Links! Ausgabe 01-02/2012

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»Ihr aber lernet, wie man sieht, statt stiert...«

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Januar-Februar 2012

Justin Sonder, einer der letzten Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz in Sachsen und trotz seines hohen Alters unermüdlicher Zeitzeuge, zitiert in der Schlusssequenz des in dieser Zeitung abgedruckten, sehr berührenden Interviews aus dem Epilog von Bertolt Brechts Stück „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. Brecht schrieb dieses Stück bereits 1941 noch im finnischen Exil. Seine Uraufführung erlebte der „Arturo Ui“ allerdings erst 1958 in Stuttgart und 1959 im Berliner Ensemble. Viele Leser dieser Zeitung werden die legendäre Aufführung mit Ekkehard Schall gesehen haben oder sich an diesen Epilog erinnern. Andere werden ihn jetzt zum ersten Mal kennenlernen und vielleicht noch einmal selbst nachlesen wollen. Den von Justin Sonder zitierten Sätzen stellte Bertolt Brecht die Forderung voran: „Ihr aber lernet, wie man sieht, statt stiert …“ Ich glaube, das Sehenlernen und das Sehenlernen-Wollen wird in diesen Tagen und Wochen immer notwendiger. Und es darf nicht nur an solche Daten wie den 27. Januar oder den 13. Februar gebunden bleiben, obwohl Gedenktage hilfreich und wichtig sind, um Erinnerung und Gedenken wach zu halten und zu schärfen. In wenigen Tagen werden wir uns alle wieder mit der Tatsache auseinandersetzen müssen, dass Neonazigruppen die Erinnerung an den 13. Februar 1945 dazu benutzen wollen, ihre menschenfeindlichen Thesen und ihren Geschichtsrevisionismus auf den Straßen Dresdens öffentlich zu machen. Wohin diese Ideen führen, wissen wir, sofern wir es nicht schon lange wussten und ahnten, spätestens seit dem November des vergangenen

Jahres. Die jahrelange Mordserie einer rechtsextremistischen Terrorgruppe an Bürgern mit einem sogenannten Migrationshintergrund wurde öffentlich bekannt, auch für diejenigen, die vorherige Straftaten und deren Opfer nicht in diesem Kontext sehen wollten. Vor wenigen Tagen wurde der Bericht „Antisemitismus in Deutschland“ veröffentlicht, erarbeitet von einem unabhängigen Expertenkreis im Auftrag des Bundestages. In ihm wird unter anderem festgestellt, dass 20 Prozent aller Deutschen latent judenfeindlich eingestellt sind und dass latenter Antisemitismus in der Mitte unserer Gesellschaft verankert ist. In dieses Bild gehören auch die 620 antisemitischen Straftaten, die für die ersten drei Quartale des Jahres 2011 nach Angaben der Bundesregierung begangen wurden, darunter 15 Gewalttaten. Rassismus, Fremdenhass und Gewalt, aber auch Antisemitismus sind eben leider keine Seltenheit in unserem Alltag. Deshalb haben wir die Pflicht, hinzusehen und zu reagieren. Wir müssen das tun, auch wenn es unbequem ist und persönliche Schwierigkeiten bereitet, wie eben alljährlich in den Tagen um den 13. Februar in Dresden. In all den Jahren, als der Neonazimarsch in Dresden, meiner Heimatstadt, jährlich größer und bedrohlicher wurde, konnte man schon manchmal mutlos werden. Trotzdem gab es auch immer viele, die mit uns gemeinsam versuchten, etwas zu tun. Inzwischen hat diese Gegenbewegung eine enorme Stärke und Kraft erreicht, und sie besteht aus vielen Facetten. Sie alle sollten wir wertschätzen und deshalb alle Formen des gewaltfreien Protestes gegen Neonaziaufmärsche, braune Gewalt und menschenfeindliches Gedankengut unterstützen. Dr. Nora Goldenbogen Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Dresden


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»Wer denkt, es kann sich nicht Kürzlich belehrte uns der sächsische Innenminister, Antifaschismus sei »nicht die richtige Antwort« auf Faschismus, sondern »Demokratie, Auseinandersetzung aus der Mitte unserer Gesellschaft heraus«. Damit hat er allen antifaschistisch eingestellten Menschen ihre demokratische Einstellung abgesprochen. Man möchte sich lieber nicht vorstellen, wie solche Aussagen auf Menschen wie Justin Sonder wirken. 1925 in Chemnitz geboren, ist er einer der letzten Lebenden, die Auschwitz am eigenen Leibe erfahren mussten. Als Jugendlicher ins Konzentrationslager deportiert, überstand er mehr als ein Dutzend Selektionen, überlebte nur durch die Hilfe seiner Mithäftlinge und eine Reihe glücklicher Zufälle. Bis heute ist er nicht müde geworden, seine Geschichte zu erzählen. »Links!« sprach mit dem engagierten Antifaschisten über die erlebten Gräuel, die Befreiung und seinen Kampf gegen das Vergessen. Herr Sonder, was waren die prägendsten Jahre ihres Lebens? Zweifellos meine Haft. Du siehst das Leben dann absolut anders. Dinge, die andere aufregen, lassen mich völlig kalt. Wie sagte Ostrowski? Das Wertvollste, was der Mensch besitzt, ist das Leben. Es wird ihm nur ein einziges Mal gegeben. Und dann muss man es auch achten, als etwas Besonderes. Solidarität ist ganz wichtig. Wenn ich in unsere Parteigruppe gehe, da wird nur gemeckert. Und ich sage: Leute, hört doch mal endlich auf, wir müssen was machen! Das ist das richtige Stichwort: Etwas tun! Dazu gehört auch, die Erinnerungsarbeit Schritt für Schritt an die nächste Generation zu übergeben. Da gibt es eine tolle Geschichte mit der Feuerwehr, der Freiwilligen Feuerwehr von Grüna. Die verkauften in der Vorweihnachtszeit Bockwürste, und da kam ein Mann und sagte: Ich möchte eine Bockwurst haben ohne alles. Das verstanden die nicht, ohne Senf, ohne Brötchen. Da mischte sich ein völlig unbekannter Mann ein: Jungs, gebt dem das, jedem das Seine! Der eine Feuerwehrmann, Hans Voigt heißt er, kriegte das mit und wusste, da war irgendwas mit diesem Spruch. Und nach vielen Telefonaten kam er bei mir raus. Und ich bin rausgefahren und habe denen das erklärt. Toten-

stille. Seitdem organisiert dieser Feuerwehrmann Fahrten nach Buchenwald, auch nach Auschwitz. Ein Beispiel, das Mut macht. In der DDR war der Besuch einer KZ-Gedenkstätte Pflicht für alle Schüler, heute nicht mehr... Ich werde immer gefragt, ob ich auch in der DDR an Schulen war und berichtet habe. Wenn ich da drei oder vier Mal im Jahr aufgetreten bin, war das viel. Und dann muss ich offen sagen, ich habe damals anders gesprochen als heute. Im Jahr 1933, da war ich sieben oder acht, wohnten wir im Haus mit Sindermann und Janka, da lebten nur KPD- und SPD-Mitglieder. Und überall dort wurden Durchsuchungen gemacht. Heute schildere ich das so: Die Nazis haben, in Begleitung eines Polizisten, bei uns Haussuchungen gemacht, ohne richterliche Anordnung. Da beginnt es, sage ich. In der DDR habe ich so gesprochen: 1933 machten die Nazis Durchsuchungen. Da fällt schon weg: Bei mir. Das war nicht gewünscht, sich in den Vordergrund zu stellen. Also habe ich gesagt, bei den Kommunisten und Sozialdemokraten wurden Hausdurchsuchungen gemacht. Das Persönliche ist damals immer weggefallen. Sie mussten die Judenverfolgung von Anfang an miterleben. Bei uns gab es einen Fleischermeister, der hatte einen jüdischen Gesellen. Der hatte eine christliche Braut. Als die Nazis da waren, durfte er seine Braut nicht mehr heiraten, und außerehelicher Geschlechtsverkehr stand unter Strafe. In der ersten Zeit gab es Gefängnis, dann Zuchthaus und ab 1944 die Todesstrafe für „Rassenschande“. Ab 1944 wurden zwei sich liebende Deutsche unterschiedlicher Religion mit dem Tode bedroht und auch hingerichtet. Wenn ich vor Jugendlichen spreche, kommentiere ich das nicht und sage: Das ist deutscher Faschismus. 1942 wurden Ihre Eltern deportiert, Sie blieben allein zurück. Monate später nahm man auch Sie fest. Wie hat sich das zugetragen? Ich wurde am 27. Februar 1943 verhaftet. Einen Tag später wurden wir nach Dresden gebracht, wo bereits ein Güterzug mit rund 25 Waggons stand. Die Sachsen kamen in den letzten Waggon. Das sollte sich später als kleiner Vor-

teil erweisen. Wir fuhren gen Osten, wussten nicht wohin, hielten dann in der Nacht zum 3. März an einer großen weißen Fläche, es war ja Winter. Das Kommando lautete: Alles aussteigen, einzeln vortreten, Alter und Beruf nennen. Und nun der Vorteil für uns Sachsen: Wir hörten, wenn jemand zum Beispiel sagte: „46 Jahre, Kaufmann“, kam die Handbewegung nach rechts. „38 Jahre, Maurer“, nach links. Wir hatten das Gefühl, die nach links Aussortierten würden vielleicht zur Arbeit benötigt. Ich trat vor. „17 Jahre, Monteur“. Der SS-Offizier schickte mich nach links. Zu diesem Zeitpunkt standen, aussortiert auf der linken Seite, 535 Männer, 145 Frauen und ich. Auf der rechten Seite standen rund 1.000 Menschen. Diese Männer, Frauen und Kinder hatten damals noch eine Lebenserwartung von rund 120 bis 180 Minuten. Sie wurden noch in gleicher Nacht durch Zyklon B, ein Giftgas der IGFarben-Industrie, getötet. Haben Sie Ihre Eltern wiedergesehen? Mitten im Jahre 1943, nach dem Abendappell, kam ein mir völlig unbekannter Häftling auf mich zu und sagte: Pass auf, das bleibt unter uns, wir haben deinen Vater ermittelt, im Hauptlager! Wir wollen, dass ihr zusammengefügt werdet, aber das kann dauern. Weg war er. Zwei Monate später kam er wieder und brachte mich zu meinem Vater. Das hat die Widerstandsorganisation fertiggebracht. Das erste, was mein Vater sagte, war: Die Mutter ist tot. Sofort, am ers-

ten Tag, am 30. Januar 1943. In Auschwitz gehörten Sie zur Widerstandsorganisation der Häftlinge. Wie kamen Sie mit ihr in Kontakt? Im September 1944 hatte ich große Probleme mit meinem Knie und konnte nicht mehr arbeiten. Da hieß es: Sofort ins Krankenrevier! Der SS-Arzt beurteilte dann, ob man simulierte oder wirklich krank war. Natürlich sah mein linkes Bein aus wie ein Elefantenbein. Der Arzt sagte, ich sei arbeitsunfähig und sollte mich in Block sowieso melden. Dort angekommen, meinte der dortige Arzt, ein Häftling, dass ich sofort in dieser Nacht operiert werden müsste. Das sah so aus: Ich lag auf einem Tisch, vier Häftlinge hielten mich fest, ich bekam ein Stück Stoff in den Mund - das war die Narkose -, und dann wurde das Knie geöffnet. Da kann man mal sehen, was ein Mensch aushalten kann. Verbandsmaterial gab es nicht. Ich wurde mit einer Art Klosettpapierrolle verbunden. Dann haben sie mich runtergehievt, zwei Häftlinge haben mich festgehalten, weil ich alleine nicht stehen konnte. Ich sagte: Doktor, ich weiß, wie oft im Krankenrevier Selektionen durchgeführt werden. Im Hauptlager alle fünf bis sechs Wochen, und im Krankenrevier alle acht bis zehn Tage. Ich wollte noch in dieser Nacht ins Hauptlager zurück. Da sagte der Arzt: Ist das ein Witz? Du kannst nicht mal alleine stehen! Und wieso sprichst du so Deutsch? Woher bist du? Ich antwortete, dass ich aus Chemnitz bin. Er stellte sich vor als Dr. Grossmann,

Chefarzt aus Berlin. Es sagte, dass ich natürlich noch nicht ins Lager zurückgehen könnte. Ich antwortete, ich krabble auf allen Vieren, ich bin achtzehn, ich will nicht sterben. Er meinte, ich müsste keine Angst haben. In fünf bis sechs Tagen könnte ich wieder arbeiten. Da hab ich mich in das Bett gelegt, und um fünf Uhr früh: Selektion. Ich konnte nicht laufen, musste aber vor, vorbei an den SS-Ärzten, und die haben mich angehalten. Erstmalig. Die zwanzig Minuten, die dann folgten, möchte ich nicht noch einmal erleben. Das war fürchterlich, da lief das kurze Leben eines Achtzehnjährigen vorüber. Die Selektion war zu Ende, und jetzt wurden die Nummern aufgerufen von denen, die selektiert worden waren. Ich war nicht dabei. Die Nummern wurden nochmal aufgerufen, ich war wieder nicht dabei. Da sagte ein deutscher Häftling zu mir: Einmal im Leben möchte ich so viel Glück haben wie du. Wieso, fragte ich. Na, du standest auf der Liste, und Dr. Grossmann hat lange mit der SS gesprochen, weil du bald wieder arbeiten kannst. Da wurde ich gestrichen. Ein ganz seltener Fall. Ein paar Tage später brachte mich Dr. Grossmann in eine Baracke, wo die SS nicht mehr hineinging, zu den Todeskandidaten. Da hätte ich eine Chance, zu überleben, sagte er. Dort traf ich auf einen Häftling, einen Pfleger. Er stellte sich vor als Heinz Lippmann, „Kommunist aus Berlin“, und fragte mich, wie ich mich am Tag X verhalten würde. Ich antwortete, dass ich bis zum letzten Blutstropfen gegen die SS


Interview

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wiederholen, der irrt« Wie sah der Widerstand der Häftlinge aus? Im Dezember 1944 erfasste uns eine große Kältewelle. Die Buna-Werke standen still, weil die Leitungen vereist waren. Die Häftlinge sollten zur Enteisung eingesetzt werden. Da trat einer an mich heran, von der Widerstandsorganisation. Ich sollte mithelfen zu verhindern, dass die Produktion wieder aufgenommen wird. Bald würde ein LKW mit Granulat zur Enteisung kommen, der von den Häftlingen abgeladen werden sollte. Ich holte mir einen weiteren Häftling heran und weihte ihn ein: Ich wollte die Säcke aufschlitzen, damit das Granulat beim Abladen in den Schnee fällt und unbrauchbar wird. Dann kam der LKW in Begleitung von zwei SS-Leuten mit Langwaffen, und es hieß „Zwei Mann auf die Ladefläche!“. Wir mussten uns entscheiden. Wir wussten, dass die SS mit Saboteuren kurzen Prozess machte. Aber ich dachte mir: Hic Rhodus, hic salta! Und schon waren wir auf dem LKW. Dann haben wir mit Nägeln die Säcke zerstört, alle platzten, und die SS schoss nicht. Da war ich neunzehn Jahre alt. Im Dezember 1944 war die Befreiung schon sehr nah. Waren Sie noch im Lager, als am 27. Januar 1945 die Rote Armee eintraf? Am 18. Januar 1945 sind wir in Auschwitz losgelaufen, nach Gleiwitz. Das war der erste Todesmarsch. Dieser erste Marsch, 79 Kilometer lang, war gesäumt von Leichen, Erfrorenen, alle in den gestreiften Uniformen. In Gleiwitz sind wir verladen worden, 7.000 Häftlinge, nach Mauthausen. Und diesmal in offenen Kohlenwagen. Mauthausen war überfüllt, wir kamen nach acht Tagen in Sachsenhausen an, bekamen kein Essen, nichts. Wir überlebten durch Schnee. Und dann, beim ersten Zählappell in Sachsenhausen, lebten von den 7.000 noch rund 3.800. Alle anderen waren erfroren, verhungert, gestorben. Von Auschwitz nach Gleiwitz, dann nach Mauthausen in Österreich, und dann von dort nach Sachsenhausen in Brandenburg. Was hat das für einen Sinn? Wir mussten ja wieder ins KZ! Wo sollten wir denn hin, als Mauthausen überfüllt war? Und während der Fahrt, in der Nähe von Usti, hielt der Zug

an. Es wurde eine ganze Reihe Häftlinge auf dem Bahnsteig ausgeladen, die mussten sich hinlegen, und einer hat alle erschossen. Den Namen von dem SS-Mann habe ich, Rapportführer Bernhard Rakers. Ich habe mich nach dem Kriege bei Gericht gemeldet als Zeuge, durfte aber nicht zur Hauptverhandlung in die BRD fahren. Ich wurde in Chemnitz richterlich vernommen, und die Abschrift wurde hingeschickt. Der wurde später auch verurteilt.

re gemacht und einer hat die letzte Ansprache gehalten. „Kameraden! Wir haben die letzten Tage zusammen durchgehalten, da wollen wir doch die letzten Minuten und Stunden auch noch durchhalten!“ Das war unser Signal. Wir sind losgerannt, über die weg, hinein in die vorderste Frontlinie. Die Amis schossen mit Panzern von der einen Seite, die SS von der anderen. Das ganze Dorf brannte, aber wir waren befreit. Das war am 23. April.

Wie lange blieben Sie in Sachsenhausen? In Sachsenhausen war ich fünf Tage, dann landete ich in Flossenbürg, im Februar 1945. Tage später waren wir wieder auf Transport. Das war dramatisch, die Amis haben uns mit Tieffliegern angegriffen. Die Lokomotive wurde zusammengeschossen. Wir hatten 133 Tote. Der SS-Mann, der mit in unserem Waggon war, hatte sich währenddessen im Bahnhof verkrochen. Das war ein Verbrecher par excellence. Dessen Hobby war es, nachts sein Bajonett zu ziehen und auf die Häftlinge einzuschlagen. Man kann sich vorstellen, wie die Häftlinge aussahen - dem einen fehlte die halbe Nase, anderen ein Ohr, Augen kaputt und so weiter. Und der sprach ganz sächsisch. Es war zwar verboten, SS-Leute anzusprechen, aber ich wollte es doch machen. Ich habe lange überlegt, dann hab ich Mut gefasst und gesagt: Also, wo Sie herkommen, das weiß ich! Natürlich betont sächsisch. Jetzt hätte er schlagen müssen. Hat er aber nicht, sondern sagte: Da bin ich aber mal gespannt! Nun, Sie sind aus Weißenfels! Nee, mei Gutster, war die Antwort. Da war alles klar: Ich sagte, Sie sind aus Leipzig! Und der sagte: Das stimmt, wieso sprichst Du denn so gut deutsch? Weil ich auch aus Sachsen bin, sagte ich! So kam ich ins Gespräch. Und da hat er nicht mehr geschlagen, vielleicht dachte er, wir wären alle aus Sachsen.

Wie gelang es Ihnen, nach Sachsen zurückzukehren? Wir sind zu dritt in einer kleinen Kate untergekommen, wurden von den Amerikanern versorgt. Vierzehn Tage später liefen wir los, ein Breslauer und ich, Richtung Chemnitz. Vor Wunsiedel trafen wir einen Mann, der führte uns in ein Restaurant. Dort waren wir zwei Wochen lang untergebracht. Ich ging zum dortigen Kommandant, einem Amerikaner, und sagte, dass ich gerne nach Chemnitz wollte. Er fragte in gebrochenem Deutsch: Ihr seid wohl Kommunisten, ihr zwei? Nein, antwortete ich, wir wohnen dort. Abgelehnt! Aber wir bekamen raus, dass jeden Donnerstag ein LKW nach Leipzig fährt. Wir beide stiegen auf, und 15 Kilometer vor Hof hielten uns die Amis an. Your paper, please! Wir hatten natürlich keine Papiere. Am Abend waren dort ungefähr 250 Angehaltene, und da kamen die Amis und brachten uns - wieder ins KZ. In Hof. Früh kam das Kommando: Antreten, Oberkörper frei! Dann sind die Offiziere vorbeigelaufen und suchten SS-Leute. Als der Ami bei uns war, habe ich gesagt: Wir waren prisoners, Gefangene, concentration camp Auschwitz, und wir zeigten unsere Nummern. Das war ihm furchtbar peinlich, und schickte uns sofort nach Hof ins Hauptquartier. Dort bekamen wir einen Ausweis. Zu Essen hatten wir aber immer noch nicht, und so gingen zu einer Gaststätte am Markt. Da kamen auch noch andere Häftlinge dazu, und wir bekamen eine Suppe, und dann noch eine. Und da sagt der Breslauer zu mir: „Guck mal da rüber! Der war mit uns in Auschwitz“. Ich sah rüber und schrie: „Mein Vater!“ Der war gerettet, kam aus Dachau.

Wie ging es dann weiter? Wir konnten nicht mehr fahren. Der Todesmarsch ging zu Fuß weiter. Unser Elendszug kam dann zwischen Cham und Roding an, in einem kleinen Dorf namens Wetterfeld. Dort gelangten wir in eine Scheune, zusammen mit zwei SSLeuten. Ich dachte, Flugzeuge nähern sich, es waren aber Panzer. Auf einmal hörten wir einen Schrei. Da hat die SS Taschentücher an die Geweh-

War es in der DDR einfacher als heute, sich zu dem Erlebten zu äußern? Dort hab ich zum Beispiel nie die Geschichte mit dem Wi-

derstand gebracht. Das lag an der Geschichte mit Heinz Lippmann, der in Ungnade gefallen war (Lippmann war offizieller Stellvertreter Honeckers in der FDJ. Er übersiedelte 1953 mit 300.000 Westmark in die BRD, Anm. d. Red.). Das war leider so. In der DDR war das Judentum, das Jüdisch-Sein, auch Ihr Jüdisch-Sein kein Thema... Was ich erlebt hatte, konnte nicht von Gott gewollt sein, die fabrikmäßige Tötung von Millionen Menschen, darunter eine Million Kinder. Ich bin damals sofort offiziell ausgetreten und gehöre seitdem keiner Religion an. Obwohl ich oft von Kirchen, auch von der jüdischen Gemeinde eingeladen werde. Bis heute gehen Sie in die Schulen, halten Vorträge, oft auch mehrmals in der Woche. Von ungefähr Anfang Oktober bis Weihnachten waren das allein achtzehn Veranstaltungen. Zu Weihnachten habe ich Briefe bekommen, Anrufe, von völlig Unbekannten. Eine Frau rief an und sagte, dass sie in großer Sorge ist, dass sie

Angst hat und sich fragt, wie es in Deutschland weitergeht. Diese Frage beschäftigt uns alle, auch angesichts des aktuellen braunen Terrors. Es ist kaum erträglich, dass es bis heute Menschen gibt, die sich eine Rückkehr des Faschismus wünschen. Neonazis sind kriminell, sie haben nichts gelernt aus millionenfacher Tötung. Wie sagte der große Brecht einmal? „So was hätt‘ einmal fast die Welt regiert / Die Völker wurden seiner Herr, jedoch, / Dass keiner uns zu früh da triumphiert, / Der Schoß ist fruchtbar noch, / Aus dem das kroch.“ Wer da denkt, es kann sich nicht wiederholen, der irrt. Und wenn die Dahingemordeten von Auschwitz noch einmal gemeinsam ihre Stimme erheben würden, es wäre der gewaltigste Schrei, der je die Menschheit erreicht hat, ein Schrei besonders auch an die Jugend: Lasst es nicht zu, dass Völkerhass, Fremdenfeindlichkeit, Rassenhass, Antisemitismus um sich greifen! Die Fragen stellten Rico Schubert, Peter Giersich und Kevin Reißig.

Foto: duncan1890 @ istockphoto

kämpfen würde. So kam ich zum Widerstand.


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Der Generalbundesanwalt, die „Aktion Wasserschlag“ und der NSU Als sich am 25. Januar der Morgennebel verzogen hatte und allmählich klarer wurde, wem die Polizeirazzia mit mehr als 100 Beamten in vier Bundesländern gegolten hatte, kam die Ernüchterung. Das, was der Generalbundesanwalt als großen medial wirksamen Befreiungsschlag geplant hatte, um die Negativschlagzeilen wegen der zögerlichen Ermittlungsfortschritte zum Terrornetzwerk Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) zu beenden, wird wohl als »Aktion Wasserschlag« in die Annalen eingehen. In Dresden-Gorbitz rückten die Herren des Morgengrauens mit der ganz großen Besetzung an, einschließlich eines Hundefängers und eines Rettungswagens. Spötter merkten an, das sächsische SEK sei offenbar lernfähig und habe verhindern wollen, dass erneut ein unschuldiger Hund bei der Durchsuchung erschossen würde. Und auch ein Rettungswagen schien sinnvoll. Schließlich ging es auch um die Suche nach Waffen und Sprengstoff. Der Ort der Aktion war wenig überraschend. Schließlich ist der Wohnungsinhaber ein alter Bekannter. Thomas S. gehörte zum sächsischen Zweig der inzwischen verbotenen militanten Gruppierung »Blood +

Honour« und zum Kern der dieser nahestehenden Organisation »Chemnitz Concerts 88« im Raum Zwickau und Erzgebirge. Sein Name tauchte von Anfang der Ermittlungen an im Zusammenhang mit dem NSU auf. Fast die gleiche Geschichte könnte man über Jan W. erzählen, der in Chemnitz von der Polizeiaktion betroffen war. Noch weniger vorzeigbar für den Generalbundesanwalt dürften die Ereignisse des fraglichen Tages in BadenWürttemberg sein. Hier hoffte man, verwertbares Material bei Andreas G. zu finden, den es von Sachsen in den Westen verschlagen hatte und der aus den gleichen Strukturen wie die beiden zuvor Genannten kommt. Er war nicht anwesend. Er konnte es auch gar nicht sein. Die Beamten waren zu einer Adresse ausgerückt, wo er längst nicht mehr wohnt. Von Anfang an klar war dagegen, dass die beiden Neonazis im Saale-Orla-Kreis, bei denen Hausdurchsuchungen stattfanden, nicht als Beschuldigte geführt wurden. Es handelte sich um die ehemaligen Inhaber eines Neonazi-Szeneladens in Jena, die in der dortigen Region ebenfalls im Umfeld der verbotenen »Blood + Honour« aktiv waren. Ihnen wurde die weit zurückliegende

Bekanntschaft mit Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos zum Verhängnis. Sollten sie in frühere Straftaten des Trios verstrickt gewesen sein, dann wären diese Taten längst verjährt. Es konnte also lediglich um die Gewinnung zusätzlicher Hinweise und Indizien gehen. »Nix gewesen außer Spesen«, sagt der Volksmund für gewöhnlich zu solchen Vorgängen. Es ist allerdings fraglich, ob der Generalbundesanwalt mit Aktionen dieser Art wirklich davon ablenken kann, dass er wirkliche Ergebnisse trotz des Einsatzes von mehr

Tödliche Realitäten

Prozess gegen die Mörder des wohnungslosen André K.

Im Dezember 2011 begann am Leipziger Landgericht der Prozess gegen die mutmaßlichen Mörder von André K. Der Wohnungslose war am 27. Mai 2011 am Südbahnhof in Oschatz von fünf jungen Männern angegriffen worden. Er verstarb wenig später im Alter von nur 50 Jahren infolge seiner schweren Kopfverletzungen. Die fünf Täter sind wegen gemeinschaftlichen Totschlags und ein weiterer wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt. Mindestens einer der Täter, Ronny S., ist als bekennender Neonazi bekannt. Er gehört zum Umfeld der regionalen NPD-Jugendorganisation JN. Es ist zu befürchten, dass es sich beim Mord an André K. um ein rechts motiviertes Hassver-

brechen handelt. Darauf weist auch die Tatsache hin, dass die jungen Männer sich an jenem Freitag verabredet hatten, um K. zu suchen »und zu misshandeln«. Neonazis haben in Sachsen seit 1990 mindestens 13 Menschen auf dem Gewissen. Sie mordeten aus rassistischen, politischen und homophoben Motiven. Doch auch sozial benachteiligte Menschen wie Wohnungslose waren und sind immer wieder Ziel rechts motivierter Gewalt. Initiativen zählen bundesweit mindestens 28 Morde an wohnungslosen Menschen seit 1990, davon drei in Sachsen. Mit André K. könnten es nun vier sein. Gewalt gegen sozial Benachteiligte muss als Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Stimmung begriffen werden. Unter anderem die Langzeitstudie »Deutsche Zustände« der Uni Bielefeld belegt, dass die Abwertung sozial Schwacher und Langzeitarbeitsloser

im beängstigenden Maße zunimmt. Bekräftigt werden diese Haltungen durch eine Politik, die Menschen erst ins soziale Abseits drängt und sie dann als Fremdkörper stigmatisiert, verdrängt und vertreibt. Und so ist es durchaus denkbar, dass sich die mutmaßlichen Mörder von Andre K. als Vollstrecker eines gesellschaftlichen Willens betrachteten, als sie zuschlugen und -traten. Die krasse Dimension rechts motivierter Gewalt ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten von offiziellen Stellen systematisch bagatellisiert worden. Dies zeigt sich nicht nur am Beispiel des »Nationalsozialistischen Untergrunds«, sondern auch in der Diskrepanz zwischen den offiziellen Opferstatistiken und denen, die von zivilgesellschaftlichen Initiativen sowie Journalistinnen und Journalisten geführt werden. Während die Bundesregierung 47 Opfer rechter Gewalt seit 1990 anerkennt, haben letzte-

als 500 hoch qualifizierten Beamten immer noch nicht vorweisen kann. Ziel sei es gewesen, so der Ermittlungsleiter in einer Pressemitteilung, »weitere Erkenntnisse über das Unterstützerumfeld der terroristischen Vereinigung und die Herkunft der Waffen des NSU zu gewinnen«. Sollte man ernsthaft erwartet haben, Quittungen über den Verkauf von Waffen zu finden? Das wäre dann wirklich dümmer als die Polizei erlaubt. Was also tun, um endlich Klarheit zu bekommen? Das, was von Anfang an versäumt wor-

den ist. Statt der Taktik des Verschweigens, Vertuschens, Verleugnens durch die Behörden aller Ebenen muss eine öffentliche Aufklärung über die Strukturen der Neonazis erfolgen, die in Sachsen nahezu ungehindert über Jahre ihr Unwesen treiben konnten. Das wird nur ein Untersuchungsausschuss des Landtages klären können. Wenn überhaupt. Eine Erkenntnis steht allerdings bereits fest: Dieses Landesamt für Verfassungsschutz braucht nun wirklich niemand. Es ist überflüssig wie ein Kropf. Kerstin Köditz

re im selben Zeitraum 148 entsprechende Morde gezählt. Zwar zwangen die Erkenntnisse um die menschenverachtenden Taten des NSU den Bundesinnenminister Friedrich, zu erklären, dass die offizielle Statistik der Opfer rechter Gewalt überprüft werden müsse. Dass es mit diesem Bekenntnis aber nicht weit her ist, zeigt der Umgang mit dem Antrag der Linksfraktion im Bundestag zur Neubewertung der Opferzahlen rechter Gewalt, der vergangenen Dezember mit den

Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt wurde. Die anhaltende Verweigerung der Regierungskoalition, Fehler einzugestehen, vor allem aber die Opfer zu würdigen und ihren Angehörigen ein wenig Genugtuung zu verschaffen, ist bedenklich. Außerdem wird mit der anhaltenden Bagatellisierung der Opferzahlen eine offensive Auseinandersetzung über die Ausmaße rechter Gewalt und über Gegenmaßnahmen behindert. Am 24.Februar 2012 wird der Prozess gegen die mutmaßlichen Mörder von Andre K. in die entscheidende Phase gehen. Wie schon im Fall des Mordes an dem 19-jährigen Kamal Kilade sieht die Staatsanwaltschaft kein Anzeichen für eine »rechtsextremistische Motivation«. Alle Hoffnungen lasten somit auf der Nebenklage, dem Gericht und einer interessierten und kritischen Öffentlichkeit. Juliane Nagel www.initiativkreis.blogsport.de


Die dritte Seite

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Die Großzügigkeiten der eisernen Sparer Im HaushaltsMusterland blüht die Steuerverschwendung Sachsen ist Deutschlandmeister beim Sparen. Jedenfalls bemüht die CDU gern das Bild der klugen Hausfrau, die nicht mehr ausgibt als sie einnimmt. Das ist im Ansatz auch richtig, und die LINKE, als sie noch PDS hieß, war mit ihrem Konzept des alternativen schuldenfreien Haushalts im Jahr 2000 auch schon einmal so weit. Kontrollieren lässt sich die Finanzpolitik des Freistaates allerdings immer weniger. Der Trend, zunehmend Posten in Schatten- und Nebenhaushalte auszulagern, hat Ausmaße angenommen, die neben der Opposition inzwischen auch den Rechnungshof auf den Plan gerufen haben. In ihrem letzten Jahresbericht monieren die Leipziger Kassenprüfer, dass mittlerweile rund zwei Milliarden Euro, das sind 12 Prozent der Gesamtausgaben des Freistaates, auf diese Weise versteckt werden. »Das derzeitige Haushaltsystem wird den Anforderungen der Praxis nicht mehr gerecht«, stellt der Rechnungshof lakonisch fest. Gerecht wird es wohl eher einer Denkweise, die zweierlei Maß im Umgang mit den anvertrau-

Dies verkündete einst Erich Mühsam in seinem Gedicht „Erziehung“. Es ist der Rat des Vaters an den Sohn, sich zum eigenen Vorteil mit Pump durch die Welt gegenseitiger Ausbeutung zu schlagen. Wie so oft steht dem eine andere Erkenntnis gegenüber: „Borgen bringt Sorgen“. Die gilt jedoch üblicherweise nur für den Kleinen Mann und die Kleine Frau. Üblicherweise, denn die Zeit um Weihnachten hat ja wohl gezeigt, dass das Borgen auch ganz Großen Sorgen bringen kann – dem Bundespräsidenten gar – und nicht zu kleine. Obwohl, der hat doch nichts anderes getan als andere auch. Er hat sich bei mehreren Angeboten das günstigste herausge-

ten Steuergeldern erkennen lässt. Auf der einen Seite die offizielle rigorose Ausgabendisziplin, auf der anderen Seite eine selbstverständliche Sorglosigkeit bei spekulativen Ausgaben. Verantwortung und Verantwortungslosigkeit liegen auch beim haushaltpolitischen Musterknaben Sachsen eng beieinander. Gemeint sind damit nicht nur die üblichen Schildbürgerstreiche, von denen der Rechnungshof jedes Jahr zwei bis drei Dutzend auflistet. Schlendrian,

Irrtümer und hanebüchene Gurken kommen überall vor. Wichtiger sind unbegreifliche Leichtfertigkeiten im großen Stil, die eine gewisse Systematik erkennen lassen. Der spektakulärste, spekulativste und am häufigsten reflektierte Fall war 2007 der Fall der Landesbank Sachsen im wörtlichen Sinne. Deren riskante Anlagen und Verluste finden ihre Entsprechung in ähnlichen kommunalen Experimenten von Kommunen, die zum Beispiel der Stadt Leipzig dreistellige Mil-

sucht. Dass es nicht von einer Bank kam, sondern von Freunden, sollte zum Ausgangspunkt des Verhängnisses werden. Vorteilsnahme gewährt, statt Zinsen gezahlt, war der Vorwurf, der den ehemaligen Ministerpräsidenten aus dem höchsten Amt kippen sollte. In wessen Interesse? Wer weiß? „Die große Weltpresse, diese ungeheure Lügenküche ... ist abhängig von allen Maklern der Welt, den Spekulanten, den internationalen Banken und von Geheimfonds, die man den Steuereinnahmen entnommen hat“. Das schrieb Henri Barbusse 1920. Wer solcher Presse gar noch frech kommt, wird erledigt. Unbeholfenheit treibt das Hamsterrad. „Trotz der Widrigkeiten des Metiers“, sei die Presse „eine verteufelte Macht“, erkannte Emile Zola schon im 19. Jahrhundert. Wir wissen das, und wir werden es über Nacht nicht ändern. Ob es mit dem Bundespräsidenten den Falschen, den Unschuldigen traf, sei dahingestellt. Viel interessanter ist doch die Sa-

che mit dem Kredit. Was warf man Herrn Wulff eigentlich vor? Er hat sich doch „marktwirtschaftlich“ verhalten, der Bundespräsident; nicht anders als gleich zu Jahresbeginn die Bundesregierung. Da erreichte uns doch eine unglaubliche

1-2/2012  Links! lionensummen kosten. Der aktuellste und nicht minder spekulative Fall ist das am 25. Januar von der CDU-FDP-Koalition im Landtag beschlossene Standortgesetz, die einschneidenste Behördenreform in der Geschichte Sachsens seit 1990. Ein eher eckiges denn rundes Ei, das ausgerechnet im Haus des intellektuell sonst nicht unterbelichteten Justizministers Jürgen Martens (FDP) ausgebrütet wurde. Das einzig Gewisse an diesem Behördenkarussell sind Mehrausgaben von mindestens 300 Millionen Euro, die die Umzüge kosten werden. Die beiden krassesten Rochaden sind die Wanderung des Landesrechnungshofes von Leipzig nach Döbeln und die der Sächsischen Aufbaubank von Dresden nach Leipzig. Bei der Aufbaubank

winken sogar CDU-nahe Kreise lächelnd ab und vertrauen darauf, dass entweder die Zeit, der weiter schrumpfende Landeshaushalt oder eine vernunftbegabtere Regierung diesen Unfug korrigieren werden. Das Behördenhalma setzt auf mehr Mobilität bei Beamten und beim Bürger, Mobilität, die absehbar immer teurer wird. Die Umzüge sollen einige Mittelzentren stärken, dünnen aber durch Zentralisierungen in Wahrheit die Fläche weiter aus. Für die nach 2020 angeblich eintretenden Einsparungen von 285 Millionen Euro jährlich bleibt die Staatsregierung jede plausible Berechnung schuldig. Vermutlich resultieren sie nur aus dem ohnehin vorgesehenen Abbau von weiteren 17 000 Stellen im Landesdienst. Gemessen an diesen Verschwendungsdimensionen haben einige personalisierte Einzelfälle eher medialen Unterhaltungswert. Wenn eine Weiterbildung für Regierungssprecher Johann-Adolf Cohausz pro Tag 4 500 Euro kostet und die Staatsregierung dies auch noch als »üblichen Satz« bezeichnet, hat sie jedes Maß für das Empfinden der Bürger verloren. Und wenn Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP) für 5 000 Euro eine Schreibtischlampe aus modernen organischen Leuchtdioden anschafft, demonstriert er damit eher, dass diese Technologie noch nicht wettbewerbsfähig ist. Verbessert haben sich weder der Umgang des Regierungssprechers mit den Medien noch die Erleuchtung des Ministerhauptes. Gelernt aber hat der Bürger einmal mehr, dass die, die Wasser predigen, meistens selber Wein saufen. Mark Spitz

kann sein Glück nicht fassen und der Ruhm des soliden Gläubigers wächst ins Unermessliche. Das Elend vieler Staaten wird zum Glück Deutschlands. Es ist so, wie wenn Oma den Banken nicht traut und das Geld zunächst in ihren Strumpf und unters Kopfkissen tut. Aus Angst, dass es aber auch dort gestohlen werden könnte, geht sie nun doch zur Bank. Allerdings legt sie das Geld nicht an, sondern deponiert es im sicheren Schließfach. Dafür muss sie natürlich bezahlen. Deutschland, das große, gebührenpflichtige Schließfach für das Geld verunsicherter Anleger! Was früher Schulden waren, ist heute eine vermögensbildende „Sicherungsverwahrung“ für Geld. In Deutschland jedenfalls. Solches musste freilich erst herbeigeführt werden: vornehmlich durch Lohnverfall, Rentenklau und Sozialabbau im eigenen Land. Das machte es erst zum Exportweltmeister, andere jedoch zu Verschuldungsweltmeistern. Solches muss jetzt abgesichert

werden: vornehmlich durch Spardiktate, die man anderen aufzwingt. „Borgen bringt Sorgen“, ereilte plötzlich Staaten und erst recht dort die Kleine Frau und den Kleinen Mann. Für sie wurde die Warnung des Polonius in Shakespeares Hamlet Wahrheit: „Borgen stumpft der Wirtschaft Spitze ab.“ Die „Rating-Agenturen“ tragen durch Herabstufung der Kreditwürdigkeit das Ihrige bei. Können und dürfen sich die meisten europäischen Länder Schulden nicht mehr leisten, was bleibt dann denen übrig, die auf dem Geld sitzen, als es in sicheren Lagern für bessere Zeiten aufzuheben? Natürlich kostet das was. Deutschland reitet munter auf dem Rücken der ausnahmsweise seinen Speichel leckenden Finanzhyänen durch die Welt, und es hat sich Erich Mühsams bittere Warnung dreist in süße Wirklichkeit gewendet: „Was andere schufen, nenne dein! Was andere haben, steck dir ein! Greif zu, greif zu! Gott wird‘s dir lohnen. Hoch wirst du ob der Menschheit throhnen!“ Und wenn alles in Scherben fällt ...?

»Vom Pumpen lebt die ganze Welt« Meldung zu einer Neuerung auf den Finanzmärkten, die bisher unvorstellbar war: Es gibt „Minuszinsen“. Das heißt im Klartext, Geldgeber zahlen an Deutschland Gebühren dafür, dass sich Deutschland bei ihnen Geld leiht. Das hätte sich auch ein Erich Mühsam nicht träumen lassen. Die Wortbedeutungen von „Gläubiger“ und „Schuldner“ wechseln ihren Platz. Der bisherige Schuldner wird gegenüber dem Gläubiger anspruchsberechtigt. Mühsams „Glück ist auf Ruhm und Pump gestellt“, wird auf merkwürdige Weise wahr. Deutschland


Links!  1-2/2012

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Beeindruckendes China Auf Einladung der Internationalen Abteilung der KP Chinas besuchte eine Studiendelegation der LINKEN vom 10. bis 20. Dezember 2011 das einwohnermäßig größte Land der Erde. Ziel der Reise war es, sich über die aktuelle politische und wirtschaftliche Lage, über soziale Probleme sowie den Sozialismus chinesischer Prägung und dessen praktischer Umsetzung zu informieren. In Peking gab es vor allem Gespräche zur Geschichte des Landes und zu den insbesondere wirtschaftpolitischen Vorhaben der Regierung. Im Autonomen Gebiet Guangxi besuchten wir die Städte Guilin, Liuzhou und Nanning, bevor die Reise im Südosten Chinas in der in der Provinz Fujian gelegene Hafenstadt Xiamen ihren Abschluss fand. Wenn man die mediale europäische Berichterstattung über China auf den Kern reduziert, dann geht es zumeist um das letzte große kommunistische Regime der Welt, um Demokratiedefizite und Menschenrechtsverletzungen bis hin zu einer angeblich unverantwortlichen Umweltpolitik. Natürlich haben wir bei unserem Aufenthalt nur einen kleinen Ausschnitt des Lebens in China kennenlernen können, und sicher wird kein Gastgeber seinen Gästen zuerst die problematischen Seiten seines Landes präsentieren; aber ich habe dennoch viele Informationen und auch Einsichten gewonnen, die ein anderes Bild von China ergeben als das hierzulande vorherrschende. Wenn man in Peking die ehemals »Verbotene Stadt« be-

sichtigt oder in 100 km Entfernung die »Große Mauer« erklimmt, bekommt man eine Ahnung von der tausendjährigen Geschichte des Landes. Und wenn man sich die realen wirtschaftlichen Indikatoren ansieht, dann hat China inzwischen wahrlich viel erreicht. Das Land ist heute ExportWeltmeister und durch seine Einwohnerzahl naturgemäß einer der wichtigsten Absatzmärkte der Erde. Ein Großteil der Weltwährungsreserven in Dollar wie auch in Euro ist derzeit in chinesischen Besitz. Aus alledem ergibt sich ganz objektiv: China ist eine, womöglich sogar bald die wichtigste Weltmacht. Trotz enormer Höhen und Tiefen ist es im Land in den vergangenen Jahrzehnten nach wirtschaftlichen Kriterien stetig aufwärts gegangen. War in den sechziger Jahren eine Armbanduhr das ersehnte Ziel, strebte man in den Siebzigern nach Fahrrad, Nähmaschine und Fotoapparat, waren es in den Achtzigern einfache Möbel, Fernseher und Kühlschrank, in den Neunzigern Handy und Klimaanlage, so sind die Ziele heute eine Eigentumswohnung, ein Auto und die beste Bildung für die Kinder. Einer unserer chinesischen Gesprächspartner fasste das in vergangenen 30 Jahren Reform- und Öffnungspolitik Erreichte in vier Punkten zusammen: Marktwirtschaft sei ein Instrument, das sowohl im Kapitalismus als auch im Sozialismus anwendbar sei. Für Deng Xiaoping sei dabei das Kriterium die Zustimmung der Mehrheit

des Volkes gewesen. Ohne Demokratie sei kein Sozialismus möglich. Die chinesische Wirtschaft, die zuvor ein geschlossenes System darstellte, sei zur Außenwelt geöffnet worden und habe den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft vollzogen. China habe beim Brutto-Inlandsprodukt einen Sprung von 20 US-$ pro Kopf und Jahr auf 400 $ vollzogen. Die durchschnittliche Lebenserwartung stieg im selben Zeitraum von 35 auf 72 Jahre. Die Zahl der Armen sei um 220 Millionen Menschen gesunken. (UNO und Weltbank gehen nach ihrer Berechnungsmethode sogar von 300 Millionen aus.) - wie ich finde, eine grandiose Leistung!

Stark beeindruckt war die Delegation von der Stadt Liuzhou, wo aus einem alten Industriezentrum und Eisenbahnknotenpunkt eine supermoderne, großzügig geplante, grüne Industriestadt mit relativ sauberer Umwelt entstanden ist. Allein in Liuzhou wurden im Jahr 2010 über 1,3 Millionen PKW produziert, eine schier unglaubliche Zahl. Und wenn der Oberbürgermeister uns berichtet, dass er in den letzten zehn Jahren bei den Steuereinnahmen einen durchschnittlichen (jährlichen) Zuwachs von 21 Prozent hatte und diesen für soziale, kulturelle und Bildungsprojekte verwenden konnte, dann wird man aus sächsischer Sicht schlicht eifersüchtig. Natürlich konnten wir in China

nur einen Ausschnitt der gesellschaftlichen Entwicklung sehen, aber dennoch haben wir viele Vorurteile nicht bestätigt gefunden. In fast allen Gesprächen mit verantwortlichen Politikern spielte der Umweltschutz eine Rolle, und wurde von den Gastgebern selbst angesprochen. Und last but not least: Wir haben auch Menschenrechtsfragen angesprochen. So thematisierten wir die während unseres Aufenthalts aufkommenden Unruhen in der Kleinstadt Wukan, über die auch in Deutschland berichtet wurde. Ich bin dankbar für die Möglichkeit, an dieser Reise teilnehmen zu können und auch sicher: Wir werden von China noch sehr viel hören! André Hahn

Wie eine Partei sich selbst überflüssig macht Es gibt Stationen in meinem Leben, die ich zwar korrigieren konnte, aber eben nicht ungeschehen machen kann. Und bei näherer Betrachtung und ausgesprochen wohlwollender Würdigung meiner eigenen Motivation drängt es mich, mir mit der Hand vor den Kopf zu schlagen: Was, zum Henker, hat mich getrieben, dieser Gurkentruppe beizutreten? Nein, nein, ich meine nicht etwa die etwas klein geratene sächsische WASG. Ich meine die selbsternannte Wachstumspartei, die FDP. Holger Zastrow ist nicht gerade für kritische Selbstreflektion bekannt. Umso erstaunlicher war sein recht offenes Bekenntnis: »Der Lächerlichkeitsgrad, den wir inzwischen erreicht haben, der verschlägt einem schon den Atem, und

inzwischen fehlt mir auch der Humor, wenn ich da sehe, was so los ist«. Damit meinte er zunächst den Zustand der einst so stolzen »18-Prozent-Partei« im Bund. Aber nicht nur mit Blick auf die Bundespartei kann man dem FDP-Vize und Fraktionschef im Sächsischen Landtag kaum widersprechen. In der Auseinandersetzung zwischen Wirtschaftsliberalen und Bürgerrechtsprotagonisten bei den Blaugelben hat sich im Wesentlichen der neoliberale Wirtschaftsflügel durchgesetzt. Nur hin und wieder dringen die Gerhard Baums überhaupt noch durch, wenn sie das Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung von Gesetzen auf den Schutz von Grundrechtsnormen bemühen. Seitdem die FDP in Sachsen und im Bund mitregiert,

wird für uns sehr plastisch, warum diese Partei überflüssig ist. Für den Schutz der Grund- und Freiheitsrechte, der Bürgerinnen und Bürger vor der Staatsmacht, den Schutz vor dem überbordenden Drängen staatlicher Stellen nach Informationen über die eigene Bevölkerung, für all das hatte die FDP in der alten Bundesrepublik einst eine durchaus wichtige Funktion im politisch-parlamentarischen Raum, auch wenn ihr der marktliberale Grundkonsens stets innewohnte. Schon unter dem alten Grafen der Partei, Otto Lambsdorff, konnte vor allem in der Regierung Schmidt dieser Teil der FDP vor dem Hintergrund der heraufziehenden Reaganomics, also dem Siegeszug des Neokonservativismus oder eben Neoliberalis-

mus an Boden gutmachen und sich schließlich durchsetzen. Der Regierungswechsel 1982 war logische Folge. In Sachsen verstecken sich manch junge CDU-Abgeordnete sehr gern hinter der FDP, wenn es darum geht, den Rotstift anzusetzen und grundsätzliche Weichen zu stellen, die künftige Generationen teuer zu stehen kommen. Nur in Sachen Rechtsstaatssicherung und Bürgerrechte ist die FDP als Korrektiv kaum tauglich. Und so darf vor allem ein junger Rechtsanwalt der FDP das Vorgehen der Polizei und Staatsanwaltschaft gegen friedliche Demonstranten am 13. Februar 2010 und 2011 verteidigen, hilft die FDP die aus fadenscheinigen Gründen beantragte Aufhebung der Immunität des LINKE-Frakti-

onschefs umzusetzen, begründet die FDP vollmundig, weshalb ein marginal geänderter Gesetzentwurf eines schon einmal vom Sächsischen Verfassungsgericht zurückgewiesenen Versammlungsgesetzes nunmehr rechtskonform und verfassungsfest sein soll. Mehr und mehr macht sie sich zum Handlanger der sächsischen CDU, die mit ihrem Weltbild Gesellschaft und Staat Zug um Zug umkrempelt. Die Partei, die zu Recht im freien Fall begriffen ist, hat ausgedient und wird im politischen Spektrum nicht mehr wirklich gebraucht. Das Feld der Bürgerrechte und der Rechtsstaatssicherung haben längst andere übernommen, und mit den »Piraten« macht sich vielleicht die nächste Truppe auf diesen Marsch. Enrico Stange


Januar-Februar 2012

Sachsens Linke

Rico Gebhardt und Stefan Hartmann blicken auf das Jahr 2011 zurück und geben einen Ausblick auf 2012. Auf Seite 3. Bei der Zerschlagung des Druckmaschinenherstellers Manroland verliert Plauen de facto seinen letzten Großbetrieb. Von derzeit 823 Beschäftigten dürfen nur 296

bleiben – während 527 den blauen Brief noch bis zum Monatsende bekommen. Noch schlimmer als Plauen betrifft die Manroland-Insolvenz aber das hessische Offenbach, wo 1.000

Beschäftigte entlassen werden. Ein Bericht von Thomas Kind auf Seite 5. Und Mark Seibert fragt auf Seite 7 nach den Beschäftigungsbedingungen in kirchlichen Einrichtungen.

Dresden nazifrei!

und 18. Februar Zeichen setzen am 13.

Kaum zu glauben!

DIE LINKE. Sachsen braucht Dich am 13. und 18. Februar 2012! Wie alle Jahre wieder wollen die Nazis in Dresden auch im Februar 2012 ihren europaweit größten Aufmarsch in die Realität umsetzen. Nach vielen Jahren fast ungehinderter Aufmärsche in Dresden sind sie zwei Jahre in Folge gescheitert und dennoch mobilisieren sie wieder. Dank eurer Unterstützung haben wir zweimal geschafft, was wir nicht für möglich hielten: den Aufmarsch von mehr als 6.500 Nazis zu blockieren. Das haben wir der breiten Unterstützung aus ganz Sachsen und dem Bundesgebiet zu verdanken, insbesondere

auch den Vielen aus den Reihen der LINKEN, die sich auf den Weg nach Dresden gemacht haben. Nun brauchen wir wiederum Eure Unterstützung, um dem braunen Spuk mit aller Macht entgegenzutreten. Wir als LINKE schließen uns sowohl dem Aufruf des Bündnisses Dresden Nazifrei an, werden aber auch an allen weiteren friedlichen Protestformen rund um den 13. Februar teilnehmen. Momentan zeichnet es sich ab, dass die Nazis am 13. Februar in den Abendstunden und am 18. Februar tagsüber

marschieren wollen. Für den 13. Februar bitten wir Euch, die Mitglieder und Sympathisanten der LINKEN in Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und in der tschechischen und polnischen Republik, unterstützt die vielfältigen Aktionen und kommt nach Dresden. Anlaufpunkte sind: 13 Uhr Comeniusstraße/ Fetscherstraße zur Veranstaltung »Tätermahngang« (Bereits genehmigt!!!) 17 Uhr Menschenkette – Beginn am Rathaus Dresden Für den 18. Februar bitten wir Euch ebenfalls nach Dres-

den zu kommen, um gemeinsam mit tausenden anderen Menschen ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, ein Zeichen für Toleranz und Mitmenschlichkeit zu setzen. Wie immer wird vieles in der letzten Minute entschieden werden. Bitte informiert Euch regelmäßig auf unserer Homepage www.dielinkesachsen.de und unter www. dresden-nazifrei.com Margot Gaitzsch (Stadträtin der LINKEN in Dresden) Jens Thöricht (Mitglied des Vorstandes der LINKEN. Sachsen)

Der Verfassungsschutz hat 27 Bundestagsabgeordnete und 11 Landtagsabgeordnete der LINKEN auf seiner Liste, die er beobachtet, weil von denen eine angebliche Gefahr der Freiheitlichen Grundordnung ausgeht. Angeblich werten sieben Schlapphütte öffentliche zugängliche Informationen über diese 38 Abgeordnete aus, also ein Schlapphut beschäftig sich mit ca. fünf Abgeordneten der LINKEN. Wenn der Verfassungsschutz nur öffentlich zugängliche Quellen auswertet, warum bekommt Gregor Gysi eine Akte ausgehändigt, die zu mehr als zweidrittel geschwärzt ist? Was in den letzten Tagen etwas unter gegangen ist: Es werden ja auch schon seit Jahren Strukturen innerhalb der LINKEN beobachtet, wahrscheinlich nicht von den sieben Verfassungsschützern, sondern von weiteren. In Anbetracht von bisher zehn bekanntgeworden Morden durch ein rechtes Terrornetzwerk, die tatsächlich die freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen wollen, sollten sich die Schlapphüte mal fragen: Was machen wir da eigentlich? Wenn der Verfassungsschutz von dem Terrornetzwerk nichts gewusst hat, dann hat er versagt. Wenn er was gewusst hat und nichts unternommen hat, dann ist es ein Skandal und das Versagen ist umso größer. Also wozu brauche ich eine Behörde, die nichts zur Aufklärung von Nazimorden beiträgt, aber der Meinung ist, sie müsse 38 Abgeordnete der LINKEN unter Beobachtung stellen? Eine Behörde die so arbeitet, braucht niemand. Die kann recycelt werden.


Sachsens Linke!  1-2/2012

Meinungen Unsere Leserin Inge Konrad aus Hartenstein schreibt: Die Zeitung ist für die Basis sehr wichtig, auch für die älteren Mitglieder, die kaum noch aus dem Haus kommen. Ich finde es gut, dass in der Dezember-Ausgabe bereits die Termine für Januar abgedruckt sind. Vielleicht überlegt ihr mal, die Schrift etwas größer zu drucken, unsere Kreiszeitung ist diesem Vorschlag der Basis gefolgt. Rita Kring aus Dresden zu „Empörte, Occupy und die Mosaiklinke in Europa“ (Sachsens Linke! 12/2011, S. 13) Die Occupy-Bewegung aktiviert Personen, die bisher nicht aktiv waren, gegen das herrschende undemokratische und unsoziale System. Dass sie sich gegen Vereinnahmungsversuche von etablierten Parteien und Organisationen wehren, ist verständlich, insbesondere wenn diese bisher die Probleme eher verschärft haben. Ohne viele aktiv gegen die Diktatur des Kapitals Widerstand Leistenden helfen auch noch so gute Wahlergebnisse für linke Parteien nichts. Bestehende Erfahrungen, das Wissen und Errungenschaften können nur in einem gleichberechtigten Diskussionsprozess eingebracht werden. Dadurch besteht zwar die Gefahr des Abflauens oder der Vereinnahmung durch Nationalisten bzw. durch das herrschende System. Aber nur so können unsere gemeinsamen Ziele und Vorstellungen eine breitere Massenbasis gewinnen und von dieser durchgesetzt werden. Uwe Schnabel aus Coswig zu „Das Entscheidende sind die Menschen“ (Sachsens Linke! 12/2011, S. 3) Für den Großhandel und die Lebensmittelhersteller sind die Tafeln eine kostenlose Müllentsorgung. Außerdem wird mit der Tafelunterstützung teilweise Werbung gemacht. Gleichzeitig fehlt Geld. Deshalb sollten Großhandel und Lebensmittelhersteller

Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der Linken in Sachsen Herausgeber: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Großenhainer Str. 101, 01127 Dresden

zumindest die eingesparten Müllgebühren an die Tafeln zahlen. Banken und andere Großkonzerne bekommen Milliarden, soziale Projekte, wie z.B. die Tafeln, werden dagegen durch Ehrenamtliche und Niedriglohnbeschäftigte getragen. Damit sich das ändert und »demokratische Rechte, Recht auf Kultur und Bildung« nicht nur von Wohltätigkeit abhängig sind, ist massenhafter Widerstand notwendig. Deshalb wäre es schön, wenn das Zusammentreffen so vieler Betroffener bei den Tafeln für die (Selbst-) Organisation und Koordinierung dieses Widerstands genutzt werden könnte. So kann auch verhindert werden, dass die Tafeln zur Rechtfertigung weiterer Sozialkürzungen verwendet und damit zu einer Dauereinrichtung gemacht werden. Wolf-Dieter Klaus zum Artikel „Staatsschulden - Wem gehört Deutschland?“ (Sachsens Linke 12/2011) Wieviel Sekunden hat ein Jahr? 100 Millionen? Diese Frage ging mir durch den Kopf als ich versuchte, mir die Zahl zwei Billionen vorzustellen. Eine einfache Rechnung brachte es an den Tag: Das Jahr hat nur reichlich 31 Millionen Sekunden. Zwei Billionen Euro - die deutschen Staatsschulden von Bund, Länder und Kommunen - unvorstellbar. Ich versuche es mit Sekunden statt Euro und komme aufmehr als 63.000 Jahre. Zur Erinnerung, vor ca. 10.000 Jahren begannen die ersten Menschen mit Ackerbau und Viehzucht. Ist es denkbar, dass diese Schulden je (ohne Geldabwertung) abgebaut werden können? Oder hat das herrschende System gar kein Interesse daran weil ihr Klientel gut daran verdient? Es gibt nur eine Antwort: Dieses System muß weg! Zum 13. Februar schreibt Rene Nitzschke Ich kann den geplanten Blockaden gegen Nazis im Februar in Dresden nicht viel ErfolgNamentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer

Seite 2 versprechendes abgewinnen, daher werde ich mich nicht daran beteiligen. In diesem Zusammenhang wollte ich nur mal erwähnt haben, das die Bezeichnung Nazi ohne Anführungszeichen und ohne die Vorsilbe Neo- für das organisierte rechte Milieu eine Verharmlosung der deutschen Faschisten (der historischen Nazis) und ihrer Taten darstellt. Natürlich ist das von Euch so nicht gemeint, aber die Frage darf wohl erlaubt sein, warum sich eine Wortwahl in Sachsen und anderswo eingebürgert hat, die suggeriert, man wolle den historischen deutschen Faschismus und die heutigen Vorgängen in der Bundesrepublik fälschlicherweise in Übereinstimmung bringen? Heinz Bilan aus Leipzig zu „Fehler analysieren und Schwung von Erfurt nutzen“ (Sachsens Linke 12/2011) Caren Lay schreibt sehr richtig von einem (fast) verkorksten Jahr für DIE LINKE. Mancher ihrer Ausführungen kann ich durchaus beipflichten, aber wenn schon vom Erfurter Parteitag die Rede ist, der uns wieder Mut machte, warum dann kein Wort von der sofort danach von Mandatsträgern losgetretenen Personaldiskussion? Mittlerweile beschäftigen sich die Führungsgremien (siehe Elgersburg) in Permanenz mit Fragen, die in den wenigen Wochen vor dem Parteitag hätten geklärt werden können. Hat unsere Misere nicht auch etwas damit zu tun, dass wir eigene Themen einfach der SPD, den Grünen oder jüngst den Piraten überlassen (Mindestlohn)? Sicher – wir wollen keine monolithische Disziplin, aber so ein ganz wenig auf der Grundlage des Parteiprogramms und der in Erfurt gewonnenen Erkenntnisse täten uns gut. Karl Nuß aus Leisnig schreibt zum Mitgliederentscheid zum Bundesvorstand Der Beschluss des Landesvorstands ist nach meiner Ansicht abwegig. Alle anderen Parten haben sich bereits für den kommenden Bundestagswahlkampf profiliert. Die Linke lamentiert über die ÄndeAuflage von 18000 Exp. gedruckt. Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Tom Schumer, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Jörg Teichmann, Ralf Richter, Stathis Soudias Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio

rung der Parteisatzung, damit einige selbstherrlich gewordene Spitzenfunktionäre sich an die Parteispitze katapultieren können. Unsere Partei in Sachsen steht im Schatten des politischen Geschehens Sie ist überaltert. Die politische Aktivitäten an der Basis werden fast allein von den Abgeordneten getragen. Mir scheint, es haben einige

Genossinnen den Boden unter den Füßen verloren. Also überdenkt noch einmal Euren Beschluss. Es gibt etliche Genossen, die unsere politischen Inhalte in den Mittelpunkt stellen. Man soll sich an die jetzige Parteisatzung halten. Ein Kampf um eine Korrektur, lenkt ab von der politischen Sacharbeit.

Glossiert

Bellevue renovieren

Von Uwe Schaarschmidt

Jetzt sind alle empört. Alle die fremd gehen, alle die sich im Internet Pornos anschauen. Alle, die bei Rot über die Straße gehen und alle, die ihren Müll nicht trennen. Alle, die seltsame Steuersparmodelle praktizieren ebenso wie die, die ihrer Räum- und Streupflicht nicht nachkommen. Auch wer im Überholverbot überholt, bei der Hausordnung die Treppengeländer nicht abwischt, außerhalb der Bohrzeiten Dübel setzt, sich mit thailändischem Münzgeld Zigaretten an deutschen Automaten zieht und sich in der vollen Straßenbahn schlafend stellt, wenn ein welkes Mütterchen verzweifelt nach einem Sitzplatz sucht, ist empört: der Wulff, das Schwein! Er hat das Amt beschädigt! Es gab Stimmen, die warnten ausdrücklich davor, einen aktiven, hochrangigen Politiker in das Amt zu hieven – meist gehörten diese Stimmen aktiven, hochrangigen Politikern, die genau wussten, was bei Neujahrsempfängen nebenbei so alles empfangen wird. Das Problem war die Alternative: Joachim Gauck, ein Ex-Pfaffe, der im Auftrag hochrangiger, aktiver Politiker über zwei Jahrzehnte hinweg auf Begriffen wie Freiheit, Moral, Versöhnung, Verantwortung, Anstand, Demokratie sabbernd herumgekaut und sie damit nachhaltig beschädigt hatte. Das war zwar nicht sein eigentlicher Auftrag, aber es war nötig, um jeden Zweifel am Kapitalismus im Keime zu ersticken und da dies nicht ganz funktioniert hatte, sollte dies nun in möglichst unangreifbaInternet unter www.sachsenslinke.de Kontakt: kontakt@dielinkesachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720 Redaktionsschluss 1.2.2012 Die nächste Ausgabe erscheint am 23.2. 2012.

rer Position zu Ende geführt werden. Auch dies nichts weiter, als eine versuchte Beschädigung des Amtes. Das Amt. Es dauerte nach den ersten Nachrichten über den Schädling Wulff nicht lange, bis quer durch Politik und Geistesleben das Amt an sich in Frage gestellt wurde. „Brauchen wir eigentlich solch einen hoch bezahlten Grüßaugust?“ Ich finde, man braucht ihn oder sie. Irgendjemand muss den Königinnen und Königen einen guten Tag wünschen, wenn sie das Land besuchen. Irgendjemand muss den verdienstvollen Deutschen die Orden an die Brust heften. Irgendjemand sollte die Schulkinder beeindrucken mit seinem Lebenslauf und nett von der Wand schauen, wenn sich ein frecher Schlingel seine Standpauke beim Schuldirektor erteilen lässt. Irgendjemand muss in die weite Welt hinaus fahren, den Königinnen und Königen die Hand schütteln und den Menschen glaubhaft machen, dass wir Deutschen besser sind, als unser Ruf – und eigentlich sogar besser als unsere Autos und Druckmaschinen. Irgendjemand muss vor die geifernden Politiker treten und sagen: „Ihr haltet jetzt mal alle schön euren Mund und schreibt bis morgen 100 mal in Sonntagsschrift: Niedertracht ist die Mutter des Verbrechens.“ Das Land ist voll mit Menschen, die sich ihr Leben lang um ihre Nächsten verdient gemacht haben, ohne dafür Ruhm oder viel Geld zu bekommen. Hebammen, Feuerwehrleute, Landärzte, Puppenspieler, Naturschützer, Menschen die ehrenamtlich mit Behinderten spazieren gehen oder mit den Opas im Altersheim Skat spielen. Irgendeine oder irgendeinen von denen. Es ist völlig egal, wer es ist – er oder sie wird besser sein, als alle Vorgänger zusammen. Bis dahin kann Wulff ruhig im Amt bleiben, als letzter seiner Sorte.


1-2/2012  Sachsens Linke!

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Landesverband Sachsen Futter für die Köpfe! Rico Gebhardt und Stefan Hartmann mit einem Ausblick auf das Jahr 2012 Einer meiner Vorgänger im Amt des Landesvorsitzenden, Prof. Peter Porsch, bemerkte einmal sinngemäß, dass Linke statt großer Posten, Ämter oder Geldsäcke vor allem ihre Köpfe haben – zum Denken, zum Diskutieren, zum Gestalten. Deshalb spielt in linken Parteien Kopfarbeit eine so große Rolle und bereitet manchmal auch einige »Kopfschmerzen«, dann nämlich, wenn der konstruktive Streit und die Kritik umschlagen in Rechthaberei und Gezänk! Deshalb konzentrieren wir uns im Landesverband Sachsen seit einiger Zeit darauf, unsere politischen Ideen und Konzepte lang und breit in der Partei, aber auch außerhalb zu diskutieren. Es geht nicht darum, in möglichst vielen Orts- und Kreisverbänden zu verkünden, wie toll und richtungsweisend ein Vorstand, eine Fraktion oder eine FunktionärIn gewirkt hat. Aus dem repräsentativen Reden über Politik wird erst dann Beteiligung, wenn die GenossInnen mitbestimmen können. Bereits in der Programmdebatte haben wir uns viele Diskussionsformen erarbeitet, die wir nun weiter nutzen. Parallel dazu diskutierten und verabschiedeten wir im November 2010 unsere »Energiepolitischen Leitlinien«, wichtiger Baustein für den sozial-ökologischen Umbau in Sachsen. Auf dem Novemberparteitag 2011 konnten wir sehr umfassend angelegte Sozialpolitische Leitlinien in die Debatte geben. Darüber hinaus liegen Arbeitspapiere zu den bildungspolitischen und den kulturpolitischen Politikangeboten der sächsischen LINKEN vor. Thesen zur Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, unser »Plan demokratisches Sachsen« und die Überarbeitung der kommunalpolitischen Leitlinien vervollständigen das Diskussionsangebot. Aber auch die Erarbeitung von Sucht- und Drogenpolitischen Leitlinien stehen im Jahr 2012 an. Unser Programm setzt sich nicht dadurch um, dass wir »Parteilehrjahre« dazu veranstalten. Es ist viel wichtiger, all

dies nun in politische Praxis zu übersetzen. Der Gedanke von Marx aus seiner zweiten Feuerbachthese sollte auch für das Programm der LINKEN gelten: »Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme –- ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muß der Mensch die Wahrheit, i.e. die Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen.« Deshalb führen wir all diese wichtigen inhaltlichen Debatten nicht nur in der Partei, sondern starten Anfang dieses Jahres mit unserem »Dialog für Sachsen«, inspiriert von den Brandenburger GenossInnen. Wenn alles nach unseren Vorstellungen läuft, werden wir ab Februar unsere Sozialpolitischen Leitlinien auch im Netz diskutieren, mit einer für uns neuen Plattform, die unter dem Namen »adhocracy« vielleicht einigen von der elektronischen Programmdebatte bekannt ist. Damit wollen wir auch diejenigen für uns gewinnen, die vorrangig im Netz aktiv sind. In Zeiten der Krise ist die Planung politischer Prozesse eine schwierige Angelegenheit. Beim besten Willen können wir die Wendungen, die eventuell 2012 und 2013 vor uns liegen, nicht vorhersagen. Aber wir können uns wappnen und vorbereiten. Wir müssen zeigen, dass soziale Sicherheit unsere Kernkompetenz ist und wir unsere Konzepte auch umsetzen können. Auf der Grundlage der verschiedenen Leitlinien erarbeiten wir ein integriertes Landesentwicklungskonzept für Sachsen. Im Bundestagswahljahr 2013 werden wir damit in der öffentlichen Debatte auftreten, um uns unmittelbar im Anschluss an die Bundestagswahlen auf die 2014 stattfindenden Landtags- und Kommunalwahlen zu konzentrieren. Der Einbruch der Union im Jahr 2004, der einen Bergrutsch von über 15% bedeutete, hat sich als bis heute andauernd erwiesen. Die Parteien links von der Union werden kontinuierlich um bei oder über 40% gezählt, die Piraten nicht eingerechnet. Rechnerische Mehrheiten sind jedoch keine politischen Mehrheiten. Unser »Dialog für Sachsen« soll auch eine gesellschaftliche Debatte für linke Alternativen zur schwarz-gelben Politik verstärken.

Selbstverständlich sind all unsere Aktivitäten nicht auf das parlamentarische Wirken fixiert. Vielmehr stehen die gesellschaftlichen Debatten und Aktivitäten im Vordergrund, für die wir eng mit unseren VertreterInnen in Parlamenten und den kommunalen Vertretungskörperschaften zusammenarbeiten. Das Motto unseres Landesparteitags im November 2011 lautet: »Es sind die Verhältnisse, die wir ändern müssen.« Weil Organisation und Struktur die halbe Miete des Erfolges ist, arbeiten wir weiter an der Parteientwicklung und setzen die im Jahr 2011 beschlossenen Personalentwicklungskonzepte praxisnah um. Vor allem im Zusammenhang mit der Zukunftsfähigkeit des Landesverbandes muss als weiteres Aufgabenfeld die Öffentlichkeitsarbeit intensiviert werden. Das bedeutet neben der weiteren Qualifizierung der neuen Landeszeitung, diese noch stärker als Kommunikationsmittel für die Mitgliedschaft zu nutzen. Auch der Webauftritt und die Möglichkeiten des Web 2.0 sowie soziale Netzwerke im Internet sind weiterhin qualitativ so auszubauen, dass der Landesverband für die anstehenden Wahljahre ein breites, attraktives und spannendes Angebot offerieren kann: Tue Gutes und rede darüber ist eine Aufgabe im Jahr 2012. Rico Gebhardt/Stefan Hartmann

Landesvorstand zum Mitgliederentscheid Auf seiner Klausurtagung am 13. und 14. Januar hat sich der Landesvorstand der sächsischen LINKEN zur Entscheidung des geschäftsführenden Parteivorstandes zum Mitgliederentscheid verständigt. »Der Landesvorstand und die Kreisvorsitzenden nehmen mit Bedauern zur Kenntnis, dass sich eine Mehrheit des geschäftsführenden Parteivorstandes gegen einen Mitgliederentscheid entschieden hat. Dennoch wird der Landesvorstand keine Überprüfung bei der Bundesschiedskommission beantragen«, erklärte der Vorsitzende der sächsischen LINKEN, Rico Gebhardt. Er kündigte aber an, »um in Zukunft rechtssichere Entscheidungen zu haben« gemeinsam mit anderen Landesverbänden eine Satzungsänderung dergestalt herbeizuführen, dass Mitgliederentscheide künftig auch zu Personalentscheidungen möglich sind. »Das ist lediglich eine Konkretisierung der Intention der Satzung - innerparteiliche Basisdemokratie und Transparenz und entspricht den Grundaussagen des »Erfurter Programms« der LINKEN.« Neben ersten Beratungen zum Aufbau der Wahlkampfstrukturen für die Wahljahre 2013/2014 will der Landesvorstand, den Gedanken der Parteivorsitzenden

Gesine Lötzsch aufnehmend, ein Referenzprojekt zur Umsetzung des Programms erarbeiten und dieses auf dem Göttinger Parteitag vorstellen. Der Landesvorstand hat daher beschlossen, den anderen Landesvorständen anzubieten, über den »Dialog für Sachsen« ins Gespräch zu kommen und Arbeitsbeziehungen einzugehen. Mit einem konkreten Konzept, so sollen der Leipziger Kulturbürgermeister Michael Faber und der Autor Dietmar Dath mit einer Lesung »Alles fragen, nichts fürchten« die Debatte beflügeln, will der Landesvorstand der LINKEN Sachsen einen landesweiten Kulturkonvents am 21. April 2012 in Leipzig durchführen. Der »Kleine Parteitag« von Anfang Juli 2011 erteilte den Auftrag, den Entwurf der kulturpolitischen Leitlinien breit in den Gliederungen der Partei als auch in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Seitdem haben in etlichen Kreisen schon Veranstaltungen stattgefunden, der Kulturkonvent soll einen Höhepunkt markieren und Gelegenheit bieten, mit Akteur/ innen aus verschiedenen Kulturbereichen das Thema noch einmal grundlegend und aus unterschiedlichen Perspektiven heraus zu beleuchten und zu diskutieren. Rico Schubert


Sachsens Linke!  1-2/2012

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Debatte

Alternative Ökobonus Die Notwendigkeit einer Energiewende ist inzwischen gesellschaftsweit unumstritten. Die zukünftige Auseinandersetzung wird vor allem um das Tempo und um die Verteilung der Kosten gehen. Die ökologisch richtige Förderung der Investition in erneuerbare Energien durch das EEG etwa wurde von allen Stromverbrauchern (ob arm oder reich) zu gleichen Anteilen bezahlt. Der Aufschlag auf den Strompreis betrug 2011 bereits 3,5 Ct/kWh und trifft Arme überproportional. Von den Gewinnen aus dem Betrieb der Anlagen zur regenerativen Stromerzeugung, die mit der EEG-Umlage möglich werden, haben sie in der Regel nichts. Nachteile von Sozialtarifen Für die LINKE existenziell ist eine Verknüpfung von Energie- und Umweltpolitik mit ihrem Kompetenzkern soziale Gerechtigkeit. Als Alternative zur drohenden Verschärfung sozialer Ungleichheit fordert sie häufig Sozialtarife. Wessen Einkommen unterhalb einer Grenze liegt, der bekommt eine Basismenge Strom oder Wärme entweder kostenlos oder zu einem günstigeren Preis. Einige Energieversorger bieten dies heute schon exemplarisch für eine begrenzte Anzahl von Kunden an, die Sozialhilfe beziehen. Wenn dieses Prinzip flächendeckend eingeführt werden soll, muss geklärt werden, wer zahlt: Die anderen Verbraucher, die verschuldeten Kommunen, die Wohlhabenden über Steuererhöhungen? Hierauf hat die LINKE durchaus eine plausible Antwort.

Für gravierender halte ich aber die folgenden Einwände. Sozialtarife ziehen zweitens einen hohen administrativen Aufwand für die Kommune, für die Berechtigten und für die Anbieter der EnergieDienstleistung nach sich. Es müssen Einkommensnachweise erbracht, geprüft werden etc. Drittens bedeutet die Beantragung eines Armen-Tarifs eine soziale Stigmatisierung. Das führt dazu, dass viele ihr Recht aus Scham nicht annehmen. Viertens gibt es ein Abgrenzungsproblem, welches ein Gerechtigkeitsproblem darstellt. Unterhalb der Einkommensgrenze gibt es eine Berechtigung für den Vorteilspreis oder die kostenlose Lieferung. Wer nur einen Euro mehr verdient, bekommt den Vorteil nicht mehr. Der Öko-Bonus All diese Nachteile lassen sich durch das Prinzip der Energiegrundsicherung für alle vermeiden. So funktioniert das Prinzip, hier dargestellt am Beispiel Strom: Jeder Bürger eines Versorgungsgebietes (z.B. einer Stadt) erhält ein Basis-Kontingent Strom kostenlos, zum Beispiel 300 kWh/Jahr im Wert von 75€ (bei 25Ct/kWh). Finanziert wird diese Stromgrundsicherung für alle über die ökologisch sinnvolle Erhöhung des Strompreises, Bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 1000 kWh/Person sind dies ca. 4 Ct/kWh. Das Prinzip stellt schlicht eine Rückausschüttung von Öko-Steuern an jeden Bürger dar, es wird daher auch als Öko-Bonus bezeichnet. Unterdurchschnittliche Verbraucher gewinnen im Saldo dazu, dies sind in der Regel Menschen mit geringerem Einkommen. Allerdings schlagen sich nun für jeden (Arm und Reich) Energiesparbemühungen stärker nieder: Jeder kann seine Energiekosten stärker beeinflussen als vorher. Das Grundprinzip lautet also: Mehr ökologische Len-

Neue Politwette Genosse Jann aus Wühlfrath, bekannt durch immer neue Polit-Wetten, hat gerade wieder eine neue unter die GenossInnen gebracht: Er wettet, dass es gelingt, am 3. März 2012 mindestens 400 Infostände oder andere öffentliche Aktionen der LINKEN durchzuführen. Bei der Art der Aktionen sind Eurer Fantasie keine Grenzen gesetzt. Alles ist möglich, vom

klassischen Infostand über Flashmobs, öffentliche Bürgersprechstunde (evtl. mit Grillen), öffentliche Fraktionssitzungen…. Seid kreativ! Macht Fotos von Euren Aktionen und schreibt ein paar kurze Zeilen dazu und schickt alles an die LAG Rote Reporter. lag-rote-reporter@dielinkesachsen.de

Foto gruenernrw@ flickr

Energiegrundsicherung für jeden – ökologisch, sozial und unbürokratisch

kung durch Besteuerung der Energienutzung bei Sicherstellung eines kostenlosen Basisverbrauchs. Das Prinzip kann ebenso auf Gewerbe angewendet werden. Die Ausschüttung würde dann in Abhängigkeit von der Zahl der Arbeitsplätze geschehen. Eine Untersuchung des Wuppertal-Instituts für Klima, Energie und Umwelt über die mögliche Auswirkung dieses Prinzips auf Bezieher von ALG II ergab, dass 80% sich besser stellen würden, da sie pro Kopf unterdurchschnittlich Strom konsumieren. Die restlichen 20% hatten einen überdurchschnittlichen Stromverbrauch durch Warmwasserbereitung mit Strom. Für die Umstellung dieser energieverschwendenden Technik müsste es zusätzlich eine gezielte Subvention geben. Auch dies könnte ebenso wie die Basis-Freimenge von dem Aufschlag auf den Strompreis bezahlt werden. Funktionierendes Modell Durchgeführt wird das Prinzip Basisfreimenge bereits im Kanton Basel (Schweiz), wenn auch auf relativ niedrigem Niveau. Dort erhält jeder Bürger etwa 50 Franken (35 €) im Jahr ausgezahlt bzw. angerechnet, die mit einer »Lenkungsabgabe Elektrizität«

eingenommen werden. Natürlich gibt es auch einige offene Fragen bei der Umsetzung. Wird ein solcher BasisProgressiv-Tarif von einem Versorger eingeführt, droht die Abwanderung der Vielverbraucher und die Finanzierung der Basisfreimenge ist in Gefahr. Ein Ausweg wäre, gleichzeitig den alten linearen Tarif ohne Basisfreimenge anzubieten und sich die Mindereinnahmen beim Basis-Progressiv-Tarif von den Kommunen erstatten zu lassen. Aber selbst bei entsprechendem politischen Willen ist dies angesichts der schlechten Kommunalfinanzen kaum zu erwarten. Besser sind bundesweite Lösungen. Es können zum einen die erhöhten Einnahmen aus der Versteigerung von CO2Lizenzen aus dem EU-Emissionshandel ab 2013 hier sachgerecht für dieses sozial-ökologische Steuerungsmodell verwendet werden. Möglich nach Energiewirtschaftsrecht ist aber auch, einen Basis-Progressiv-Tarif schlicht für alle Energieanbieter vorzuschreiben. Nach §40 EnWG ist sogar explizit die Schaffung von Anreizen zur Einsparung durch die Tarifstruktur vorgesehen. Nicht ganz einfach ist sicherlich auch die Bestimmung der

Personenzahl, die für die Umverteilungswirkung elementar ist. Ein Energieversorger hat hier zu Recht keinen Zugriff auf die Daten. Die ProKopf-Ausschüttung könnte aber über die Kommune anhand der Meldedaten erfolgen. So wird es in Basel gehandhabt. Sicher gäbe es hier noch einige Fragen zu klären. Die Juristen haben aber bisher immer eine Lösung gefunden, wenn der politische Wille vorhanden ist. Die Idee stellt eine Kombination aus ökologischer Steuerung über einen grünen Markt, sozialer Umverteilung durch die Regulierung durch den Staat und Erhöhung individueller Freiheit durch den kostenlosen Zugang zum Gemeingut Energie dar. Das wäre eine «Neue soziale Idee«. Ulrich Schachtschneider Dipl.-Ingenieur Dr. rer.pol. Ulrich Schachtschneider ist Energieberater, Sozialwissenschaftler und freier Autor aus Oldenburg.


Soziales

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manroland: Eine Vogtländische Tragodie? Oder: Die zweite Strukturkrise nach der Transformation Die Insolvenzanmeldung bei manrloland Ende November 2011 war für die Mitarbeiter der Plamag in Plauen und damit für die Stadt und das ganze Vogtland ein Schock. Der letzte große Industriebetrieb im Landkreis mit über 700 Mitarbeiter ist damit in Gefahr in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Zudem steht eine jahrzehntelange Traditioin, der Druckmaschinenbau mit vielen hochqaulifizierten Mitarbeitern, vor dem Aus. Der öffentliche Protest und der Widerstand der Mitarbeiter formierte sich schnell, so gab es am 2.12.2011 eine Kundgebung in der Innenstadt von Plauen mit über eintausend Teilnehmern, an der neben Sabine Zimmermann (MdB) und mir als Fachsprecher im Landtag auch viele Genossen aus Plauen beteiligt waren und so ihre Solidarität mit den Beschäftigten zum Ausdruck brachten. Durch die Entscheidungen in der Gläubigerversammlung vom 18.1.2012 sind neue Realitäten entstanden. Die ehemalige Plamag soll als eigenständiges Unternehmen weitergeführt werden. In diesem Zusammenhang werden mehr als 400 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren, darunter die Auszubildenden. 1990 waren noch 2000 Menschen hier beschäftigt. Durch die veränderten Konzernstrukturen und Aufgabenverteilungen im manroland – Konzern der letzten Jahre wurde Plauen immer mehr vom Finalproduzenten zum Zulieferer

hochspezialisierter Mechatronikbaugruppen umstrukturiert. Darin könnte jetzt die Hoffnung für die Plamag liegen, dass diese Fachkompetenz in der Zukunft nicht nur im Bereich der Druckindustrie eingebracht wird, sondern auch Anknüpfungspunkte bei anderen Industriepartnern gefunden werden. Die Druckindustrie steht international vor technologisch bedingten Strukturveränderungen, wie auch z.B. die Fototechnische Industrie. Für Plauen und die Plamag findet das in einem Rahmen statt, der bei aller Tragik auch hoffen läßt. Südwestsachsen ist eine der stärksten

Wirtschaftsregionen im Osten Deutschlands, und gerade der Maschinenbau ist wieder gut aufgestellt. Hier erwarten wir von den Kammern, den Wirtschaftsverbänden und den über viele Jahre mit staatlichen Mitteln unterstützten Clusterstrukturen, dass sie Initiativen und Angebote unterbreiten um dem Industriestandort Plauen in diesem Netz eine Chance zu geben. Dieser Prozess muß durch die Staatregierung aktiv unterstützt, koordiniert und durch geeignete Förderinstrumentarien flankiert werden. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat die Staatskanzlei diese

Zukunft der Großwohnsiedlungen – ein Wohnungspolitischer Tag Die neue Verwaltungsvereinbarung zur Städtebauförderung zwischen dem Bund und den Ländern ist in der Unterschriftsrunde. Die Sächsische Staatsregierung geht weiterhin davon aus, dass künftig in unseren Städten angesichts des Bevölkerungsrückgangs von der Peripherie nach den urbanen Kernen hin geschrumpft werden soll. Dabei hat sie vor allem die sogenannten Großwohnsiedlungen, also die »Platte« im Visier. Gerade aber in diesen

Großwohnsiedlungen haben die kommunalen Wohnungsgesellschaften und die Wohnungsgenossenschaften in den letzten 10 Jahren massiv umgestaltet. Modernisierungen, Teilrückbau sowie Abriss ganzer Wohnblöcke wurden realisiert. Damit haben sie den Löwenanteil des bisherigen Stadtumbaus Ost bewältigt. Wenn nunmehr vor allem die Innenstädte gestärkt werden sollen, geht das augenscheinlich zu Lasten der Randgebiete bzw.

Großwohnsiedlungen. In einem White Paper hat das HelmholtzZentrum für Umweltforschung Leipzig weiteren Forschungsbedarf zur Zukunft dieser Großwohnsiedlungen signalisiert. Hat die Platte Zukunft? Wenn ja welche? Dazu diskutieren Wohnungswirtschaft, Politik und Wissenschaft am 10. Februar in Leipzig im Rahmen des Wohnungspolitischen Tages 2012 des Kommunalpolitischen Forums Sachsen mit hochkarätiger Besetzung: Prof. Sigrun

Verantwortung getragen, da es dem mit seinen Aufgaben mehr als überforderten Wirtschaftsminister Morlok nicht übertragen werden konnte. Nicht zuletzt wird im Rahmen der gebildeten Beschäftigungsgesellschaft zu zeigen sein, ob es gelingen wird, im Zeitraum von sechs Monaten geeignete, gutbezahlte neue Arbeitsplätze für die betroffenen Beschäftigten in der südwestsächsischen Wirtschaftsregion zu finden. Thomas Kind ist wirtschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag

Kabisch (Helmholtz-Zentrum), Siegfried Schneider (Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Sachsen, Simone Luedtke (OBM Borna), Rainer Löhnert (Geschäftsführer der WBG Kontakt Leipzig). Anmeldungen sind beim Kommunalpolitischen Forum möglich. Enrico Stange Ort: Leipzig, Veranstaltungssaal der WBG Kontakt, Eilenburger Straße 10 Anmeldungen unter info@kommunalforum-sachsen.de

Sehr geehrte Frau Rechtsanwältin, ich wohne mit meiner Tochter im Gorbitzer Neubaugebiet und zahle dafür eine WarmMiete in Höhe von 460 Euro. In den vergangenen Jahren hatte mir das Jobcenter die Miete nicht in voller Höhe bewilligt. Man sagte mir, die Wohnung sei zu teuer. Ich habe mich daraufhin auf die Suche nach einer preiswerteren Wohnung gemacht, aber nichts gefunden, auch nicht im »Plattenbau«. Es ist auch nicht einfach als alleinerziehende Mutter mit ALG II. Nun hat in der Zeitung gestanden, dass es in Dresden für Hartz IV-Empfänger mehr Miete geben soll. Sogar rückwirkend. Ich habe gerade meinen neuen Bescheid bekommen für die Zeit ab Januar 2012, wieder wurden aber nur 411,60 Euro bewilligt. Was ist denn nun richtig? Heidrun M. (Dresden) Liebe Frau M., es stimmt, der Stadtrat hat im November 2011 neue Mietobergrenzen für Dresden beschlossen. Als 2-Personen-Hauhalt erhalten Sie daher rückwirkend zum Dezember 2010 mehr Miete. Genau 10,40 Euro pro Monat mehr sollten es nach dem Willen der Stadtväter sein. Dieser Stadtratsbeschluss wurde aber durch das Sozialgericht Dresden mit Beschluss vom 16.12.2011 schon wieder für rechtswidrig erklärt. Obwohl die Richtlinien für die Bestimmung der angemessenen Miethöhe damit immer noch nicht verbindlich geklärt sind, kann man zumindest eines sicher feststellen: Ihnen steht ein deutlich höherer Mietübernahmebetrag zu, als Ihnen bewilligt wurde. Ihre Wohnung dürfte jedenfalls nicht zu teuer, sondern noch angemessen sein. Mein dringender Rat: Lassen Sie Ihren Bescheid bitte von einem spezialisierten Anwalt überprüfen. Ihre Marlen Kestner


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Bautzner Tafelweihnacht Politiker treten gerne oft und überall auf, doch dass ein Abgeordneter zur Weihnachtszeit, politisch eher in einer Ruhezeit, auf sich aufmerksam macht, kommt seltener vor. Es sei denn, er macht öffentlich, dass er mildtätige Gaben zu verteilen gedenkt. So geschehen in Bautzen.Aber eben anders als sonst üblich. Die Bautzener Tafel verzeichnet nicht nur einen Rückgang von Lebensmittelspenden, sondern auch von Geldzuwendungen. Das auch zur Weihnachtszeit. Die Weihnachtsfeier für Kinder, deren Eltern von der Tafel versorgt werden, drohte im vergangenen Jahr auszufallen. Das bewog Heiko Kosel, den in Bautzen ansässigen Landtagsabgeordneten, die Initiative zu ergreifen, Mitorganisatoren und Sponsoren zu gewinnen. Das gelang, und fand gerade unter Angesprochenen ein wohlwollendes Echo. Petra Dreißig, Chefin der großen Bäckerei Dreißig,

sagte Unterstützung zu, »in der Hoffnung, Ihnen und vor allem den Kindern aus sozial schwachen Familien damit ein Stück weit Freude bereiten zu können. Es ist toll, dass Sie sich für ein solches Programm stark machen, um in Zusammenarbeit mit der Bautzener Tafel den Kindern eine Weihnachtsfeier ermöglichen zu können.« Mit Unterstützung des Europaklubs International, der auch die Kinder der Spätaussiedler mit einbezog, und mit einer nicht geringen Geldspende des Abgeordneten selbst wurde eine Weihnachtsfeier vorbereitet, auf der dann jedes Kind einen großen prall gefüllten Weihnachtsstiefel geschenkt bekam, den Film über ein Kind, das zu Weihnachten vom Himmel fiel, sehen konnte und einen perfekt nach der Weihnachtsmannordnung gekleideter Weihnachtsmann erlebte. Hinter der Maske, die in einem solchen Falle not-

wendig ist, verbarg sich der Abgeordnete Kosel daselbst. Er überreichte an die erwartungsvollen etwa 70 gekommenen Kinder die Geschenke, sah dabei in glückliche Kinder-

augen und empfing den Dank begleitender Eltern, die einen Politiker erlebten, der nun mal wirklich Gaben verteilte, ohne auf Vorteil bedacht zu sein. Er tat es ja inkognito.

Er lüftete indes den langen Bart und bekannte: »Das nächste Mal werden wir es wieder so machen- Es hat mir Spaß gemacht. Den Kindern aber noch viel mehr.«

Linker gewinnt erneut Bürgermeisterwahl in Liebstadt

Rote Reporter wählen Sprecherrat

Riesen-Schlappe für die RetzlerVerhinderer

Am 15. Januar trafen sich in Berlin die Mitglieder der Bundesarbeitsgemeinschaft Rote Reporter zur Mitgliederversammlung. Zehn Mitglieder aus Bremen, Sachsen-Anhalt, Berlin, Baden-Würtemberg und elf Sachsen waren der Einladung gefolgt. Neben der Neuwahl des Bundessprecherrates und der Delegierten für den Bundesparteitag stand auch die Frage, wie es mit der Bundesarbeitsgemeinschaft weiter gehen soll. Sowohl Christoph Nitz als bisheriger Sprecher der BAG als auch der Finanzverantwortliche Ralf Fiebelkorn machten deutlich, dass sich 2011 in der BAG nicht viel getan hatte. Als Ursachen wurden von beiden Probleme in der Kommunikation untereinander aber auch das »sichauf-den-anderen-verlassen« benannt. Einig waren sich alle, dass sich das ändern muss. Beide gingen in ihrem Bericht auf das vom Parteivorstand beschlossene Mitgliedermagazin ein. In der dazu geführten Diskussion wurde deutlich, dass das nun vorliegende Konzept nicht dem ursprünglichen Antrag der BAG. Zudem wurde Kritik an der Finanzierung des Mitgliedermagazins über den Wahlkampffond geäußert. Alles in allem wurde gerade an diesem Punkt deutlich, dass die Roten Reporter mit dem vorliegenden Konzept

Hans-Peter Retzler hat es wieder geschafft! Zum dritten Mal hintereinander hat er die Bürgermeisterwahl in Liebstadt gewonnen – als einziger Linker im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Immerhin 66 Prozent der BürgerInnen gingen an die Wahlurne und mit 72 Prozent setzte sich der 54jährige Agraringenieur gegen zwei Mitbewerber von »Bürger für Liebstadt« (15 Prozent) und CDU (13 Prozent) durch. Wir haben uns riesig mit ihm über diesen tollen Wahlerfolg gefreut und gratulieren ihm von Herzen. Denn zu unglaublich war, was sich im Vorfeld abgespielt hatte: Die CDU hatte einen Gegenkandidaten »hervorgezaubert« und für ihn die Wählerbriefkästen mit Flyern, die den Verkauf des Schlosses Kuckuckstein als Todsünde von Herrn Retzler anprangerten, bestückt. Die Siegerfotos des CDU-Kandidaten mit erhobenem Daumen warteten schon auf ihre Veröffentlichung in der Lokalpresse… 40 Mal in einem einzigen Jahr hatte die SZ über den Verkauf des Schlosses Kuckuckstein berichtet und den Bürgermeister dafür kritisiert. Das hat Hans-Peter Retzler ge-

wurmt. Die 50000-80000 Euro, die seine kleine Kommune jährlich in die Schlossunterhaltung stecken musste, seien einfach »eine Nummer zu groß« für den finanzschwachen Ort gewesen. Andere wollten nur das Sagen über das Schloss haben – die Kosten aber sollte die Kommune schultern. Schweren Her-

zens, aber demokratisch legitimiert, entschlossen sich er und seine Räte für den Verkauf des Schlosses. Ohne den, so steht für Kreisrat Hans-Peter Retzler fest, wäre seine Kommune schon lange »geschluckt« worden, die Schule tot. Den Kauferlös haben sie in Kita und Grundschule gesteckt. Das Beste für Familien, Kinder und Jugendliche getan, die Selbständigkeit des Ortes erhalten – Hans Peter Retzler hat linke Politik gemacht. Bei seiner Vorstellung zur Wahl konnten wir erleben, wie er für sein Liebstadt »brennt«. Er kämpft

sich durch 29seitige Fördermittelanträge, die ihm so richtig »Spaß« machen und will trotz viel zu geringer Schlüsselzuweisungen mit Haushalts- und Finanzdisziplin die Kommune im Fahrwasser halten. Er schwärmt vom guten Zusammenhalt in seinem Ort, lobt das Engagement seiner Mitarbeiter, hofft auf ein neuerliches Konjunkturpaket. Er will weiterhin alles tun, damit sich die Menschen wohlfühlen in Liebstadt und das hat er seinen Wählern offenbar glaubhaft vermittelt. Man soll es kaum glauben, aber dem Wahlsieg des Linken Retzler folgte ein äußerst bissiger Kommentar mit Wählerschelte in der SZ. Wer mit einem Leserbrief darauf für den linken Retzler Partei ergriff, bekam es gleich mal am Telefon mit dem unterlegenen CDU-Kandidaten zu tun. Der Mann stellte sich dabei übrigens als »alter SEDler« vor, hatte einstmals auch für die SPD kandidiert. Wer auch immer ihn dazu gebracht hat, diesen Schritt zu tun, hat sich einen »Bärendienst« erwiesen. Denn nur ein paar Tage nach der Wahl bekam er vom Amtsgericht Pirna die Quittung für unbedachte Äußerungen zum Schlossverkauf in seinem Wahlflyer mit CDU-Logo. Was tief blicken lässt, was Liebstadt wohl mit ihm als Oberhaupt zu erwarten gehabt hätte. Vorstand SSO

alles andere als glücklich sind und eine stärkere Einbeziehung bei der Konzeptionierung gewünscht hätten. Gleichzeitig wurde die Hoffnung geäußert, dass sich das nun mit der Umsetzung ändern wird. Schwerpunkt war natürlich die Wahl des neuen Sprecherrates. Leider konnten wieder einige Frauenplätze nicht besetzt werden. Aus dem alten Sprecherrat stellten sich Christoph Nitz (Berlin), Klaus Czernitzki (Sachsen-Anhalt), Ralf Fiebelkorn (Sachsen) und Thomas Mitsch (Baden-Würtenberg) erneut zur Wahl. Erstmalig kandidierten Brigitte Kramm (Bremen) und Simone Hock (Sachsen) sowie Reinald Last (Bremen). Alle Kandidaten wurden in den neuen Sprecherrat gewählt, der Christoph Nitz und Klaus Czernitzki als gleichberechtigte Sprecher bestimmte. Die erste Sprecherratssitzung wird am 18. Februar in Leipzig stattfinden. Da wird es konkret um die anstehenden Aufgaben und deren Verteilung gehen. Ein Schwerpunkt wird die Kommunikation und Vernetzung mit den Landesarbeitsgemeinschaften sein. Ebenfalls gewählt wurden die Delegierten für den Bundesparteitag. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Roten Reporter wird vertreten durch Brigitte Kramm, Simone Hock und Klaus-Dieter Heiser. Simone Hock, Bundessprecherrat


Kommunal-Info 1-2012 31. Januar 2012 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Kulturlasten

Sächsischer Kulturlastenausgleich in der Schieflage. Substanzerhalt kontra Strukturanpassung Seite 2

Investitionsstau 75 Mrd. Euro Investitionsbedarf in der kommunalen Infrastruktur Seite 3

Wohnungspolitik Wohungspolitischer Tag am 10. Februar in Leipzig: Zur Zukunft der „Platte“

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Gemeindeordnung auf Prüfstand Die Sächsische Gemeindeordnung von 1993 auf dem Prüfstand der kommunalen Wirklichkeit und künftige Herausforderungen1 VON DR. MICHAEL FRIEDRICH Der Höhepunkt der produktiven Phase der Kommunalgesetzgebung in Sachsen waren zweifelsohne die Jahre 1993/1994. Innerhalb kürzester Frist – praktisch innerhalb eines Jahres – wurden damals die Sächsische Gemeindeordnung, die Landkreisordnung, das Gesetz über kommunale Zusammenarbeit, das Kommunalwahlgesetz, das Eigenbetriebsgesetz und auch noch das Kommunalabgabengesetz verabschiedet. Als überdurchschnittlich, weil höchst kreativ möchte ich das kommunale Finanzausgleichsgesetz, das FAG hervorheben. Das FAG mit seinem bis heute gültigem Gleichmäßigkeitsgrundsatz kam erstmalig 1996 zur Wirkung – doch das wäre schon ein anderes Thema.

Kritische Bilanz

Kritisch zu sehen ist das damals enorme Tempo der Gesetzgebungsarbeit. Ging dies doch zu Lasten der Gründlichkeit und der angemessenen Berücksichtigung sächsischer Spezifika. Bekanntlich standen unser Partnerland Baden-Württemberg und manchmal auch Bayern Pate. Zwar wurden die Gesetze nicht einfach mal so abgeschrieben und ins Sächsische „übersetzt“. Nein, das nicht, aber die Berücksichtigung etwa der spezifisch sächsischen Bevölkerungs- und Siedlungsstrukturen, der Umgang mit den Altlasten der Treuhand, mit der problematischen demographischen Entwicklung oder auch mit den im Vergleich zum Westen völlig andersartigen Einkommens-

und Vermögensverhältnissen blieben durchweg unterbelichtet. Vor allem unterlag die Landtagsmehrheit damals und zum Teil noch bis heute dem Trugschluss, eine weitgehende Übernahme der in den Altbundesländern doch so bewährten Regelungen sei für Sachsen nicht nur notwendig, sondern auch hinreichend, um in kürzester Zeit zum „Standard West“ aufzuschließen. Dass diese Rechnung nicht aufgegangen ist, wissen wir heute alle. In den letzten Jahren der Regierung Biedenkopf und erst recht unter den Ministerpräsidenten Milbradt und Tillich blieb von den produktiven Ansätzen der frühen 90er Jahre nicht mehr viel übrig. So wäre es doch eigentlich sachgerecht gewesen, das zersplitterte sächsische Kommunalrecht nach fünf oder spätestens nach 10 Jahren Praxiswirksamkeit einer gründlichen Evaluierung zu unterziehen und in einer einheitlichen Sächsischen Kommunalordnung zusammenzufassen. Ein solches Vorhaben stand immerhin im schwarz-roten Koalitionsvertrag der 4. Wahlperiode. Realisiert wurden diese Pläne jedoch nie. Abgesehen von einigen europarechtlichen Regelungen, die Sachsen zwingend umsetzen musste, von einer halbherzigen Novellierung des Gemeindewirtschaftsrechts und von der Einführung der Doppik, passierte in all den Jahren zwischen 1996 und 2011 nichts wirklich Entscheidendes mehr. Vielmehr stellte sich in der Gesetzgebung eine lähmende intellektuelle Selbstgenügsamkeit ein. Offiziell begründet wurde diese Untätigkeit damit, es sei jetzt eben erst einmal wichtiger, sich auf einige wenige große Reformprojekte wie die Gemeindegebietsreform 1998/99 oder die Kreisgebiets- und Verwaltungsreform 2008 zu konzentrieren.

Selbstblockade aufbrechen

Es wird die Aufgabe des gegenwärtigen, des 5. Sächsischen Landtages sein, diese Selbstblockade aufzubrechen und das gesamte Bündel der Sächsischen Kommunalgesetze einer umfassenden Novellierung zu unterziehen. Dabei sollten die folgenden Zielstellungen ganz oben an stehen:  Einführung des aktiven Wahlalters bei Kommunalwahlen mit vollendetem 16. Lebensjahr,  generelle Öffentlichkeit aller Ratsgremien,  Stärkung der Elemente der unmittelbaren Demokratie durch Entbürokratisierung der Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden,  Stärkung der Ortschaftsräte, z. B. durch ein eigenes Budgetrecht,  bessere Ausbalancierung der Machtverhältnisse zwischen dem direkt gewählten Bürgermeister und dem Hauptorgan Rat,  Stärkung der Gemeindewirtschaft durch Wegfall der Subsidiaritätsklausel zugunsten der Privaten und die Einführung der Anstalt öffentlichen Rechts als neue Rechtsform für kommunale Betriebe,  Entbürokratisierung und Stärkung der Transparenz kommunaler Zusammenarbeit.

Ausblick 2020

Die in Deutschland aus historischer Erfahrung mit Verfassungsrang gesicherte kommunale Selbstverwaltung lebt bekanntlich vom Engagement der örtlichen Akteure. Allerdings geht die Beteiligung an Wahlen und Abstimmungen seit 1990 stetig zurück. Dabei spiegelt die Wahlbeteiligung die von der Wahlbevölkerung vermutete – besser gefühlte! – Möglichkeit der Einflussnahme auf die Lebensverhältnisse der Wählerinnen und Wähler wider.

Quasi als Gegenpol zu der niedrigen Wahlbeteiligung sind die vielen aktiven Bürgerinitiativen zu nennen. Diese bilden sich in der Regel dann, wenn Bürgerinnen und Bürger ihre Interessen von den gewählten Repräsentanten nicht (mehr) ausreichend vertreten sehen. In diesen Topf der „gewählten Vertreter“ werden von den unzufriedenen Gemeindebürgern dann oftmals alle Parteien subsumiert – auch die LINKE – so dass sich diese Bürgervereine oder –initiativen oftmals selber aufmachen, um in die Räte zu gelangen. Ich wage einen Ausblick auf das Jahr 2020: Das „spezifische politische Gewicht“ aller Parteien in den kommunalen Vertretungskörperschaften wird sich weiter verringern, und zwar umso stärker, je kleiner die Kommune ist. Diverse Wählervereinigungen, auch mit sehr heterogenen Programmen, werden eine wichtige Rolle spielen. Die Bedeutung von bekannten Persönlichkeiten (gerade auch parteiunabhängigen Seiteneinsteigern) in der Kommunalpolitik wird weiter anwachsen. Dies stellt alle Parteien vor neue Anforderungen einerseits an die KandidatInnenaufstellung, vor allem für Bürgermeister- und Landrätewahlen, wo allein der Blick durch die „Parteibrille“ nicht mehr das ausschlaggebende Kriterium sein kann. Andererseits entstehen interessante Herausforderungen an eine ebenso prinzipienfeste wie flexible Bündnispolitik. Dies betrifft ausdrücklich auch den außerparlamentarischen Bereich. Den offensichtlichen Defiziten in der politischen Diskussions- und Entscheidungskultur auf allen Ebenen gilt es entgegenzuwirken. Das Ziel sollte darin bestehen, alle relevanten DiskusFortsetzung folgende Seite


Kommunal-Info 1/2012

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Kulturlastenausgleich in Schieflage Sächsischer Kulturlastenausgleich in Schieflage. Substanzerhalt versus Strukturanpassung1

re Bundesland, seine Kulturförderung am sächsischen Modell zu orientieren, doch scheut man die Verbindlichkeiten eines ernsthaft umgesetzten Kulturlastenausgleichs zwischen Kommunen, Kulturräumen und Land. Zudem ist die zur Bildung der Kulturräume notwendige Änderung der Kulturpflege von einer freiwilligen in eine Pflichtaufgabe verfassungsmäßig nicht einfach, gewährt doch das Grundgesetz den Kommunen das Recht der Selbstverwaltung. Durch das Landesgesetz aber werden die Landkreise als kommunale Gebietskörperschaften zur Mitgliedschaft in gesetzlich angeordneten Zweckverbänden, den ländlichen Kulturräumen, verpflichtet. Ausgenommen von der sächsischen Gemeinschaftsfinanzierung sind staatliche Kulturbetriebe wie die be-

Seit 1994 gilt das Sächsische Kulturraumgesetz als einzigartiges Förderinstrumentarium unter den deutschen Bundesländern, um die bestehende kulturelle Infrastruktur zu erhalten und die ungleiche Kostenverteilung zwischen Sitz- und Umlandgemeinden, den so genannten Spillover-Effekt, aufzuheben. Die darin festgelegten Zuschüsse des Freistaates an die Kassen von fünf ländlichen und drei urbanen Kulturräumen sollen Finanzsicherheit gewähren. Nach dem Gesetz übernimmt das Land bis zu 86,7 Millionen Euro jährlich, wenn die jeweils erforderliche Mitfinanzierung aus dem Kulturraum und von der Sitzgemeinde aufgebracht wird. Zwar erwägt das eine oder andeFortsetzung von Seite 1

Gemeindeordnung sions- und Entscheidungsprozesse für die Teilnahme der Bevölkerung zu öffnen und allen Beharrungsversuchen zur Konservierung abgeschotteter „exklusiver“ politischer Entscheidungszirkel entgegenzutreten. In den kommunalen Vertretungen und Verwaltungen gibt es dafür bereits heute vielfältige Möglichkeiten, die noch besser bekannt gemacht werden müssen. Diese Möglichkeiten sollten zielstrebig ausgebaut und erweitert werden. Dabei bedarf es bestimmter Bedingungen zur Förderung der Partizipation:  Das Grundprinzip muss eine gleichberechtigte, partnerschaftliche Kommunikation zwischen Politik, Verwaltung und Einwohnerschaft sein.  Es muss eine generelle gesetzliche Pflicht geben, dass sämtliche mittelund langfristigen Planungen bereits im Vorfeld mit der Öffentlichkeit zu entwickeln und zu beraten sind.  Notwendig ist ein deutlicher Ausbau der elektronischen Informationsund Kommunikationssysteme (eGovernment), um die Teilnahme der Öffentlichkeit an der Vorbereitung und Entscheidung öffentlicher Angelegenheiten zu befördern. Dies darf aber nicht nur für die so genannten Partizipations-Eliten gelten. Vielmehr muss auch den sozial benachteiligten Gruppen der Gesellschaft eine solche Teilhabe ermöglicht werden.  Es bedarf dringend landesgesetzlicher Regelungen für eine völlig neue Qualität von Transparenz und Sicherstellung eines begründungsfreien allgemeinen Informationszugangs für jeden und jede (Informationsfreiheitsgesetz), so wie dies in den USA, in Kanada, einer Vielzahl von EU-Staaten und in Niedersachsen, RheinlandPfalz, Schleswig-Holstein und Berlin längst Praxis ist.  Das Petitionsrecht muss gestärkt werden, gerade auch im online-Bereich.  Bei allen öffentlichen Aufträgen sind transparente Vergabepraktiken

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durchzuführen. Dies ist mit einem konsequenten Kampf gegen Verschleierung, Filz und Korruption zu verbinden. Es sollte ein Korruptionsregister eingerichtet werden, damit jene Unternehmen, die rechtssicher der Korruption überführt sind, für mindestens 5 Jahre von der öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen bleiben.

Direkte Demokratie Zuletzt noch ein Blick auf die direkte Demokratie in Sachsens Kommunen. Bürgerbegehren und Bürgerentscheide gibt es seit der Annahme der SächsGemO im Jahr 1993. Seitdem haben schwerpunktmäßig in den Städten und Gemeinden, kaum aber in den Landkreisen, knapp 200 Bürgerbegehren stattgefunden, von denen allerdings nur etwa 140 in rechtswirksame Bürgerentscheide mündeten2. Im Durchschnitt kommen Bürgerentscheide in einer einzelnen sächsischen Gemeinde nur aller 75 (!) Jahre vor. Vor allem die auf Einzelprojekte gezielten kassatorischen (korrigierenden) sowie Initiativ-Bürgerbegehren haben in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Von den Bürgermeistern und teilweise auch von den Räten werden diese oft als Störung eines „effektiven“ Verwaltungshandelns, als unnötiger Kostenfaktor und manchmal sogar als „ehrenrühriger“ Eingriff in ihre eigene Kompetenz empfunden, obwohl dieses Instrument ausdrücklich die Ratsarbeit unterstützen soll. Bürgerbegehren bzw. Bürgerentscheide anzuschieben und erfolgreich durchzuführen stellt einen immensen Kraftakt dar. In den letzten Jahren rückten verstärkt Themen der kommunalen Daseinsvorsorge in den Blickpunkt der Initiatoren3. Erst ein einziges Bürgerbegehren auf Kreisebene war bislang erfolgreich4. Im Verhältnis zur riesigen Menge dessen, was auf kommunaler Ebene zu entscheiden ist, werden Bürgerbegehren und Bürgerentscheide schon aus Kosten- und Zeitgründen immer eine seltene Ausnahme bleiben.

Auch steht für kooperative Kommunalpolitik eine ganze Palette von Beteiligungsformen zur Verfügung, von der Anhörung über den Bürgerhaushalt bis zur Planungszelle, die aber nur dann intensiv wahrgenommen werden, wenn die Menschen mit dem Bürgerentscheids-Verfahren einen letzten Trumpf in der Hand haben. Diese Vorbildwirkung im Sinne eines Türöffners hat eine Regelung zum Bürgerentscheid aber nur dann, wenn sie praktikabel, d. h. überschaubar, leicht handhabbar und ohne unnötige Zugangshürden ausgestaltet ist. Es ist davon auszugehen, dass bei den gegenwärtigen Landtagsmehrheiten eine ernsthafte parlamentarische Sachdiskussion über das herangereifte Problem einer auch nur moderaten Verbesserung der Bedingungen für kommunale Bürgerbegehren und Bürgerentscheide nicht stattfinden wird. In der Vergangenheit jedenfalls sind entsprechende parlamentarische Initiativen von Oppositionsparteien regelmäßig am Widerstand der konservativen Landtagsmehrheit gescheitert. Umso wichtiger ist es, den Druck – auch im außerparlamentarischen Raum! – auf entsprechende Verbesserungen aufrecht zu erhalten und zu verstärken (gegebenenfalls auch – wie in Thüringen – durch ein Volksbegehren/einen Volksentscheid!). Kernanliegen sind u. a. folgende Veränderungen, die im Gesetzentwurf der seinerzeitigen Linksfraktion für ein „Gesetz zur Förderung der unmittelbaren bürgerschaftlichen Selbstverwaltung in den sächsischen Kommunen“ (2008) entwickelt worden sind:  nur ganz wenige Themen sollen bei Bürgerentscheiden ausgeschlossen bleiben;  ein niedriges Unterschriftenquorum von 5 % beim Bürgerbegehren, Verzicht auf ein Mindestquorum beim Bürgerentscheid;  der Verzicht auf einen obligatorischen Kostendeckungsvorschlag bei Bürgerbegehren;  Verlängerung der Fristen bei kassie-

renden Bürgerbegehren;  eine aufschiebende Wirkung des Bürgerbegehrens, wenn die Hälfte der Unterschriften vorliegt;  das Recht auf gleichberechtigte Information durch die Initiatoren vor dem Bürgerentscheid;  Senkung der Abwahlhürden für Bürgermeister und Landräte,  Schaffung formalrechtlicher Voraussetzungen für Einwohnerbefragungen;  Erleichterung zur Einberufung von Einwohnerversammlungen. Anmerkungen:

1 Vortrag auf dem Symposium zum 20jährigen Bestehen des Kommunalpolitischen Forums Sachsen e.V. am 1. Dezember 2011, redaktionell bearbeitet. 2 Siehe „Erster Bürgerbegehrensbericht Deutschland 1956-2007“, Mehr Demokratie e.V. 3 Beispielhaft: erfolgreicher Bürgerentscheid in Leipzig für die Beibehaltung des städtischen Eigentums an den kommunalen Unternehmen der Daseinsvorsorge vom 27. Januar 2008 (87,4 % JaStimmen bei einer Wahlbeteiligung von 41,0 %) 4 Bürgerbegehren gegen den Verkauf der Elblandkliniken Meißen-Radebeul im September 2006.

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de V.i.S.d.P.: A. Grunke Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefödert.


Januar 2012

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

ParlamentsReport MdL Dr. Volker Külow mit Jugendlichen aus Leipzig und Umgebung am Grab des jüdischen Fabrikanten Berthold Levy auf dem Alten Israelitischen Friedhof in Leipzig.

Am 27. Januar lernten die jungen Besucher mit Rolf Richter auch einen Zeitzeugen der Pogromnacht in Leipzig kennen; hörten sie Gedanken zur Kunstaktion Stolpersteine, präsentiert von „Reimteufel“ Marco Helbig, Preisträger von „Couragiert in Leipzig – 2011“. Den Bogen zu Ausgrenzung, Deportationen und Fremdenfeindlichkeit in heutiger Zeit schlug Stephan Bosch von der Abschiebehaft-

Liebe Leserinnen und Leser!

Das mag aus Sicht einer sächsischen Staatsregierung, die es nicht mal rechtzeitig mitbekommt, dass man mehr junge Lehrer/innen ausbilden und einstellen muss, wenn pro Jahr 1.500 Pädagogen in Rente gehen, aber nur 700 Absolventen von der Uni kommen, sogar zutreffen. Der gesunde Menschenverstand aber weiß, dass es eine Menge Dinge im Leben gibt, die ganz wichtig sind und trotzdem nicht auf den Marktplatz gehören. Gesundheit ist keine Ware, Bildung der Kinder muss unabhängig vom Geldbeutel der Eltern sein, und Kultur ist für alle da. Deshalb werden wir uns auch weiter dagegen wehren, dass der Schlosspark Pillnitz künftig nur noch gegen Eintritt zugänglich sein soll, wie CDU und FDP es wollen.

Gedenken setzt Wissen voraus 67 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz luden die Deutsche FriedensgesellschaftVereinigte Kriegsdienstgegner/ innen, das Friedenszentrum Leipzig, die Rosa Luxemburg Stiftung Sachsen und die Landtagsfraktion DIE LINKE als Schirmherrin ca. 350 Schülerinnen und Schüler vom Beruflichen Schulzentrum Wurzen sowie aus den Gymnasien in Geithain, Groitzsch, Borna und Leipzig in die Messestadt ein, um ihnen auf eine ungewöhnliche Weise den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus nahe zu bringen. Der Auftakt zur Veranstaltung „Gedenken setzt Wissen voraus“ erfolgte cineastisch: Im altehrwürdigen Filmtheater UT-Connewitz flimmerte der MDR-Film „Der kleine Junge und die Nazis“ über die Leinwand. Binnen 45 Minuten lernten die Jugendlichen Hans Richard Levy kennen, der 1939 als Neunjähriger mit einem Kindertransport nach England gelangte, während die meisten seiner jüdischen Altersgenossen und deren Familien wenig später in den Gaskammern der Nazis starben. „Wenn man den Namen eines einzigen Opfers behält, kann man eine Art ideelle Patenschaft des Gedenkens für alle übernehmen“, wandte sich MdL Volker Külow an die jungen

Gäste und erklärte, was das alles mit dem Hier und Heute zu tun hat: „Leider sucht der gleiche Hass, der damals Juden und Nichtjuden, Sinti und Roma, Homosexuelle und viele andere diskriminierte Menschen traf, erneut seine Opfer: Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und nationaler Größenwahn sind auch heutzutage sehr präsent, wie zuletzt die grausame Mordserie des von Sachsen aus operierenden rechtsextremistischen Terrortrios beweist.“ Damit die Geschichte Hans Richard Levys lebendig bleibt, übergaben die Veranstalter mehrere Klassensätze des Buches „Er war doch nur ein neunjähriger Junge: Hans Richard Levy.“ Das Buch thematisiert die Kindertransporte von 1938/39 und zeigt beispielhaft die planmäßige Ruinierung jüdischer Firmen ab 1933. Zudem wird die Geschichte Richard Frank Levys – Hans Richards Groß­ vater – der als Jude den Krieg überlebte und von 1945 bis 1953 Vorsitzender bzw. Ehrenvorsitzender der jüdischen Gemeinde in Leipzig war, dargestellt. Die Levy-Bücher wurden allesamt gespendet, unter anderem von den MdL der LINKEN Kerstin Köditz, Dr. Monika Runge, Cornelia Falken, Enrico Stange und Dr. Volker Külow sowie den LINKEN Bundestagsmitgliedern Barbara Höll und Axel Troost. Fotos: DAK

Die Dresdner haben sich beim Bürgerentscheid mit 85 Prozent der abgegebenen Stimmen für den Erhalt der Krankenhäuser Friedrichstadt und Neustadt als städtische Eigenbetriebe entschieden und damit die Umwandlung in eine GmbHRechtsform gestoppt, die von vielen als Einstieg in den Verkauf an einen privaten Konzern gesehen wird. Was hat dieses kommunale Ergebnis direkter Demokratie, für das sich die Dresdner LINKE mit großem Engagement stark gemacht hat, mit der sächsischen Landespolitik zu tun? Das erste und wichtigste Glaubensbekenntnis der von der CDU seit über 21 Jahren zeitweilig allein bestimmten und bis heute dominierten Regierungspolitik lautet: Im Zweifel ist alles zu privatisieren, was irgendwie an öffentlichem Eigentum verkäuflich ist, denn private Unternehmen können angeblich grundsätzlich besser rechnen als öffentliche.

Dr. André Hahn Fraktionsvorsitzender

Volles Haus im UT Connewitz

Wertvolle Spende: Klassensätze des Buches „Er war doch nur ein neunjähriger Junge: Hans Richard Levy“ für Schüler und Schülerinnen aus Wurzen, Geithain, Borna, Groitzsch und Leipzig.

gruppe Leipzig, Träger des Leipziger Friedenspreises. Last but no least beantwortete Petra Dehmel von der Zeitschrift „Juden in Sachsen“ Fragen zum heutigen Leben jüdischer Menschen im Freistaat. Nach Abschluss der Veranstaltung im UT Connewitz (be)suchten die Schüler/innen historische Erinnerungs-Orte in Leipzig, darunter den Stolperstein für Berthold Levy und die Gedenkstätte der ehemaligen Synagoge. Der Tag ging mit einem Besuch des Grabes von Berthold Levy auf dem Alten Israelitischen Friedhof ebenso emotional wie würdevoll zu Ende. „Die Schreckens-Taten der Nazis sind eine Aufforderung an uns alle, sich gegen Ausgrenzung und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit möglichst frühzeitig zu wenden und da ist jeder gefordert“, wandte sich Külow an die Jugendlichen und gab ihnen eine Weisheit des englischen Philosophen Edmund Burke mit auf den Weg: „Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun.“


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Januar 2012

Kein Kassenhaus am Schlosspark Pillnitz! Staatsbetriebe erhalten bleiben“, forderte Klepsch: „Privatisierung und Kommerzialisierung muss verhindert werden.“ Dass den Pillnitzern die Brisanz des drohenden Abkassierens durchaus bewusst ist, lässt sich an der schnellen Gründung einer Bürgerinitiative pro freien Park ablesen. Annekatrin Klepsch zitierte in ihrem Redebeitrag ein Rentnerehepaar, das sich

die Fahrkarten nach Pillnitz schon heute von der mageren Rente abspart und angesichts des drohenden Eintritts künftig wird auf Parkbesuche verzichten müssen.

jenseits aller tourismuspolitischen Aspekte Naherholungsgebiet für die Einwohnerinnen und Einwohner dieses Stadtteils, der Stadt sowie der anliegenden Landkreise und sollte deshalb allen offenstehen.“

Für die Redner von CDU und FPD sowie für Finanzminister Mit der unterdessen Unland stellt sich seitens des FinanzMdL Annekatrin Klepsch die Sachministers bereits verlage freilich kündeten Umwandlung ganz anders da. Uni- des Staatsbetriebes Schlösser, Bursono betonten sie, die gen und Gärten zur gemeinnützige Gelder seien zum Erhalt Gesellschaft, muss zudem mit Einder Anlage alternativ- schnitten bei der Entlohnung und los und mit zwei Euro den Arbeitsbedingungen der hier Eintrittsgeld wäre nie- Tätigen gerechnet werden. mand überfordert. Wer wie Wirtschaftsminister Anderes Wort für Wendehals? Morlok 5.000 Euro für FDP! eine Schreibtischlampe ausgibt, kann wohl nicht Holger Zastrow hatte übrigens kein anders. Problem damit, dass die FDP am 9. März 2005 – damals noch als DIE LINKE sieht jedoch Oppositionsfaktion – einen Antrag ein doppeltes Abkassie- zur Verhinderung von Eintrittsgelren, da die Parkanlage dern für den Schlosspark Pillnitz bereits über Steuergelder gestellt und er selbst eine flamunterhalten wird. Zudem mende Rede gegen das Kassemaist klar, dass zwei Euro nur chen auf dem Rücken der Bürgeder Anfang sein werden. rinnen und Bürger gehalten hat. Andere, mit Eintrittsgel- Für Interessierte nachzulesen unter dern belegte Parks und der Drucksachennummer 4/0889. Gärten beweisen, dass Heute erklärt Zastrow, jeder könne der Preis, ist er erst mal seine Meinung ändern. Anders erhoben, schnell steigt. ausgedrückt: Was stört mich mein Klepsch: „Pillnitz ist auch Geschwätz von gestern… User:Nikater (Wikimedia Commons)

Annekatrin Klepsch ist Dresdnerin, Stadträtin und Landtagsabgeordnete der LINKEN. Nicht nur für sie ist der Schlosspark Pillnitz ein öffentliches Gut. Damit das so bleibt, machte die Linksfraktion gemeinsam mit der SPD die von der Koalition beabsichtigte Umzäunung des Parks zum Thema der Aktuellen Debatte der 48. Landtagssitzung am 24. Januar 2012. „Sachsens Schlösser, Burgen und Gärten müssen als

Schlosspark Pillnitz, Bergpalais mit barockem Lustgarten

Mit Scharlatanerie gegen Lehrermangel?

In Sachsen werden 75 Prozent der Lehrer bis 2030 altersbedingt aus dem Schuldienst ausscheiden, weshalb jährlich bis zu 1.500 neue Lehrer eingestellt werden müssten. Stattdessen aber stehen bis 2020 weitere 5.000 Lehrerstellen zur Disposition! Das kürzlich präsentierte „Bildungspaket“ wird dies nicht heilen. „Die 2.200 NeuEinstellungen in vier Stufen wider-

sprechen selbst dem von Ihnen, Herr Wöller, ermittelten Bedarf“, rechnete Verena Meiwald vor, die auch persönlich die Auswirkungen des „System Wöller“ zu spüren bekommt: „Zu den Studenten, die Sachsen den Rücken kehren, gehört auch meine Tochter. Wenn die Staatsregierung nicht einmal die jungen Leute in Sachsen halten kann, die hier ausgebildet worden sind, wird das Problem nicht zu lösen sein.“ Der hochschulpolitische Sprecher der Linksfraktion Prof. Gerhard Besier warf Minister Wöller vor, die Entwicklung verschlafen zu haben: „Zwischen Geburt und Einschulung liegen bekanntlich sechs Jahre – hätte das Kultusministerium rechtzeitig auf steigende Geburtenzahlen reagiert, stünden die Schulen in Sachsen jetzt nicht vor der Katastrophe. Die Lehrerausbildung dauert fünf, sechs Jahre und diese Zeit fehlt uns jetzt. Und ob es überhaupt zu einer Sondervereinbarung mit der TU Chemnitz über Grundschullehrer-Ausbildung kommt, ist angesichts des geheimniskräme-

rischen Umgangs mit der Hochschule im Vorfeld noch offen.“ Nach heftiger Kritik selbst aus den Reihen der CDU musste Minister Wöller inzwischen nachgeben und „verkauft“ das „Bildungspaket“ jetzt nur noch als „Handlungsrah-

men“. Allerdings bezweifelt nicht nur DIE LINKE, dass sich mit den geplanten Maßnahmen die bevorstehende Lehrkräften-Lücke auch nur annähernd wird füllen lassen. Eine Arbeitsgruppe soll es jetzt richten und bis Juni ein Konzept vorlegen. Foto: efa

In der zweiten Aktuellen Debatte des Januar-Plenums – ebenfalls mit der SPD-Fraktion beantragt – widmete sich DIE LINKE dem Lehrermangel im Freistaat und der desaströsen Politik von Kultusminister Wöller (CDU). Unter dem Titel „Schwarzgelbe Scharlatanerie: Wie durch Stellenabbau Lehrermangel bekämpft werden soll“ eröffnete MdL Verena Meiwald die Reden-Runde und kritisierte Wöllers Absicht, Lehrer aus anderen Bundesländern zu deren Anstellungsbedingungen nach Sachsen holen zu wollen: „Mit einem ZweiKlassen-System im Lehrerzimmer ist die Grenze des Zumutbaren erreicht!“, so Meiwald.

Klasse lee(h)r ....


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Behörden-Wander-Zirkus geht auf Tournee Gleich mit drei Rednern ging die Fraktion DIE LINKE in die Debatte um das Gesetz der Koalition zur „Neuordnung von Standorten der Verwaltung und Justiz des Freistaates Sachsen“, besser bekannt als „Behördenmonopoly, Behördenroulette oder Behördenwander­ zirkus.

Für Innenpolitiker Rico Gebhardt ist der geplante Staatsumbau weder objektiv geplant noch wirtschaftlich sinnvoll: „So löst der unsinnige Umzug des Landesrechnungs­ hofes nach Döbeln einen grotesken Dominoeffekt von Behördenverlagerungen aus. Laut Umsetzungskonzeption soll der Rechnungshof

in die Räumlichkeiten der Außenstelle des Landesamtes für Straßenbau und Verkehr in Döbeln umziehen, die sich wiederum mit seiner Chemnitzer Zentrale in das Finanzamt Zschopau zu begeben hat, welches im Amtsgericht Annaberg-Buchholz ein neues Zuhause finden soll, das wiederum aufgelöst und mit Marienberg ebendort durch einen Erweiterungsumbau des jetzigen Standortes fusioniert werden soll.“

© Uli Carthäuser / PIXELIO

Rechtsexperte Klaus Bartl bemängelte das Fehlen einer seriösen Kosten-Analyse und eines tragfähigen Personalentwicklungskonzeptes. Heiko Kosel, Minderheitenbeauftragter der Fraktion, sieht mit der Herabstufung des Landgerichtes Bautzen zur Außenstelle des Gerichtes in Görlitz die Verfassung verletzt, nach der Sorben das Recht haben, in ihren Heimatkreisen Verhandlungen in ihrer Muttersprache zu führen. Mit der Umstrukturierung der Landesbehörden werden die Wege für die Bürgerinnen und Bürger länger und der Service geringer. „Schließungen von Standorten wären nur dann vertretbar, wenn eine qualitätsvolle Aufgabenerfüllung in einem kleinen Standort entweder gar nicht mehr oder nur unter sehr hohen Kosten gesichert werden kann“, so Gebhardt. DIE LINKE lehnte das Standortegesetz ab. Dennoch wurde es mit 56:68 Stimmen durchs Parlament gebracht.

Für einen bezahlbaren Umbau der Energieversorgung Mit der Ablehnung des Antrags der LINKEN für ein sozial ausgewogenes „Energie- und Klimaprogramm Sachsen 2020“ (Drs 5/7778) im Januar-Plenum untermauert die Koalition ihren Unwillen, in Sachen Energiewende tätig zu werden. Dabei hatte DIE LINKE ein schlüssiges Maßnahmebündel zum strategischen Umbau der Energieversorgung vorgestellt, das mehr als die durchaus muntere Diskussion im Parlament wert gewesen wäre. Für die Sprecherin für Energiepolitik Dr. Monika Runge gehört zu den zentralen Punkten des Programms, dass die im Osten Deutschlands anfallenden hohen Netzentgelte nicht länger nur regional umgelegt werden dürfen. „Außerdem ist die Bundestarifentgeltverordnung so zu ändern, dass die Sonderkun-

denumlage zur Entlastung der energieintensiven Industrie, die gleichzeitig zur Belastung für kleine und mittlere Unternehmen sowie für alle Bürgerinnen und Bürger wird, wieder aufgehoben wird. Auch die teilweise Befreiung der energieintensiven Industrie von der gesetzlichen Erneuer­ bare - Energien - Umlage muss rückgängig gemacht werden, ist sie doch nichts weiter als eine indirekte staatliche Beihilfe“, so Runge.

derhandel unterbinden. Zudem sollte die staatliche Preisgenehmigungspflicht für private Verbraucherinnen und Verbraucher wieder eingeführt werden, denn immer mehr einkommensschwache Bürgerinnen und Bürger können ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen. Die Einführung eines Sozialtarifs mit Bonussystem würde hier Abhilfe schaffen. Diese Kosten dafür könnten aus einem Fonds bezahlt werDIE LINKE plädiert dafür, MdL Dr. Monika Runge den, der durch die dass an der Energiean der Börse anfalbörse Leipzig eine Transparenz- lenden Zufallsgewinne (windfallstelle und eine verschärfte Bör- profits) im Zusammenhang mit senaufsicht geschaffen wird, die dem CO 2 - Emissionshandel Manipulationsstrategien und Insi- gespeist wird.

Plenarspiegel Januar 2012 Im Januar fand die 48. und 49. Sitzung des Sächsischen Landtags statt. Folgende parlamentarische Initiativen ließ die Fraktion DIE LINKE am 25. und 26. Januar 2012 im Plenum behandeln: Aktuelle Debatten (Fraktion DIE LINKE & SPD-Fraktion): 1. „Kein Eintrittsgeld in den Schlosspark Pillnitz – Schlösser, Burgen, Gärten als Staatsbetrieb erhalten: Privatisierung und Kommerzialisierung verhindern!“ 2. „Schwarzgelbe Scharlatanerie: Wie durch Stellenabbau Lehrermangel bekämpft werden soll.“ Gesetzentwurf (1. Lesung): „Gesetz zur Verdoppelung der Investitionspauschale für die Kreisfreien Städte und Landkreise im Jahr 2012“ (Drs 5/7777) Neben dem Antrag zum „Energie- und Klimaprogramm Sachsen 2020“ (s. nebenstehender Beitrag) brachte die Fraktion DIE LINKE einen Antrag zu „Konsequenzen aus dem Verbraucherbericht 2011“ ein. (Drs 5/7889) Beide Anträge wurden mit schwarz-gelber Landtagsmehrheit abgelehnt. Große Anfrage: „Stand und Perspektiven der ambulanten und stationären ärztlichen Versorgung in Sachsen“ und die Antwort der Staatsregierung (Drs 5/5858) In den Berichten der Ausschüsse waren folgende Anträge der Fraktion DIE LINKE enthalten: „Einsatz von Pfeffersprühgeräten als ‚polizeiliches Hilfsmittel‘ deutlich einschränken“ (Drs 5/6177) „Mieterrechte schützen – energetische Modernisierung von Wohnraum sozial gerecht ermöglichen“ (Drs 5/6235) „Akademische Studienangebote für Pflege und Gesundheit im Freistaat Sachsen fördern“ (Drs 5/6233) Auf Empfehlung der zuständigen Landtags-Ausschüsse lehnte die Mehrheit im Plenum diese Anträge ab. Drucksachen (Drs) und Rede­beiträge unter www.linksfraktion- sachsen.de


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Januar 2012

„Kein Ort. Nirgends“ – DIE LINKE zeigt Ausstellung über Christa Wolf Hier hat die Fraktion DIE LINKE in Zusammenarbeit mit Schauspieler und Bücherbewahrer Peter Sodann eine Ausstellung über Christa Wolf aufgebaut und erinnerte damit erstmals nach ihrem Tod Ende vergangenen Jahres an die bemerkenswerte Autorin und die Magie ihrer Werke.

Aushöhlung des Kultur r aumge setzes ein wichtiges Zeichen“, unterstützt LINKE- Kulturpolitiker Dr. Volker Külow (Bild Volker Braun in rechts unten, li.) seiner Grabrede für das Vorhaben Christa Wolf Die Gespräche und und hofft, dass Diskussionen bliedie Initiative ben da aber nicht Sodanns auch stehen, schnell war der Bogen zur die Diskussion um ein neues und aktuellen Kulturpolitik geschlagen. dringend nötiges Bibliotheksgesetz Nicht nur Peter Sodann beklagte für Sachsens befördert. den Mangel an Wertschätzung, den gute Literatur heute erfährt. Mit sei- Die Ausstellung „Kein Ort. Nirgends“, ner im Aufbau befindlichen Biblio- zu der auch eine Video-Präsen­ thek zur DDR-Literatur in Staucha – tation gehört, ist noch bis zum das liegt zwischen Döbeln und 24. Februar 2012 zu sehen: Immer Riesa – will der Schauspieler einen montags bis freitags, 10 bis 16 Uhr Ort schaffen, der das gedruckte in der Lobby der 4. Etage im Sächsikulturelle Erbe Ostdeutschlands schen Landtag. Der Eintritt ist frei, bewahrt und der Öffentlichkeit Besucher müssen sich allerdings zugänglich macht. „Angesichts der an der Pforte ausweisen.

„Wohl nie hat so viel Liebe eine Tote zum Grab geleitet.“

Fotos: efa

Das Interesse war überwältigend! Weit mehr als einhundert Gäste strömten am 24. Januar zur Eröffnung der Ausstellung „Kein Ort. Nirgends“ in den Sächsischen Landtag.

Still wurde es, als die Originalstimme Christa Wolfs erklang. Das Einspiel ihrer Rede vom 4. November 1989 auf dem Berliner Alexan­ derplatz schien die Zeit zurückzudrehen. Den Blick zurück wagten auch Dr. André Hahn und Peter Sodann (Bild links unten), die die Zeit, die Autorin und das Besondere ihres Schreibens persönlich reflektierten. Gekonnt schlossen Schauspielerin Bettina Sörgel und Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Klaus Schuhmann (Bild rechts unten) hier mit ihrer szenischen Lesung an und machten Lust auf mehr Litera-

tur a la Wolf. Dicht umlagert waren dann auch die Vitrinen und Tische mit Fotos, Textauszüge, Erstausgaben und fremdsprachige Übersetzungen von Wolf-Büchern.

Rien ne va plus – Mit Behördenroulette zum Gewinn

Fast 1.200 Leserinnen und Leser stellten sich der Aufgabe, zehn von ihnen führte das Lösungswort „Behördenroulette“ zum Gewinn: Über Bücher, Hörbücher und Buchgutscheine vom Verlag Eulenspiegel freuten sich: Fam. Feldrappe aus Zwenkau, Fam. Semrau aus Güstrow, Fam. Lindner aus Mul-

denhammer, Fam. Monzner aus Olbernhau, Fam. Armbruster aus Plauen, Fam. Klemm aus Ostrau, Fam. Hempel aus Leipzig, Fam. Grohmann aus Olbersdorf, Fam. Dinter aus Dresden und Fam. Lörtscher aus Ebersbach.

Den Hauptgewinn aber räumte Volker Lachmann ab! Der Freitaler wird im März samt Begleitung in Dresden erwartet. Hier geht es zunächst zum Betriebsbesuch ins Dresdner Druck- und Verlagshaus, anschließende ist der Gewinner

© Elke Hannmann / PIXELIO

Ende 2011 informierte die LINKE Landtagsfraktion die Sächsinnen und Sachsen via Bürgerzeitung über ihre parlamentarische Arbeit und lud zugleich ein, ein Kreuzworträtsel zu lösen und darüber auf ein Wort zu stoßen, welches das jetzt beschlossene Standorte-Konzept als Teil der sog. „Staatsmodernisierung“ treffender beschreibt, als dass es der Staatsregierung lieb sein dürfte.

bei der Fraktion DIE LINKE – und hier konkret beim Vorsitzenden Dr. André Hahn eingeladen.

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon 0351/493-5800, Fax 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Elke Fahr


Kommunal-Info 1/2012

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Investitionsbedarf in Infrastruktur 75 Mrd. Euro Investitionsbedarf für Gebäude der kommunalen und sozialen Infrastruktur Im Zeitraum von 2012 bis 2020 besteht für die Gebäude der kommunalen und sozialen Infrastruktur ein Investitionsbedarf von mindestens 75 Mrd. Euro, um alle modernisierungsbedürftigen Gebäude auf das energetische Niveau eines Neubaus nach der Energieeinsparverordnung 2009 zu sanieren. Mit 27 Mrd. Euro besteht der mit Abstand größte energetische Sanierungsbedarf in Schulen. In Sporthallen müssen 7 Mrd. Euro investiert werden. Pflegeeinrichtungen haben einen Bedarf von 6,1 Mrd. Euro. Dies sind die Ergebnisse einer Studie, die das Bremer Energieinstitut im Auf-

da es vor allem in den neuen Bundesländern zu wenig Hallen gibt, und bei Pflegeeinrichtungen mit 9,7 Mrd. Euro; durch die zunehmende Alterung der Gesellschaft wächst hier der Bedarf enorm. 8,2 Mrd. Euro müssen in den Bau von Schulen investiert werden. Durch viele neue Wohngebiete sowie durch die Umstrukturierung innerhalb des Schulsystems sind die Investitionen notwendig. Im gesamten Bundesgebiet gibt es derzeit in der kommunalen und sozialen Infrastruktur ca. 300.000 Gebäude mit einer Bruttogrundfläche von rund 313 Mio.m². Die größte Anzahl an Gebäuden entfällt auf Schulen (53.500), gefolgt von Bereitschafts- und Rettungsdiensten (35.600), Kindertagesstätten (35.000), Sporthallen (33.000)

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Kulturlastenausgleich rühmte Dresdener Semperoper, das Staatsschauspiel Dresden oder die aus fürstlichen Zeiten stammenden, bedeutenden Kunstsammlungen des Landes. Aber auch die erst um 1950 entstandene Landesbühne Sachsen als Drei-Sparten-Theater mit Sinfonieorchester im nahe bei Dresden gelegenen Radebeul gehört zum Portfolio des Freistaates, der schon seit rund elf Jahren versucht, dieses Erbstück an die Sitzkommune und den dort bestehenden Kulturraum Elbtal-Sächsische Schweiz-Osterzgebirge abzugeben. Sein Argument lautet: Landesbühnen – ganz gleich ob sie im ganzen Land spielen (was bezweifelt wird) oder doch überwiegend in Radebeul und im Sommer auf der als Karl-May-Festspielort bekannten Felsenbühne Rathen – sind eine kommunale Angelegenheit und müssen auf dieser Ebene finanziert werden. Die klugen Stadträte von Radebeul, die noch nie einen Euro für das Theater in ihrer Stadt gezahlt haben, sitzen derweil das Ansinnen des Landes aus, indem sie schweigen. Auch der Kulturraum fühlte sich unzuständig.

Belastungen nach Augenmaß oder nach Gesetz

trag der KfW erstellt hat. „Der energetische Sanierungsbedarf ist enorm und u.a. eine Folge des hohen Alters vieler Gebäude, von denen drei Viertel noch vor der 1. Wärmeschutzverordnung 1977 errichtet wurden. Außerdem wird hier deutlich, welche Folgen der durch die knappen Finanzmittel hervorgerufene Sanierungsstau hat,“ erklärt Dr. Norbert Irsch, Chefvolkswirt der KfW Bankengruppe. „Damit aber die Energiewende gelingen kann, muss endlich energetisch saniert werden. Viele Kommunen wollen das auch tun, aber es bleibt zu fürchten, dass sich der Investitionsstau im nächsten Jahr noch weiter vergrößert.“

Hoher Neubaubedarf

Ein erheblicher Investitionsbedarf besteht zudem in Neubauten: Bis 2020 müssen in der kommunalen und sozialen Infrastruktur rund 22.600 Gebäude neu errichtet werden, was insgesamt rund 50 Mrd. Euro kosten wird. Der größte Neubaubedarf in Höhe von 14 Mrd. Euro besteht bei Sporthallen,

sowie Umkleidegebäuden (28.500) und Verwaltungsgebäuden (25.350). Zinsen derzeit (Stand Januar 2012) ab 0,2% Um Kommunen bei der Finanzierung des energetischen Bedarfs zu helfen, bietet die KfW Kommunen durch den Bundeshaushalt verbilligten Darlehen an (Zinsen derzeit ab 0,2% p.a.). Gemeinnützige Organisationen erhalten Förderkredite bereits ab 1% p.a.

Studie online

Die Ergebnisse der Studie „Der energetische Sanierungsbedarf und der Neubaubedarf von Gebäuden der kommunalen und sozialen Infrastruktur“ basieren auf umfangreichen Recherchen, Analysen bestehender Gutachten, Experteninterviews sowie eigenen Vorläuferprojekten und Berechnungen des Bremer Energieinstituts und ist im Auftrag der KfW erfolgt. Die Studie ist im Internet unter kfw.de/evaluationeneebs zu finden. (Quelle: http://www.baulinks.de)

Schließlich schlug die für die Kunstförderung zuständige Ministerin Sabine von Schorlemer (parteilos) unter dem Druck der Haushaltskonsolidierung für den Doppelhaushalt 2011/12 den Ausstieg aus der reinen Landesfinanzierung vor. Dazu beschloss der Landtag im Dezember 2010 eine Änderung des Kulturraumgesetzes. Die aus der Landesträgerschaft zu entlassenden Landesbühnen sollen ab der nächsten Spielzeit 3,7 Millionen Euro aus dem an die Kulturräume fließenden Landeszuschuss erhalten. Damit sinken allerdings die in den Kulturräumen noch zu verteilenden Landesmittel auf 83 Millionen Euro. Von der Stadt Radebeul werden 600.000 Euro erwartet. Das Vorgehen hat vor allem die Stadt Leipzig erzürnt. Als urbaner Kulturraum mit großen bürgerlichen Häusern wie Gewandhaus, Oper und Schauspiel erhält sie 35 Prozent der Kulturraummittel, etwa 30 Millionen Euro. Von der kulturräumlichen Einsparung entfallen daher rund eine Million Euro auf eine Stadt, die an dem Streit über die Trägerschaft der Landesbühnen überhaupt keinen Anteil hat. Die Ministerin meint, dass dieser Betrag für eine Stadt, deren Kulturhaushalt bei 118 Millionen Euro liegt, nicht den Weltuntergang bedeute, doch solche Äußerungen untermalen den Eindruck von Willkür. Dementsprechend bat der Leipziger OB Burkhard Jung (SPD) auf Vermittlung des früheren Kulturdezernenten Georg Girardet den Verfassungsrechtler Fritz Ossenbühl um eine Stellungnahme. Er, der bereits bei der Einführung des Kulturraumgesetzes um Rat gefragt worden war, konstatierte nun, dass die Änderungen des Gesetzes aus mehreren Gründen mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Verfassungsgrundsatz des Vertrauensschutzes unvereinbar seien und dass das Willkürverbot verletzt worden sei. Mitte dieses Jahres 2011 hat die Stadt Leipzig daher ein Normenkontrollver-

fahren gegen das geänderte Kulturraumgesetz vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof eingeleitet. Nach Auskunft des Gerichts wurde der Sächsischen Staatsregierung eine Frist zur Anhörung gesetzt. Es geht davon aus, dass es im ersten Quartal 2012 über die Klage beraten und einen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumen wird.

Blick hinter die Kulissen

Durch den Streit wurden noch andere Unterschiede der kulturellen Infrastruktur zwischen Dresden und Leipzig beleuchtet: Während das Land den Zuschuss für die Semperoper um fast 4 Millionen Euro und für das Staatsschauspiel um 400.000 Euro ab 2011 erhöht, leidet die Leipziger Oper unter einem strukturellen Defizit von fast 6 Millionen Euro. Na gut, könnte man sagen, dann kommt es doch auf eine Million Euro nicht an. Doch so rechnen die Leipziger nicht. Bitter für Leipzig ist, dass es seiner Oper im vergangenen Jahr erst einen Verlust von über 500.000 Euro ausgleichen musste und dass – bei recht geringer Auslastung – der Zuschuss pro Karte mit 200 Euro in Leipzig doppelt so hoch ausfällt, wie in der Dresdener Semperoper. Ähnlich negativ ist der Vergleich zwischen dem Leipziger Schauspiel mit 157 Euro zum Dresdener Schauspiel mit nur 82 Euro pro verkaufte Karte. Dagegen ist das Leipziger Gewandhaus erfreulich gut aufgestellt und erwirtschaftet bei einer Auslastung von 70 Prozent über die Hälfte seiner Mittel von 35 Millionen Euro selbst. Doch Burkhard Jung kämpft um die Leipziger Bühnen. Nach jahrelanger Vakanz hat er einen neuen Intendanten (den bisherigen GMD Ulf Schirmer) für die Oper gefunden, und auch der umstrittene Postmodernist Sebastian Hartmann am Leipziger Schauspiel wird demnächst aufhören und einer neuen Leitung Platz machen, die – man hofft es – wieder ein Stadttheater als Theater für die Stadt kreieren wird. Auch wenn die Kunstministerin sagt, dass es falsch sei, Einrichtungen gegen einander auszuspielen, tut sie genau dies, indem sie auf die dargestellten Missstände hinweist und durch die kräftige Erhöhung der Förderung der Dresdener Staatsbetriebe Fakten schafft, die der Leipziger Konkurrenz eine lange Nase machen.

Weitere Fusionen

Auf dem eigentlichen Kampfplatz schafft der Freistaat Sachsen Fakten, indem er die Landesbühnen in eine kommunale Theatergesellschaft überführen möchte, allerdings ohne das teure Bühnenorchester. Dies darf als konsequenter Schritt der Kunstministerin verstanden werden, die auf eine – an der sinkenden Bevölkerungszahl orientierten –Strukturanpassung der Kulturbetriebe in dem mit Theatern und Orchestern reich gesegneten Land drängt. Nach ihrem Plan wird das OrFortsetzung Seite 4


Kommunal-Info 1/2012

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Einladung zum Wohnungspolitischen Tag 2012

Stärkung der Innenstädte, Schrumpfen nach den urbanen Kernen – die Zukunft der „Platte“ im Kontext des soziodemografischen Wandels? am Freitag, 10. Februar 2012, 13 Uhr in Leipzig Veranstaltungssaal der Wohnungsbaugenossenschaft Kontakt e.G. Eilenburger Straße 10, 04317 Leipzig (Eingang über Johannisallee, nahe Ostplatz) Die Veranstaltung nimmt Bezug auf die Diskussion zur weiteren Entwicklung der Städtebauförderung im Zusammenhang mit dem soziodemografischen Wandel. Dazu wurde vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig ein „Whitepaper“ zur Zukunft der Großwohnsiedlungen erarbeitet. Die Städtebauförderung wurde in einer Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern festgeschrieben. Die Weiterentwicklung der Förderkriterien steht derzeit zur Diskussion. Welche Zukunft haben also die Großwohnsiedlungen? Programm ab 12.00 Uhr 13.00 Uhr

Empfang der Teilnehmer/Imbiss Begrüßung durch den Vorsitzenden des KFS e. V., Dr. Michael Friedrich

13.20 Uhr des

Nach 20 Jahren gemeinsamer Wohnungspolitik und 10 Jahren Stadtumbau Ost – Daseinsvorsorgesicherung und Herausforderungen der Wohnungswirtschaft im Kontext soziodemografischen Wandels Siegfried Schneider, Präsident des VdW Sachsen

13.45 Uhr

Die Wohnungsbaugenossenschaft Kontakt e. G. Leipzig – Engagement für die Genossenschafter und Mieter und für die Stadtentwicklung – Zukunftsprojekte und gesellschaftspolitischer Kontext Rainer Löhnert, WBG Kontakt e.G. Leipzig

14.10 Uhr

Abwanderung und Entwicklung der „Platte“ im Mittelzentrum – welche Zukunft kann Borna gestalten? Simone Luedtke, Oberbürgermeisterin der Stadt Borna

14.35 Uhr

„Whitepaper“–Forschungsbedarf und Zukunftschancen der Großwohnsiedlungen Prof. Dr. Sigrun Kabisch, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig

15.00 Uhr – 16.30 Uhr Diskussion im Podium und mit den Gästen: Forschung, Politik und Verbände – wie kann die Zukunft der Großwohnsiedlungen gestaltet werden? Kommunale Verantwortungsträger und Handlungsspielräume Moderation: Dr. Michael Friedrich, Vorsitzender KFS e. V. Fortsetzung von Seite 3

Kulturlastenausgleich chester der Landesbühne mit der Elblandphilharmonie fusionieren, die ihrerseits erst vor einigen Jahren aus dem Zusammenschluss der Sinfonieorchester in den Nachbarstädten Pirna und Riesa mit rund 50 Musikern hervorgegangen ist... Die durch die Änderung des Kulturraumgesetzes ausgelösten Bewegungen in der sächsischen Kulturlandschaft bleiben auf beiden Schauplätzen der Auseinandersetzung in Leipzig und Radebeul spannend. Mit dem vom Leipziger Stadtrat und Landtagsabgeordneten Wolf-Dietrich Rost (CDU) gegen die Leipziger Klage angeführten Brecht-Zitat: „Wer streitet, kann auch verlieren“ ist allerdings nichts gewonnen, was dem Erhalt der sächsischen Kulturlandschaft dienlich wäre. Denn aus einigen Kulturräumen gibt es warnende Hinweise, dass im Zuge des Verfahrens Argumente zu weiteren Einsparungen und damit zur Aufweichung des Kulturraumgesetzes aufkommen könnten. (Eckhard Braun) 1 Aus: Kulturpolitische Mitteilungen Nr. 135, IV/2011, Vierteljahresschrift der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V., geringfügig redaktionell bearbeitet

16.30 Uhr

Resümee und Ausblick Heidrun Bluhm, MdB, Wohnungspolitische Sprecherin

17.00 Uhr

Pause

17.30 Uhr

Konsultationen zu aktuellen Wohnungspolitischen Initiativen

20.00 Uhr

Abendessen und anschließend gemütlicher Abend

Fortsetzung der Veranstaltung am Sonnabend, 11. Februar 2012 9.00 Uhr Fortsetzung der Beratung zu Wohnungspolitischen Initiativen 11.00 Uhr

Besuch von Projekten in den Großwohnsiedlungen Leipzigs

Organisatorische Hinweise Anmeldungen zur Veranstaltung sind bitte bis 6. Februar 2012 zu richten an: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Str. 99, 01127 Dresden Telefon: (0351) 482 79 44 Fax: (0351) 795 24 53 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Teilnehmerbeitrag: 5 Euro


1-2/2012  Sachsens Linke!

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Nicht erst im Himmelreich DIE LINKE will, dass Beschäftigte der kirchlichen Einrichtungen die gleichen Rechte bekommen wie alle anderen Arbeitnehmer/ innen.

Eine Kindergärtnerin verlor ihre Stelle, weil sie einer anderen Religionsgemeinschaft angehörte. Einem schwulen Religionslehrer flatterte die Kündigung ebenso ins Haus wie dem Chefarzt, der mit seiner Lebensgefährtin ein nichteheliches Kind hatte. Diese Fälle haben eine Gemeinsamkeit: Arbeitgeberin ist eine der großen Kirchen oder ein kirchlicher Träger wie das Diakonische Werk. Was bei privaten oder öffentlichen Arbeitgebern undenkbar ist, gilt bei kirchlichen Arbeitgebern als gängige Praxis. Der Grund dafür ist die Weimarer Reichsverfassung, die den Kirchen das Recht einräumt, ihre Angelegenheiten weitgehend selbst zu bestimmen und sich selbst zu verwalten. Diese Regelung gilt im Grundgesetz fort und führt dazu, dass kirchliche Arbeitgeber ihren Beschäftigten Loyalitätspflichten auferlegen, die weit in den Bereich der persönlichen Lebensführung hineinreichen. Gleichzeitig hat das Betriebsverfassungsgesetz mit seinen Mitbestimmungsrechten im Bereich der kirchlichen Arbeitgeber keine Gültigkeit. Dementsprechend gibt es keine Betriebsräte, sondern spezielle Mitarbeitervertretungen; Tarifverträge werden in kirchlichen Gremien ausgehandelt. Diese Ausgangssituation schien in den vergangenen

Jahren zementiert zu sein. Die Arbeitsgerichte gaben dem Selbstverwaltungsrecht der Kirchen in aller Regel den Vorrang vor den Interessen der Beschäftigten. Erst im vergangenen Jahr kam Bewegung in die Auseinandersetzung um das kirchliche Arbeitsrecht. Der Organist Bernhard Schüth wollte seine Entlassung nicht hinnehmen und klagte bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das Urteil war eine schallende Klatsche für die Kirchen und für die deutsche Justiz gleichermaßen: Die Kündigung verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Die Arbeitsgerichte, monierte das Gericht, hätten mit ihrer starren Bevorzugung des Selbstverwaltungsrechts der Kirchen keine ausreichende Abwägung zwischen den Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer getroffen. Damit hat ein Dogma sein Ende gefunden, wonach allein die Kirchen die Regeln aufstellen und über deren Einhaltung wachen. Die wichtige Erkenntnis daraus ist, dass Menschenrechte auch hinter den Werkstoren der Kirchen gelten. Gleichzeitig erfuhr das kirchliche Arbeitsrecht schon an anderer Stelle eine deutlich wahrnehmbare Erosion. Die Mitarbeiterseite des ZentralKODA, also das Äquivalent der Beschäftigtenvertretung in der katholischen Kirche, sieht den sogenannten »Dritten Weg«, den das kirchliche Arbeitsrecht bildet, geradewegs auf eine Legitimationskrise zusteuern. »Der Kontrakt, wonach sich die kirchlichen Beschäftigten mit dem gesamten Kirchenvolk um den Nächsten kümmern, während der Bischof ein ordentliches Gehalt und Wertschätzung der Beschäftigten sicherstellt, gilt nicht mehr«, sagt Georg Gräd-

Hier und heute helfen Die Mitgliederversammlung der LAG Hartz IV hat zum Textteil Hartz IV des Entwurfs der Sozialpolitischen Leitlinien zwei Beschlüsse gefasst. Einstimmig wurde dafür plädiert, keine Aussage zum bedingungslosen Grundeinkommen zu treffen, da politische Leitlinien der Umsetzung des Parteiprogramms dienen, aber nicht den Kompromiss des Programms unterlaufen sollen. Im Programm heißt es, dass das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens in der Partei kontrovers diskutiert wird und dass diese Diskussion wei-

tergeführt werden soll. Diese Position hat die Mitgliederversammlung ausdrücklich unterstützt. Außerdem berufen sich Verfechter des BGE in ihren Debatten auf das allgemeine Menschenrecht als ihren Politikansatz. Die Mitgliederversammlung meint, das genüge nicht; es müsse nachgewiesen werden, dass das BGE in einem funktionierenden Gesellschaftssystem notwendig oder wenigstens möglich ist. Und Hartz IV-Empfängern und anderen sozial Benachteiligten ist vor allem wichtig, wie ihnen DIE LINKE hier und heute

ler, der Vorsitzende des Zentral-KODA. Stattdessen seien die kirchlichen Träger immer mehr in Konkurrenz zu privaten Dienstleistern im Bereich der Pflege oder des Gesundheitswesens getreten. Die Folgen des Kostendrucks, der daraus entsteht, bekommen die Beschäftigten direkt zu spüren: Zeitarbeit, Minijobs und Billiglöhne sind immer öfter an der Tagesordnung. Raju Sharma, der religionspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der LINKEN, befürchtet, dass die Kirchen vor dem Hintergrund der Kommerzialisierung des mildtätigen Bereiches ihr Selbstverwaltungsrecht missbrauchen: »Die kirchlichen Arbeitgeber, die auf dem gleichen Markt wie beispielsweise ein privater Pflegedienst agieren, müssen weder Tarifverträge beachten noch Rücksicht auf Betriebsräte nehmen. Damit haben die Kirchen einen ganz irdischen Wettbewerbsvorteil in der Hand, mit dem sie zu Lasten ihrer Mitarbeiter die Preise drücken. Das hat mit Mildtätigkeit nichts zu tun.«

Auch das Streikrecht ist im kirchlichen Arbeitsrecht keine Selbstverständlichkeit. Als die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Anfang November per Beschluss das Streikrecht für ihre Beschäftigten abschaffen wollte, formierte sich breiter Protest. Demonstranten forderten die EKD auf, den Beschluss nicht zu fassen. Bodo Ramelow hatte gemeinsam mit religionspolitischen Sprechern der Bundestags- und Landtagsfraktionen die Forderungen der Beschäftigten unterstützt. »Der Beschluss ist nicht nur ein fatales Signal an alle, die bei Kirchen und kirchlichen Einrichtungen arbeiten, und eine grobe Missachtung der Leistungen der Mitarbeiter, sondern auch ein Missbrauch des Dritten Weges«, so Ramelow. Inzwischen hat DIE LINKE im Bundestag einen Gesetzentwurf eingebracht, der bereits im Sommer in erster Lesung behandelt wurde. DIE LINKE will, dass Beschäftigte der kirchlichen Einrichtungen in den Genuss der gleichen Rechte kommen wie alle an-

deren Arbeitnehmer/innen auch. Bei den kirchlichen Beschäftigtenvertretern erhält DIE LINKE viel Zuspruch für ihren Vorstoß, das kirchliche Arbeitsrecht zu reformieren. »Der LINKEN gebührt dafür ein Blumenstrauß«, sagt ein Caritas-Vertreter. »Die Politik muss uns jetzt helfen, wenigstens einen Flächentarif in der Wohlfahrtspflege zu erreichen. Ob mit dem klassischen Arbeitsrecht oder über das Kirchenarbeitsrecht, ist dabei zweitrangig.« Für Raju Sharma ist die Sache klar: »Jemand, der in seiner Predigt am Sonntag den Gläubigen den Kopf wäscht, hat eine andere Verantwortung als diejenigen, die am Montag den Kirchenboden schrubben. Aber ihre Rechte und ihre Interessen haben wir vor allem im Blick. DIE LINKE will diese 1,3 Millionen Beschäftigten schützen und dafür sorgen, dass ihnen und ihrer Leistung gebührender Respekt entgegengebracht wird. Nicht erst im Himmelreich, sondern schon auf Erden.« Mark Seibert

hilft. Realisierbare Politik sei also gefragt. Außerdem wurden folgende Ergänzungen für den Textteil Hartz IV vorgeschlagen: »Es muss durchgesetzt werden, dass Hartz IV-Empfängern zumindest die Leistungen gewährt werden, die ihnen nach geltendem Recht zustehen, ihnen aber massenhaft vorenthalten werden. Dazu gehören die verfassungskonforme Überarbeitung und Korrektur der Regelleistungsermittlung. Dabei sollen die Leistungen des derzeitigen Bildungs- und Teilhabepaketes Bestandteil der Regelleistun-

gen der Kinder und Jugendlichen werden. Die kommunalen Träger der Jobcenter haben die Angemessenheitswerte für die Kosten der Unterkunft nach Recht und Gesetz zu ermitteln (oder ermitteln zu lassen). Wir dürfen nicht zulassen, dass die zu erwartende Ermächtigung zum Satzungserlass für Entscheidungen nach Kassenlage missbraucht wird! Außerdem sollten wir uns in den Sozialpolitischen Leitlinien verpflichten, Hartz IVEmpfängern weiterhin und verstärkt zu helfen, sich über

ihre Rechte zu informieren, sie zu beraten, sie zur Selbsthilfe zu motivieren und sie bei der Durchsetzung ihrer Rechte zu unterstützen.« Die Widersprüche innerhalb der Gewaltenteilung der derzeitigen kapitalistischen Gesellschaftsordnung sollten genutzt werden. Damit wären Chancen zu verändernder politischer Gestaltung gewonnen. Das könnte ein Beitrag zur Profilierung der LINKEN als »linke Gestaltungspartei« sein, wie sie der Leitantrag des 6. Landesparteitages fordert. Dorothea Wolff


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Kommunales

Schwieriges Fahrwasser Zu den Konstellationen im Leipziger OBMWahlkampf Leipzig hat sich im schwarzen Sachsen als »rote Hochburg« behauptet. Allen gegenteiligen Versuchen zum Trotz wird das Rathaus seit vielen Jahren von einem SPDOberbürgermeister regiert. Die Politik des »Leipziger Modells« strebte dabei an, in jeder Personal- und Sachfrage über Parteigrenzen hinweg eine möglichst breite Mehrheit zu schaffen. Das hat die Entwicklung vorangebracht. Und auch wir haben diese Entwicklung mitgeprägt, so mit zwei Bürgermeistern. Mit der SPD-Fraktion stellten wir die Mehrheit im Stadtrat. Zusam-

menarbeit in Sachfragen auf verlässlicher Basis bei Wahrung unseres eigenen Profils – so die Erfahrungen der vergangenen Jahre. Mit der Kommunalwahl 2009 hat sich die politische Situation im Stadtrat geändert – Mehrheiten gibt es nur noch im Dreierpack. Das bietet Chancen, aber auch Risiken. Chancen bieten uns die inhaltlichen Schnittmengen, und da gibt es in den Kommunalwahlprogrammen der Grünen, der LINKEN und der SPD genug. Risiken gibt es dann, wenn man die Sachebene verlässt und sich von der Suche nach der breiten Mehrheit verabschiedet. Und genau das passiert. Die erstarkte grüne Fraktion sucht ihre Schnittmengen immer wieder mit der CDU. Das ist in den Reihen der Bündnisgrünen Partei allerdings höchst

umstritten. Die SPD-Fraktion fühlt sich in der komfortablen Mitte und an den Schalthebeln der Stadtgesellschaft. Dabei weiß sie offenbar nicht genau, ob die Umarmung durch die CDU freundlich oder erdrückend ist. Aber für eine Mehrheit gegen uns sind viele Mittel recht. Das zeigte schon die unsägliche, wenn auch letztlich vergebliche Abwahlkampagne gegen den linken Kulturbürgermeister. Und der Oberbürgermeister immer vorne dran und mitten drin. Offenbar in der irrigen Vorstellung, 2013 ein leichtes Spiel zu haben. Weitblick? Verlässlichkeit? Transparenz? - Fehlanzeige. Die bisherige Amtsführung des Oberbürgermeisters spricht nicht für die Fortführung des Leipziger Modells. Und sie spricht nicht dafür, dass DIE LINKE ihn künftig unterstützen kann. Damit

steigen die Chancen der CDU, sich 2013 gegen diesen Kandidaten durchzusetzen. Die Grünen liebäugeln damit, mit den Piraten zusammenzugehen und einen gemeinsamen OBM-Kandidaten zu stellen. Das ist das Problem der SPD. Aber es ist auch für uns eine schwierige Situation. Rot-RotGrün hätte gemeinsam mehr als gute Chancen, schwarze Oberbürgermeister zu verhindern. Aber Wahlkampf hängt nicht nur von politischen Konstellationen ab, sondern auch und gerade von Personen. Und Unterstützung um jeden Preis – selbst den des eigenen Profilverlustes - ist bei uns nicht zu haben. Im Bund und im Land ist es unser erklärtes Ziel, SchwarzGelb zu überwinden. Und dafür haben wir alle guten Gründe. Und gerade in Sach-

Klarer Sieg: Für die LINKE und für Dresden. Die Dresdner LINKE hat am 29. Januar den größten Erfolg seit der Wende errungen. 31,2 Prozent der Wahlberechtigten, insgesamt 134.521 Personen, sagten in einem Bürgerentscheid JA zur Frage, ob die beiden städtischen Krankenhäuser Neustadt und Friedrichstadt weiter Eigenbetriebe bleiben sollten. Dem Ruf von CDU, FDP und Grünen zu einem NEIN folgten nur 25.176 Personen, also nur 5,9 Prozent der Wahlberechtigten. Mehr kann man sich als sozialistischer Politiker nicht wünschen: Ein wesentliches Element unserer Programmatik, die öffentliche Daseinsvorsorge, wurde nach teilweise heftiger Debatte plebiszitär bestätigt. Und dies zum einen in einer von der Gegenseite (und ehrlicherweise auch von uns) ungeahnten Deutlichkeit, zum anderen bereits in einer frühen Phase der Privatisierung, nämlich der geplanten Umwandlung in eine städtische Kapitalgesellschaft im Alleineigentum der Stadt. Die andere Seite hat alle gängigen Argumente neoliberaler Ideologie hervorgeholt: Effektiver sei es als GmbH, durch höhere Eigenverantwortlichkeit und schnellere Entscheidungswege könnten Wirtschaftlichkeitsvorteile herausgearbeitet werden, damit die beiden Häuser am Gesund-

heitsmarkt wettbewerbsfähig blieben. Alles würde als Teil der Verwaltung stagnieren und defizitär bleiben. Diese Defizite würden am Ende zu Lasten von Schulen und Kitas gehen und in den zwingenden Verkauf der Häuser in wenigen Jahren münden. Und selbstverständlich war die Frage ungeeignet für die Bürgerinnen und Bürger, weil viel zu kompliziert und natürlich führen wir eine Angstkampagne. Bisweilen waren Stil und Stoßrichtung der Argumente unerträglich, besonders dann, wenn die demokratische Kontrolle der Kommunalwirtschaft als hinderlicher Faktor beschrieben wurde. Der Stadtrat rede viel zu viel hinein in die Angelegenheiten der Krankenhäuser: eine Lüge, und eine verdammt undemokratische dazu. DIE LINKE hat auf klarer Linie agiert. Im Schulterschluss mit Gewerkschaften, Personalräten und der SPD haben wir unsere Position so kraftvoll wie möglich vertreten: Keine weiteren Privatisierungen. Schon als André Schollbach, Jens Matthis und ich das Bürgerbehren zum Erhalt der Krankenhäuser als Eigenbetriebe initiierten, spürten wir die Unterstützung aus den Belegschaften und aus unserer Partei. Die Dresdner LINKE, damals noch erschüttert von der Zustimmung eines Teils unse-

rer Ratsmitglieder zum WOBAVerkauf und den dann folgenden Ereignissen, stellte sich hinter uns. Erneuten Privatisierungsplänen sollte von Anfang an entgegengetreten werden. Im Wahlkampf hat unsere Parteiorganisation ihre Fähigkeiten gezeigt. Ich will hier nicht auf die Details eingehen, die genaue Auswertung steht noch aus. Aber allein das Anbringen von 3000 Doppelplakaten erstmalig aus eigener Kraft war eine Leistung, die uns kaum jemand zugetraut hätte. Mir zeigt das: Wenn die politischen Ziele des Vorstandes mit den Vorstellungen der Mitglieder übereinstimmen, dann mobilisieren wir Mitwirkungsbereitschaft und Kraft und ermutigen auch unsere Bündnispartner. «Initiator und damit Gewinner des Bürgerentscheides ist die Linkspartei” schreibt die Zeitung «Freie Presse” in ihrem Onlineangebot. Nein, Gewinnerinnen und Gewinner sind die Menschen in Dresden, die mit ihrer Stimme die Weichen für eine verantwortungsvolle Gesundheitspolitik gestellt haben. Was DIE LINKE gewonnen hat, ist etwas anderes: das Vertrauen in uns als verlässliche Kraft, Selbstvertrauen und Mut, auch in anderen politischen Auseinandersetzungen mit klaren Positionen aufzutreten. Tilo Kießling

sen geht das nur mit Rot-RotGrün. Hier ist es ganz deutlich – ohne DIE LINKE ist kein politischer Wechsel möglich. In Leipzig wird es das Ziel der LINKEN sein, ein starkes Ergebnis zu erreichen, um den entsprechenden Gestaltungsdruck auf die Leipziger Politik zu erzeugen. Und das nicht nur bei den Oberbürgermeisterwahlen 2013, sondern auch in den Kommunalwahlen 2014. Dazu gilt es nicht nur unsere klassischen Wähler zu gewinnen, sondern auch diejenigen zu erreichen, deren Interessen wir vertreten, die aber dennoch nicht zur Wahl gehen. Und dann kann Leipzig eine rote Hochburg bleiben – mit oder ohne Herrn Jung. Es sind die Verhältnisse, die wir ändern müssen. Ilse Lauter


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Frauen

Mittlerweile ist bekannt, dass am 25. November jeden Jahres ich vielen Ländern der von der UNO zum Gedenktag erklärte »Tag gegen Gewalt an Frauen« begangen wird. Deutschland beteiligt sich seit 11 Jahren mit verschiedenen Veranstaltungen an diesem Aktionstag. In vielen sächsischen Städten haben auch diesmal wieder Frauen der Landes-AG LISA an den unterschiedlichsten Aktionen teilgenommen. In Zittau fand im vergangen Jahr, organisiert durch die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt eine interessante Diskussionsrunde statt. Frauen aus dem »kleinen Dreieck«, also aus den Städten Hradek, Bogatynia und Zittau hatten sich getroffen, um Erfahrungen aus ihren Ländern zu diesem Thema auszutauschen. Die Zusammenarbeit der Frauenvereine gibt es schon seit einiger Zeit. Interessant war diesmal auch die Zusammensetzung der Diskussionsrunde: Neben den Gleichstellungbeauftragten von Stadt und Landkreis, den Betreiberinnen der Frauenschutzwohnung »Zuflucht« und der Kontaktstelle gegen Menschenhandel

Gründungstreffen des Bundesrates LINKE Frauen (BLF) am 25. Februar 2012 in Hannover Das Treffen soll den BLF in eine verlässliche organisatorische Struktur bringen, die Arbeitsfähigkeit herstellen und sich über erste (inhaltliche) Arbeitsschritte verständigen. Wir haben auf dem Bundesparteitag mit dem Antrag zur Verankerung eines Bundesrates LINKE Frauen in der Satzung zwar die Mehrheit von knapp 56 Prozent erhalten, dabei aber die geforderte 2/3-Mehrheit um gut zehn Prozent verpasst. Daraufhin fanden sich 81 Frauen, die dennoch gewillt sind, einen Bundesrat zu gründen und diesen gegen das Desinteresse eines Teiles unserer GenossInnen einerseits und den erbitterten Widerstand einzelner Genossinnen andererseits zum Erfolg zu führen. Mittlerweile hat sich die Zahl der Gründerinnen um genau 95 auf 176 erhöht. Interessierte melden sich in der Landesgeschäftsstelle. (0351/853270, kontakt@dielinke-sachsen.de)

Foto _Tanja Hentschel / pixelio.de

Gewalt gegen Frauen ächten – überall

und Zwangsprostitution von deutscher Seite hatten die tschechischen Vereinsfrauen die Pfarrerin des Ortes und die Chefin der Ortpolizei , die sich beide stark in der Frauenarbeit engagieren, mitgebracht. Erstere fungierte gleichzeitig auch als Dolmetscherin. Mit viel Interesse folgten die Teilnehmerinnen besonders aus Polen und Tschechien den Ausführungen zum deutschen Gewaltschutzgesetz zu

den Rechten misshandelter Frauen und Kinder, ihren Möglichkeiten zum Schutz, bis hin zur Wohnungsverweisung des Mannes für bis zu 14 Tage (eine Änderung, die in Sachsen erst Ende vergangenen Jahres in Kraftgetreten ist – statt bisher 7 Tage). Die Formen der psychologischen und medizinischen Beratung und Betreuung der betroffen Kinder und Frauen, die Nutzung von Frauenschutzwohnungen und

–häusern wurde erläutert. Auch wenn es immer wieder Probleme in der Finanzierung durch das Land wie durch den Kreis gibt, so wurden doch die deutschen Frauen ziemlich »beneidet«. Auch in Polen und der Tschechischen Republik gibt es gesetzliche Regelungen zum Schutz von Frauen und Kindern vor Gewalt, aber bei weitem nicht so weitreichende wie in Deutschland. In Polen zum Beispiel finden

Frauen und Kinder hauptsächlich im privaten Bereich Unterstützung und vorrangig auch in Pfarrhäusern und Kirchen. Tschechische Frauenschutzhäuser stehen nur Frauen mit Kindern offen, sowie vergewaltigten Frauen und sehr jungen schwangeren Mädchen, die von ihren Familien verstoßen werden. Diese Häuser werden vom Staat betrieben und von Frauenvereinen und privaten Initiativen vielfältig unterstützt. Einig waren sich alle Teilnehmerinnen aber darin, dass es vorrangig darum gehen muss, Ursachen für Gewalt in der Familie, wie soziale Benachteiligung und Ausgrenzung, mangelnde Bildung und Kontaktarmut zu bekämpfen und vor allem schon von klein an Kinder zu gegenseitiger Achtung und Toleranz zu erziehen. Den Abschluss der sehr interessanten gemeinsamen Veranstaltung im Dreiländereck bildete das Hissen der blauen Fahne von Terre des Femmes vor dem Zittauer Rathaus, an dem auch der OB der Stadt, Arndt Vogt, und der Chef des Zittauer Polizeireviers teilnahmen. Heiderose Gläß

Überparteilicher Aufbruch in Richtung Gleichstellung Kurz vor Weihnachten wurde die »Berliner Erklärung« verabschiedet. Darin fordern Abgeordnete aller sechs im Bundestag vertretenen Parteien und die Vertreterinnen sechs großer Frauenverbände die tatsächliche Durchsetzung der im Grundgesetz garantierten Gleichberechtigung von Frauen und Männern und die Beseitigung bestehender Nachteile für weibliche Karrieren Mit der »Berliner Erklärung« beantragen die zwölf Initiatorinnen die gleichberechtigte Mitwirkung von Frauen an den Entscheidungsprozessen in den Führungs- und Kontrollgremien der Wirtschaft. Eine verbindliche und sanktionsbewehrte Quote von zunächst mindestens 30 Prozent für die Aufsichtsräte der börsennotierten, mitbestimmungspflichtigen und öffentlichen Unternehmen soll dazu der erste Schritt sein. »Die Berliner Erklärung vom 15. Dezember ist ein unüberhörbares, zukunftweisendes Signal in Richtung Gleichstellung von Mann und Frau. Erstmals ist es gelungen in einem

überparteilichen Frauenbündnis gemeinsam für spürbare Besserstellungen der Frauen einzustehen«, bewertet die frauenpolitische Sprecherin der LINKEN, Yvonne Ploetz, diese Initiative für eine verbindliche Frauenquote. Mit der »Berliner Erklärung« haben sich Frauen aller Fraktionen des Deutschen Bundestages gemeinsam zur Frage gesetzlicher Vorgaben mit dem Ziel der Erhöhung des Frauenanteils in den Führungsetagen der Wirtschaft positioniert und gemeinsame Forderungen aufgestellt. Die Frauenverbände würdigen diese gemeinsame Anstrengung der Abgeordneten, insbesondere angesichts der divergierenden Auffassungen zum Thema innerhalb und zwischen den Parteien. Die Verbände begrüßen ausdrücklich, dass eine gemeinsame Position zu dieser wichtigen und grundsätzlichen gesellschaftlichen Frage formuliert werden konnte, die mit einer konkreten Forderung nach gesetzlichen Maßnahmen verbunden ist. Die Erklärung bildet den Grundstein für ein breites ge-

sellschaftliches Bündnis, um endlich effektive Maßnahmen zur Umsetzung der Gleichberechtigung in den Unternehmen auf den Weg zu bringen. Prominente Frauen aus dem gesamten Spektrum von Politik, Verbänden, Wirtschaft und Gesellschaft haben die Erklärung bereits unterschrieben – darunter Senta Berger, Dr. Margarete Haase, Steffi Jones, Alice Schwarzer.

Während unmittelbar nach der Veröffentlichung die die Sammlung von UnterstützerInnenunterschriften ziemlich schleppend verlief, hat die die Zahl in den ersten Januarwochen auf deutlich über 10.000 erhöht. Die Berliner Erklärung kann im Internet unter www.berlinererklaerung.de unterschrieben werden.

Abgeordnete aller sechs im Bundestag vertretenen Parteien und die Vertreterinnen sechs großer Frauenverbände fordern die tatsächliche Durchsetzung der im Grundgesetz garantierten Gleichberechtigung von Frauen und Männern und die Beseitigung bestehender Nachteile für weibliche Karrieren. Foto: www.berlinererklaerung.de


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Jugend

Spenden an Freiraum e.V. Burgstädt

Am 5. Dezember waren Vertreter_innen der linksjugend Sachsen in Burgstädt. Sie waren zu Besuch im Hausprojekt vom Freiraum e.V.

Unterstützung für politische Jugendbildung Das sächsische Jugendbildungsnetzwerk EKLAT, ein Zusammentreffen von verschiedenen Akteur_innen und Freund_innen linker emanzipatorischer Jugendbildungsarbeit, schreibt zusammen mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen Geld zur Unterstützung von Bildungsprojekten aus. Bewerben können sich kleine, so genannte Mikroprojekte, die mit bis zu 500 € und ein großes Makroprojekt, das mit bis zu 2.000 € unterstützt werden soll. Das Ziel ist dabei Jugendbildungsprojekte möglichst unkompliziert zu unterstützen, finanziell aber auch ideell. Das Netzwerk versteht sich nämlich nicht als Blackbox, wo mensch Anträge einwirft und dann entweder ein ja oder nein hört. Vielmehr soll das gemeinsame Ziel sein, die Projekte umzusetzen, Synergien zu finden und die Bildungsarbeit zu qualifizieren. Hierfür versucht EKLAT auch gern weitere Fördermöglichkeiten zu vermitteln, Referent_innen zu suchen oder einfach nur bei der Projektabrechnung zu helfen. Die Ausschreibungen sowie weitere Infos, z.B. für was EKLAT eigentlich steht, findest du auf www.eklat-sachsen.de oder auf www.sachsen.rosalux.de. Rico Knorr (Jugendkoordinator und Projektprinzessin des Jugendbildungsnetzwerks EKLAT)

Hierbei handelt es sich um junge alternative Menschen, welche sich zusammengefunden haben, um ein eigenes Kultur- und Wohnprojekt auf-

zubauen. Mit dem Projekt bauen sie schon seit Monaten in der eintönigen Provinz, in der Angriffe und Bedrohungssitu-

ationen zum Alltag gehören, einen Rückzugsort und Schutzraum auf. Alles geschieht in Selbstverwaltung und Eigenregie. Die Menschen haben es nicht leicht, so gab es und gibt es immer wieder Nazi-Angriffe auf BesucherInnen und BewohnerInnen des Hausprojekts. Doch nicht nur von der lokalen rechtsradikalen Szene werden die Jugendlichen angefeindet. So werden nicht Nazis als Problem gesehen und gegen diese offensiv vorgegangen, sondern die Jugendlichen als eine Art Nestbeschmutzer von der unmittelbaren Nachbarschaft und der Stadtverwaltung verklärt. Es wird mit allen Mitteln versucht, ihnen Steine in den Weg zu legen. Dabei hat eine Stadt wie Burgstädt bunte und multikulturelle Räume, wie es das Haus vom Freiraum e.V. einer ist, dringend nötig. Wie in

Satire darf alles – erst recht wenn es um Nazis geht

Es ist schon bezeichnend. Unter dem Namen »Neues Reich« richtete ein sog. Richard Wilhelm von Neutitschein, dessen Namen wohl so wahr sein dürfte wie die Existenz des Weihnachtsmannes, eine Mailingliste mit sämtlichen politisch-aktiven Personen der Republik inkl. der Presse ein, um Menschen und Journalisten täglich mit seinen revisionistischen und nazistischen Inhalten zu penetrieren. Jede Mail war zu viel. Ich wollte raus und wusste, dass ich mir den Zorn des Herren aufhalsen würde, so wie jede Person, die um Austritt bat. Denn von Neutitschein veröffentlichte jede Mail und kommentierte diese in aller Ausführlichkeit – klar, denn im Reich kennt man kein Urheberrecht. Also dachte mir: »Warum den Spieß nicht einfach auch mal umdrehen?« In passend ironisch-überspitzter Manier formulierte ich eine Mail, in der ich nicht nur verlangte, aus dem Mailverteiler genommen zu werden, sondern von der ich wusste, dass ich mit dessen Inhalt in das gesamte Nazibienennest stechen würde. Sehr gut. So gestand ich eine Volksver-

räterin zu sein und dem Herren auch nicht beim Aufbau seines Wohnzimmerreiches helfen zu können. Natürlich liebe und fördere ich in diesem Zusammenhang auch den sog.«Volkstod« und beglückwünsche bei der Gelegenheit auch gleich noch Polen für sein Terrain. Nicht zu vergessen, dass ich am 08.Mai samt Konfetti durch die Städte tanze und den Alliierten dafür danke, dass sie uns vor einer Naziherrschaft bewahrt haben. Ich schrieb noch etwas mehr. Doch schon alleine das gibt einen Einblick über die Vielfalt des Hasses, welchen ich im Folgenden zu spüren bekam. Neben persönlichen Beleidigungen vom völkischen Wutbürger kamen auch zahlreiche Mord- und Gewaltandrohungen unterschiedlichster Ausprägungen. Darüber hinaus befänden sich in der gesamten LINKEN nur Volksverräter. Aber mal ehrlich: Lieber das als ein Nazi. Sie verstanden es mal wieder ihr wahres Gesicht zu zeigen - im Reich hätte ich keine Chance. Man kann sich nun über die Strategie streiten, ob es zielführend ist sich über Nazis lustig zu machen oder ob man

ihnen nur mit Verachtung begegnen sollte. Ich halte es mit Kurt Tucholsky und meine, Satire darf alles. Der Kreativität sollte beim Protest gegen Nazis im Kleinen wie im Großen keine Grenzen gesetzt werden, so lange man sich nicht auf die Ebene der Gewalt einlässt. Und weil Ironie einem erfreulicherweise oft zum Schmunzeln verhilft, verweise ich zum Abschluss auf einen Teil des Dresden-Aufrufes der von mir hoch geschätzten Satiriker »Font Deutscher Äpfel«: »Das Braune Fallobst wird auch 2012 versuchen, seine größte Haufenbildung zu erreichen. Wir müssen dieser mit Entschlossenheit und kreativen Aktionen entgegentreten, um jetzt echt mal so richtig und endgültig den Endsieg zu erringen. Unterstützung erhalten wir dabei von der Ungarischen Knoblauchfront, die Seite an Seite mit uns kämpfen wird! Eine Niederlage ist daher kategorisch ausgeschlossen.« In diesem Sinne ein fröhliches: »Wir sehen uns in Dresden!« Christin Löchner

vielen kleinen Städten werden nicht die faschistoide und nazistische Gewalttaten von Neo-Nazis, sondern die Menschen, die auf das Problem hinweisen, als Störer angesehen. Das Engagement und die Kraft, mit der die Jugendlichen ihren Weg gehen und sich nicht unterkriegen lassen, ist erstaunlich und gilt es zu unterstützen. Deswegen hatte sich die linksjungend Sachsen zu einer Spende entschieden, welche bei dem Besuch überreicht wurde und weiter Unterstützung zugesprochen wurde. Projekte wie die des Freiraum e.V. sind wichtig und notwendig, sie sind das beste Mittel gegen das Erstarken der rechten Szene und die auf dem ländlichen Bereichen. Es darf kein ruhiges Hinterland geben! Tom Rumberger und Heiko Weigel (Mitglied Beauftragtenrat linksjugend [`solid]

Termine in nächster Zeit 4. Februar, ab 15 Uhr Treffen der LAG Queer in Dresden, genauer Ort wird noch gefunden (bei Interesse einfach mailen an lag-queer@dielinke-sachsen.de) 13. Februar in Dresden: Regionale Aktionen gegen den Naziaufmarsch 17. Februar, Antirepressionsdemo »extrem_ist_in« gegen das sächsische Demokratieverständnis und die Kriminalisierung von Antifaschismus, Start um 18:00 am Albertplatz, mehr unter http://left-action. de/antifa/ 19. Februar in Dresden: Bundesweit mobilisierte Massenblockaden gegen den Großaufmarsch der Nazis, mehr unter http://dresden-nazifrei.com und als Jahresüberblick (das ist das Stichwort für »ja, das kannst du dir gern im Kalender vormerken«, egal ob analog oder digital) 5. März Chemnitz, Nazis und Geschichtsrevisionismus im Weg stehen, mehr unter http://chemnitz-nazifrei.de/ 31. März bis 1. April 2012, Bundeskongress der linksjugend [’solid] in den Uferstudios in Berlin 25. - 28. Mai 2012, wie immer das Pfingstcamp [Motto noch offen] 27. Mai - 03. Juni 2012, CSDWoche in Dresden 7. - 14. Juli 2012, CSD-Woche in Leipzig 28. Juli - 05. August, Sommercamp der linksjugend [’solid]


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

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Handstreich im Dezember Der gemeinsame Brief von Merkel und Sarkozy an den EU-Ratspräsidenten vom 7. Dezember 2011 Van Rompuy dürfte in die Geschichte eingehen - als offizielle Vorbereitung eines nachfolgenden Handstreichs. Im Kern enthält er das, was zwei Tage später bis auf die Briten alle anderen Regierungschefs absegneten. Ein neuer fiskalischer Pakt soll eingeführt werden mit einer verbindlichen Schuldenbremse in allen Mitgliedsstaaten. Diese soll schnellstmöglich in die Verfassungen der Mitgliedsstaaten verankert werden, was praktisch ein Unding ist. Bei Überschreiten der 3% -Verschuldung soll es automatische Sanktionen geben, die den Durchgriff in die Haushalte ermöglichen. Welche Kürzungen in den Mitgliedsstaaten dann erfolgen, schlägt die Kommission vor. Im selben Atemzug beschlossen die Regierungschefs den berühmten Hebel und die Beteiligung des Privatsektors am ESM, der künftig nach den Prinzipien des IWF wirksam werden soll. Zur »Prävention« vor weiterer Verschuldung soll ein Rahmengesetzeswerk entstehen, das Mindestanforderungen für einen ausgeglichenen Haushalt der Mitgliedsstaaten enthält und bereits im Vorfeld die Politik der Staaten überprüft. Der EUGH soll auf Antrag der Kommission die Umsetzung der Politik der Mitgliedsländer überprüfen können, wozu er nach EU-Verträgen keinerlei Befugnis hat. Der neue Rechtsrahmen, den Merkozy schaffen wollen, soll direkten Eingriff in die Finanz-, Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik der Mitglieds-

staaten ermöglichen. Zwischen Kommission und den Staaten sollen Reformpartnerschaften abgeschlossen werden, die Staatshaushalte durch die Kommission genehmigt. Zugleich wird gegenwärtig eine neue institutionelle Architektur geschaffen, die eine Sonderstellung der Eurostaaten beinhaltet. Regelmäßige verbindliche Gipfel sollen die gesamte Fiskal- und Wirtschaftspolitik abstimmen. Damit wird die Haushaltshoheit der Mitgliedsstaaten ebenso wie die Unabhängigkeit politischer Entscheidungen aufgehoben. Soziale Entscheidungen, ja selbst die Tarifhoheit liegt danach nicht mehr in den Händen der von

den Bürgern gewählten Parlamente, sondern wird unter dem Deckmantel »Europäischer Politik« von einer Handvoll Staatschefs durchgesetzt. All diese Vorhaben schaffen die alte EU ab. Das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente sollen in diesen Prozess lediglich »angemessen einbezogen« werden. Der Lissabonvertrag, den wir aus guten Gründen als Linke abgelehnt haben, wurde aber wenigstens auf halbwegs demokratischer Grundlage und auf Basis der Ergebnisse eines Konventes beschlossen. Die vom Rat im Dezember beschlossenen Vorhaben sollen lediglich über einen zwischenstaatlichen Vertrag beschlos-

sen werden. So konstituiert sich faktisch ein neues Gremium neben der EU, gewissermaßen als Vertretung der Eurozone, mit eigenen verbindlichen Institutionen und Regelwerken. Das bedeutet die Spaltung der EU in Kern- und Restländer. Die Grundidee der EU als Ausgleichsunion, die sich symbolhaft in der Fördermittelpolitik widerspiegelt, würde damit zerstört. Übrig bliebe lediglich ein zentralistisch regiertes Gebilde. Deshalb ist es außerordentlich wichtig, dass wir als LINKE nicht nur diese Vorhaben kritisieren, sondern wirklich auf allen Ebenen den Widerstand dagegen organisieren. Die GUENGL setzt sich dafür engagiert ein. U.a. führen

wir dazu eine Veranstaltung im März 2012 durch. Wir brauchen bundesweit eine Kampagne gegen diese Beschlüsse und Vorhaben, die alle politischen Ebenen einbezieht. Dr. Cornelia Ernst

Maihälfte in Frankfurt und längerfristige Kampagnenüberlegungen bis 2013. In diesem Rahmen wurde auch die Einbeziehung von Formen direkter Demokratie, wie die Initiierung eines bundesweiten von unten selbstorganisierten Volksentscheids, diskutiert. Für Ende Mai sind eine gemeinsame Großdemonstration sowie Blockaden im Frankfurter Bankenzentrum angedacht. Ziel soll eine europaweite Mobilisierung nach Frankfurt sein, um ein unübersehbares Zeichen der internationalen Solidarität und des Widerstandes zu setzen. Wenige Tage nach der Aktionskonferenz in Frankfurt wird es ein weiteres europäisches Vorbereitungstreffen am 31. März in Mailand geben.

Für denselben Tag ruft das kommunistische Ums-GanzeBündnis zu einer Demonstration an der EZB-Baustelle in Frankfurt auf. Für den 12. Mai ist zudem ein dezentraler globaler Protesttag der Echte Demokratie, Jetzt! Gruppen geplant. Im Vorfeld dessen soll es einen starken gemeinsamen Auftakt zum 1. Mai geben.

Redaktionelle Richtigstellung des Artikels: “Wie hoch können rechtspopulistische Bäume wachsen? Das Beispiel Österreich“ von Peter Porsch in der Dezember-Ausgabe: Leider ist uns in dem oben genannten Artikel ein Fehler unterlaufen. Die von Haider gegründete Partei heißt: »Bündnis Zukunft Österreich« und nicht wie es im Artikel stand »Bündnis für Österreich«. Wir möchten uns dafür entschuldigen.

Umverteilen! Echte Demokratie, Jetzt! Aktionskonferenz am 24.-26. Februar 2012 in Frankfurt/Main Die so genannten Rettungsschirme für Banken führen zur Verarmung großer Bevölkerungsschichten und zum Abbau demokratischer Rechte in Europa - maßgeblich vorangetrieben von der Bundesregierung sowie der Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds. Damit Widerstand gelingen kann, ist es höchste Zeit, die Kräfte zu bündeln und gemeinsam zu überlegen, wie und in welchen Formen Proteste in 2012 stattfinden müssen. Deshalb

haben sich etwa 250 Aktivistinnen und Aktivisten verschiedener sozialer Bewegungen am 22. Januar in Frankfurt am Main getroffen, um eine für Februar geplante internationale Aktionskonferenz vorzubereiten. Inhaltlich standen im Mittelpunkt die Forderungen nach Umverteilung und Demokratisierung. Das Spektrum der Aktiven reichte von Occupy- und Echte Demokratie, Jetzt! Gruppen, Attac, der Interventionistischen Linken und dem Ums-Ganze-Bündnis über Erwerbsloseninitiativen, antirassistischen Netzwerken und Bildungsstreikaktiven bis hin zu Vertretern von der IG Metall und ver.di, linksjugend [´solid], der Grünen Jugend und der Linkspartei. Mit dabei wa-

ren zudem zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus anderen Ländern. Aus Leipzig nahmen Aktivisten von Attac und Echte Demokratie, Jetzt! Leipzig teil. Für die Aktionskonferenz Ende Februar soll ein noch breiteres Spektrum gewonnen werden, welches in der Lage ist, große Bevölkerungsteile jenseits des »linken Spektrums« zu mobilisieren. Aufgabe der Aktionskonferenz vom 24. bis 26. Februar in Frankfurt am Main wird es sein, eine Choreografie der Proteste in den kommenden Monaten gegen die Kürzungsdiktate der Profiteure der Finanz- und Wirtschaftskrise festzulegen. Im Zentrum der Diskussion des Vorbereitungstreffens standen Pläne für Aktionstage in der zweiten


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DIE LINKE im Bundestag

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»Der direkte Kontakt ist durch nichts zu ersetzen.« Du warst im Januar mit einer offiziellen Bundestagsdelegation in Kuba. Eine ganz besondere Reise, oder? Das kannst Du wohl sagen. Als ich sie 2010 angeregt habe, dachte ich auch nicht unbedingt, dass sie zustande kommen wird, zumal seit 2002 keine offizielle Delegation in Kuba war. Das deutsch-kubanische Verhältnis ist seit Jahren schlecht, was an Deutschland liegt. Es gibt keine bilateralen Verträge, und 2003 wurde unter Außenminister Fischer sogar die Entwicklungszusammenarbeit eingestellt sowie ein bereits fertiges Kulturabkommen auf Eis gelegt. Warum das? In Kuba wurden damals 52 Oppositionelle verhaftet. Die sind aber mittlerweile alle wieder frei, was an der deutschen Politik nichts geändert hat. Noch schlimmer trifft Deutschlands harte Haltung Kuba auf europäischer Ebene. Die EU hat mit fast allen Staaten Kooperationsabkommen, mit Kuba bis

heute nicht. Statt dessen definiert sie ihre Position über den ‚gemeinsamen Standpunkt‘ der im Grunde einen Systemwechsel in Kuba als Voraussetzung für normale Beziehungen fordert. Wenn so lange kein Kontakt war, stelle ich mir die Gespräche schwierig vor. Mit wem habt ihr gesprochen? Welche Themen sind zur Sprache gekommen. Wir haben unter anderem Gespräche mit hochrangigen Vertretern von Regierung und KP führen können. Die Offenheit und Intensität der Gespräche hat mich überrascht. Ich muss da auch meinen mitreisenden Kollegen der anderen Parteien danken, die den Kubaner unvoreingenommen begegnet sind. Wir sind die für das Auswärtige Amt zuständigen Haushaltsauschussmitglieder. Deshalb bildeten die Verbesserung der deutsch-kubanischen Beziehungen, ein Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen und die Frage, ob das Kulturabkommen doch noch ratifiziert werden kann, einen Schwerpunkt. Die Kubaner haben immer wieder betont, wie wichtig es sei, dass Deutsch-

land seine harte Haltung aufgebe. Ein weiterer Schwerpunkt waren die Reformen in Kuba. Unsere Gesprächspartner haben uns sowohl von den Erfolgen wie auch von Problemen, die mit der Entwicklung der Wirtschaftsreformen einhergehen, berichtet. Die Entwicklung in Kuba ist spannend, und die Kubaner gehen ihren eigenen Weg. Das Thema Menschenrechte ist sensibel. Habt ihr es angesprochen? Natürlich. Wir haben uns auch mit dem Erzbischof von Havanna, Jaime Ortega, getroffen, der die Freilassung zahlreicher Oppositioneller mit ausgehandelt hat. Er berichtete ausführlich über Verbesserungen und Defizite. Zudem hat er der EU und den USA eine einseitige Sicht vorgeworfen. Die soziale und wirtschaftliche Entwicklung stünde für die Menschen in Kuba im Mittelpunkt, die individuellen Rechte würden sich mit ihnen weiter entwickeln. Kleine Schritte seien wichtiger als große Worte, meinte er wörtlich. Was nimmst Du mit von dieser Reise?

Ich denke, sie war ein Anfang. Wir haben da was begonnen, das müssen wir jetzt im Bundestag auch gegenüber dem Außenministerium weiter betreiben. Die Kalte-Kriegs-Politik Deutschlands ist durch nichts zu rechtfertigen. Wir brauchen endlich normale Beziehungen zu Kuba. Ich selbst werde mit Sicherheit dem The-

ma verbunden bleiben. Die guten persönlichen Kontakte, die ich unter anderem zum deutschen Botschafter in Havanna und dem kubanischen Botschafter hier herstellen konnte, werden mir dabei hoffentlich helfen. Das gilt auch für die ganze Reise: Der direkte Kontakt ist durch nichts zu ersetzen.

bilisieren. Nun gilt es diesen Beschluss mit Leben zu füllen. Auf der Seite www.die-linke. de findet sich eine Schwer-

punktseite zum Thema mit Informationen und Aktionsvorschlägen. Sabine Zimmermann, Zwickau

Eine große Herausforderung für DIE LINKE. Die Euro- und Schuldenkrise und ihre Bewältigung ist auch in den nächsten Monaten die zentrale politische Frage. Die Politik in Europa organisiert derzeit nicht nur die Bankenrettung. Im Zuge und unter dem Vorwand der Krise werden weitgreifende Einschnitte im Bereich des Sozialen und im Arbeitsrecht vorgenommen, die in »normalen« Zeiten undenkbar wären. Deutlich wird das nicht nur an den Maßnahmen in Griechenland, Irland und Portugal, die bereits Hilfen des Rettungsschirmes in Anspruch genommen haben. Auch viele andere Länder und potentielle Kandidaten des Rettungsschirms planen im »vorauseilenden Gehorsam« tiefgreifende Einschnitte. Mindestlöhne und Tarifverträge werden angegriffen, die Löhne, Renten- und Arbeitslosengelder gekürzt, Massenentlassungen im Öffentlichen Dienst organsiert, weitere Privatisierung öffentlichen Eigentums vorbereitet. Das Ausmaß dieser »Reformen« ist noch nicht abzuse-

hen. Klar ist jedoch: Ohne Widerstand und einem Politikwechsel drohen der breiten Masse der Bevölkerungen massive Verschlechterungen bis hin zur Verelendung. Es ist schon paradox: Diejenigen, die die seit Jahren schwelende Finanz- und Wirtschaftskrise verantworten, versuchen, die Krise zu ihren Gunsten zu nutzen. Die gestiegene öffentliche Verschuldung, maßgeblich verursacht durch die Bankenrettung und Konjunkturprogramme gegen den wirtschaftlichen Einbruch 2008/2009, wird nun von Merkel und Co. in eine »Staatsschuldenkrise« umgedeutet. Die Botschaft ist klar: alle müssen den Gürtel enger schnallen. Ob tatsächlich erneut die Stunde der Neoliberalen schlägt, ist allerdings offen. Denn gegen diese Politik formieren sich in den betroffenen Länder zum Teil große Protestbewegungen. Welchen Beitrag kann dazu DIE LINKE leisten? Oskar Lafontaine und der Präsidentschaftskandidat der

französischen Linkspartei Mélenchon wandten sich vor einigen Wochen mit einem »Appell an die europäischen Arbeitnehmer«. Sie warnen, »die Konkurrenz zwischen den europäischen Arbeitnehmern« zu verschärfen. Sie rufen auf: »Europäische Arbeitnehmer, gebt nicht auf! Die Finanzwelt kann gegen entschlossene Völker nichts ausrichten, denn der wahre Wohlstand ist das Ergebnis menschlicher Arbeit. Durch Mobilisierung können die europäischen Arbeitnehmer den Finanzorgien ein Ende bereiten und damit beginnen, unverzüglich eine endlich menschliche Welt aufzubauen.« In diesem Sinne ist es Aufgabe der LINKEN (zusammen mit anderen) mit allen erdenklichen Mitteln die sozialen Errungenschaften und die Demokratie zu verteidigen. Der Parteivorstand hat kürzlich beschlossen im ersten Halbjahr verstärkt Aktionen gegen die Krise durchzuführen und für einen zentralen Aktionstag voraussichtlich im Mai zu mo-

Der Verfassungsschutz, DIE LINKE und die NSU Bei der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar im Bundestag hat Marcel Reich-Ranicki, selbst Holocaust-Überlebender, eine sehr persönliche, würdige Rede gehalten. Sie machte einmal mehr deutlich, dass der Antifaschismus eine der wichtigsten Aufgaben der LINKEN ist. Zugleich stand die Gedenkstunde am Ende einer Woche, in der bekannt geworden war, dass 27 Bundestagsabgeordnete der LINKEN vom Verfassungsschutz überwacht werden. Fast alle von ihnen aus Ostdeutschland, mit Katja Kipping, Ilja Seifert und mir drei aus Sachsen. Man muss es sich vor Augen halten: Nazi-Terroristen ist es möglich, gestützt von einem braunen Netzwerk zehn Jahre lang mordend durch die Repu-

blik zu ziehen, obwohl der Verfassungsschutz immer wieder Hinweise hat. Dagegen werden Abgeordnete der LINKEN, die sich seit langen Jahren für eine gerechte Gesellschaft einsetzen und Nazis konsequent entgegentreten, überwacht. Ob dieser Verfassungsschutz seinem Namen gerecht wird, ist zu bezweifeln. Er hat sich selbst überflüssig gemacht. Um so mehr liegt es an uns, im Kampf gegen die braune Gefahr wachsam zu sein. An jedem Tag im Jahr. Michael Leutert, Sprecher der Landesgruppe Sachsen

Foto: Niklas Plessing @flickr CC-Lizenz

Interview mit Michael Leutert, MdB, der auf offizieller Bundestags-Mission in Kuba war


Essay

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Sprachen sind keine „This land is your land“ alten Latschen! Der Sänger Woody Guthrie, eine Ikone der Folkmusik, wird 100!

Immer wieder einmal hören wir, die deutsche Sprache sei gefährdet; durch Zuwanderung, durch Schludrigkeit, durch die Übermacht des Englischen ... Und immer wieder mal werden wir - meist aus der rechten Ecke - mit Forderungen genervt, eine herausgehobene Bedeutung der deutschen Sprache ins Grundgesetz zu schreiben, um Englisch in die Schranken zu weisen, den Sprachverfall des Deutschen nicht nur aufzuhalten, sondern dieser Sprache wieder zu neuer Blüte zu verhelfen. Linke distanzieren sich von diesem nationalistischen Rummel. In einer globalen Einheitssprache sehen manche sogar ein durchaus erstrebenswertes Ziel. Aber auch ernst zu nehmende Sprachwissenschaft ist sich nicht einig in der Beurteilung der Situation. Derzeit werden auf der Welt etwa 6000 bis 7000 Sprachen gesprochen. Die exakte Zahl ist schwer zu schätzen, da nicht selten die Entscheidung, ob ein Idiom eine selbstständige Sprache ist oder ein Dialekt unter dem Dach eines Standards, offen bleiben muss. Bleiben wir aber bei der Zahl 6000 plus X, so ist festzustellen, dass tatsächlich nur 57 % dieser Sprachen eine sichere Zukunft haben. Der Rest läuft Gefahr, in den nächsten 20 bis 50 Jahren auszusterben. Deutsch gehört da sicher nicht dazu. Der Weg zu einer globalen Einheitssprache ist freilich auch nicht eröffnet. Sprachenvielfalt bleibt. Wie stehen wir dazu? Können Linken die Schicksale von Sprachen egal sein - sowohl in ihrer Gefährdung, in ihrer Vielfalt oder als Muttersprache? Für die nach Wien zweitgrößte österreichische Stadt Graz wurde festgestellt, dass dort bei knapp 300.000 Einwohnerinnen und Einwohnern etwa 150 Sprachen gesprochen werden. Und obwohl die gemeinsame Sprache im Alltag eindeutig und ungefährdet Deutsch ist, wird die Vielfalt dennoch auch und sehr viel mehr als Bedrohung wahrgenommen, denn als Bereicherung. Für Sachsen kann man feststellen, dass solche Ängste ebenso existieren, obwohl die reale Sprachenvielfalt kaum mit Graz zu vergleichen ist. Es handelt sich hier wohl um ein generelles Problem: Muttersprache versus Fremdsprache, Eigenes versus Fremdes, Heimat und Welt - Kollisionen im Alltag bringen Ängste und Aggressionen. Dazu kommt für Sachsen noch, dass die hiesigen Dialekte im

übrigen deutschen Sprachgebiet nicht gerade hoch im Kurs stehen. Das färbt natürlich auf die Sprecherinnen und Sprecher ab. Insgesamt eine hochpolitisch aufgeladene Situation, vor der man nicht die Augen verschließen sollte. Jacob Grimm (1785 - 1863) - vielen vielleicht nur bekannt als Märchenonkel - kam als Sprachforscher zu dem Schluss, dass »... die zersplitterung der sprache über die ganze erde und ihre mannigfaltigkeit höchst naturgemäsz war, und die gröszten zwecke der menschheit förderte ... (weshalb) sie blosz wohltätig und nothwendig, keineswegs verwirrend heiszen darf ...« Friedrich Rückert (1788 - 1866), Koranübersetzer und Begründer der Orientalistik in Deutschland, kam zu dem Schluss, mit »jeder Sprache, die Du erlernst, befreist Du einen bis daher in Dir gebundenen Geist.« Schaut man bei Wikipedia nach, erfährt man schnell, dass er sich mit 44 Sprachen »übersetzend, lehrend und sprachwissenschaftlich« beschäftigt hat, hinter der Aussage also durchaus Kompetenz steht. Ähnliches gilt für Jacob Grimm. Wilhelm von Humboldt (1767 - 1835) bereiste u.a. die Südsee und studierte und beschrieb bislang völlig unbekannte Sprachen. Dies ließ ihn feststellen, dass in jeder Sprache eine eigene Weltsicht enthalten sei. Das Erlernen einer Sprache sei dann immer auch die Gewinnung eines neuen Standpunktes in der Weltsicht. Der Amerikanische Sprachforscher Benjamin Lee Whorf (1897 - 1941) kam beim Studium von Indianersprachen zu ähnlichen Einsichten. Spätestens bei ihm sollten sich aber auch Zweifel melden. Nur weil

die Hopi-Indianer keine grammatischen Mittel zum Ausdruck von Abläufen in der Zeit haben, sollten sie auch Zeit nicht wahrnehmen. Ja, sie sollten sogar in der Lage sein, ein stimmiges physikalisches Weltbild ohne den Faktor Zeit aufzubauen. Der Deutsche Leo Weisgerber (1899 - 1985) meinte gar, dass jeder und jede geistig so sehr in seine bzw. ihre Muttersprache eingewoben sei, dass er deren »Worten der Welt« nicht entgehen könnte und deshalb auch nur in der muttersprachlichen Gemeinschaft die ihm angemessene Lebenswelt finden könne. Das ist nicht mehr weit zu »Heim ins Reich«, zum neonazistischen bösen Wunsch »Gute Heimreise« für Asyl Suchende, zu »daham statt Islam« oder »Deutsch statt nix verstehen« der österreichischen FPÖ. Sprachen sind keine Nebensachen. Kaum etwas kann menschlicher sein als Sprache. Nichts füllt unseren Alltag so sehr aus wie Sprachen. Erfolg und Misserfolg - Sprachen begründen sie und begleiten sie. Eine Sprache der Menschen kann schnell zu einer Sprache des Unmenschen werden. Ich schlage vor, in einer gelegentlichen »Sprachkolumne« dem Facettenreichtum des Phänomens auf die Spur zu kommen. Nicht zuletzt, um uns als Linke erstens »fit« zu machen für einschlägige Debatten (warum schreibe ich eigentlich nicht »ertüchtigen« und das aus gutem Grund?) und zweitens um uns Sprache bewusster und wirkungsvoll zu Nutze machen zu können. Sprachen sind alles andere als alte Latschen, in denen wir bequem durchs Wohnzimmer zum Sofa schlurfen können - auch die Muttersprache nicht.Peter Porsch

Woodrow Wilson Guthrie wurde am 14.07.1912 in Okemah, einer Kleinstadt in Oklahoma, geboren. Er wuchs in sehr ärmlichen Verhältnissen auf. Schon als Jugendlicher faszinierte ihn das abenteuerliche Leben der sogenannten »Okies«, der wandernden Arbeiter, die sich Richtung Westen begaben, um dort ihr Glück zu suchen, und er beschloss, sich ihnen anzuschließen. Nach und nach begann er sich für die Songs zu interessieren, die er von diesen herumstreifenden Tagelöhnern hörte. Es kam auch vor, dass er die Sänger auf seiner Mundharmonika begleitete. Die bitteren Erfahrungen und auch die spannenden Erlebnisse, die er erfuhr, während er monatelange durch das Land trampte, oder als blinder Passagier auf Güterwaggons reiste, notierte er auf irgendwelchen Papierfetzten oder weggeworfenen Zigarettenschachteln. So entstanden die ersten Balladen, die er dann auch vertonte. So beherrschte er schon bald ein stattliches Repertoire dieser Lieder, und wenn sich eine Gelegenheit bot, trug er sie an nächtlichen Lagerfeuern, auf Bahnhöfen oder in Arbeiterkneipen vor. Der Begriff »Folksong« war geboren. Die Lieder basierten meist auf traditionellen Melodien, irgendwo zwischen Countrymusic, Blues oder Hilly Billy und beinhalteten Themen wie Katastrophenflucht, Armut, Ausbeutung, Liebe oder auch Spott gegen die Obrigkeit. Sie waren mitnichten nur Beobachtungen der wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen jener Zeit. Nein, sie offenbarten auch, wer diese chaotischen, sozialen Zustände verursachte. 1937 in Kalifornien gelandet, wurde Woody von einem Radiobesitzer entdeckt, der ihn nach Los Angeles holte. So folgten erste Sendungen mit

ihm. Er war kein Unbekannter mehr. 1939 schrieb er für eine kommunistische Zeitung erste Kolumnen. Später trat er in den Lagern der Wanderarbeiter auf und entwickelte sich immer mehr zum politischen Sänger. 1940 lernte er in New York den inzwischen ebenfalls bekannt gewordenen Sänger Pete Seeger kennen, und es kam zu gemeinsamen Auftritten. Ein einflussreicher Musikproduzent war begeistert und lud Woody Guthrie nach Washington ein, wo er nach diversen Radiomitschnitten seine erste Solo-LP produzierte. Kurz darauf wurde er Mitglied der legendären »Almanac Singers«, die bis dahin aus Pete Seeger, Millard Lampell, Lee Hays und anderen Musikern bestand und die für Millionen Amerikaner auftraten, die sich kämpferisch zu Gewerkschaften vereinigten, um für eine bessere, gerechtere Gesellschaft zu kämpfen. Sie sind somit zum Sprachrohr der kleinen Leute geworden. Woody´s Lied »This land is your land« wurde die Hymne eines anderen Amerika und machte ihn weltberühmt. Es handelt von der Schönheit seines Landes, aber es beschreibt auch die Obdachlosigkeit der Arbeitslosen und hat bis heute keinesfalls (nicht nur in Amerika) an Bedeutung verloren. Woody Guthrie hat über 1.000 Songs geschrieben, die teils auch auf Platten erschienen sind. Die meisten Texte sind in einem New Yorker Archiv, das seine Tochter verwaltet, zu finden. Die 68er Revolte und die Woodstock-Ära hat er nicht mehr erlebt. In einem Spital erlag er am 03.10.1967 seiner schweren Krankheit. Woody Guthrie hat unzählige Folk-, Protest- und Rockmusiker beeinflusst – Bob Dylan, The Byrds, Joan Baez, Donovan und Bruce Springsteen seien hier als Beispiel genannt. Jens-Paul Wollenberg


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Rosa-Luxemburg-Stiftung

Termine 20. Februar, 16 Uhr, Leipzig, Vortrag und Diskussion: Die politische Ökonomie des Sozialismus – Eine Fehlleistung der marxistischen Wirtschaftstheorie? Mit Prof. Dr. Horst Richter, Freital Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Prof. Dr. Horst Richter, Jahrgang 1931, lehrte von 1961 bis 1967 als Dozent für Politische Ökonomie des Kapitalismus an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der KarlMarx-Universität Leipzig. 21.Februar, 18 Uhr, Leipzig: Vortrag und Diskussion Chinas Tradition und Moderne Mit Thoralf Lindner, Leipzig Moderation: Prof. Dr. KarlHeinz Schwabe, Leipzig Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig 21.Februar, 18 Uhr, Dresden Vortrag und Diskussion: Reihe: Junge Rosa – Was eigentlich ist soziale Energiewende? Mit Marco Böhme, Mitglied im Beauftragtenrat der linksjugend [‚solid] Sachsen und Vorstandsmitglied des Ökolöwen Umweltbund Leipzig e. V., Leipzig WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Diese Reihe richtet sich speziell an Jugendliche und junge Erwachsene. Inzwischen gibt es einen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, dass die Energiewende zwingend notwendig ist, wenn die Menschheit für die Zukunft gerüstet sein möchte. Es herrscht eine breite Einigkeit darüber, dass die Energiewende ökologisch und nachhaltig sein muss. Doch was ist darüber hinaus noch notwendig? Wie kann man die Umstellung auch sozial verträglich gestalten? Was bedeutet Soziale Energiewende eigentlich? 22.Februar, 19 Uhr, Dresden Buchvorstellung und Diskussion: »Bankrotteu-

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Großenhainer Str. 101, 01099 Dresden

re bitten zur Kasse: Mythen und Realitäten der Staatsverschuldung« Mit Dr. Jürgen Leibiger, Dresden WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Die öffentlichen Schulden gelten als Beweis dafür, dass »wir über unsere Verhältnisse leben«. Es ist das vorletzte Wort einer bankrotten Wirtschaftspolitik zugunsten von Bankrotteuren; das letzte Wort heißt: »Wir müssen sparen.« Aber wer ist »wir« und wie sind wessen Verhältnisse? Gibt es nicht Gläubiger, die an den Staatsschulden jährlich Milliarden verdienen? Warum sind diese Ausgaben sakrosankt, nicht aber die für Erziehung, Gesundheit, Kultur, Verkehr und andere öffentliche Güter? Kann ein Staat überhaupt Pleite gehen oder ist der Staatsbankrott nur eine Chimäre? Und was hat der Euro damit zu tun? Leibigers Buch befasst sich mit den Mythen und Realitäten der Staatsverschuldung und damit, dass die Suche nach Alternativen zur gegenwärtigen Bankrottpolitik alternativlos ist. 23.Februar, 18 Uhr, Leipzig Reihe: Luxemburg in Schönefeld: China – Wege einer Großmacht Mit Dr. Monika Runge, Landtagsabgeordnete, Leipzig Bürgerbüro MdB Dr. Barbara Höll/MdL Dr. Monika Runge, Gorkistraße 120, 04347 Leipzig China hat sich im vergangenen Jahrzehnt von der verlängerten Werkbank des Westens zum globalen Partner und Konkurrenten entwickelt und ist auf dem besten Weg, zur stärksten Volkswirtschaft der Welt zu werden. Monika Runge besuchte 2011 China im Rahmen einer Delegationsreise der Rosa-LuxemburgStiftung. 23.Februar, 18.30 Uhr, Leipzig Reihe: Rosa L. in Grünau:Der neue Elitenrassismus. Wie funktioniert die „Methode Sarrazin“

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 18000 Exempla-

Mit Jana Werner, Leipzig (angefragt) Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04207 Leipzig Thilo Sarrazin hat in den vergangenen Monaten immer wieder für Aufsehen gesorgt mit seinen Äußerungen über MigrantInnen und MuslimInnen. Viele Medien und weite Kreise der bundesdeutschen Gesellschaft nahmen seine Thesen auf und sorgten dafür, dass sein Buch »Deutschland schafft sich ab« zum Besteller wurde. Jana Werner untersucht welcher sprachlichen Mittel sich Sarrazin bedient und warum seine umstrittenen Äußerungen eindeutig als rassistisch zu betrachten sind. Für ihre Arbeit bekam sie Anfang 2012 von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen den Guenter Reimann Wissenschaftspreis verliehen. 27.Februar, 18 Uhr, Leipzig Vortrag und Diskussion: Rechtspopulismus in Österreich Mit Prof. Dr. Peter Porsch, Klinga Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Europas Länder werden immer mehr von Rechten Parteien unterwandert, wobei Österreich als Vorreiter gilt. Die FPÖ galt dort, laut einer Umfrage, im Mai 2011 als stärkste Partei. 28.Februar, 18 Uhr, Leipzig Buchvorstellung und Gespräch: DDR-Literatur – Ein alter Hut? Lesung aus »Schriftsteller und Gesellschaft. Beiträge zu östlichen- deutschen Literaturen« Mit Prof. Dr. Klaus Werner, Literaturwissenschaftler, Leipzig Moderation: Dr. Christel Hartinger, Literaturwissenschaftlerin, Leipzig Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Der 2011 in Dresden und Wroclaw erschienene Band des Germanisten Prof. Dr. Klaus Werner, geb. 1942, bis 1989 Dozent an der KMU Leipzig, dann Prof. in Erfurt und Opra-

va), enthält allesamt nach der Wende geschriebenen Aufsätze zur ostdeutschen, rumäniendeutschen und deutschjüdischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Die Aufsätze zur DDR-Literatur namentlich zu Peter Hacks, Heiner Müller, Volker Braun und Günter Kunert, stehen dabei in einem dezidiert polemischen Zusammenhang mit dem in den 1990er Jahren vom westdeutschen Feuilleton entfachten so genannten deutschdeutschen Literaturstreit. Der Vortrag von Klaus Werner ist geeignet für eine streitbare Verständigung über Möglichkeiten und Grenzen, ausgeschöpftes oder fortwirkendes Provokationspotenzial der ostdeutschen Literatur. 29.Februar, 19 Uhr, Dresden Vortrag und Diskussion Das Gemeingüter-Konzept der Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom. Ein praktikabler Ansatz in der Eigentumsfrage? Mit Prof. Dr. Günter Krause, Rosa- Luxemburg-Stiftung. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V., Berlin WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Mein oder Dein? Wem gehören Luft und Weltmeere? Wer verfügt über Wissen und Codes? Wer soll Wasser und Strom anbieten? Wer darf sich Güter wie Wissen und kulturelle Traditionen aneignen? Teilen wir sie oder sind sie Objekt privater Verwertung? Kaum jemand kann heute die Bedeutung der Eigentumsfrage übersehen. Je nach Interessenlage, politischer Überzeugung oder wissenschaftlicher Perspektive wird sie unterschiedlich beantwortet. In diesem Kontext gibt es eine bemerkenswerte Wiederbelebung der Idee des Gemeinsamen, der Gemeingüter oder Commons. Elinor Ostrom hat mit ihren diesbezüglichen Forschungen für Aufsehen gesorgt und erhielt dafür 2009 den Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaften, übrigens als erste Frau überhaupt.

ren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig, Rico Schubert (V.i.S.d.P.) Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84 38 9773 Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio

scheint am 2.2.2012. Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand.

Redaktionschluß: 30.11.2011 Die nächste Ausgabe er-

Internet www.links-sachsen.de

Abo-Service 0351-84389773 Konto: KontoNr. 3491101007, BLZ 85090000, Dresdner Volksbank

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Wissenschaftspreis 2012 Am 14. Januar wurde bereits zum zwölften Mal der Wissenschaftspreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen vergeben. Der Preis wurde vom New Yorker Wirtschaftsjournalisten Guenter Reimann gestiftet, der als Kommunist und Jude aus dem Deutschland der 1930er Jahre fliehen musste. Er wollte mit dem Preis junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fördern, die originelle Überlegungen zu gravierenden gesellschaftlichen Problemen entwickelt haben. 2012 erhielt Jana Werner für ihre Arbeit »Der ,Fall Sarrazin‘ und die sprachliche Darstellung von (muslimischen) Migranten in ausgewählten Printmedientexten« diesen Preis. Mit der Methode der Diskursanalyse hatte Jana Werner untersucht, welche Sprachbilder Sarrazin verwendet, welche Unterstützung er bekommt und welche Ziele er verfolgt, wenn er Türken und Arabern »keine produktive Funktion außer für den Obst- und Gemüsehandel« zugesteht, ihnen aber vorwirft, »ständig neue Kopftuchmädchen« in die Welt zu setzen und »durch eine höhere Geburtenrate« Deutschland zu erobern. Nicht nur wegen der breiten medialen Öffentlichkeit und des großen Beifalls, den Sarrazin immer wieder erhielt, ist die Auseinandersetzung mit seinen Thesen aus wissenschaftlicher und politischer Sicht notwendig. In seiner Laudatio fragte Peter Porsch: »Wissenschaft und Empörung, geht das zusammen?« Um zu dem Schluss zu kommen: »Gerade in solchen Stiftungen verbinden sich permanent der Anspruch von Wissenschaftlichkeit und die Transformation der Erkenntnisse in politische Bildung. Und dafür stellt die Arbeit von Jana Werner ein Paradebeispiel dar. Die Verbindung von Wissenschaft und politischer Bildung prägt die innere Dialektik der Arbeit und bringt deshalb selbst Bewegung in den analytisch angepeilten Diskurs.«


Geschichte

Die „Jugendsünde“ der CDU »Mutti« Merkel thront über Allem – nicht nur über der Bundesrepublik, sondern auch über ihrer Partei. Die CDU erscheint heute als monolithischer Block, »einfache« Mitglieder haben in der strikten Hierarchie wenig zu melden. Ihre Redner reüssieren regelmäßig mit selbstbewusst inszenierter Denkfaulheit, inhaltliche Debatten abseits von politischen Detailfragen finden hingegen kaum statt. Warum auch – spätestens seit den »Düsseldorfer Leitsätzen«, dem wirtschafts- und sozialpolitischen Programm der CDU zur Bundestagswahl 1949, ist das Weltbild der »Christlichen Demokraten« geschlossen: Kompromissloses Bekenntnis zum – als »Soziale Marktwirtschaft« getarnten – erst gezähmten, dann entfesselten Kapitalismus, Vorrang privater Profitwirtschaft vor staatlicher Einflussnahme, strikte Lawand-Order-Strategie in der Innenpolitik, glühender Antikommunismus. Es scheint fast, als sei das alles schon immer so gewesen. Allerdings hat die 1945 gegründete CDU, wenn auch nur sehr kurz, andere Zeiten erlebt. Fast vergessen ist jene Strömung, die in den Jahren nach dem Kriege – als die junge Partei noch um ihre Ausrichtung rang – einen »Sozialismus aus christlicher Verantwortung« forderte. Prominente Fürsprecher wie Jakob Kaiser und Karl Arnold ließen sie zum Machtfaktor innerhalb der CDU werden, die selbst Übervater Konrad Adenauer nicht mehr »links liegen lassen« konnte. Diese Gruppierung hinterließ ein bemerkenswertes Zeugnis: Das Ahlener Programm, beschlossen am 3. Februar 1947. Doch war es tatsächlich so umstürzlerisch, wie gemeinhin behauptet wird? »Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein«, lauten die vielzitieren Eingangssätze des Traktats. Enthalten ist die Forderung nach der Vergesellschaftung

der Schlüsselindustrien und der Entflechtung von Konzernen; Monopolunternehmen könnten »die Freiheit im Staate gefährden«, weshalb »entsprechende Kartellgesetze erlassen werden« müssten. Öffentliche Körperschaften, Genossenschaften und Arbeitnehmer seien an den Unternehmen zu beteiligen, um Machtmissbrauch zu verhindern. Das Genossenschaftswesen sei zu fördern, die Kontrolle des Geld- und Bankwesens »weiter auszubauen«. Auch das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer müsse sichergestellt werden. All diese Forderungen tragen – ungeachtet ihrer ungebrochenen Aktualität – kaum die Handschrift einer im Kern konservativen Partei. Das gilt auch für die bemerkenswerte Erkenntnis, dass »die neue Struktur der deutschen Wirtschaft davon ausgehen [muss], dass die Zeit der unumschränkten Herrschaft des privaten Kapitalismus vorbei ist«. Mit ihr leitet der Text aber zugleich über zu jenen Aussagen, die das Programm gegenüber der zeitgenössischen Linken abgrenzen. So müsse »vermieden werden, dass der private Kapitalismus durch den Staatskapitalismus ersetzt wird, der noch gefährlicher für die politische und wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen sein würde«. »Planung und Lenkung der Wirtschaft« würden, heißt es weiter, »auf lange Zeit in erheblichem Umfange notwendig sein«; sie sollten allerdings nicht als »Selbstzweck« angesehen werden. Denn die Wirtschaft dürfe »dem Einzelnen nicht die Freiheit seiner Person nehmen«. Daraus resultiert dann auch die Bewertung der faschistischen Wirtschaftspolitik: Es habe seit 1933 »in vollem Umfange ein getarnter Staatssozialismus« geherrscht. Das Ahlener Programm ist folglich von ambivalentem Charakter. Von Linken erführe es wahrscheinlich einige (verschärfende?) Veränderungen, für eine christlich-demokratische Partei wirkt es damals wie heute radikal. Es zeigt, wie sich gelebte christliche Verantwortung in praktische Politik überführen ließe. Daran ist die CDU allerdings schon lange nicht mehr interessiert, und so überrascht es nicht, dass die Parteispitze das Ahlener Programm ebenso gern in der Mottenkiste der Geschichte verschwinden lassen würde wie die FDJ-Vergangenheit ihrer großen Vorsitzenden. Kevin Reißig

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Einer der Großen Der Schatten der Großen, die Ende letzten Jahres uns verlassen, droht all jene vergessen zu machen, die schon früher diesen Weg gegangen – zu denken wäre beispielsweise an den 1913 in Chemnitz geborenen Schriftsteller Stefan Heym, der vor reichlich zehn Jahren, am 16. Dezember 2001, starb. Von Anfang an war er mir als eine Art Methusalem der deutschsprachigen Literatur erschienen, als einer, der aus dem Unbekannten kam. Im elterlichen Bücherschrank fand sich ein Roman des Autors mit dem Titel Der Fall Glasenapp, allein schon der Name des Titelhelden dünkte dem Kind geheimnisvoll. Da hatte Heym es wohl noch nicht bei den Oberen verschissen, in den Fünfzigern, Anfang der sechziger Jahre, der Exilant, dessen erste Werke aus dem Amerikanischen übertragen werden mussten und der über ein Vorleben verfügte, eine Vergangenheit, die einen langen Schatten warf, der dieses Leben scheinbar einhüllte, verbarg … Ich weiß nicht, ob das Kind, das ich vorstellte und das den Buchbestand der Eltern durchforschte, seitdem es Vertrauen zum Alphabet gefasst, den Glasenapp je bis zur letzten Seite gelesen, diese Geschichte um den Tod eines Wehrmachtsoffiziers im

besetzten Prag, oder es ihm eher langweilig erschienen, damals, ohne Kenntnis des Kontextes, der Bezüge. Der Name des Autors sollte mir erst in den Endsiebzigern wieder begegnen, in Zusammenhang mit der BiermannAusweisung als Mitzeichner der Protesterklärung gegen die Ausbürgerung, und nach Lektüren von Hermlin, Hein, Wolf – erst der Name und dann der Autor in umso klarerer Gestalt als Vertreter einer kritischen Position, die ich teilte. Seine Arbeiten erschienen zu jener Zeit fast ausschließlich in westdeutschen Verlagen. Bücher wie Ahasver und Collin, letzteres eine Aufarbeitung der Ereignisse um den 17. Juni 1953 wie auch Abrechnung mit dem Stalinismus in der DDR, wanderten in unserem Freundeskreis von Hand zu Hand, bildeten den Ausgangspunkt für Gespräche, geistige Exkursionen … Einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterließ indes der schon 1972 publizierte König-David-Bericht, jenes Lehrstück über die Manipulation von Geschichte, Geschichtsschreibung – mir fiel es nach dem Theologiestudium in die Hände, unverkennbar die Anspielungen auf eine Realität, die auch unser Alltag war. Jeder hatte wohl schon davon gehört oder selbst erlebt,

dass offizielle Fotos, auf denen in Ungnade gefallene Persönlichkeiten zu sehen, einfach retuschiert wurden, die Werke ausgereister Autoren aus den Buchläden verschwanden, in Bibliotheken nicht mehr einfach ausgeliehen werden konnten. Das betraf etwa die Werke Reiner Kunzes, der 1977 das Land verließ. Dies alles eine Revision von Geschichte, die doch stattgehabt hatte. Und dieser Roman dürfte auch heutzutage, beispielsweise hinsichtlich der Anmaßung der Deutungshoheit über die DDR-Geschichte (und ihrer auf Stasi, Mauer, Stacheldraht reduzierten Erzählung) seitens einer politisch wie geistig konservativ geprägten Elite, kaum an Aktualität eingebüßt haben. Dass Stefan Heym als integer und unbestechlich galt, lässt sich auch an der Tatsache ablesen, dass er 1989 zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs »Für unser Land« gehörte und sich im November 1994 als Alterspräsident in seiner Eröffnungsrede zur Konstituierung des 13. Deutschen Bundestags überaus kritisch zu den politischen und sozialen Verhältnissen im wiedervereinigten Deutschland äußerte, ein der Solidarität verpflichtetes Miteinander anmahnte. Jayne-Ann Igel

Foto : Wikimedia Bundesarchiv

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Rezensionen

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Leider mehr als gelungene Satire »Weiskerns Nachlass« von Christoph Hein

Ist es das Buch zum »PolitSkandal« des Jahres? Zumindest versteht der Leser, der dem Universitätsbetrieb entweder durch langjährige Abstinenz entfremdet ist oder durch andere Lebensplanungen ohnehin den angeblichen geistigen Eliteschmieden fern blieb, den Skandal nun besser. Wenn man das Buch weglegt, hat man eines gelernt: Es gibt wohl hunderte, wenn nicht tausende »Guttis« in diesem Land – ja, es muss sie einfach geben. Den »Herrn« oder die »Frau Doktor« wird man wohl künftig mit etwas weniger Respekt grüßen. Wenn die gesamte Gesellschaft in der Krise ist, dann sind davon auch Hochschulen und Universitäten nicht verschont. Wir wissen: In diesem Herbst stürmen eine halbe Million Studienanfängerinnen und -anfänger die Hörsäle, so viele wie nie zuvor in diesem Land. Schuld daran hat nicht zuletzt der falsche Doktor. Dass aber die Professorenschaft so ganz zaghaft auf die

Schwindler reagierte – Götz Aly machte unlängst an der Freien Universität Berlin die Probe aufs Exempel und stellte zu seiner Überraschung fest, dass 80 Prozent seiner Kolleginnen und Kollegen keinen Ehrgeiz haben, Betrug bei den Hausarbeiten aufzudecken –, erläutert Hein in seinem Roman ganz ausführlich: Das Elend der Dozenten – ganz egal, ob es nun Privatdozenten oder Leute auf einer halben Stelle wie sein Held Stolzenberg sind – lähmt doch das Interesse an wirklich gut ausgebildeten Studenten ganz gewaltig. Gerade bei den Professoren und Dozenten im Fachbereich Geisteswissenschaften kommt das Wissen hinzu, dass dort nicht die Elite des Landes herangezogen wird, sondern eher ein akademisches Prekariat, die Armut mit Diplom oder Doktortitel. 80 Prozent der Absolventen in den Geisteswissenschaften finden nach Abschluss ihres Studiums keine feste Stelle. Wenn aber einer Gesellschaft die Erzieher, Lehrer und Dozenten kaum etwas wert sind, dann verfallen auch

bei diesen die Sitten, und es tritt eine ganz natürliche Bakschisch-Mentalität wie in Dritte-Welt-Ländern ein. Dozenten lassen sich dann schon gern mit Geld oder Sex bestechen, und die Studenten wissen bestens über die Notlagen ihrer Lehrer Bescheid, von deren Idealen nichts mehr übrig geblieben ist. Hier fühlt man sich an »Der menschliche Makel« von Philipp Roth erinnert, der nicht nur auf die Weltfremdheit seiner Kollegen eingeht, sondern gleichzeitig konstatiert, wie die Allgemeinbildung und das Wissen der Studenten mit Jahr zu Jahr abnehmen. Gelernt wird nur noch für eine Note, und diese muss aber stimmen, denn fällt sie schlechter als erwartet aus, wird der Anwalt umgehend geholt und am Ende knickt der Dozent ja doch ein. Insofern neigen immer mehr Lehrende dazu, sich das Prozedere zu ersparen und doch gleich die bessere Note zu geben. Bei der Diplomarbeit, beim Bachelor oder Master aber geht dann die eine oder andere Studentin aufs Ganze – die Formu-

lierung »betreute Arbeit« lässt ja auch allerlei Deutungen zu … Stolzenburg, gerade 59 geworden und mit einer gesalzenen Nachforderung des Finanzamtes konfrontiert, sieht die Felle schon lange davon schwimmen. Er kämpft nicht, er hofft nur noch, und wenn er ganz in die Enge getrieben wird, rebelliert er sogar noch ein klein wenig. Auf die Idee, sich zu solidarisieren und gemeinsam zu kämpfen, kommt er nicht – und damit ist Christoph Hein sehr nahe an der Realität. Jeder ist sich selbst der Nächste. Wie auf der Arbeit, so in der Beziehung. Man nimmt, was man kriegt und vergisst es wieder – unser Leben ist im höchsten Maße fragil geworden. Über uns schwebt eine Crème de la Créme mit scheinbar wohlgeratenen Super-Kindern, die keine »normale« Schule besucht haben, zwischen Rio und Singapur studieren, später in Kapstadt arbeiten. Auch in diese Welt nimmt uns Hein mit, denn Stolzenburg hat ja ein Obsession: Weiskern! Ein Librettist, Bekannter von Maria Theresia. Ein einst berühmter Sachse am

Wiener Hof, der längst vergessen ist. Doch Stolzenberg will ihn wieder zum Leben erwecken, durch ein mehrbändiges Werk, das er zu schreiben gedenkt, und jagt verschollenen Manuskripten nach, wobei er in wilde Geschichten gerät. Denn wer hat denn nun diese seltenen Werke und Autographen? Es sind Menschen mit Geld, die einfach eine Wertanlage für Krisenzeiten suchen. Nicht nur Gemälde steigen astronomisch im Wert, auch ein Originalbrief von Goethe oder Schiller und selbst der eines Weiskern macht sich in der Privatsammlung gut! Das Leben des armen Stolzenberg vollzieht sich in dem Dreieck Uni-Alltag, Frauengeschichten und private Weiskern-Forschung. Gelegentlich trifft man auf Menschen, die das Buch für ein gelungenes satirisches Werk halten. Was diese Menschen eint: Sie kennen den Hochschul- und Universitätsbetrieb dieser Tage nicht. Ralf Richter »Weiskerns Nachlass« von Christoph Hein erschien bei Suhrkamp und kostet 24,90 Euro

Menschgemachtes Leid

Europas Geschichte bestimmen Tragödien

Normalerweise ernten wissenschaftliche Werke selten die Aufmerksamkeit der nichtakademischen Welt, die ihnen zustehen müsste. Das aktuelle Buch »Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin« des amerikanischen Historikers Timothy Snyder stellt hier sicherlich eine Ausnahme dar, wurde es doch gerade in Deutschland auch in den großen Feuilletons intensiv diskutiert. Und nach seiner Nominierung für den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ist ihm wohl erneut größere Aufmerksamkeit sicher. Warum das? Snyder untersucht drei miteinander eng verknüpfte geschichtliche Tragödien, die selten so zusammengebracht werden: Stalins Terrorkampagnen, den Holocaust und den Hungerkrieg gegen Kriegsgefangene und die nichtjüdische Bevölkerung. Diese großen menschlichen Tragödien fanden in einem relativ eng begrenzten Raum statt: im Osten des 1920 neu gegründeten Königreichs Polen und im Westen der Sowjetunion, vor allem in Weißrussland und der Ukraine. Diese Gebiete sind fast deckungsgleich mit dem damaligen jüdischen

Siedlungsgebiet in Polen und der Sowjetunion. Auf diesem relativ kleinen Territorium starben in den Jahren von ca. 1930 bis 1945 nahezu 14 Millionen Menschen, nicht in kriegerischen Auseinandersetzungen, sondern weil über ihren Tod »entschieden« wurde. Sie verhungerten, wurden vergast oder erschossen. Seit dem SputnikVerbot 1988, in dem erstmals aus den durch Gorbatschow geöffneten Archiven der Geheimpakt zwischen Hitler und Stalin bekannter wurde, ist es ein immer noch oft vergessener Aspekt, dass Polen von den Nazis und der Roten Armee in einer parallelen Aktion angegriffen wurde. Diese neue Akzentuierung ist wichtig, da es oft vergessen wird in unserer Erinnerung. Snyder eröffnet somit einen neuen Blick auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts, einen Blick, in dem sich erschließt, dass vor dem Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion Stalin dort bereits Millionen Menschen getötet hatte- außerhalb eines Krieges, während des »Großen Terrors« 1937/1938 und in den unvorstellbaren Hungertragödien in der Kornkammer Europas, der Ukraine. In den 30er Jahren begann Stalins gigantische Landwirtschaftsumwälzung, die in einen »Krieg« gegen die sogenannten

Kulaken gipfelte. Dieser »Krieg« wandelte sich aber schnell zu einem Krieg gegen die Landbevölkerung, was Ende 1933 zu einer massiven Hungersnot führte. Im selben Jahr kam in Deutschland Hitler an die Macht und begann sein Projekt »Lebensraum im Osten«. Dorthin sollten tausende Deutsche ziehen – dafür sollte zunächst die dort lebende Bevölkerung eliminiert werden. Allein in der Ukraine starben unter Stalin in den 30er Jahren ca. 4 Millionen Menschen durch menschgemachte Hungersnöte. 1931 wurde als Resultat eines unsinnig hohen Abgabesolls über die Hälfte des Weizens aus der Ukraine abtransportiert. Viele Kolchosen konnten ihre Ablieferungsquoten nur erfüllen, indem sie – auf Stalins Befehl – ihr Saatgut abgaben. Das führte im kommenden Jahr zu einer extremen Mangelernte. Selbst die ukrainische KP bat Stalin angesichts der drückenden Probleme um Aufschub: Doch Stalin sah in diesen Problemen nur den Erfolg von Saboteuren. Entsprechend mussten die Menschen leiden. Snyders Analyse zeigt, dass Stalin sehr wohl wusste, was in dieser Zeit in der Ukraine geschah, er beschreibt unvorstellbar grausame Szenen, selbst die eigentlich unbeschreiblichen Szenarien des Kannibalismus, in den die

verzweifelten Menschen getrieben wurden. Eine Frau aus Charkow erzählt: »Eines Tages waren die Kinder plötzlich still, wir drehten uns um, um zu sehen, was los war, und sie aßen das kleinste Kind, den kleinen Petrus. Sie rissen ihm Fleischfetzen ab und aßen sie.« Dann kamen die Nazis. Bevor in den Gaskammern von Auschwitz ab 1943 Millionen Juden vergast wurden, hatten die sog. Einsatzgruppen der Nazis bereits hinter der Front gewütet. Sie zogen von Dorf zu Dorf, mordeten, erschossen, und warfen die Leichen in Massengräber. Fast alle polnischen Juden waren ihnen zum Opfer gefallen. Das bedeutet, dass ca. die Hälfte der Morde an der jüdischen Bevölkerung bereits vor dem industriellen Massenmord in den Tötungslagern Auschwitz, Bergen-Belsen und Treblinka stattfand. Snyder verweist darauf, dass die Juden 1933 etwa ein Prozent der deutschen Bevölkerung ausgemacht hatten, von denen vielen noch in den ersten Jahren der faschistischen Terrorherrschaft die Flucht gelang. Anders in den »bloodlands«, wo der Großteil der europäischen Juden lebte: Vier der sechs Millionen im Holocaust ermordeten Juden stammten aus dieser Region. Auch die anderen zwei Millionen, darunter 165.000 der in

Deutschland verbliebenen deutschen Juden, wurden zu ihrer Ermordung in die Todeslager der »bloodlands« deportiert. Die dritte grausame Methode, die Millionen in diesem Gebiet das Leben kostete, war die primitive Methode des Aushungerns. Allein ca. drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene starben in Kriegsgefangenenlagern auf polnischem Territorium an Hunger. Zudem zeigt Snyder den dramatischen Verlust für Polen auf, denn neben den von Stalin angeordneten Massenerschießungen von Katyn, denen Tausende polnische Offiziere zum Opfer fielen, ermordeten die Nazis mindestens zehnmal so viele polnische Offiziere, Akademiker und Hochgebildete. Die unfassbaren Zahlen der Opfer, mit denen Snyder argumentiert, sind nicht neu. Aber die Verbrechen in dieser Form neu zusammen zu bringen, sie zusammen zu denken und damit die »bloodlands« als Raum sichtbar zu machen – darin besteht das große Verdienst der gut lesbaren Analyse von Snyder. Das Buch eröffnet eine neue Perspektive und weckt ein tieferes Verständnis für diese Schreckensgeschichte. Und sei daher jedem zur Lektüre nahegelegt. Rico Schubert Timothy Snyder: Bloodlands C. H. Beck 2011, 29,95 EUR


Rezensionen

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1-2/2012  Links!

Wider die falsche Normalität Zum Jahresbeginn 2012 ist im LIT Verlag Berlin ein Sammelband mit dem Titel »20 Jahre Bundesrepublik. Kontinuitäten und Diskontinuitäten« erschienen. Als Herausgeber und Autor zugleich fungiert Gerhard Besier. Als Lehrstuhlinhaber und Abgeordneter verbindet Besier zwei Professionen in einer Person: die des Wissenschaftlers und die des Politikers. Das ist eine Mischung, die heutzutage selten gelingt. Am ehesten leidet die wissenschaftliche Tätigkeit unter der doppelten Belastung. Oft dient sie ohnehin bloß dazu, um in Guttenbergscher Manier symbolisches Kapital aus ihr schlagen zu können. Anders Gerhard Besier: Wie der Sammelband zeigt, bewegt er sich auf der Höhe des wissenschaftlichen Diskurses. Neben der Einleitung steuert er den abschließenden Text bei, in dem der sich u.a. mit der »Diktatur des Relativismus« auseinandersetzt, vor der zu warnen Papst Benedikt XVI. nicht müde wird. Die insgesamt 14 Beiträge stammen mehrheitlich aus der Feder von Historikern. Entstanden sind sie aus Anlass einer Vorlesungsreihe zum zwanzigjährigen Jubiläum der »Friedlichen Revolution« und der deutschen Einheit. In den regierungsoffiziellen Fest- und Gedenkveranstaltungen macht der Herausgeber »den ersten Höhepunkt« einer »staatlich geschützten Geschichts- und Erinnerungspolitik« aus. Die diversen geschichtspolitischen Aktivi-

täten stellen seiner Ansicht nach den Versuch dar, eine »positive deutsche Meistererzählung« im kollektiven Gedächtnis der Bundesrepublik zu verankern. Diesem Erzählmuster zufolge hat der Epochenumbruch 1989/ 90 eine vorübergehende Anomalie – die Periode deutscher Zweistaatlichkeit – beendet. Mit der sog. Wiedervereinigung ist die Bundesrepublik zur Normalität eines Nationalstaates zurückgekehrt. Der Zivilisationsbruch, für den Auschwitz steht, ist kein Stachel im Fleisch der Berliner Republik mehr. Und die DDR gerät zu einer »Fußnote der Geschichte« (Hans-Ulrich Wehler). In Betracht gezogen wird DDRGeschichte allenfalls als Kontrastfolie, vor der die bundsrepublikanische Geschichte sich umso heller abhebt. Gegen den kollektiven Narzissmus der nationalen Meistererzählung und die »neue Normalität« wenden sich die Autoren des Sammelbandes. Sie erzählen eine andere, kritischere Geschichte der jüngsten deutschen Vergangenheit. Das Spektrum der behandelten Themen reicht von außenpolitischen Beobachtungen der deutschen Zeitgeschichte aus tschechischer und polnischer Perspektive, den »deutsch-amerikanischen Beziehungen« bis hin zu innenpolitischen Analysen des Zustandes der Berliner Republik wie die »Enttabuisierung des Militärischen« (insbesondere in der deutschen Außenpolitik), den Umbau »der sozialen Marktwirtschaft zur neo-

liberalen Wirtschaft« und »die wachsende Kluft zwischen Besitzenden und Habenichtsen«. Hinzu kommen bildungspolitische Betrachtungen zum »PISA-Schock« und den Konsequenzen sowie die schon erwähnte Auseinandersetzung des Herausgebers mit der Rückkehr der Religion in die Politik. Den historiographischen Rahmen gibt Konrad Jarausch vor, Prof. für Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin. Er plädiert für einen grundlegenden Perspektivenwechsel in der Zeitgeschichtsforschung. Die Nachwendezeit sei weniger als Nachgeschichte, mithin als Abschluss eines deutschen Sonderweges und Rückkehr zur Normalität zu begreifen denn als »Vorgeschichte der Probleme der Gegenwart«. Jarausch betont stärker das historisch Unabgegoltene und die produktiven Herausforderungen, vor denen die Bundesrepublik steht. Mit der neoliberalen Ära, deren Anfänge auf die Zeit um 1980 datieren, befasst sich der Ökonom Rudolf Hickel. Im Verlaufe zweier Dezennien verabschiedet sich die herrschende Politik von einem integrativen Modus und geht zu einer Politik der Deregulierung und des Sozialabbaus über. Das Vertrauen in die Selbstregulierungskräfte des Marktes ist größer als dasjenige in die politische Gestaltungsmacht. Zur Folge hat das eine beispiellose »Entfesselung« der Märkte, vor allem der Finanzmärkte. Das Wachstum der Produktion bleibt jedoch weit

Herzlichen Glückwunsch, Sigmund Jähn! Am 13. Februar wird der erste Deutsche im All – Siegmund Jähn – 75 Jahre alt. Viele, vor allem die älteren Genossen, werden sich noch an die Zeit seines Weltraumfluges im Rahmen des Programmes »Interkosmos« vom 26.8 bis zum 3.9.1978 mit dem Raumschiff »Sojus 31« und an Bord der Raumstation »Salut-6« erinnern. Sigmund Jähn, geboren in Morgenröthe-Rautenkranz (Sachsen), von Beruf Buchdrucker, war in seinem Arbeitskollektiv wegen seiner menschlichen Qualitäten und seiner guten engagierten Arbeit geachtet und anerkannt. Diese Eigenschaften waren auch eine Voraussetzung dafür, dass er trotz hoher Auszeichnungen und vielen Ehrungen der Sigmund geblieben ist, den alle kannten.

Sein Flug ins All ist auch ein Stück Geschichte der DDR. So konnte sich zum Beispiel die »Süddeutsche Zeitung« am 28. 8. 1978 die Bemerkung: »Zum ersten Mal wird im Weltraum deutsch gesprochen,

wenn auch mit sächsischem Akzent…..Der erste richtige Deutsche soll schließlich erst 1980 mit einem Spacelab – Raumschiff in den Weltraum fliegen« (»Erlebnis Weltraum«, Seite 63), nicht verkneifen. Auch nach der Wende war Sigmund Jähn als Ratgeber für die DLR und ESA aktiv und hat dabei mitgeholfen, dass die Ausbildung und die Mitflüge der DLR- und ESA-Astronauten aus Deutschland an Bord der Sojus-Raumschiffe und der Raumstationen »Mir« und »ISS« erfolgreich verliefen. Eberhard Golbs Eberhard Golbs gehörte mit Sigmund Jähn, Eberhard Köllner und Rolf Berger zu denen, die 1976 im Rahmen des Interkosmosprogramms für die Kosmonautenausbildung ausgewählt waren.

hinter dem erheblich schneller vonstatten gehenden Wachstum der Finanzmärkte zurück. Dies führt zu einer »Zunahme rein spekulativer Geschäfte«, in denen »zuvor erwirtschaftetes Kapital an den Spieltischen des internationalen Casinokapitalismus eingesetzt« und verzockt wird. Um die Hegemonie der Finanzmärkte zu brechen, fordert Hickel deren »strenge Regulierung« und eine »gesamtwirtschaftliche Steuerung«, in der die Ökonomie »einem sozialen und ökologischen Zielsystem« untergeordnet wird. Mit den zerstörerischen sozialen Folgen des »finanzmarktgesteuerten Kapitalismus« befasst sich Michael Klundt, Professor für Kinderpolitik an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Er konstatiert eine erschreckende Normalität von wachsender Armut in der Bundesrepublik, der ein enormer Reichtum gegenüber steht. Die Untersuchung der Bearbeitungsformen von Armut lässt den Autor zu dem höchst beunruhigenden Fazit gelangen: »Ein sich selbst arm machender Staat kann Armut nicht bekämpfen«. Statt der »Bekämpfung der Armut« forciert die herrschende Politik die »Bekämpfung der Armen«. In der Rebellion der vermeintlich »produktiven Leistungsträger gegen die Unproduktiven« artikulieren sich »sozial-rassistische Einstellungen«. Sie sprechen den sog. Leistungsschwachen die Menschenwürde ab, um ihnen auch noch ihre sozialen Rechte streitig machen zu können.

Eine Politik, die nicht sozial spalten, sondern integrieren will, erfordert dagegen Steuergerechtigkeit. Und dazu gehören nach Klundts Ansicht eine Vermögenssteuer, eine gerechte Erbschaftssteuer, eine Finanzmarktsteuer und ein höherer Spitzensteuersatz. Dem Herausgeber ist zuzustimmen, wenn er in seiner Einleitung »antiaufklärerische, antiemanzipatorische und revolutionsfeindliche Strömungen« als den gemeinsamen Nenner der publizierten Beiträge ausmacht. Sie gemahnen »den Einzelnen wieder an die vermeintlichen Zwänge seiner ökonomischen, geburtlichen und schichtenspezifischen Begrenztheiten« und bürden »ihm diese gleichsam als eine naturgegebene Last« auf. Alles in allem entsteht so nach der Lektüre des Sammelbandes das paradoxe Bild einer modernen Ständegesellschaft. Es konterkariert die positive Meistererzählung von der neuen Normalität der Berliner Republik. Anders als die verbreitete politische Rede von sozialer Mobilität kraft eigener Leistung suggeriert, beherrschen soziale und kulturelle Schließungsmechanismen die Gesellschaft. Mit ihnen kehrt so etwas wie Schicksalhaftigkeit in die Gesellschaft zurück. Nicht nur im Sinne der Schäubleschen »Schicksalsgemeinschaft« aller Deutschen, sondern auch in Form sozialer Determiniertheit, die das Individuum auf seine soziale Herkunft festlegt. Jochen Mattern


Kultur

Links!  1-2/2012

Seite 12

Capa-Haus

Hauch der Geschichte

Anti-Hitler-Koalition ihr Leben ließen. Dass er sein AntiKriegs-Foto mit einem Superlativ versah, war offensichtlich dem Bemühen geschuldet, das symbolisch Letzte an Willen, Energie und Kampfkraft in einem historischen besonderen Moment festzuhalten, als das Niederringen der faschistischen Bestie faktisch längst besiegelt war. Robert Capa agierte als Zeitzeuge, der eine Botschaft überbringen wollte. Der weitere Verlauf der »großen Geschichte« ist bekannt. Auch die »kleine Geschichte« nahm ihren Lauf. In das Haus, das engagierte Eingeweihte heute als Capa-Haus in Erinnerung bringen möchten, zog wieder friedliches Leben ein. Leipziger Familien wohnten in dem Gebäude, das durch eine Fotografie voller Emotion eigentlich die Chance zur Berühmtheit hatte. Im Erdgeschoss vergnügten sich die Menschen zu Live-Musik in der Tanzbar »Melodie.« Viel repariert oder gar saniert wurde an dem markanten Gebäude wie an so vielen mehr oder weniger betagten Häusern nicht. Das Capa-Foto mit dem toten GI fand in brillanter Abbildungsqualität anlässlich des 40. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus seinen Weg in die bei Kennern geschätzte DDR-Zeitschrift »Fotografie«, freilich ohne Details zur Entstehungsgeschichte. Wer hätte gedacht, dass die gesamte Bild-Geschichte fast ein Menschenleben nach dem Entstehen des Fotos noch einmal heftig in Bewegung geraten würde? Rund um das CapaHaus verflochten sich ab 1990 die Entwicklungsstränge wie um unzählige andere ostdeutsche Immobilien auch. Verkauf des Hauses, Weiterverkauf, Verklumpung mit anderen Immobilien in einem »Paket«, Pleite der weiterhin untätigen »Investoren«, platzende Bankbürgschaften und Zwangsversteigerung sind in ihrer ganzen miesen Banalität so schäbig, dass sie eigentlich das Kontrastprogramm zu dem schlaglichtartigen historischen Ruhm abgeben, den Robert Capa dem Haus mit seinem berühmten Foto verliehen hat. Je mehr jedoch der historische Ort auf den endgültigen Verfall zusteuerte, desto aussagekräftiger rundete sich das Bild vom Geschehen in jenen immer ferneren Apriltagen des Jahres 1945 und ihrer fotografischen

Bild: Wikimedia Commons

Geist der Entsorger? Robert Capa gilt weltweit als der berühmteste Kriegsfotograf. Der aus Ungarn stammende Bildreporter aus Passion war Mitglied der renommierten Bildagentur Magnum. Das allein wirkt wie ein Gütesiegel. Capas Fotos, welche die Schrecken des Krieges in eindringlicher Bildsprache ins Gedächtnis eingraben, um den Wert des Friedens ermessen zu können, erscheinen seit Jahrzehnten immer wieder als Illustration wichtiger Publikationen. An welchem Ort im Spanischen Bürgerkrieg 1936 die Aufnahme »The falling soldier« auf der republikanischen Seite der Front entstanden ist, wissen wir nicht. Doch wo »Der letzte Tote des Krieges« aufgenommen wurde, ist inzwischen bis in alle erdenklichen Details erforscht. Das tausendfach publizierte Reportagefoto erschien erstmals in der ebenfalls legendären Spezialausgabe der amerikanischen Illustrierten »Life« vom 14. Mai 1945, die in vollem Umfang dem Sieg über den deutschen Faschismus gewidmet war. Das Foto war am 18. April 1945 in einer Wohnung des Hauses Frankfurter Strasse 39 (heute Jahnallee 61) in Leipzig-Lindenau entstanden. Drei Wochen vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs rückten die GIs in mehreren Keilen unter anderem von Westen her in Richtung auf das Zentrum der Messestadt vor. Am Straßenbahnhof Angerbrücke sollten mit Trümmerschutt beladene Wagen in grotesker Verkennung der Lage den Vormarsch der Amerikaner stoppen. Zum Schutz der Angriffsspitzen, die fast schon die Zeppelinbrücke über die Weiße Elster erreicht hatten, bezogen mehrere Soldaten auf dem Balkon einer gutbürgerlichen Wohnung Stellung. Während sich die Wohnungsinhaber im Keller versteckten, fotografierte Capa das kleine, erhöht postierte MG-Nest mit den abgekämpft wirkenden Soldaten. Sekunden später traf die Kugel eines fanatisierten deutschen »Verteidigers« aus dem Hinterhalt einen der Amerikaner. Er war auf der Stelle tot und stürzte rückwärts in die Wohnung. »Der letzte Tote des Krieges« war ein symbolisch Letzter. Auch Capa wusste genau, dass an diesem und den nächsten Tagen weitere Angehörige der

Platz für den Adressaufkleber

Kriegsveteran Lehmann Riggs 2011

Dokumentation ab. Leipziger und auswärtige Enthusiasten, die in den letzten 20 Jahren erstmals eine Reihe von Fotos vom Vordringen der westlichen Alliierten in ihre Stadt sahen, wollten mehr wissen. Sie fanden jenen Herrn Robert Petzold, der als Kind in der berühmt gewordenen Wohnung gelebt hatte, sie stießen mit Lehmann Riggs auf den 92jährigen amerikanischen Kriegsveteranen, der sich wache Erinnerungen bewahrt hat und endlich den Namen des gefallenen Amerikaners zweifelsfrei beisteuern konnten: Der »letzte Tote des Krieges« hieß Raymond J. Bowman und starb wenige Tage nach seinem 21. Geburtstag. Für das leerstehende CapaHaus ist es spätestens nach einem mysteriösen Brand in der Neujahrsnacht 2012 fünf vor zwölf. Frühere Fehler und Versäumnisse rächen sich nun. Es ist jedoch aller Anstrengungen wert, auf eine Notsicherung zu drängen und das Haus in einer glücklichen Wendung zu retten - als Gedächtnisort an die Schrecken des Krieges und als Mahnmal für den Frieden. Die elementare Rettung steht im Vordergrund; die Form der Erinnerung an Capa und sein Foto - welche Stadt sonst hat die Chance, den authentischen Ort des dokumentierten Geschehens nachfolgenden Generationen zu zeigen - muss dann folgen. Es darf nicht passieren,

dass an einer drohenden Lücke im Leipziger Stadtbild und im Gedächtnis der stolzen Bürgerstadt ein Schild mit der Inschrift prangen wird, dass an diesem Ort noch 67 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus ein Haus stand, in dem Robert Capa einem gefallenen Befreier ein fotografisches Denkmal setzte. Für die Beschäftigung mit der Anti-Hitler-Koaition ist das Capa-Haus ein wichtiges Mosaiksteinchen, für die Stadt Leip-

zig ist es eine Riesenchance, ein historisches Foto näher zu entschlüsseln, aufzurütteln und einen konkreten Ort zu zeigen, wo nicht die bekannten Staatenlenker, sondern »einfache« Menschen Geschichte geschrieben haben. So wie Friedensforscher den Namen des gefallenen amerikanischen Soldaten nunmehr bewahren werden, sollte die Stadt Leipzig den historischen Ort in Ehren halten. Volker Külow

DasCapa-Haus ist heute in schlechtem Zustand. Bild privat 2011


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