stimme eher zu c stimme voll und ganz zu Die Partei hat mich gut in den Wahlkampf eingebunden. c stimme überhaupt nicht zu c stimme eher nicht zu c stimme eher zu c stimme voll und ganz zu Die Partei war offen für neue Ideen und Vorschläge im Wahlkampf. c stimme überhaupt nicht zu c stimme eher nicht zu c stimme eher zu c stimme voll und ganz zu Der Umgangston innerhalb der Partei war insgesamt … c sehr unfreundlich c eher unfreundlich c eher freundlich c sehr freundlich Wie bewertest Du die Organisation dieser Strukturen im Wahlkampf? Bitte eintragen: „sehr schlecht“, „eher schlecht“, „eher gut“ oder „sehr gut“ mein Ortsverband ____________________________ mein Kreisverband/Stadtverband ____________________________ Landesverband Sachsen ____________________________

Landtagsfraktion ____________________________ Bundesverband ____________________________ Bundestagsfraktion ____________________________ Jugendverband ____________________________ Besonders gut funktioniert hat … ____________________________ ____________________________ Überhaupt nicht funktioniert hat … ____________________________ ____________________________ Das Wahlergebnis der LINKEN insgesamt ist zufriedenstellend. c stimme überhaupt nicht zu c stimme eher nicht zu c stimme eher zu c stimme voll und ganz zu Das Wahlergebnis der LINKEN in Sachsen ist zufriedenstellend. c stimme überhaupt nicht zu c stimme eher nicht zu c stimme eher zu c stimme voll und ganz zu Das Wahlergebnis hat die Situation der LINKEN komplizierter gemacht. c stimme überhaupt nicht zu c stimme eher nicht zu c stimme eher zu c stimme voll und ganz zu Künftig sollte der ländliche Raum besondere Beachtung bekommen. c stimme überhaupt nicht zu c stimme eher nicht zu c stimme eher zu c stimme voll und ganz zu DIE LINKE muss insbesondere Protestwähler zurückgewinnen. c stimme überhaupt nicht zu c stimme eher nicht zu c stimme eher zu c stimme voll und ganz zu Unser Wahlprogramm muss kompakter werden. c stimme überhaupt nicht zu c stimme eher nicht zu c stimme eher zu c stimme voll und ganz zu Unser Wahlprogramm muss im Wortlaut verständlicher werden. c stimme überhaupt nicht zu c stimme eher nicht zu c stimme eher zu c stimme voll und ganz zu Geschlecht c männlich c weiblich c __________________________ Alter Beschäftigungsstatus __________________________ Mein Kreis-/Stadtverband: ____________________________ Falls Du in der LINKEN bist: Seit wann? ____________________________


Sachsens Linke! 12/2017 Ziemlich viel ist im Vorfeld des Landesparteitages vom 4. und 5. November geschrieben worden – vieles auch in der Nachbetrachtung. Wir hatten uns bisher kaum zu den Geschehnissen geäußert und wollen das mit einigen wenigen Gedanken nun fix ändern, bevor der Landesparteitag gänzlich in Vergessenheit gerät. Zunächst: Wir sind doch ziemlich happy mit unserem neuen Landesvorstand. Mit Elisa Gerbsch aus Leipzig, Franziska Fehst aus Dresden und nicht zuletzt Christopher Colditz, der jugendpolitischer Sprecher wurde, haben es gleich drei aktive linksjugendMitglieder in den LaVo geschafft. Auch über die Wahl von Antje Feiks zur Landesvorsitzenden und vom Thomas Dudzak – ebenfalls ehemaliges Mitglied des Jugendverbandes – zum Landesgeschäftsführer freuen wir uns und hoffen, in den nächsten Monaten und Jahren gemeinsame Projekte wie Neumitgliederbetreuung, Bildungsangebote, Herbstakademien und nicht zuletzt die Vorbereitung der Kommunal,- Europa,- und Landtagswahlen anzugehen.

Seite 10

Jugend

Erfreuliches, Kritisches und etwas Eigenlob Andy Sauer mit Gedanken zum vergangenen Landesparteitag in Chemnitz

stark und das auch schon, als man sich noch innerhalb der regulären Sitzungszeit befand. Besonders auffällig ist, dass doch ein recht großer Teil der Delegierten vornehmlich nach der abgeschlossenen Wahl der gemischten Liste des Landesvorstands wohl ihren wichtigsten Auftrag am Wochenende für abgeschlossen erachteten und sich schnurstracks nach Hause machten. Finden wir nicht so cool! Unsere Delegation war tatsächlich sehr diszipliniert und trotz vorabendlicher Feier mit wenig Schlaf noch fast komplett bis zum Ende anwesend. Wir klopfen uns mal selbst auf die Schulter. ;)

Und weiter geht es mit erfreulichen Dingen: In unserem Jugendwahlkampf haben wir uns klar zur Idee der Republik Europa positioniert, weswegen wir es begrüßen, dass sich die Mehrheit der Delegierten für ein solches Projekt ausgesprochen hat und dem Änderungsantrag zum Leitantrag nicht zustimmte.

Nun ja, ganz so Friede Freude Eierkuchen war dann aber doch nicht alles. So fanden wir es schon ziemlich daneben, dass für die „Parteiprominenz“ wie Bernd Riexinger offensichtlich nicht die gleichen Regeln gelten wie für „die Kleinen“. Wir denken da an die ausgeschaltete Redezeit-Ampel und das fehlende Abklingeln beim zum Teil deutlichen Überziehen der Redezeit. Zu guter Letzt noch ein wenig Eigenlob: Gerade am Sonntag lichteten sich die Tischreihen doch ziemlich

Aktionstag gegen Antisemitismus in Wurzen Gegen jeden Antisemitismus! Bereits zum dritten Mal in Folge veranstaltet die linksjugend ['solid] Westsachsen in Kooperation mit dem Ring politischer Jugend e.V. und dem AK Shalom Westsachsen den Aktionstag gegen Antisemitismus im D5 in Wurzen, diesmal am 9. Dezember. Im Fokus dabei stehen wieder die politische Bildung sowie die Vernetzung linker Jugendlicher im sogenannten „ländlichen Raum“, von welchem auf dem vergangenen Parteitag des Öfteren die Rede war.

antisemitische Tendenzen innerhalb unseres Jugendverbandes und unserer Partei genauer unter die Lupe.

Drei Vorträge stellen ab 15 Uhr den Rahmen der politischen Bildungsarbeit. Karin Stögner wird über Antisemitismus und Sexismus referieren, Anne Helm über Verschwörungstheorien und Sarah Rambatz, Bundessprecherin der linksjugend ['solid], nimmt

Entstanden ist der Aktionstag 2015 im Rahmen der Aktionswochen gegen Antisemitismus der Amadeu Antonio Stiftung. Er gibt hauptsächlich die Möglichkeit der kritischen Auseinandersetzung mit Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen, auch

Musikalisch wird man von 20 Liter Yoghurt aus Grimma mit viel Liebe angeschrien, bekommt von Jennifer Gegenläufer Beats und Rap mit Inhalt um die Ohren geworfen und kann bei Björn Peng seine geliebten Mitmenschen zum Rave auffordern. Garniert wird das Ganze von der Djane* Metastabil als Aftershow.

jener von links. Zusätzlich soll er ein Feiern ganz ohne Sexismus, Rassismus und Antisemitismus sowie anderen Ausgrenzungen ermöglichen. Das ist also etwas, das es so im provinziellen Raum leider viel zu selten gibt. Deshalb ist der Aktionstag ein Herzensprojekt, der mit viel Arbeit und Hingabe auf die Beine gestellt wird. Wir freuen uns also über Gäste! Schließlich gibt es politische Bildung, Vernetzung und Party – und das alles für Umme! Also kommt gern zahlreich vorbei, die Fahrtkosten werden übernommen und wenn ihr Schlafplätze benötigt, bekommen wir das sicher organisiert ;) Bis bald in Wurzen! • Peter Zielke, AK Shalom Westsachsen

Meinen die das ernst? Nr.1: Wahlalter Null In den kommenden Monaten stellen wir euch hier jeweils in Kürze eine unserer politischen Forderungen vor. Die Forderung: Wahlalter 0 bedeutet, dass jede Person, die wählen gehen möchte, auch wählen gehen darf. Egal ob sie unter 18 ist, eine Behinderung hat, oder ob sie einen deutschen Pass besitzt. Dabei fordern wir natürlich nicht, dass Kleinkinder in die Wahlkabinen krabbeln müssen. Jede Person soll selbst bestimmen, wann sie bereit ist. Die Begründung: Jede Altersgrenze ist willkürlich und somit diskriminierend, ein bloßes Herabsetzen ändert das nicht. Zudem hat die Beschränkung des Wahlrechtes praktische Folgen. Denn wenn einzelne Gruppen ausgeschlossen werden, fallen ihre Interessen weniger ins Gewicht. Das Einbeziehen auch der unter-18-Jährigen bei allen Entscheidungen wird angesichts der Überalterung sogar noch wichtiger. Also: Ja, wir meinen das ernst! • Nele Werner


Seite 11

12/2017 Sachsens Linke!

DIE LINKE im Europäischen Parlament

Blockierte Menschlichkeit

European United Left /  Nordic Green Left European Parliamentary Group

Das EU-Parlament arbeitet daran, die Dublin-Regeln zu verbessern. Nicht nur Cornelia Ernst setzt auf innereuropäische Solidarität Vor 27 Jahren unterzeichneten zwölf EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, einen völkerrechtlichen Vertrag. Der sollte regeln, welcher EU-Staat in welchem Fall für die Prüfung eines Asylantrages zuständig ist. Benannt wurde das Übereinkommen nach dem Ort seiner Unterzeichnung, Dublin. Die vereinbarten Regelungen traten 1997 in Kraft und seither ist jener EU-Mitgliedstaat für die Überprüfung und Annahme eines Asylantrages zuständig, bei dem der Ersteintritt auf EU-Gebiet erfolgte. Für die Mitglieder in Nordwesteuropa war das eine praktische Lösung. Denn damit wurde der Löwenanteil der Verantwortung einigen wenigen Staaten an den EU-Außengrenzen zugewiesen. Länder wie Deutschland, Polen oder Österreich hingegen waren fein raus. Doch seit bald einem Jahrzehnt und trotz zweier Reformversuche erwies sich diese Vereinbarung als eine Übereinkunft für „migrationsfreie Zeiten“, sprich: als vollkommen unzureichend. Allerspätestens seit 2015 ist die Untauglichkeit dieser unsolidarischen Regelung nicht länger schönzureden. Den Regierungen der Mitgliedstaaten, allen voran Bundeskanzlerin Merkel, gelang es mit dem EU-Türkei-Deal zwar, die Statistiken für den Moment zu entschärfen. Doch hat sich am Leid der Menschen nicht viel geändert, es wur-

de vielmehr ausgelagert. Einerseits in die Türkei, andererseits aber an die betroffenen Mitgliedstaaten im Süden der EU, vor allem Italien und ausgerechnet Griechenland, das bereits in der Banken- und Eurokrise allein gelassen wurde. Systematische Anti-Solidarität Um der Dublin-Regelung diesen faulen Zahn zu ziehen, arbeiteten wir im Innenausschuss gemeinsam mit der Sozialdemokratie und den Grünen einen Reformtext aus, der nicht weiter auf der Abschottung Nordwesteuropas beruhen sollte. Nach monatelangen und zähen Auseinandersetzungen mit den anderen Fraktionen bekam unser Text die nötige Mehrheit und wir konnten die Kernaussage der bisherigen Dublin-Regelungen streichen, das Prinzip des Ersteintritts. Stattdessen soll vom Mitgliedstaat des Ersteintritts nur mehr die Überprüfung bestimmter Kriterien vorgenommen werden. Er soll ermitteln, ob die Betroffenen bereits bestimmte Verbindungen oder konkrete Bezugspunkte zu einem Mitgliedstaat haben. Darunter fallen beispielsweise Sprachkenntnisse, Studienaufenthalte, berufliche Erfahrungen und allem voran: familiäre Anbindungen. Wird eines jener Kriterien

erfüllt, werden die Personen direkt in den betreffenden Mitgliedstaaten übermittelt. Ist hingegen keines der Kriterien erfüllt, greift ein Verteilmechanismus, der den Asylantragsberechtigten die Auswahl zwischen den vier Mitgliedstaaten ermöglicht, die bisher gemessen an ihrer Bevölkerungsgröße den kleinsten Anteil aufgenommen haben. Damit soll einerseits verhindert werden, dass bestimmte Mitgliedstaaten mit den Herausforderungen der Asylanträge allein und deshalb überfordert bleiben. Andererseits soll den Asylantragssteller*innen endlich ein fairer und angemessener Umgang gewährleistet werden, weshalb ihnen künftig auch ein Rechtsbeistand mit entsprechenden Sprachkenntnissen zustehen soll. Statt die Menschen in Lagern und Gefängnissen an den Außengrenzen auflaufen zu lassen, soll die Verteilung in andere Mitgliedstaaten direkt erfolgen. Diese ermittelten Staaten sind sodann für den weiteren Prozess des Asylantrags zuständig. Strenggenommen sollte dieser Reformtext zum künftigen Dublin IV fast schon einen neuen Namen tragen, aber wir mussten dennoch die eine oder andere Kröte schlucken, die auch ein solches neues System nicht perfekt machen würden. Dennoch bringt unser Kompro-

misstext zahlreiche substantielle Verbesserungen, die die schlimmsten Verfehlungen der bisherigen Regelungen ausmerzen. Die wahren Hindernisse Doch so langwierig das monatelange Ringen mit den anderen Fraktionen auch war, so steht die größte Hürde für ein gerechteres System erst noch bevor: Namentlich diejenigen, die bereits für das Scheitern der bisherigen Dublin-Versuche I-III verantwortlichen waren – die nationalen Regierungen im Rat der Mitgliedstaaten. Viele Regierungen in Nordwest- und Osteuropa würden am liebsten weiterhin von dem unsolidarischen und untauglichen System der bisherigen Form profitieren. Doch hat das Parlament nun eine gänzlich andere Position beschlossen, indem wir uns fraktionsübergreifend auf einen Mechanismus einigen konnten, der sich auf die innereuropäische Solidarität stützt. Ein neuer Mechanismus zur Verteilung der Aufnahme von Geflüchteten würde uns zudem auch aus der moralischen Abwärtsspirale der Anti-MigrationsDeals mit Staaten wie der Türkei unter Erdoğan oder dem Milizen- und Clangebiet des früheren Libyens befreien. Dieser Beitrag in voller Länge: www.bit. ly/2niarE5

Wenn der Saft ausgeht: Neue Auto-Abgasvorgaben der EU-Kommission

Das Ergebnis sieht nun vor, statt der geplanten CO2-Ausstoß-Minderung von 35 Prozent nur noch 15 Prozent bis 2025 (im Vergleich zu 2021) festzuschreiben. Bis 2030 soll die Quote dann um 30 Prozent sinken. Einen verbindlichen Anteil von Elektrofahrzeugen bis diesem Jahr strich man gleich ganz. Es wird nur noch davon gesprochen, bis 2030 möglichst 30 Prozent der Neuwagen mit alternativen Antrieben auf die Straße zu bringen. Dazu wird ein Anreizsystem geschaffen, das den Herstellern verspricht, bei einer zügigen Vergrößerung ihrer ab-

gasarmen (oder -freien) Autoflotten Bonuspunkte für CO2-Emissionen gutgeschrieben zu bekommen. So dürfen dann die von der Kommission ausgegebenen Vorgaben um bis zu fünf Prozent überschritten werden. Werden die Marktanteile nicht erreicht, drohen aber keine Sanktionen. Bei einer Überschreitung der Grenzwerte werden die jedoch fällig und zwar in saftiger Höhe. Pro Gramm und Fahrzeug

belaufen sich die Strafen auf 95 Euro, da kommt im Zweifel ordentlich was zusammen.

unter echten Fahrbedingungen ermöglicht. Ab 2021 könne dann wieder mit konkreten Zahlen gearbeitet werden.

Die neuen Vorgaben führen die 2021 auslaufenden Emissionswertgrenzen fort. Dass die Senkungen nur in Prozent angegeben werden können, liegt an dem neu eingeführten WLTPSchadstoffmesssystem, das die Ermittlung der Werte auf der Straße

Die Europäische Union wird für die Bewältigung der Ziele 800 Millionen Euro zum Ausbau der Ladeinfrastruktur bereitstellen. Weitere 200 Millionen fließen in die Förderung der Batterieentwicklung. Trotz des investierten Geldes bleibt man in Brüssel skeptisch, ob die vorgeschlagenen Quoten umgesetzt werden. Zuzuschreiben haben sich dies die Behörden dann selbst.

Foto: Andrea Pavanello / Wikimedia Commons/ CC BY-SA 3.0 IT

Das wurde ja auch wirklich Zeit, müssen sich viele Akteur*innen der europäischen Autopolitik und Industrie gesagt haben. Endlich wurden die neuen CO2-Vorgaben der Europäischen Kommission in Brüssel verkündet. Dem war ein langes Tauziehen um Höhe und Verbindlichkeit der neuen Werte vorausgegangen. In diesem Wettbewerb hatte die Autoindustrie mal wieder die Nasse vorn. Dafür legte sich der Präsident des Verbands Deutscher Automobilunternehmen, Matthias Wissmann, höchst selbst ins Zeug, um die Pläne möglichst so zu beeinflussen, dass sie der Automobilwirtschaft nicht allzu große „Lasten“ aufbürden.

Für Deutschland bedeuten die neuen Vorgaben, dass die sowieso schon auf wackeligen Beinen stehenden eigenen Klimaziele in Gefahr sind. Die Präsidentin des Umweltbundesamtes wertet die Vorschläge der Kommission als „viel zu niedrig“, man brauche eine Reduzierung der CO2-Grenzwerte um 70 Prozent bis 2021. Die Autolobby klatscht derweil vergnügt in die Hände. Natürlich nicht offen, lieber spricht man von „extremen“ Herausforderungen. Es gilt weiter: Die Umwelt wird nur sauberer, wenn der Wirtschaft klare Grenzen aufzeigt werden. • Frederic Beck


Sachsens Linke! 12/2017

Seite 12

DIE LINKE im Bundestag

„Für augenblickliche Gewinne verkaufe ich die Zukunft nicht“ Rede von Caren Lay auf der Protestkundgebung gegen die Siemens-Werksschließung in Görlitz am 29. November 2017 Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Siemens-Management hat angekündigt, 6.000 Arbeitsplätze abzubauen. Die Hälfte davon in Deutschland. Den Osten würde es besonders hart treffen, mit den Werken in Leipzig, Erfurt und hier in Görlitz. 960 Arbeitsplätze sollen allein hier abgebaut werden, das ist eine einzige Unverschämtheit! Diese Konzernleitung hat offenbar je-

des Maß verloren. Der Siemens-Konzern fährt derzeit Rekordgewinne von sechs Milliarden ein – und gleichzeitig sollen diejenigen, die diese Milliardengewinne mit ihrer Arbeit erwirtschaften, auf die Straße gesetzt werden und ihr Einkommen verlieren?! Das ist doch die reine Habgier, das ist herzlos und unmenschlich und das lassen wir nicht zu!

Stellenausschreibung Mitarbeiter/in der Landesgruppe Sachsen DIE LINKE im Bundestag für die Region Leipzig Die sächsischen Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE im Bundestag haben sich in der 19. Legislaturperiode zu einer Landesgruppe zusammengeschlossen, um landesspezifische Themen und Interessen in Berlin gemeinsam besser vertreten zu können. Für die Region Leipzig suchen wir ab 1. Februar 2018 eine Regionalmitarbeiterin/einen Regionalmitarbeiter.

Das Werk hier in Görlitz schreibt schwarze Zahlen. Eine Rendite, nach der Rendite sich andere die Finger lecken würden! Hier wird gesagt: Das reicht uns nicht! Es müssen über zehn Prozent sein. Was ist das nur für eine Habgier?

Aber Euch will ich auch sagen: Appelle an den Konzern sind das eine – wenn überparteilich, umso besser. Wir können als Politiker ein Gesetz machen, ein gutes Gesetz machen! Massenentlassungen müssen verboten werden! Das wird die Linksfraktion noch im De-

Der Siemens-Gründer war da schlauer. Werner von Siemens sagte: „Für augenblickliche Gewinne verkaufe ich die Zukunft nicht.“ Es wäre gut, wenn sich die derzeitige Konzernleitung an die Werte des Gründers erinnern würde. Denn: Die Arbeit im Unternehmen leisten nicht die Aktionäre, sondern die Beschäftigten, liebe Kolleginnen und Kollegen! Und Bombardier ist nicht besser! Leiharbeiter wurden schon entlassen, und die Stammbelegschaft muss weiter um ihre Zukunft bangen.

zember in den Bundestag einbringen und im Landtag machen wir eine Aktuelle Stunde! Ich hoffe bei den anderen Parteien auf Zustimmung, denn nur gemeinsam können wir Entlassungen und Werksschließungen stoppen.

Zu ihren / seinen Aufgaben gehören u.a.: • selbstständige Organisation und Vernetzung der Arbeit als Regionalmitarbeiter_in in Abstimmung mit den regionalen MdB-Büro der Landesgruppenmitglieder und den Büros unserer Landtagsabgeordneten, sowie mit dem Büro der Landesgruppe Sachsen (Koordinator) • Mitwirkung an Konzepten und Ideenentwicklung für landesweite oder regionale Aktivitäten des öffentlichen Wirkens und deren Umsetzung (Touren etc.) • Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von parlamentsbezogenen Veranstaltungen und Terminen in der Region • Kontaktpflege, Kommunikation und Kooperation mit regionalen Organisationen und Verbänden sowie mit Gliederungen der Partei DIE LINKE • Kontaktpflege zu Bürgerinnen und Bürgern, Bearbeitung von Bürgerinnenund Bürgeranfragen • Organisation und Begleitung von Informationsfahrten nach Berlin • regionale Pressearbeit, Herstellung und Pflege von Medienkontakten, Mitarbeit bei der Erstellung von Publikationen Von der Bewerberin/dem Bewerber erwarten wir: • abgeschlossene Berufsausbildung oder Studium • einen kommunikativen, selbstständigen und teamfähigen Arbeitsstil • ausgeprägte Motivation und Eigeninitiative, Organisationsfähigkeit und Kreativität, • sehr gute Kenntnisse der politischen Strukturen und Arbeit in der Region sowie eine gute politische Vernetzung in der Region • Erfahrung in der regionalen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit • einen sicheren Umgang mit modernen Kommunikationstechniken • politisches Denken und Identifikation mit den politischen Grundwerten der Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE. • KfZ-Fahrerlaubnis ist von Vorteil Geboten werden: • ein auf das Ende der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages befristetes Beschäftigungsverhältnis • 2.100 Euro brutto für eine Teilzeitstelle mit regelmäßiger Wochenarbeitszeit von 24h • regelmäßiger Arbeitsort Region Leipzig Ihre aussagekräftige Bewerbung mit den vollständigen Unterlagen richten Sie bitte bis zum 6. Januar 2018 an Sören Pellmann, Sprecher der Landesgruppe Sachsen – entweder per E-Mail (max. 2 MB) an soeren.pellmann@bundestag.de oder per Post an DIE LINKE im Bundestag, MdB Sören Pellmann, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Ihr Ansprechpartner für Fragen zu dieser Stellenausschreibung ist: Marko Forberger (Koordinator der Landesgruppe), Telefon: 0163/3846548

Ich finde es großartig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Ihr zusammen kämpft, gemeinsam mit der IG Metall, und ich darf Euch versichern: DIE LINKE steht an eurer Seite! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir LINKE fordern die Konzernleitung auf: Diese frechen und unanständigen Schließungspläne müssen vom Tisch! Es braucht Verantwortung für die Region, für den Osten! Wir fordern von der Bundesregierung: Macht endlich Druck auf die Konzerne!

Glück auf!

Neuer Landesgruppen-Sprecher Sören Pellmann ist der neue Sprecher der sächsischen Landesgruppe der LINKEN-Bundestagsabgeordneten. Die sechs Mandatsträgerinnen und Mandatsträger wählten den Leipziger Direktwahl-Sieger am 24. November an die Spitze ihres Zusammenschlusses. Pellmann folgt auf Dr. Axel Troost, der den Sprung ins Parlament leider nicht erneut geschafft hatte.


Kommunal-Info 10-2017 5. Dezember 2017 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Online-Handel Auswirkungen des Onlinehandels in den Städten Seite 2

Gebietsreformen Überlegungen zu Fusionen von Gemeinden und Landkreisen Seite 3

SSG-Positionspapier Schlussfolgerungen aus neueren Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung Seite 4

Veranstaltungen 2018 Im Januar 2 Veranstaltungen zu „Lust auf Stadtrat - Misch Dich ein!“ Seite 4

Räum- und Streupflicht im Winter

Mit Beginn jedes Winters steht die Frage der Räum- Streupflicht für die Anwohner und für die Kommunen gleichermaßen. Kommt es bei unzureichender Räum- Streupflicht zu einem Unfall, stellt sich dann die Frage, wer die Haftung zu übernehmen hat.

Winterdienst in Sachsen

Für den Winterdienst sind auf den öffentlichen Straßen innerhalb der geschlossenen Ortslage nach Sächsisches Straßengesetz (SächsStrG) grundsätzlich die Gemeinden zuständig. Nach § 51 Abs. 4 SächsStrG sind diese Straßen nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit der Gemeinden vom Schnee zu räumen und bei Schnee- und Eisglätte zu streuen, soweit dies zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlich ist. Der Umfang des von der Gemeinde zu leistenden Winterdienstes wird im Wesentlichen von ihrer Leistungsfähigkeit bestimmt. Eine allgemeine Räum- und Streupflicht für die Fahrbahnen aller Gemeindestraßen besteht nicht (VG Dresden, Beschluss vom 29.01.2009-3 L 1922/08). Die Reinigungspflicht umfasst nach § 51 Abs. 3 auch die Verpflichtung, die Gehwege und Überwege für Fußgänger vom Schnee zu räumen und bei Schnee- und Eisglätte zu streuen. Soweit in Fußgängerzonen und in verkehrsberuhigten Bereichen Gehwege nicht vorhanden sind, gilt als Gehweg ein Streifen von 1,5 m Breite entlang der Grundstücksgrenze. Überdies sind die Gemeinden nach § 51 Abs. 5 berechtigt, durch Satzung die Verpflichtung zur Reinigung ganz oder teilweise den Eigentümern oder Besitzern der durch öffentliche Straßen erschlossenen Grundstücke aufzuerlegen oder sie zu den entsprechenden Kosten heranzuziehen.

Für den Winterdienst auf Bundesund Landesstraßen sind seit der Kreisgebietsreform die Landkreise zuständig. Der Winterdienst auf den Autobahnen erfolgt durch die Autobahnmeistereien des Landes. Grundsätzlich bestimmt § 9 des SächsStrG, dass das Schneeräumen und das Streuen bei Schnee- oder Eisglätte nicht zur Aufgabe der Straßenbaulastträger (Land, Landkreise, Gemeinden) gehört. Jedoch sollen die Träger der Straßenbaulast nach besten Kräften die öffentlichen Straßen von Schnee räumen und bei Schnee- und Eisglätte streuen. Ein Rechtsanspruch darauf besteht nicht. Außerdem ist beim Streuen der Einsatz von Auftausalzen und anderen Mitteln, die sich umweltschädlich auswirken können, so gering wie möglich zu halten.

Haftungsrisiken für Gemeinden

Bei Verletzungen der Räum- und Streupflicht können für Gemeinden erhebliche Haftungsfolgen eintreten. Ersatzansprüche gegen die Gemeinde bestehen dann nicht, wenn bereits auf die Straße aufgebrachtes Streugut aufgewirbelt wird und es dabei zu Schäden an Kraftfahrzeugen führen. Die Gemeinde haftet hier nicht; der Fahrer hätte seine Geschwindigkeit der Straßenlage und der Streusituation anpassen müssen. Haftungsrisiken können jedoch dann bestehen, wenn Streumittel bei dem Betrieb des Streufahrzeuges ausgebracht werden und hierbei Schäden an fahrenden oder stehenden Fahrzeugen entstehen. Autofahrer müssen bei winterlichen Straßenverhältnissen mit entgegenkommenden Räumfahrzeugen rechnen, und auf schmalen Straßen auch damit, dass das Räumschild etwas über die Straßenmitte ragt. Sie müssen die Fahrweise auf diese Möglichkeit ein-

stellen, müssen bei einer Kollision mit einem Schneepflug möglicher Weise den Schaden selbst tragen und für den Fremdschaden haften (LG Coburg, Urteil vom 02.05.2001-11 O 780/00). Allgemeine Schadensersatz- und Amtshaftungsansprüche bestehen ferner, wenn es wegen nicht ordnungsgemäß durchgeführtem Winterdienst zu Personen- oder Sachschäden kommt. Stürzt z.B. ein Fußgänger bei Glatteis auf einer Straße, weil die Stadt die ihr obliegende Streu- und Räumpflicht nicht ausreichend erfüllt hat, ist die Stadt dazu verpflichtet, der Krankenkasse die ärztlichen Behandlungskosten zu 50% zu erstatten (LG Magdeburg, Urteil vom 08.09.2010-10 O 458/10). Haftungsrisiken für die Gemeinden können sich auch aus Folgeerscheinungen (Schlaglöcher, Rohrleitungsschäden) ergeben. Auch das Aufhängen von Warnschildern mit dem Hinweis, dieser Weg werde nicht geräumt, befreit grundsätzlich nicht von der Räum- und Streupflicht und damit der Haftung. Amtshaftungs- und Schadensersatzansprüche bestehen daher sowohl bei nicht ordnungsgemäß durchgeführtem Winterdienst durch die Gemeinde selbst als auch bei der Verletzung der den Gemeinden obliegenden Kontroll- und Überwachungspflichten sowie der allgemeinen Straßenverkehrssicherungspflicht.

Verantwortung für Anlieger und Mieter

Wenn die Gemeinde die RäumStreupflicht an die Hauseigentümer der anliegenden Straße überträgt, kann der Hauseigentümer wiederum die Räum- und Streupflicht durch Regelung im Mietvertrag oder durch die Hausordnung auf den Mieter abwälzen (LG Karlsruhe, Urteil vom 30.05.2006, Az.

2 O 324/06). Jedoch kann der Vermieter die Mieter nicht einfach per Hausordnung zum Winterdienst verpflichten. Dazu bedarf es einer privat-rechtlichen Regelung im Mietvertrag. Soweit im Mietvertrag lediglich steht, dass „alle behördlichen und polizeilichen Pflichten zu beachten“ sind, wäre das zu unbestimmt (LG Stuttgart, Urteil vom 27.01.1988, Az. 5 S 210/87). Wird die Winterpflicht ausdrücklich auf den Mieter übertragen, so darf der Vermieter grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Mieter seiner Pflicht auch nachkommt. Er hat zu beachten, dass ihn weiterhin eine Überwachungspflicht trifft (OLG Dresden, Beschluss vom 20.06.1996, Az. 7 U 905/96). Der Vermieter muss zudem kontrollieren und darauf achten, dass der Mieter seiner Winterpflicht auch tatsächlich nachkommt (LG Waldshut-Tiengen, Urteil vom 30.06.2000, Az. 1 O 60/00). Kommt der Mieter seine durch Mietvertrag oder Hausordnung übertragenen Pflichten nicht nach, so haftet er für eingetretene Schäden etwa bei einem Sturz infolge der Vernachlässigung der Streupflicht. Für die Übertragung der Räum- und Streupflichten auf Mieter gibt es aber auch Grenzen. So müssen z.B. gebrechliche Senioren dem Winterdienst nicht nachkommen Auch, wenn Mieter aus gesundheitlichen Gründen diese Arbeiten nicht mehr erledigen können und weder private noch gewerbliche Dritte zur Übernahme der Arbeiten zu finden sind, besteht keine Pflicht zum Winterdienst (LG Münster, Urteil vom 19.02.2004, Az. 8 S 425/03). Ist im Mietvertrag keine Regelung enthalten, zu welchen Zeiten der Winterdienst vorgenommen werden muss und gibt die örtliche StraßenreiniFortsetzung auf folgender Seite


Kommunal-Info 10/2017

Seite 2

Auswirkungen des Online-Handels auf die Städte Eine Studie zum Online-Handel in deutschen Städten zeigt mögliche räumliche Auswirkungen, gibt Handlungsempfehlungen zu Instrumenten und Stategien, durch die die Entwicklung in den Zentren positiv gestaltet und gesteuert werden kann. Die Studie wurde vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) gemeinsam mit den Partnern BBE Handelsberatung und elaboratum, München, im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) sowie des Handelsverband Deutschland (HDE) erarbeitet. Die Städte sind seit jeher Zentren wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Aktivitäten. Unter den verschiedenen städtischen Funktionen kam und kommt dem Handel dabei eine besondere Rolle zu. Bedeutsame Veränderungen der Orte des Handels wurden damit immer von Auswirkungen auf die Stadt, die Stadtgestalt und die Lebensqualität in den Städten begleitet. Seit mehr als 15 Jahren wird über die Auswirkungen des Online-Handels diskutiert. Mittlerweile zeigt sich, dass der Trend zum Online-Handel eine zunehmend größere Dynamik entfaltet und sich damit sehr vielschichtig auf Stadt und Raum auswirkt. Der Online-Handel ist jedoch nicht der Auslöser für Probleme des stationären Handels. Dazu haben beispielsweise auch die teils überdimensionierten Flächenausweisungen der vergangenen Jahr(zehnt)e beigetragen, insbesondere an nicht-integrierten Standorten. Der Online-Handel ist jedoch ein wichtiger Trendverstärker. Zu den weiteren Einflussfaktoren zählen der demografische Wandel, der Wertewandel sowie die Dynamiken des Immobilienmarktes. Der Online-Handel wächst weiter. Nach HDE-Daten lag der Gesamtumsatz 2016 bei 44 Milliarden Euro und wies damit ein Plus von elf Prozent gegenüber dem Vorjahr auf. In einigen Bereichen ist die Wachstumsdynamik

geringer geworden, beispielsweise bei Unterhaltungselektronik und Büchern. In anderen Warengruppen beginnt das Wachstum hingegen gerade erst, zum Beispiel beim Heimwerkerbedarf oder Autozubehör. Weitgehend offen ist noch die Frage, wie sich der Online-Einkauf von Lebensmitteln vermutlich entwickeln wird. Prognosen zur weiteren Entwicklung des Online-Handels sind schwer vorauszusagen. Je nach Branche werden die Entwicklungen sehr unterschiedlich verlaufen. Auch für Stadtgrößen lassen sich keine eindeutigen Aussagen treffen. Zu unterschiedlich sind die jeweils individuellen Voraussetzungen einer Stadt durch ihre Lage im Raum, ihr regionales Umfeld, ihr touristisches Potenzial oder Akteurskonstellationen innerhalb der Stadt. Diese individuellen Ausgangslagen können dazu beitragen, dass eine Großstadt im Handelsbereich nicht richtig „funktioniert“ oder eine Mittelstadt ein vitaler Handelsstandort bleibt. Mehrheitlich werden jedoch Großstädte, die das vielfältigste und differenzierteste Handelsangebot aufweisen, auch künftig „feste Anker der Handelslandschaft“ sein. Für den Erlebniseinkauf werden weiterhin Ausflüge in die Innenstädte gemacht werden. Dafür ist ein möglichst breit gefächertes und vollständiges Branchenprofil wichtig, das ein attraktives Einkaufserlebnis verspricht. Auch stagnierende bis schrumpfende Großstädte werden Trading-Down-Prozessen infolge der Abwanderung von Handelsbetrieben und der Ausdünnung der Handelslandschaft zumindest im innerstädtischen Kern eine gewisse Zeit widerstehen. Sie können aufgrund ihrer Größe von mehr „Substanz“ zehren. Grundsätzlich wird für Mittelstädte eine größere Gefährdung durch Leerstände gesehen. Die Einschätzungen gehen allerdings weit auseinander. Sie reichen von „klare Verlierer des Strukturwandels“ bis hin zu „starke Standorte für Handelswachstum“, da sie in einem weitgehend gesättigten Markt noch Expansionsmöglichkeiten bieten.

Für Kleinstädte werden mehrheitlich weitere Nachfrageverluste und eine Verschärfung der Leerstandsproblematik erwartet. Diese Angebotslücken kann der Online-Handel zunehmend schließen. Online-Angebote können unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. Logistik, Profitabilität) eine Alternative in der Versorgung darstellen. Städte und Gemeinden sind in vielfältiger Art und Weise aktiv, um die Rahmenbedingungen für attraktive Innenstädte und Stadtteilzentren positiv zu gestalten. Überwiegend handelt es sich dabei nicht um grundlegend neue und am Online-Handel ausgerichtete Aktivitäten. Neu sind allerdings der Handlungsdruck für bestimmte Akteure, ihre Rolle in der Gestaltung von Stadt und Handel und die Notwendigkeit einer intensiveren Kooperation. Die vorhandenen Instrumente müssen anders eingesetzt und um Bausteine, die die aktuellen Herausforderungen berücksichtigen, erweitert werden. Die Handlungsmöglichkeiten umfassen regulativ-planerische, investive ebenso wie eher weiche, kooperativ-kommunikativ angelegte Instrumente. Sie reichen von der Erarbeitung von Einzelhandels- und Zentrenkonzepten, über Marketingaktivitäten, die Verbesserung der Erreichbarkeit und die Gestaltung des öffentlichen Raums bis hin zur Entwicklung von Online-Stadtportalen. Vor allem Maßnahmen im öffentlichen Raum, die dazu beitragen, Innenstädte, Stadt- und Ortsteilzentren so interessant zu machen, dass Menschen sich dort gern aufhalten, gelten als notwendig und wichtig. Das Stärken des Wohnens in den städtischen Zentren ist eine wichtige Maßnahme, um Innenstädte attraktiver zu gestalten. Auch andere Nutzungen, jenseits des Handels, werden zunehmend diskutiert. Gefragt ist auch der Einzelhandel selbst. Hier geht es vor allem um eine ansprechendere Gestaltung der Ladenfronten und Schaufenster, aber auch um mehr Service, geschultes Personal und eine aktivere Nutzung der Chancen der Digitalisierung, etwa im Hinblick

auf Prozessverbesserungen in der Warenwirtschaft, Internetangebote, Online-Marketing oder Kundenbindung. Die Immobilienwirtschaft ist ein wichtiger Akteur in Fragen der Innenstadtgestaltung, der mit seinen spezifischen Interessen oft nicht einfach einzubinden ist. Instrumente wie Business Improvement Districts (BID), die darauf zielen, auch Immobilieneigentümer zu einer anteiligen Mitfinanzierung von Maßnahmen der Stadtgestaltung zu verpflichten, können hierbei ein wichtiges Instrument sein. Gewerberecht und Planungsrecht bestimmen den rechtlichen Rahmen, an den sich stationärer und Online-Handel halten müssen. Für die öffentliche Hand wird immer wieder ein großer Handlungsbedarf im Planungsrecht auf einem bisher kaum bearbeiteten Handlungsfeld wahrgenommen. Festgestellt wird allerdings auch: Online-Handel entzieht sich der kommunalen Steuerung. Aber auch andere Rechtsbereiche wie das Gewerberecht (Ladenschlussgesetz, Europarecht mit einem Abbau von Hürden im grenzüberschreitenden Handel) sind für den Abbau der Unterschiede zwischen stationärem und Online-Handel mindestens ebenso entscheidend. Das komplexe Wirkungsgefüge und die damit verbundenen Herausforderungen können, dies macht die Studie deutlich, nur durch Strategien einer integrierten Stadtentwicklungspolitik mit dem Ziel der Gewährleistung einer gemeinwohlorientierten Zukunft für die Städte erfolgreich bewältigt werden. Das Thema „Einzelhandel“, analog und digital, muss dabei seiner zentralen Bedeutung entsprechend gewürdigt werden. Dies gilt für die Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunen gleichermaßen. Die Studie kann heruntergeladen werden unter: www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Veroeffentlichungen/BBSROnline/2017/

Fortsetzung von Seite 1

So bestehe etwa bei Eisregen nicht die Pflicht, den ganzen Tag über zu räumen und zu streuen (OLG Schleswig 11 U 14/00 und OLG Karlsruhe 7 U 237/07). Hingegen verlangte das LG Hamburg (309 S 234/97) vom Vermieter bei gefrierenden Regen außergewöhnliche Anstrengungen zur Gefahrenbeseitigung zu unternehmen. Gegebenenfalls müsse auch mehrfach hintereinander gestreut werden, wenn die Wirkung des Streugutes infolge außergewöhnlicher Witterungsverhältnisse nur kurze Zeit anhalte, wie zum Beispiel anhaltender Niederschlag auf unterkühltem Boden, (BGH Urteil vom 27.11.1984 Az.: VI ZR 49/83). Allerdings müsse auch nicht fortlaufend gestreut werden. Der Streupflichtige müsse erst dann wieder streuen, wenn die Witterungsverhältnisse nicht so außergewöhnlich sind, dass wiederholtes Streuen sinn- oder zwecklos ist (BGH, Urteil vom 27.11.1984, Az. VI ZR 49/83). Auch muss der Gehweg nicht in seiner gesamten Breite von Schnee oder

Eis befreit werden. Es genügt, wenn ein schmaler Streifen von etwa 80 bis 120 cm frei gemacht wird, so dass 2 Personen gefahrlos aneinander vorbeigehen können (BGH, Urteil vom 09.10.2003, Az.: III ZR 8/03). Die Haftung richtet sich danach, wer die Verkehrssicherungspflicht innehatte. Anspruchsgegner können daher die zuständige Gemeinde, der Hauseigentümer oder der Mieter sein. Stürzt ein Mieter besteht darüber hinaus eine Haftung des Pflichtigen aus Vertrag, da der Winterdienstvertrag zwischen Vermieter und Reinigungsfirma Schutzwirkungen für die im Haus wohnenden Mieter entfaltet (BGH, Urteil vom 22.01.2008, Az. VI ZR 126/07). Ein Haftungsausschluss durch Aufstellen eines Warnschildes („Privatgrundstück“, „Betreten und Befahren auf eigene Gefahr“, „Betreten verboten“) ist nicht möglich. Die Verkehrssicherungspflicht bleibt weiter bestehen. Allerdings ist das Vorhandensein eines solchen Schildes im Rahmen des Mitverschuldens zu berücksichtigen (OLG

Saarbrücken, Urteil vom 20.07.2004, Az. 4 U 644/03 -116). AG Quellen: www.urteile-zum-winterdienst.de https://publicus.boorberg.de/kommunaler-winterdienst/

Räum- und Streupflicht ... gungssatzung ebenso keine Auskunft darüber, so gilt das allgemein übliche. Danach besteht vor Einsetzen des üblichen Tageswerkes gegen 7.00 Uhr keine Räum- und Streupflicht (OLG Koblenz, Beschluss vom 28.03.2008, Az. 5 U 101/08). An Sonn- und Feiertagen muss nicht vor 9.00 Uhr gestreut werden (OLG Oldenburg, Urteil vom 28.09.2001, Az. 6 U 90/01). Die Pflicht endet um 20.00 Uhr (BGH, Urteil vom 02.10.1984, Az. VI ZR 125/83). Bestehen jedoch konkrete Anhaltspunkte für eine Glatteisbildung ist eine vorbeugende Streuung auch außerhalb dieses Zeitrahmens notwendig (OLG Brandenburg Urteil v. 18.01.2007–5 U 86/06).

Verhältnismäßigkeit und Haftung

Bei der Räum- und Streupflicht besteht auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Allerdings gibt es hierzu keine einheitliche Rechtsprechung.

aus: Difu-Berichte, Nr. 2/2017

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushalts finanziert.


Kommunal-Info 10/2017

Seite 3

Wie groß ist groß genug?

Überlegungen zu Fusionen von Gemeinden und Landkreisen Von Lars Kleba1 Gebiets- und Strukturreformen werden regelmäßig mit der Möglichkeit von Ausgabensenkungen, Effizienzsteigerungen und einer Professionalisierung der Verwaltung begründet. Studien und vor allem gelebte Erfahrungen weisen allerdings auf Gegenteiliges hin. In den letzten Monaten und Jahren wurden in Brandenburg und Thüringen jeweils Gemeinde- und Kreisgebietsreformen diskutiert. Befürworter der Reform verweisen in beiden Ländern zumeist auf den künftig zu erwartenden Bevölkerungsrückgang, der ohne eine Vergrößerung der politischen Strukturen zu steigenden Pro-Kopf-Ausgaben führen könnte. Beide Länder haben seit fast 25 Jahren ihre Kreisstruktur nicht verändert. Umso größer ist heute der Widerstand. Brandenburg hat bereits die Notbremse gezogen und die Pläne bereits vor der Umsetzung gestoppt. Immer mehr Studien weisen darauf hin, dass Gebietsreformen mit substanziellen politischen Kosten, z. B. einer sinkenden Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen, einhergehen. Seit 1990 wurde die bestehende demokratische Basis des Staates in über 20.000 deutschen Dörfern aufgelöst2. Man hat ihnen Gebietsreformen aufgezwängt und damit Selbstverantwortung mit Bürgermeister und Gemeinderat genommen. Dörfer - als kleinste Einheit von Gemeinden - verloren durch die Gebietsreformen ihre eigene demokratische Kraft und damit auch das Selbstwertgefühl, für ihr Dorf Kompetenz zu besitzen und verantwortlich zu sein. Im Zuge von Gebietsreformen wurden über 300.000 ehrenamtlich tätige Kommunalpolitiker*innen entlassen. Damit wurde ihnen signalisiert, dass ihr lokales Denken, Fühlen und Handeln nicht mehr gebraucht wird. Dies führt zu Resignation, Frust und sicherlich auch Enttäuschung. Der Staat – in Gestalt von Bund und Ländern – ist ein wesentlicher Mitverursacher der gereizten Stimmung und Resignation auf dem Lande. Er bringt den Dörfern und Landgemeinden zu wenig Anerkennung, finanzielle Unterstützung und gestalterische Freiräume. Das Subsidiaritätsprinzip im Staatsaufbau ist bereits weitgehend ausgehöhlt, und dieser Trend setzt sich weiter fort. Auf dem Lande hat in den letzten Jahrzehnten eine zweifache Entmündigung kommunaler Instanzen stattgefunden. Die Entmündigung der Kommunen zeigt sich erstens in rechtlichen, planerischen und finanziellen Reglementierungen. Inzwischen sind etwa 90 % der kommunalen Ausgaben durch staatliche Gesetze und Richtlinien festgelegt. Die fehlende freie Spitze kom-

munaler Finanzplanung zwingt zweitens viele Kommunen zu verstärkter Schuldenaufnahme. In der ländlichen Kommunalpolitik dominiert in der Summe das Gefühl der Geringschätzung und Bevormundung durch die hohe Politik. Fährt man durch und übers Land, so ist seit Jahren ein Ausbluten der Dörfer zu beobachten. Und dass obwohl das Landleben ziemlich „in“ ist. Aber unsere Dörfer sind leerer geworden: an Menschen, an Betrieben und Arbeitsplätzen, an Schulen, Gasthöfen, Läden, Banken und an Angeboten für Kinder und Jugendliche. Das Fazit: die Jugend wandert ab, die Älteren bleiben allein zurück. 1990 startete der Freistaat Sachsen mit 48 Landkreisen und sechs kreisfreien Städten in die Nachwendezeit. Schon 1994 kam die erste Reform und der Zusammenlegung auf 22 Landkreise und 7 kreisfreie Städte. Bereits zu diesem Zeitpunkt gab es viele gerichtliche Widerspruchsverfahren. Im Jahr 2008 kam der vorerst letzte Schnitt. Das Ergebnis sind die heute bekannten zehn Landkreise sowie Dresden, Leipzig, und Chemnitz als kreisfreie Städte. Ist dieser Zuschnitt mit den 10 Landkreisen eine arbeitsfähige Struktur? Oder erweisen sie sich als zu groß für Ehrenämter in der Kommunalpolitik? Wie können sich die Einwohner der Dörfer ganz konkret einmischen und Politik in ihrem Ort mitbestimmen? Haben sie dazu Gelegenheit? Können Sie sich im Kreistag einmischen? Je größer die Kreise, desto schwie-

riger ist es für einzelne Gemeinden, ihre Interessen im Kreistag zu wahren. Ein Kreistag der vielleicht 6 x im Jahr zusammenkommt und mit wechselnden Tagungsorten weit weg vom eigentlichen Geschehen ist? In Gemeinden, die zusammengelegt wurden, geht die Wahlbeteiligung runter. Und bleibt etwa gleich in Gemeinden, die nicht fusioniert wurden. Menschen wollen sich mit ihren Orten, mit ihrem zu Hause identifizieren. Sie kennen meist jede Ecke und jeden Strauch und wissen auch wo die Schuhe drücken. Dass diese Identität gerade im Osten wichtig ist, zeigt allein die Tatsache, dass es hier besonders viele Anträge für die „alten Autokennzeichen“ gibt. Heimatliebe wenigstens auf dem Nummernschild erhalten, könnte man hier vermuten, wenn man vor allem in Sachsen aber eben auch in Brandenburg immer wieder Autokennzeichen aus den frühen 90er Jahren sieht, deren Kreisgrenzen seit Jahren nicht mehr existieren. Der Wirtschaftswissenschaftler Felix Rösel vom Dresdener ifo-Institut hat sich ausführlich mit Gebietsreformen beschäftigt und dort u.a. das Wahlverhalten von Gemeinden verglichen, die sich nach der Gebietsreform in unterschiedlich großen Kreisen wiederfanden. Mit dem Ergebnis, dass „die, die in einem etwas größeren Kreis gelandet sind: Dort wird signifikant mehr AfD gewählt als in den Nachbargemeinden, die fast genau gleich sind.“3 Das Aufgehen in größeren Strukturen, so das Fazit, bringt eine gewisse

Unseren Leserinnen und Lesern wünschen wir eine frohe Weihnachtszeit und alles Gute für das neue Jahr 2018 !

Heimatlosigkeit mit sich. Das Unbehagen, im Parlament nicht mehr ausreichend vertreten zu sein: „Je größer ein Landkreis wird, desto weniger ist die einzelne Gemeinde, der einzelne Wähler, fühlt sich repräsentiert vom Kreistag. Und da nimmt die Zufriedenheit mit der Demokratie ab. Und das treibt die Leute in Richtung Populisten.“ Unser Land muss investieren, und das vor allem in Herz und Hirn. Aber auch in eine Politik, die Kinder und Jugendliche und alle Einwohner an den sie betreffenden Entscheidungen sinnvoll beteiligt, zum Beispiel in der Stadtentwicklung, beim ÖPNV, aber auch in Schule, Kultur, Sport oder im Jugendclub. Partizipation ist nicht nur für junge Menschen gut, sondern würde durch Transparenz und gelebte Demokratie unsere Gesellschaft auf allen Ebenen stärken. Dörfer und keine Gemeinden brauchen eine eigenverantwortliche, selbstbestimmte Zukunft um eine lebendigen Landleben zu gestalten. Je mehr die Menschen ihren Lebensraum gestalten können, desto attraktiver wird er auch für andere. —— 1 Lars Kleba, ist stellvertretender Vorsitzender des Kommunalpolitischen Forum Sachsen und lebt zeitweise auf’m Dorf und in einer Großstadt 2 siehe auch https://www.gerhardhenkel.de/neu-rettet-das-dorf/ 3 http://www.mdr.de/nachrichten/ politik/regional/gebietsreformen-studie-ifo-100.html


Kommunal-Info 10/2017

Seite 4

Positionspapier des SSG Positionspapier des Sächsischen Städte- und Gemeindetages zur Bevölkerungsentwicklung

Im Herbst 2012 hatte der Landesvorstand des Sächsischen Städte- und Gemeindetages (SSG) ein umfassendes Zukunftsbild „Kommune 2020“ beschlossen. Nun wurde im Oktober 2017 Ein neues Positionspapier vorgelegt, wo das Zukunftspapier aus 2012 in einzelnen Teilen fortgeschrieben werden soll. Anlass ist zunächst die 6. Regionalisierte Bevölkerungsprognose des Statistischen Landesamtes. Danach schrumpft die Bevölkerung insgesamt langsamer als bisher vorausgesagt, der Anteil der älteren Menschen an der Gesamtbevölkerung steigt weiter und die Bevölkerung insbesondere der Kreisfreien Städte Dresden und Leipzig wächst stärker, als in bisherigen Prognosen vorausberechnet. Daneben haben sich seit 2012 einige Einschätzungen geändert oder Trends verstärkt, weshalb verbandspolitische Neujustierungen angezeigt seien. Zum Beispiel stellen neuere verwaltungswissenschaftliche Untersuchungen die bisherige politische Grundannahme im Freistaat Sachsen in Frage, wonach größere Kommunen per se zu wirtschaftlicheren Kommunalverwaltungen führen. Ferner stellt der zunehmende Trend zur Digitalisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Verwaltung auch die Kommunen vor größte Herausforderungen; der Breitbandausbau ist allenfalls ein Teil davon. Ein drittes Beispiel ist schließlich das Flüchtlingsaufkommen ab dem Jahr 2015, das im Jahr 2012 kaum vorhergesehen werden konnte und naturgemäß nach neuem Denken bei Integration, Arbeitsmarkt oder Bildung verlangt. Vom Freistaat Sachsen werde erwartet, dass er die Entscheidungsfreiheit und den Wettbewerb der Kommunen stärke und sich dort engagiert, wo

es sich um gemeinsame Herausforderungen handelt und bestimmte Aufgaben die Grenzen der kommunalen Leistungsfähigkeit übersteigen oder es das Verfassungsgebot der gleichwertigen Lebensverhältnisse erfordert. Es wird dafür plädiert, die gemeindlichen Gebietsstrukturen im ländlichen Raum zu erhalten. Die Gemeinden sollen frei und ohne Einflussnahme des Freistaates über freiwillige Gemeindezusammenschlüsse entscheiden können. Für freiwillige Gemeindezusammenschlüsse sollte es ein Förderprogramm aus Landesmitteln geben. Die schrumpfenden Städte und Gemeinden sollen durch einen geeigneten rechtlichen Rahmen und durch Fördermittel für Organisationsveränderungen dazu befähigt werden, ihren Einwohnern den Wachstumskommunen gleichwertige Verwaltungsdienstleistungen anzubieten. Dies soll in der Regel durch kommunale Zusammenarbeit gewährleistet werden. Durch

Vorschau auf Veranstaltungen 2018

„Lust auf Stadtrat - Misch dich ein!“ Im Frühjahr 2019 werden die nächsten Kommunalwahlen in Sachsen stattfinden. Dazu möchten wir für Neueinsteiger und Neugierige rechtzeitig Informationen anbieten und Fragen beantworten. Was passiert eigentlich im Stadtrat bzw. im Gemeinderat oder im Kreistag? Lohnt es sich, da vielleicht sogar mitzumachen und für die Wahl zu kandidieren? Kann Kommunalpolitik, die ja im Unterschied zur „großen Politik“ ganz nahe an den Problemen der Bürgerinnen und Bürger ist, vielleicht auch Spaß machen?

am 8. Januar 2018, 19 Uhr

in 04683 Naunhof Hotel Rosengarten, Nordstraße 22 und

am 18. Januar 2018, 19 Uhr

in 02826 Görlitz Hospi 30, Hospitalstraße 30

Transparenz und enge Einbindung in Entscheidungsprozesse werden die Heimatverbundenheit und Identifikation der Einwohner mit ihrer Gemeinde gestärkt. Es sei das Ziel dieser Position, den seit fast zwei Jahrzehnten auf den kleineren Städten und Gemeinden lastenden Druck zu nehmen, sich zu größeren Verwaltungseinheiten (Einheitsgemeinden) zusammenzuschließen. Zugleich sollen die Städte und Gemeinden im ländlichen Raum angeregt und befähigt werden, Verwaltungsdienstleistungen dauerhaft rechtskonform und wirtschaftlich gemeinsam zu erledigen, ohne die Aufgabenträgerschaft zu verlieren. Die bisherigen Gebietsreformen und das Leitbild für freiwillige Gemeindezusammenschlüsse im Freistaat Sachsen gingen von der Annahme aus, dass größere Verwaltungseinheiten zu Effizienzsteigerungen, zur Professionalisierung der Verwaltung sowie zu Ausgabenreduzierungen führen. Mittlerweile legen mehrere Studien nahe, dass frühere Gebietsreformen diese Ziele nicht erreicht haben (vgl. etwa Rösel, IFO 4/2016, Rosenfeld: „Gebietsund Verwaltungsstrukturen im Umbruch“, Akademie für Raumforschung und Landesplanung 2015). Stattdessen sind nachteilige Effekte festzustellen, wie z. B. ein Rückgang der Zufriedenheit mit der Gemeindeverwaltung sowie sinkende Wahlbeteiligungen bei Kommunalwahlen. Sofern die bisher unterstellten Effekte durch Gemeindezusammenschlüsse nicht eintreten, sollte die bisher im Freistaat Sachsen eingeschlagene Richtung überdacht werden. Die historisch gewachsenen Gemeinden sind in der Lage, den Menschen Heimat zu geben und Identität zu stiften. Bei neuen und größeren Einheitsgemeinden wird dies erst das Ergebnis eines Prozesses sein. Das gebietsreformerische Leitbild des Freistaates Sachsen, das bezogen auf das Jahr 2025 Gemeindemindestgrößen von 5.000 Einwohnern bzw. im Verdichtungsraum von 8.000 Einwohnern fordert, sollte aufgegeben werden. Rund 75 Prozent aller Städte und Gemeinden in Deutschland haben weniger als 5.000 Einwohner. Von der klei-

nen Gemeinde als „Auslaufmodell“ kann daher keine Rede sein. Sofern Gemeinden fusionieren, sollte dieses Ziel von innen kommen und den kommunalen Entscheidungsträgern nicht von außen nahegelegt werden. Um dauerhaft Verwaltungsangelegenheiten effektiv, effizient und bürgernah erledigen zu können, kommen kleinere und mittlere Städte und Gemeinden an einer stärkeren Kooperation aber kaum vorbei, z. B. in gemeinsamen Dienststellen i. S. v. § 71 Abs. 3 und 4 SächsKomZG. Angestrebt werden Kooperationsverbünde mit bis zu 15.000 Einwohnern. Zur Aufgabenverteilung zwischen den beteiligen Gemeinden werden keine Vorgaben gemacht, diese wird ausschließlich von der kommunalen Leistungsfähigkeit, dem Vermögen zur Personalgewinnung und ähnlichen Faktoren bestimmt. Bei den beteiligten Gemeinden verbleibt stets die Befugnis zum Erlass von Satzungen und Rechtsverordnungen (einschl. Bauleitplanung). Die gemeinsame Aufgabenerledigung zielt auf den sog. „back-office“-Bereich. Als Ansprechpartner für die Einwohner sowie für publikumsintensive Aufgaben werden weiterhin Verwaltungsstellen oder Bürgerbüros in den einzelnen Städten und Gemeinden vorgehalten. Es wird angestrebt, Bürgerbüros oder -läden nach Möglichkeit auch mit Dritten zu unterhalten, wie z. B. Sparkassen, Sozialversicherungsträgern oder privaten Postdienstleistern. Die Fortentwicklung der Gemeindeverwaltungen im Sinne des Konzepts „smart-village“ wird kurzfristig Mehrausgaben verursachen. Der Freistaat sollte die Veränderungsprozesse durch Fördermittel unterstützen. Der Freistaat wird aufgefordert, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Betrieb und die Unterhaltung von Bürgerbüros mit Dritten (z. B. Sparkassen, Sozialversicherungsträger, private Postdienstleister) in der kommunalen Praxis funktionieren kann. Das vollständige Positionspapier kann abgerufen werden unter: www.ssg-sachsen.de /uploads /media/1710_PosPapier_BE.pdf


November 2017

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

ParlamentsReport Sachsen in der Schwebe – wie geht‘s weiter? Liebe Leserinnen und Leser,

Siemens will nicht nur sein Kompressorenwerk in Leipzig-Plagwitz dichtmachen, sondern auch die traditionsreiche Turbinenfabrik in Görlitz. Sie produziert schon seit 1990 nicht mehr für Kraftwerke, die fossile Brennstoffe nutzen, sondern hat sich auf Industrieturbinen spezialisiert. Die arbeiten etwa in Solarkraftwerken und Papierfabriken. Ich habe mit vielen Beschäftigten und Fraktionskollegen in Görlitz gegen die Schließungspläne des Konzerns demonstriert. Unter dem Stellenabbau würden nicht diejenigen leiden, die vernünftige Managemententscheidungen zu spät oder gar nicht treffen. In Gefahr ist die Existenz jener werktätigen Menschen, ohne die Siemens nicht erfolgreich sein könnte. Ja: Ohne die kein Unternehmen erfolgreich sein könnte. Ich will mir nicht ausmalen, wie das die Familien der Beschäftigten in den Werken und in der Zulieferindustrie belastet, nicht nur an den Weihnachtsfeiertagen. Deshalb muss der öffentliche Druck für einen Erhalt der Siemens-Standorte in Sachsen erhöht werden. Wir unterstützen die Proteste vor Ort und machen zugleich Druck auf der landespolitischen Ebene. Für die Landtagssitzung am 13. Dezember haben wir eine Debatte zu den Siemens-Entscheidungen beantragt.

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

Bild: efa

am Beispiel Siemens kann jede und jeder erkennen, was den Kapitalismus ausmacht: Der Konzern verkündet einen Rekordumsatz von mehr als 80 Milliarden Euro, aus dem sich ein Gewinn nach Steuern von über sechs Milliarden Euro ergibt. Trotzdem sind in Sachsen mehr als 1.000 gut bezahlte Arbeitsplätze in Gefahr, die dringend gebraucht werden – insbesondere in der Region Görlitz, aber auch in Leipzig.

Im Dezember 2017 endet die Ära Tillich. Wahrscheinlich beginnt die Zeit seines Wasserträgers Michael Kretschmer. Wie lange sie währen wird, ist offen. Klar ist nur, dass unklar ist, was Kretschmer sich vorgenommen hat. Wie er das Kabinett umbildet wird auch darüber entscheiden, welche Finanzpolitik die „Staatspartei“ künftig verfolgt. Da ist der CDU-interne Streit um die Lehrkräfteverbeamtung nur ein Nebenschauplatz. Die Frage lautet: Rechnet sich der Freistaat weiter künstlich arm, stopft er am Parlament vorbei Milliarden in Rücklagen, lässt die Kommunen finanziell verdorren? Dann würden die nachfolgenden Generationen noch mehr draufzahlen. Finanzminister Unland hat immer größere Mühe, die sprudelnden Steuergeld-Quellen in politischen Sorgenfalten zu versenken. Wird nun investiert, und zwar nicht nur in Beton, sondern in Köpfe? Damit der Staat wieder handlungsfähig wird? Es ist keine Privatangelegenheit von Tillich und Kretschmer, Auswege aus der Misere zu finden. Die Linksfraktion drängt auf Lösungen. Die Debatte darüber gehört auch und vor allem ins Parlament. Zur November-Sitzung beantragten wir deshalb eine Regierungserklärung des Ministerpräsidenten. Denn auch wenn der bald anders heißt, muss die Regierung endlich handeln. Genug Lehrkräfte müssen her.

Überall muss das Wohnen bezahlbar und barrierefrei sein. Busse und Bahnen müssen auch auf dem Land verlässlich und zu einheitlichen Tarifen rollen. Ärzte und Krankenhäuser müssen uns alle gut versorgen können. Die Netzanbindung muss überall schneller werden. Polizei, Justiz und Strafvollzug müssen die öffentliche Sicherheit besser gewährleisten können. Die Demokratie muss gestärkt, die extreme Rechte zurückgedrängt werden. Die ostdeutsche Bevölkerung darf nicht länger benachteiligt werden. Tillich selbst war nicht da, er verhandelte mit chinesischen Kommunisten über wirtschaftliche Zusammenarbeit. LINKEN-Fraktionschef Rico Gebhardt kritisierte diese Reiseplanung hart: „In der Regel tagt das Parlament an zwei Tagen im Monat. Die Reise der Staatsregierung beginnt genau am Tag der Plenarsitzung. Es ist eine bodenlose Frechheit, wie hier mit dem Parlament umgegangen wird!“ Kein anderes Kabinettsmitglied gab eine Erklärung der Regierung ab. Gebhardt mahnte: „Das Land steckt in einer schweren politischen Krise. Es braucht eine handlungsfähige Regierung. Die innerparteilichen Querelen in der CDU dürfen nicht über dem Wohl des Landes stehen. Deswegen muss die Landesregierung sofort umgebildet werden und nicht erst im Dezember.“ Tillich habe Recht, wenn er sage: „Für

eine gute Zukunft Sachsens sind auch neue Antworten wichtig. Es braucht den Mut, gewohnte Bahnen zu verlassen.“ Allerdings kann er die CDU-Fraktion nicht gemeint haben. Deren Chef Frank Kupfer beeilte sich festzustellen: „Wenn wir jetzt eine 180-Grad-Wende machen würden, dann hieße das, wir haben 27 Jahre die falsche Politik gemacht. Das haben wir aber nicht.“ Tillich habe nun, so Gebhardt, scheinbar Verantwortung übernommen, und seine Partei meine deshalb, sie könne einfach weitermachen – also die Regierung nicht kontrollieren oder sie antreiben, sondern all ihre Entscheidungen prinzipiell mittragen. Sachsen brauche einen echten Neuanfang, so Gebhardt. Der sei mit Michael Kretschmer unmöglich. Der Freistaat sei trotz aller CDU-Proklamationen weit davon entfernt, allen gleichwertige Lebensverhältnisse zu bieten. „Die Staatsregierung verfügt über keine schlüssige Gesellschaftsperspektive, die über das Dogma von der Selbstregulierung durch die Märkte und die Politik des Zurückschneidens des Staates zugunsten des Marktes, den Abbau der Staatsverschuldung durch Senkung der Staatsausgaben, hinausweist.“ Die Christdemokraten müssten ihren Alleinvertretungsanspruch endlich aufgeben, die Zivilgesellschaft zum Zuge kommen lassen. Das wäre tatsächlich der Beginn einer neuen Ära.


Seite 2

PARLAMENTSREPORT

November 2017

Eine Krankenkasse für alle! Es gibt ein Rezept gegen zu hohe Krankenkassen-Beiträge: eine solidarische gesetzliche Krankenversicherung für alle. Im ersten Schritt sollen Beamte, Selbstständige und Freiberufler dorthin wechseln. Die Linksfraktion will die Staatsregierung beauftragen, in Berlin darauf hinzuwirken (Drucksache 6/8129). „Laut der Bertelsmann-Stiftung, die linker Umtriebe unverdächtig ist, ließ en sich neun von zehn Beamten gesetzlich versichern“, so die LINKE Gesundheits- und Sozialpolitikerin Sprecherin Susanne Schaper. Horrorszenarien, die öffentliche Hand müsse dann hohe Krankenkassenbeiträge zahlen, seien unredlich. Denn es würden weniger Beihilfen fällig. Es sei kein Wunder, dass die Privaten Krankenversicherungen gegen solche Pläne Sturm laufen. Schließlich bedrohen sie ihr Geschäftsmodell. Es sollte allerdings vor allem darum gehen, alle Menschen hochwertig medizinisch zu versorgen. „Bei der Privaten Krankenversicherung, für die das Risiko Gesundheit ein Geschäft sein muss, gerät das schnell ins Hintertreffen“, so Schaper. Es müsse Schluss sein mit der Rosinenpickerei und unnötigen Verwaltungsausgaben, die durch die zersplitterte Kassenlandschaft entstehen.

werden, und mit zunehmendem Alter steigen die Beiträge“, warnt die Gesundheitspolitikerin. Das Geschäftsmodell der Privaten wackle ohnehin, weil seit 2012 mehr Versicherte aussteigen als hinzukommen und die Finanzmärkte zu geringe Anlagezinsen hergeben. Luise Neuhaus-Wartenberg, Sprecherin für Handwerk und Mittelstand, wies auf besondere Probleme hin. „Eine große Gruppe der Selbständigen sitzt in der Falle.“ Wer, vor allem im Osten, nach 1989 im höheren Alter den Schritt in die Selbständigkeit wagen musste, sei wegen damals niedriger Beiträge oft in die private Krankenversicherung gegangen. Nun erzielen viele geringe Renten, und die Beiträge steigen stark. Tarife oder Anbieter lassen sich praktisch nicht mehr wechseln, der Weg in die gesetzliche Krankenversicherung ist versperrt. „Diesen Menschen bleibt nur, den Umfang der Leistungen zu reduzieren, Selbstbeteiligungen zu erhöhen, obwohl sie immer

stärker auf Versicherungsleistungen angewiesen sind. Im schlimmsten Fall verlieren sie den Versicherungsschutz.“ Auch wer selbstständig und freiwillig gesetzlich versichert sei, gerate schnell mit den Beiträgen in den Rückstand. Die würden nach Regeln der westdeutschen Arbeitswelt des vorigen Jahrhunderts und anhand hoher fiktiver Einkommen berechnet. Die tatsächlichen Einkünfte seien oft niedriger und schwankten. „Nötig sind passgenaue Kriterien der Beitragsbemessung“, so Neuhaus-Wartenberg. Eine solidarische Versicherung gewährt allen die nötigen Leistungen, während alle entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit einzahlen. Dazu müssten alle Einkommensarten, auch Kapitaleinkünfte, herangezogen werden und die „Beitragsbemessungsgrenze“ von 4.350 Euro im Monat fallen, von der nur Besserverdienende profitieren. Die Kasse für alle hätte eine breitere Einnahmebasis – die Beiträge könnten sinken.

Bild: Techniker Krankenkasse / flirckr.com / CC BY-NC-ND 2.0

Die gesetzliche Krankenversicherung überstand Weltkriege und Wirtschaftskrisen, weil sie nicht den Risiken der Finanzmärkte ausgesetzt ist. Bei ihrer Einführung 1883 ging es dem von der Sozialdemokratie geängstigten Kaiser vor allem darum, Arbeiter im Krankheitsfall abzusichern. Bis heute sind die Träger verpflichtet, auch chronisch Kranke aufzunehmen. „Die private Krankenversicherung als Finanzgeschäftsmodell ist hingegen höchst unsolidarisch. Unattraktive Gesundheitsrisiken können ausgeschlossen

Endzeitstimmung im Justizvollzug Bei Haftstrafen geht es nicht in erster Linie darum, Menschen wegzusperren. Die meisten kommen wieder raus – und sollen nicht wieder Gesetze verletzen. Das erspart uns allen Folgekosten und schafft mehr Sicherheit. Dieses Resozialisierungsziel wird in Sachsen aber nicht sicher erreicht, denn die CDU hat den Justizvollzug beinahe zum Kollabieren gebracht. Acht der zehn Justizvollzugsanstalten sind im geschlossenen Vollzug überbelegt, viele Bedienstete oft krank, zehntausende Überstunden aufgelaufen. Lockerungen und Therapieangebote, Sport oder Aufschlüsse werden reduziert. Die sind, wie gesagt, keine „Kuschelei“ mit Verbrechern, sondern tragen dazu bei, dass Gefangene später gesetzestreu leben. Der Justizvollzug verfehlt seinen Resozialisierungsauftrag immer öfter. Gleichzeitig häufen sich Gewalttätigkeiten unter Gefangenen und gegenüber Bediensteten, die Gefahr für Revolten steigt. Besonders heikel ist

die Lage in der JVA Chemnitz: Unlängst traten 40 Gefangene in den Sitzstreik, weil die Aufschlusszeiten auf zwei 3/4-Stunden täglich gekürzt wurden. Anstatt den Ernst der Lage zu erkennen, nimmt die CDU-geführte Regierung hin, dass sie schlimmer wird: Für 90 neue Haftplätze, die im Frühjahr in Chemnitz hinzukommen, bewilligt das Justizministerium keine einzige Stelle! Die Linksfraktion hat das Thema im Landtag auf die Tagesordnung gesetzt. Für den rechtspolitischen Sprecher Klaus Bartl ist es „nicht akzeptabel, dass Gefangene zwanzig Stunden pro Tag allein in ihrer Zelle hocken, oder dass sie nach einem harten Arbeitstag in den Eigen- oder Unternehmensbetrieben der JVA nicht duschen können, weil die Aufschlusszeit endet.“ Auch die Bediensteten litten unter den Zuständen. Ihnen werde jede Chance genommen, mit besonderen Anforderungen umzugehen. „Die entstehen etwa durch den gewachsenen Anteil von Gefangenen mit Migrati-

onshintergrund, beginnend bei Sprachbarrieren, aber auch durch Gefangene, die zum Beispiel wegen Terrorismus verurteilt oder einer solchen Tat verdächtig sind. Hinzu kommen ständig wachsende Verhaltensauffälligkeiten wegen Drogenabhängigkeit oder psychotischer Zustände.“ Trotz alledem benenne die CDU den Justizvollzug nicht als Schwerpunkt für den neuen Landeshaushalt. Die Bediensteten würden „weiter gnadenlos verschlissen“, bei ihnen herrsche „nahezu Endzeitstimmung“. Der Ministerpräsident als Hauptverantwortlicher muss mit dem gesamten Kabinett gegensteuern: Mehr Stellen in den Justizvollzug! Besoldung verbessern! Entlastungen wären auch möglich, wenn mehr Gefangene in den offenen Vollzug verlegt würden, der weniger Betreuung erfordert. Das gilt vor allem für Häftlinge, die Ersatzfreiheitsstrafen verbüßen, etwa für mehrmaliges Schwarzfahren.

Mehr Geld und Freiheit für Kulturräume Das Kulturraumgesetz legt fest, wie Kunst und Kultur vom Freistaat mitfinanziert werden. Es definiert fünf ländliche und drei städtische Kulturräume, die eigene Verwaltungsorgane haben. Obwohl das Konzept an sich innovativ ist, hakt es an vielen Stellen. CDU und SPD versprachen deshalb schon vor Jahren Veränderungen. Zwei Jahre lang herrschte Baustopp, bis die Linksfraktion schließlich einen eigenen, lange mit Kulturschaffenden diskutierten Entwurf vorlegte. Und siehe da, einen Tag vor der relevanten Landtagssitzung stellte die Koalition ein eigenes Papier vor. „Erstaunt“ hat das den LINKEN-Kulturpolitiker Franz Sodann, der allerdings kritisiert, dass die beiden Parteien nur einen Minimalkonsens zustande gebracht haben. Seiner ursprünglichen Aufgabe, einen „flexiblen Rahmen für eine innovative Entwicklung der Kultur“ zu bilden, werde das Kulturraumgesetz kaum noch gerecht. Grundprobleme blieben ungelöst: „Für die Kulturräume gibt es kein zusätzliches Geld vom Freistaat. Es ist zynisch, diese Unterfinanzierung gesetzlich festzuschreiben und das Ganze als Planungssicherheit zu verkaufen.“ Auch ändere sich nichts an Haustarifverträgen, die viele Künstlerinnen und Künstler an Theatern und in Orchestern um bis zu ein Drittel ihres Einkommens bringen. Noch immer arbeiteten die Lehrkräfte an Musikschulen, in Museen, soziokulturellen Zentren, Bibliotheken und weiteren durch die Kulturräume geförderten Einrichtungen teils zu unzumutbaren Konditionen. Auch würden die Landesbühnen weiter aus Kulturraummitteln bezuschusst – eigentlich müsste der Freistaat das direkt bezahlen. Die Linksfraktion will die Kulturräume weiterentwickeln (Drs 6/11224), die künstlerische und kulturelle Infrastruktur schützen. Dazu gehören Museen, Bibliotheken, soziokulturelle Zentren, Theater, Orchester, freie Projekte. Wir schlagen unter anderem vor, die Selbstorganisation der Kulturräume auszubauen. Die Kulturkonvente sollen mehr stimmberechtigte Mitglieder bekommen, die gesellschaftliche Interessen besser abbilden. Der Freistaat soll die Landesbühnen selbst finanzieren und dauerhaft mehr Geld in die Kulturräume geben. Alle sieben Jahre mögen externe Sachverständige das Kulturraumgesetz überprüfen. Und regelmäßig soll es einen öffentlichen Kulturraumbericht geben, damit alle Beteiligten mitreden können.


November 2017

PARLAMENTSREPORT

Seite 3

Verbeamtete Lehrkräfte als Rettung? Spannend bleibt, ob Haubitz gegen die CDU-Finanzpolitik-Riege bestehen kann. Berechnungen laufen, aber es werden „Pensionslasten“ in Milliardenhöhe befürchtet. Der Ausgang ist offen, zumal auch die SPD bisher die Verbeamtung nicht mittragen will.

als der, für die sie ausgebildet sind. Die CDU mag meinen, verbeamtete Lehrkräfte in Mangelregionen abordnen zu können: Beamte sind aber keine beliebige Verschiebemasse. Zu bedenken ist auch, dass Lehrkräfte nicht allzu staatsnah sein sollten.

Die LINKEN-Bildungspolitikerin Cornelia Falken ist skeptisch, ob der Lehrkräftemangel mit der Verbeamtung behoben werden kann. Dieser Schritt würde für Missstimmung in den Lehrerkollegien sorgen. Wegen der 46-Jahre-Altersgrenze könnten mehr als drei Viertel nicht verbeamtet werden (siehe Grafik). An Oberschulen und Grundschulen, wo der Mangel am schlimmsten ist, käme es kaum zu einer Linderung. Nach dem Beamtengesetz dürfen auch weder Teilzeitbeschäftigte noch Seiteneinsteiger verbeamtet werden, auch nicht Lehrkräfte, die an anderen Schularten unterrichten

Die Alternative zur Verbeamtung wären gerechte Gehälter (Entgeltgruppe 13) an allen Schularten und eine tarifliche Ausgleichszahlung zum Beamtenverhältnis anstelle windiger Zulagen, die jederzeit entzogen werden können. Das Lehrpersonal muss kontinuierlich und nicht in Wellen entwickelt werden. Die Linksfraktion will einen Landestarifvertrag, der eine attraktive Vergütung gewährleistet. Am Tag des Drucks dieser Ausgabe wollte die CDU-Fraktion eine Sondersitzung abhalten. Wir sind gespannt, was von Haubitz‘ Vorstoß übrig bleibt.

Quelle: Sächsisches Staatsministerium für Kultus

Der neue Kultusminister Frank Haubitz hat seine Regierung überrumpelt, als er mittels eines Briefs an alle Schulleitungen die Verbeamtung der Lehrerinnen und Lehrer in die Debatte warf. Er sieht sie als wirksames Mittel, um mehr Männer und Frauen für den Schuldienst zu gewinnen. In den letzten Jahren wurde die Verbeamtung immer wieder diskutiert, aber stets wegen hoher Folgekosten verworfen. Diese Debatte flammt nun wieder auf, vor allem in der CDU-Fraktion. Die war Medienberichten zufolge „entrüstet“ über den Vorstoß, es habe in der Fraktionssitzung „ordentlich gekracht“. Michael Kretschmer betrachtet das Vorgehen als „suboptimal“. Sachsens oberster Schulleiter Haubitz gab zu Protokoll: „Ich habe da einen Fehler gemacht. Ich kannte mich nicht ganz so aus, dass man sich in der Politik da an bestimmte Regeln halten muss.“ Er wird schnell dazulernen müssen.

LINKE für politische Bildung ab Klasse 5

Sicher, mit politischer Bildung allein ist es nicht getan. Aber sogar Ministerpräsident Tillich räumt ein: „Wir haben uns zu wenig um die politische Bildung gekümmert“. Thomas Krüger, Chef der Bundeszentrale für politische Bildung, kritisiert die Bevorzugung der Naturwissenschaften. Und selbst die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung befindet, dass der Freistaat in der schulischen politischen Bildung hinter den anderen Ländern liegt. In Baden-

Württemberg oder Nordrhein-Westfalen werden viel mehr Stunden erteilt. Die Linksfraktion will die politische Bildung ausweiten. Wir haben im Landtag gefordert (Drucksache 6/8876), den Unterricht im Fach Gemeinschaftskunde inhaltlich und methodischdidaktisch auf den neuesten Stand politikwissenschaftlicher und soziologischer Erkenntnisse zu bringen. Ausdruck dieser Modernisierung soll auch der neue Fachname „Politische Bildung“ sein. LINKEN-Bildungsexpertin Cornelia Falken begründet das so: „Der Wortbestandteil ,-kunde‘ deutet darauf hin, dass etwas verkündet wird, Lehrer also nur Wissen vermitteln. Wir wollen hingegen, dass die Schüler selbstständig lernen, mit Unterstützung des Lehrers.“ Ein fächerübergreifender Praxisbereich sei wichtig. Die politische Bildung dürfe nicht erst in der 9. Klasse beginnen, sondern müsse ab Klasse

5 ein Zwei-Stunden-Fach sein. Falken mahnte: „Große Teile der Bevölkerung fühlen sich von der Landespolitik nicht mehr repräsentiert. Der Unmut über die herrschende Politik artikuliert sich in Wahlenthaltung und öffentlichen Protesten, oft in aggressiver Form.“ Die CDU sah keinen Handlungsbedarf. Der ist aber groß – sonst kann auch der nächste Sachsenmonitor keine Trendwende belegen.

© contrastwerkstatt / Fotolia.com

Auch der zweite „Sachsenmonitor“ liefert alarmierende Zahlen: 42 Prozent der 18- bis 29-jährigen Befragten stimmen der Aussage zu, die Bundesrepublik sei „durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“. Zwölf Prozent meinen, „Juden versuchen heute Vorteile daraus zu ziehen, dass sie während der Nazi-Zeit die Opfer gewesen sind“. Zehn Prozent glauben, es gebe „wertvolles und unwertes Leben“.

Lebensmittel öfter kontrollieren EHEC, Dimethoat im Wein, Fipronil in Eiern: Lebensmittelskandale machen Furore. Herrscht Ruhe, kann das bedeuten, dass alles gut ist – aber auch, dass Belastungen unentdeckt bleiben, weil zu selten kontrolliert wird. In Sachsen kann letzteres der Fall sein. Eine Große Anfrage (Drs 6/6278) der Linksfraktion zeigt: Die Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen ebenso wie die unteren Lebensmittelüberwachungsbehörden haben zu wenig Personal, das zudem einen hohen Altersdurchschnitt hat. Bei der Landesanstalt sollen weitere Stellen wegfallen, außerdem werden zu wenige Fachkräfte ausgebildet. „Das macht es den engagierten Kontrolleurinnen und Kontrolleuren unheimlich schwer“, kritisiert LINKENVerbraucherschutzpolitikerin Janina Pfau. Dabei wachsen die Anforderungen, denn die Produktion von Lebensmitteln wird immer komplexer. Wir fordern von der Staatsregierung: Schluss mit dem Stellenabbau! Mehr Werbung für den Beruf „Lebensmittelkontrolleur/in“! Außerdem brauchen die Kontrollbehörden eine bessere Ausstattung, insbesondere mit Dienstfahrzeugen.

Kandidatenrechte verletzt – Wahlrecht ändern! Lange hatte der Einspruch eines AfD-Bewerbers für Debatten gesorgt, ob der Landtag neu gewählt werden muss. Vertrauensleute der Partei hatten den in Ungnade Gefallenen auf Beschluss des Landesvorstands von der Liste gestrichen. Der Wahlprüfungsausschuss hat inzwischen festgestellt, dass dieses Vorgehen die Mandatsverteilung nicht beeinflusst hat, die Volksvertretung also korrekt zusammengesetzt ist. Das letzte Wort hat jetzt der Verfassungsgerichtshof. Aus Sicht der Linksfraktion hat das Vorgehen der AfD jedenfalls die subjektiven Rechte des Kandidaten verletzt, es war undemokratisch. Um solche Fälle künftig auszuschließen, wollen wir das Wahlprüfungsgesetz und das Wahlgesetz ändern. Die Wahlprüfung soll sich auch der Frage widmen, ob Rechte von Kandidierenden bei der Aufstellung verletzt worden sind. Um die innerparteiliche Demokratie zu schützen, sollen die Vertrauensleute nur noch zum Rotstift greifen dürfen, wenn eine entsprechende Aufstellungsversammlung sie dazu ermächtigt. Einen solchen Gesetzentwurf (Drs 6/11223) haben wir in den Landtag eingebracht.


Seite 4

PARLAMENTSREPORT

November 2017

Zwischen Rollenspiel und Bürgerwehr

Plenarspiegel

November 2017 Die 62. und die 63. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages fanden am 15. und 16. November 2017 statt. Zu Beginn wurde auf Vorschlag der Fraktion DIE LINKE Mirko Schultze anstelle von Anja Klotzbücher zum Schriftführer gewählt. Die Fraktion DIE LINKE war dann mit diesen parlamentarischen Initiativen vertreten: Aktuelle Debatte „Hinter Gittern? Drohenden Kollaps in den Justizvollzugsanstalten abwenden!“ Gesetzentwürfe „Gesetz zur Errichtung der Unabhängigen Ombudsstelle der Sächsischen Polizei“ (Drs 6/5439)

Sind die Reichsbürger ein Hype oder eine echte Gefahr? Das war eine Frage des Fachgesprächs „Zivilgesellschaft und Antifaschismus“, zu dem Kerstin Köditz Ende Oktober engagierte MitstreiterInnen aus zivilgesellschaftlichen Vereinen und Projekten eingeladen hatte. Neu ist das Thema aus parlamentarischer Sicht nicht: Schon 2004 hatte die damalige PDS-Fraktion sich in einer Großen Anfrage bei der Staatsregierung nach Aktivitäten der Reichsbürger in Sachsen erkundigt – und zur Antwort erhalten, dass keine Erkenntnisse vorlägen. Über Jahre behielt das Innenministerium die Ansicht bei, dass eine Reichsbürger-Bewegung im Freistaat nicht existiere. Dabei war hier schon vor gut fünf Jahren mit dem „Deutsche Polizei Hilfswerk“ eine hochorganisierte und gewaltbereite Gruppe aus diesem Spektrum hervorgegangen. Die offizielle Ansicht änderte sich, nachdem im Oktober 2016 ein bayrischer Reichsbürger einen Polizisten erschossen hat. Inzwischen wird die Szene durch „Verfassungsschutz“Behörden beobachtet und Innenminister Markus Ulbig (CDU) versprach dem Parlament, dafür zu sorgen, „dass solche Typen nicht in den Besitz von Waffen kommen.“ Das Problem ist, dass sie die Waffen längst haben, aber dem Innenministerium ein Überblick bis heute fehlt. Das zeigen neue LINKE-

Anfragen: Nach langem Bohren wurden Anfang 2017 erstmals Zahlen genannt. Rund 400 Sächsinnen und Sachsen gehören demnach zur ReichsbürgerSzene, die das Bestehen der Bundesrepublik leugnet und zum Teil von der Fortexistenz des Deutschen Reiches ausgeht, teils Schein-Staaten ausruft. Deutliche Bezüge zum Gedankengut der extremen Rechten sind dabei die Regel. Inzwischen hat sich die Zahl in Sachsen schon auf 1.200 verdreifacht, bundesweit sollen es 15.000 sein. Zu sehen ist bisher nur die Spitze des Eisberges. Wichtige Einsicht beim Fachgespräch: Über Reichsbürger wissen wir noch viel zu wenig. Aus einer Fallauswertung lässt sich aber ein Profil herausschälen. Die Anhängerinnen und Anhänger der Reichsbürger konzentrieren sich deutschlandweit in östlicher und südlicher Richtung, meist sind es Männer mittleren und gehobenen Alters, deutlich älter als die übliche rechte Szene. Und anders als bei der restlichen extremen Rechten sind Groß- und Mittelstädte keine Reichsbürger-Hochburgen, die liegen vielmehr im ländlichen Raum. Diese charakteristische StadtLand-Schere könnte zur Erklärung des Phänomens beitragen: Reichsbürger sind dort stark, wo der Gang zu Ämtern und Behörden besonders lang ist, wo „der Staat“ wenig bietet, aber den eigenen Rückzug erkennbar macht durch

Bild: Krawattenträger / Wikimedia Commons

„Gesetz zur Stärkung des subjektiven Rechtsschutzes und der innerparteilichen Demokratie bei Wahlen zum Sächsischen Landtag“ (Drs 6/11223) „Gesetz zur Weiterentwicklung der Kulturräume“ (Drs 6/11224) Große Anfrage

Anträge „Politische Bildung in Schulen erneuern – Gemeinschaftskunde modernisieren und ausweiten“ (Drs 6/8876) „Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zur Regierungsfähigkeit der Staatsregierung bei der Lösung der drängendsten Probleme in Sachsen“ (Drs 6/11196) „Gesetzliche Krankenversicherung für Beamte, Selbstständige und Freiberufler – eine Kasse für alle!“ (Drs 6/8129) Alle Drucksachen unter www.edas.landtag.sachsen.de

Die Gefahr bleibt und mit ihr die Frage nach den Gegenstrategien, denn mit markigen Ankündigungen des Innenministers kann es nicht getan sein. Wichtig in der Diskussion beim Fachgespräch war der kritische Blick auf die Belange des ländlichen Raumes. Die Probleme dort sind nämlich real und drängend. Und die Reichsbürger sind nur eine politische Kraft von mehreren, die solche Probleme nicht lösen, sondern sie mit derzeit wachsendem Erfolg von rechts ausbeuten wollen. Kerstin Köditz Zum Thema erscheint in Kürze eine Broschüre von Kerstin Köditz, der Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im Landtag. Die Broschüre kann kostenlos bei der Fraktion abgefordert und auf ihrer Website abgerufen werden: www.kerstin-koeditz.de

Termin

„Gesetz über die kommunalen Migrationsbeauftragten“ (Drs 6/6371)

„Lebensmittelüberwachung in Sachsen“ (Drs 6/6278) mit Entschließungsantrag Drs 6/11272

die immer desolatere Infrastruktur, die er hinterlässt. Die Reichsbürger reagieren in dieser Situation völlig autoritär, sie wollen eine eigene Ordnungsmacht aufstellen oder wenigstens nachahmen. Die Grenzen zwischen gemeinschaftlichem Rollenspiel und organisierter Bürgerwehr sind dabei fließend. So war die oben genannte Fake-Polizei mit eigenen Uniformen ausgestattet und hat kurzerhand einen unliebsamen Gerichtsvollzieher „gefangengenommen“ und gefesselt.

76.000 Euro für Tillichs Fenster Sicher, Stanislaw Tillich ist politisch eine „lame duck“ – eine lahme Ente, denn er steht kurz vor seinem Abgang. Die Aufmerksamkeit gilt seinem möglichen Nachfolger. Das ist aber kein Grund, wegzuschauen, wenn es um den privaten Hausverkauf jenes Mannes geht, der fast zehn Jahre lang der sächsische Regierungschef war. Wir hatten bereits berichtet, dass Tillich sein früheres Wohnhaus in Panschwitz-Kuckau veräußert. In einer entsprechenden Anzeige wurden dessen Vorteile hervorgehoben, unter anderem: „Fenster komplett neu 2006, dadurch sehr einbruchsicher“. Um die Sicherheit des Regierungsmitglieds zu erhöhen, waren Umbauten vorgenommen worden – die könnten sich nun beim Verkauf für Tillich auszahlen. Unser Abgeordneter André Schollbach hat die Staatskanzlei

gefragt, welche Wertsteigerung die neuen Fenster gebracht haben. Die Antwort: „Die Fenster erhöhen das Sicherheitsniveau des Hauses.“ Und: „Die finanziellen Aufwendungen für den Einbau bzw. die Ertüchtigung der Sicherheitsfenster betrugen 76.073,00 Euro.“ Besonderes Geschmäckle: Die Familie Tillich hatte 2006 auf eigene Kosten neue Fenster einbauen lassen, die Sicherheitsfenster wurden erst 2008 eingesetzt. Die Werbe-Aussage „Fenster komplett neu 2006, dadurch sehr einbruchsicher“ kann also mindestens als missverständlich gelten. Sollte Tillich mit den Umbauten tatsächlich „Geld machen“, müsste er jedenfalls die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abfinden. Denn die haben den Sicherheitsgewinn bezahlt und damit den Marktwert der Immobilie erhöht.

Fachgespräch „Verbesserung der Situation bei der frühkindlichen Bildung in Sachsen“ 23. Januar 2018, 17 bis 19 UhrSächsischer Landtag, A 467 Mit Vertreterinnen und Vertretern des Kita-Graswurzelbündnisses „Weil Kinder Zeit brauchen!“; Marion Junge, Sprecherin für Kindertageseinrichtungen, und Cornelia Falken, Bildungspolitische Sprecherin.

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.