Links! Ausgabe 04/2012

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Ein notwendiger Dialog

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt April 2012

Es ist immer gut, wenn in verschiedenen Organisationen über zukunftsfähige Projekte diskutiert wird, insbesondere dann, wenn es sich um Organisationen handelt, die Menschen verschiedenen politischer Ausrichtungen vereint, wie z.B. die Gewerkschaften. In ihnen streiten gemeinsam Kolleginnen und Kollegen aus der CDU, der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen, aus der LINKEN und Parteilose. Ein Projekt, das in den Gewerkschaften immer stärker diskutiert wird, ist das Grundeinkommen. Der Gewerkschafterdialog Grundeinkommen, der nun auch über eine Internetplattform verfügt, hält es entgegen der Meinung einiger Gewerkschaftsfunktionäre für notwendig, sich intensiv mit dem Arbeitsbegriff und dem Grundeinkommen auseinanderzusetzen. Damit greifen sie eine an der Basis bestehende Diskussion auf und treiben sie voran. Eigentlich verständlich: Schließlich ist vielen klar, dass das Grundeinkommen nicht nur für Erwerbslose die Abschaffung von Schikane und Ausgrenzung bedeuten würde, sondern dass es die Arbeitszeitverkürzung befördert und die Macht- und Verhandlungsposition der abhängig Beschäftigten stärkt. Viele meinen, das Grundeinkommen wäre ein ständig verfügbares Streikgeld. Darüber hinaus: Mit einem Grundeinkommen im Rücken sind Lohnabhängige nicht mehr der Drohung mit der Existenznotpeitsche ausgesetzt, die viele Versuche der Mitbestimmung in den Betrieben über Produktionsziele und -bedingungen niederhält. Das Grundeinkommen ist damit ein wesentlicher Beitrag zur Stärkung der Wirtschaftsdemokratie! Es befördert demokratische Aneignungsprozesse im Kern der kapitalistischen Produktion, in den großen Betrieben, aber auch in den Dienstleistungsbereichen. Zu-

sammen mit intelligenten Konzepten der Arbeitszeitverkürzung, mit dem Mindestlohn und der Gestaltung der Bürgerversicherung ist das Grundeinkommen ein Mittel dafür, dass die Menschen sich Stück für Stück die Lebens- und Produktionsbedingungen aneignen und selbst bestimmen können, was sie für das gute Leben halten. Der Dialog über das Grundeinkommen in den Gewerkschaften ist ein wichtiger Bestandteil einer aufklärenden Selbstermächtigung der Menschen, denen es darum geht, Konzepte für eine andere, bessere Welt zu entwerfen – und umzusetzen. Daher ist es richtig, diesen Dialog zu befördern. Er reiht sich ein in Diskussionen, die in entwicklungspolitischen Organisationen, in den Erwerbsloseninitiativen, bei Attac, in der Ökologiebewegung und auch in Kirchenbasiskreisen geführt werden. Diese Vielfalt macht auch die Stärke des Ansatzes aus – den man in der Wissenschaft als einen universalistischen Ansatz bezeichnet, weil er jedem Menschen das Recht auf würdevolles Leben ohne Wenn und Aber zugesteht. Gegner unterstellen gern, es handele sich beim Grundeinkommen um eine Stillhalteprämie als Ersatz für ein Erwerbseinkommen. Doch diese Logik konsequent angewandt bedeutet, dass wir Erwerbslosen überhaupt keine sozialen Leistungen zukommen lassen dürften. Mal abgesehen davon, dass dies zutiefst inhuman wäre, lehrt die Geschichte, dass Hunger und Not nicht automatisch das Klassenbewusstsein heben. Das Grundeinkommen versetzt – im Gegensatz zu den bestehenden Sozialleistungen – in die Lage, Nein zu sagen. Nein zu niedrigen Löhnen, nein zu schlechten Arbeitsbedingungen und Nein zu Jobs, die gegen das eigene Gewissen verstoßen. Insofern handelt es sich beim Grundeinkommen vor allem um eine Ermächtigungsgrundlage. Inwiefern diese auch für die Demokratisierung der Wirtschaft und für einen sozialökologischen Umbau genutzt wird, hängt auch von der Ausrichtung der Gewerkschaften ab. Kämpferische und aufklärerisch agierende Gewerkschaften würden diesen Weg befördern. Katja Kipping


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»Wir müssen es nur ausprobieren« Der Gewerkschafterdialog Grundeinkommen hat sich zum Ziel gesetzt, die Diskussion über dieses grundlegende Reformprojekt in die Gewerkschaften zu tragen. Letztlich soll es in der gewerkschaftlichen Programmatik verankert werden. »Links!« sprach darüber mit Mathias Schweitzer, Mitglied im Landesbezirksfachbereichsvorstand des Fachbereichs 9 Südost (Telekommunikationsund Informationstechnologie) der Gewerkschaft ver.di. Der Gewerkschafterdialog Grundeinkommen verfolgt ambitionierte Ziele. Welche Chancen rechnen Sie sich aus? Wir rechnen uns dabei große Chancen aus, sonst würden wir den Gewerkschafterdialog Grundeinkommen ja nicht anstoßen. Es gibt zwischenzeitlich einen immer größer werdenden Unterstützerkreis aus den DGB-Gewerkschaften. Macht das Grundeinkommen die Gewerkschaften überflüssig? Nein, dass die Gewerkschaften überflüssig wären, sehen wir nicht. Im Gegenteil, überflüssig gemacht werden prekäre Arbeitsverhältnisse und demütigende Hartz-IV-Anträge. Bei einem Grundeinkommen könnten sich potentielle Mitglieder frei von Existenzängsten für eine Gewerkschaft entscheiden. Und glauben Sie mir, es würde eine Renaissance der Gewerkschaften geben. Die Gewerkschaften könnten sich noch viel mehr um gute Arbeit in den Betrieben kümmern. In den Gewerkschaften, für die klassische Erwerbsarbeit immer noch den Kern gesellschaftlicher Entwicklung darstellt, herrscht landläufig noch eine gewisse Skepsis gegenüber Grundeinkommensmodellen. Warum ist das so und wie könnte sich

das ändern? Sicherlich hat es an der einen oder anderen Stelle schon Diskussionen in den Gewerkschaften zum Grundeinkommen gegeben. Allerdings hat, so weit ich weiß, noch nie eine bundesweite, mitgliedernahe Diskussion zu einem gewerkschaftsnahen Grundeinkommensmodell stattgefunden. Wenn wir in den Gewerkschaften eine Diskussion über die Vor- und Nachteile eines bedingungslosen Grundeinkommens führen, wird die von Ihnen gesehene Skepsis unserer Mitglieder gegenüber dem bedingungslosen Grundeinkommen sehr schnell schwinden. Sehen Sie, wenn ein Herr Althaus von „Sozialpauschalen“ redet, dann sollte allen klar sein, dass derartige Modelle nichts mit einem gewerkschaftsnahen Grundeinkommensmodell zu tun haben. Dass da unsere Mitglieder gegenüber derartigen Grundeinkommensmodellen eine gewisse Skepsis aufgebaut haben, ist für mich nachvollziehbar. Auf der anderen Seite könnte ein Grundeinkommen dazu führen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unabhängiger werden. So ließen sich gewerkschaftliche Forderungen einfacher durchsetzen. Ganz genau so sehen wir das auch. Es spricht nichts dagegen, wir müssen es nur ausprobieren. Ist der Sozialstaat alleine mit dem Grundeinkommen zu retten? Welche Maßnahmen wären noch notwendig? Ich verstehe nicht, warum der Sozialstaat gefährdet sein sollte. Derzeit produzieren wir derart viele Dinge im Überfluss wie noch nie unserer Geschichte zuvor. Deutschland exportiert sehr viele Waren ins Ausland, ist Vizeexportweltmeister hinter China und hat eine schwächelnde Binnenkonjunktur. Sicherlich ist diese Schwäche darauf zurückzuführen, dass wir eine ungerechte Lohnentwicklung in den letzten 15 Jahren hatten. Diese Entwicklung wird ja derzeit gerade von ver.di mit der Tarifforderung von 6,5% und den Warnstreiks im öffentlichen Dienst gedreht. Der Aufruf lädt auch dazu

ein, „sich inhaltlich-produktiv mit der Idee eines ganzheitlichen Arbeitsbegriffs“ zu beschäftigen. Was ist unter letzterem zu verstehen? Die derzeitige Sicht von Erwerbsarbeit impliziert in uns die Vorstellung von einer gewissen Gerechtigkeit, wenn jemand (Erwerbs-)Arbeit hat und dafür Geld bekommt. Da es aber viele andere Arbeiten gibt, die bisher bei keiner Bezahlung eine Rolle gespielt haben, wie z. B. Familienarbeit, gesellschaftliche Arbeiten und so weiter, reden wir in diesem Zusammenhang von einem ganzheitlichen Arbeitsbegriff. Wir sehen diese Tätigkeiten als Grundvoraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft an. Da die Verteilung von Erwerbsarbeit und deren Bezahlung stark von geschlechtsund altersspezifischen Faktoren abhängt, sind damit grundsätzliche Fragen der gesellschaftlichen Strukturen und auch der Rollenverteilungen angesprochen. Dem müssen wir uns in Zukunft stellen, und der Gewerkschafterdialog Grundeinkommen wird dazu eine Plattform bieten. Was ist Erwerbsarbeit noch wert, wenn doch alle ohne Arbeit ausreichend Geld bekommen? Wir reden ja auch von weiteren flankierenden Maßnahmen, wie z. B. Mindestlohn, Bürgerversicherung oder paritätisch zu finanzierenden Sozialversicherungssystemen. Insofern wird es auch keine Abwer-

tung von Erwerbsarbeit geben. Menschen brauchen Sicherheit, auch bei der Einführung von neuen Systemen. Deshalb halten wir gerade neben einer Diskussion zu einem Grundeinkommen auch die Überführung von erhaltenswerten sozialen Errungenschaften für unabdingbar. Was ist aber mit Arbeiten, die für die Allermeisten als unattraktiv gelten, etwa weil sie körperlich schwer oder kaum mit keinerlei gesellschaftlicher Anerkennung verbunden sind? Den arbeitenden Menschen müssten entsprechende Angebote gemacht werden. Wenn niemand mehr für ein Trinkgeld die Toiletten säubern will, muss eben ein vernünftiges Angebot gemacht werden. Ich bin davon überzeugt, dass sich niemand mit einem Grundeinkommen in eine Hängematte legen wird und nichts mehr tun will. Im Gegenteil, es wird ein Feuerwerk an kreativen Ideen geben. Die Menschen könnten frei von Existenzängsten ihren Neigungen nachgehen und diese der Gesellschaft zur Verfügung stellen. Es wird Innovationsschübe ohne Ende geben. Wie ließe sich die wichtige Forderung nach Arbeitszeitverkürzung mit der des Grundeinkommens konkret verbinden? Bei uns haben sich mittlerweile viele Gewerkschafter gemeldet, die uns sagen: Wenn wir ein Grundeinkommen haben, werden wir weiter unserer Er-

werbsarbeit nachgehen und unsere Arbeitszeit verkürzen, um z. B. mehr Zeit für unsere Familie zu haben. Hier bietet sich also auch eine Möglichkeit, frei von Existenzängsten, die Arbeitszeit zu verkürzen. Eine zentrale Frage ist selbstverständlich die Frage nach der konkreten Ausgestaltung und Finanzierung eines Grundeinkommens. Welche Modelle bevorzugen Sie? Derzeit gibt es die unterschiedlichsten „Modelle“ eines Grundeinkommens. Viele Modelle haben einen gemeinsamen Fehler, sie stellen nicht die gesellschaftliche Frage: Wollen wir ein Grundeinkommen haben und wenn ja, wie wollen wir es haben? Sie schicken Erbsenzähler los, die Berechnungen anstellen, ohne eigentlich zu wissen, was die Menschen für ein Grundeinkommen wollen, was die Menschen für wichtig und erhaltenswert halten neben einem Grundeinkommen. Deshalb präferieren wir derzeit kein Grundeinkommensmodell von Parteien oder Personen. Wir sehen uns, wenn Sie so wollen, überparteilich und suchen erst einmal die Diskussion mit unseren Mitgliedern. Die Fragen stellten Jayne-Ann Igel, Rico Schubert und Kevin Reißig. Plattform des Gewerkschafterdialogs Grundeinkommen: www.gewerkschafterdialoggrundeinkommen.de


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Steht die Energiewende vor dem Scheitern? Nach dem GAU im Atomkraftwerk »Fukushima I« zog die Bundeskanzlerin die Notbremse, ließ deutsche Atomkraftwerke abschalten und leitete eine Energiewende ein, die neben festgelegtem Atomausstieg bis 2022 den Umstieg der Stromerzeugung auf Basis erneuerbarer Energieträger beinhaltete. Trotz großer Zustimmung blieben genügend Gegner, sowohl in der Koalition, als auch in der Industrie, die den Atomausstieg nicht verkrafteten. Nach einem Jahr schien es für sie an der Zeit, massiven Druck aufzubauen, um das ErneuerbareEnergien-Gesetz (EEG) zu Fall zu bringen. Der Vorwand war schnell gefunden: Die Erneuerbaren Energien seien noch nicht konkurrenzfähig, weil zu teuer und noch zu unerforscht. Wenn wir die Energiewende so fortsetzten wie beschlossen, würden in Deutschland bald die Lichter ausgehen und die Wirtschaft ins Ausland abwandern. Als Hauptsündenbock hatten sich die Gegner auf die Photovoltaik (PV) eingeschossen: PV mit dem größten, ja einem unverschämten Wachstum, geringstem Anteil an der Stromversorgung und dazu mit den höchsten »Subventionen«. Gerade diesen Begriff durften wir in den vergangenen Wochen inflationär in allen Medien hö-

Das können derzeit Frau Merkel und Herr Schäuble bejammern. Aus der von ihnen neuerdings so heiß erwünschten Finanztransaktionssteuer wird nichts. Wichtige europäische Staaten machen nicht mit. Es ist ihnen der Unglück bringende Uhl, was Schäuble und Merkel die Glück bringende Nachtigall werden sollte. Österreich gar wähnte sich schon im Besitz des Glücksvogels und hatte für die nächsten vier Jahre satte 1,5 Milliarden Euro zusätzlicher Einnahmen aus einer Finanztransaktionssteuer in sein Sparpaket aufgenommen. Die sind nun zerronnen wie der letzte Schnee in der Frühlingssonne. April! April!

ren. Die Forderung heißt Subventionsabbau: Einfach gesagt ging es um die drastische Kürzung der nach dem EEG zugesagten Einspeisevergütung für PV-Strom. Dabei handelt es sich nicht um Subventionen, sondern um Umlagen, was ein entscheidend qualitativer Unterschied sein dürfte. Darüber hatte der Europäische Gerichtshof schon vor über zehn Jahren geurteilt. Stimmen die Aussagen, mit denen Politik und Lobbyisten dem PV-Strom ein so niederschmet-

terndes Urteil verpassen? Richtig ist, dass PV-Strom noch teurer ist als fossil-atomar erzeugter Strom, aber nur weil für Solarstrom die Realkosten gelten und bei der fossil-atomaren Stromerzeugung alle externen Kosten entfallen dürfen, die nicht den Strompreis für die Verbraucher belasten. Richtig ist, dass die EEG-Einspeisevergütung für PV-Strom nur einen unbedeutenden Anteil an den steigenden Stromkosten hat. Hier werden Tatsachen einfach verdreht.

Ansonsten hat die Photovoltaik einen beispiellosen Höhenflug erlebt. In Sachsen wurden 2011 nach eigener Hochrechnung rund 550 Gigawattstunden PV-Strom in die Netze gespeist – gegenüber dem Jahr 2001 eine rund 715fache Steigerung. Mit dieser Strommenge konnten in Sachsen rund 229.000 Haushalte oder 431.000 Einwohner äquivalent versorgt werden, was einem Anteil von rund 10,3 Prozent entspricht. 2012 wird das nochmals deutlich übertrof-

Erinnern wir uns: Es war 1972 ein US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler namens Tobin, der meinte, man könnte Spekulation zum Schaden von Wirtschaft, Mensch und Natur durch eine Steuer auf alle Finanzgeschäfte einschränken und zusätzlich daraus noch Gewinn für die öffentlichen Haushalte schlagen. Es sollte um 0,01% bis 0,1% des Umsatzes gehen. Die Botschaft hörten viele und es fehlte ihnen auch nicht der Glaube. Wohl aber fehlte den Betroffenen und den ihnen hörigen Politikerinnen und Politikern der Wille. Also war auch kein Weg. Angeblich ist das Kapital ein scheues Reh, weshalb es nicht angebracht zu sein scheint, im Dschungel der Finanzgeschäfte allzu viel Rabatz zu machen. Da ist es schon besser im Unterholz zu jagen. Das Kleinvieh macht auch Mist: Einkommenssteuer, Lohnsteuer, Mehrwertsteuer, Mineralölsteuer usw. Ertragreiche Abgabequellen finden

sich ebenso im Unterholz, für Energie, Wasser, Abwasser, Rundfunk zum Beispiel. Heutzutage muss man sogar für das Regenwasser zahlen, das auf das Hausdach fällt. Schon Bismarck war sich sicher, dass

hat zu kurze Beine um davonzulaufen, und die kann man noch weiter kürzen. Wir kennen die Nullrunden bei den Renten und deren angeblich »beträchtliche« Erhöhung um 2,18% bzw. 2,26%, wir kennen die niedrigen Sätze bei Hartz IV und die Praxisgebühr ... wir kennen, wir kennen! Den »schrägen Vögeln« im Forst aber stutzt man die Flügel mit Kürzungen im Kulturbereich. Es haben 60% der Beschäftigten in Deutschland überhaupt keine Ersparnisse. Die Zahl der mit Niedriglohn Abgespeisten steht derzeit bei acht Millionen Menschen: ein Zehntel der Bevölkerung, ein Viertel der Beschäftigten. Die Hälfte davon verdient, nein, bekommt weniger als sieben Euro die Stunde, ein knappes Drittel davon weniger als sechs Euro. Der Teufel scheißt aber weiterhin auf die größten Haufen. Da belohnen sich Manager in der Autoindustrie schon mal mit 6,1 bis 17,4 Millionen Bonus für ein gutes Geschäftsjahr - Stei-

»Noch nicht gewonnen, schon zerronnen« man bei leerer Staatskasse nicht die Sektsteuer um fünf Mark erhöhen sollte, sondern die Biersteuer um fünf Pfennig. Die Summe macht es, nicht der Beitrag der Einzelnen. Das Großwild macht ohnehin kaum mit. Dem erlässt man ja nicht nur die Finanztransaktionssteuer, man verminderte z.B. auch die Körperschaftssteuer bis zur Bedeutungslosigkeit. Vermögenssteuer? Null! Bedroht man die Großen zu sehr, verschwinden sie einfach in den nächsten Wald. Das Kleinvieh freilich

fen. Die Anlagenkosten konnten in den letzten Jahren deutlich gesenkt werden. Während PV-Strom in den nächsten Jahren immer preisgünstiger wird, werden die Stromkosten aus fossilen Energieträgern steigen. Darüber hinaus beschäftigt die sächsische PV-Industrie mehr als 6.500 Menschen, die rund 2,8 Mrd. Euro Umsatz erwirtschaften. Wir, die Vertreter von »Klimaschutz/Erneuerbare Energien«, lehnen keinesfalls Kürzungen der PV-Einspeisevergütung ab. Diese wurde zum 1. Januar 2012 planmäßig abgesenkt; weitere Absenkungen waren jeweils für den 1. Januar der Folgejahre gesetzlich verankert. Die neuerliche massive Absenkung der Einspeisevergütung stellt aber nicht nur einen Frontalangriff auf das EEG, sondern die gesamte Energiewende dar. Photovoltaik gehört zum Energiemix der erneuerbaren Energieträger in Deutschland und zu den Hochtechnologien, bei denen wir ohne Übertreibung behaupten können, dass Deutschland die Technologieführerschaft inne hat. Die Folgen für Sachsen sind noch nicht absehbar, dennoch mussten Industrie und Gewerbe erste Kündigungen vornehmen, weil fest eingeplante Investitionen storniert wurden. Gleichfalls wird die sächsische PV-Forschung negativ betroffen. Es besteht hohe Insolvenzgefahr. Ministerpräsident Tillich hat sich gegen die jetzige EEGÄnderung gestellt. Gleiches verlangen wir vom Wirtschaftsminister Morlok. Die Energiewende darf nicht scheitern. Hans-Jürgen Schlegel gerung um die 50% - wohlgemerkt, neben ihrer regulären Bezahlung. Der Malocher am Fließband freut sich aber im allergünstigsten Fall über 7.000 zusätzliche Euro. Das ist gar nicht so schlecht, aber der Anteil der Chefs ist 800 bis 2.500 Mal höher. Der Malocher geht mit seinem zusätzlichen Geld einkaufen und zahlt tapfer die 19 Prozent Mehrwertsteuer. Der Chef hat schon alles und legt seinen Bonus in Aktien an. Das kostet online abgewickelt etwas mehr als 1% vom Kaufpreis. Erst der Gewinn oder Verkauf werden besteuert. Und wenn der Malocher zuckt, spricht der Chef von Neiddebatte. Die Zahl der Menschen in Armut wächst und die Zahl der Millionäre wächst. Bert Brecht hat den Zusammenhang lakonisch erfasst: »Und der Arme sagte bleich: wär‘ ich nicht arm, wärst Du nicht reich.« »Armut ist keine Schande«, tröstet man sich im Volk. Nein, das ist sie nicht! Aber Reichtum wird immer schändlicher! Peter Porsch


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Pfarrer Gnadenlos ist Präsident Seit dem 18. März gibt es einen weiteren Grund, das Amt des Bundespräsidenten abzuschaffen. Nicht, dass es an solchen mangeln würde – diplomatische Aufgaben könnten von der Bundesregierung wahrgenommen werden, und bei der Prüfung von Gesetzen auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung hat sich das Bundesverfassungsgericht schon oft als besseres, weil unabhängiges Organ erwiesen. Spätestens seit dem Zeitalter der Aufklärung wissen wir zudem, dass der Wunsch nach einem »starken Mann« an der Staatsspitze eines emanzipierten Volkes unwürdig ist. Ein nationaler Grüßaugust mit der von Rainald Grebe besungenen »Macht der warmen Worte« ist eine unnötige Kostenstelle. Es hilft nichts. Der »schöne Sonntag« hat stattgefunden und es einer breiten Phalanx kaum unterscheidbarer Parteien ermöglicht, einen Mann zu inthronisieren, den viele – allen voran die Springerpresse – als »Demokratielehrer«, »Bürgerrechtler« und »Präsident der Herzen« feiern. Der eitle Gauck gefällt sich in dieser Rolle, die er SPD und Grünen, vor allem aber der FDP zu verdanken hat. Dass die untergehenden Liberalen der Kanzlerin noch einen Hieb verpassen wollten und insgeheim schon immer den Neoliberalen Gauck präferierten, leuchtet ein. Was allerdings die Sozialdemokraten und die Grünen geritten haben mag, einen Erzkonservativen zu protegieren, bleibt deren Geheimnis. Nicht nur in der Sozial- und Integrationspolitik, in seiner Billigung des Afghanistankrieges und in der Geschichtspolitik zeigt sich, dass der Präsident keineswegs der glanzvolle Messias sein wird, zu dem

Der erhobene Zeigefinger – Markenzeichen des »Predigers der Kalten Herzen«.

er sich schamlos hochjubeln lässt. Gauck ist ein Mann der Vergangenheit, ein Apologet überkommener Ideologien. Sein Freiheitsbegriff ist neoliberal: Freiheit ist für ihn nicht mit sozialer Gerechtigkeit verbunden, sondern die Freiheit des Marktes. Wenn Gauck also tatsächlich ein »Bürgerpräsident« wird, dann höchstens für die bourgeois, die Besitzbürger, aber nicht für die citoyen, die Staatsbürger. Ähnlich problematisch ist seine Einstellung gegenüber sozial Benachteiligten: Hartz IV-Betroffenen, deren größte Sorge es sei, »dass die Alimentierung immer rundum sicher ist«, müsse man sagen, »dass es keine Tugend ist, wenn man dort sitzt, den ganzen Tag Zeit hat und den Gören kein Mittag macht«. Dieses Niveau gefällt sicher auch Thilo Sarrazin, dem Gauck »Mut« attestiert. Tabubrüche sind erfrischend und notwendig – wenn sie aber ganze Menschengruppen herabwürdigen, verdienen sie keinen Applaus. Auch der deutschen Einheit steht Gauck im Weg. Sein

Name steht für im wahrsten Wortsinn gnadenlose Aufarbeitung. Gewiss, wer in der DDR Verbrechen beging, muss mit rechtsstaatlichen Mitteln bestraft werden. Aufklärer, die wirklich an einer Vereinigung Deutschlands interessiert sind, sollten den Menschen im Osten aber auch Lernfähigkeit zugestehen und ihre Lebensleistung – die sich nicht auf Stasi und Mauer reduzieren lässt – anerkennen. Inquisitoren wie Gauck bevorzugen aber einen anderen Weg – und trieben damit sogar Menschen in den Selbstmord. Gerhard Riege ist ein bekanntes Beispiel. Vor allem aber sorgt die Gleichsetzung von DDR und NS-Staat dafür, dass sich viele Ostdeutsche nach wie vor als Bürger zweiter Klasse fühlen. Gauck gehört zu den Erstunterzeichnern der »Prager Erklärung zum Gewissen Europas und zum Kommunismus«, deren Ziel auch darin besteht, die Verbrechen des europäischen Faschismus mit denen der »kommunistischen Gewaltherrschaft« unter dem

Begriff Völkermord zu subsumieren und damit als gleichartig zu kennzeichnen. Folgerichtig kritisiert Gauck, dass »das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird, die letztlich dem Verstehen und der Analyse entzogen ist«. Es ist schwer vorstellbar, wie ein Präsident die Bundesrepublik nach außen repräsentieren soll, der den Holocaust auf solch perfide Weise relativiert. Mehr noch: »Einheimischen wie Vertriebenen galt der Verlust der Heimat als grobes Unrecht, das die Kommunisten noch zementierten, als sie 1950 die Oder-NeißeGrenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten«. Eine Distanzierung Gaucks von dieser Haltung findet sich nirgends. Vielleicht ist es »nur« die von Gauck gelobte Lust am Tabubruch, die ihm solche Sätze entlockt. Den Geist des Revanchismus atmen sie dennoch. Auch das Etikett »Bürgerrechtler« – bei aller berechtigten Kritik an diesem Begriff – beansprucht er zu Unrecht,

2. Linke Sommerakademie Sachsen schafft Verbindung Der diese Zeitung tragende Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. veranstaltet nach dem großen Erfolg vom letzten Jahr die 2. Linke Sommerakademie vom 6. bis 8. Juli 2012 in Krögis bei Meißen. Im Mittelpunkt steht das Thema Kommunikation und damit verbunden die Weiterbildungen und Qualifikation derer, die sich in linken Strukturen und Zusammenhängen engagieren oder dies vorhaben. In erster Linie geht es um Fähigkeitsvermittlung, wie man sich in Parteien, Vereinen, Initiativen und/oder Bündnissen

sinnvoll einbringen kann. Während der Sommerakademie gibt es neben qualitativ hochwertigen Seminaren auch genügend Raum, um sich gegenseitig zu vernetzen, miteinander zu diskutieren und einander zuzuhören. UnterstützerInnen sind die Rosa-Luxemburg-Stiftung, DIE LINKE. Sachsen, Bereich politische Bildung der LINKEN und Abgeordnete der Fraktion im DIE LINKE im Sächsischen Landtag. Weitere Informationen über gebotene Inhalte, Anmeldung und Preise unter www.linke-bildung-kultur.de

Ab sofort kann man sich anmelden! Da die Plätze begrenzt sind, ist es sinnvoll, ein Votum einer linken Struktur zu haben. Natürlich kann sich aber auch direkt bei uns, dem ausrichtenden Verein Linke Bildung & Kultur für Sachsen per Mail sommerakademie@linke-bildung-kultur.de oder telefonisch 0351 84389773 angemeldet werden. Der TeilnehmerInnenbeitrag liegt bei 35 Euro für Delegierte aus Organisationen, ohne Delegierung kostet es 95 Euro.

wie einige Vertreter der DDROpposition kritisieren. Schon 1999 unterzeichneten prominente Dissidenten, darunter Sebastian Pflugbeil, Bettina Wegner und Reinhard Schult, einen offenen Brief an Gauck: Da er »in Amt und Mandat« seinen »Frieden mit dem Bestehenden gemacht« habe, müsse man auf ihn als Mitstreiter verzichten; die Unterzeichnenden sprachen Gauck »das Recht ab, sich auf uns zu berufen, wenn Sie über die Opposition in der DDR sprechen«. Deutliche Worte fand auch Hans-Jochen Tschiche, der lange Jahre in der DDR-Friedensbewegung aktiv war und das Neue Forum mitbegründete. Gauck sei keineswegs »Lokomotivführer der Oppositionsbewegung« gewesen, sondern »erst später auf den fahrenden Zug aufgesprungen«. Sein Fazit: »Ein Mann, von keinem Selbstzweifel geplagt, von einer Aura kindlicher Eitelkeit umgeben, der in der Öffentlichkeit mit einer herablassenden Jovialität seine Worte auf seine Zuhörer herabfließen lässt, bietet zwar ein interessantes Schauspiel, aber erfüllt nicht die Erwartungen an einen Präsidenten«. Sieht man sich Gaucks Antrittsrede im Bundestag an, keimt keine Hoffnung auf Besserung. Nicht nur, weil sie zu zwei Dritteln in die Vergangenheit und nicht in die Zukunft blickte und dem geneigten Zuhörer schon im dritten Satz die obligatorische Phrase von den »zwei Diktaturen« zumutete. Zu drängenden Problemen wie der Sozialen Frage, der Integrationspolitik, dem Klimawandel oder der Militarisierung deutscher Außenpolitik hatte Gauck nichts zu sagen. Mit Blick auf frühere Äußerungen möchte man allerdings fast ausrufen: Gut so! Kevin Reißig


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Russland nach den Wahlen: Aufstand der Mittelklasse? Wollte man dem Mainstream der westlichen Medien glauben, dann beginnt in Russland jetzt die Hohe Zeit der Diebe, Spekulanten und notorischen politischen Fälscher – dazu noch die Alleinherrschaft Wladimir Putins als »strongman«, wie Teile der US-Presse den zukünftigen Präsidenten Russlands während der Vorwahlzeit zu nennen beliebten. »Strongman« war übrigens auch der Name, den die US-Medien Muamar al-Gadaffi gegeben hatten. Nicht wenige Kommentatoren können ihren heimlichen Wunsch nach einer »bunten Revolution« in Russland kaum verhehlen. Die Tatsachen sind profaner: Russland hat gewählt. Die neue Duma ist die alte Duma. Der neue Präsident ist der frühere, alte Präsident, Wladimir Putin. Die Regierungen des Westens gratulierten kühl; allein China fand betont freundliche Worte für Putins Wahlsieg, verbunden mit besten Wünschen für zukünftige enge und gute Zusammenarbeit. Neu ist dagegen eine außerparlamentarische Opposition, getragen von einer städtischen Mittelklasse, welche die Fortsetzung der bisherigen Machtverhältnisse der »gelenkten Demokratie« nicht mehr hinnehmen will. Ihre Vertreter wollen die Ergebnisse der Präsidentenwahl anfechten, so wie sie schon die Ergebnisse zur Dumawahl angefochten haben. Drei Jahre nach Wladimir Putins Antritt als Präsident Russlands veröffentlichte Boris Kagarlitzki, neulinker russischer Radikaldemokrat, aktiver »Antiglobalist«, ein interessantes Buch zur Analyse der Entwicklung der globalen sozialen Widersprüche, Titel: »Aufstand der Mittelklasse«. Er schrieb in seinem Vorwort: »Der soziale Kompromiß zwischen Kapital und Arbeit im 20. Jahrhundert brachte die Mittelklasse hervor. Gegen Ende des Jahrhunderts wurde dieser Kompromiß gebrochen, das heißt, die Zukunft der Mittelklasse wurde in Frage gestellt. Die Mittelklasse leistet Widerstand, verteidigt ihre Privilegien. Und genau das bringt sie dazu, zu revoltieren. Der Wohlfahrtsbürger wird zum Aufrührer, der Konformist entdeckt in sich den Revolutionär. Und unerwartet findet er, daß kämpfen und seine Prinzipien zu verteidigen, wie schwierig das auch sein mag, wesentlich interessanter ist, als einfach

nur Konsument oder Schräubchen im System zu sein. Die Antwort auf den »Aufstand der Eliten« wird der Aufstand der Mittelklasse.« Nach den ersten Protesten am 10. Dezember 2011 erklärte Kagarlitzki nach einem kritischen Blick auf den heterogenen Charakter der Bewegung, auf Differenzen, die zwischen Liberalen und Linken aufgetreten waren und insbesondere auf die Tatsache, daß bei den großen Kundgebungen auch rechtsextreme, offen nazisti-

wie die Globalisierungsgegner im Westen. Die Liberalen verlieren an Boden, weil sie nicht die Fragen ansprechen, die die Masse der Menschen interessiert. Die Linke muss ihre eigene Agenda entwickeln«. Zwischen diesen beiden Zitaten liegen gut 10 Jahre arbeitsteiligen Regierens von Putin und Medwedew. Aus ihnen wird die Dimension des Problems ersichtlich, das mit den Ereignissen rund um die jetzigen Wahlen zutage getreten ist. Manchen Kommentaren

kommen unscharf. Offenbar zählt Gorbatschow sich dazu, aber ebenso auch Olga oder Pjotr, die sich mit drei Jobs durchschlagen müssen, sich aber doch politisch unabhängig fühlen. Kurz gesagt: Zur Mittelklasse gehört, wer sich ihr zugehörig fühlt. Statistiken schwanken zwischen 5 und 25 %. Was Freiheit und Liberalismus betrifft, so hat die Mehrheit der russischen Bevölkerung in den Jahren nach Gorbatschow die bittere Erfahrung machen müssen,

sche Redner hatten auftreten können: »Dennoch haben diejenigen recht, die sagen, eine neue russische Revolution hat begonnen. An diesem 10. Dezember fanden Demonstrationen im ganzen Land statt, anders als in Moskau ging es dabei in der Mehrzahl der Fälle um soziale Fragen und um Kritik am wirtschaftlichen und sozialen System. Es ist gut, daß es zwischen den Liberalen und den Linken zum Bruch gekommen ist. Die Linke beteiligt sich an Protestaktionen der Liberalen, aber sie spürt, daß sie etwas anderes will. Demokratische Fragen sind wichtig. Doch die Liberalen führen uns in eine Sackgasse. Wir müssen uns getrennt organisieren in den Betrieben, an den Universitäten und Schulen, und radikalere Formen des Protestes entwickeln, [so]

waren ja bereits Vergleiche zu den Protesten in den arabischen Staaten zu entnehmen. Weniger häufig, aber durchaus auch zu lesen waren Vergleiche mit der Protestkultur der Anti-Globalisten in Europa oder den USA, der Occupy-Bewegung, den spanischen »Empörten«, gelegentlich sogar den »Wutbürgern« von »Stuttgart 21« und ähnlichen. Man könnte in der Tat meinen, daß man es in Russland mit einem Reflex der gleichen weltweiten Proteste gegen die krisentreibende Politik des internationalen Kapitals zu tun hätte. Das wäre, gestehe ich, mir eine Freude, denn klar ist, daß jeder zählt, der oder die dem Wahnsinn der globalen Krisentreiberei entgegentritt. Wer ist in Russland heute Mittelklasse? Niemand weiß es genau. Die Kriterien sind voll-

dass ihr im Namen von Freiheit, Liberalismus und Privatisierung die sozialen Sicherheiten und auch Rechte, in denen sie vor der Auflösung des sowjetischen Staates durch Jelzin gelebt hat, zerstört, ja, wortwörtlich geraubt worden sind. Freiheit und Liberalität, ja, sogar Demokratie haben in den Ohren der Mehrheit der Bevölkerung daher, freundlich gesprochen, einen schlechten Klang. Für die große Mehrheit der Bevölkerung hat soziale Sicherheit, die ihnen im ökonomischen und sozialen Alltag ein selbst bestimmtes Leben erlaubt, eindeutig Priorität vor formalen demokratischen Standards von Freiheit, ganz zu schweigen von Liberalismus, der nicht nur mit der Zerstörung der Union, sondern auch mit dem Verlust der eigenen Lebensqualität assoziiert

wird. Nur eine Minderheit der Bevölkerung, Superreiche, deren neureiches Umfeld, Städter und unabhängige Intellektuelle blieben von diesen Folgen des Liberalismus verschont. Vor diesem Hintergrund erschließt sich die Sprengkraft der von Kagarlitzki oben zitierten Sätze: Eine Minderheit der russischen Bevölkerung, vornehmlich städtische Besser-Versorgte, revoltiert gegen die rücksichtslose Kapitalisierung des Landes. Darin ist ihre Revolte in der Tat den Protesten und Revolten in Europa, den USA oder Nordafrika verwandt, sofern es um Teilhabe am Großen Kuchen, um das Recht auf freie Selbstverwirklichung und um Forderungen nach politischer Mitwirkung am gesellschaftlichen Geschehen geht. Im Unterschied zu dem, was sich in den alten kapitalistischen Ländern abspielt – wie auch in den Ländern nachholender Industrialisierung – fordern die russischen »Mittelklässler« aber nicht nur Teilhabe. Soeben aus der egalitären Geschichte herausgerissen, wehren sie sich zugleich dagegen, sofort, noch ehe sie sich als Mitglied einer Klasse gefunden haben, finden mußten oder überhaupt finden konnten, wieder sozial niedergedrückt zu werden – dieses mal aber nicht in die Egalität, sondern in eine waschechte Proletarisierung. Es ist eine Bewegung mit doppelter, widersprüchlicher Dynamik – der Protest gegen Putin richtet sich gegen die Zerstörung der egalitären Werte der alten Gesellschaft durch die oligarchische Putinsche Ordnung, die Rufe nach Freiheit dagegen enthalten die Forderung an den Erfolgen und dem Reichtum eben dieser Putinschen Ordnung gleichberechtigt beteiligt zu werden. Diese Widersprüche äußern sich im heterogenen Erscheinungsbild der Bewegung, die von rechts außen bis links innen jeden Ton mitnimmt, so dass die Bewegung sich kaum als Ganzes wird artikulieren können. Es sind eher Spaltungen nach politischen und sozialen Prioritäten zu erwarten. Ob unter solchen Umständen ein konstruktiver »Zukunftsdialog« zwischen der Opposition und dem herrschenden oligarchischen Kartell um Putin zustande kommen kann, ist eine sehr offene Frage. Kai Ehlers www.kai-ehlers.de


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Kürzungen ohne Konzept

Über ihrem rigorosen Sparkurs droht die Sächsische Staatsregierung zu implodieren lers Rücktritt wahrscheinlich vernünftig. Denn die Schulen haben in der Bevölkerung eine mächtige Lobby: Abgesehen von den Interessenvertretungen der Lehrer sind es Eltern und Großeltern, die ein beachtliches Wählerpotential darstellen und der Regierung 2014 eine katastrophale Bilanz vor Augen halten werden, wenn diese nicht rasch reagiert. Die Sachsen werden jetzt rasch bemerken, dass auf dem Feld von Bildung und Forschung das reichlich abgegriffene Generationenargument nicht sticht. Vielmehr investiert diese Generation in die nächsten, wenn sie für gute Schulen und Hochschulen Sorge trägt. Es steht zu befürchten, dass Wöller nicht der einzige Minister ist, der dem Doppeldruck aus der Bevölkerung und dem aus dem eigenen Kabinett nicht wird standhalten können. Neben der Wissenschaftsministerin Sabine von Schorlemer wird auch Innenminister Markus Ulbig sich fragen müssen, wie lange er noch verantworten kann, was ihm von Seiten des Ministerpräsidenten und seines Finanzministers abverlangt wird. Anstatt die Polizeipräsenz zu erhöhen, soll Ulbig rund ein Fünftel der Stellen streichen

– knapp 3.000 der insgesamt 14.000 Stellen. Am ehesten dürfte die Wis-

senschaftsministerin mit dem gegenläufigen Doppeldruck zurechtkommen, denn anders

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Wenn die CDU der Opposition vorwirft, sie verlange immer nur mehr Geld, das man nicht habe, und sie belaste mit dieser Politik immer neuer Schuldenaufnahmen die künftigen Generationen, dann kann sie sich der Zustimmung auf Seiten der sächsischen Wähler sicher sein. Umfragen zufolge honorieren die Sachsen den rigorosen Sparkurs der Sächsischen Staatsregierung. Mit dem Rücktritt des sächsischen Kultusministers Roland Wöller ist allerdings deutlich geworden, dass das rigorose Kürzungsprogramm ohne Konzept da an seine Grenzen stößt, wo elementare Aufgaben einzelner Ressorts nachhaltig verletzt werden. Wöller musste zwischen den Kabinettsvorgaben und den Interessen seiner Klientel abwägen. Offenbar gelangte er zu der Überzeugung, dass es für ihn selbst und die Schulen besser sei, den Kurs der Staatsregierung nicht länger mitzutragen und auszusteigen. Rechtzeitig die Notbremse zu ziehen, kann überlebenswichtig sein. Schließlich gibt es für junge CDU-Politiker auch noch eine Zukunft nach Tillich. Angesichts des drohenden Unterrichtsausfalls infolge dramatisch schrumpfender Lehrerstellen ist Wöl-

als im Falle der beiden anderen Ressorts haben die Hochschulen in der Bevölkerung keine gewichtige Lobby. Zu tief eingewurzelt ist in Deutschland das Vorurteil, Studierende arbeiteten nicht, und auch Universitätslehrer führten auf Kosten der Gesellschaft ein allzu beschauliches Leben. Diese Einschätzung und das Kürzungspaket könnten dazu führen, dass es in Deutschland zu einem wachsenden Qualitätsgefälle von West nach Ost kommt. Während in Baden-Württemberg und Bayern gut ausgestattete Universitäten mit hoch qualifiziertem Personal die Forschung vorantreiben, taugten die Universitäten im Osten dann vielleicht gerade noch für eine befriedigende Berufsausbildung. Aber kann das Wissenschaftsministerium eine solche Entwicklung verantworten? Es wird höchste Zeit, dass die Sächsische Staatsregierung mit ihrem Sparwillen künftig auch ein tragfähiges Konzept verbindet, das allgemein plausibel macht, warum in dem einen Bereich gespart und in dem anderen investiert werden muss. Die kommenden Haushaltsverhandlungen wären dafür der richtige Ort. Gerhard Besier

Verschwendung und Mangel Rund um das Thema Ernährung ranken sich eine ganze Reihe Gerechtigkeitsfragen. Etwa jene nach der Verteilung und dem Zugang zu Lebensmitteln im globalen Maßstab, weil Tausende täglich sterben – nicht etwa, weil nicht genug Essbares zur Verfügung stünde, sondern weil sie innerhalb der globalen Strukturbildung keinen Platz haben, von dem aus sie es sich kaufen könnten. Innerhalb der reicheren Gesellschaften stellt sich die gleiche Frage auf andere Weise: Wer die möglichst schonend und naturnah hergestellten Lebensmittel nicht bezahlen kann, ist auf die industriell hergestellten und lebensmittelchemisch endgefertigten Produkte aus der unteren Preiskategorie angewiesen. Am Zugang zu Lebensmitteln zeigt sich die soziale Lage, und darum muss es eine Aufgabe gerechter Politik sein, gute Lebensmittel für alle zu bereitzustellen: Durch Kontrollen und Grenzwerte bei der Produktion ebenso wie durch einen grundlegenden Wohlstand für

alle Bürgerinnen und Bürger. Bundesverbraucherministerin Aigner hat nun eine längst überfällige Informationskampagne zum Mindesthaltbarkeitsdatum an den Start gebracht. In der Tat ist es weder nötig noch vertretbar, dass riesige Mengen verzehrfähiger Lebensmittel regelmäßig weggeworfen werden, nur weil das aufgedruckte Datum unmittelbar überschritten ist. Dieses sichert bekanntlich die Mindesthaltbarkeit – mitnichten ist der Inhalt nach Ablauf der Frist automatisch verdorben. Ministerin Aigner macht es sich aber etwas zu einfach, wenn sie die Ursache für Lebensmittelverschwendung allein im Verhalten von Verbraucherinnen und Verbrauchern sucht. Ein wichtiger Grund liegt auch in der großindustriellen, auf kurzfristigen Maximalprofit ausgerichteten Produktionsweise der Lebensmittelbranche. Die Handelsketten liefern sich einen ruinösen Verdrängungs- und Preiswettbewerb; aggressive Werbekampagnen und anonyme Massenproduk-

tion verursachen und verstärken den Trend, Lebensmittel als Massenware und den eigenen Sinnen entfremdet wahrzunehmen. Überproduktionen tragen ein Übriges zur Nahrungsmittelverschwendung bei. Deshalb müssen Erzeugerbetriebe und Handel stärker in die Pflicht genommen werden, darzulegen, wie der »Lebensmittelmüll« reduziert werden kann und wie die jeweiligen Erzeugungs- und Verarbeitungsbedingungen gestaltet sind. Dazu trägt bewusstes Konsumverhalten bei – aber auch die Politik darf nicht nur auf die Verbraucherinnen und Verbraucher schauen, ohne Veränderungen bei den Unternehmen einzufordern. Im Verhältnis Lebensmittel – Verbraucher – Unternehmen liegt eine weitere Gerechtigkeitsfrage in den Informationsrechten über Produktionsweise und Inhaltsstoffe. Denn Information ist der Einstieg in Einflussnahme: Wenn die Konsumenten nichts wissen können, gibt es für die Unternehmen keinen Grund, von ei-

ner nicht qualitätsorientierten, sondern profitorientierten Produktionsweise abzuweichen. Weitgehende Informationsrechte sind deshalb nötig: Wenn es um unser Essen geht, darf der Verweis aufs Betriebsgeheimnis nicht als Ausflucht gelten. Die Lage bei diesen Informationsrechten ist in Sachsen unter CDU/FDP nicht günstig: Mit dem Verbraucherbericht 2011 legte das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz (SMSV) eine Abhandlung vor, die das Thema Informationsrechte beinahe komplett außen vor lässt. Besonders von Interesse ist die Darstellung der Ergebnisse der amtlichen Lebensmittelüberwachung, die aber immer nur in allgemeiner Form gegeben wird: Nie werden »Ross und Reiter«, also Marke und Hersteller genannt. Die Ergebnisse der Lebensmittelüberwachung, wie sie den Behörden vorliegen, müssen auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das wäre ein Einstieg in eine wirklich verbraucherfreundliche

Lebensmittelpolitik. Die Staatsregierung erkennt zwar grundlegend und pro forma die Notwendigkeit von Verbraucherinformation an, doch wenn es darum geht, wirksame Maßnahmen durchzusetzen, herrscht stille Zurückhaltung. Verbraucherinformation heißt aber nichts anderes, als dass der Informationsanspruch von Bürgerinnen und Bürger mit der Informationspflicht der Behörden und Unternehmen einhergehen muss. Notwendig sind daher die Stärkung von Verbraucherrechten, eine verbrauchergerechte Marktregulierung, die Unterstützung der Selbstorganisation der Konsumenten, handlungsfähige staatliche Kontrollbehörden mit öffentlicher Informationspflicht und last but not least eine moderne Verbraucherbildung. Das alles kann helfen, Produktionsweisen und Geschäftsmodelle im Lebensmittelbereich zu verändern – und wirksam dazu beitragen, der Lebensmittelverschwendung endlich Grenzen zu setzen. Julia Bonk


April 2012

Sachsens Linke

Die Riester-Rente geht auf Kosten der VerbraucherInnen. Auf einer Themenseite gehen wir dem Mythos Riester nach.Auf Seite 3 Im Mittelteil sind die kompletten Kulturpolitischen Leitlinien der sächsischen LINKEN zu finden. Und sollen diskutiert werden.

Auf Seite 5 berichtet Mirko Schultze vom Damoklesschwert über den Theatern im Landkreis Görlitz - resultierend aus der Kürzung der Mittel für den Kulturraum. Bon Courage bitte um

Spenden für Flüchtlinge im Landkreis Leipzig. Auf Seite 6 Cornelia Ernst sprach mit Lothar Bisky: Wie geht es weiter in der GUE/ NGL-Fraktion. Auf Seite 7

Chemnitz nazifrei! Chemnitz protestierte am

5. März!

Solidarische Märkte

Chemnitz protestierte lautstark gegen Nazis »So etwas wie die Nazidiktatur, faschistisches Denken und Handeln, darf nie wieder passieren! Die Millionen Toten mahnen uns, alles gegen den wiederaufkeimenden Rassismus, Antisemitismus und die Ausländerfeindlichkeit zu tun«. Mit diesen Worten rief der Auschwitz-Überlebende Justin Sonder auf, sich an den Protesten gegen den Naziaufmarsch am 5. März in Chemnitz zu beteiligen. Seinen Worten folgten über 5.000 Menschen. Damit zeigten in Chemnitz so viele Menschen wie noch nie Flagge gegen Rechtsextremismus. Um es vorweg zu nehmen: Was in Dresden in den letzten Jahren gelang, war in Chemnitz nicht möglich. Zwar ist positiv zu bewerten, dass im Gegensatz zum letzten Jahr diesmal ein Protest in Sichtund Hörweite des Naziaufmarsches möglich war. Aber letztlich konnten wieder 250 Rechte ungehindert durch Chemnitz marschieren. Der erste Grund dafür war sicher die Aufsplitterung der Gegenproteste. Zum einen gab es die Demonstrationen des Bündnisses ChemnitzNazifrei und des Studentenra-

tes mit insgesamt über 2.500 Menschen. Beide Demonstrationen hatten das Ziel, sich aus verschiedenen Richtungen gemeinsam den Nazis in den Weg zu stellen. Auf der anderen Seite fand die »offizielle« Gegenveranstaltung der Oberbürgermeisterin statt, die sie zusammen mit den Kirchen, der IHK und dem DGB organisiert hatte. Es fanden sechs Sternmärsche von den Kirchen zum Neumarkt statt, wo dann 2.500 Menschen durch das Anzünden von Kerzen ein Zeichen gegen Rechtsextremismus setzten. Sicher ist dies für jene, die sich nicht trauen, bei Antifa-Demos mitzumachen, ein adäquates Mittel, um Gesicht zu zeigen. Bedauerlich ist jedoch, dass Oberbürgermeisterin und Medien noch wenige Tage vor dem 5. März versuchten, das Bündnis ChemnitzNazifrei totzuschweigen. Die CDU ließ es sich sogar nicht nehmen, bei dem Bündnis von »buntem Klamauk« zu reden, den man ebenso wenig brauche wie Nazis. Der zweite Grund, war – mal wieder – die Polizei. Bereits im Vorfeld hatte Polizeipräsident Reißmann in einem Interview

klar gemacht, dass er keine Blockaden dulden werde. In diesem Fall werde es »unweigerlich zu einer Konfrontation mit der Polizei kommen«. Die Demoroute der Nazis wurde bereits mehrere Stunden vorher durch insgesamt 2000 Beamte und fest installierte Straßensperrungen hermetisch abgeriegelt. Die im Vorfeld angekündigte Deeskalationsstrategie war ebenfalls nicht immer spürbar. So wurden die Teilnehmer der Auftaktkundgebung des Bündnisses Chemnitz-Nazifrei am Anfang nur einzeln und nach individueller Leibesvisitation auf die Kundgebung gelassen. Eine skandalöse Praxis, die bei über 1.500 Teilnehmern geeignet ist, eine eigentlich gemeldete Kundgebung so lange zu verzögern, bis sie nicht mehr ordnungsgemäß stattfinden kann. Als sich die Anmelder der Kundgebung darüber beschwerten und der Vorgang bildlich dokumentiert werden sollte, wurde ihnen seitens der Polizei »angeboten«, sie in Gewahrsam zu nehmen, falls sie weiterhin provozierten. Augenscheinlich stand die Polizei von Anfang an unter dem Druck, den Antifaschisten Ge-

waltbereitschaft nachweisen zu müssen. Dazu passt auch, dass die Sprecherin der Polizei noch am Abend von einem Angriffsversuch 150 gewaltbereiter Linker auf die Nazidemo sprach, der nur mit massiven polizeilichen Mitteln zurückgeschlagen werden konnte. Dumm nur, dass davon außer der Polizei niemand etwas mitbekommen hat. Nachdem selbst die Lokalmedien diese Aussage in Frage stellten, musste die Polizei hier wieder zurückrudern und behauptet nun, man prüfe, ob es so etwas gegeben habe. Als Fazit lässt sich feststellen, dass es noch ein langer Weg ist, bis Chemnitz solche Erfolge wie Dresden aufweisen kann. Leider haben das Agieren der Polizei und die Spaltung der Gegendemonstranten in Gut und Böse durch die Stadt dazu geführt, dass die Nazis wieder durch Chemnitz laufen konnten. Hoffen wir, dass sich das nächstes Jahr ändert. Denn auch 2013 werden wieder zahlreiche Antifaschisten da sein, um ihren Unmut über das braune Pack auszudrücken. Sabine Pester und Nico Brünler

Die Krise des Kapitalismus macht eine Neubestimmung von Marktwirtschaft notwendig. Das «Europa der Regionen«, wie wir LINKE es wollen, hat sein wirtschaftliches Fundament in regionalen Märkten. Wir LINKE reden natürlich am liebsten über Kulturaustausch und Bildungsprojekte, wenn es um Europa geht und das werden wir auch weiterhin tun, denn dabei geht es um das interkulturelle Zusammenleben im Europa der Regionen vor Ort. Aber wenn wir ein sächsisches Bild vom Europa der Regionen entwerfen, dann sollten wir den gesamten Alltag der Menschen im Blick haben. Wenn im Zusammenhang mit der konkreten Gestaltung des Europas der Regionen aus sächsischer Perspektive auch positive Potenziale von Marktwirtschaft definiert werden, soll mir das recht sein. Denn ich will die Transformation des Kapitalismus, aber doch wohl nicht zurück zu einer zentral gelenkten bürokratischen Planwirtschaft. Sondern hin zu einer demokratieverträglichen, dezentral verankerten solidarischen Marktwirtschaft. Die Marktwirtschaft, die ich mir vorstelle, hat von Haus aus einem Hang zum Solidarischen, da erstens jede MarktteilnehmerIn Interesse an der Stärke der anderen MarktteilnehmerIn hat, weil sie ihm ja sonst nichts abkaufen bzw. er mit ihnen keine ordentlichen Geschäfte machen kann. Und zweitens ist Fairness ein Gebot des ökonomischen Überlebens: Wer in seiner Gegend dafür bekannt ist, dass er die Leut‘ über‘n Tisch zieht, wird mit einem solchen Ruf keine Kunden mehr finden und meist nicht in der Lage wie ein Weltkonzern, einfach weiterzuziehen.


Sachsens Linke!  4/2012

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Meinungen Georgia Brauer mit Gedanken zur Frauentagsfeier im Jahre 2012 in Bautzen In der Märzausgabe dieser Zeitung wählte Heiderose Gläß die Überschrift »8. März 2012: Feiern oder kämpfen?«, ein guter und notwendiger Artikel. Aber alles hat seine Zeit. Wir linken Frauen treten in den verschiedensten Gremien und an den unterschiedlichsten Orten immer noch tatkräftig für eine – besonders für Frauen und Kinder – gerechtere Gesellschaft ein. Mit dieser Tatsache im Hinterkopf ist es auch richtig und vernünftig, einmal all diese Probleme ruhen zu lassen und in freundlicher, frauentypischer Art zu feiern. Und es war eine Feier mit so vielen wohltuenden Gesten, dass man wirklich das Gefühl bekam, hier tanken Gleichgesinnte für ihre zukünftige Tätigkeit auf. Der Saal war übervoll, außer den bekannten Gesichtern linker und linksorientierter Frauen waren Freunde und Familien aus der tschechischen Republik, aus Polen und aus dem Asylbewerberheim anwesend. In Vorbereitung der Feier war die Tafel von den zahlreichen Organisator/ innen (auch Männern) festlich gedeckt worden. Die Vorsitzende des Ortsverbandes Bautzen der Partei DIE LINKE. Ilona Messer sprach in Vertretung der Europaabgeordneten Dr. Cornelia Ernst, die sich aus arbeitstechnischen Gründen entschuldigen musste, Worte zur Lage der Frauen in der Bundesrepublik und in der Welt. Man konnte den ganzen Nachmittag beobachten, dass viele Kontakte geknüpft wurden. Bautzen hat gute Kapazitäten für ein ansprechendes Kulturprogramm. Den Anfang bestritten Tänzerinnen der Tanzgruppe Majak, ein gelungener Auftakt. Stimmungsvoll wurde es im Saal mit dem Gesangsduo Beate Tarrach und Reinhard Simmgen, alias Hanka Ciganka vom Sperlingshof in Soritz. Vielseitig ist ihr Repertoire, immer arbeiten sie an neuen Liedern, die neben solch bekannten wie Katjuscha vor allem osteuropäische Folklore beinhalten. Vielfach wurde

Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der Linken in Sachsen Herausgeber: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Großenhainer Str. 101, 01127 Dresden

mitgesungen, es gab sogar Soloeinlagen von Gästen. Für die Kinderbetreuung war ebenso gesorgt, sie kamen mit fantastisch bemalten Gesichtern ab und zu in den Saal. Vielen Dank all denen, die Zeit und Geld für diese gelungene Veranstaltung spendeten. Die große Politik fängt oft auch bei den kleinen Dingen des Lebens an! Rita Kring aus Dresden schreibt: In der letzten Ausgabe von Sachsens Linke waren erfreulich viele Artikel um den 13. Februar in Dresden. Ich demonstriere seit 2008 mit, und was in den Beiträgen zum 13. Februar hier über die Jahre zu lesen war, kann ich aus eigenem Erleben voll bestätigen. Nach dem Täterspuren-Rundgang lief ich in Richtung Sternplatz zu meiner Wohnung. Auf der Liliengasse war abgesperrt, ich wurde nur durchgelassen, weil ich per Ausweis nachweisen konnte, wo ich wohne. Von meinem Balkon mit Blick auf den Sternplatz sah ich 17.30 Uhr eine Musikgruppe und nur wenige Demonstranten. Gegen 18.30 Uhr füllte sich der Platz in Windeseile. Nicht nur Demonstranten vom TäterspurenRundgang, sondern auch jene von der Menschenkette waren herbeigeströmt. Keine Polizei konnte die Menge mehr aufhalten. Die Menschen standen

An die links denkenden und handelnden Unternehmer, Freiberufler und Selbständigen in Sachsen

dann friedlich vor den Absperrungen der Polizei, in Sichtund Hörweite zum Fackelzug der Neofaschisten, der gegen 20.30 Uhr die Stelle passierte. Sie wurden mit Sprechchören, Trommeln und Pfiffen »empfangen«. Ich schwenkte vom Balkon aus die Fahne der LINKEN. Nach einem kurzen Marsch um den Block mussten die Neofaschisten weichen. Uwe Schnabel aus Coswig zu „Zukunft gestalten“ (Sachsens Linke! 3/2012, S. 5) Laut Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und Artikel 11 des Sozialpaktes hat jede Person das Recht auf einen der Gesundheit und dem Wohl angemessenen Lebensstandard. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist eine gute Methode zur Durchsetzung dieses Menschenrechtes. Allerdings heißen einige Konzepte Grundeinkommen, die ganz andere Ziele anstreben. So will Herr

Althaus alle anderen Sozialleistungen streichen. Außerdem soll das Grundeinkommen so niedrig sein, dass wie bei Hartz IV für die meisten Personen ein Zwang zur Erwerbsarbeit besteht. Deshalb wird dieses Konzept von linken Grundeinkommensbefürworter(inne)n abgelehnt. Solche Linke stimmen Götz Werner insofern zu, dass Menschen entsprechend ihrer Bedürfnisse und den gesellschaftlichen Notwendigkeiten aktiv sein sollten und sich nicht danach richten sollten, wofür sie Geld bekommen. Sobald er aber damit die Hoffnung verbindet, Löhne und Gehälter senken zu können oder die Reichen steuerlich zu entlasten und dafür die Ärmeren zu belasten, gibt es heftigen Widerspruch. Somit sollte genau überprüft werden, welche Ziele mit den einzelnen Grundeinkommenskonzepten verfolgt und wie diese verwirklicht werden sollen. Dies gilt auch für die anderen angesprochenen Konzepte, wie zum Beispiel das Regionalgeld.

Existenz- und Teilhabesicherung – Mindestsicherung oder Grundeinkommen? Die Landesarbeitsgemeinschaft Bedingungsloses Grundeinkommen veranstaltet im April und Mai 2012 im Rahmen der Debatte der Sozialpolitischen Leitlinien der LINKEN Sachsen in Leipzig, Dresden und Chemnitz Foren zum Thema »Existenz- und Teilhabesicherung – Mindestsicherung oder Grundeinkommen?«. Dazu laden wir euch herzlich ein und bitten euch aktiv daran teilzuhaben. 13. April, 18 Uhr, linXXnet, Bornaische Str. 3, 04277 Leipzig 20. April, 18 Uhr, WIR AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden 11. Mai, 18 Uhr, Rothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz

OWUS Sachsen e.V., ein offener Wirtschaftsverband für Unternehmer, Freiberufler und Selbstständige, hat Ende 2011 mit der Wahl eines neuen Vorstandes auch wichtige Vorhaben für die künftige Arbeit beschlossen. Dazu gehören sowohl eine in-

tensive Zusammenarbeit mit der Partei DIE LINKE vor allem auf dem Gebiet wirtschaftspolitischer Fragen, als auch eine zielgerichtete Unterstützung von klein- und mittelständischen Unternehmen, Freiberuflern und Selbständigen. OWUS Sachsen steht auch für die Förderung und Weiterbildung seiner Mitglieder und ihrer Interessenvertretung. Es finden regelmäßig Stammtische in Chemnitz und Markkleeberg mit interessanten Gästen und vielfältigen Themen statt. Interessierte linke Unternehmer, Freiberufler und Selbständige sind eingeladen uns

kennenzulernen und mit zu machen. Dazu gibt es jetzt auch unseren neuen Internetauftritt: http://www.owus.de/owus_ sachsen.html Wir sind neugierig auf Eure Ideen und Vorstellungen und suchen Mitstreiter bei der Durchsetzung unserer gemeinsamen Ziele. Kontakt: OWUS Sachsen e.V. Armin Gottschalk Hainstraße 106 09130 Chemnitz 0371/427213 sachsen@owus.de

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer

Auflage von 17000 Exp. gedruckt. Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Tom Schumer, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Jörg Teichmann, Ralf Richter, Stathis Soudias Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio

Internet unter www.sachsenslinke.de Kontakt: kontakt@dielinkesachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720 Redaktionsschluss 26.3.2012 Die nächste Ausgabe erscheint am 26.4. 2012.

Kolumne

Sofakissen Stanislaus Tippt man im Suchfeld des Videoportals „Youtube“ den Namen Stanislaw Tillich ein, so kann man den Inhaber des Freistaates Sachsen betrachten, wie er beim VW-Familientag eine Torte anschneidet, das neue Jahr begrüßt („Der Schnee ist weiß und es riecht kaum noch nach Kohle“), im Gewerbepark Wittichenau den ersten Spatenstich für eine Möbelfabrik erledigt, im Leipziger Zoo die Patenschaft über die Giraffe Tanisha übernimmt, Kinder auf „Keymers Bauernhof“ begrüßt („oh – die ham ja kalte Hände, du“) oder im offiziellen Kanal der Staatsregierung bei Kerzenschein und vor schwebenden Rentieren eine Weihnachtsgeschichte vorliest. Man traut sich gar nicht auf Youporn, einem anderen Videoportal, den Namen Stanislaw Tillich einzugeben. Aber wer‘s mal probieren möchte – bitteschön. Wer weiß, wieviele ältere Damen das ohnehin immer wieder tun. Ich habe mich schon mehr als einmal gefragt, wie es gebildete Menschen in Ministerien, Referaten, Regierungspräsidien oder auch nur Ämtern und Behörden aushalten, einen derartigen Bären am Nasenring als obersten Dienstherren zu ertragen. Schmeckt ihnen der Kaffee im Büro? Können sie gut schlafen? Gucken sie MDR? Was sagen sie ihren Frauen und Freunden? Immerhin – Ministerpräsident zu sein, ist nicht irgendwas! Oder doch? Ist es die einzige Bestimmung dieses Amtes, dem Irrsinn der eigentlich Mächtigen ein freundliches Gesicht zu geben – eine Art Kapitalismus mit menschlichem Antlitz? Wenn es einen Beweis für diese These gäbe, hieße er wohl Tillich. Eine politische Richtung gibt er nicht vor. In aktuellen politischen Streit mischt er sich nicht ein. Katastrophen bedauert er so inbrünstig, wie er Selbstverständlichkeiten zu epochalen Ereignissen aufbläst. Tillich ist ein Sofakissen, das man je nach Bedarf ergriffen umklammern, oder in welches man betroffen hinein schluchzen kann. Nun hat es einem gereicht, der jahrelang im Dienste der sächsischen Demokratur stand. Harald Noeske, seit 1991 in der sächsischen Politik, ehemaliger Referatsleiter in der sächsischen Staatskanzlei hat – allerdings nach seiner Pensionierung – ein Buch geschrieben, in dem er die „Substanzlosigkeit und Blutleere“ der sächsischen Staatsregierung und die „Speichelleckerei“ im Umfeld Tillichs beschreibt. Immerhin.


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Einer von 15 Millionen Bis jetzt sind 15 Millionen Riester-Verträge abgeschlossen worden. Wir stellen Ihnen einen von ihnen vor und rechnen mit: Josef S. hat 2002 bei einem großen Versicherungsunternehmen einen riestergeförderten Banksparplan abgeschlossen, jedes Jahr einbezahlt und so ein Guthaben von 10.500 Euro angespart. Nun ist er seit zwei Jahren in Rente und somit einer der Ersten, die von der Riester-Förderung profitieren könnten. Doch bei der Auszahlung ist er mehr als überrascht. Seine monatliche Rente beträgt 40,- Euro. Er fragt sich, ob sich das Riester-Modell für ihn gelohnt hat. Ein Experte überprüft den Vertrag von Herrn S. auf seine Rentabilität. Er erklärt, dass die Rente so gering ist, weil mit einer sehr hohen Lebenserwartung kalkuliert wird. Für die Garantierente müsste Karl F. 83,4 Jahr alt werden. Manche Unternehmen rechnen sogar mit 105 Jahren durchschnittlicher Lebenserwartung. Laut statistischem Bundesamt liegt sie jedoch nur bei 82,6 Jahren. Mit einem Inflationsausgleich wäre eine Lebenserwartung von 90 Jahren anzunehmen, so der Experte. Quellen: SWR marktcheck, 6. November 2011 ARD Das Riester-Dilemma: Porträt einer Jahrhundertreform, 9. Januar 2012

Privatisierung statt Reform Die RiesterRente geht auf Kosten der VerbraucherInnen Warum wurde das bisherige Rentensystem aufgegeben? Im Januar 2001 wurde die Riester-Rente eingeführt und von der damaligen rot-grünen Bundesregierung als entscheidender Schritt zur Lösung der Rentenfrage gefeiert. Ihre Verfechter waren sich damals einig: Die gesetzliche Rente alleine könne es nicht mehr schaffen. In einer älter werdenden Gesellschaft müsse jeder privat vorsorgen. Mit großzügigen staatlichen Zuschüssen sollten die Bürger ermuntert werden, ein privates Zusatzpolster für ihr Alter anzusparen. Bundeskanzler Schröder und Minister Walter Riester hatten damals behauptet, es werde mit dieser als Reform verkauften Änderung des Rentensystems niemandem schlechter, sondern allen besser gehen. Die Verbindung von privater Vorsorge und staatlichen Zuschüssen wurde als fortschrittliches und sicheres Modell künftiger Altersvorsorge in Deutschland verkauft. Bis heute an über 15 Millionen Menschen.

Die Experten sind sich einig: Häufig werfen Riester-Versicherungen sogar weniger ab als viele Finanzprodukte ohne staatliche Förderung. Nicht zuletzt, weil der Staat zwar die Ansparphase unterstützt, aber die Auszahlung erheblich besteuert. Die meisten Riester-Sparerinnen und -Sparer müssten über 90 Jahre alt werden, um auch nur das Geld wiederzusehen, das sie eingezahlt haben. Gewinner sind die Banken, Versicherungen und Finanzdienstleister, denen sich durch den Systembruch bei der Rente ein milliardenschweres Geschäftsfeld aufgetan hat. Und auch der ehe-

malige Gewerkschafter und Sozialminister Walter Riester verdient bis heute gut an seinen Vorträgen über die nach ihm benannte Rente. Ist das Problem Altersarmut gelöst? Die Illusion, dass sich das Geld der Sparerinnen und Sparer auf den Kapitalmärkten quasi von selbst vermehrt, hat sich spätestens mit der Finanzund Eurokrise zerschlagen. Staatsanleihen gelten entweder als riskant oder nicht profitabel. Vielen Kleinanlegern droht der Totalverlust. Am stärksten trifft es wie immer Geringverdienende, die ohnehin potentiell von Altersar-

mut bedroht sind. Denn wer im Alter auf staatliche Grundsicherung angewiesen ist, bekommt die angesparte Riester Rente nicht oben drauf. Sie wird vielmehr verrechnet und somit abgezogen. Es wird immer unwahrscheinlicher, dass man mit privatem Sparen die Kürzung bei der gesetzlichen Rente ausgleichen kann. Die Reformen der vergangenen Jahre haben dafür gesorgt, dass die Rente künftig um bis zu 20 Prozent geringer ausfallen wird. Selbst wer 32 Jahre durchgehend zum Durchschnittslohn gearbeitet hat, wird künftig im Alter Grundsicherung benötigen.

Wer sind die wirklichen Gewinner?

Der Lack ist ab: Riester-Modell löst nicht die Rentenfrage Interview mit Caren Lay Ist nicht die Idee einer privaten Vorsorge, die auch noch staatlich gefördert wird, grundsätzlich zu begrüßen? Es hat sich gezeigt, dass private Vorsorge, wie sie mit dem Riester-Modell angeboten wurde, nicht die Rentenfrage löst, sondern die Altersvorsorge zu einem Spekulationsmodell auf den Finanzmärkten werden lässt. Das zeigt sich deutlich am großen Interesse der Banken und Versicherungen, die mit staatlicher Förderung und dem privaten Geld der Anleger renditeorientiert und risikobehaftet agieren. Viele Menschen werden um ihre privaten Renten bangen müssen, wenn die aktuelle Krise auch auf die deutschen Finanzmärkte durchschlägt. Das ist unverantwortlich. Mit der Rente darf man nicht spekulieren! Im Übrigen hat sich

gezeigt, dass die staatliche Förderung den Versicherungen und nicht den Menschen zu Gute kommt. Das ist doch absurd! Fordert der demografische Wandel nicht ein schnelles Handeln? Stehen nicht immer mehr Rentnerinnen und Rentner immer weniger Beschäftigten gegenüber? Diese Argumentation ist Teil der Verunsicherungskampagne der Riester-Freunde und Versicherungslobbyisten. Es gibt keinen demografischen Grund zur Rentenkürzung. Es ist eine Milchmädchenrechnung, die Anzahl von RentnerInnen der Anzahl der Erwerbstätigen gegenüberzustellen. Entscheidend ist die Arbeitsproduktivität. Und diese erhöht sich seit Jahren. Dieser Anstieg ermöglicht bei solidarischer Verteilung weiter steigende Renten trotz eines wachsenden Anteils Älterer an

der Bevölkerung. Wie bewerten Sie die angeblichen Erfolge des Riester-Modells? Der Lack ist ab von der privaten Vorsorge à la Riester. Teuer, ineffizient und für viele Bürger viel zu kompliziert. Gerade in der Krise zeigt sich, dass die gesetzliche Rente mit ihrem Umlageverfahren das erheblich stabilere und günstigere System ist. Es kann nicht sein, dass Menschen nach einem langen Erwerbsleben im Alter verarmen und ihren Lebensunterhalt zusätzlich durch prekäre Beschäftigung zu sichern versuchen. Es ist völlig absurd, dass mit den Rentenansprüchen der Menschen auf den Finanzmärkten spekuliert wird. Wie kann gesichert werden, dass Menschen in Würde altern und angemessen leben können? Eine paritätische, von Be-

schäftigten und Unternehmen finanzierte Rente ist solidarisch und unabhängig von Börsenkursen. DIE LINKE will eine gesetzliche Rente, die über der Armutsgrenze liegt und den erarbeiteten Lebensstandard sichert. Das heißt konkret, dass alle in eine paritätisch finanzierte, gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden – also auch Beamte, Selbständige und Politiker. Das würde die Rentenkassen deutlich füllen. Und für Menschen, die nicht ihr Leben lang durchgängig erwerbstätig waren oder zu wenig verdient haben, um über der Armutsgrenze zu liegen, will DIE LINKE eine solidarische Mindestrente in Höhe von 900 Euro. Nur so kann ein Altern in Würde ermöglicht und Altersarmut verhindert werden. Nach derzeitiger Gesetzeslage haben wir nun die Rente mit 67. Lang diskutiert und nicht unumstritten.

Ist das auch ein Teil der Lösung? Auf gar keinen Fall. Die Rente mit 67 lehnen wir ohne Wenn und Aber ab. Die Rente ab 67 ist doch faktisch ein Rentenklau, denn nur die wenigsten Menschen finden mit zunehmendem Alter noch eine Arbeitsstelle. Wir fordern den ungekürzten Rentenzugang nach 40 Beitragsjahren und die Möglichkeit, schon ab 60 bis 65 ohne Abschläge aus dem Erwerbsleben auszusteigen.


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Frauen

Clara-Zetkin-Frauenpreis 2012 Auch im Jahr 2012 verlieh die Partei DIE LINKE anlässlich des Internationalen Frauentages den Clara-Zetkin-Frauenpreis, um herausragende Leistungen von Frauen in Gesellschaft und Politik zu würdigen. Für den Clara-ZetkinFrauenpreis 2012 hatten sich rund 50 Projekte beworben. Neun von ihnen, darunter auch das Referat Gleichstellungspoltik des Studentenrates der TU Dresden, waren nominiert. Die Spannung zur Preisverleihung am 10. März 2012 im Palais der Berliner Kulturbrauerei war groß. Der Preis ging an das Düsseldorfer Projekt »Keine Schwangerschaft ist illegal - STAY!« Das

Projekt unterstützt Schwangere ohne gültige Aufenthaltspapiere im Großraum Düsseldorf in anonymer Einzelfallhilfe, vermittelt kostenlose medizinische Betreuung und sensibilisiert darüber hinaus die Öffentlichkeit für die Lage von Frauen in der Illegalität. DIE LINKE würdigt damit das soziale und politische Engagement für eine vergessene Gruppe von Frauen in Deutschland. Der Preis wurde von der Vorsitzenden der LINKEN, Gesine Lötzsch, übergeben. Einen Sonderpreis vergab der Parteivorstand der LINKEN im Jahr 2012 an Esther Bejarano für ihr Lebenswerk. Esther Bejarano wurde 1924 als Toch-

ter des Oberkantors einer jüdischen Gemeinde geboren. Sie überlebte den Holocaust als Mitglied des sogenannten »Mädchenorchesters von Auschwitz«. Gemeinsam mit Tochter Edna und Sohn Joram gründete sie Anfang der 1980er Jahre die Gruppe »Coincidence« mit Liedern aus dem Ghetto und jüdischen sowie antifaschistischen Liedern. Sie ist Mitbegründerin und Vorsitzende des AuschwitzKomitees, Ehrenvorsitzende der VVN-BdA und Trägerin der Carl-von-Ossietzky-Medaille. Den Sonderpreis übergab die Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin, Beate Klarsfeld.

Frauenpolitik - Frauenstruktur Ein Randthema? te Frauengruppen waren ebenso vertreten wie die AG LISA auf Landes- und Bundesebene oder frauenpolitische Sprecherinnen bzw. Mitglieder von Landesvorständen und Landtagsfraktionen. In allen Beiträgen drückte sich die Hoffnung aus, mit dem zentralen Bundesrat eine notwendige Stützung der politischen Arbeit von Frauen in der LINKEN zu erfahren. Welche genauen Mitarbeits- und Beteiligungsstruktur der BLF bekommen soll, wird allerdings erst auf dem nächsten großen Treffen entschieden werden. Rund fünfzig Frauen aus zwölf Bundesländern waren anwesend, was als Erfolg für den Einstieg in eine bundesweite Koordination der frauenpolitischen Arbeit der LINKEN gewertet werden kann, aber dennoch die Erwartungshaltung der vorangegangenen Aufbruchstimmung deutlich dämpfte. In bewährter Workshop-Methodik wurden verschiedene Themen, wie Finanzierung, Struktur, »Politik von unten« und Arbeitszeitbegriff diskutiert. Mit dem Projekt »Politik von unten« soll in einer bundesweiten Befragung aller weiblichen Parteimitglieder herausgefunden werden, was sie in und von der Partei DIE LINKE wollen und erwarten. Die Ergebnisse werden durch eine Arbeitsgruppe des BLF in konkrete Politikvorschläge für Bund und Länder übersetzt und können in Veranstaltungen, Kampagnen und Aktionen fließen. Kritik sei an dieser Stelle am Arbeitstitel der Projektgruppe »Politik von unten«

anzumerken, da sowohl eine hierarchische Aufteilung und/ oder falsche Bilder zugeordnet werden könnten. Unsere Hoffnung (der sächsischen TeilnehmerInnen an der BLF-Gründung in Hannover) ist, dass die Frauen, die wir bisher nicht erreicht haben, die Vorschläge mittragen und kreativ weiter ausgestalten werden, weil sie sich mit ihren eigenen Erfahrungen darin wieder finden. Neben den angekündigten Workshops fanden aber auch Frauen einfach spontan zu einer »ungeplanten« Gruppe zusammen. Zum Einen wollte man sich einfach mal persönlich kennenlernen und zum Anderen hat man die Möglichkeit wahrgenommen, Themen zu sammeln und zu besprechen, die nicht auf der Tagesordnung vorgesehen waren. Das wirkt auf den ersten Blick

banal, jedoch bei näherer Betrachtung ist es nicht von zu unterschätzender Wichtigkeit, dass man sich auch jenseits von moderierten Themenfeldern darüber verständigt, was bewegt und ob man vielleicht auf Gleichgesinnte trifft. Und es ist wichtig, dass es bei Veranstaltungen auch die Möglichkeit gibt, sich jenseits von vorgefertigten und moderierten Angeboten einzubringen. Natürlich wurde in Hannover schon weiter nach vorn geblickt - die Arbeitsgruppen, welche die Bundesfrauenkonferenz und das damit zeitlich verbundene Bundesrats-Treffen vorbereiten, treffen sich noch vor der Sommerpause. Auf dem BLF-Treffen wird es u.a. um die genaue Struktur der Beteiligung im Frauenrat gehen, aber auch die Diskussion um die frauenpolitische Intervention in den Bundes-

tagswahlkampf geführt. Die Landesverbände sind aufgerufen, in landesweiten Frauenversammlungen über die Frage zu entscheiden, in welchen Formen sie die Verbindung zwischen Basisarbeit und Bundesrat herstellen wollen. In einigen Bundesländern ist bereits entschieden worden, Landesräte analog des Bundesrates zu gründen, aber auch andere Modelle sind denkbar. Die Aufbruchstimmung aus Erfurt war in Hannover nicht so spürbar und trotzdem ist die Hoffnung da, dass Frauen wirklich aus allen Bundesländern über die Grenzen hinweg zusammen arbeiten, gemeinsam diskutieren und in Zukunft noch etwas mehr glitzern. Gabi Ohler (Mitglied des Parteivorstandes), Antje Feiks, Luise Neuhaus-Wartenberg, Claudia Jobst und Susanna Karawanskij

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Es war einer jener Gänsehautmomente, als zum Bundesparteitag in Erfurt, Gabi Ohler, Mitglied des Parteivorstands, an das Saalmikrophon trat und mit fester Stimme verkündete, dass sich über 80 Frauen selbst ermächtigt haben, eine bundesweite linke Frauenstruktur zu gründen. Der vorangegangene Antrag auf eine Satzungsverankerung des Bundesrates erhielt zwar die Mehrheit, scheiterte jedoch an der Zwei-Drittel-Hürde. Die Stimmung, die danach den Raum erfüllte, ist kaum mit Worten wiederzugeben. Eine Traube von entschlossenen Frauen, die immer größer wurde, hatten es mit einem Schlag gezeigt: Frauen und Frauenpolitik sind nicht einfach formal weg zu stimmen, sondern ein integraler Bestandteil unserer Partei, die sich immerhin auch als feministisch bezeichnet. Von diesem fulminanten Aufschlag getragen wurde nun ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einer zentralen Frauenstruktur in der LINKEN erreicht: Am 25. Februar 2012 gründete sich in Hannover der Bundesrat LINKE Frauen (BLF). »Mittlerweile haben sich über 200 Frauen als GründerInnen gemeldet - weitere sind eingeladen, sich diesen anzuschließen.« berichtet Gabi Ohler. Das gilt für alle Frauen, ganz gleich an welcher Stelle und auf welcher Ebene sie aktiv sind oder es werden wollen. In den einleitenden Länderberichten in Hannover spiegelte sich ein vielfältiges Bild der aktuell bestehenden Frauenstrukturen der Länder – selbstorganisier-


Kulturpolitische Leitlinien

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Kultur – Demokratie – Emanzipation Kulturpolitische Leitlinien DIE LINKE. Sachsen (Entwurf) »Die große Aufgabe der Kultur ist es, die Gesellschaft ständig zu konfrontieren mit anderen Möglichkeiten.« Robert Jungk

Kultur ist ebenso wie ihr Pendant die Bildung für die sächsische LINKE nicht nur die Angelegenheit eines abgegrenzten Ressorts, sondern als Querschnittsaufgabe gemeinsames Anliegen vieler Ressorts. Bewusst betrachten wir Kulturpolitik in Verbindung mit sozialen Fragen als Gesellschaftspolitik zur weiteren Ausgestaltung eines demokratischen Gemeinwesens. Die Akzente, die wir dabei setzen, ergeben sich aus unserem grundsätzlichen Eintreten für eine sozial gerechtere, demokratische und friedliche Welt. Dabei sehen wir Kultur keineswegs als Wundermedizin, die alle Krankheiten und Krisenerscheinungen des globalen Finanzmarktkapitalismus im begonnenen 21. Jahrhundert zu heilen in der Lage ist. Im Mittelpunkt unseres Kulturbegriffs stehen die Kraft kulturellen Handelns sowie die gestalterischen und inhaltlichen Potenziale von kultureller Intervention, als Reaktionen auf gesellschaftliche Konfliktfelder. Gesellschaftlichen Veränderungen ist von jeher ein Wandel des kulturellen Bewusstseins vorausgegangen. Wenn der Mehrwert von Kultur in der möglichst nachhaltigen Veränderung des gesellschaftlichen Klimas zu Gunsten von Inklusion und Teilhabe, von demokratischer Mitwirkung und Stärkung des Engagements besteht, muss Kultur gerade in Regionen und Zeiten gestärkt werden, in denen statt Prosperität Krise vorherrscht. Kulturpolitik muss in diesem Verständnis künftig verstärkt Offensiv-, weniger Defensivpolitik sein.

I. Kulturland Sachsen zunehmend in Nöten 1. Das Land Sachsen zählt zu den bedeutenden Kulturregionen in der Bundesrepublik und in Europa. Eine bundesweit nahezu einmalige Dichte an kulturellen Einrichtungen prägt den Freistaat Sachsen: Jedes zehnte deutsche Theater steht beispielsweise in Sachsen; insgesamt sind das 15 öffentlich getragene Theater mit 72 Spielstätten. Dazu kommen ca. 500 Museen (2011), 535 öffentliche Bibliotheken (2011), 25 öffentlich geförderte Musikschulen, fünf Kunsthochschulen, eine Vielzahl historisch bedeutsamer Schlösser, Burgen, Gärten, Denkmäler, insbesondere der Industriekultur sowie viele soziokulturel-

le Einrichtungen. Darüber hinaus gibt es mit dem Kultursenat, der Kulturstiftung, den Landeskulturverbänden u.a. Strukturen einen hohen Vernetzungsund Beratungsgrad in der sächsischen Kulturlandschaft. Diese enorme Vielfalt kultureller Angebote, Einrichtungen und Sichtweisen ist ein Wert an sich und zugleich ein wichtiger Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge, den es auch künftig zu fördern gilt. »Ebenso wie in der Wissenschaft kann auch die Vielfalt der Kultur nur geschützt und entfaltet werden, wenn sie nicht immer mehr den Zwängen des Marktes unterworfen wird. Für Sachsen ist dies keine Neben- sondern eine entscheidende Zukunftsfrage.« (Alternatives Landesentwicklungskonzept der Linksfraktion 2004) 2. DIE LINKE vertritt das verfassungspolitische Konzept, das Land Sachsen als Kulturstaat weiter auszugestalten. Die Gesamtverantwortung des Freistaates für die Kultur in Sachsen resultiert aus der Landesverfassung, nach der Sachsen ein »der Kultur verpflichteter sozialer Rechtstaat« ist. Mit dem inzwischen unbefristeten Gesetz über

die Kulturräume in Sachsen (SächsKRG vom 20. Januar1994 rechtsbereinigt mit Stand vom 1. August 2008) hat der Sächsische Landtag einen wesentlichen Beitrag zur Erfüllung des in Art. 1 Satz 2 und Art. 11 der Sächsischen Verfassung formulierten Staatszieles geleistet. Die Förderung von Kunst und Kultur liegt allerdings in der gemeinschaftlichen Verantwortung des Bundes, der Länder und der Kommunen. Die Kooperation von Bund und Ländern in der Kulturförderung ist unabdingbar. Die Verantwortung des Bundes sehen wir vor allem in der ordnungspolitischen Rahmensetzung, zunehmend aber auch in der direkten Förderung kultureller Institutionen und Projekte. Wir treten daher für die Aufnahme des Staatsziels Kultur in das Grundgesetz ein. Für die Erhaltung und den Ausbau der kulturellen Infrastruktur in Ostdeutschland ist das von entscheidender Bedeutung. Auch aus kulturpolitischen Gründen müssen die Kommunen finanziell wieder in die Lage versetzt werden, ihren ureigensten Aufgaben nachkommen zu können. Der mit dem ek-

latanten Arbeitsplatzdefizit verbundene Rückgang sozialer Bindungen in Ostdeutschland, die Abwanderung und die Überalterung der Bevölkerung erfordern die besondere Förderung kultureller Angebote, um der Marginalisierung, Ausgrenzung und Verdrossenheit von Menschen entgegenzuwirken und den Zusammenhang der Gesellschaft zu gewährleisten. 3. Der Freistaat Sachsen steht vor der Herausforderung, die Potentiale, die Kultur und Wissenschaft für die Landesentwicklung bieten, trotz der Wirtschafts- und Finanzkrise und einer vergleichsweise geringen Wirtschaftsund Finanzkraft zu stärken. Der Erfolg einer Landespolitik, die vorrangig auf Bildung, Kultur und Wissenschaft setzt, wird sich erst auf lange Sicht einstellen; sie trägt aber schon jetzt wesentlich zur Attraktivität des Landes und zur Lebensqualität bei. Trotz sich verringernder finanzieller Handlungsspielräume des Freistaates in den kommenden Jahren sind Ausgaben in Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur nachhaltige Zukunftsinvestitionen und von ausschlaggebender Be-


Kulturpolitische Leitlinien  deutung dafür, dass Sachsen für seine Einwohnerinnen und Einwohner sowie auch für Bürgerinnen und Bürger außerhalb des Landes attraktiv bleibt. Die Freiheit von »Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre« verpflichtet dazu, Kultur im Interesse aller gesellschaftlichen Schichten öffentlich zu fördern. Weil sie nur bedingt den Regeln des Marktes gehorchen, brauchen Kunst und Kultur den besonderen Schutz der Politik. Kulturpolitik aus linker Perspektive versteht sich als Politik des Ermöglichens maximaler Freiräume künstlerischer Produktion und kulturellen Austausches. In der zunehmenden Übertragung ökonomischer Gesetzmäßigkeiten auf das Feld der Kultur sehen wir eine substanzgefährdende Entwicklung, die es politisch einzugrenzen gilt. Dabei verkennen wir keineswegs, dass der kulturpolitische Gestaltungsspielraum an konkrete finanzielle Ressourcen geknüpft ist. Dennoch lehnen wir es ab, kulturelle Werte allein unter ökonomischem Legitimationsdruck zu diskutieren und fordern eine ausreichende öffentliche Förderung und die langfristige Sicherung jener kulturellen Bereiche, die wichtige Aufgaben für das Gemeinwesen wahrnehmen.

Seite 2 um langfristige Planungssicherheit zu gewährleisten. Da insbesondere die Kunst ein wesentliches Moment der großen gesellschaftlichen Debatten darstellt, wollen wir die verschiedenen Künste als autonome Räume, Experimentierfelder und Refugien sichern und schützen. Die Herausforderung, vor der die Kulturpolitik diesbezüglich steht, lässt sich mit dem Publizisten und Mitglied des Sächsischen Kultursenats Friedrich Dieckmann so charakterisieren: »Nur wenn die Kunst leben kann, wird sie die Kraft finden, neue Wege zu erkunden.« Deshalb wäre es »absurd, wenn in einer Zeit, in der der Staat eine Inflation riskiert, um die Gesellschaft vor den Folgen der Machenschaften straflos ausgehender Finanzjongleure zu schützen, ausgerechnet an den Künstlern gespart würde.«

II. Aktuelle strategische Herausforderungen 6. Der maßgeblich von den berühmten Eckwerten »Älter, bunter, weniger« geprägte demografische Wandel hat - vor allem in den vielen kleineren und mittleren Städten Sachsens - auf die kulturelle Infrastruktur, auf die kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung und den Stellenwert bisheriger Kulturangebote einen nachhaltigen Einfluss, der allerdings noch nicht in allen Verästelungen benennbar ist. Dieser demografischen Herausforderung sollten sich dennoch alle Kulturakteure möglichst frühzeitig stellen. Angesichts einer sich sozial und kulturell weiter ausdifferenzierenden Gesellschaft kommt der kulturellen Bildung dabei eine Schlüsselrolle zu, einem neuen und breiteren Publikum unser kulturelles Erbe zu vermitteln. Eine vorauseilende Schrumpfung des

5. Nach den strukturellen Veränderungen in den vergangenen Jahren ist in der Kultur jedoch nichts mehr zu sparen, wenn der Freistaat seiner Verantwortung für das kulturelle Leben im Land noch gerecht werden will. Ohnehin ist der Anteil der Kultur am Gesamthaushalt in den letzten Jahren stetig gesunken und beträgt kaum mehr als zwei Prozent. Wir treten für eine Erhöhung des Anteils der Kulturausgaben am Landeshaushalt und für eine Dynamisierung des Finanzrahmens der Kulturräume ein, um steigende Personalund Sachkosten nicht zu Lasten der Qualität auf die Einrichtungen und Kulturschaffenden abzuwälzen. Wir streben darüber hinaus eine Mehrjahresförderung kultureller Einrichtungen an,

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4. Die kommenden zehn Jahre gelten nach den Worten der Staatsregierung als eine »Dekade der Transformation«. Nach Berechnungen des ifo Instituts Dresden werden dem Freistaat im Jahr 2024 rund 27 Prozent weniger Mittel zur Verfügung stehen als 2011. Das bedeutet ein Konsolidierungsvolumen von 4,4 Mrd. € - jeder vierte Euro aus dem heutigen Landeshaushalt müsste demnach eingespart werden. Der finanzielle Handlungsspielraum des Freistaates geht folglich in den nächsten Jahren stark zurück. Die Kulturpolitik gerät dadurch unter einen immer stärkeren finanzpolitischen Rechtfertigungsdruck. Die Staatsregierung antwortet auf diesen Druck mit einer degressiven Kulturfinanzierung (siehe Zwangskommunalisierung Landesbühnen Sachsen) oder der Privatisierung von Kultureinrichtungen (siehe Rechtsformänderung Staatliche Schlösser, Burgen und Gärten). Kultur als langfristig angelegte kulturelle Grundversorgung gestaltet sich immer schwieriger - Vorrang vor der institutionellen Förderung gewinnt die Projektförderung. Strukturen erodieren, künstlerische Arbeit wird zum befristeten Projekt und kann oftmals nur noch punktuell Wirkung entfalten.

Kulturbedarfs wegen der sinkenden Bevölkerungszahl und den damit verbundenen weiteren Rückzug der öffentlichen Finanzierung lehnen wir ab. Ganz im Gegenteil: Wir vertreten die These, dass es gerade in Krisenregionen und -zeiten einer Intensivierung kultureller Angebote und Investitionen bedarf. Dabei geht es vor allem um die kulturelle Grundversorgung in bevölkerungsärmeren Regionen sowie um neue Formen der Verfügbarkeit von Informationen, Dokumenten, Texten und Bildern, um die kulturelle Abkopplung von abgelegenen Orten zu verhindern. 7. Das Sächsische Kulturraumgesetz regelt als maßgebliches Instrument solidarischer Kulturfinanzierung in den drei urbanen und fünf ländlichen Kulturräumen die Förderung von Einrichtungen und Projekten mit regionaler Bedeutung (Musikschulen, Museen, Theater, Orchester, Bibliotheken, darstellende und bildende Kunst, Musik, Literatur, Soziokultur usw.). Eine der wichtigsten Intentionen des Kulturraumgesetzes besteht in der Schaffung einer »Struktur des Zusammenwirkens«. Sie soll die kommunalen Verantwortungsträger maßgeblich dabei unterstützen, das kulturelle Leben im Lande zu entwickeln, zu fördern und zu bewahren, und zwar unter voller Wahrung der Eigenverantwortung der Kommunen. Seiner ursprünglichen Aufgabe, einen »flexiblen Rahmen für eine innovative Entwicklung der Kultur in Sachsen« zu bilden, wird das Kulturraumgesetz allerdings kaum noch gerecht. Aufgrund der unzureichenden Finanzausstattung sind aus den beabsichtigten Gestaltungsräumen der Kultur eher Kulturverwaltungsräume geworden. Es ist gegenwärtig vor diesem Hintergrund nahezu unmöglich, innovative Impulse zu setzen und Entwicklungen aktiv anzustoßen. Nach dem gesellschaftlichen Umbruch in den 90er Jahren, in dem vor allem die Bestandssicherung kultureller und künstlerischer Einrichtungen im Vordergrund gestanden hat, geht es nunmehr in den Kulturräumen um die Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität im kulturellen und künstlerischen Bereich. Das gilt vor allem für die ländlichen Kulturräume. Darum muss das Kulturraumgesetz finanziell besser ausgestattet werden. Die Organe der Kulturräume sind auf der Grundlage des Zweckverbandsrechts weiter zu demokratisieren. 8. Die Kulturpolitik auf kommunaler Ebene steht in Sachsen vor der Herausforderung, das vorhandene Kulturangebot trotz anhaltenden Haushaltskonsolidierungsdrucks aufrecht zu erhalten. Vielfach bedeuten konstante Förderungen dennoch Strukturabbau, da auch im Bereich Kultur die Förderbedarfe durch Steigerung der Sachund Betriebskosten einschließlich Personalkosten anwachsen. Vielfach werden die Kulturausgaben einseitig und kostenfixiert diskutiert. Es muss also in den nächsten Jahren gelingen, den Wert von Kultur im politischen Bewusstsein der Entscheidungsträger stärker zu verankern sowie Kultur als kommunale Pflichtaufgabe zu begreifen und durchzusetzen. Es ist zudem von maßgeblicher Bedeutung in der kommunalen Kulturpolitik, den Er-


Kulturpolitische Leitlinien

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9. Wir befürworten sowohl die Erarbeitung eines Landeskulturkonzeptes für Sachsen als auch von Kulturentwicklungsplänen für die einzelnen Kulturräume. Kulturentwicklungsplanung ist sowohl auf Landesebene als auch auf kommunaler Ebene ein wichtiges Instrument für die Gestaltung eines vielfältigen kulturellen Lebens. Sie hat die kulturelle Situation zu analysieren und daraus kulturpolitische Schwerpunkte, Ziele und Leitbilder für die Kulturentwicklung abzuleiten. Kulturentwicklungsplanung hat eine nachhaltige Entwicklung im überregionalen sowie demografischen Kontext im Auge. Eine demokratische Kulturentwicklungsplanung verlangt öffentliche Information und Diskussion und die Einbeziehung aller Akteure der Kultur. Dabei hat Kulturpolitik unterschiedliche Interessen auszutarieren und darauf zu achten, dass Partikularinteressen nicht die Oberhand gewinnen. Die manchmal artikulierten Frontstellungen zwischen so genannter Hochkultur, Soziokultur und Freier Szene schaden der Kultur insgesamt. Zwischen diesen Bereichen gibt es Wechselbeziehungen und förderliche Wirkungen. Theater, Orchester und Museen sind nicht allein Horte der Hochkultur, sie sind vielmehr Orte der Kommunikation und des sozialen Austausches, von ihnen gehen positive Wirkungen auf Freie Szene, Soziokultur, Amateurbereich und schulische wie auch kulturelle Bildung aus.

III. Unsere spezifischen Handlungsfelder 10. Wir sehen in der Trägervielfalt eine unverzichtbare Voraussetzung für den kulturellen Reichtum der Gesellschaft wie für die Entfaltung konkurrierender kultureller Strömungen und Subkulturen. Ein Geflecht öffentlicher Einrichtungen, freier Projekte und privater Initiativen bietet den Bürgerinnen und Bürgern ein vielfältiges Angebot und die Gelegenheit, sich miteinander auszutauschen, eigenen Interessen Ausdruck zu geben, Kreativität und Phantasie zu entwickeln. Indem Kulturpolitik eine Infrastruktur aus sozialen Räumen für kulturelle Lernprozesse und selbstbestimmte Praktiken schafft, ermöglicht sie ein vitales und vielfältiges kulturelles und künstlerisches Leben, das die intellektuelle und politische Selbstermächtigung der Subjekte unterstützt. Linke Kulturpolitik versucht so, die kulturellen Grundlagen einer dialogfähigen, gerechten Gesellschaft zu sichern. 11. Die kulturelle Förderpolitik wird sich neben dem Augenmerk auf den Strukturerhalt kultureller Einrichtungen in Zukunft stärker der Ausbildung von Netzwerken zwischen den Einrichtungen widmen müssen. Die

Vielzahl von Angeboten bedarf einer Strukturierung innerhalb eines politisch gesetzten Rahmens. Die Bündelung künstlerischer Ressourcen kann insbesondere im Bereich der Freien Szene mittels Vernetzung zur Ausbildung von Schwerpunkten führen, deren Strahlkraft überregional wirken kann. So wäre es erforderlich, im Bereich des freien Tanzes und der freien Theater Landeseinrichtungen analog zu Entwicklungen in anderen Bundesländern auf der Basis vorhandener Einrichtungen aufzubauen, die alle Kulturregionen Sachsens versorgen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich in der Freien Szene längst professionelle Strukturen entwickelt haben, die denen der auf Ensemblearbeit ausgerichteten Theater gleichwertig gegenüber stehen. Im künstlerischen Selbstverständnis ebenbürtig, unterscheiden sich die Häuser der Freien Szene aktuell vor allem in ihrer ästhetischen Formensprache, die stärker auf Innovation und Experiment sowie Integration in die lokale Situation ausgerichtet ist, und hinsichtlich ihrer Produktionsform, die temporäre Kollektive festen Ensembles vorzieht. Beides, die Ästhetik und die Produktionsform bedingen hier einander. Dieser Besonderheit muss kulturpolitische Förderung adäquat begegnen. 12. Kulturelle Bildung ist ein wesentlicher Bestandteil von Allgemeinbildung. Einen besonderen Platz hat die kulturelle Bildung in der Schule. Hier ist sie Bildung in den Künsten, aber auch Bildung zur Orientierung in der Welt durch die Künste. Kulturelle Bildung wird hier sowohl fächerübergreifend als auch fachspezifisch vermittelt. Aus schulischer Sicht sind die Ganztagsschulen besonders geeignete Einrichtungen der kulturellen Bildung. Hier werden Vor- und Nachmittagsunterricht pädagogisch sinnvoll miteinander verbunden, Schulen mit Kultureinrichtungen und örtlichen Bildungsträgern vernetzt und Künstler und Kulturschaffende als Vermittler systematisch einbezogen. Der Tendenz, den Fachunterricht in Musik und Kunst an den Schulen aus Kostengründen zu reduzieren, widersetzen wir uns. Schulen brauchen ausreichend und gut ausgebildete Musikund Kunstpädagogen. Es besteht die Gefahr, Kunst und Musik (kulturelle Bildung) komplett in den Ganztagsbereich zu verlagern. Außerschulische Angebote an kultureller Bildung ergänzen und erweitern die kulturelle Bildung in der Schule. Doch auch die außerschulischen Akteure kultureller Bildung wie Theater und Orchester, Museen und soziokulturelle Einrichtungen etc. ringen mit einem Personalproblem. Es fehlen Theaterund Museumspädagogen, die, wenn man kulturelle Bildung ernst nimmt, entsprechend ausgebildet und bezahlt werden müssen. Kulturelle Bildung ist stets auch eine Frage der angemessen Personalausstattung. 13. Linke Kulturpolitik befürwortet und befördert die Ausweitung der sich immer mehr verzweigenden Kultur- und Kreativwirtschaft, die einen wichtigen Bestandteil der kulturellen Infrastruktur bildet. Die derzeitige Entwicklung bewerten wir trotz einer Vielzahl von

Chancen für die entsprechenden Akteure allerdings als ambivalent, weil die Arbeitsbedingungen in der Kultur- und Kreativwirtschaft eine für den neoliberalen Diskurs geeignete Folie bilden, um eigenverantwortliche, so-

rum Kultur- und Kreativwirtschaft« mit dem Regionalbüro Mitteldeutschland auf Landesebene notwendig. Darüber hinaus muss eine entsprechende Koordinierungsstelle beim Ministerium für Wirtschaft eingerichtet werden.

zial jedoch wenig abgefederte Arbeitsweltszenarien positiv zu besetzen und zu zukunftsfesten Standards zu verklären. In diesem Bereich ist das kulturpolitische Versagen der Staatsregierung besonders evident. Beispielsweise blieben die insgesamt 41 Handlungsempfehlungen aus dem Kulturwirtschaftsbericht für Sachsen 2008 bislang weitgehend Makulatur. Eine aktualisierende Fortschreibung des Berichts sowie die Erarbeitung und Umsetzung einer entsprechenden Handlungsstrategie zur Unterstützung der Kultur- und Kreativwirtschaft ist daher zwingend geboten. Dazu ist die Schaffung eines Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft analog zur Bundesinitiative »Kompetenzzent-

14. Die soziale und wirtschaftliche Situation der Künstlerinnen und Künstler sowie Kulturschaffenden ist gerade im Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft oftmals prekär und muss durch die bereits genannten Maßnahmen dringend verbessert werden. Angesichts der prekären Lage insbesondere von bildenden Künstlerinnen und Künstlern aufgrund deren struktureller Benachteiligung im Urheberrecht besteht hier dringender Handlungsbedarf. Wir fordern daher die Schaffung der rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen für die Zahlung einer Ausstellungsvergütung für bildende Künstlerinnen und Künstler. Generell treten wir für ein größeres Maß an sozialer Gerechtigkeit bei der

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halt der Struktur der Ausrichtung von einmaligen Großereignissen tendenziell vorzuziehen. Die Förderung durch die kommunalen Fördermittelgeber muss eine angemessene Entlohnung der Angestellten der Freien Träger im Bereich Kultur ermöglichen. Hier sind bestandskräftige Standards zu setzen.


Kulturpolitische Leitlinien

15. Als Kernland der frühen Industrialisierung kann der Freistaat auf eine reiche, mehr als 200jährige Industrietradition zurückblicken. Trotz umfangreicher Abbrüche nach 1990 besitzt Sachsen einen beachtlichen Bestand von nahezu 7.000 Zeugnissen der Technik- und Industriegeschichte, einschließlich Verkehrsanlagen. Wir verstehen »Industriekultur« als gesamte Kulturgeschichte des bis heute andauernden Industriezeitalters. Der Begriff verbindet somit Technik- und Sozialgeschichte und umfasst in diesem multidimensionalen Verständnis gerade auch den Alltag der Menschen, ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen. Insofern ist die sächsische Industriekultur nicht nur aus historischer Perspektive zu betrachten, sondern in die lokalen und überregionalen Transformationsprozesse der Gegenwart und näheren Zukunft einzubeziehen. In diesem Sinne verstehen wir Industriekultur als zukunftsfähiges Landesthema und treten deshalb nachdrücklich für die

Gründung einer Stiftung »Sächsische Industriekultur« ein und unterstützen die entsprechenden Handlungsempfehlungen des Wissenschaftlichen Beirates zur Industriekultur in Sachsen. Im Kontext des Themas Industriekultur treten wir auch dafür ein, die Denkmalpflege und den Denkmalschutz wieder an das Sächsische Ministerium für Wissenschaft und Kunst anzugliedern und das zuständige Landesamt mit dem Landesamt für Archäologie zu einer gemeinsamen Behörde zusammenzufassen. 16. In unserem Verständnis ist Kulturpolitik im weitesten Sinne auch auf eine Stärkung der demokratischen Kultur und den interkulturellen Austausch in der Gesellschaft ausgerichtet. Das schließt die Auseinandersetzung mit Menschenfeindlichkeit, mit Rassismus und Rechtsextremismus, Diskriminierung und Ausgrenzung ein. Die rasant fortschreitende globale Vernetzung, insbesondere aber die Osterweiterung der Europäischen Union, führen zu mehr Zuwanderung, die wiederum allerorts die bewusste Öffnung für andere Kulturen verlangt. Sachsen bietet als Grenzland vielfältige Möglichkeiten für einen kulturellen und künstlerischen Austausch insbesondere mit Polen und der Tschechischen Republik. Wir befürworten sämtliche Aktivitäten, die das Verständnis für andere Kulturen und ein gedeihliches Nebenund Miteinander verschiedener kultureller Traditionen befördern.

rung von einer Zuwendungs- zu einer Kapitalstiftung an. Im Sächsischen Landtag werden wir auf eine Novellierung des Sorbengesetzes hinwirken. 18. DIE LINKE plädiert für eine demokratische Erinnerungskultur. Das Erinnern ist Teil des politischen Selbstverständnisses der Bürgerinnen und Bürger eines Landes und eine kulturund bildungspolitische Aufgabe, die alle Bereiche von Kunst und Kultur erfasst. Eine kritische Aneignung der Geschichte, insbesondere der nationalsozialistischen Verbrechen (Holocaust), trägt zur Ausbildung einer demokratischen politischen Identität bei. Jedwede Relativierung, Verharmlosung oder gar Nivellierung der Verbrechen des Nationalsozialismus durch die Gleichsetzung mit nach dem Ende des »Dritten Reiches« begangenem Unrecht in der DDR ist abzulehnen. Die in der bisherigen Struktur des Stiftungsrates der Stiftung »Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer der politischen Gewaltherrschaft« angelegte staatlich dominierte Erinnerung ist zugunsten ei-

ner größeren Selbstverantwortung der Zivilgesellschaft und der Betroffenenverbände zurückzunehmen. Die Tätigkeit der Gedenkstättenstiftung »zur Erinnerung an die Opfer der politischen Gewaltherrschaft« wollen wir auf eine neue rechtliche Grundlage stellen. Durch eine Änderung der Konstruktion der Stiftung im Sinne der NS-Opferverbände kann die Arbeitsfähigkeit der Stiftung wiederhergestellt werden. Eine tatsächlich integrale Gedenkstättenarbeit in Sachsen ist zu ermöglichen und für die Zukunft ein Gedenken und Erinnern zu gewährleisten, das dem Verfassungsauftrag aus Artikel 117 der Verfassung des Freistaates Sachsen gerecht wird, die Ursachen individuellen und gesellschaftlichen Versagens in der Vergangenheit aufzuhellen und abzubauen sowie die Folgen verletzter Menschenwürde zu mindern und dabei den Unterschieden zwischen dem von den Nationalsozialisten begangenen Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Einen und den Verstößen gegen Menschenrechte und Repressionen in der DDR zum Anderen, Rechnung zu tragen.

17. Die Bewahrung und Förderung des sorbischen Kulturgutes ist für uns gleichbedeutend mit anderen kulturpolitischen Aufgaben. Deshalb treten wir für eine bedarfsgerechte Finanzierung der »Stiftung des sorbischen Volkes« und anderer sorbischer Organisationen ein. DIE LINKE sieht den Freistaat in der Pflicht, die Institutionen und Projekte zum Erhalt, zur Pflege und Entwicklung der sorbischen Sprache und Kultur mit den Mitteln auszustatten, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nötig sind. Eine Schließung von sorbischen Einrichtungen ist nicht hinnehmbar. Die sächsische LINKE wird sich dafür einsetzen, dass das Finanzierungsabkommen mit dem Bund und dem Land Brandenburg unbefristet gilt und mit dem notwendigen Inflationsausgleich abgeschlossen wird. Langfristig streben wir die Umstrukturie-

Foto Rosa-Luxemburg Stiftung

Entlohnung von Künstlern ein: Es gilt, das Gefälle zwischen den am Tariflohn orientierten und bisweilen darüber hinausgehenden Gagen der großen Theater- und Konzerthäuser, den heute zumeist mit Haustarifverträgen arbeitenden kleineren und mittleren Einrichtungen und den häufig unterbezahlten Arbeitsverhältnissen im Bereich der Freien Träger zu verringern. Tariflohn sollte die Regel und nicht die Ausnahme bei der Bemessung von Künstlergagen sein. Darüber hinaus ist auf Bundesebene eine Reform der Künstlersozialkasse (KSK) längst überfällig, denn derzeit sind all jene Berufsbilder, die künstlerische Tätigkeit verwerten, aber nicht selbst künstlerisch produzieren, von einer Aufnahme in die KSK ausgeschlossen. Ausgeschlossen bleiben auch all jene Kunstschaffenden, die mit ihren Einnahmen die seitens der KSK eingezogenen Einkommensuntergrenze für Versicherte nicht zu erreichen vermögen. Die politische Steuerung hin zu einem stark ausdifferenzierten Markt der Kultur- und Kreativwirtschaft führt zu immer vielfältigeren Berufs- und Betätigungsfeldern und unsteten Erwerbsbiografien. Die Instrumente der sozialen Absicherung, namentlich der KSK müssen dieser Entwicklung Rechnung tragen.

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Kulturkonvent Kultur – Demokratie – Emanzipation Kultur kann die Konflikte dieser Welt nicht lösen. Die sächsische LINKE begreift aber Kultur als wichtige Ressource, die Gesellschaft kritisch zu reflektieren und auf ihre demokratische und emanzipatorische Veränderung zu drängen. Kultur ist »ein Mittel, den gesellschaftlichen Wandel vor Ort zu bewältigen und zu gestalten, in ihm Ideen und Visionen für Gegenwart und Zukunft zu generieren und kommunikative Räume zu eröffnen« (Kristina Volke). Diese Kraft des kulturellen Handelns, die Potenziale der kulturellen Intervention, speziell in Sachsen auszuloten, steht im Mittelpunkt des Konvents. Dabei werden die unbestrittenen Stärken, aber auch die De-

fizite und Schwächen der Kulturpolitik der sächsischen Staatsregierung, unter die Lupe genommen, um unsere entsprechenden programmatischen Dokumente im Dialog mit ganz unterschied lichen Akteurinnen und Akteuren aus der sächsischen Kulturlandschaft weiter zu qualifizieren.

Programm 10.00 Uhr »Der gemeine Sachse«: Politisches Kabarett mit Meigl Hoffmann und Karsten Wolf am Piano 10.20 Uhr Begrüßung: Rico Gebhardt, Landesvorsitzender 10.30 Uhr Grußwort: Michael Faber, Kulturbürgermeister der Stadt Leipzig

Sonnabend, 21. April 2012, 10–17 Uhr Leipziger Central Kabarett Markt 9, 04109 Leipzig Veranstaltung des Landesverbandes Sachsen der Partei DIE LINKE in Medienpartnerschaft mit der Tageszeitung neues deutschland und Radio BLAU, freies Radio für Leipzig

10.40 Uhr Eröffnungsbeiträge: Luc Jochimsen (MdB): Kultur für Alle Dr. Volker Külow (MdL): Vorstellung der Kulturpolitischen Leitlinien 11.30 Uhr Vier Diskussionsforen: 1. Kultur und Arbeit 2. Kultur und Erbe 3. Kultur und Geld 4. Kultur und Provinz

13.00 Uhr Mittagspause 13.45 Uhr Podiumsdiskussion u.a. mit: Prof. Dr. Helmuth Albrecht (Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates für Sächsische Industriekultur); Dr. Bernhard Helmich (Generalintendant Die Theater Chemnitz); JayneAnn Igel (Schriftstellerin, Sprecherin der LAG Kultur DIE LINKE.Sachsen); Meigl Hoffmann (Kabarettist); Dr. Jürgen Ohlau (Präsident des Sächsischen Kultursenats) 15.30 Uhr Lesung und Gespräch mit Daniela Dahn 17.00 Uhr Ende


März 2012

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

ParlamentsReport Kein Plan. Nirgends. – Halbzeit bei Schwarz-Gelb

Es ist gut, dass LINKE, SPD und GRÜNE diesen U-Ausschuss gemeinsam eingesetzt haben. Es ist bedauerlich, dass sich CDU und FDP im Unterschied zu Erfurt und Berlin dieser Aufgabe entzogen haben. Hätte die sächsische Koalition nach Monaten des Bremsens und Blockierens von Aufklärung jetzt wenigstens ein Mindestmaß an Sachlichkeit walten lassen, könnte man manche Konflikte der letzten Monate zu diesem Thema abhaken. So aber wurde von CDU und FDP wider besseres Wissen die NPD als Nutznießerin dieses U-Ausschusses hochstilisiert, obwohl sie mit nur einem Vertreter keinen einzigen Beweisantrag durchbringen kann und die Zeugenvernehmungen dort – im Gegensatz zu den oftmals sicherheitsrelevanten Sitzungen des Innen- und Rechtsausschusses, wo die NPD seit Jahren sitzt – ohnehin öffentlich sind. Doch die demokratische Opposition wird entschlossen aufklären, was Schwarz-Gelb offenbar lieber ver­ tuschen will!

Dr. André Hahn Fraktionsvorsitzender

Abwanderung junger hochqualifizierter Menschen weiter verschärft. Statt Zukunftspotenziale zu fördern hat Schwarz-Gelb die Hand fürs `Mövenpick-Steuerprivileg` gehoben, was Steuerausfälle bringt, während in Sachsen Jugend- und Sozialarbeit zusammengestrichen werden.“ Als weitere Kritikpunkte benannte DIE LINKE u.a. das kostenintensive, arbeitsplatzvernichtende und bürgerfeindliche Standortegesetz („Behördenmonopoly“), die Unterfinanzierung der Hochschulen und das Festhalten an schlecht bezahlten, prekären Beschäftigungsverhältnissen. Und die Planlosigkeit bei der Bekämpfung des Lehrermangels, die unterdessen sogar den Kultusminister hat das Handtuch werfen lassen. „Diese Staatsregierung hat im Unterschied zu allen Kabinetten in Dresden seit 1990 überhaupt keinen Plan, nicht mal einen schlechten“, so das Regierungs-Halbzeitresümee aus Sicht der LINKEN. Foto: efa

auch Sachsen hat jetzt endlich einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des hiesigen Behördenversagens beim Umgang mit dem Neonazi-Terrornetzwerk. Ein Aufatmen ging durch die Öffentlichkeit, als es nach Thüringer Landtag und Deutschem Bundestag auch das sächsische Landesparlament Anfang März geschafft hatte, sich mit einem entsprechenden Gremium in die bundesweiten Bemühungen um Erklärung des scheinbar Unerklärlichen einzubringen: Wie konnte Neonazis von Sachsen aus über ein Jahrzehnt lang unbehelligt mutmaßlich mindestens zehn Morde begehen?

wie das gehen soll, am wenigstens Herr Tillich selbst.“ In Verlauf seiner Rede kritisierte André Hahn u.a. die Blockadehaltung der Regierung bei der Aufklärung der Mordserie des NSU und die Lächerlichkeit „sächsischer Demokratie“ a la 13. Februar in Dresden: „Eine vorm Verfassungsgericht gescheiterte bundesweit einmalige Versammlungsgesetz-Verschärfung, der für rechtswidrig erklärte Polizeieinsatz im Dresdner Haus der Begegnung und die umstrittene Erfassung von mehr als einer Million Handydaten stehen für den Versuch massiven Grundrechtsabbaus unter Beteiligung eines FDP-Justizministers“, so Hahn. Wirtschaftsminister Morlok (FDP) ist für Hahn ein „Totalausfall“, von dem nur zwei Dinge übrig bleiben werden: Erfolglose Werbung um Rückkehrer mit Eierschecken und eine maßlos überteuerte Schreibtischlampe: „Die unter Schwarz-Gelb fortgesetzte Niedriglohnstrategie hat die

LINKE Bundespräsidenten-Kandidatin Klarsfeld in Dresden Die Kandidatin der LINKEN für das Amt der Bundespräsidentin, die international bekannte und geachtete Antifaschistin Beate Klarsfeld, besuchte im Vorfeld der Bundespräsidentenwahl Sachsens Landeshauptstadt. Mit Ihrem Besuch folgte

die 73-Jährige der Einladung sächsischer LINKER Politiker/innen vom Stadt- und Landesverband. Aus der Landtagsfraktion DIE LINKE begleiteten Fraktionsvorsitzender Dr. André Hahn und Annekatrin Klepsch, Vize-Fraktionschefin und

Ko-Stadtvorsitzende in Dresden, die Deutsch-Französin auf ihrer Stippvisite, bei der sie die Jüdischen Gemeinde besuchte, an der Gedenktafel zur Erinnerung an die Deportation der Dresdner Juden am Neustädter Bahnhof Blumen niederlegte und eine Gesprächsrunde im Kino „Casablanca“ bestritt. In der Synagoge fand die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Nora Goldenbogen herzliche Worte für die als „Nazi­ jägerin“ bekannte Persönlichkeit.

Foto: DIE LINKE Sachsen

Liebe Leserinnen und Leser!

Kurz nachdem Stanislaw Tillich per Regierungserklärung („Moderne Heimat – Sachsen hat Zukunft“) die Errungenschaften von Schwarz-Gelb gelobpreist hatte, beschied eine aktuelle Meinungsumfrage der CDU/ FDP-Koalition den Verlust ihrer Regierungsmehrheit. Nach zweieinhalb Jahren Schwarz-Gelb würden nur noch 45 Prozent (CDU 43 %, FDP: 2 %) diese Regierung wählen. Klarer hätte eine Bestätigung der Kritik der LINKEN an der rosaroten Zwischenbilanz der Staatsregierung kaum ausfallen können. Dr. André Hahn, der für die LINKE auf Tillichs wenig souverän vorgetragene Halbzeitbilanz erwiderte, entlarvte den schwarz-gelbe Koalitionsvertrag nach einem Abgleich von „Soll“ und „Haben“ als Makulatur: „Die einzigen greifbaren Effekte dieser Koalition sind die Möglichkeit, sonntags Videos ausleihen und Auto waschen zu können und ein Behörden-Umzugszirkus, der zunächst Umbaumaßnahmen in dreistelliger Millionenhöhe verursacht, während Einspareffekte ungewiss sind. Drei Minister von Schlüsselressorts – Kultur, Inneres sowie Wissenschaft und Kunst – stehen vor dem Offenbarungseid, weil es zu wenige Lehrer/innen, zu wenige Polizist/innen und zu wenige Lehrkräfte an Hochschulen gibt. Der Ministerpräsident nimmt nie seine `Richtlinienkompetenz` wahr, um eine Lösung der Probleme voranzubringen. Seine einzige Vorgabe war: Bis Ende des Jahrzehnts 70.000 Landesbedienstete, also ein Fünftel weniger. Niemand in der Regierung weiß offenbar,

Sieben Wahlmänner und –frauen hatte die Linksfraktion zur Bundespräsidentenwahl entsandt, darunter Kandidatin Beate Klarsfeld, die Sprecherin des Landesverbandes Sachsen VVN-BdA Regina Elsner und Anni Fischer, Sprecherin der Konferenz Sächsischer Studierendenschaften (KSS).

v.l.n.r.: Dr. André Hahn, Katja Kipping, Annekatrin Klepsch, Beate Klarsfeld, Caren Lay, Nora Goldenbogen


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PARLAMENTSREPORT

März 2012

Dass FDP und LINKE mal ein- und dieselbe Forderung erheben würden, schien bis zu dem von der Bundes-FDP ausgehenden Ruf nach Abschaffung der Praxisgebühr unwahrscheinlich. Doch während die Bundes-Gelben via Internet sogar Stimmen gegen die PraxisMaut sammeln, hält die SachsenFDP tapfer dagegen und stimmte im Plenum gegen den Antrag der LINKEN, der die ersatzlose Streichung der unsinnigen Gebühr fordert. (Drucksache 5/0819).

© Susanne Pesak / PIXELIO

Kerstin Lauterbach, gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion, nannte die Praxisgebühr „ein

unsägliches Bürokratiemonster“ und kritisierte, dass damit den gut ausgebildeten Krankenschwestern bislang rund 8,3 Mio. Arbeitsstunden „beschert“ wurden, in denen sie Verwaltungsaufgaben erledigen „durften“, statt sich um die Patienten zu kümmern. „Die Praxisgebühr führt weder zu weniger Arztbesuchen noch zu mehr Gesundheitsbewusstsein. Die Zahl der Überweisungen ist sogar um mehr als 40 Prozent gestiegen. Die propagierte Steuerungswirkung der Praxisgebühr ist nicht eingetreten, deshalb muss man über das Thema reden“, begründete Lauterbach den Antrag unserer Fraktion vorm Plenum.

Dem begegnete Gesundheitsmi nisterin Christine Clauß (CDU) mit der Aussage, die Reser ven müssten als Rücklage für schlechtere Zeiten gehütet werden. Mit „Reserven“ meint Clauß die fast 20 Mrd. Euro, die die Krankenkassen seit der Umwidmung der Praxis­ tresen zu Kassenhäuschen gehortet haben und von denen eine Woche lang alle Leistungen im Gesundheitswesen bezahlt werden könnten. „Bundesgesundheitsminister Bahr will das finanzielle Polster aber nicht für Beitragssenkungen verwenden und Finanzminister Schäuble möchte lieber die Zuschüsse von 14 Mrd. Euro zur Gesetzlichen Krankenversicherung im Haushalt 2013 um zwei Mrd. Euro kürzen. Das wär genau die Summe, die den Versicherten mit der Abschaffung der Praxisgebühr zugutekommen könnte. Wie gesagt, könnte, denn nun soll das finanzielle Polster zum Schuldenabbau im Bund herhalten. Die Gelackmeierten sind mal wieder die Versicherten. „Das Solidaritätsprinzip ist ausgehebelt. Die paritätische Verteilung der Kosten ist längst Geschichte. Zuzahlungen zu

© Karin Jähne / PIXELIO

Weg mit der Praxisgebühr? Nicht mit Schwarz-Gelb in Sachsen.

Rezepten, Krankenhausbehandlungen, Zahnersatz u. ä. schröpfen Versicherte zusätzlich“, resümiert Lauterbach. Auf die Anmerkung von Landes­ gesundheitsministerin Clauß, es sei statistisch nicht nachzuweisen, dass arme Menschen aufgrund der Praxisgebühr weniger zum Arzt gingen, empfahl Kerstin Lauterbach der CDU-Politikerin, den Betroffenen ins Gesicht und vor allem auf die Zähne zu schauen: „Dann können sie es sehen. Dafür brauchen sie keine Statistik.“ Die Linksfraktion forderte die Staatsregierung auf, sich im Bundesrat und gegenüber der Bundesregierung auf jede geeignete Weise dafür einzusetzen, dass die Praxisgebühr ersatzlos gestrichen wird. Der LINKE Antrag wurde mit schwarz-gelber Landtagsmehrheit abgelehnt.

Hinter dem wenig spektakulären Antragstitel „Personalpolitik der Sächsischen Staatskanzlei bei Spitzenbeamten auf dem Prüfstand“ (Drucksache 5/7283), den die Linksfraktion auf die Tagesordnung der 51. Plenartagung setzen ließ, verbarg sich ein für die Staatsregierung peinlich-brisantes Thema. Ende 2009 hatte der frühere Europaparlamentarier und heutige Ministerpräsident Sachsens, Stanislaw Tillich, das ehemalige Mitglied des Vorstands der Europäischen Volkspartei (EVP), Johann-Adolf Cohausz – mittlerweile Generalkonsul in Dubai per „Handschlagvertrag“ als Regierungssprecher in den Freistaat geholt. „Die mehrjährige gemeinsame Zugehörigkeit der Herren zum EVP-Vorstand war offenbar das parteipolitische Fundament dieses Handschlags, denn fachliche Gründe sind bis heute nicht erkennbar“, vermutet der haushalts- und

finanzpolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE, Sebastian Scheel.

ist: „Dieses Video belegt zudem, dass die aufwändige Schulung null Effekt gezeitigt hat.“

Statt mit geschliffenen Medieninformationen machte der einstige Generalkonsul im Vorjahr mit einer Medienschulung für 4.500 Euro pro Tag von sich reden. „Nach dem Maßstab der sächsischen Richtlinie zum Weiterbildungsscheck hätte Cohausz infolge seines fast fünfstelligen Monatseinkommens diese Schulung komplett selbst finanzieren müssen. Stattdessen spendierte die Staatskanzlei hundert Prozent der Aufwendungen dieses völlig überteuerten Kurses. Offenbar wollte Herr Tillich mit einem `Weisen aus dem Morgenland` ein bisschen Glanz in sein dröges Herumverwalten bringen“, lästerte Scheel und verwies zugleich auf das aktuelle Youtube-Video mit Cohausz, das im Rahmen des „Dialogs für Sachsen“ im Web abrufbar

Der Hauptdarsteller des Clips ist nach Scheels Überzeugung offenkundig weder als Sprecher, Staatssekretär noch als Werbe­ träger geeignet, weshalb „Herr Tillich seine spektakulärste Fehl­investition wieder zurück in die Wüste schicken“ sollte. „Es sei denn“, merkt der LINKE Haushaltspolitiker noch an, „der Ministerpräsident steht nach eigenem Selbstverständnis nicht einem Kabinett, sondern einem Kabarett vor“ …

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Peinlich, Peinlicher, Cohausz


März 2012

PARLAMENTSREPORT

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Tigerenten-Koalition ruiniert Sachsens Hochschulen Gerhard Besier, Hochschulprofessor und leidenschaftlicher Analytiker, prophezeit Sachsens Hochschulen schwere Zeiten. Grund: die politische Zick-Zack-Tour von Schwarz-Gelb.

ten ab und zögern die notwendigen Entscheidungen hinaus.“ Prof. Besier kennzeichnet Sachsens Hochschulpolitik als „konzeptionslos“ und auf „ Zick-Zack-Kurs“: Einerseits wirbt der Freistaat bundesweit um Studenten, auf der anderen Seite hält das Land an den geplanten Stellenstreichungen fest und schwächt damit die Hochschulen. „Wenn die schwarz-gelbe Staatsregierung so weitermacht, dann werden keine auswärtigen Studierenden mehr kommen, und die sächsischen Abiturienten werden ebenfalls das Weite suchen. Die Spitzenkräfte werden Sachsen verlassen und in jene Länder gehen, die ihre Hochschulen besser ausstatten und ihre Professoren anständig bezahlen. Dann ist die sächsische Universitätslandschaft wirklich ruiniert“, mahnt Besier.

Foto: efa

In seiner Rede zur Aktuellen Debatte auf Antrag der LINKEN („Keine akademische Flickschusterei in Sachsen – Hochschulen bedarfsorientiert finanzieren“) in der 51. Landtagssitzung kritisierte Besier, dass die Staatsregierung trotzt steigender Studierendenzahlen an ihrem Sparkurs festhält, ohne dies faktengestützt zu kommunizieren oder gar gemeinsam mit den Hochschulen zu evaluieren: „Wenn die Wirtschaftskraft des Freistaates es nach Auffassung dieser Staatsregierung nicht zulässt, die 15 Hochschulen ausreichend zu finanzieren, dann muss sie handeln. Das tut sie aber nicht, son-

dern sie zögert das Unvermeidliche hinaus und bringt es dadurch fertig, die sächsischen Hochschulen im nationalen Wettbewerb immer weiter nach unten zu drücken.“ Direkt an die Staatsregierung gewandt, fordert Besier: „Wenn Sie wirklich zu ihrer unerbittlichen Sparpolitik stehen wollen, dann müssen sie harte Einschnitte vornehmen und den Wählern erklären, warum es für Sie wichtiger ist zu sparen, als die Hochschulen an die nationale Spitze zu bringen. Oder Sie müssen den Wählern erklären, dass Sie beschlossen haben, die Kapazitäten um ein Drittel zu reduzieren, also Hochschulen zu fusionieren, zu schließen, umzustrukturieren, so dass am Ende sehr viel weniger Studienplätze und Forschungsstätten übrig bleiben – allerdings könnten die dann ausreichend finanziert werden. Aber Sie tun eben weder das Eine, noch das andere, sie war-

Westsächsische Hochschule Zwickau

Staatsregierung ignoriert Datenschutzbeauftragten Am 8. März nahm der Landtag erstmals öffentlich Stellung zum Sonderbericht des Datenschutzbeauftragten zu den Dresdner Funkzellenabfragen vom Februar vergangenen Jahres. Für DIE LINKE forderte die Sprecherin für Datenschutz, Julia Bonk (Foto), dass alle von der Ausspähung Betroffenen zu benachrichtigen sind. Die Staatsanwaltschaft will maximal die rund 700 Personen, die einen Auskunftsantrag zur unverhältnismäßigen Handydaten-Rasterfahndung

gestellt haben, über die Erfassung oder Nicht-Erfassung ihrer Daten informieren. „Das läuft der Forderung des Datenschutzbeauftragten zuwider. Wie diese sind viele der in seinem Bericht enthaltenen Forderungen noch nicht umgesetzt“, kritisierte Bonk. Zu der zum Zeitpunkt des Berichts noch nicht bekannten 48 - Stunden - Üb erwachung am Haus

der Begegnung fordert DIE LINKE einen weiteren Sonderbericht und kündigte an, die Unrechtmäßigkeit dieses Einsatzes vor Gericht feststellen zu lassen. DIE LINKE setzt sich mit einem eigenen Gesetzesvorschlag für die Stärkung der Rechte des Datenschutzbeauftragten und seine wirkliche Unabhängigkeit ein.

Plenarspiegel März 2012 Am 5. und 6. März 2012 fand die 51. und 52. Sitzung des Sächsischen Landtags statt. Folgende parlamentarische Initiativen wurden von der Fraktion DIE LINKE eingebracht: Dringlicher Antrag (DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Thema: „Untersuchung möglicher Versäumnisse und etwaigen Fehlverhaltens der Staatsregierung und der ihrer Fach-, Rechts- und Dienstaufsicht unterliegenden Sicherheits-, Justiz-, Kommunal- und sonstigen Behörden im Freistaat Sachsen beim Umgang mit der als ‚Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)‘ bezeichneten neonazistischen Terrorgruppe, deren personell-organisatorischem Umfeld und etwaigen Unterstützernetzwerken, insbesondere im Hinblick auf ihre Entstehung, Entwicklung und ihr Agieren in bzw. von Sachsen aus sowie bei der Aufklärung, Verfolgung und Verhinderung der der Terrorgruppe ‚NSU‘ und ggf. den mit ihr verbundenen Netzwerken zurechenbaren Straftaten und der Schlussfolgerungen hieraus (Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen)“(Drs 5/8497) Aktuelle Debatte: Keine akademische Flickschusterei in Sachsen – Hochschulen bedarfsorientiert finanzieren Anträge: – Personalpolitik der Sächsischen Staatskanzlei bei Spitzenbeamten auf den Prüfstand – Rechnungshofgutachten nach § 88 Abs. 3 SäHO (Drs 5/7283) – Ersatzlose Streichung der Praxisgebühr (Drs 5/0819) In den Landtagsausschüssen wurden sieben Anträge der LINKEN behandelt, darunter drei zur Vorgehensweise staatlicher Stellen im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Naziaufmärsche am 13./19. Februar 2011 in Dresden (Drs 5/6538, 5/5082,5/6286). Drucksachen (Drs) und Rede­beiträge unter www.linksfraktion- sachsen.de


PARLAMENTSREPORT

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März 2012

Drei ungleiche sächsische Schwestern: Chemnitz, Leipzig und Dresden Fünf Jahre nach der ersten vergleichenden Betrachtung der drei sächsischen Großstädte Leipzig, Chemnitz und Dresden hat der Sozialexperte der LINKEN Landtagsfraktion Dr. Dietmar Pellmann eine aktualisierte Fassung seiner Aufsehen erregenden Sozialvergleichs-Studie vorgelegt. Gemeinsam mit Dr. Barbara Höll, der Sprecherin für Steuerpolitik der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag, stellte Pellmann seine AnalyseErgebnisse unlängst vor und konstatierte: „Leipzig ist noch immer Sachsens Armutshauptstadt, Chemnitz ist zur deutschen Seniorenhochburg aufgestiegen und Dresden geht’s von allen am besten.“ Bei seinen Recherchen stützte sich Pellmann ausschließlich auf

MdB Dr. Barbara Höll

öffentlich zugängliches und von neutraler Stelle erstelltes Datenmaterial. Die Schlussfolgerungen nach den Zahlen jedoch folgen LINKER Sozialpolitik und sind ein Gegenentwurf zum System von parteipolitisch und ideologisch motivierter Bevorzugung und Benachteiligung, in deren Folge die aufgedeckten sozialen Schieflagen erst möglich wurden. Zur Erarbeitung der Vergleichsstudie betrachtete Pellmann folgende Bereiche: Arbeitsmarkt und Beschäftigung, Bevölkerungsentwicklung, Einkommensverhältnisse, Gesundheitswesen, Hartz IV, Haushalt und Fördermittel, Kinder und Jugend sowie Sozialhilfe. Die Wichtung aller Bereiche führt schließlich zum sog.

MdL Dr. Dietmar Pellmann

Sozialranking, nachdem Leipzig wie schon 2007 die sächsische Großstadt mit den gravierendsten sozialen Problemen bleibt. „In Chemnitz lebt inzwischen zwar die älteste Bevölkerung, hinsichtlich wichtiger sozialer Bereiche hat die Stadt in den letzten Jahren aber aufgeholt. Dresden wiederum hat nach wie vor die günstigste Entwicklungsperspektive, selbst wenn auch hier die Zahl derer, die als arm gelten, zugenommen hat“, fasst Dr. Pellmann zusammen. Die neue Vergleichs-Studie kann für politische Entscheidungsträger sowohl auf Landesebene als auch in den drei Städten von Wert sein, insbesondere weil das Soziale im weitesten Sinne betrachtet wird. „Nun wäre es freilich wünschenswert, wenn es auch einmal zu einem Sozialvergleich der Landkreise käme. Das wäre aber angesichts des erheblich größeren Aufwandes im Vergleich zu dem bereits sehr anspruchsvollen Projekt des Großstadt-Vergleichs vielleicht wirklich einmal was für die Mitarbeiter-Stäbe der Ministerien, die zahlenmäßig die personellen Ressourcen einzelner Abgeordneten bzw. einer Landtagsfraktion weit in den Schatten stellen“, regt Pellmann an.

Mehr Bürgerbeteiligung in den Kommunen

„Grundlage der kommunalen Selbstverwaltung ist, die Einwohnerinnen und Einwohner aktiv in die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens einzubeziehen. Je stärker eine Kommune ihre Bürgerinnen und Bürger an kommunalpolitischen Entscheidungen beteiligt, desto lebendiger und erfolgreicher ist ihre Kommunalpolitik“, umreißt Marion Junge, Fraktionssprecherin für Kommunalpolitik, das Veranstaltungsmotiv. DIE LINKE beobachtet, dass parlamentarische Entscheidungen zunehmend in nichtöffentlichen Lobbyrunden verhandelt werden und die Kommunal-Parlamente diesen schlussendlich nur noch zuzustimmen haben. „Diese Entmachtung der Parlamente führt zum langsa-

men Sterben der Demokratie. Die Kommunen müssen dafür Sorge tragen, dass sich die Einwohnerinnen und Einwohner wieder mehr in die politischen und gesellschaftlichen Prozesse einbringen und an kommunalen Entscheidungen beteiligt werden. Dazu müssen die jetzt Verantwortlichen umdenken: Weg vom elitären Führungsanspruch – hin zur Bürgerkommune“, so Marion Junge. Die Fraktion DIE LINKE will den Prozess der Demokratisierung der Gesellschaft befördern und begleiten und hat in einem ers-

ten Schritt eine Handreichung zum Thema erarbeitet. Unter dem Titel „Kommunen stärken durch Einwohner-Mitbestimmung!“ werden Schritte auf dem Weg zur Bürgerkommune aufgezeigt und ihr Leitbild und ihre Merkmale umrissen. Als ein Beispiel zur Verankerung von Angeboten und Maßnahmen zur Bürgerbeteiligung wurde die aktuelle Hauptsatzung der Stadt Borna in die Broschüre aufgenommen. Download unter w w w.linksfraktionsachsen.de. (Publikationen,Broschüren)

Vorstandswahl im Juli Die Fraktion hat am 6. März 2012 einstimmig beschlossen, die zur Halbzeit der Legislatur anstehende Neuwahl des Fraktionsvorstandes auf Juli zu vertagen. Hintergrund sind noch ausstehende Klärungen zur Arbeitsstruktur und personellen Aufstellung der Fraktion mit Blick auf die Landtagswahlen 2014. In der Diskussion ist auch ein Wechsel des Fraktionsvorsitzenden Dr. André Hahn in den Deutschen Bundestag. Wenn die Partei so entscheiden sollte, hätte dies natürlich Auswirkungen auf die künftige Fraktionsspitze. André Hahn und Landesvorsitzender Rico Gebhardt wurden beauftragt, Gespräche mit den Gremien zu führen und bis Juli einen gemeinsamen Vorschlag zu erarbeiten.

Impressum

© Gerd Altmann / PIXELIO

Wie ist es zu schaffen, dass mehr Einwohnerinnen und Einwohner bei der Gestaltung des kommunalen Lebens mitwirken und sich in kommunale Entscheidungen einbringen? Dieser Frage gingen Kommunalpolitiker/innen aus ganz Sachsen im Rahmen des 3. Kommunalpolitischen Gespräches nach, zu dem die Linksfraktion am 20. März nach Dresden eigeladen hatte.

Die Studie „Die ungleichen sächsischen Schwestern – ein Sozialvergleich zwischen Chemnitz, Leipzig und Dresden“ kann unter w w w.links fr ak tionsachsen.de (Publikationen, Broschüren) heruntergeladen oder bei der Landtagsfraktion DIE LINKE (Adresse s. Impressum) bestellt werden.

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Fax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Elke Fahr


Kommunal-Info 3-2012 28. März 2012 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Akteneinsicht Zum Recht der Akteneinsicht durch den Gemeinderat Seite 2

Wasserversorgung Nachhaltigkeit und Öffentliche Wasserwirtschaft - eine Tagung der AöW in Berlin Seite 3

Zinsderivate Sachsen verbietet seinen Kommunen den Abschluss spekulativer Zinsderivate

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Veranstaltungen Ausgleichsbeträge in Sanierungsgebieten

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Kein kostenloses Parken mehr? Kostenlose Stellplätze wird es in den Innenstädten nicht mehr geben Stadtentwicklung durch Parkraummanagement

Die großen städtischen Straßen sind nicht nur Verkehrsadern, sondern gleichzeitig Lebensraum, Wohnstätte, Einkaufs-, Flaniermeile und städtebauliches Aushängeschild. Als Hauptverkehrsstraßen werden sie viel zu oft vom Autoverkehr dominiert und zugeparkt, während der Platz für Fußgänger, örtliche Geschäfte, Gastronomie, Grün und Kunst nicht ausreicht. Priorität sollten gerechte Mobilitätschancen für alle haben, die Aufenthaltsqualität von Straßen und Plätzen, die Erreichbarkeit von Geschäften und Quartieren und nicht die einseitige Privilegierung des Autoverkehrs. Die Vermeidung und Verlagerung von Verkehr – verbunden mit einer Reduktion des Autoverkehrs – sind Ziele vieler kommunaler Verkehrsentwicklungspläne.

Parksuchverkehr trotz freier Stellplätze

In den vergangenen Jahrzehnten hat der Bau von Hoch- und Tiefgaragen mit der Zunahme des Autoverkehrs Schritt gehalten. Die kommunalen Parkleitsysteme zeigen täglich an, dass Parkhäuser leer stehen. Private Garagen und Stellplätze sind tagsüber oder am Wochenende oft ungenutzt. Gleichzeitig hält die Nachfrage nach oberirdischem Parkraum an. Selbst dort, wo Parkhäuser ausgewiesen sind, kommt es zu überflüssigem Parksuchverkehr. In unbewirtschafteten Gebieten fahnden Parkplatzsuchende zunächst nach

kostenlosen Parkplätzen und erst danach nach kostenpflichtigen Stellplätzen oder sie parken falsch. Falschparker schränken den Raum der Fußgänger ein, behindern alte Menschen und Kinder, die an der Hand geführt werden. Wo parkende Autos die Sicht blockieren, gefährdet dies Radfahrer und Fußgänger. Verstopfte Straßen behindern Notdienste und erschweren das Laden und Liefern. Seit den 1930er Jahren gibt es in Deutschland einen – aus heutiger Sicht unbefriedigenden – gesetzlichen Rahmen für die Parkraumpolitik. Bis zur Gründerzeit wurden die meisten Gebäude ohne Stellplatz gebaut, neuere Immobilien verfügen über Stellplätze auf privatem Grund. Die Reichsgaragenordnung von 1939 regelte erstmals die Stellplatzpflicht beim Neubau, heute steht diese in den Landesbauordnungen, verbunden mit der Möglichkeit, nicht gebaute Stellplätze abzulösen. Die Regelung hat vielerorts zu einem Überangebot geführt. In einigen größeren Städten mit verkehrsbelasteten Gebieten und guten öffentlichen Verkehrsmitteln (z.B. Hamburg, München und Frankfurt a.M.) wird der Stellplatzbau beschränkt. Da Stellplätze auch Verkehr erzeugen können, ist darüber nachzudenken, eine Überzahl an Plätzen mit einer Verkehrsabgabe zu belegen.

Die Privilegierung des Parkens ist überholt

Seit 1934 gilt Parken als privilegierte Nutzung („Gemeingebrauch“). Nach dem Straßen- und Wegerecht der Länder als auch der StVO des Bundes kann jeder im Rahmen der Verkehrsvorschriften sein Kfz im öffentlichen Straßenland kostenlos abstellen. Andere genehmigungsfreie Nutzungen

(wie z.B. Aufenthalt und Kinderspiel in verkehrsberuhigten Bereichen) werden dadurch eingeschränkt. Ausnahmen sind Busspuren, Fahrradstraßen und Radwege, reservierte Plätze für Behinderte, für den öffentlichen Verkehr und für Taxis sowie die Bevorzugung von Anwohnern. Probleme gibt es auch bei der Ausweisung von Stellplätzen für Carsharing, an elektrischen Ladestationen für Batterieautos und Fahrradabstellplätze, weil eine offensive Auslegung der Straßenverkehrsordnung in der Praxis immer noch selten und durch Gerichtsentscheidungen erschwert und behindert wurde. Ziel sollte die Gleichstellung der Straßennutzungen sein.

Kfz-Stellplätze nicht unter Wert anbieten

Auch die verkehrsrechtlichen Grundlagen der Parkraumbewirtschaftung sind seit Jahrzehnten unzureichend. Dazu gehören die Beschilderung und besonders die Höhe der Bußgelder. Mittlerweile ist eine gesetzliche Regelung für Parkraumzonen wieder in Sicht. Ein Entwurf für den 2012 geplanten Neuerlass der StVO sieht (wie bereits 2009 die für nichtig erklärte 46. StVO-Novelle) die Einführung einer Zonenregelung zur flächenhaften Parkraumbewirtschaftung vor. Dadurch soll auch die häufig kritisierte zu hohe Anzahl eingesetzter Verkehrszeichen reduziert werden. Gemessen an den innerstädtischen Grundstückspreisen sind die Gebühren für das Parken von Kfz auf öffentlichem Straßenland viel zu gering. Anwohnerparkausweise dürfen nur gegen eine Verwaltungsgebühr ausgegeben werden. Zwar gibt es – auch wegen der niedrigen Parkgebühren – eine Beziehung zwischen Kontrollintensität,

Sanktionen und Befolgung, aber die lokale Praxis verhindert oft, dass Städte die wirtschaftlich effiziente Strategie wählen. Nur wo ausreichend überwacht wird, bleibt die Zahl der Falschparker niedrig. Höhere Parkgebühren würden die Nutzung privater Garagen fördern, von denen viele halbleer sind, weil das Angebot die Nachfrage übersteigt. Statt Batterieautos, wie aktuell gefordert, an Ladestellen auf der Straße von Parkgebühren zu befreien, sollten die Ladestellen in den Parkhäusern genutzt werden. An zentralen Orten einiger Großstädte ist die Parkgebühr für zwei Stunden bereits höher als das Bußgeld. Um den Autoverkehr gegenüber dem öffentlichen Verkehr nicht weiter zu privilegieren, sollten die Gebühren für innerstädtisches Falschparken mindestens genauso hoch sein wie beim Schwarzfahren im öffentlichen Verkehr: 40 Euro. Ablösebeiträge und Kfz-Parkgebühren für Fahrradparkplätze nutzen Vor dem Hintergrund der zu erwartenden Zunahme des Radverkehrs wächst auch der Bedarf an Flächen für das Fahrradparken. Fehlende Möglichkeiten zu sicherem und wettergeschütztem Parken führen dazu, dass moderne Elektrozweiräder und andere hochwertige Fahrräder wegen der Diebstahlgefahr im Zweifel nicht genutzt werden. Innenstädte brauchen für unterschiedlichen Bedarf passende Lösungen für das Fahrradparken. Um den steigenden Bedarf an zentralen und dezentralen Abstellanlagen zu decken, sind z.B. auch Quartiergaragen und Fahrradstationen erforderlich. Zur Finanzierung können Ablösebeiträge und (Kfz-)Parkgebühren zweckgebunden Fortsetzung auf Seite 3


Kommunal-Info  3/2012

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Das Recht auf Akteneinsicht „Bürgermeister hält Informationen zurück, Akteneinsicht soll Licht ins Dunkel bringen“,

so oder ähnlich lauten gelegentlich die Schlagzeilen in der Lokalpresse, wenn sich Gemeinderäte unzureichend informiert wähnen. Das Recht auf Akteneinsicht ist deshalb ein besonderer Fall und das letzte Mittel, wie der Gemeinderat an Informationen über wichtige Gemeindeangelegenheiten gelangen kann. Denn eines ist klar: ein aufwändiges Aktenstudium gehört wahrlich nicht zu den fröhlichsten Freizeitbeschäftigungen eines ehrenamtlichen Kommunalpolitikers. Das Recht auf Akteneinsicht steht jedoch nicht dem einzelnen Gemeinderat zu, sondern ein Viertel der Gemeinderäte (Mindestquorum) kann nach § 28 Abs. 4 der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO) verlangen, dass der Bürgermeister dem Gemeinderat oder einem vom Gemeinderat bestellten Ausschuss die Akteneinsicht gewährt.1

Minderheitenrecht Bei dem Minderheitenrecht auf Akteneinsicht ist von der Zahl der im Gemeinderat tatsächlich besetzten Sitze (der Istzahl) auszugehen. Der Bürgermeister ist dabei nicht mitzurechnen, obgleich er ansonsten ein Stimmrecht in Sitzungen hat. Anträge können innerhalb oder außerhalb von Sitzungen gestellt werden. Außerhalb von Sitzungen gestellte Anträge sind wegen des Nachweises des erforderlichen Quorums schriftlich zu stellen und von den Antragstellern zu unterzeichnen, die Unterschrift von Fraktionsvorsitzenden genügt dazu nicht. Der Antrag ist an den Bürgermeister zustellen, dabei sind die Angelegenheit der Akteneinsicht bzw. der Umfang der verlangten Akteneinsichtnahme zu benennen. In der Angelegenheit befangene Gemeinderäte dürfen einen Antrag auf Akteneinsicht nicht stellen und dabei auch nicht mitwirken. Ist ein Antrag auf Akteneinsicht mit dem erforderlichen Mindestquorum gestellt worden, dann steht der Bürgermeister in der Pflicht, zu der betreffenden Angelegenheit die entsprechende Einsicht zu gewähren und die nötigen Voraussetzungen zu schaffen. Die Akteneinsicht kann nicht im Umlaufverfahren erfolgen.2 Der Bürgermeister entscheidet darüber, wo die Akten eingesehen werden3, in der Regel wird das in den Räumen der Gemeindeverwaltung geschehen. Das Herstellen und Überlassen von Fotokopien oder Abschriften gehört nicht zum Akteneinsichtsrecht, jedoch ist den Einsichtnehmenden gestattet, sich insoweit Notizen zu machen, als dies für ihre spätere Berichterstattung dem Gemeinderat gegenüber erforderlich ist. Ausschuss zur Akteneinsicht Die Einsichtnahme in die Akten steht nicht nur dem Quorum der An-

trag stellenden Gemeinderäte zu, sondern dem gesamten Gemeinderat. Wenn der Gemeinderat jedoch beschließt, dafür einen besonderen Ausschuss („Untersuchungsausschuss“) zu bestellen oder einen bestehenden

terschiede. Um Missverständnisse zu vermeiden, werden daher auf kommunaler Ebene die Bezeichnungen „Akteneinsichtsausschuss“ oder „besonderer Ausschuss zur Akteneinsicht“ gewählt.

Zu den Beratungen können jedoch sachkundige Einwohner und Sachverständige hinzugezogen werden. Und schließlich: der Akteneinsichtsausschuss kann als beratender Ausschuss nichts beschließen, er kann

Ausschuss damit zu betrauen, dann nimmt dieser das Akteneinsichtsrecht für den gesamten Gemeinderat wahr. Die Bestellung des Ausschusses liegt nicht in den Händen der Antrag stellenden Minderheit, sondern muss vom Gemeinderat durch Beschluss herbeigeführt werden. Bei dieser Beschlussfassung hat der Bürgermeister das Stimmrecht, sofern nicht § 20 SächsGemO (Ausschluss wegen Befangenheit) greift. Wird ein besonderer Ausschuss bestellt, handelt es sich in der Regel um einen zeitweiligen beratenden Ausschuss, auf ihn findet § 43 SächsGemO (Beratende Ausschüsse) Anwendung. In dem Ausschuss müssen die Antragssteller zumindest mit einer Person vertreten sein, damit die Minderheitenrechte gewahrt bleiben. Das gilt auch dann, wenn ein bereits bestehender Ausschuss mit der Akteneinsicht betraut wird. Die Bildung eines besonderen (zeitweiligen beratenden) Ausschusses kann durch einfachen Beschluss ohne Hauptsatzungsregelung erfolgen. Die Zusammensetzung des Akteneinsichtsausschusses erfolgt nach § 42 SächsGemO wie für beschließende Ausschüsse. Der Vorsitzende des Akteneinsichtsausschusses kann aus seiner Mitte gewählt werden. Sollte ein beschließender Ausschuss die Aufgabe des Akteneinsichtsausschusses übernehmen, wäre nach §§ 36 Abs. 1 und 41 Abs. 5 der Bürgermeister der Vorsitzende.

Der Akteneinsichtsausschuss muss einen fest umrissenen Auftrag erhalten und sich auf eine bestimmte Angelegenheit beschränken. Eine dauernde oder inhaltlich nicht beschränkte Einsichtnahme bzw. die Bestellung eines Ausschusses für „allgemeine Akteneinsicht“ wäre unzulässig. Der kommunale Akteneinsichtsausschuss kann nur das Verhältnis zwischen Gemeinderat und dem/ Verwaltung zum Gegenstand haben. Dem Ausschuss stehen nur die Akten der jeweiligen Gemeindeverwaltung zu. Andere Behörden oder Gerichte sind nicht verpflichtet, Auskünfte zu erteilen oder Beweiserhebungsersuchen nachzukommen. Ebenso stehen dem Akteneinsichtsausschuss keine Befugnisse nach Strafprozessordnung zu, er kann z.B. keine Zeugeneinvernahme durchführen oder gar Sanktionen oder Strafmaßnahmen gegen Personen verhängen. Angesichts des umfassenden Kontrollrechts des Gemeinderats nach § 28 Abs. 2 SächsGemO kann davon ausgegangen werden, dass sich das Akteneinsichtsrecht grundsätzlich auch auf Pflichtaufgaben nach Weisung erstreckt.4 Die Einsichtnahme kann auch bei datenschutzrechtlich sensiblen Akten, z. B. Personalakten, Steuerakten, Akten von Sozialhilfebeziehern u. ä. grundsätzlich nicht verweigert werden.5 Für die hier mit der Akteneinsicht befassten Gemeinderäte gilt es aber, die Verschwiegenheitspflicht nach § 19 Abs. 2 SächsGemO einzuhalten. Im übrigen gelten für den besonderen Ausschuss die Regelungen des beratenden Ausschusses nach § 43 Abs. 2 SächsGemO: die Sitzungen sind grundsätzlich nichtöffentlich.

auf der Basis der Akteneinsicht untersuchen, er kann dazu beraten, ggf. vor dem Gemeinderat berichten und Empfehlungen aussprechen.

Zuständigkeiten Der kommunale „Untersuchungsausschuss“ besitzt nicht die Kompetenzen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, zwischen beiden bestehen grundlegende Un-

Anmerkungen und Quellen:

AG

Das gilt analog für den Kreistag nach § 24 Abs. 4 der Sächsischen Landkreisordnung. 2 Vgl. Kommunalverfassungsrecht Sachsen. Kommentare, Kommunalund Schulverlag, § 28 SächsGemO, S.5. 3 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar, E. Schmidt Verlag, G § 28, Rn. 41. 4 Vgl. Kommunalverfassungsrecht Sachsen. Kommentare, Kommunalund Schulverlag, § 28 SächsGemO, S.5. 5 Vgl. Kommunalverfassungsrecht Sachsen. Kommentare, Kommunalund Schulverlag, § 24 SächsLKrO, S.131. 1

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de V.i.S.d.P.: A. Grunke Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefödert.


Kommunal-Info  3/2012

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Nachhaltige Wasserversorgung „Nachhaltigkeit und Öffentliche Wasserwirtschaft – eine symbiotische Verbindung“, so war eine Tagung der Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft e.V. (AöW) überschrieben, die am 26. März 2012 in Berlin stattfand.

Nachhaltigkeit

Wasser ist Nahrungsmittel, Bestandteil für die Nahrungsherstellung, Voraussetzung für Hygiene und Gesundheitsschutz und Produktionsfaktor für Industrie und Landwirtschaft. Wasser ist Teil des Naturhaushaltes, Lebensraum für Tiere und Pflanzen und Grundlage der Ökosysteme. Es ist von existenzieller Bedeutung für uns heute und morgen. Für Wasser als Urquell des Lebens ist das Nachhaltigkeitsprinzip von fundamentaler Bedeutung. „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“, so wurde es bereits im Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung im Jahr 1987 definiert.

Reinerhaltung von Wasser, der gerechte Zugang zu ihm und die Erhaltung von Wasserressourcen für die kommenden Generationen zu den wichtigsten Themen nachhaltiger Entwicklung. Das Gewicht dieses Themas wird dadurch unterstrichen, dass die Vereinten Nationen im Jahr 2010 das Recht auf Wasser und Sanitärversorgung als ein elementares Recht jedes Menschen anerkannt haben“, hob Huber in seinem Beitrag hervor.

Keine Handelsware

Der Präsident der AöW und Vorstandsvorsitzende der Emschergenossenschaft/Lippeverband, Dr. Jochen Stemplewski, unterstrich dabei: „Wasser ist ein Gemeingut und keine Handelsware. Der Verpflichtung, dieses Gut für alle Menschen und künftige Generationen zur Verfügung zu stellen, kommt die öffentliche Wasserwirtschaft mit einer nachhaltigen Wasserversorgung- und Abwasserbeseitigung nach.“ Nachhaltigkeit in der Wasserwirtschaft bedeutet auch, die drei Säulen der Nachhaltigkeit zu leben: Ökologie, Ökonomie und Soziales. Dazu

ger nachgewiesen hätten. Sie verstehe deshalb nicht, warum sich die öffentliche Wasserwirtschaft trotz ihrer guten Leistungsbilanz so in der Defensive drängen lasse.

Beispiel Paris

Jean-François Collin, Generaldirektor von „Eau de Paris“, dem öffentlichen Wasserbetrieb von Paris, erläuterte, wie die 1984 privatisierte Pariser Wasserversorgung 2010 wieder in kommunale Hand zurückgeführt wurde. Unzulängliche Kontrollmöglichkeiten und mangelnde Transparenz waren bei der privatisierten Wasserversorgung an der Tagesordnung. Nach der erfolgten Rekommunalisierung der Wasserversorgung, die auch Impulse für andere Bereiche gab, konnten die Anstrengungen in Bezug auf Nachhaltigkeit und sorgfältiges Wirtschaften verstärkt werden und gleichzeitig der Wasserpreis um 8 % gesenkt werden. (Zusammengestellt auf Basis eigener Notizen und einer Pressemitteilung der AöW vom 26.03.2012, A.G.)

ger eröffnet der Verkehrspolitik neue Chancen. Seit über einem Jahrzehnt messen die größeren Städte Verkehrsrückgänge im Autoverkehr. Die jüngeren Erwachsenen besitzen mittlerweile um ein Drittel weniger eigene Autos als vor einem Jahrzehnt. Im Weißbuch Verkehr 2011 geht die Europäische Kommission davon aus, dass es in den Städten 2030 aus Gründen des Klimaschutzes nur noch halb so viele Kfz mit Verbrennungsmotor geben wird, und auch der Wirtschaftsverkehr wird effizienter als heute. Um Kfz-Verkehr mit Parkraumkonzepten effektiv regulieren zu können, sollten diese flächig und unter Berücksichtigung der privaten Stellplatzangebote entwickelt und umgesetzt werden. Die besonders in Großstädten oft über mehrere Ämter und Abteilungen verteilten Zuständigkeiten erschweren eine stringente Umsetzung. Ein beispielhaftes Konzept wurde mit einer Parkhausgesellschaft in kommunaler Trägerschaft im niederländischen Utrecht geschaffen. Die Parkgesellschaft ist sowohl für das Auto- als auch für das Fahrradparken zuständig sowie für den Betrieb der kommunalen Parkhäuser. Mit den Parkgebühren finanziert die Gesellschaft u.a. Fahrradparkhäuser am Bahnhof, im Zentrum, Nachbarschaftsgaragen und Fahrradboxen. Parkraumbewirtschaftung erweist sich oft als emotionales Thema. Die Einführung bedarf der Öffentlichkeitsarbeit mit einer nachvollziehbaren Botschaft für ein effizientes Parkraummanagement, um die guten Gründe innerhalb der Verwaltung und in der Öffentlichkeit rechtzeitig zu vermitteln. Dabei sollten neue Angebote und technische Lösungen (Parkleitsysteme, Internetangebot, Handy parken) einbezogen werden.

Parkraumbewirtschaftungszonen jetzt zügig einführen

Rund 100 Teilnehmer der Tagung, Verbandsvertreter sowie politisch Interessierte diskutierten, wie eine verantwortungsvolle Bewirtschaftung des Wassers gewährleistet werden kann. Folgende Schwerpunkte standen während der Veranstaltung im Mittelpunkt: Wasserwirtschaft als jahrhundertealtes Beispiel für Nachhaltigkeit. Die Folgen vernachlässigter Nachhaltigkeit. Wo stehen wir in Deutschland. Die internationale Situation. Die Rolle der öffentlichen Wasserwirtschaft.

Gerechter Zugang

Im Mangel an Wasser und Sanitärversorgung liege eine der größten Gefahren für Leben und Überleben vieler Menschen, mahnte Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Huber auf der Tagung an. „Wasserknappheit ist deshalb eines der großen globalen Themen des 21. Jahrhunderts. Deshalb gehören die

gehören u.a. die Gewässerrenaturierung, Ressourceneffizienz und Arbeitsplatzmaßnahmen sowie eine intakte Umwelt rund um die Gewässer. Die öffentliche Wasserwirtschaft in Deutschland leiste mit ihren jährlichen Investitionen von 6 bis 7 Mrd. Euro dazu einen Beitrag.

Private nicht effizienter

Frau Prof. Dr. Petra Dobner, Politikwissenschaftlerin an der Universität Hamburg, plädierte in ihrem Beitrag vehement für eine öffentliche Wasserwirtschaft. Wasser sei ein wertvolles öffentliches Gut und die nachhaltige Wasserversorgung eine elementare Daseinsvorsorgeaufgabe. Die Angriffe auf die öffentliche Wasserwirtschaft seit 1992 und die Prophezeiungen der Privatisierungsbefürworter beruhten auf Fehleinschätzungen und Denkfehlern und haben sich letztlich nicht bewahrheitet. Bis heute gäbe es keine seriösen Untersuchungen, die eine größere Effizienz privater Wasserversor-

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... Kostenloses Parken verwendet werden. Um Behinderungen des Fußverkehrs in dicht bebauten Stadtquartieren zu vermeiden, sollten Kfz-Stellplätze oder Fahrstreifen zum Fahrradparken umgenutzt werden.

Parkraummanagement reduziert Kfz-Verkehr und stärkt den ÖPNV

Parkraummanagement kann – in Verbindung mit anderen Maßnahmen der Verkehrslenkung und des Verkehrsmanagements – Mobilitätsverhalten wirksam verändern. Mit der Bewirtschaftung von Parkraum können Anwohner bevorzugt und Einpendler veranlasst werden, ihr Auto stehen zu lassen und den ÖPNV zu nutzen. Am Rande von Gründerzeitvierteln und von autofreien Wohngebieten sind Quartiersgaragen sinnvoll. Die veränderte Mobilität vieler Bür-

In den Kommunen gehört Parkraummanagement zur strategischen Verkehrsplanung. Innerstädtische Stellplätze sollten flächenhaft bewirtschaftet werden. Die im Neuerlass der StVO erwarteten Parkraumbewirtschaftungszonen bieten den aktuellen Anlass. Wichtig sind eine sorgfältige Vorbereitung und ein gutes Kommunikationskonzept. Der Gesetzgeber sollte jetzt noch einfachere rechtliche Möglichkeiten für Carsharing-Stellplätze, Stellplätze für Batteriefahrzeuge an ELadestationen und die straßenrechtliche Gleichbewertung von Parken und bisherigen Sondernutzungen schaffen und die Verwarnungsgelder für Falschparken auf das Niveau des Fahrgelds für Schwarzfahrer anheben. (Quelle: Difu-Berichte 4/2011, Autor: Tilman Bracher)


Kommunal-Info  3/2012

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Sachsen verbietet spekulative Zinsderivate Als erstes Bundesland hat Sachsen mit klaren Schutzmechanismen auf die hohen Schäden aus dem Abschluss spekulativer Zinsderivate im kommunalen Bereich reagiert. Derivative Zinsgeschäfte, die nicht der Zinssicherung dienen, werden als spekulative Geschäfte für unzulässig erklärt. Diese Regelung ist mit öffentlicher Bekanntmachung vom 01.03.2012 im sächsischen Amtsblatt zur Änderung der VwV kommunaler Haushaltswirtschaft sowie der VwV kommunaler Haushaltswirtschaft-Doppik in Kraft getreten. Bundesweit hatten hunderte Kommunen und kommunale Versorgungsunternehmen in den letzten Jahren auf Empfehlung ihrer (Landes-) Banken Zinsderivate abgeschlossen. Ziel war es Zinsbelastungen zu senken. Dabei entpuppten sich die Zinsderivate nach genauer Analyse jetzt als hoch spekulative Geschäfte, die - verkaufsfördernd - unter dem Deckmantel zulässiger Zinsswaps vertrieben wurden. Aus diesen Swaps entstehen im Moment Verluste in Milliardenhöhe für Kommunen. Banken hatten die schädigenden Produkte verkauft und dabei die Kommunen falsch und irreführend beraten haben. „Entscheidend für den zukünftigen Schutz der Bürger, also des Steuerzahlers, vor Verlusten durch Falschberatung von Banken wird die geplante Änderung der Sächsischen Gemeindeordnung sein. Hier soll das Verbot von Spekulationsgeschäften ausdrücklich in die Haushaltsgrundsätze des § 72 II 2 SächsGemO aufgenommen und ein Verstoß dagegen mit der Folge der Nichtigkeit sanktioniert werden. Durch die Rechtsfolge der Nichtigkeit liegt das Risiko beim Abschluss spekulativer Geschäfte ausschließlich auf Seiten derer, die Produkte strukturieren. Entscheidender Vorteil bei dieser Konstellation ist das im Nachhinein dadurch nicht mehr relevante Beratungsgespräch. In Gerichtsverfahren beriefen sich die Banken bisher auf eine angeblich ausführliche Beratungssituation, in der sowohl die Funktionsweise als auch Risiken dargestellt worden seien. Durch einseitig erstellte Beratungsprotokolle der Banken und durch Zeugenaussagen von Bankmitarbeitern war es den Banken in der Vergangenheit vereinzelt gelungen, Schadensersatzansprüche geschädigter Kommunen in einem gerichtlichen Verfahren abzuwehren. Dem wird künftig mit der Rechtsfolge der Nichtigkeit von spekulativen Geschäften mit der geplanten Gesetzesänderung ein Riegel vorgeschoben. Banken können nun nicht mehr darauf vertrauen, eine Kommune werde schon keine Schadenersatzansprüche geltend machen. Es genügt die nachträgliche Feststellung eines spekulativen Charakters und die Aufforderung zur Rückabwicklung der Geschäfte, sollten sie dennoch abgeschlossen worden sein. Das sei der beste Verbraucherschutz, den man sich vorstellen kann. Bei der drohenden Rechtsfolge würde das eigene Risikomanagement der Banken den Verkauf spekulativer Geschäfte unterbinden. (anwalt.de, 15.03.2012)

Veranstaltungen

des Kommunalpolitischen Forums Sachsen e.V. Ausgleichsbeträge bei städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen 11. April 2012, Mittwoch, 18 Uhr in 01809 Dohna, OT Röhrsdorf Gasthof „Bauernschänke“, Am Landgut 1 Referent: Tilo Wirtz, Dipl.-Bauingenieur (Dresden) Schwerpunkte: Was sind Ausgleichsbeträge, warum werden sie überhaupt erhoben? Müssen die Ausgleichsbeträge erhoben werden? Unter welchen Voraussetzungen kommen städtebauliche Sanierungsmaßnahmen infrage? Wie wird der zu zahlende Ausgleichsbetrag ermittelt? Wer hat die Ausgleichsbeträge zu zahlen? Unter welchen Voraussetzungen kann von einer Erhebung des Ausgleichsbetrags abgesehen werden? Teilnahmebeitrag 3 Euro

Anforderungen an die Weiterentwicklung des sächsischen Vergaberechts 28. April 2012, Sonnabend, 10.00 Uhr Dresden Haus der Begegnung – Saal, Großenhainer Straße 97 Referent: Herr Markus Schlimbach, DGB Sachsen

Zum Vormerken !!! Kommunalpolitische Konferenz 2012 zum Thema:

Kommunale Daseinsvorsorge zwischen Privatisierung und Rekommunalisierung 30. Juni 2012, Sonnabend, 10 bis ca. 15 Uhr in Dresden Haus der Gewerkschaften, Schützenplatz 14 Vorträge: Privatisierung der kommunalen Daseinsvorsorge in Deutschland – eine Bilanz (Prof. Dr. Gerstlberger, Univ. von Süddänemark / Integrierte Management- und Kommunalberatung Kassel) PPP in deutschen Kommunen – Bilanz und Erfahrungen (Dr. Karsten Schneider, DGB-Bundesvorstand, angefragt) Rekommunalisierung: Ursachen und Motive, Varianten, reale Möglichkeiten (Jens Libbe, Dt. Institut für Urbanistik Berlin) Rekommunalisierung in der Praxis - Erfahrungen aus Bereichen der Ver- und Entsorgung (Erhard Ott, Bundesvorstandsmitglied der Gewekschaft ver.di, Fachbereichsleiter Ver- und Entsorgung) Sicherung kommunaler Daseinsvorsorge durch bürgerschaftliche Selbsthilfe und Genossenschaften (Dr. Herbert Klemisch, Klaus Novy Institut e.V. Köln)

Jahreshauptversammlung 2012 des Kommunalpolitischen Forums Sachsen e.V. am 28. April 2012, Sonnabend, 12.30 Uhr in Dresden Haus der Begegnung – Saal, Großenhainer Straße 97 Tagesordnung: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Bestimmung der Versammlungsleitung und des/der Schriftführer/s (in) Abstimmung über die Tagesordnung Bericht des Vorsitzenden über die Tätigkeit des Vereins im Jahr 2011 Bericht der Finanzprüfer zum Haushaltsjahr/Jahresabschluss 2011 Anfragen zu beiden Berichten und allgemeine Aussprache Beschlussfassung über den Beitritt des Kommunalpolitischen Forums Sachsen e.V. zum Dachverband linker Kommunalpolitischer Foren in der Bundesrepublik Deutschland Entlastung des Vorstands zum Jahresabschluss 2011 Aufstellung der Kandidaturen für die Wahl des Vorstands: Vorsitzende(r), Stellvertreter(innen) des Vorsitzenden, Schatzmeister(in) Bestellung der Wahlkommission Wahlhandlung und Feststellung der Wahlergebnisse Wahl der Finanzprüfer des Vereins gemäß § 11 Abs. 2 der Satzung Schlusswort des/der neugewählten Vorsitzenden


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4/2012  Sachsens Linke!

Soziales

Kandidatin für Leipzig

Kultur ist MehrWert

Dr. Barbara Höll, MdB, wurde am 9. März 2012 zur Kandidatin der LINKEN in Leipzig für die Oberbürgermeisterwahl 2013 nominiert. Sachsens Linke fragte nach:

Seit Monaten schwebt ein Gespenst über den Theatern im Landkreis Görlitz, nach Kürzungen der Mittel für den Kulturraum Oberlausitz, weil die Landesregierung entschieden hat, die Landesbühnen zu kommunalisieren, nach einer Neuordnung der Theaterstruktur und Fusion zum Gehart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau und nach der Ankündigung der MitarbeiterInnen des Theaters spätestens 2016 nicht weniger als 10 Prozent unter dem dann gültigen Flächenvertrag verdienen zu wollen, war es da, das Gespenst hieß Theaterschließung, Spartenreduzierung, Personalabbau, Angebotsausdünnung oder manchmal nur Konsolidierungskonzept. Wie schnell ein Gespenst zur realen Bedrohung werden kann, zeigte sich als Landkreis und Stadt Görlitz entschieden nicht ergebnisoffen zu diskutieren, sondern Vorgaben machten, welche ein Bestehen der Theater, so wie sie bis heute existierten, nicht mehr ermöglichen. Landkreis wie Stadt Görlitz haben sich mit einer einzigen Festlegung, der Festlegung die Zuschüsse nicht zu erhöhen, eines Instrumentes beraubt, welches am Ende zu einem an Qualität und Bedürfnissen ausgerichteten Theater geführt hätte. Acht Jahre lang haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf bis zu 20 Prozent ihres Gehaltes verzichtet, um die Theater am Leben zu halten. Jetzt wo sie berechtigte Forderungen stellen, diesen Zustand nicht noch weiter zu

Warum suchst Du zum zweiten Mal nach 2005 die Herausforderung, für das höchste Amt in Leipzig zu kandieren? Leipzig hat zu wenig Potenziale, weil der Amtsinhaber kein Kreuz gegenüber der Landesregierung hat. Die Kommunalpolitik ist nicht nur nach meiner Überzeugung viel zu sehr von Luftschlössern, Nebelkerzen und Jubelarien geprägt. Das muss gemeinsam mit den vielen Akteurinnen und Akteuren der Stadtgesellschaft geändert werden. Dafür trete ich mit meinem ganzheitlichen Politikansatz an: Leipzig ist für mich Solidarstadt, Bürgerstadt, Kultur- und Kreativstadt sowie Wirtschaftsstadt... Auf welche Unterstützergruppen setzt Du im bevorstehenden Wahlkampf? Ich setze auf die Leipzigerinnen und Leipziger, die zu Recht unzufrieden sind und endlich eine andere Politik an der Stadtspitze wollen. Das reicht von den zahlreichen Bürgervereinen, die nicht genügend einbezogen werden, über die vielfach unbeachteten Kleinst- und Kleinunternehmer bis hin zu all denjenigen, die ein Ende der zahlreichen Skandale - ich nenne als Stichworte nur die Pension von Herrn Hanns oder die »herrenlosen Häuser« - herbei sehnen. Mit vielen Leipzigerinnen und Leipzigern, Verbänden und Unternehmen besteht ja bereits seit Jahren ein enger Kontakt, den ich den folgenden Wochen und Monaten weiter intensivieren werde. Und natürlich setze ich auf meine Genossinnen und Genossen und unsere Stadträtinnen und Stadträte, welche eine hervorragende Arbeit leisten. Gemeinsam mit all diesen Menschen in Leipzig werde ich um das höchste politische Amt in dieser Stadt kämpfen. Die Fragen stellte Rico Schubert.

gung anzustreben quasi verbaut worden. Ein Feld bleibt aber noch offen, die Finanzierung über das sächsische Kulturraumgesetz, hier muss es darum gehen, die Kürzungen durch die Kommerzialisierung der Landesbühnen auszugleichen und gleichzeitig eine jährliche Dynamisierung festzuschreiben. Die Einmaligkeit des sächsischen Kulturraumgesetzes darf jetzt nicht auf dem Altar einer vermeintlichen Schuldenbremse geopfert werden. Im Landkreis Görlitz hat sich ein breites Bündnis aus Verbänden, Vereinen, Parteien, Gewerkschaften und Einzelpersonen zusammengefunden, um für den Erhalt ihrer Kultur zu kämpfen. Dieses Bündnis kann, ja sollte die Basis für einen landesweiten Aufruhr sein. Wenn sich alle einig sind, dass es nicht gegeneinander, sondern nur Miteinander geht, dass Kultur mehr ist als nur Freizeitbeschäftigung, dass Kultur Bildungsauftrag ist, Standortfaktor, Lebensqualität, dass Kultur, egal ob Hoch-, Breiten- oder Subkultur unverzichtbar ist, dann müssen wir jetzt kämpfen, nicht in kleinen in sich geschlossenen Gruppen voll intellektueller Tragkraft, sondern dort wo die Entscheider sitzen. Lasst uns gemeinsam nach Dresden gehen und erst wieder heimfahren, wenn die Kultur in Sachsen wieder wichtiger ist als Banken, Straßen oder Tunnel. Mirko Schultze

Foto Wolfgang Pehlemann

Was ist für Dich das Besondere an Leipzig? Der Charme und das Selbstbewusstsein der Menschen in unserer Stadt - verbunden mit dem weichen Leipziger Dialekt. Man fühlt die fast tausendjährige Tradition einer selbstbewussten Bürgerschaft, die eine bemerkenswerte Weltoffenheit und enorme Kulturvielfalt hervorgebracht hat.

verschlimmern, kommt man ihnen nicht entgegen, sondern kürzt genau an der Stelle, für die sie auf ihren Lohn verzichtet haben. Eine andere Lösung wäre aber möglich, DIE LINKE im Kreistag hat vorgeschlagen die Gehaltsforderungen aus dem Konzept des Theaters herauszulösen und die bisherigen Profiteure, die Gesellschafter Landkreis und Stadt Görlitz aufgefordert, das Ansinnen der Belegschaft auf nicht weniger wie 10 Prozent unter Flächentarif sicherzustellen, dies hätte im Jahr 2016 einen Mehrbedarf von rund eine Millionen Euro ergeben, welchen sich Görlitz und der Landkreis hätten teilen können. Die Stadt Zittau, welche zwar einen Theaterstandort hat, nicht aber Gesellschafter des Theaters ist, hätte so die Möglichkeit bekommen, ohne Verpflichtungen aus der Vergangenheit ausgleichen zu müssen, denn von der Lohnzurückhaltung hat sie ja nur indirekt profitiert, Mitgesellschafter zu werden. Der von ihr zusätzlich geleistete Beitrag, über den von ihr schon bezahlten Sitzgemeindeanteil hinaus, hätte den Standort Zittau als Schauspielstandort stabilisiert und zumindest für die nächsten Jahre die Diskussion über die Doppelstruktur Schauspiel im Kulturraum beendet. Diese Lösung innerhalb des Landkreises Görlitz ist leider durch die Entscheidung des Kreistages das Kürzungskonzept umzusetzen und durch die Entscheidung der Stadt Zittau keine Beteili-

Meine Daten gehören mir Sehr geehrte Frau Kestner, ich war einige Zeit im Leistungsbezug des Jobcenters und erhielt ALG II. Nachdem ich nun eine Arbeit in einer anderen Stadt gefunden habe, erfuhr ich, dass das Jobcenter trotz meiner Abmeldung eine Anfrage an meinen neuen Arbeitgeber gestellt hat. Da es sich um ein mittelständisches Unternehmen handelt, machte das schnell die Runde. Ich will ja nicht sagen, dass ich mich dafür schäme, eine Zeit lang Hartz 4 bekommen zu haben. Allerdings sehe ich nicht ein, warum das Jobcenter ohne meine Kenntnis dritte Personen kontaktiert. Ist das eigentlich rechtens? Beate M. (Döbeln) Sehr geehrte Frau M., nein, das ist es nicht. Unabhängig davon, ob Sie sich noch im Leistungsbezug befinden oder nicht: Das Jobcenter darf ohne ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen keine dritten Personen (wie Vermieter, Arbeitgeber o.ä.) kontaktieren. Jobcenter dürfen also nicht – auch nicht mittelbar – Dritten erklären oder durch eine Anfrage deutlich machen, dass eine bestimmte Person Leistungsempfänger ist. So hat es jetzt ausdrücklich noch einmal das Bundessozialgericht (BSG) entschieden (Aktenzeichen: B14 AS 65/11). Auch wenn das Jobcenter bestimmte Daten benötigt, um seine gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben zu erfüllen, rechtfertigt dies ohne Zustimmung des Betroffenen keine Anfrage oder – allgemein gesprochen – Datenerhebung. Problematisch ist natürlich, dass man von der rechtswidrigen Anfrage erst erfährt, wenn sie stattgefunden hat, so dass man keine Möglichkeit hat, diese zu verhindern. Allerdings kann der Betroffene eine Feststellungsklage wegen Wiederholungsgefahr erheben. Diese Klage ist wiederum Grundlage für die Geltendmachung von Schadensersatz für den Fall, dass aus der Anfrage ein Schaden entsteht. Ihre Marlen Kestner


Sachsens Linke!  4/2012

Bitte helft! Wenn es um Nazis auf dem Lande geht, war im letzten Jahr ein Ort nicht mehr aus den Medien weg zu denken. Limbach-Oberfrohna - der Ort in dem es laut Bürgermeister kein rechtes Problem gab. Ein Brandanschlag im November 2010 sorgte für bundesweites Aufsehen. Was war geschehen? Ein stadtbekannter Neonazi brach in das Haus vom »Soziale & Politische Bildungsvereinigung L.-O. e.V.« in der Dorotheenstraße 40 ein und legte Feuer. Das neu gegründete Hausprojekt brannte im Erdgeschoss fast komplett aus. Nun konnte das Nazi-Problem nicht länger verschwiegen oder geleugnet werden. Der Bandstifter wurde einige Monate später ermittelt und zu einer Haftstrafe verurteilt. Das kann als Erfolg gewertet werden, allerdings behebt es nicht den entstandenen Schaden. Die Jugendlichen, welche mit dem Projekt einen Raum frei von Diskriminierung und Gewalt schaffen wollten, versuchten mühsam

die verkohlten Räume wieder fit zu machen. Zum Glück gab es auf Grund der bundesweiten Berichte Hilfe durch Spenden. Nun ist ein Jahr vergangen und es ist einiges geschehen. Die verkohlten Balken wurden ausgewechselt und die größten Brandschäden beseitigt. Jedoch gibt es immer noch sehr viel zu tun, damit das Haus bezogen und genutzt werden kann. Von der Stadt, welche den Verein im-

Wichtiges Signal

Ausbau der Schulsozialarbeit im Landkreis Leipzig

»Die zunehmende Komplexität von Erziehung und Bildung, die steigenden Anforderungen und Erwartungen sowie die Vermittlung sozialer Kompetenten über die reine Schulbildung hinaus, benötigen die Unterstützung durch ein flächendeckendes Netz der Schulsozialarbeit. Während in unserem Landkreis bislang Schulsozialarbeiter/innen in Teilzeit lediglich an den Mittelschulen und Gymnasien vorhanden waren, beschloss der Jugendhilfeausschuss im Dezember die Maßnahmen für 2012 / 13 auch auf die Förderschulen und einige Grundschulen auszuweiten. Darüber hinaus werden die bisherigen Teilzeitstellen auf Stellen in Vollzeit umgewandelt. Die notwendigen Mittel von 510 000 € stammen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung. Damit kam der Jugendhilfeausschuss und zuletzt am 29. Februar 2012 der Kreistag seiner Verantwortung gegenüber dem Landkreis nach. Unverständlich bleibt für mich das Agieren des Landrats Dr. Gey, der CDU - Fraktion und Teilen der FDP - Fraktion, die bis zuletzt versucht haben, die Ausweitung zu verhindern. Es ist richtig, dass die verwendeten Mittel aus dem Bildungsund Teilhabepaket auch

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Jugend

zweckuntypisch zur Schuldentilgung hätten eingesetzt werden können. Die notwendige Finanzkonsolidierung des Landkreises darf allerdings nicht auf Kosten der Kinder und Jugendlichen geschehen. Hier sind andere Ausgabepositionen kritisch zu hinterfragen. Zusätzlich liegt es in der Verantwortung des Landrates, gemeinsam mit den Bürgermeister/innen gegenüber der Landesregierung auf eine gerechter Finanzverteilung zur Sicherung der Finanzausstattung von Kreis und Kommunen hinzuwirken. Die dafür notwendigen Mittel sind durch die Steuermehreinnahmen in Sachsen vorhanden. Wir als Oppositionsfraktion im Landtag streiten für eine gerechtere Finanzverteilung, aber solange der Druck der Landräte ausbleibt, wird die sächsische CDU - FDP - Koalition mit ihrer Mehrheit dem entgegenstehen.« Heike Werner

Patenschaft für Flüchtlinge im Landkreis Leipzig mer noch als eine Art »Nestbeschmutzer« behandelt, kommt kaum Unterstützung. Hier bitten wir als Linksjugend [’solid] Sachsen um eure Hilfe. Limbach braucht dringend solche selbstverwaltete Projekte. Soziale & Politische Bildungsvereinigung L.-O. e.V., KTO:351 401 650 9, BLZ: 870 500 00,Sparkasse Chemnitz Heiko Weigel Mitglied Beuaftragtenrat linksjugend [´solid] Sachsen

»Praxis« Dresden muss bestehen bleiben! Bereits ein über ein Jahr ist es her, dass das alternative Zentrum und Wohnprojekt »Praxis« in Dresden-Löbtau im Zuge der Geschehnisse um den 13. und 19. Februar 2011 Opfer eines Nazi-Überfalls wurde. Am 19. Februar versuchten 150 Nazis in das Gebäude, in dem sich verängstigte Menschen befanden, einzudringen. Die Polizei stand daneben und unternahm nichts. Durch diesen Vorfall bekam das Bauaufsichtsamt, welches vom Vermieter der »Praxis« informiert wurde, Wind vom Zustand des Hauses und schritt repressiv in die Nutzung der »Praxis« als Lebens- und Versammlungsort ein. Um das Wohnprojekt halten zu können, klagten die Menschen, die die »Praxis« nutzen - der erste Prozess vom 17.Februar wurde vertagt. Es entstehen jedoch Gerichtsund Anwaltskosten, die gedeckt werden müssen. Der Beauftragtenrat der linksjugend [‘solid] Sachsen unterstützt die »Praxis« mit 250€ wir wünschen euch viel Kraft und Erfolg! Freiräume erhalten! Lisa-Marie Jatzke Mitglied Beuaftragtenrat linksjugend [´solid] Sachsen

Auf Grund der abgeschiedenen Lage der vier Sammelunterkünfte im Landkreis Leipzig, Thräna, Elbisbach, Hopfgarten und Bahren, müssen die Asylbewerber_innen oft viele Fahrten mit Bus und Bahn auf sich nehmen, um bestimmte Behörden, Ärzt_innen etc. zu erreichen. Auch um die Kinder in den Kindergarten zu bringen, sind häufig Fahrten mit dem Bus nötig. Durch die Einführung des

Gutscheinsystems sind die Flüchtlinge desweiteren beim Einkaufen auf Busse angewiesen, um zu den jeweiligen Geschäften, die Gutscheine annehmen, zu gelangen. Die meisten dieser Fahrten müssen von den Asylbewerber_innen mit ihrem monatlichen Taschengeld (40,90 €) selbst bezahlt werden. Außerdem müssen sich auch einige Flüchtlinge, die am kostenlosen Deutschunterricht an der Henriette-Goldschmidt-Schule in Leipzig teilnehmen möchten, Monatsbahntickets (109 €) zulegen, was ihnen ohne Hilfe nicht möglich ist. Gerade im Winter ist es schwieriger, auf andere Transportmittel (wie zum Beispiel Fahrräder) auszuweichen, deshalb bittet Bon Courage e.V. um finanzielle Unterstützung, damit so ein kleiner Teil der Fahrtkosten, der insgesamt ca. 300 Flüchtlinge, übernommen werden kann. Spendenkonto: Bon Courage e.V. / Kontonr.: 265 3940 / BLZ: 860 654 48 / VR Bank Leipziger Land / Betreff: Patenschaft Flüchtlinge Weitere Infos unter: www. boncourage.de

Termine 1. April Start der Online-Anmeldung fürs Pfingstcamp 2012 unter www.linksjugendsachsen.de

19. April Infoveranstaltung »Drogen – Fluch oder Segen?« ab 18 Uhr im Infoladen Zittau, Äußere Weberstr.2

5. April Antifa-Infoveranstaltung zum Naziaufmarsch am 14.04. in Plauen, ab 19 Uhr im AZ-Conni Dresden

20. April Seminar »Einführung in die Kritik der Politischen Ökonomie« ab 10 Uhr im linXXnet, Bornaische Straße 3 d, Leipzig; Anmeldung unter anmeldung@riseup.net erforderlich

11. -13. April Bustour durch Nordwestsachsen im Rahmen der Kampagne »Jugend braucht’s« 11. April Mittelschule Laußig, 12. April Jugendclub Glesien, 13. April E-Werk Oschatz Start ist immer 15 Uhr, wer Interesse hat, einfach unter david.himmer@dielinke-nws.de melden 14. April in Plauen, Nazis und Geschichtsrevisionismus im Weg stehen, mehr unter http://agv.blogsport.de/mobistuff/ und www.vogtland-nazifrei.de 15. April, Sitzung des Beauftragtenrates (BR) ab 12 Uhr im linXXnet, Bornaische Straße 3 d, Leipzig 17. April Seminar »Staatsschuldenkrise – Vom Elend der Wirtschaftsrettung« ab 19 Uhr im Geisteswissenschaftliches Zentrum (GWZ), Hörsaal H20.10, Leipzig

21. April Seminar »Einführung in die Krisentheorien« ab 11:30 Uhr im Ziegenledersaal, Neues Hörsaalgebäude (beim StuRa) in Leipzig; Anmeldung unter anmeldung@riseup.net erforderlich 21. April KickOff im Treibhaus Döbeln, Seminare, Workshops und Party 22. April Treffen der Landesarbeitskreise (LAKs) ab 12 Uhr im Treibhaus Döbeln 1. Mai Volleyballturnier ab 14 Uhr im Freibad Hammermühe in Bad Düben; wir wollen ein Team zusammenstellen und die Kampagne »Jugend braucht’s« supporten, wer mitmachen will, einfach melden unter rico.knorr@dielinkesachsen.de Mehr Infos unter www.linksjugend-sachsen.de


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

4/2012  Sachsens Linke!

Nicht nur fürs Protestieren gewählt Sachsens Linke! im Gespräch mit Lothar Bisky

Lothar, du hast deinen Fraktionsvorsitz in der GUE/NGL- Fraktion niedergelegt und doch will es keiner glauben… Das ist keine Glaubensfrage, sondern hat mit ganz irdischen Fakten zu tun: Für meine Gesundheit ist ein ‚normales« Abgeordnetenmandat besser und es war auch an der Zeit für einen Generationenwechsel an der Spitze der Europafraktion. Mit unserer neuen Vorsitzenden Gabi Zimmer ist dieser nun vollzogen. Sabine Wils – Mitglied in der dt. Delegation der GUE/NGL hat den Vorwurf erhoben, dass dein Rücktritt und dein Vorschlag von Gabi Zimmer als Nachfolgerin „Ein Deal an der Partei vorbei“ gewesen sei. Ist das so? Das ist Quatsch; denn selbstverständlich entscheidet die GUE/NGL über den Vorsitz in der Fraktion und kein Vorstand irgendeiner Partei, auch nicht meiner. Die Parteivorsitzenden sind von mir über meinen Rücktritt sofort nach dessen Bekanntgabe im Fraktionsvorstand informiert worden. Wichtig ist, dass am Ende die Abgeordneten der GUE/NGLFraktion gemeinsam entschieden haben, Gabi Zimmer zur neuen Vorsitzende zu wählen, weil sie ihre langjährige Arbeit im EP wertschätzen, weil sie ihr vertrauen und ihr zutrauen, diese manchmal nicht ganz pflegeleichte Truppe zu führen.

Die GUE/NGL ist wie wir wissen, eine sehr bunte und heterogene Truppe. Ist das Ihr Problem? Nein. Ebenso wie in der LINKEN in Deutschland ist Vielfalt meistens ein Vorteil oder zumindest ein Markenzeichen: Wir haben keinen Fraktionszwang und es gibt zu einigen wichtigen Fragen grundlegende Meinungsverschiedenheiten. Es ist aber wichtig, dass Linke über unterschiedliche Positionen sachlich debattieren und gemeinsame Lösungen finden. Oder Unterschiede auch mal aushalten, Mehrheitsentscheidungen treffen, ohne dass Minderheiten »untergebuttert« werden. Das ist Demokratie in der eigenen Organisation. Das war auch eins der wichtigsten Gründungsprinzipien der PDS. Vor allem aber ist allen in der GUE/NGL klar, dass gemeinsame linke Politik für die Menschen in ganz Europa notwendig ist. Wir sind uns absolut einig darüber, dass es in Europa sozial, friedlich, ökologisch, demokratisch und respektvoll zugehen muss, wenn das europäische Integrationsprojekt eine Zukunft haben soll. Und unsere Arbeit besteht auch darin, die anderen politischen Kräfte immer wieder daran zu erinnern. Als es um die Neuwahl des EP Präsidenten ging, hast du dich geweigert gegen Martin Schulz zu kandidieren. Bist du ein zu enger Freund der Sozialdemokratie? Noch mal ein klares Nein. Ich war so lange in der PDS/Linkspartei/LINKEN aktiv, dass nur Missgünstige mir da etwas unterstellen könnten. Aber natürlich ziehe ich einen EP-Prä-

Verdienst, sondern das haben alle MdEP der PDS/LINKEN seit 1999 gemeinsam erreicht. Wenn ich einen Beitrag dazu leisten kann, freut mich das.

sident links der Mitte einem EP-Präsidenten mit konservativem Hintergrund vor. Im Übrigen finde ich schon, dass wir 34 GUE/NGL-Abgeordnete bei aller nötigen Eigenständigkeit auch Kooperationen suchen müssen. Wir sind schließlich nicht nur fürs Protestieren gewählt worden, sondern vor allem dafür, uns für die Verbesserung der konkreten Lebensbedingungen der Menschen einzusetzen. Außerdem gibt es einen Unterschied zur Präsidenten-Debatte in Deutschland: Während über Joachim Gauck niemand mit der LINKEN sprechen wollte, hat Martin Schulz sich sehr wohl in der LINKEN-Delegation und in der GUE/NGL-Fraktion den Fragen und Erwartungen der Abgeordneten gestellt. Er hat dafür einen Vertrauensvorschuss

bekommen, den muss er in den kommenden zweieinhalb Jahren einlösen. Welche persönliche Bilanz ziehst du aus deiner bisherigen Arbeit? Die Bilanz müssen andere ziehen. Was mir auffällt ist, dass wir im Europaparlament ein ganz anderes - besseres »Standing« haben, als leider oft in Deutschland. Hier ist es ganz normal, dass mit den Linken gesprochen und verhandelt wird, dass wir (der Größe unserer Fraktion entsprechend) wichtige Posten besetzen und Obleute (»Berichterstatter«) für wichtige parlamentarische Dossiers stellen und dass es bei einer Reihe politischer Fragen Mehrheiten links der Mitte gibt, an denen wir beteiligt sind. Das ist überhaupt nicht primär mein

Was sind deiner Meinung nach jetzt die größten Herausforderungen, vor denen die europäische Linke steht? Unsere Aufgabe ist es, immer wieder daran zu erinnern, dass die EU sozial sein muss, weil sie sonst keinen Bestand haben wird. Und wir müssen ganz klar gegen jedwede nationalistische Tendenzen auftreten. Zu beiderlei Zwecke müssen wir Linken zum einen unseren eigenen Zusammenhalt stärken und zum anderen stets die Kooperation mit anderen suchen und finden - in- und außerhalb von Parlamenten, in Regierungsämtern wie in Oppositionsverantwortung. Wird es bei Lothar Bisky jetzt ruhiger? Was hast du dir vorgenommen Bis 2014 werde ich mich verstärkt den Themengebieten widmen, von denen ich glaube, ein bisschen was zu verstehen, das ist die Kultur-, Medien- und Netzpolitik. Hast du jetzt mehr Zeit für private Hobbys? Ich hoffe tatsächlich, etwas mehr Zeit für Filme zu finden. Wann sehen wir dich wieder in Sachsen? Ich bin beinahe jedes Wochenende in Sachsen, da wohne ich ja. Die Fragen stellte Rico Schubert.

Sachsen in Europa – Diskussionsaufschlag Die sächsische LINKE hat auf ihrem »Kleinen Parteitag« am 24.März in Dresden das Diskussionspapier »Sachsen in Europa« auf den Weg gebracht. Dieses ist ein weiterer Schritt in Richtung der strategischthematischen Ausrichtung der Landespartei, denn der Entwurf wird auf einem Landesparteitag voraussichtlich 2013 vor den Europawahlen in die Verabschiedung europapolitischer Leitlinien münden. Mit den Thesen soll die Diskussion über europäische Integration in unserer Partei aufgemacht werden. Dazu müssen wir als LINKE unsere Positionen klären und auf dieser Grundlage Leitlinien »Sachsen in Europa« entwickeln. Diese Leitlinien sollen unmittelbar an verschiedenen Politikfeldern in Sachsen anknüpfen, denn

über 80 Prozent allen politischen Handelns vor Ort in den Bundesländern hängt unmittelbar mit der EU zusammen. Wir wollen in den Leitlinien unseren Beitrag als Sachsen zur europäischen Integration in konkreter regionaler Politik herausarbeiten. Dies wird im Ergebnis in unser Landesentwicklungskonzept sowie die Wahlprogrammatik einfließen. Um dorthin zu gelangen werden wir mit der Basis unserer Partei in Sachsen dazu ins Gespräch kommen und zugleich die Zeit nutzen, unsere Argumente auch außerhalb der Partei und grenzüberschreitend mit den linken Schwesterparteien zu diskutieren. In der ersten Diskussion auf dem Kleinen Parteitag wurde klar artikuliert, dass es kein Zurück zum Nationalen geben

darf, denn bestehende Probleme und Herausforderungen benötigen auch die europäische Ebenen zur Lösung. Einen positiven Grundansatz einer linken europäischen Perspektive ist eher in den Regionen zu finden, da Bürgerinnen und Bürger in Regionen leben und »Europa« auch so wahrnehmen. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Demokratisierung Europas. »Europäische Politik muss in den Parlamenten und außerhalb derer strukturell verankert und transparent gemacht werden« lautet daher eine Forderung im Papier. Ebenso ist ein Kapitel zur Fördermittelpolitik in Sachsens Regionen verankert. »Sachsens Regionen haben seit 1991 zu den ärmsten und am meisten unterstützen Regionen gehört, entsprechend flossen

seit 1991 ca. 15 Mrd. Euro in die Förderung von Wirtschaft, Wissenschaft, Technologienetwicklung, Beschäftigungspolitik und Landwirtschaft. Aufgrund des Beitritts ärmerer Länder ist Sachsen ab 2014 kein Höchstfördergebiet mehr. Wir setzen uns dafür ein, dass die aus der Höchstförderung herausfallenden Regionen eine Übergangsförderung erhalten, die zwei Drittel des bisherigen Fördermittelumfangs betragen soll.« In dieser Frage müssen wir als LINKE die Optionen des ‚wie weiter?’ beantworten. Klar ist, dass die Betrachtung der derzeitigen EU nicht kritiklos ist, vielmehr wollen wir eigene Vorstellungen zur Gestaltung Europas einbringen, denn die Vision einer europäischen Integration umfasst nicht nur den Abbau von Diskriminie-

rung und Sozialabbau in den Mitgliedstaaten, um die Schere zwischen Arm und Reich zu verringern. Wir brauchen eine Sozialunion, mit einer sozialen Fortschrittsklausel als MUSS in den Verträgen und auch eine Wirtschaftsunion, denn nur eine Währungsunion bei nicht abgestimmter Wirtschaftspolitik produziert strukturelle Probleme. Dr. Cornelia Ernst (MdEP), Susanna Karawanskij (Mitglied des Landesvorstands)


Sachsens Linke!  4/2012

DIE LINKE im Bundestag

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Arbeitslosengeld statt Hartz IV Vor einiger Zeit sprach ich auf einer Veranstaltung der Gewerkschaft ver.di mit Beschäftigten aus der Film- und Fernsehindustrie. Es waren Tontechniker, Kameraassistentinnen und Schauspielerinnen und Schauspieler. Sie alle erzählten von dem selben Problem. Sie zahlen in die Arbeitslosenversicherung ein, erhalten aber, wenn sie arbeitslos werden, kein Arbeitslosengeld I. Meist sind ihre befristeten Beschäftigungen zu kurz, um die entsprechenden Versicherungszeiten zusammen zubekommen. Sie fallen sofort in Hartz IV. Sie müssen dann jedes Mal ihre Finanzen offen legen und werden zu sinnlosen Bewerbertrainings oder zu Arbeiten in Callcentern verpflichtet. Das ist unzumutbar. Es geht hier nicht allein um eine Berufsgruppe, es geht um ein allgemeines Problem. Die Arbeitslosenversicherung hat nicht die Schutzfunktion, die sie haben sollte. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit rutscht inzwischen je-

der vierte Erwerbslose direkt in Hartz IV. Die Politik muss sich endlich diesem Problem annehmen. Wir als LINKE. haben deshalb im Bundestag einen Antrag eingebracht, im dem ganz konkrete Vorschläge gemacht werden, wie der Zugang zur Arbeitslosenversicherung erleichtert werden kann. Wir wollen die Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung stärken. Zum eine fordern wir die Rahmenfrist wieder von 2 auf 3 Jahre zu verlängern wie es auch vor den Hartz-Gesetzen der Fall war. Zum anderen wollen wir eine wirksame Sonderregelung für kurzzeitig Beschäftigte, damit diese nicht durchs Raster fallen. Bereits heute können kurzzeitig Beschäftigte Arbeitslosengeld erhalten, wenn sie nur sechs Monate statt allgemein üblich 12 Monate in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Die Bedingungen für die Nutzung dieser Sonderreglung sind aber so hart, dass kaum einer in diesen Genuss kommt. Es gibt eine willkürliche Verdienstgrenze von derzeit Brutto monatlich etwa 2.600 Euro. Wenn jemand mehr verdient, bekommt er kein Arbeitslosengeld. Für viele eine viel größere Hürde ist die Festlegung im

Gesetz, dass nur diejenigen Arbeitslosengeld erhalten, deren Beschäftigungsverhältnisse mehrheitlich jeweils nicht länger als sechs Wochen dauern. Diese komplizierte Regelung führt zur abstrusen Situation, dass viele Beschäftigte einerseits zu kurz beschäftigt sind, um regulär Arbeitslosengeld zu erhalten, anderseits zu lang, um die Sonderregelung zu nutzen. Damit fallen viele aus der Ar-

beitslosengeldzahlung heraus und die Hartz IV-Kosten steigen. Beispiele dafür gibt es genug: in der Leiharbeit, in der Gastronomie, auch in der Wissenschaft - überall dort wo Menschen mit kurzen, befristeten Job arbeiten. Deswegen fordern wir in der derzeitigen Sonderregelung die restriktiven Zugangsbedingungen der Verdienstgrenze und Beschäftigungsdauer zu streichen. Würden unsere Vorschlä-

Deutsches Sittengemälde Die Kandidatur von Beate Klarsfeld Laut Enzyklopädie handelt es sich bei einem Sittengemälde um eine »Beschreibung von Sitten und Gebräuchen einer Epoche, einer Gesellschaftsschicht oder eines Volkes«. Auch wenn man es nicht an die Wand hängen kann, so ergibt sich aus den Wochen der Kandidatur von Beate Klarsfeld für das Amt des Bundespräsidenten doch ein Bild: ein Bild der politischen Landschaft und Kultur in diesem Land. DIE LINKE hatte bewusst keine Kandidatin mit Parteibuch nominiert, keine, die es nur uns Recht macht. Die Kandidatur der engagierten Antifaschistin Klarsfeld war gerade in Zeiten von Nazi-Terrorismus, Versagen von Ermittlungsbehörden und Kriminalisierung von antifaschistischem Engagement vielmehr ein Zeichen mit Symbolkraft, ein Zeichen, dass es auch ein anderes Deutschland gibt. Wer nun gedacht hatte,

dass angesichts der Lebensleistung von Frau Klarsfeld ein Mindestmaß an Anstand von den anderen Parteien gewahrt bliebe, sah sich getäuscht. Während es für DIE LINKE selbstverständlich war, auch Joachim Gauck in unsere Fraktionssitzung einzuladen, damit er sich vorstellen kann, zeigten umgekehrt die anderen Fraktionen – mit Ausnahme der Grünen, mit denen sich jedoch kein Termin fand – Beate Klarsfeld die kalte Schulter. War von CDU/CSU und FDP vielleicht nichts anderes zu erwarten, steht die gleiche Respektlosigkeit der SPD sinnbildlich für deren anti-linken Reflex, der möglichen politische Mehrheiten links von der CDU nur zu oft im Wege steht – wie nur eine Woche später bei der Wahl im Saarland zu beobachten war. Wie stark der antikommunistische Konsens der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft heutzutage noch nachwirkt, hat auch die öffentliche Debatte gezeigt. Wenn nichts mehr geht, geht die Stasi. Da

wurde skandalisiert, dass Beate Klarsfeld bei ihrer internationalen Jagd nach Nazis auch Material vom DDR-Geheimdienst zugespielt bekommen hatte – als ob Nazis dadurch weniger Nazis gewesen wären! Zudem hatte weder die Staatssicherheit sich zu erkennen gegeben, noch war es der einzige Geheimdienst, der ihr geholfen hatte; auch aus westlichen Ländern waren welche darunter. Bezeichnend ist wohl eher, dass sie vom westdeutschen BND nie Unterstützung erfahren hatte. Von denen, die sonst bei den Sonntagsreden gegen NaziGewalt ganz vorne sind, fand sich bei den anderen Parteien leider niemand, der Beate Klarsfeld dagegen öffentlich verteidigt hätte. Bemerkenswert ist der Umgang von SPD und Grünen mit Beate Klarsfeld gerade deshalb, weil die Kritik an der fehlenden Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit in der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft – für die Beate Klarsfeld steht- zu den Tra-

ditionslinien beider Parteien beziehungsweise der 68er-Bewegung in Westdeutschland, aus der die Grünen mit hervor gegangen sind, gehört. Auch wenn deshalb niemand erwartet hätte, dass SPD und Grüne dem eigenen Kandidaten Gauck die Gefolgschaft aufkündigen: Die Ablehnung, die Beate Klarsfeld durch sie erfahren hat, bedeutete zugleich ein gutes Stück Selbstverleugnung von SPD und Grünen. Als das Ergebnis der Wahl schließlich feststand, waren zwei Dinge bemerkenswert: Zum einen hatte Beate Klarsfeld drei Stimmen mehr bekommen, als unsere Partei Wahlmänner und –frauen aufwies. Zum anderen hatten über hundert Delegierte der ganz großen Koalition aus CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen Joachim Gauck die Stimme verweigert und sich enthalten. Dass sich nicht mehr getraut haben, Beate Klarsfeld zu unterstützen, obwohl es an dem Resultat nichts geändert hätte, passt ins Bild. Michael Leutert

ge umgesetzt, erhielten viele prekär Beschäftigte erstmals Zugang zur Arbeitslosenversicherung. Klar ist aber auch: Es gilt auch die prekäre Beschäftigung zu bekämpfen. Wir können uns nicht damit abfinden, dass Millionen Menschen nur noch befristet, oft für kurze Zeit beschäftigt werden. Wir brauchen mehr gute und sichere Arbeitsplätze. Sabine Zimmermann, Zwickau

Neulich, im Regierungsviertel... wollten die, die jede andere Partei sofort verbieten würden, gegen das Verbot ihrer Partei protestieren. Sie, die jedes Recht auf freie Meinungsäußerung zunichte machen würden, haben sich dabei auf ihr Recht auf freie Meinungsäußerung berufen. Als in der Nähe die Innenminister von Bund und Ländern berieten, ob sie einen erneuten Anlauf zum Verbot der NPD starten sollten, stellten sich die Nazis als Opfer dar. Wie gut, dass auch eine Menge anderer Menschen vor Ort war. Menschen, die wissen, wer die Täter sind, wer gegen jede Form von Freiheit ist. Menschen, für die klar ist: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Am Ende blieben die Nazis unter sich, abgeriegelt von der Polizei, umringt von Gegendemonstranten und kaum zu sehen.

Foto: Niklas Plessing @flickr CC-Lizenz

Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung stärken


Geschichte

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Ein Pyrrhussieg Der Leipziger Hochverratsprozess von 1872 Hochverratsprozesse gegen Repräsentanten der Arbeiterbewegung gehörten seit jeher zum Repertoire der herrschenden Klassen in Deutschland. Insofern knüpfte die 1871/72 einsetzende Prozesswelle gegen führende Vertreter der 1869 in Eisenach gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) an die unrühmliche Tradition des Kölner Kommunistenprozesses von 1852 oder auch des Hochverratsprozesses gegen Ferdinand Lassalle vom März 1864 an, doch das nationale wie internationale Umfeld sowie die Klassenverhältnisse hatten sich spürbar verändert. Am 9. September 1870 wurde der Prozess-Reigen mit der Verhaftung des Braunschweiger Parteiausschusses eröffnet. Wilhelm Bracke und weitere Mitglieder wurden im Prozessverfahren 1871 zunächst wegen Verdachts auf Hochverrat, später allerdings nur noch wegen »Vergehens gegen die öffentliche Ordnung« verurteilt. Im Dezember 1870 wurden schließlich auch August Bebel und Wilhelm Liebknecht verhaftet und mussten zeitweilig »Staatsquartier« beziehen. Nachdem der Braunschweiger Prozess nicht den erhofften Erfolg gebracht hatte, denn das Herzogliche Obergericht zu Wolfenbüttel musste im Januar 1872 das Urteil weiter abmildern und damit faktisch kassieren, sollte nun mit dem Leipziger Hochverratsprozess der große Schlag gefüh-

rt werden. Der Prozess wurde nicht zuletzt auf Drängen Bismarcks systematisch vorbereitet. Vom 11. bis 26. März 1872 standen mit August Bebel und Wilhelm Liebknecht die beiden bekanntesten Persönlichkeiten der Eisenacher Partei vor dem Geschworenengericht des Königlichen Bezirksgerichts Leipzig. Sie wurden der Vorbereitung des Hochverrats angeklagt. Zur Verhandlung kamen die gesamte Agitation, d.h. die Versammlungs- und Publikationstätigkeit der SDAP im Inland, genauso wie ihre Verbindungen zu Karl Marx und zur internationalen Arbeiterbewegung. Der Prozess entwickelte sich zu einer politischen Sensation. Der Gerichtssaal war immer überfüllt, nicht nur ihre politischen Weggefährten waren anwesend, sondern auch viele Zeitungen der unterschiedlichsten Couleur hatten Korrespondenten entsandt. Liebknecht, der nach Meinung Bebels »zum eigentlichen Führer der Prozesses« wurde, glänzte durch scharfsinnige Rhetorik und beeindruckende Schilderung seiner politischen Entwicklung als Demokrat und Sozialist. Gemeinsam verfochten Liebknecht und Bebel ihre politischen Überzeugungen, verteidigten das Existenzrecht der Arbeiterpartei und nutzten so geschickt die Gerichtstribüne zur Propagierung der sozialistischen Ideen. Der große Eifer des Gerichtspräsidenten, Alexander Eduard von Mücke, alles Anklagematerial

zur Verlesung zu bringen, führte – ganz gewiss von ihm nicht beabsichtigt – darüber hinaus dazu, dass so wichtige Schriften wie das Kommunistische Manifest oder die Inauguraladresse der I. Internationale, aber auch das Eisenacher Parteiprogramm nicht nur im Wortlaut verlesen wurden, sondern durch die anschließende Publikation der Prozessmaterialien große Verbreitung fanden. Am 26. März schließlich wurde das Urteil verkündet. Die Geschworenen sprachen mit acht gegen vier Stimmen Bebel und Liebknecht wegen versuchten Hochverrats schuldig. Beide wurden zu je zwei Jahren Fes-

tungshaft verurteilt, die sie ab Sommer 1872 auf Schloss Hubertusburg bei Wermsdorf absaßen. Auch wenn die sächsische Justiz mit der Verurteilung scheinbar einen Sieg für die reaktionären Kräfte des preußisch-deutschen Kaiserreichs errungen hatte, so erwies sich dieser sehr bald als Pyrrhussieg. Bebel und Liebknecht wurden in den umgehend in zahlreichen Orten stattfindenden Protestversammlungen gegen das Urteil für ihr mutiges Auftreten bejubelt, mit Solidaritätserklärungen und Spenden unterstützt. Ihr Bekanntheitsgrad und

ihre Autorität nahmen in der deutschen wie internationalen Arbeiterbewegung außerordentlich zu. Wie hoch sie geschätzt wurden, zeigte überzeugend die Reichstagswahl vom 10. Januar 1874, als beide, noch immer in Festungshaft sitzend, mit überwältigender Mehrheit von ihren sächsischen Wahlkreisen in den Reichstag gewählt wurden. Beeindruckend bestätigte sich Liebknechts kurz nach ihrer Verurteilung getroffene Einschätzung: »Der Leipziger Hochverratsprozess, der unsere Partei vernichten sollte, gab ihr einen mächtigen Aufschwung«. Jutta Seidel

Im Leipziger Hochverratsprozess werden die Sozialdemokraten August Bebel (erster von rechts) und Wilhelm Liebknecht (Mitte stehend) wegen ihrer Opposition gegen den Deutsch-Französischen Krieg verurteilt: 26. März 1872.

Vor 30 Jahren starb Havemann

Als ich in den 80er Jahren studierte, begegnete mir der Name Robert Havemann nicht ein einziges Mal. Aber vorher in der »FDJ-Initiative Berlin« hatten mir Kollegen, Arbeiter von ihm erzählt. Sein Streit mit den in der DDR Herrschenden hatte gerade das letzte Stadium erreicht: 1976 Aufenthaltsbeschränkung auf das eigene Grundstück, 1979 Klage wegen Devisenvergehen, da er, dem jede publizistische Möglichkeit in der DDR verwehrt wurde, in der BRD publizierte – um DDR-Bürger zu erreichen. Seit 12 Jahren bereits enthielt man ihm die Intelligenzrente vor. Und das Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer schloss ihn, den von den Nazis wegen seines Widerstandes zum Tode Verurteilten, schon 1975 aus – Gleichschaltung.

Aufgewachsen in gesicherten Verhältnissen, wurde Havemann frühzeitig mit dem Antisemitismus konfrontiert. Er schloss sich dem Widerstand gegen die faschistischen Machthaber an, gelangte schließlich zur KPD. Das Interesse der Faschisten an dem wissenschaftlichen Kopf verhinderte seine Hinrichtung bis zur Befreiung. Nach der Befreiung gehörte er zu jenen Enthusiasten, die sich aufgrund der geschichtlichen Erfahrung nun mit einem gewissen Sendungsbewusstsein an die Neugestaltung der Gesellschaft machten. Chef des Kaiser-Wilhelm-Instituts in Dahlem im noch nicht gespaltenen Berlin und Abteilungsleiter des Bereichs Physik und Elektrochemie sowie eine Professur an der Humboldt-Uni sind erste Nachkriegsaufga-

ben. Mit dem Kalten Krieg folgte seine Entfernung aus dem Dahlemer Bereich, ab 1950 war er nur mehr im Osten Berlins tätig. Für den Kulturbund wurde er 1949 Mitglied des Deutschen Volkskongresses und der späteren Volkskammer. Er arbeitete bis 1963 mit KGB, MfS und der militärischen Aufklärung der NVA zusammen. Die Ungarischen Ereignisse und die Enthüllungen über die Verbrechen Stalins mit dem XX. Parteitag der KPdSU waren 1956/57 Schlüsselerlebnisse. Es begann mit dem Aufwerfen philosophischer Fragen der Naturwissenschaften, die er dann auch auf gesellschaftliche Probleme ausdehnte. Als aktiver, durch den Widerstand geschulter Kommunist war er natürlich an der gesamten Problematik der Entwicklung des

Sozialismus interessiert. Seine Philosophie-Vorlesungen 1963 erfuhren einen geradezu dramatischen Zulauf von Studenten aus der ganzen DDR und auch aus Westberlin. Als entscheidend galt ihm die Öffnung der Partei für die Meinung anderer, die Überwindung des absolutistischen Wahrheitsanspruchs, um die gesellschaftlichen Probleme mit der Kraft aller Gesellschaftsmitglieder zu lösen. Das führte zum Konflikt: Die »Abrechnung mit dem Stalinismus« 1956 habe er falsch verstanden. Er begann Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung zu thematisieren, die von der Partei- und Staatsführung nicht erwünscht waren, und gab Antworten, die schließlich die ideologische Toleranzgrenze derselben überstieg. Bis zuletzt hielt er die DDR für

das bessere Deutschland. Und er hielt es für falsch, ihr den Rücken zu kehren, wie es viele Intelligenzler in den 70er Jahren taten. Sie würden in der DDR so nötig für die notwendigen Veränderungen gebraucht. Er reflektierte bereits die heraufziehende globale ökologische Krise und den Nord-Süd-Konflikt. Noch kurz vor dem Tode schrieb er 1982 an Bundeskanzler Schmidt, er möge doch »Deutschland der Blockkonfrontation entziehen«. Das Problem ist nicht, ob H. immer recht hatte, sondern wie die Partei mit einem exponierten eigenen Andersdenkenden umsprang. Bleibt das Eintreten in Verantwortung für das Werk eines freien Denkers und Kommunisten, der uns heute noch Hilfe bei der Findung »linker« Politikstrategien geben kann. Lest ihn! Ralf Becker


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Vom Tauchen in den Satztiefen nicht. Die Grammatik tut dann noch das Ihrige dazu. Aber langsam und der Reihe nach: Ein vorsichtiger Autofahrer, natürlich auch eine solche Autofahrerin, wird einen Baum, der sich ihm oder ihr in den Weg stellt, nicht nur rechtzeitig bemerken, sondern deshalb auch umfahren. Er oder Sie fährt in deshalb auch nicht um. Letzteres könnte schließ lich fatale Folgen haben, wenn der Baum sich

Englische überhaupt nicht. Da fährt niemand den Baum um, wohl aber »can someone run down the tree«. Vor Schaden schützen würde »to drive round the tree«. Siehe da, obwohl man im Englischen sogar jeweils zwei Wörter braucht, d a r f man sie i n

zwar nicht wehren würde, umfahren zu werden, wohl aber sich standhaft dagegen stemmte, umgefahren zu werden. Diesen Unterschied beachtet die deutsche Sprache, indem sie »umfahren« einmal als »trennbares« Verb zur Verfügung stellt und einmal eben nicht. So etwas kennt das

n e m F a l l voneinan der trennen. Da passt nichts dazwischen. Aber wir wollen nicht voreilig das Lob des Englischen singen. Diese Trennbarkeit der deutschen Verben hat Vorteile. Genau wie im Englischen gibt es nämlich auch im Deutschen eine feste Ordnung für die Satzglieder. Die englische Sprache verlangt die starre Reihenfolge von Subjekt, Prädikat, Objekt. Da darf man üblicherweise nichts vertauschen, nicht im Hauptsatz und nicht im Nebensatz. Die deutsche Sprache hinwiederum will im Hauptsatz das finite Verb, also das Prädikat, immer als zweites Satzglied im Hauptsatz und als letztes im Nebensatz. Spannend ist dabei der Hauptsatz. Denn besser und vor allem genauer gesagt, muss dort mit dem zweiten Satzglied verkündet werden, wer oder was, wann, möglicherweise oder wirklich etwas getan oder sich vollzogen hat. Um welchen Vorgang es sich dabei genau handelt, muss man an dieser Stelle aber noch nicht verraten. Damit kann man warten bis zum Schluss des Satzes. Solches macht die Sätze spannend. Die Grammatik spricht von »Satzklammer«. Bleiben wir bei unserem Beispiel, so kann man sich den Satz vorstellen: »Meine große Schwester fuhr gestern den kleinen, zierlichen Baum, den ich erst vor einer Woche mit soviel Mühe und heißem Schweiß gepflanzt hatte, um.« Jetzt verstehen wir vielleicht schon Mark Twain: Wir erfahren schon an der zweiten Stel-

Bild: Wikimedia Commons

Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain stand Zeit seines Lebens auf liebevollem Kriegsfuß mit der deutschen Sprache – wenn es denn einen solchen geben kann. Er schrieb einen langen Essay über »Die schreckliche deutsche Sprache«. »Wer nie Deutsch gelernt hat, kann sich gar keine Vorstellung davon machen, was das für eine komplizierte Sprache ist«, stellte er dort gleich im zweiten Absatz fest. Eine Eigenheit dieser Sprache macht ihm besonders zu schaffen – der Umgang mit dem Verb im Satz (Ältere unter uns kennen das Verb auch noch als »Zeitwort« oder wie ich aus meiner Volksschulzeit ganz und gar falsch als »Tunwort«.). Verzweifelt stellt der mit amerikanischem Englisch Aufgewachsene fest: »Wenn der deutsche Schriftsteller in einen Satz taucht, dann hat man ihn die längste Zeit gesehen, bis er auf der anderen Seite seines Ozeans wieder auftaucht mit seinem Verbum im Mund«. Was hat es damit für eine Bewandtnis und was unterscheidet uns hier vom Englischen? Nun, es ist das Verb! Viele unserer deutschen Verben (wenn auch nicht alle) sind teilbar. Sie haben sozusagen Sollbruchstellen; die englischen Verben

kei-

le im Satz, dass die Schwester fuhr und die ganze Sache sich in der Vergangenheit abgespielt haben muss und sich auch wirklich so abgespielt hat. Erst am Schluss aber, nachdem uns sonst noch was erzählt wurde, geht es zur Sache: Der Baum ward umgefahren, und z. B. nicht wieder zurück in d i e Gärtnerei. I m merhin

wussten wir aber wenigstens schon bald, dass gefahren wurde. Das muss nicht immer so sein. Zur Verwirrung von Mark Twain und seinen mitleidenden englischsprachigen Landsleuten hält unsere deutsche Sprache nämlich eine noch größere Tollheit mit der Satzklammer bereit. Bestimmte Formen des Verbs werden »analytisch« gebildet. Das heißt, wir haben einerseits das Wort mit seiner Bedeutung, andererseits haben wir aber noch ein eigenes Wort, das nur sagt, wer, wann und wie. Zum Beispiel: »Er kam zu spät«, jedoch: »Er ist zu spät gekommen« oder »Er sollte zu spät kommen«. Auch dieses Phänomen bietet uns, wie man sieht, die Möglichkeit zur Satzklammer: »Er ist gestern zu allem Unglück und zum Verdruss der Wartenden wegen des Regens auch noch zu spät gekommen«. Wow! Tatsächlich, ein Ozean wurde mit angehaltenem Atem, aber vielen neuen Eindrücken durchtaucht, und mit dem Verbum im Mund kommt man wieder an die Oberfläche. Jetzt kann man tief durchatmen. Der Satz, er ist vollbracht! Und nun der langen Rede kurzer Sinn: Wir sind mit der deutschen Sprache und ihrer Satzklammer sehr viel längere Sätze zu bilden gewohnt, weil wir am Schluss mit dem zweiten Verbteil immer wieder darauf hinweisen können, wie wir eigentlich angefangen haben. Das verleitet freilich oft zu Übermut. Die Sätze werden lang und länger, egal ob wir einen abschließenden Verbteil haben oder nicht.

Vor allem Wortzusammensetzungen, Attribute in Form von Wörtern oder immer wieder neuen (Neben-)Sätzen, endlose Aufzählungen machen den Satz, durch den wir tauchen, tiefer und tiefer. Die Sprachwissenschaft spricht deshalb folgerichtig von der »Satztiefe«, die mit jedem Attribut, mit jedem Nebensatz größer wird. Ist der Satz geschrieben, mag das manchmal noch angehen. Man kann den überlangen Satz mehrfach lesen, bis man ihn verstanden hat. Die Lust am Lesen erhöht das sicher nicht. Wird der Satz jedoch gesprochen, überfordert man die Merkfähigkeit der Zuhörer ab einer gewissen Satzlänge in einer Art, der dann selbst die Satzklammer keine Hilfe mehr sein kann. Die Zuhörerinnen und Zuhörer schalten ab. Man wird langweilig. Die Gefahr ist dort besonders groß, wo zunächst Geschriebenes in Gesprochenes verwandelt werden soll. Deshalb ist ein Stichwortzettel für eine Rede meist günstiger als bereits ausformulierte Sätze. Und die Gefahr ist nicht minder groß, wenn ein Satz aufgeschrieben wird, den jemand anderer dann leicht lesbar machen soll. Viele Presseerklärungen sind da ein Beispiel: Was soll der gutmütigste Redakteur aus einem solchen Satz für Zeitung, Radio und Fernsehen machen? »Wie schon anlässlich der von uns zusammen mit der SPD-Fraktion sowie Gewerkschaften, Betriebsräten und Beschäftigten kürzlich durchgeführten Anhörung zum Referentenentwurf dieses Ladenöffnungsgesetzes, zu der das eingeladene Wirtschaftsministerium mit Abwesenheit glänzte, macht der stock-neoliberale Staatsminister Morlok wieder einmal deutlich, dass er von guter Arbeit nichts versteht und dass ihn die Arbeitsbedingungen, der Gesundheitsschutz und das Familienleben von vielen Tausend Beschäftigten im Handel nicht interessieren.« Geneigte Leserin, geneigter Leser, versuchen Sie doch einmal selbst, die fast schon barocke Satzgirlande aufzulösen, um sie so in ihren Einzelteilen wie als Ganzes verständlicher werden zu lassen! (Die Zitate von Mark Twain wurden gefunden in: »The Awful German Language. Die schreckliche deutsche Sprache, Manuscriptum Verlagsbuchhandlung, Waltrop und Leipzig 2003 und unter http://wunderland- deutsch. com/?tag=/wunder) Peter Porsch


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Leipziger Lust-Reise unter Glas

Warum es sich lohnt einen Frühlingstag drinnen zu verbringen Man hat abschreckende Beispiele in der Nachbarschaft: Der etwas verschrobene Junge aus dem Hauseingang, der in Leipzig am Literaturinstitut studierte und von dem seine Mutter nun stolz berichtet, dass er Schriftsteller sei und im »Prenzlberg« lebe, im Herzen von Berlin. Irgendwann fand er dann mal mit einem Buch den Weg ins Dresdner Kästner-Museum und ich hätte es wirklich nicht schade gefunden, wenn er den Weg verfehlt hätte. Oder der Freund der Eltern, der nach der Wende auf Politiker machte und nun die halbe Welt mit seinem Buch – es steht auf der Amazon-Bestsellerliste auf Platz 5.534.985 – bedroht. Bei diesem Hintergrund denkt man an die wunderbar eindeutigen Sätze eines Bertolt Brecht, der da sinngemäß formulierte, dass gut 80 Prozent der Kulturproduktionen der letzten Jahre durch etwas zweckmäßige Körperübungen im Freien ohne weiteres zu verhindern gewesen wären … Die tausende Verlage mit ihren hunderttausenden Büchern und Tonträgern jedes Jahr auf der Buchmesse in Leipzig zeigen vor allem eines: Es gibt eine riesige Überproduktion. Von 100 Büchern, die neu auf den Markt kommen, verkaufen sich vielleicht zehn einigermaßen. Der Rest ist verlorene Liebesmüh. Warum soll man sich das nun alles antun? Die schiebenden Massen, den Lärm

in den Hallen, die totale Reizüberflutung? Es geht ja schlimmer zu als bei Facebook. In einer Stunde hat man mindestens 50 Freunde an den Ständen gefunden. Doch: Erstens ist die Buchmesse auch etwas fürs Auge – man mag zur »Manga-Welle« stehen, wie man will, aber die bunten Kostüme der jungen Leute sind ein Hingucker. Gleich am Eingang geben mir zwei reizvolle Mädels ihre Kamera und stellen sich in Pose. Kein schlechter Anfang für einen wunderbaren Tag. Zweitens gibt es genug Weizen jenseits der Spreu: Man muss nur 95 Prozent der Stände und Lesungen sowie Vorträge links liegen lassen und straff seinem Programm folgen, dass man vorher geplant hat. Also erst Perlen Dalmatiens, dann Hörbuch-Forum der ARD, dann etwas junge Literatur und schließlich noch eine paar Blicke bei den Lieblingsverlagen. Dazwischen noch Bekannte treffen – mehr ist nicht drin und das ist schon viel. Die Perlen Dalmatiens? Geschenkt. Eine dröge Lesung mit zu viel Kirchengeschichte. Aber das Hörbuch-Forum der ARD! Lebensberatung – und eine Entdeckung. Die Lebensberatung kommt daher in Gestalt eines unauffälligen Herrn, der das Buch »Ökofimmel« geschrieben hat. Er heißt Alexander Neubacher und im Untertitel steht: »Wie wir versuchen die Welt zu retten – und was wir damit anrichten.« Auf dem Cover prangt eine Papier-Tüte. Neubacher ist gna-

denlos. Die Bioäpfel aus der Region im Februar? »Die haben durch Lagerhaushaltung mehr an Energie gekostet als ein normaler Apfel aus Neuseeland – in der Saison ist das mit dem Apfel aus der Region sinnvoll, nicht aber unbedingt im Frühling.« Die Papiertüte für den Ökofreund? »Wird meistens nach einmaligem Einsatz entsorgt, hält ja auch nicht unbedingt lange – wenn sie dagegen eine Plastiktüte mehrfach verwenden ...« Thema Elektromobilität: »Die Batterien, die heute zum Einsatz kommen, haben mehr Energie in der Erzeugung verbraucht als ein normaler Mittelklassewagen in seinem ganzen Leben ...« Und so geht es weiter: Die

Mülltrennung, die Kurzspültaste im Klo – mein Leben wird sich ändern. Dann kommt die Entdeckung: Quirlig, pummlig, mitteljung: Judka Strittmatter: »Ja, ich bin die Enkeltochter von Erwin Strittmatter.« Nein sie schreibt nicht wie Eva oder Erwin, sie schreibt wie Judka. Jung, frisch, spannend. Zwei Schwestern, die zu Rivalinnen erzogen wurden und keine Liebe von den Eltern bekommen haben fahren an die Ostsee um sich und die Gegend kennen zu lernen. Das kommt unterhaltsam daher, aber nicht flach-witzig wie bei den JungSchreibern sonst gern üblich, sondern da ist ein Abwägen, Durchdenken, Reflektieren und kein bloßes Daherplap-

pern wie bei den Mädels in der Nachbarschaft. Ein Wermutstropfen: Die Biographie zum 100. Geburtstag ihres Opas Erwin Strittmatter hat der Verlag noch nicht fertig. Sie kommt erst im April: »Erwin Strittmatter – die Biographie« ein Buch von Annette Leo. Man hätte die Vorstellung gern auf der diesjährigen Buchmesse erlebt. Judka Strittmatter und Anette Leo im Gespräch, das wäre es gewesen. Schade! Nach Leipzig um einen herrlichen Frühlingstag als Messetag unter Glas zu erleben? Gern nächstes Jahr wieder! Wer die Frankfurter Buchmesse kennt, muss die Leipziger lieben. Es ist immer wieder eine BuchLust-Reise. Ralf Richter

Neuerscheinung zum politischen Streikrecht Arbeitsniederlegungen gelten als schärfste Waffe von Arbeitnehmern, die bei genauem Hinsehen eigentlich Arbeitgeber heißen müssten. Legitimiert werden sie vom Streikrecht. Letzteres ist in der Bundesrepublik stark reformbedürftig. Deshalb fordert der »Wiesbadener Appell« ein umfassendes Recht auf kollektive Arbeitsniederlegungen. Das Streikrecht wird nicht geschenkt, es wird erstritten! »Die Bundesrepublik Deutschland hat weltweit das rückständigste und restriktivste Streikrecht« – mit dieser Feststellung beginnt der Aufruf, der eben dies ändern will. »Für ein umfassendes Streikrecht« sprechen sich die bereits mehr als 2.500 Unterzeichner des »Wiesbadener Appells« aus, der seit dem 1. März 2012 im Internet veröffentlicht ist. Zu den Erstunterzeichnern gehören viele namhafte Gewerkschafter, Wissenschaft-

ler, Künstler, Schriftsteller und Politiker, darunter Christoph Butterwegge, Frank Deppe, Elmar Altvater, Diether Dehm, Peter Sodann, Hannes Wader, Daniela Dahn, Bernd Riexinger, Oskar Lafontaine und Rudolf Dreßler. »Die Schärfung und die Ausweitung von umfassenden (Arbeits-)Kampfmitteln der (organisierten) Arbeitnehmer führt Stück für Stück zu größeren Erfolgen der Gewerkschaften vor allem auch im politischen Raum«, so die Appellschreiber. Denn: »(Streik-)Recht ist immer Ausdruck von wirtschaftlicher und politischer Macht. Streikrechte sind elementare und soziale Menschenrechte, die erkämpft werden müssen«. Gesellschaftliche Kämpfe müssen gut vorbereitet werden, wenn sie erfolgreich sein sollen. Eine gut geeignete Lektüre bietet auch Veit Wilhelmy, Schornsteinfegermeister und Gewerkschaftssekretär der IG

Bau. Bei »Rückenwind für den politischen Streik« handelt es sich um den dritten Band einer Reihe, die sich selbst als »Materialsammlung zu einem Tabu« – dem politischen Streik – begreift, und die mit neuen geschichtlichen und aktuellen Informationen den Dialog um das politische Streikrecht fortführen will. Darin beschäftigt sich Wilhelmy vor allem mit zwei Fragen: Welche Themen eignen sich für die Debatte zum politischen Streik? Und sind der gewerkschaftliche Wille sowie die gesellschaftliche Stimmung reif? Seit den ersten Veröffentlichungen der Schriftenreihe ist vieles in Vorwärtsbewegung gekommen. Die LINKE, Teile der anderen politischen Parteien (Piraten, Grüne und SPD) und immer mehr Medien beschäftigen sich mit dem Thema. In allen Gewerkschaften gibt es stärkere Diskussionen über die Anwendung des

politischen Protestes in Form von kollektiven Arbeitsniederlegungen. Die Forderung nach der Umsetzung von politisch motivierten Arbeitskämpfen ist gestellt und hat sich in den Gewerkschaften etabliert. In ver.di, der GEW und der IG BAU ist das Thema nicht mehr aufzuhalten. Jetzt ist die Zeit gekommen, die anderen Gewerkschaften und den DGB ins Boot zu holen. Veit Wilhelmy hat einen wei-

terführenden reichhaltigen Beitrag zum Thema theoretisch fundiert und praxisnah erstellt, der mittlerweile immer größere Zustimmung bekommt. Die Buchpublikation ist für eine nachhaltige Strategie zur Verbreiterung der Diskussion dieses nicht nur für Gewerkschaftsbewegung hoch wichtigen Themas sehr geeignet. Der Appell und die Möglichkeit zum Unterzeichnen finden sich auf: www.politischerstreik.de Veit Wilhelmy, Rückenwind für den politischen Streik – Aktuelle Materialien Band 3, Fachhochschulverlag ‑ Der Verlag für Angewandte Wissenschaften (Band 145), Frankfurt, 2012, 250 S., (ISBN 978-3943787-00-9) Preis: 20 Euro, Bestellung gegen Rechnung versandkostenfrei unter: veit. wilhelmy@t-online.de


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Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Termine Leipzig, 29. März, 18.30 Uhr Rosa L. in Grünau Stationen der Krisenentwicklung. Von der Immobilienkrise zur Staatsschuldenkrise Mit Tilman Loos, Leipzig Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04207 Leipzig Leipzig, 30. März, 20.30 Uhr Lesung und Gespräch com.dichter Mit Christina Esther Hansen (Lyrik), Florian Stern (Prosa) und Jonathan Böhm (Essay) hinZundkunZ, Georg-SchwarzStraße 9, 04177 Leipzig Chemnitz, 11. April, 18 Uhr Vortrag und Diskussion Was steht im neuen Parteiprogramm der LINKEN? Fauler Kompromiss oder gemeinsame Basis? Kapitalismus abschaffen und Drogen freigeben? Mit Stefan Hartmann, Mitglied im Parteivorstand und Grundsatzkommission Sachsen Rothaus Chemnitz e. V., Lohstraße 2, 09111 Chemnitz Hoyerswerda, 13. April, 16 Uhr Vortrag und Diskussion Wohin steuert Russland? Was aus dem sowjetischen Staatssozialismus wurde und wird Mit Prof. Dr. habil. Karl-Heinz Gräfe, Historiker und Mitglied der Historischen Kommission bei der Partei Die LINKE Bürgerbüro von MdB Caren Lay, Bonhoeffer Straße 4, 02977 Hoyerswerda Zittau, 14. April, 10 Uhr Vortrag und Diskussion Wohin steuert Russland? Was aus dem sowjetischen Staatssozialismus wurde und wird Mit Prof. Dr. habil. Karl-Heinz Gräfe, Historiker und Mitglied der Historischen Kommission bei der Partei Die LINKE Begegnungsstätte, Äußere Weberstraße 2, 02763 Zittau Leipzig, 16. April, 18 Uhr Film und Diskussion Fernes Land Mit dem Regisseur Kanwal Sethi

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Großenhainer Str. 101, 01099 Dresden

Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Der pakistanische Frisör Haroon ist illegal nach Deutschland eingewandert, der deutsche Versicherungsangestellte Mark träumt vom Auswandern. Ein Autounfall mit Folgen kettet die grundverschiedenen Menschen für eine Nacht aneinander. Am Ende einer Odyssee durch die fremde Welt der Illegalität entdecken beide, daß sie etwas verbindet: die Sehnsucht nach der Ferne … Dresden, 18. April, 19 Uhr Buchvorstellung »20 Jahre neue Bundesrepublik: Kontinuitäten und Diskontinuitäten« Mit MdL Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Gerhard Besier, Herausgeber, Moderation: MdL Dr. Monika Runge WIR-AG, Martin-Lutherstraße 21, 01099 Dresden In der Flut der Jubiläumsliteratur 2009/2010 überwog die Fixierung auf das Jahr 1989/90 als Grunddatum für die Kreation einer neuen deutschen Meistererzählung. Eine solche Re-Nationalisierung der Geschichte erscheint eher hinderlich für den europäischen Einigungsprozess. Inwieweit bildet der suggerierte Epochaleinschnitt die Wirklichkeit ab? Historiker, Politik-, Erziehungs- und Religionswissenschaftler sowie Ökonomen untersuchen die eingetretenen Veränderungen auf zentralen gesellschaftlichen Feldern: dem Bildungssystem, der Bundeswehr, der Finanz- und Wirtschaftskrise, dem Abbau des Sozialstaates und der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich, den historisch-politisch-religiösen Re-Ideologisierungen sowie den Außenbeziehungen. Leipzig, 19. April, 18 Uhr Vortrag und Diskussion Der Weg in die Krise. Und jetzt? Strategien zur Überwindung Mit Wolfram Morales, Leiter des Büros des Geschäftsführenden Präsidenten des Ostdeutschen SparkassenNamentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 18000 Exempla-

verbands und MdB Dr. Axel Troost, Volkswirt und Geschäftsführer der »Memorandumgruppe« Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig »Die politische Debatte des nächsten Jahres wird von der Finanz- und Wirtschaftskrise bestimmt. Der globale Kapitalismus verursacht die schwersten Verwerfungen seit der Weltwirtschaftskrise von 1929. Ursache der Wirtschaftskrise ist dabei nicht nur die Finanzmarktkrise, erst recht nicht die Gier von einzelnen Bank- oder Unternehmensmanagern. Sie ist vor allem Ergebnis der durch politische Entscheidungen verursachten grundsätzlichen Fehlentwicklungen des Kapitalismus im Finanzmarktbereich, wie im Güter- und Dienstleistungsbereich. Die Kennzeichen sind: Exportorientierung der Wirtschaftspolitik und die völlige Liberalisierung der Güter- und Dienstleistungsmärkte; Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums und die völlige Liberalisierung der Finanzmärkte; restriktive Finanz- und Wirtschaftspolitik, Sozialabbau, Steuersenkung für Vermögende und Konzerne, Absenkung aller Standards, Auslieferung der Daseinsvorsorge und auch sozialer Sicherungssysteme an die Finanzmärkte; Orientierung der Unternehmen am shareholder value und damit Unterordnung der Gesellschaft unter das Renditeziel der Wirtschaft; Aufkündigung der Sozialpartnerschaftsverhältnisse zugunsten eines Wettbewerbskorporatismus; Absenkung der Staatsquote mit Gefährdung von Bildung, Daseinsvorsorge, Infrastruktur und ökologischer Umbau weltweit. Neben der Finanzund Wirtschaftskrise ist die Klimakrise Realität.« (Dr. Axel Troost) Dabei ist unter anderem die »Wirtschaftsdemokratisierung als Weg der Nachhaltigkeit eine Strategie der Überwindung.

Leipzig, 19. April, 18 Uhr Reihe: Luxemburg in Schönefeld Ein Jahr Umweltzone – Ergebnisse und Aussichten Mit Reiner Engelmann, Stadtrat in Leipzig und Mitglied im Ausschuss Umwelt und Ordnung Bürgerbüro MdB Dr. Barbara Höll/MdL Dr. Monika Runge, Gorkistraße 120, 04347 Leipzig Leipzig, 23. April, 18 Uhr Buchvorstellung »20 Jahre neue Bundesrepublik: Kontinuitäten und Diskontinuitäten« Mit MdL Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Gerhard Besier, Herausgeber, Moderation: MdL Dr. Monika Runge Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 24. April, 18 Uhr Vortrag und Diskussion »Daß die Dinge geschehen, ist nichts; daß sie gewußt werden, ist alles.« Zu Egon Friedells Kulturgeschichte Mit Prof. Dr. Renate Reschke Moderation: Prof. Dr. KarlHeinz Schwabe Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Dresden, 25. April, 19 Uhr Vortrag und Podiumsdiskussion Politischer Streik auch in Deutschland? Das politische Streikrecht – Wie wir es verloren haben und warum wir es gerade jetzt brauchen Mit Veit Wilhelmy, (inhaltlicher Input) Gewerkschaftssekretär IG Bau, Wiesbaden; MdL Klaus Tischendorf, parlam. Geschäftsführer der Fraktion DIE LINKE. im Sächsischen Landtag; Holm Theinert, IG Metall; Kooperationspartner: attac; Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V. Haus der Begegnung, Saal, Großenhainer Straße 93, 01127 Dresden Leipzig, 26. April, 18.30 Uhr Rosa L. in Grünau 100 Jahre ANC – Wie sich

ren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig, Rico Schubert (V.i.S.d.P.) Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84 38 9773 Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio

scheint am 26.4.2012. Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand.

Redaktionschluß: 26.3.2012 Die nächste Ausgabe er-

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Südafrika verändert hat Mit Gerd-Rüdiger Stephan, ehem. Büroleiter der RLS in Kapstadt Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04207 Leipzig 2012 wurde mit dem African National Congress (ANC) Afrikas älteste politische Organisation 100 Jahre alt. Politischer Protest, Exil, bewaffneter Kampf prägten fast 80 Jahre die Aktivitäten des ANC gegen das rassistische Apartheidregime. Seit 1994 regiert der ANC Südafrika. Seither traten bescheidene soziale Verbesserungen ein, wurde die institutionelle Apartheid überwunden und das außenpolitische Gewicht Südafrikas ist gewachsen. Dennoch sind die sozialen und ökonomischen Probleme beträchtlich. Die Kritik an der Politik des ANC wird zunehmend schärfer. Als ehemalige Befreiungsbewegung bleibt der ANC dennoch identitätsstiftend, auch für viele Arme. Der Vortrag beleuchtet die 100jährige Geschichte des ANC als (Befreiungs-)Bewegung und als (Regierungs-) Partei. Welche Veränderungen haben sich vollzogen? Wo steht der ANC heute? In welcher konkreten Politik spiegeln sich wessen Interessen wider? Chemnitz, 27. April, 18 Uhr Lesung und Gespräch »Das braune Netz« Naziterror – Hintergründe, Verharmloser, Förderer* Mit Markus Bernhardt, freier Journalist und Autor Rothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz Leipzig, 3. Mai, 18 Uhr Vortrag und Vernissage »Kein Ort. Nirgends« Vernissage zur Christa-WolfAusstellung Mit Prof. Dr. Klaus Schuhmann, Literaturwissenschaftler und Dr. Christel Hartinger (angefragt), Literaturwissenschaftlerin Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Bautzen, 4./5. Mai, ab 15 Uhr Kulturforum PROVINZ VERSUS PROVINZIALITÄT „Pisa-Schock“ und Musische Bildung Eine Veranstaltung des Kulturforums der Rosa-LuxemburgStiftung, der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen Burgtheater des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters, Ortenburg 7, 02625 Bautzen


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Eisern, aber verletzlich Die Ikone vom Sockel zu stoßen, vermag dieser Film nicht. Kleine Risse ins Fundament gebracht hat es aber schon, das filmische Portrait der konservativen Lichtgestalt Großbritanniens, Margaret Thatcher. Unter dem treffenden Titel »Die eiserne Lady« kam dieser außergewöhnliche Film der britischen Regisseurin Phyllida Lloyd im März 2012 in die deutschen Kinos. Die Reaktionen aus der konservativen Partei, den Tories, waren überwiegend negativ, »geschmacklos« und »unpassend« häufig gebrauchte Attribute. Warum? Der Film ist keineswegs eine heroisierende Reise durch das politische Leben einer willensstarken Frau, die die Geschicke Europas im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts entscheidend beeinflusst hat. Nein, ganz ohne Pathos zeigt er die 1925 geborene Thatcher als demente und einsame alte Dame, deren vornehmer Lebensstil nur schwer verdecken kann, dass sie im Grunde mit ihrer Situation unglücklich ist. Schon der Einkauf im kleinen Laden um die Ecke wird ihr zur Herausforderung, und ihre Verwandten – sofern sie sich bei ihr blicken lassen – trauen ihr selbst diese unbedeutende Besorgung nicht mehr zu. Selbstzweifel und Halluzinationen ihres verstorbenen Mannes sind ständige Begleiter, und sie durchlebt – durch

beeindruckende Rückblenden illustriert – die wichtigsten Stationen ihres politischen Lebens noch einmal. Geboren als Tochter eines Kolonialwarenhändlers im kleinen Städtchen Grantham, fällt es der jungen Thatcher zunächst schwer, sich in einer männerdominierten politischen Welt zu behaupten. Bei ihrer ersten Kandidatur zum Unterhaus 1950 unterliegt sie noch; ein Jahr später heiratet sie den Unternehmer Denis Thatcher. Es dauert noch einmal fast zehn Jahre, bis sie für den Londoner Wahlkreis Finchley ins Unterhaus einzieht. Nachdem sie 1970 Kultur- und Wissenschaftsministerin im Kabinett von Edward Heath wird, ist ihr Aufstieg kaum noch aufzuhalten; sie schüttelt das Image der provinziellen, kleinbürgerlichen Krämerstochter ab und drängt mit festem Willen an die Parteispitze, was ihr 1975 schließlich gelingt. Der Film zeigt diesen Wandel, der sich auch durch Stimmtraining und Imageberatungen vollzieht, anschaulich. 1979 beginnen ihre großen Jahre als Premierministerin, in denen sie ihrem Spitznamen – »Eiserne Lady« – alle Ehre macht. Ihre Politik der Privatisierung von staatlichen und Versorgungsunternehmen sowie der Deregulierung der Finanzmärkte, die auch für die heutigen Finanzkrisen und für die explodierenden Staatsschulen den Boden bereitet

hat, verlangt eine harte Hand nicht nur gegenüber dem Ausland, sondern auch gegenüber den politischen Gegnern im eigenen Land, vor allem den Gewerkschaften. Allerdings auch gegenüber ihrer Familie. Der Falklandkrieg 1982, den sie ebenfalls gegen sämtliche Bedenken durchdrückt, beschert ihr hingegen einen Popularitätsschub. Zwei Jahre später entgeht sie nur knapp einem Bombenanschlag der IRA, was ihr kurzzeitig vor Augen führt,

dass es in ihrem Leben mehr gibt als die Politik. Als sich die 1980er Jahre dem Ende neigen, wird langsam deutlich, dass der Zenit ihres politischen Lebens überschritten ist; sie wird mehr und mehr durch ihren Starrsinn beherrscht und verliert in den eigenen Reihen einen Unterstützer nach dem anderen. Als sie Anfang der Neunziger während einer Kabinettssitzung ihren dienstältesten Minister Geoffrey Howe wegen

einer Petitesse demütigt und höchst arrogant die Sitzung abbricht, wird ihr langsam bewusst, dass ihre Zeit abläuft – auch diese Episode stellt der Film höchst überzeugend und authentisch dar. Als sie als Parteivorsitzende nicht wieder gewählt wird, tritt sie auch vom Amt der Premierministerin zurück. Meryl Streep hat als Hauptdarstellerin eine brillante Leistung gezeigt, und auch ehemalige Weggefährten Thatchers erkennen an, dass sie der von ihr verkörperten Vollblutpolitikerin nicht nur optisch sehr nahe kam. Der Oscar ist zweifellos verdient. Trotz aller Authentizität hält sich der Film jedoch mit Bewertungen von Thatchers Politik zurück und konzentriert sich auf die Person selbst, auf ihre Motive, Gefühle und Eigenschaften. Es gelingt ihm deshalb, Margaret Thatcher so zu portraitieren, wie sie war: Eine Frau mit eisernem Willen und Kampfgeist, unerbittlich gegenüber sich selbst und ihren Gegnern, aber auch starrsinnig, zuweilen arrogant und kompromisslos konservativ. Eine Ikone, aber eben auch ein Mensch mit Schwächen, der Spuren hinterlassen hat – und ein Erbe, mit dem Europa zum Teil bis heute kämpft. Kevin Reißig Der Film »Die Eiserne Lady« ist ab Juli auf DVD erhältlich.

Rehabilitation der »Verräter« »Kriegsverrat. Vergangenheitspolitik in Deutschland« ist der Titel einer kürzlich im Dietz-Verlag erschienen Dokumentation des Bundestagsabgeordneten Jan Korte und seines Ko-Herausgeber Dominic Heilig. Sogenannte Kriegsverräter und deren Rehabilitierung waren das Thema vieler Debatten der letzten Legislaturperiode im Deutschen Bundestag. Dabei verweigerten sich zu Beginn nicht nur klassische Konservative, die deutsche Militärgerichtsbarkeit als das zu benennen, was sie war: Blutiges NS-Unrecht! So führte die schwammige Formulierung des Kriegsverrats-Paragrafen dazu, dass neben dem Desertieren aus der Wehrmacht bereits ein systemkritischer Tagebucheintrag, der Versuch, Juden vor der sicheren Ermordung zu retten oder einem sowjetischen Kriegsgefangenen ein Stück Brot zuzustecken, zur Todesstrafe führte. Von 30.000 zum Tode Verurteilten ereilte mindes-

tens die Hälfte dieses Schicksal. Vor diesem Hintergrund ließen die beiden Autoren in ihrem 208 Seiten starken Gemeinschaftswerk ihre Erfahrungen mit Koalitions- und Fraktionsdisziplin, dem Zusammenspiel von Medien und Politik, der Aufarbeitung der deutschen NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik und der Durchsetzungsfähigkeit der LINKEN noch einmal Revue passieren. Dass die beiden Politikwissenschaftler sich entschieden, die Geschichte der schließlich geglückten Rehabilitierung der »Kriegsverräter« publik zu machen, verdankt sich vor allem Ludwig Baumann. Am Anfang steht dann auch ein ausführliches, sehr persönliches Interview der Herausgeber mit dem Überlebenden, der wegen »Kriegsverrats« verurteilt wurde. Aufbauend auf einer umfassenden Studie der renommierten Historiker Wolfram Wette und Detlef Vogel geht Korte der Frage nach,

was diese Kriegsverratsbestimmungen überhaupt beinhalten, inwieweit sie Teil des NS-Unrechts waren und warum die Entlarvung der NS-Militärjustiz in der Geschichte der Bundesrepublik auf so zähen Widerstand stieß. Ganz in dieser Tradition fand dann auch der parlamentarische und außerparlamentarische Kampf für die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure und »Kriegsverräter« statt, welcher detailliert rekonstruiert wird. Dies gelingt in anschaulicher Weise – auch durch die reichhaltige Veröffentlichung von Plenarprotokollen, ausgewählten Medienberichten und prägnanten Interviews mit verantwortlichen Politikern jener Zeit, welche die spannende Dokumentation aufschlussreich abrunden. Dementsprechend werden überraschende Einblicke in die nicht immer Wohlgefühl erzeugende parlamentarische Alltagsarbeit gewährt, wie sie ansonsten von Nichtparla-

mentariern wohl kaum wahrgenommen wird. Es offenbart den ungeheuren Druck und die vielfältigen verleumderischen Ausfälle, mit denen sich die PDS- und Linksfraktion stetig konfrontiert sah bzw. noch heute sieht. Trotz alledem gelang es 2009 dank parlamentarischen Engagements und geduldiger Überzeugungsarbeit, maßgeblich initiiert durch die beiden Autoren, die Rehabilitierung der »Kriegsverräter« durchzusetzen.

So setzt dieses Buch in eindrucksvoller Weise einem der größten parlamentarischen Erfolge auf dem Gebiet der hart umkämpften Geschichtspolitik ein Denkmal. Vor allem aber wird mit der Legende einer doch irgendwie rechtsstaatlichen agierenden NS-Militärjustiz gründlich aufgeräumt und den »Kriegsverrätern« der Platz in der Geschichte zugewiesen, der ihnen zusteht: Als diejenigen einfachen Soldaten, die sich der Fortsetzung des Krieges mit ihren Mitteln widersetzten. Ganz im Unterschied zu so vielen ihrer »Kameraden«. Endlich mal ein Buch, dessen Kauf man jedem Leser nur empfehlen kann. Torsten Haselbauer Jan Korte, Dominic Heilig: Kriegsverrat. Vergangenheitspolitik in Deutschland – Analysen, Kommentare und Dokumente einer Debatte. Karl Dietz Verlag, Berlin 2011, 208 S., 14,90 Euro.


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Noch bis 28. Mai wird die Ausstellung »Peredwischniki« in den Staatlichen Kunstsammlungen präsentiert

Ein ganz großes Kompliment vorab: Nach der Ausstellung »Die schönsten Franzosen kommen aus New York«, die vom Juni bis Oktober 2007 in der Neuen Nationalgalerie in Berlin präsentiert wurde, ist das die wichtigste Ausstellung ausländischer Kunst auf deutschem Boden in der Neuzeit. Damals, 2007, führte der Umbau des legendären Museum of Modern Art (MoMa) dazu, dass für die legendären französischen Impressionisten kein Platz mehr für die Ausstellung war und man sie in einer einmaligen Aktion in Übersee präsentierte. Diese Einmaligkeit kennzeichnet auch die Exposition in Chemnitz und wir Sachsen können uns hier mehr als glücklich schätzen, die beste Kunst Russlands – so wie sie viele von uns noch aus dem DDR-Schulunterricht kennen – direkt vor der Haustür präsentiert zu bekommen. Es ist eine einmalige Pracht und wer durch die Ausstellung geht – man sollte viel Zeit einplanen und eine Führung unbedingt mitmachen, doch anschließend muss man die Ausstellung noch einmal in Ruhe mit

einem »Audio-Guide« sich anschauen – wird von dieser Schau wohl ein Leben lang zehren können. Endlich, endlich sieht man das, was man weder in Moskau noch St. Petersburg (bzw. Leningrad seinerzeit) zu sehen geschafft hat: Die wunderbaren Gemälde Ilja Repins, man denke nur an die »Wolgatreidler« oder »Die Saporoschjer Kossaken schreiben dem Sultan einen Brief«. Ja es ist angerichtet: Über 40 Maler mit ihren besten Werken aus der Zeit zwischen 1870 bis 1920. Die »Gesellschaft der künstlerischen Wanderausstellungen« wurde 1870 in St. Petersburg gegründet von den Malern Kramskoi, Mjassojedow, Ge und Perow. Von 1871 bis 1923 wurden insgesamt 48 Wanderausstellungen in Russland gezeigt. Man wollte die Kultur aus den Metropolen heraus bringen aufs Land – so gab es Ausstellungen in Kasan, Odessa, Riga, Orjol, Charkow und Kiew. Einmal kam man sogar ins Ausland, nach Prag. Neben russischen Künstlern engagierten sich bei den Peredwedschniki Malergenossen aus der Ukraine, Armenien und aus Lettland. Peredwischniki heißt Wanderer – man malte im Freien und man malte sozialrevolutionär. Das allerdings verschweigt die Ausstellung. Es wird deutlich, dass in den

Bild: Wikimedia Commons

Chemnitz zeigt die populärsten Gemälde Russlands

Jahrzehnten vor 1917 längst eine revolutionäre Situation herangereift war, nicht nur in den Großstädten sondern auch auf dem Land. Selbstverwaltungen (Sjemstwos) wurden eingerichtet. Hier werden – und auch das wird verschwiegen – die Gründerväter- und Gründermüttter der Sozialistischen Realismus gezeigt. Wie stark das auch auf die deutsche Malerei abfärbte, kann man in der Sächsischen Schweiz in Wehlen im Robert-Sterl-Museum sehen. Sterl bereiste Russland und seine Bilder von der Wolga würden sich nahtlos in die »Peredwischniki«-Ausstellung

einfügen. Kein Wunder, sie entstanden ja zur gleichen Zeit. Es ist aber sehr bemerkenswert, dass die besten Bilder der Tretjakow-Galerie aus Moskau und St. Petersburgs ausgerechnet – aus gesamtdeutscher Perspektive betrachtet – in der tiefsten deutschen Provinz präsentiert werden. Nicht in Berlin, München oder Hamburg. Dieses Verdienst gebührt nicht zuletzt der rührigen Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Chemnitz, der Schwäbin Ingrid Mössinger. Ein kleiner Wermutstropfen bei allem Lob: Es ist nicht so, dass wie

in den Medien oft dargestellt, die Ausstellung etwa für Chemnitz konzipiert wurde. Nein, sie wurde vorher in der Nationalgalerie Stockholm gezeigt – Ingrid Mössinger hat die Bilder also aus Stockholm geholt. Dabei ist einiges auf der Strecke geblieben: Der Ausstellungskatalog zeigt somit einige Bilder, die man nicht in Chemnitz sieht – diese wurden von Stockholm nach Russland zurück gebracht. Man hätte darauf ruhig hinweisen können, es tut dem Verdienst der Chemnitzer keinen Abbruch. Ralf Richter

Czy mnie jeszcze pamietasz? Erinnerst Du Dich noch an mich? Wer erinnert sich noch an diesen einzigartigen Sänger, Komponisten, Arrangeur und Keyboardvirtuosen? In der DDR war er kein Unbekannter. Seine brisante Soulstimme und seine experimentelle, progressive Musik faszinierte auch ein Publikum, zu dessen Hörgewohnheiten die slawische Sprache nicht unbedingt zählte. Seine Vita liest sich abenteuerlich. Czeslaw Juliusz Wydrzycki – sein bürgerlicher Name – wurde am 14. Februar 1939 in Wassiliski, nahe Grodno in der belarussischen Sowjetrepublik geboren. 1958 übersiedelte seine Familie in die Volksrepublik Polen nach Gdansk, wo der jungen Czeslaw sehr bald eine Musikschule besuchte, um sein bereits in Grodno begonnenes Studium fortzusetzen.

Wenig später begann seine Karriere als Sänger im Gdansker Studentenclub »Zag«. Er interpretierte zu diesem Zeitpunkt noch Bossa-Nova, Rock´n´Roll und auch lateinamerikanische Titel. 1962 trat er beim 1. Festival der jungen Talente in Szczecin auf, wo er den 1. Preis errang. Kurz darauf wurde er Mitglied der damals populären Beatgruppe »Niebiesko-Czarny« (Blau-Schwarz). 1963 reiste die Band nach Frankreich, um im legendären »Olympia« ein Konzert zu geben. Der Zufall wollte es, dass sich im Publikum keine Geringere als Marlene Dietrich befand, die Niemen´s Lied »Mutter, hast du mir vergeben« hörte und so begeistert war, dass sie es in ihr Repertoire aufnahm. 1967 gründete Niemen seine eigene Band »Akwarele«. Mit dieser gewann er beim Sopoter Chansonfestival 1967 den 1. Preis für dem Lied »Dziwny jest ten swiat« (deutsch: Selt-

sam ist diese Welt). Es gilt immer noch als das erste polnische Protestlied, das ihm eine goldene Schallplatte einbrachte. Mit »Akwarele« spielte Niemen drei LP´s ein. Es folgten mehrere Tourneen ins Ausland: DDR, Finnland, Dänemark, Italien, BRD, England, sogar Indien. Im Juli 1969 löste Niemen »Akwarele« auf und begann einen neuen musikalischen Weg. Erinnerten seine Lieder bis dahin an rockige Soulklassiker, so machten sich nun psychedelische Einflüsse bemerkbar. Mit der neuen Band »Enigmatic«, die klassische Kirchenmusik mit Free-Jazz-Einlagen und avantgardistischen Rockmusik mischte, produzierte er ein Meisterwerk gleichen Namens. Namenhafte Musiker wirkten auf diesem Album mit, so der inzwischen sehr berühmte Saxophonist Zbigniew Namyslowsk. Diese Platte kann getrost als Meilenstein in der polnischen,

wenn nicht gar in der europäischen Rockgeschichte bezeichnet werden. Niemens Ansprüche an hohe musikalischer Qualität und individuelle Virtuosität führten des öfteren zu personellen Umbesetzungen. Es wechselten ständig seine Begleitmusiker. 1974 trennte sich die Gruppe »SBB« von ihm, um eigene Pro-

Bild: Wikimedia Commons

In Gedanken an Czeslaw Niemen

jekte zu starten und erlebte selbst eine enorme Karriere. Niemen experimentierte nunmehr mit elektronischen Elementen, achtete jedoch darauf, steril wirkende Effekte zu vermeiden, indem er die so entstandene Melange mit seiner mehrstimmigen Gesangsakrobatik organisch verschmolz. Weitere hochkarätige Alben entstanden. 1981, zur Zeit des Kriegsrechts in Polen, weigerte sich Niemen, weiterhin Konzerte zu geben und widmete sich Kompositionen für Film und Theater. Erst 1989 erschien nach langer Abstinenz seine Soloplatte »Terra Deflorata« mit Texten des polnischen Dichters Cyprian Norwid. Seine letzte LP erschien 2001. Czeslaw Niemen starb am 17. Januar 2004 in Warschau. Wer kann sich noch an ihn erinnern? – Will hoffen, nicht nur ich genieße seine Platten immer noch. Jens-Paul Wollenberg


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