Links! Ausgabe 05/2012

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Stadt für alle Gentrifzierung bekämpfen!

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Mai 2012

Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist eine Kernaufgabe und zugleich ein wesentliches Leitbild bundesdeutscher Entwicklungspolitik. Vorgegeben in Art. 72 des Grundgesetzes, findet es unter anderem im Baugesetzbuches seine Entsprechung. Im dortigen § 1 wird als Aufgabe und Grundsatz der Bauleitplanung formuliert, dass eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen in Einklang bringen soll und eine dem Wohle der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung zu gewährleisten ist. Ein hohes Ziel, zu dem die gesellschaftliche Realität oft genug im Widerspruch steht. Denn in der Praxis werden soziale und wirtschaftliche Belange häufig eben nicht in Einklang gebracht, sondern der Ökonomie gebührt der Vorrang. Vielerorts gehen Aufwertungsmaßnahmen in Stadtquartieren langfristig mit einer Vertreibung ärmerer Bevölkerungsschichten einher. Je attraktiver ein Stadtteil wird, je aufwendiger die Sanierungsmaßnahmen sind, umso höher werden in der Regel die Mieten und es steigt die Zahl derer, die gezwungen sind, sich in anderen Stadtteilen eine preiswertere Wohnung zu suchen. Unter dem Begriff „Gentrifizierung“ hat dieser Prozess einige Popularität erlangt und ist ein wichtiges Thema linker Kommunalpolitik, die das Ziel verfolgt, der fortschreitenden sozialen Entmischung ganzer Stadtteile Einhalt zu gebieten. Dass solche Entwicklungen in Sachsen gerade in Leipzig und Dresden anzutreffen sind, muss nicht verwundern. Sind es doch gerade diese beiden

Städte, die ein Bevölkerungswachstum aufweisen und in denen eine entsprechend hohe Wohnungsnachfrage gerade in Altbauquartieren besteht. In den übrigen Städten in Sachsen ist die Situation oft eine andere. Hier herrschen Schrumpfungstendenzen vor und die abnehmende Bevölkerungszahl sorgt für einen hohen Leerstand an Wohngebäuden gerade in den Altstadtquartieren. Dabei spielt der Sanierungszustand mitunter eine untergeordnete Rolle, wie das Beispiel Görlitz zeigt, wo ausgerechnet die aufwendig sanierte Altstadt unter hohen Leerstandsquoten zu leiden hat. In Chemnitz engagieren sich gerade die Bewohner des Sonnenberges, einem Stadtteil mit sehr hohen Anteil von HartzIV-Beziehern, für eine bauliche Verbesserung ihres Quartiers, und im Gründerzeitviertels „Brühl“ würde durch eine wie auch immer geartete Sanierung und Aufwertung wohl niemand vertrieben werden, schlicht weil dort schon seit über 10 Jahren kaum mehr jemand wohnt. Das heißt aber nicht, das es auch in solchen Kommunen keine Ausgrenzung von ärmeren Bevölkerungsteilen aus bestimmten Stadtteilen gäbe. Als die Chemnitzer Tafel im Jahr 2007 einen neuen Standort im Stadtteil Schönau beziehen wollte, meldeten sich die dortigen Anwohner zu Wort. In einem Protestbrief an die Rathausspitze hieß es, Schönau beherberge nur gutsituiertes Bürgertum und kaum Kunden der Chemnitzer Tafel. Unter der Ansiedlung der Tafel würden durch deren Klientel auch die Parks und Wege leiden. Soziale Ausgrenzung hat viele Gesichter und Ursachen – Aufgabe der Linken ist es, dieser entgegen zu treten, egal ob sie durch Gentrifizierung oder durch die Abstiegsangst des Bürgertums begründet wird. Denn Stadt ist für alle da! Patrick Pritscha


Links! im Gespräch

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»Eine Stadt hat eine politische Aufgabe« Städte sind Orte permanenten Wandels – nicht nur in Bezug auf Kultur und Bauwerke, sondern auch hinsichtlich ihrer Bevölkerung. Diese Prozesse bringen Neubau und Abriss mit sich, produzieren Gewinner und Verlierer. Diskussionen um sich verändernde Stadtteile ranken sich oft um den Begriff Gentrifizierung. Links! sprach mit Prof. Dr. Dieter Rink vom Department Stadt- und Umweltsoziologie des Leipziger Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung über einen kontroversen Prozess, seine Folgen für die Bewohner und über mögliche Gegenstrategien. Wie die allermeisten wissenschaftlichen Begriffe wird auch »Gentrifizierung« unterschiedlich definiert. Was ist darunter zu verstehen? Kurzgefasst handelt es sich dabei um Verdrängung durch Aufwertung. Wohnungen werden aufgewertet und dadurch teurer, oder Mietwohnungen werden in Eigentumswohnungen umgewandelt. Dadurch können sich die vorherigen Bewohner die Mieten nicht mehr leisten, und anschließend zieht eine zahlungskräftigere Gruppe ein, die meist auch höher qualifiziert ist sowie über andere Lebensstile verfügt. Schließlich wandelt sich auch das Image eines solchen Viertels, z.B. weg vom Arbeiterviertel wie Leipzig-Plagwitz zu einem Künstlerviertel. Stadtteile werden also attraktiver für Zuzügler. Für die Stadtverwaltungen eigentlich ein Grund zur Freude, oder? Auf der einen Seite ja, weil diese Stadtviertel vorher zumeist einen Prozess der Desinvestition durchlaufen haben. Die sind also mehr oder weniger verfallen, heruntergekommen. Wenn man das ehemalige Gebiet der DDR betrachtet, betraf das flächenhaft die Altbaubestände, es gab also nahezu ideale Voraussetzungen für Gentrifizierung. Darüber freuen sich Stadtverwaltungen, auch Planer, denn es fließen Investitionen hin, das Viertel kommt ins Laufen. Auf der anderen Seite führt die Verdrängung aber zu Segregation, das heißt, es kommt zu Konzentrationen von vor allem einkommensschwachen Haushalten, die dann als »Problemgebiete« oder »soziale Brennpunkte« bezeichnet werden.

Diese Prozesse kennt man bislang vor allem aus Westdeutschland. Sind Leipzig und Dresden auch schon auf dem Weg dorthin? Im Prinzip waren die ostdeutschen Innenstädte flächenhaft verfallen. Dort hat es Gentrifizierung schon in den 90er Jahren gegeben, sie war aber aufgrund der allgemein schlechten Wohnsituation nicht so problematisch wie heute. Heute ist das anders, weil in Leipzig und Dresden die Altbaubestände mehr oder weniger durchsaniert sind. Die Innenstädte haben an Attraktivität gewonnen. Wir haben in einigen innenstadtnahen Vierteln festgestellt, dass dort schon um die Jahrtausendwende 70 bis 80% der Bevölkerung ausgetauscht worden war. Dieser Prozess hat sich fortgesetzt, sodass die ersten Stadtteile, zum Beispiel das Dresdner Hechtviertel oder das Leipziger Waldstraßenviertel, schon dicht sind, und die Mieten steigen. Auch wer aus anderen Innenstadtlagen wegziehen muss, wird in andere Stadtteile und Lagen verdrängt, die weniger attraktiv sind, wie etwa die Großwohnsiedlungen am Stadtrand wie Leipzig-Grünau oder DresdenGorbitz. Dort gibt es immer noch sehr viel Leerstand, die Wohnungen sind aber kleiner oder schlechter ausgestattet. Im Vergleich zu westdeutschen Städten muss man aber auf das insgesamt niedrigere Mietniveau im Osten verweisen. Das ist ein gutes Stichwort. Leipzig ist die »Armutshauptstadt«, dort gibt es einen überproportional hohen Anteil an Hartz IV-Betroffenen, und die Kommune muss für die Wohnkosten aufkommen.

Gentrifizierung und die Verteuerung von Wohnungen sind also besondere Gefahren auch für die kommunalen Kassen. Genau. Hier muss man sich auch noch einen anderen Prozess ansehen: In den letzten 20 Jahren hat nicht nur Sanierung in den Innenstädten stattgefunden, sondern es wurden in den 90er Jahren auch die Großwohnsiedlungen teilweise saniert, bis man merkte, dass es auf dem Wohnungsmarkt ein Überangebot gibt. Daraufhin wurde Anfang der 2000er mit dem Stadtumbau begonnen und in größerem Umfang Wohnungen abgerissen, insbesondere in den Großwohnsiedlungen, 7.500 allein in LeipzigGrünau. Dort sind aber genau die preiswerten Wohnungen abgerissen worden, die heute gebraucht werden. Auf der anderen Seite wird in der Leipziger Innenstadt aber wieder neu gebaut, allerdings ausschließlich im sogenannten gehobenen Segment. Was kann die Politik machen, um Gentrifizierung zu stoppen? Es gibt einige Mittel, zum Beispiel Milieuschutzsatzungen oder die Einrichtung von Erhaltungsgebieten. Die werden aber von der Stadtverwaltung als kritisch eingeschätzt, weil sie mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden sind und es Wege gibt, sie zu unterlaufen. Man muss sich vor allem dem kommunalen Wohnungsbestand widmen, der auf alle Fälle gehalten werden sollte. Denn das ist das zentrale Instrument einer Stadt, um auf den Wohnungsmarkt einzuwirken. Da ist es natürlich problematisch, wenn eine Stadt wie Dresden praktisch ihren gesamten Bestand privatisiert. In

Leipzig soll ein bestimmter Teil gehalten werden, derzeit etwa 30.000 Wohnungen, das sind etwa 10% des Bestandes – also nicht sehr viel. Wenn wir uns alleine die Zahl der Bedarfsgemeinschaften in Leipzig ansehen, sind allein das nach meinem letzten Kenntnisstand schon 41.000. Sicher kann eine Stadt nicht alles abdecken, aber sie hat Vorsorge zu treffen und eine wohnungs- bzw. sozialpolitische Aufgabe zu erfüllen. Natürlich muss man hier auch in Rechnung stellen, dass die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB) überschuldet ist. Die Privatisierung von Wohnungsbeständen ist ein Weg, die ebenfalls politisch geforderte Entschuldung zu realisieren. Dabei ist aber zu beachten, in welcher Weise und an wen verkauft wird. Ich finde es z.B. problematisch, große Bestände oder gar – wie in Dresden – den gesamten kommunalen Bestand an internationale Investoren zu privatisieren. Da hat man dann keinen Einfluss mehr darauf, wie die weitere Verwertung der Wohnungen dann aussehen wird. Eine Mieterprivatisierung wäre zwar aufwändiger, könnte aber ein Instrument sein, um kleinteilige Eigentümerstrukturen aufzubauen und für soziale Durchmischung zu sorgen. Dieses Instrument wird übrigens auch im wohnungspolitischen Konzept der Stadt Leipzig benannt. Welche Rolle können soziale Bewegungen im Kampf gegen Gentrifizierung spielen, wenn man von Sachbeschädigungen oder Anschlägen auf sanierte Häuser absieht? Damit haben Sie schon eine taktische Richtung solcher Be-

wegungen beschrieben, die jetzt schon in manchen Stadtteilen eingesetzt wird. Unter dem Motto »Unser Viertel soll dreckig bleiben« wird eine Abschreckungsstrategie gefahren. Bestimmte dieser Praktiken sind nicht akzeptabel, etwa wenn es Anschläge auf Häuser mit Teerbeuteln oder gar mit Steinen gibt, denn dabei wird auf die Sicherheit und die Gesundheit der Bewohner – insbesondere Familien mit kleinen Kindern – keine Rücksicht genommen. Was aber auf alle Fälle durch die sozialen Bewegungen bewirkt werden kann, sind öffentliche Aufmerksamkeit und eine Debatte über das Thema. Ein positives Beispiel in dieser Hinsicht ist das »Rechtauf-Stadt«-Netzwerk in Hamburg, dem es gelungen ist, die Privatisierung des Gängeviertels rückgängig zu machen und eine stadtpolitische Debatte anzustoßen. Wichtig ist auch die Formulierung von wohnungspolitischen Forderungen beziehungsweise, wenn es solche schon gibt, deren Umsetzung. Da gibt es durchaus Spielräume der Städte, man muss sie nur ausloten und nach Umsetzungsmöglichkeiten suchen. Eine andere Möglichkeit, die zum Beispiel in München praktiziert wird – dort gibt es Wohnungsmangel –, besteht darin, zwar im gehobenen Segment zu bauen, die Investoren aber mit der Baugenehmigung zu verpflichten, einen bestimmten Prozentsatz an Sozialwohnungen zu schaffen. Und auch der geplante Stadtumbau, vor allem die Abrisse, müssen auf den Prüfstand. Auf Bundesebene gibt es derzeit eine Diskussion über die Privatisierung von 11.500 Wohnungen aus dem Bestand der Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG). Auf Initiative der LINKEN wurde die Genossenschaft »FairWohnen« gegründet, die sich am Bieterverfahren beteiligen will und hofft, möglichst viele Bewohner mit ins Boot holen zu können. Ein solcher Vorschlag ist auch hier schon gemacht worden. Man muss sehen, dass eine Mieterprivatisierung nur von Leuten geleistet werden kann, die über einen bestimmten Kapitalstock oder ein Einkommen verfügen, die die Beschaffung eines Kredites ermöglichen. Für viele trifft das aber gerade nicht zu, und für sie könnten solche Genossenschaftsmodelle der richtige Weg sein. Zumal Genossenschaften schon durch ihre Satzung auf bestimmte soziale Ziele festgelegt sind. Die Fragen stellten Rico Schubert, Juliane Nagel und Kevin Reißig.


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Hohe Spritpreise und solidarische Mobilität »Die Zeit billigen Öls ist vorbei, für die Umwelt und für alle wird es immer teurer und riskanter, an die fossilen Treibstoffe zu kommen. Kurzfristige Scheinlösungen, die als Wahlkampfhits dienen sollen, helfen da nicht weiter«. Dieser Feststellung von Hubert Weiger, dem Vorsitzenden des BUND, ist vollständig zuzustimmen: Wenn wir jetzt nicht die Weichen für eine sozialökologische Verkehrswende stellen, steuern wir auf eine Krise zu, von der – wie von allen Krisen – die Ärmeren am meisten betroffen sein werden. Außerdem gebietet es die Solidarität mit den von Dürren, Stürmen und Überflutungen betroffenen Menschen, endlich alles zum Klimaschutz mögliche zu tun. Eine Verkehrswende kann nur mit einem Dreiklang aus Verursacherprinzip, attraktiven Alternativen und sozialer Abfederung gelingen. Das Verursacherprinzip bedeutet, dass dem Verkehr endlich alle externen Kosten angelastet werden: Umwelt- und Klimabelastung, Gesundheitsschäden durch Abgase und Lärm, Straßenbau, Parkraum und anderes. Eine deutliche Anhebung der Spritsteuern wäre also die Konsequenz. Aber natürlich nicht zugunsten privater Profite: Die Mineralölkonzerne sollten daher unter

verstärkte staatliche Kontrolle, z. B. durch die Kartellämter, gestellt werden. Nun ist es nicht sozial, wenn jemand, der auf das Auto angewiesen ist, sich dieses nicht mehr leisten kann. Aber es ist erst recht nicht sozial, wenn auf Steuerzahlerkosten das Autofahren subventioniert wird, also auch für den reichen SUV-Fahrer, und wenn gleichzeitig das Geld für Lärmschutz an Autobahnen fehlt, an denen Menschen wohnen, die sich nur die dort niedrigen

Mieten leisten können. Wir brauchen ein engmaschiges, solidarisch finanziertes ÖPNV-Angebot, attraktive Rad- und Fußwege sowie eine Stadtplanung, die den Nahraum stärkt, so dass nahezu alle die Möglichkeit haben, auf das eigene Auto zu verzichten. Die Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs auf ein Minimum hätte das Potential für einen enormen Anstieg der Lebensqualität: Weniger Lärm- und Abgasbelastung, mehr Grünflächen und Naher-

holung statt breiter Straßen, aber auch Kostenersparnis. Nebenbei könnten durch eine solche Verkehrswende auch viele neue und zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Da aber ein Umstieg nur schrittweise erfolgen kann, müssen wir Instrumente finden, die geringe Einkommen von hohen Spritpreisen entlasten. Die Pendlerpauschale gehört nicht dazu, da sie sozial ungerecht ist: Wer mit niedrigem Einkommen nichts oder kaum etwas zu versteuern

nen Freiheit. Er stammt von Regine Hildebrandt. Würde sie noch leben, vielleicht hätte sie die SPD zur Bundespräsidentin gemacht. Aber darum soll es nicht gehen. Es geht um die Freiheit, die sie meinen. Es geht um die Freiheit, die wir haben. Die »Freiheit« des Joachim Gauck ist seine Freiheit, ausschließlich seine, wie es aussieht. Er kann nach Israel reisen. Oder muss er? Er ist ja eingeladen. Anders Günter Grass. Der wurde ausgeladen. Dafür hat er sich die Freiheit genommen, zu sagen, was er schon lange sagen wollte - nein sollte. Er hatte sich nämlich auch lange die Freiheit genommen, es nicht zu sagen. Aber das war nicht wirklich aus Freiheit. Das war so, weil unsere Freiheit an Grenzen stößt. Zu lesen, was wir wollen, und auch zu sagen, was wir wollen, kann schon die Bewegungsfreiheit einschränken - die körperliche wie die geistige: »Schnauze halten!«, tönte es ziemlich unverhüllt durch den

Blätterwald. Nicht einmal die vornehmere Variante der Antike wurde ihm gegönnt: »Wenn Du geschwiegen hättest, wärest Du Philosoph geblieben.« Im Gegenteil! Der Philosoph wurde seiner Ehren entkleidet.

Stich gelassen!? Es ist die Bewegungsfreiheit, von der Regine Hildebrandt spricht, nicht wirklich eingeschränkt, wenn man mal nicht nach Israel reisen darf. Günter Grass wird die Strapaze im Alter vielleicht gar nicht mehr auf sich nehmen wollen, lieber die letzte Tinte zu Hause verschreiben, statt sie für Einreiseformulare zu verschwenden. Wir können doch immer noch sonst wohin reisen. Und frei reisen mit uns unsere Daten. Sie sind längst da, bevor wir z.B. in den USA angekommen und sie bleiben noch lange da, wenn wir schon wieder weg sind. Mag das manchem und mancher schlimm vorkommen, es ist dennoch Bestandteil eines Privilegs. Bewegungsfreiheit hat ihre harten Grenzen, ob mit oder ohne Daten. »Ich bin von dem Engagement der Bulgaren zur Grenzsicherung beeindruckt«, sagte kürzlich ein österreichischer Staatssekretär. Und die dazugehörige »Kronen-Zeitung« lobt im Detail:

Von der Freiheit

»Wir haben die Freiheit ersehnt, sie hat uns angeschaut, wir sind aufgebrochen, und sie hat uns nicht im Stich gelassen.« Ich habe diesen Satz im Internet gefunden. Gesagt hat ihn unser aller Bundespräsident Joachim Gauck. Wann und zu welcher Gelegenheit ist nicht vermerkt. Und weil ich so beim Suchen war, fand sich noch ein anderer Satz zur Freiheit: »Wir, die wir hinter der Mauer gesessen haben, wir dachten wirklich, wenn wir die Bewegungsfreiheit hätten, wenn wir lesen könnten, was wir wollen, dann wäre die Welt in Ordnung.« Der Satz ist wesentlich skeptischer bezüglich der nach der Mauer errunge-

In der Republik, in der nach 1945 schon bald wieder alte Nazis das Sagen hatten, in der Republik, in der es alte Nazis zu Ministerposten, zum Bundeskanzler und zum Bundespräsidenten schafften, sollte der Sündenfall des Siebzehnjährigen plötzlich zum lebenslänglichen Kainsmal werden. Der Eine hat frei weg etwas gesagt und die Anderen haben es ihm in aller Freiheit so um die Ohren gehauen, dass er möglichst aller Freiheit verlustig gehen sollte. Dennoch, es steht da immer noch Freiheit gegen Freiheit. Ein Duell in der Sonne, die Freiheit des »Wilden Westens« zwar, aber die Freiheit hat uns (noch) nicht im

hat, spart damit auch keine oder kaum Steuern. Die Linksfraktion hat daher in einem Antrag bereits die Abschaffung der Pendlerpauschale zu Gunsten eines sozial gerechten Pendlergeldes gefordert, das einen festen Auszahlbetrag je Kilometer vorsieht (BTDrs. 17/5818). Dieses müsste noch sozial und ökologisch weiterentwickelt werden: Entlastung vor allem beziehungsweise nur der niedrigen Einkommen und so, dass die Kilometersätze bei weiten Entfernungen immer niedriger werden, um der Tendenz zu immer weiteren Arbeitswegen und der Zersiedelung entgegen zu wirken. Interessant ist auch der Gedanke, die Kosten den Arbeitgebern anzulasten – neben der Pflicht oder Anreizen, sich um umweltfreundliche Arbeitswege zu bemühen: Mit Jobtickets, besserer ÖPNV-Anbindung und der Organisation von Fahrgemeinschaften. Fazit: Um langfristig die Mobilität für alle zu sichern, muss jetzt eine Verkehrswende eingeleitet werden. Die unvermeidlichen Kosten können dabei nur den schädlichen Verkehrsformen angelastet werden. Aus sozialer Rücksicht kann darauf nicht verzichtet werden, vielmehr müssen für die Abfederung sozialer Härten andere Instrumente gefunden werden. Zentral sind aber die Chancen, die mit einer Verkehrswende verbunden sind. Dominik Fette, Büro Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

»Hightech-Hubschrauber, mobile Röntgenfahrzeuge, Infrarotüberwachungstürme - Bulgarien gibt sich gewappnet, Europas Außengrenze zur Türkei dichtzumachen« (22.03.12, S.16). Böse Schelte gibt es hingegen für die Griechen, »deren Grenze zur Türkei, offen wie ein Scheunentor‘ steht« (ebenda). Holla!, entfährt es mir da. Was ist da jetzt mit Axel Springers einstiger Kampagne »Macht das Tor auf«? Er meinte ein Tor, durch das dazumals eben jener Günter Grass auch nicht gehen durfte, nicht in jenes Land gehen durfte, das sich abschirmte. Sehr viele mehr aber durften das Land durch dieses Tor nicht verlassen, was sicher schlimmer war. Dieses Tor gibt es nicht mehr. »Wir sind aufgebrochen.« Geschaffen und verschlossen haben wir aber neue Tore und gebaut haben wir neue Wachtürme, »die jeden Zentimeter des Grenzraumes rund um die Uhr überwachen.« (Krone, ebenda, S. 17) Die Welt ist nicht in Ordnung! Peter Porsch


Hintergrund

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(Atom)streit mit Teheran Dr. Cornelia Ernst, Vizepräsidentin der interparlamentarischen IRAN-Delegation, zur Lage in Iran und den Hintergründen des Atomstreits. Land zwischen Moderne ... Zweck der IRAN-Delegation ist es, den Dialog zwischen EUund iranischen Parlamentariern sowie zur iranischen Gesellschaft zu entwickeln. Wie schwierig das ist, beweist die Tatsache, dass wir seit 2009 drei Versuche starteten, zu Gesprächen in den Iran zu reisen. Zwei scheiterten am iranischen Regime, das uns kurzfristig keine Visa gewährte, und einer an den Dialoggegnern im Europaparlament. Kein zweites Land steht so im Mittelpunkt von Kontroversen wie der Iran, der eine bedeutende Wirtschaftskraft mit modernster Technologie und gut ausgebildeten Fachkräften, im Übrigen besonders Frauen, im Nahen Osten darstellt und erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der gesamten Region hat, alles was dort geschieht, hat Auswirkungen in den europäischen Raum hinein. und archaischer Diktatur Die Tragödie besteht darin, dass der Iran, angeführt von Revolutionsführer Chamenei, ein gefährlicher Unruheherd geworden ist, mit Blick auf Israel ganz unverhohlen eine Bedrohung, mit Blick auf die eigene Bevölkerung eine archaische Diktatur – extremer Antisemitismus, radikale Islamisierung, antidemokratische Grundordnung und Politik der Bedrohung nach außen. 2011 wurden 670 Menschen im Iran hingerichtet, davon 249 geheim, übrigens unter Verwendung des gleichen Betäubungsmittels, welches zu Hinrichtungen in den USA dient.

Auch Steinigungen von Frauen sind immer wieder an der Tagesordnung. Angeblich seien 81 Prozent der Hingerichteten Drogenhändler gewesen, 4,3 Prozent »Gotteslästerer«, die wirklichen »Delikte« wurden meist vertuscht. 2012 wurde bisher täglich mindestens ein Mensch hingerichtet. 42 Journalisten wurden letztes Jahr inhaftiert, 150 Journalisten verließen nach 2009 das Land, mit ihnen auch Schauspieler, Vertreter von Minderheiten, Intellektuelle. Rede- und Medienfreiheit gibt es nicht, noch nicht mal im Internet.

Nichts als Interessenpolitik Menschenrechtsverletzungen spielen jedoch »in der großen Politik« des »Westens« keine tragende Rolle, da steht der so genannte Atomstreit im Vordergrund, der uns verdächtig an andere Atomstreite erinnert. Die Atommacht USA hat Anfang 2012 neue Sanktionen gegen den Iran verhängt, die EU folgte gehorsam und erließ jüngst die bislang schärfsten Sanktionen: Ölboykott, Handelsembargo, Einfrieren der Guthaben der iranischen Zentralbank. Zeitgleich flogen USAufklärungsdrohnen hunderte Einsätze, gab es zahlreiche verdeckte CIA-Operationen im Iran, mit dem Ziel, Atomanlagen, die den Bau einer Atombombe ermöglichen könnten, zu enttarnen. 1959 wurde mit Hilfe der USA das iranische Atomprogramm begonnen, damals zur friedlichen Nutzung der Kernkraft, zum Bau von über 20 Atomkraftwerken. Präsident Eisenhower schenkte der Uni Teheran einen Forschungsreaktor. 1970 ratifizierte der Iran den Atomwaffensperrvertrag. Für 1992 war geplant, ca. 15,5 Prozent des Energieverbrauches durch Nuklearenergie zu decken. 1975 unterzeichnete Henry Kissinger das »National Security Decision Memorandum 292« zur iranisch-amerikanischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Nukleartechnologie. Um iranische Re-

aktoren mit angereichertem Uran zu versorgen, ging der 10prozentige schwedische Anteil von einem europäischen Unternehmen für Urananreicherung an den Iran über. Kooperationsabkommen wurden mit der BRD und Frankreich abgeschlossen, 1974 wurde der Vertrag für den Bau des ersten Kernkraftwerkes in Buschehr abgeschlossen. Die deutsche Kraftwerk-Union AG sollte für zehn Jahre angereichertes Uran liefern. 1979 wurde der Bau unterbrochen, die islamische Revolution bezeichnete damals Atomkraft als »unislamisch«. Mit der Radikalisierung des Iran gewann die Atomfrage an politischer Bedeutung. Russland stellte Buschehr 2010 fertig, es ging am 4. September 2011 ans Netz.

Drohkulissen 2002 wurde bekannt, dass der Iran Atomanlagen unterhielt, die der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) verheimlicht wurden. Der Nichtweiter verbreitungsver trag wurde vom Iran zwar unterzeichnet, aber nie ratifiziert. 2005, mit der Wahl von Ahmadinedschad zum Präsidenten, verschärfte sich die Lage, auch durch die fatale Leugnung des Holocaust und offene Drohung mit der »Vernichtung des zionistischen Regimes« in Israel. Sanktionen gegen den Iran folgten in steter Regelmäßigkeit, mit der Folge, dass der Ölpreis anstieg. Die jüngsten Sanktionen treffen aber erstmalig tatsächlich bedeutende Teile der iranischen Bevölkerung, die Mittelschichten. Sie tragen insgesamt dazu bei, das Regime in Teheran »gegen den Westen« zu stützen. Ab 2008 schaltete sich die USA in Verhandlungen ein, die IAEA verlangte Zutritt zu den Atomanlagen. 2010 stimmt der Iran in einem Abkommen mit der Türkei und Brasilien der Urananreicherung im Ausland zu, was weder in Europa noch in den USA respektiert wurde. Politik der Stärke 2011 kündigte der Iran dann

Schwerwasserreaktor in Arak, Iran. Beide Fotos dieser Seite wikimedia.

an, selbst Uran anzureichern. Die Atombombe, die es bislang nicht gibt, wurde Mittel einer Politik der Stärke. Zeitgleich erfolgte mit europäischer Hilfe die Militarisierung des Iran, zum Beispiel wurden 29 russische Mittelstreckenraketen gekauft. Ob der Iran tatsächlich an Atomwaffen baut, ist offen. Die Verlautbarung, nun selbst Brennstäbe herzustellen, macht die Antwort nicht leichter. Der Iran kann jetzt 20%iges Uran anreichern. Um auf 80-90%iges – nutzbar für Atomsprengköpfe – zu kommen, ist weit mehr nötig. Der Atomstreit, von allen Seiten bewusst angeheizt, wurde zentraler Punkt der Außenpolitik

Achmadinedschad: Ein Antisemit und Hetzer, aber auch eine Bedrohung für den Weltfrieden?

des und gegenüber dem Iran und hilft allen Beteiligten, von eigenen Problemen abzulenken. Bis 1979 war das Verhältnis beider Staaten normal, es gab sogar gemeinsame Militärprojekte. Mit der islamischen Revolution wurde Israel mehr und mehr dämonisiert, Juden diskriminiert, kalter Krieg verpestet seither das Klima nicht nur zwischen beiden Staaten, sondern insgesamt im Nahen Osten. Richtig ist, dass die Bedrohung Israels durch den Iran zugenommen hat. Aber die Beunruhigung Israels rührt auch daher, dass viele Israelis verunsichert sind über die Ereignisse des letzten Jahres in Nordafrika. Netanjahu spricht nicht vom »arabischen Frühling« als vielmehr vom »arabischen Herbst«. Fakt ist, dass viele Menschen in Israel besorgt sind, dass islamistische Ordnungen in Nordafrika entstehen könnten, die den Staat Israel in seiner Existenz bedrohen. Diese Bedenken müssen ernst genommen werden. Unterm Mantel des Schweigens Israel selbst aber gehört auch zu den großen Aufrüstern des Nahen Osten, und über seinem eigenen Atomwaffenprogramm liegt der Mantel des Schweigens. In der Wüste Negev wird eine solche Anlage vermutet, das Atomwaffenar-

senal von Israel wird auf ca. 200 bis 300 Sprengköpfe geschätzt. Deutschland hat 1999 und 2000 unter Rot-Grün drei U-Boote der Dolphinklasse geliefert, die mit Atomwaffen bestückt werden können. Ende März diesen Jahres einigten sich die Verteidigungsminister Israels und Deutschlands über die Lieferung weiterer DolphinU-Boote, wobei die BRD ein Drittel der Kosten übernimmt, 135 Millionen Euro. Israels Regierung lässt keine Zweifel daran, mit bunkerbrechenden Bomben iranische Anlagen zerstören zu wollen und pocht auf ein so genanntes Recht zu einem Erstschlag, ein Recht, das niemandem zusteht, keinem Staat, keiner politischen Kraft der Welt. Hektisch wird nach Abflugbasen und Transportwegen gesucht, werden von den USA und anderen Unterstützung eingefordert. Rückkehr zum Dialog unabdingbar Ein Krieg würde beiden Ländern Tod und Zerstörung bringen. Deshalb gibt es auch Kritik in Israel an solchen Plänen, sogar die Sicherheitselite warnt davor. Eine solche kriegerische Auseinandersetzung hätte verheerende Folgen für den gesamten Nahen Osten, der schon jetzt ein Pulverfass ist. Er würde andere Mächte herausfordern, die USA als Bündnispartner, die EU und vor allem China und Russland. Statt Eskalation ist es notwendig, zum Dialog auf Augenhöhe zurückzukehren. Dieser kann zustande kommen, wenn Länder als Vermittler eingeschaltet werden, denen beide Seiten vertrauen, wie Russland, Brasilien, auch China. Nötig sind konsequente Waffenexportverbote in diese Region, die Rückkehr an den Verhandlungstisch. Ziel muss es sein, einen atomwaffenfreien Nahen und Mittleren Osten zu entwickeln. Gleichzeitig ist es von größter Bedeutung, den demokratischen Kräften im Iran uneigennützige Unterstützung zu gewähren. Uneigennützig heißt, auf jede Instrumentalisierung der Menschenrechtsfragen zu verzichten und stattdessen die Eigenkräfte der demokratischen Opposition zu fördern, von jedweden Versuchen, eine »Revolution zu exportieren«, abzulassen. Hierfür kann das Europarlament einen eigenständigen Beitrag leisten, als Mittler und Förderer. Aber wirkliche Veränderung im Iran kann nur von innen kommen, von den Menschen, die dort leben. Dies zu respektieren, verlangt auch uns Europäern noch eine Menge Lernfähigkeit ab. Cornelia Ernst


Veit Wilhelmy, Mitiniator des Wiesbadener Appell – Für ein Recht auf politischen Streik - auch in Deutschland erläutert die Idee. Auf Seite 3. Barbara Höll stellt die Idee Fair wohnen auf Seite 4 vor. Und Julia Bonk plädiert nicht nur für Verbraucherschutz, sondern auch für ei-

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Sachsens Linke

ne moderne Verbraucherbildung. Auf Seite 4. Um Antiziganismus und Hetze gegen Roma geht es auf Seite 5. Juliane Nagel und Jens Thöricht berichten.

Das Papier »Sachsen in Europa« soll diskutiert werden. Es ist im Innenteil zu finden. Die neugewählte Vorsitzende der Fraktion GUE/NGL, Gabi Zimmer im Gespräch auf Seite 11.

Sachsen in Europa Das Diskussionspapier

im Innenteil

Sächsische Kultur

Oskar Lafontaine und Michael Menzel, der parteilose Oberbürgermeisterkandidat für Erfurt, der am Ende leider knapp unter 10 Prozent blieb. Der Wahlsieger, Matschies Stellvertreter Andreas Bausewein sagte nach den Wahlen, dass die Zusammenarbeit mit der Linke keine Einbahnstraße sein könne. Die Kooperation müsse auch zwischen den Wahlen funktionieren, sagte er. Auch sei RotRot nach den Landtagswahlen eine klare Option.

Thüringer Signale Die Kandidatinnen und Kandidaten haben einen engagierten, ideenreichen bis an die Grenzen der Kräfte gehenden, Wahlkampf gemacht. Im Mittelpunkt standen unsere Positionen zum Ausbau der direkten Demokratie, zur Schaffung von gläsernen Rathäusern und Landratsämtern, zur Sicherung der kommunalen Daseinsvorsorge und zur auskömmlichen Finanzausstattung der Kommunen. Mit 50 Kandidatinnen für die Ämter als Landräte, Bürgermeister und Oberbürgermeister ist es uns gelungen fast die Zahl aus 2006 (54) wieder zu erreichen. In drei Landkreisen konnten wir keine Landratskandidatinnen stellen bzw. unterstützten andere Bewerber. Die Ergebnisse zeigen sich sehr differenziert und lassen nicht in jedem Fall Rückschlusse auf unser eigentliches Potential als Partei zu. So konnten wir in der Landeshauptstadt Erfurt nur 9,8 Prozent der Stimmen erreichen obwohl unser Potential bei ca. 30 Prozent liegt. Die Ursachen dafür sind vielschichtig. Vor allem aber wurde erst vor sechs Jahren ein neuer Oberbürger-

meister ins Amt gewählt, mit dem die Bürgerinnen und Bürger durchaus zufrieden sind. Auch die CDU konnte nur 15 Prozent der Stimmen in Erfurt für sich verbuchen. Auf der anderen Seite ist es uns gelungen in Sömmerda unseren neuen Kandidaten Ralf Haubold mit 65 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang durchzubringen. Verteidigen konnte DIE LINKE. Thüringen die Bürgermeistermandate in Bad Blankenburg und Neuhaus.

Am Sonntag, dem 6. Mai 2012 werden in Thüringen Stichwahlen zu den Landräten, Oberbürgermeistern und Bürgermeistern stattfinden. Auch Kandidatinnen und Kandidaten unserer Partei haben es geschafft mit guten Angeboten an die Menschen in die Stichwahl zu gelangen. Zu Stichwahlen unter unserer Beteiligung wird es in den Landkreisen Nordhausen, Altenburg, und Ilm-Kreis, sowie in den Städten Eisenach Gräfenroda, Kahla und Brottero-

de-Trusetal kommen. Damit sind wir weiter auf Kurs, um in Thüringen eine erste Landrätin zu stellen. Das ist unser erklärtes Ziel und dafür mobilisieren wir jetzt alle Kräfte. Wir gehen davon aus, dass ein gutes Abschneiden bei diesen Wahlen in Thüringen dazu beitragen wird unsere Partei wieder auf Erfolgskurs zu bringen und bei den nächsten Landtasgswahlen erfolgreich zu sein. Jürgen Spilling

Blickt man auf Sachsen, sieht jede unvoreingenommene Betrachterin unglaublich viel Kultur. Darauf sind die unterschiedlichsten Akteure stolz, und sie können es auch sein. Deswegen braucht Sachsen eine besondere Kultur für den Umgang mit der Kultur. Wir LINKE müssen Kultur vor allem als Kommunikation verstehen. Zu dem Zweck gilt es für uns, die sozialen und kulturellen Grundlagen einer dialogfähigen, gerechten Gesellschaft zu sichern und auszubauen. DIE LINKE, die sich vor allem als eine kulturelle Linke versteht, wird sich immer auf ein größeres Gesellschaftsprojekt einlassen, als allein auf eine bessere Umverteilung des Reichtums, wie es die Sozialdemokratie macht. Wir wollen eine Politik der Umverteilung –also der soziale Aspekt - und eine Politik der Anerkennung vielfältiger Lebensweisen und Identitäten, den ich als kulturellen Aspekt ansehen würde. Es geht uns letztendlich um die Veränderungen in den Produktionsund den Lebensweisen. Deshalb nehme ich für DIE LINKE auch in Anspruch, dass wir als einzige Partei den ganzheitlichen Ansatz für die Entwicklung der Kultur pflegen: Wir berücksichtigen Aufwand und Ergebnis. Wir schauen auf die glänzende Oberfläche, aber eben auch auf die internen Vorgänge im Kulturbetrieb. Wir haben die Adressaten und die Konsumenten gleichrangig im Blick, vergessen aber die Leistungserbringer nicht, die nicht nur vom Geist des Guten und Schönen leben können. Deshalb ist Kulturpolitik für uns Landes-Politik im besten Sinne des Wortes.


Sachsens Linke!  5/2012

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Meinungen Birgit Delling zum Artikel von Dorothea Wolff in 1-2/2012 Ich bin immer wieder traurig über die Tatsache, dass es links eingestellte Menschen gibt, die sich mit dem Spatz in der Hand zufrieden geben und die Taube auf dem Dach verschmähen. Der Vergleich mit dem Spatzen und der Taube bezieht sich auf Ihre Auffassung zu HartzIV und dem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE), über die Sie sich in Ihrem Artikel in »Sachsens Linke!« vom Jan./ Febr. 2012 äußern. Dabei ist Ihre Argumentation, keine Aussagen zum BGE ins Parteiprogramm aufzunehmen, weil es noch kontrovers diskutiert wird, durchaus nachvollziehbar. Trotzdem halte ich (und viele andere Befürworter) das Konzept des BGE für eine politische Leitlinie, um die der Kampf lohnt, eben weil es ein allgemeines Menschenrecht auf ein gutes Leben gibt, das auch ein Leben in sozialer Sicherheit beinhaltet. Das muss nicht näher substantiiert werden (da in der Menschenrechtscharta festgehalten). Ich empfinde es als so schade, dass der emanzipatorische Ansatz, den das BGE bietet, und zwar durch eine Unabhängigkeit von einem Einkommen, das auf dem unsicheren Arbeitsmarkt eben nicht für jeden selbstverständlich und oftmals auch nicht ausreichend ist, von vielen nicht gesehen wird. Es ergibt sich in meinen Augen nämlich ein gänzlich anderes Kräfteverhältnis z.B. bei der Aushandlung der Arbeitsverträge, wenn ich mich als Arbeitnehmer mit einem BGE im Hintergrund (und damit materiell relativ sicher) eben nicht gezwungen sehe, jegliche Arbeit zu jeglicher Bedingung anzunehmen, die mir ein Arbeitgeber zur Vermehrung seines Reichtums aufdrücken will. Ich habe noch weitere Fragen zu Ihrem Beitrag: Wieso muss »nachgewiesen werden, dass das BGE in einem funktionierenden Gesellschaftssystem notwendig oder wenigstens möglich ist«? Welches funktionierende Gesellschaftssystem meint die Mitgliederversammlung? Das, in dem wir im Mo-

Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der Linken in Sachsen Herausgeber: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

ment leben? Das BGE ist m. E. eine Möglichkeit, den Menschen »hier und heute« und relativ schnell zu helfen. Und nicht nur den Hartz-IV-Berechtigten, sondern auch allen Arbeitenden, weil die damit nur soviel Lohnarbeit verrichten könnten, wie sie wollen und nicht wie ihnen von außen aufgezwungen. Und wieso muss die Notwendigkeit des BGE nachgewiesen werden? In einem Land, in dem Arbeitslose zu einem »1-EuroJob« gezwungen werden können oder zu ihrem Lohn noch »Aufstockung« beantragen müssen oder andere Schikanen erfahren, von denen Sie selbst in Ihrem Artikel schreiben, muss die Notwendigkeit nicht noch weiter nachgewiesen werden! Diese Schikanen, mit denen die Leistungen nach den Hartz-IV-Gesetzen den Menschen »massenhaft vorenthalten werden«, fallen dann weg, weil es dieser Gesetze einfach nicht mehr bedarf. Keiner muss dann mehr sich als Bittsteller den »Angemessenheitswerten« irgendwelcher Ämter unterwerfen. Und die Linke muss sich dann auch nicht mehr »verpflichten, Hartz IV-Empfängern weiterhin und verstärkt zu helfen, sich über ihre Rechte zu informieren, sie zu beraten … und sie bei der Durchsetzung ihrer Rechte zu unterstützen«, sondern kann sich anderen Aufgaben widmen. Seine Rechte durchsetzen kann dann jeder emanzipiert für sich selbst tun und hat darüber hinaus vielleicht sogar noch Zeit, sich anderem Wesentlichen im menschlichen Leben zu widmen: z.B. seinen sozialen Beziehungen. Und beginnt womöglich noch an seiner Persönlichkeitsentwicklung zu arbeiten und Utopien einer gerechten Gesellschaft zu denken und nach Möglichkeiten für deren Umsetzung zu suchen. Was die Möglichkeit (Finanzierbarkeit?) eines BGE betrifft, gibt es mittlerweile diverse Konzepte und Berechnungen, die die Machbarkeit eines BGE belegen. Das BGE ist mittlerweile keine finanzielle Frage mehr, sondern eine des politischen Willens. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer

Gerald Binding aus Markkleeberg Ganz herzlichen Dank für die Veröffentlichung von Armin Gottschalk, mit der ihr – entgegen sonstigen Gepflogenheiten der linken Presse – linken Selbstständigen eine Stimme gebt. Daneben erscheint mir wichtig zu erwähnen, dass wir von Sachsen aus, beginnend bereits 2008, uns sehr intensiv für die soziale Sicherung Selbstständiger einsetzen und 2010 dazu eine Initiative an die im Deutschen Bundestag vertretenene Parteien eingeleitet haben – an alle, weil DIE LINKE die Idee ursächlich nicht bearbeitet hat. Ziel der Initiative ist die Gleichbehandlung Selbstständiger in den sozialen Sicherungssystem und in Steuern mit Arbeitnehmern – ohne Phantasiebeiträge der Sozialkassen. Jetzt scheint Bewegung in die Sache zu kommen, Termin der Anhörung in der Linksfraktion ist der 11. Mai. Weitere Informationen www. owus.de/owus_sachsen/gesetzes-initiative.html Michael Behringer per Email zum Papier »Sachsen in Europa« – In dem Entwurf steht eine ganze Menge Richtiges, ein Haufen Phrasen und Wichtiges fehlt natürlich. Die Entgrenzungen und Auftrennungen von Kreisläufen – Globalisierung genanntging in den letzten 30 Jahren Hand in Hand mit Privatisierung und zunehmender Verschuldung der Massen und der öffentlichen Haushalte. Globalisierung und andere moderne Grenzauflösungen sind »ein struktureller Krieg gegen die Menschheit« mit der Tendenz zum wirtschaftlichen, sozialen und politischen Zusammenbruch der Gesellschaften. Warum gibt es in der sächsischen LINKEN keine politische Debatte über die Verantwortung in der Finanz- und Bankenkrise? Dafür habe ich keine Erklärung. Im Gegenteil, man geht dort über die Machenschaften der Finanzmafia, die für mich ihre eigene Obszönität haben, achselzuckend hinweg. Da wurden Millionen Menschen um ihre Lebenschancen, um ihre Zukunft betrogen. Was da gemacht wurde, war existenzvernichtend für ganze Gesellschaften. Aber es wird verschwiegen- auch von »Linken«. Auflage von 17000 Exp. gedruckt. Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Tom Schumer, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Jörg Teichmann, Ralf Richter, Stathis Soudias Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio

Wahlfabrik zieht um Die Landesgeschäftsstelle der sächsischen LINKEN zieht um. Die neue WahlFabrik findet man ab dem 2. Mai 2012 in der Kleiststraße 10a in 01129 Dresden. Natürlich macht ein solcher Umzug großen Aufwand. Wir bitten daher um Verständnis, wenn einiges erst mal etwas länger dauert. Unsere neue Anschrift: DIE LINKE. Landesverband Sachsen Kleiststraße 10a 01129 Dresden

Tram Linie 3 oder Bus Linie 64 und 70 bis Trachenberger Platz,dann rechts in Trachenberger Straße bis zur Kleiststraße links 200 m S-Bahn: bis Bahnhof Pieschen/Trachau, dann ca. 600 m Gehweg PKW: Autobahn-Anschlussstelle Wilder Mann, ca. 2,5 km Großenhainer Straße folgen bis Trachenberger Platz, links in Trachenberger Straße, wieder links in Kleiststraße

So gesehen

Ulbigs Statistik

Von Stathis Soudias Abend in Dresden. Meine Tochter steigt aus der Straßenbahn und will nach Hause. Wenige Schritte weiter wird sie von zwei leicht alkoholisierten Jugendlichen angehalten. Sie soll alle Buttons – denn sie sah aus, wie ein sowjetischer Marschall – abnehmen, mehrmals „Heil Hitler“ rufen, stramm stehen. Keiner kommt zur Hilfe. Zum Glück kann das Mädchen entkommen, kommt erschrocken nach Hause, erzählt. Ich pack sie am Zopf, direkt zur Polizei. Der Mann nimmt ihre Aussage auf, telefoniert rum, ein Streifenwagen führt uns in die Stadt, Polizeipräsidium Dresden. Sie soll noch mal aussagen. Ich darf diesmal nicht dabei sein. Nach – gefühlt – endlosem Warten kommt eine Polizistin in Zivil und sagt mir, „wir können Anklage auf Erstattung der beschädigten Jacke erheben“! Ich sprachlos. „Was für ´ne Jacke“ frage ich, „mir geht es um den Hitlergruß“. „Darüber kann ich nichts sagen“, ist die Antwort. Einige Monate später eine Einladung, sie soll als Zeugin aussagen. Amtsgericht Dresden, wir warten vor dem Saal. Der Richter kommt raus, grüßt uns, und an meine Tochter gerichtet: „Sie brauchen keine Angst zu haben, Ihnen kann nichts passieren. Wenn ich Sie frage, erzählen Sie wahrheitsgemäß, was passiert ist“. Wir gehen rein. Meine Tochter wird gefragt, sie antwortet und Internet unter www.sachsenslinke.de Kontakt: kontakt@dielinkesachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720 Redaktionsschluss 22.4.2012 Die nächste Ausgabe erscheint am 31.5. 2012.

zittert wie ein Blatt im Wind, denn die beiden sitzen ihr gegenüber. Nach ihrer Aussage dürften wir den Saal verlassen. Auf meine Frage, wie es denn sein kann, dass es in Deutschland noch immer möglich ist, den Nazigruß zu exerzieren, bekomme ich keine Antwort. Das Urteil wurde uns nicht mitgeteilt. Nun, Herr Ulbig: worunter fällt dieser Vorfall in Ihrer Statistik? Ich nehme an, harmloses Delikt! Denn anders kann ich Ihre Aussage, „die linksextremen Gewalttaten sind um 69 Prozent gestiegen, die rechtsmotivierten aber gesunken“, nicht verstehen. Ich sage Ihnen auch, wovon ich überzeugt bin: Jugendliche pöbeln Polizisten an, ist eine „linksextreme Tat“ und wird als solche gezählt. Brandstiftung an einem Asylbewerberheim „wird untersucht, ob die Tat politisch motiviert war“! Eine Mülltonne wird in Brand gesteckt, also linksextrem. Farbige Menschen werden durch sächsische Städte und Dörfer gejagt, dann muss erst untersucht werden, ob überhaupt eine ausländerfeindliche Motivation dahinter steckt. Und in der Regel werden die Täter unter den Freunden, Bekannten, ja Verwandten der Opfer gesucht. Genau so, wie mit den Opfern der sogenannten NSU schon praktiziert. Ja Herr Staatsminister, ich weiß, Sie waren nicht, noch nicht verantwortlich. Doch Sie stehen in derselben Linie, wie Ihre Vorgänger. „Stolz auf ihre Sachsen, die immun gegen Rechtsextremismus sind“. Nun gut. Ich erwarte Sie Anfang April im nächsten Jahr, bei dem Gedenken an Gorge Gomondai, keine 500 Schritt von Ihrem Arbeitsplatz. Kommen Sie hin, setzen Sie ein Zeichen. Kommen Sie nicht, sind sie nur ein Anzug ohne Inhalt.


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Kommt der politische Streik? liche Gruppen wie z.B. Gewerkschaften legitimiert, auf die politische Willensbildung einzuwirken. Das politische Streikrecht ist eine von mehreren Möglichkeiten dazu. Das legitime Kampfmittel des politisch motivierten Streiks ist zu zentral, als dass es (allein) den Juristen überlassen bleiben dürfte. Nötigenfalls müssen sich die Gewerkschaften das

desrepublik würde durch die Anerkennung des politischen Streiks gestärkt und eine breitere Willensbildung damit gefördert. Die Befürworter eines umfassenden Streikrechts innerhalb der Gewerkschaften formieren sich und werden immer mehr. Es werden häufiger Veranstaltungen von Partei- und Gewerkschaftsgliederungen

im Grundgesetz und in der Europäischen Sozialcharta verbriefte Recht nehmen. Wenn sie bei der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen auf ihr ureigenstes Mittel – den Streik – zurückgreifen, um politischen Protest und Widerstand zu organisieren, handeln die Gewerkschaften zurzeit (noch) rechtswidrig. Der zunehmende politische Druck auf die Arbeitnehmer/ innen und die fortdauernden Angriffe auf soziale Standards zwingen jedoch zu politischen Auseinandersetzungen außerhalb des Tarifrechts. Die Akzeptanz für die parlamentarische Demokratie der Bun-

oder außerparlamentarischen Organisationen hierzu durchgeführt. Die LINKE und Teile der anderen politischen Parteien (Piraten, Grüne und SPD), und immer mehr Medien, beschäftigen sich mit dem Thema. In allen Gewerkschaften gibt es vielfach stärkere Diskussionen über die Anwendung des politischen Protestes in Form von kollektiven Arbeitsniederlegungen. Die Forderung nach der Umsetzung von politisch motivierten Arbeitskämpfen ist gestellt und hat sich in den Gewerkschaften etabliert. In ver.di, der GEW und der IG BAU ist das Thema nicht mehr

auf zu halten. Jetzt ist die Zeit gekommen die anderen Gewerkschaften und den DGB ins Boot zu holen. Ganz unerwartet aktuelle Bedeutung bekommt die Diskussion über politische Streiks auch vor dem Hintergrund der Griechenlandpolitik der Bundesrepublik Deutschland-bestimmten Europäischen Union. So wie die Wahrheit das erste Opfer jedes Krieges wird, gehören die demokratischen Rechte der ArbeiterInnen und Angestellten zu den ersten Opfern tiefer Krisen des Kapitalismus. Vor einiger Zeit hat das griechische Parlament unter der Knute der Troika (EU, EZB, IWF) die Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern verboten, um flächendeckend Lohnsenkung durchsetzen zu können. Ein in der Europäischen Union bisher unvorstellbarer Vorgang. Griechenland scheint die europäische Teststrecke für beschleunigte Umverteilung von unten nach oben und Demokratieabbau zu sein. Auch vor diesem Hintergrund ist eine schnelle Popularisierung des politischen Streiks in den deutschen Gewerkschaften dringender geboten denn je. Schneller als man denkt, könnte der nötig werden, um das Streikrecht selbst zu verteidigen, das bis heute zwar immer umkämpft, aber nicht grundsätzlich infrage gestellt war. Veit Wilhelmy, Gewerkschaftsekrtär

Bild junge Welt

Die Angriffe aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Arbeitgeberverbänden und Medien auf Arbeitnehmerinteressen im Allgemeinen und dem Streikrecht im Besonderen halten unvermindert an. Es gibt kaum Details in der (Arbeits-)Gesetzgebung, die nicht im krassen Widerspruch einander zuwiderlaufender Interessen stehen. Besonders drastisch spürbar ist die Verwicklung des Arbeitsrechts vom gesellschaftlichen Kräfteverhältnis gerade in Krisenzeiten. In vielen wichtigen Politikfeldern werden immer mehr Reformen gegen die Mehrheit der Bevölkerungsschichten durchgedrückt. Dies wird im verstärkten Maße auch subjektiv von den Menschen wahrgenommen. Wenn es keine bewussten Verletzungen und Überschreitungen der Gewerkschaften von Regeln gegeben hätte, wären wir sicherlich wieder zurückgefallen in die Zeiten der Sozialistengesetze. Die Gewerkschaften sind und waren in erster Linie Kampforganisationen und weniger »Ordnungsfaktor« oder »Sozialpartner«. Die Sozialpartnerschaft besteht mittlerweile in den meisten Wirtschaftszweigen nicht mehr. Beispiele aus europäischen Nachbarländern zeigen, dass durch die Ausweitung der gewerkschaftlichen Kampfmittel, die Arbeitnehmer zusätzlich politisiert werden. Neben den Parteien sind auch andere gesellschaft-

Daseinsvorsorge heute und morgen – Für ein lebenswertes Sachsen Sachsens Linksfraktion will mit KommunalvertrerInnen Leitbild für Landesentwicklungsplan diskutieren

Die Linksfraktion im Sächsischen Landtag hat ihr Leitbild für den Landesentwicklungsplan 2012 (LEP) beschlossen und sich damit nun auch faktisch in die Diskussion um die Neuauflage des zuletzt 2003 gefassten Planwerks eingeschaltet. Mit seinen grundlegenden Weichenstellungen hat der LEP, der zunächst für die Gültigkeitsdauer von 10 Jahren erstellt wird, selbstverständlich eine Wirkreichweite über 2022/23 hinaus. Im Spannungsfeld aus hohen Ansprüchen an Lebensqua-

lität, demografischem Wandel und klammen kommunalen Kassen verschränkt unser Leitbild die Anforderungen an gleichwertige Lebensverhältnisse, Globalisierung und verantwortungsbewusste regionale Steuerung, Wirtschaftsentwicklung und Umweltschutz, Infrastrukturentwicklung am Eingang ins regenerative Energiezeitalter sowie kluge Mobilität für alle stets an der Funktion der Daseinsvorsorgesicherung und Barrierefreiheit. Damit begegnen wir den erheblichen Schwächen des LEP, seiner weitgehenden Unverbindlichkeit und ungenügenden Adressatenklarheit. Ein LEP muss nach unserer Auffassung mehr leisten, als die Staatsregierung bereit ist zu formulieren. Im Prozess der Fortschreibung des LEP ist die parlamentarische Begleitung unser Spielfeld. Die Stellungnahmen von Städten, Gemeinden,

Landkreisen, Kommunalen Spitzenverbänden, Planungsverbänden und insgesamt über 1.400 Trägern öffentlicher Belange aus Verwaltung, Wirtschaft, Gesellschaft und Fach- und Interessenverbänden bleiben weitgehend im Schatten medialer Widerspiegelung. Somit muss das Verfahren zur Stellungnahme des Landtags jenen Kritiken und Änderungswünschen öffentlich Gehör verschaffen. Das Ziel der Staatsregierung, den LEP bereits vor der Sommerpause durch das öffentliche Beteiligungsverfahren geführt und im Grunde beschlussfertig ausgestaltet zu haben, ist nicht mehr realistisch. Das Innenministerium hatte zwar eine Frist von 8 Wochen für die Stellungnahmen gesetzt, aber auch später eingehende Stellungnahmen akzeptiert. Die Zahl der wesentlichen Änderungswünsche ist so groß, dass wohl ab September eine zweite Runde im Be-

teiligungsverfahren gestartet werden wird. Als richtig sehen wir an, dass nicht nur die oben Genannten Stellungnahmen abgeben dürfen, sondern über Online-Beteiligung und Regionalkonferenzen die BürgerInnen selbst angesprochen wurden. Nur reichen vier Regionalkonferenzen in ganz Sachsen einfach nicht aus, um Bürgerbeteiligung tatsächlich lebendig zu machen. Zukünftig braucht es mehr öffentliche Foren. In beiden Beteiligungsrunden setzen wir als Fraktion auf den intensiven Austausch mit den KommunalvertreterInnen in Städten, Gemeinden und Landkreisen. Uns hat eine Reihe von Stellungnahmen schon erreicht, und sie können auch weiterhin gesendet werden an enrico.stange@slt.sachsen. de. Zudem erwarten wir viele KommunalvertreterInnen zur Landtagsanhörung zum LEP am 24. Mai und zur Konferenz der Fraktion DIE LINKE am 23.

Juni in Dresden, um Sachverständige und Experten zu hören und miteinander in die intensive Diskussion zu kommen. Jana Pinka, die Leiterin der fraktionsinternen AG für nachhaltige Landesentwicklung, und Enrico Stange, Sprecher der Fraktion für Landesentwicklung und Infrastruktur, stehen für Gesprächsrunden zum Gesamtkomplex mit den Kreistagsfraktionen, Stadtratsfraktionen und Ortsverbänden zur Verfügung. Enrico Stange Mitglied des Landtags, Sprecher für Landesentwicklung und Infrastruktur LEP und Onlinebeteiligung können im Internet erreicht werden unter http://www. landesentwicklung.sachsen. de/11117.htm Leitbild der Fraktion ist einzusehen unter http://linksfraktionsachsen.de/images/ content/arbeitskreise/ak_5/ Leitbild_LEP.pdf


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Fair wohnen!

Ein Witz wie der haushaltspolitischen Sprecher der SPD unser Vorhaben kritisierte? Mitnichten! Wir meinen es ernst! Am 16. April 2012 haben wir fristgerecht unser Interesse am Erwerb der TLG Wohnen GmbH gegenüber dem Bundesfinanzministerium bekundet, der erste Schritt um am europaweitem Bieterverfahren teilnehmen zu können. Denn der Bund will dieses Unternehmen, welches den Restbestand der in den fünf ostdeutschen Bundesländern überwiegend aus dem früheren volkseigenem Vermögen der DDR stammenden 11.500 Wohnungen bewirtschaftet, möglichst gewinnbringend abstoßen. Obwohl die TLG Wohnen gut wirtschaftet, besteht laut Bundesregierung kein

»wichtiges Bundesinteresse«. Deshalb soll alles im Paket verkauft werden. Weder die Fabrikstraße in Bautzen, noch die Friebelstraße in Dresden oder die Kleiststraße in Leipzig können von den Kommunen oder von kommunalen oder regionalen Wohnungsgesellschaften übernommen werden. Freie Fahrt den Heuschrecken, den großen internationalen Finanzinvestoren, nach diesem Motto handelt die Regierung. Die drängenden Fragen der Betroffenen lässt sie jedoch außer Acht. Was wird mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens? Welcher Schutz soll Mieterinnen und Mieter gewährt werden? Brauchen wir nicht gerade in der Situation des zunehmenden Wohnungsmangels und des sich damit ständig teuer werdenden Wohnraums, insbesondere in den Großstädten, einen kommunalen Wohnungsbestand, um politisch gestalten und auch bezahlbaren Wohnraum bieten zu können? Die Dollarzeichen in den Augen machen die Regierung offenkundig blind! Wir sind das nicht! Für uns ist Wohnen ein elementares Menschenrecht und gehört zur Würde des Menschen. Daraus leitet sich der Zweck unserer Ge-

nossenschaft unmittelbar ab. Durch eine gute, sichere und sozial vertretbare Wohnungsversorgung mit Mietwohnungen wollen wir die Mitglieder von FAIRWOHNEN fördern. Eine deutsche Bankengruppe ist von diesem Konzept überzeugt und wird uns langfristig begleiten. Nun brauchen wir die Unterstützung möglichst vieler Mieterinnen und Mieter, interessierter Bürgerinnen und Bürger, um dieses Ziel gemeinsam

zu erreichen. In den nächsten Wochen werden wir unser Anliegen vor Ort in allen betroffenen Regionen vorstellen. Am 26.6.2012 machen wir dazu in Leipzig halt und informieren ausführlich über das Projekt. Weitere Informationen können Sie unserer Internetseite www. tlg-fairwohnen.de entnehmen und bei Fragen schreiben Sie uns doch einfach eine Mail unter info@tlg-fairwohnen.de. Eine große Genossenschaft

zu gründen, zum Schutz und im Interesse der Mieterinnen und Mieter sowie mit der Zielstellung mittel- bis langfristig ihnen in Form von regionalen Genossenschaften die Verantwortung zu übertragen, lohnt jeden ehrenamtlichen und unentgeltlichen Aufwand. Er ist im Jahr der Genossenschaften wohl platziert. Packen wir es gemeinsam an! Barbara Höll (Stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende)

Foto flickr by United nations

Am 13. April 2012 gründeten Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion die Wohnungsgenossenschaft FAIRWOHNEN in Berlin.

Verschwendung und Mangel

zur Informationskampagne des Bundesministeriums und weiteren notwendigen Maßnahmen

Rund um das Thema Ernährung ranken sich eine ganze Reihe Gerechtigkeitsfragen. Etwa jene nach der Verteilung und dem Zugang zu Lebensmitteln im globalen Maßstab, weil Tausende täglich sterben – nicht etwa, weil nicht genug Essbares zur Verfügung stünde, sondern weil sie innerhalb der globalen Strukturbildung keinen Platz haben, von dem aus sie es sich kaufen könnten. Innerhalb der reicheren Gesellschaften stellt sich die gleiche Frage auf andere Weise: Wer die möglichst schonend und naturnah hergestellten Lebensmittel nicht bezahlen kann, ist auf die industriell hergestellten und lebensmittelchemisch endgefertigten Produkte aus der unteren Preiskategorie angewiesen. Am Zugang zu Lebensmitteln zeigt sich die soziale Lage, und darum muss es eine Aufgabe gerechter Politik sein, gute Lebensmittel für alle bereitzustellen: Durch Kontrollen und Grenzwerte bei der Produktion ebenso wie durch einen grundlegenden Wohlstand für alle Bürgerinnen und

Bürger. Bundesverbraucherministerin Aigner hat nun eine längst überfällige Informationskampagne zum Mindesthaltbarkeitsdatum an den Start gebracht. In der Tat ist es weder nötig noch vertretbar, dass riesige Mengen verzehrfähiger Lebensmittel regelmäßig weggeworfen werden, nur weil das aufgedruckte Datum unmittelbar überschritten ist. Dieses sichert bekanntlich die Mindesthaltbarkeit – mitnichten ist der Inhalt nach Ablauf der Frist automatisch verdorben. Ministerin Aigner macht es sich aber etwas zu einfach, wenn sie die Ursache für Lebensmittelverschwendung allein im Verhalten von Verbraucherinnen und Verbrauchern sucht. Ein wichtiger Grund liegt auch in der großindustriellen, auf kurzfristigen Maximalprofit ausgerichteten Produktionsweise der Lebensmittelbranche. Die Handelsketten liefern sich einen ruinösen Verdrängungs- und Preiswettbewerb; aggressive Werbekampagnen und anonyme Massenproduktion ver-

ursachen und verstärken den Trend, Lebensmittel als Massenware und den eigenen Sinnen entfremdet wahrzunehmen. Überproduktionen tragen ein Übriges zur Nahrungsmittelverschwendung bei. Deshalb müssen Erzeugerbetriebe und Handel stärker in die Pflicht genommen werden, darzulegen, wie der »Lebensmittelmüll« reduziert werden kann und wie die jeweiligen Erzeugungs- und Verarbeitungsbedingungen gestaltet sind. Dazu trägt bewusstes Konsumverhalten bei – aber auch die Politik darf nicht nur auf die Verbraucherinnen und Verbraucher schauen, ohne Veränderungen bei den Unternehmen einzufordern. Im Verhältnis Lebensmittel – Verbraucher – Unternehmen liegt eine weitere Gerechtigkeitsfrage in den Informationsrechten über Produktionsweise und Inhaltsstoffe. Denn Information ist der Einstieg in Einflussnahme: Wenn die Konsumenten nichts wissen können, gibt es für die Unternehmen keinen Grund, von ei-

ner nicht qualitätsorientierten, sondern profitorientierten Produktionsweise abzuweichen. Weitgehende Informationsrechte sind deshalb nötig: Wenn es um unser Essen geht, darf der Verweis aufs Betriebsgeheimnis nicht als Ausflucht gelten. Die Lage bei diesen Informationsrechten ist in Sachsen unter CDU/FDP nicht günstig: Mit dem Verbraucherbericht 2011 legte das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz (SMSV) eine Abhandlung vor, die das Thema Informationsrechte beinahe komplett außen vor lässt. Besonders von Interesse ist die Darstellung der Ergebnisse der amtlichen Lebensmittelüberwachung, die aber immer nur in allgemeiner Form gegeben wird: Nie werden »Ross und Reiter«, also Marke und Hersteller genannt. Die Ergebnisse der Lebensmittelüberwachung, wie sie den Behörden vorliegen, müssen auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das wäre ein Einstieg in eine wirklich verbraucherfreundliche Lebensmittelpolitik.

Die Staatsregierung erkennt zwar grundlegend und pro forma die Notwendigkeit von Verbraucherinformation an, doch wenn es darum geht, wirksame Maßnahmen durchzusetzen, herrscht stille Zurückhaltung. Verbraucherinformation heißt aber nichts anderes, als dass der Informationsanspruch von Bürgerinnen und Bürger mit der Informationspflicht der Behörden und Unternehmen einhergehen muss. Notwendig sind daher die Stärkung von Verbraucherrechten, eine verbrauchergerechte Marktregulierung, die Unterstützung der Selbstorganisation der Konsumenten, handlungsfähige staatliche Kontrollbehörden mit öffentlicher Informationspflicht und last but not least eine moderne Verbraucherbildung. Das alles kann helfen, Produktionsweisen und Geschäftsmodelle im Lebensmittelbereich zu verändern – und wirksam dazu beitragen, der Lebensmittelverschwendung endlich Grenzen zu setzen. Julia Bonk


Kommunal-Info 4-2012 25. April 2012 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. KITA-Ausbau Dt. Städte- und Gemeindebund fordert KITA-Ausbau statt Betreuungsgeld Seite 3

Kinderspielplätze Naturnahe Spiel- und Begegnungsräume für alle Generationsgruppen Seite 3

ReKommunalisierung Sparkassen für die Rekommunalisierung der Energieversorgng

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Einzelhandel und Nahversorgung Einzelhandel in den Kommunen und Nahversorgung in Mittel- und Großstädten1

Umfangreiche Gelegenheiten, „sich zu versorgen“, bieten sich der städtischen Bevölkerung seit langem wie selbstverständlich. Zum sich Versorgen gehört natürlich als zentraler Bestandteil die Möglichkeit, in den unterschiedlichsten Einzelhandelseinrichtungen Güter des kurz-, mittelund langfristigen Bedarfs zu erwerben – dies zum Teil in Kombination und unter Inanspruchnahme von Dienstleistungen. Nur in wenigen Wirtschaftsbereichen zeigten sich in den letzten Jahrzehnten derart dynamische Veränderungen wie im Einzelhandel. Dessen gesamtes Erscheinungsbild, seine Funktionsbedingungen und räumlichen Ausprägungen stellen sich heute deutlich anders dar als noch vor wenigen Jahrzehnten. Verantwortlich für diese Entwicklungen sind Veränderungen sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite, die in einem gegenseitigen Wirkungszusammenhang stehen. Nachfolgend sollen aktuelle Trends kurz dargestellt werden.

Aktuelle Trends

Auf der Angebotsseite fallen zwei gegenläufige Entwicklungen auf: Einerseits findet trotz seit Jahren real nur gering gestiegener Kaufkraft und Bevölkerungsrückgängen ein erhebliches Flächenwachstum statt: Der Umfang an Verkaufsflächen ist deutschlandweit von 39 Mio. m2 im Jahre 1970 auf etwa 108 Mio. m2 zur Jahrhundertwende gestiegen – das entsprach immerhin einer Steigerung von nur wenig unter 300 Prozent in gerade einmal 30 Jahren. Ende 2008 gab es in Deutschland

ungefähr 400.000 Einzelhandelsbetriebe; die aktuelle Gesamtverkaufsfläche liegt bei ungefähr 122 Mio. m2. Andererseits bewegten sich in den zurückliegenden 15 Jahren die im Einzelhandel erzielten Umsätze zwischen leichten Abnahmen, Stagnation und bescheidenen Steigerungen. Zwischen 1995 und 2009 stiegen die Einzelhandelsumsätze in Deutschland von rund 380 Mio. Euro auf gut 390 Mio.; das entspricht einer Zunahme um nicht einmal drei Prozent. Obwohl in letzter Zeit bundesweit eine Abnahme der Leerstände im Einzelhandel zu beobachten ist, gibt es selbst in guten Einkaufslagen einer ganzen Reihe von Städten Geschäftsleerstände.

Konkurrenzkampf und Konzentration Diese zeitgleich ablaufenden Trends sind nur auf den ersten Blick ein Widerspruch, spiegeln doch diese Entwicklungsprozesse den harten Konkurrenzkampf der Handelsunternehmen am Markt wider. Der seit langem stattfindende Konzentrationsprozess im Handel wird sich auch künftig fortsetzen; ein Ergebnis dürfte sein, dass die großen Handelskonzerne ihre marktbeherrschenden Positionen weiter ausbauen. Die Anzahl der Marktteilnehmer wird als Folge von Geschäftsaufgaben, Firmenzusammenschlüssen sowie Firmenübernahmen weiter zurückgehen. Auf der Gewinnerseite stehen einstweilen Fach- und Verbrauchermärkte, große Einkaufscenter, Filialisten im Non-Food-Bereich und vor allem die Lebensmittel-Discounter – allesamt Betriebsformen mit bislang teilweise exorbitanten Zuwächsen bei Verkaufsflächen und Umsätzen.

Zu den Verlierern zählen vorrangig kleinere Supermärkte sowie die in der Regel eher kleineren inhabergeführten Fachgeschäfte. Auch die Warenhäuser als die traditionellen großen Vertriebsformen an zentralen Standorten müssen die angelaufenen Restrukturierungsmaßnahmen erst einmal erfolgreich zu Ende führen, bevor tatsächlich von ihrer Rettung gesprochen werden kann. Die hier skizzierten Entwicklungsprozesse sind in weiten Teilen durch eine große Dynamik gekennzeichnet. Nachfrageentwicklung Auf der Nachfrageseite sind folgende Entwicklungen zu beobachten bzw. zu erwarten:

 eine in den nächsten Jahren und Jahrzehnten als Folge der natürlichen Bevölkerungsentwicklung tendenziell sinkende Bevölkerungszahl mit erheblichen regionalen Unterschieden, teilräumlich abgeschwächt durch Wanderungsgewinne; die Anteile der Alten an der Bevölkerung werden insgesamt deutlich zunehmen;  eine Zunahme der Mobilitätserfordernisse und -möglichkeiten sowie der Mobilitätsbereitschaft, dies der demographischen Entwicklung zum Trotz – auch die Alten bleiben mobil;  eine Aufspaltung der Einkaufsgewohnheiten in die Segmente Erlebniseinkauf und Versorgungseinkauf. Wichtige Faktoren des Erlebniseinkaufs sind: Qualität, Status und Atmosphäre. Kennzeichnend für den Versorgungseinkauf sind der Preis und die schnelle – vorzugsweise auch autogebundene – Erreichbarkeit. Der Erlebniseinkauf gewinnt im Rahmen der Freizeitgestaltung weiter an Bedeutung. Dabei profitieren insbesonde-

re Einkaufsstandorte und Zentren, die durch eine Multifunktionalität (Einzelhandel, Dienstleistungen, Gastronomie) und nicht zuletzt auch durch eine hohe touristische Attraktivität und besondere Einzelhandelsangebote (z.B. Luxusgüter) geprägt sind. Der Versorgungseinkauf wird durch eine zunehmende Discount- oder Schnäppchenorientierung gekennzeichnet, was unter anderem die Gefahr eines Funktionsund Bedeutungsrückgangs der Nahversorgungszentren mit sich bringt. Welche Auswirkungen hatten nun bislang die Entwicklungsprozesse sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite, insbesondere die unterschiedlichen Standortstrategien der einzelnen Betriebsformen, in den Städten und deren Teilräumen? Mit welchen Entwicklungen ist in der Zukunft zu rechnen?

Inhabergeführte Fachgeschäfte

Die inhabergeführten Fachgeschäfte, welche über einen langen Zeitraum Garanten für Angebotsvielfalt und individuellen Kundenservice waren, haben einen dramatischen Bedeutungsverlust hinnehmen müssen. Dieser Geschäftstyp ist in den von ihm traditionell bevorzugten innerstädtischen Standorten bzw. in den Stadtteilzentren inzwischen vom Aussterben bedroht.

Warenhäuser

Die großen Warenhäuser, die langjährig den innerstädtischen Einzelhandel geprägt haben, sind in den zurückliegenden Jahren in eine Krise ohnegleichen geraten. Die Marktbereinigung haben allein die beiden großen Konzerne Karstadt und Kaufhof Fortsetzung folgende Seite


Kommunal-Info 4/2012 überstanden – gleichwohl nicht ohne Blessuren. Die Folgen von Umstrukturierungen bekam nicht nur eine ganze Reihe von Mittelstädten zu spüren, sondern auch Großstädte: Durch die Aufgabe von Warenhausstandorten verloren die betroffenen Kommunen das traditionelle Rückgrat ihrer Einzelhandelsversorgung in den Innenstädten bzw. Stadtteilzentren. An verbliebenen Warenhausstandorten in den Städten müssen oftmals noch der passende Branchenmix gefunden und die richtige Strategie entwickelt werden, um die Ausrichtung auf die Zielgruppen zu erreichen. Die häufig auch international agierenden Filialisten zog es bisher und zieht es auch in der Zukunft an zentrale Standorte in den Kommunen. Sie bestimmen inzwischen zunehmend das Erscheinungsbild der 1a-Lagen in Innenstädten und größeren Stadtteilzentren – nicht selten erreichen sie dort einen Anteil am Geschäftsbestand von über 75 Prozent.

Seite 2 tel-Discounter jedoch grundlegend gewandelt, denn es zeichnet sich durch eine anhaltende Abwanderung aus den städtischen Innenbereichen aus.

Eingreifen erforderlich

Für die räumliche bzw. teilräumliche Entwicklung in Städten aller Größenordnungen muss ohne ein steuerndes Eingreifen der zuständigen Akteure (Kommunalpolitik und -verwaltung, Kammern und Verbände) mit weiteren Konsequenzen, insbesondere für die Versorgung der Bevölkerung, die städtebaulich-funktionalen Strukturen sowie die ökologische Situation, gerechnet werden:  Einzelhandels(groß)projekte zunehmend als scheinbar einzige Option für die Entwicklung von Standorten, insbesondere im Zusammenhang mit der Revitalisierung von Gewerbebrachen,  ein zunehmender Konflikt zwischen den Flächenansprüchen der Einzelhan-

gen, die aus dem Flächenverbrauch sowie Lärm- und Abgasemissionen durch ein erhöhtes Verkehrsaufkommen resultieren. Gerade die Außenwanderung der Lebensmittel-Discounter verdeutlicht in starkem Maß die beträchtliche Dynamik von Entwicklungsprozessen im Einzelhandelssektor. Die Auswirkungen der Standortpolitik der Entwickler und Betreiber von solchen Discountgeschäften sind gerade für die Zukunft der Nahversorgung in den Kommunen von erheblicher Bedeutung.

Begriff Nahversorgung

Unter Nahversorgung wird die bewohnernahe Grundversorgung mit Waren für den täglichen, kurzfristigen Bedarf, insbesondere aus dem Nahrungs- und Drogeriebereich, verbunden mit dem Vorhandensein von Dienstleistungseinrichtungen gefasst. Was bedeutet in dem Zusammenhang

ziert nach städtischen oder ländlichen Raumstrukturen, existiert allerdings nicht. Neben Erreichbarkeit und Nähe sind selbstverständlich das Warenangebot sowie die Vielfalt der vorhandenen Geschäfte für die Nahversorgungsqualität entscheidend: So reicht das Vorhandensein des Lebensmittelhandwerks, also etwa eines Bäckers oder Fleischers, zur Sicherung der Nahversorgung alleine nicht aus. Erst die Kombination aus Vollsortimenter, Discounter, Bäcker, Metzger usw. sowie das Vorhandensein von bestimmten Dienstleistungseinrichtungen, wie Poststellen, Ärzten oder Apotheken, Kreditinstituten, stehen für eine funktionierende, qualitativ gute Nahversorgung. In Abhängigkeit von der Lage im Raum – von den unteren Stufen der Zentrenhierarchie einer Großstadt, über die Zentrenstufung in Mittelstädten bis hin zu Gemeinden mit Mittelpunktfunktionen in ländli-

Fachmärkte

Die in der Vergangenheit zahlen- und flächenmäßig exorbitant gewachsenen Fachmärkte, bisher häufig zu Fachmarktzentren auf der „Grünen Wiese“ zusammengeschlossen, zieht es zunehmend an zentrale Standorte: Während diese Vertriebsformen nämlich langjährig überwiegend an Ausfallstraßen und in Gewerbegebieten angesiedelt wurden, ist aktuell in immer mehr größeren Kommunen zu beobachten, dass sie sich verstärkt in den Innenstädten ansiedeln – häufig als Magnetbetriebe großer Einkaufscenter.

Innenstadt-Center

Seit den 1990er Jahren ist zu beobachten, dass große Einkaufscenter verstärkt in Innenstädten sowie Stadtteilzentren eröffnet werden und die in der Vergangenheit präferierte „Grüne Wiese“ bei Standortentscheidungen mehr und mehr an Bedeutung verloren hat. Seit Ende des letzten Jahrzehnts liegt der Anteil der Innenstadt-Center an sämtlichen neu errichteten Shopping-Centern bei zum Teil weit über 50 Prozent. Durch ihre Größe verhelfen sie zwar den zentralen Stadträumen dazu, ein Gegengewicht zu dezentralen Standorten zu bilden, indes darf nicht verkannt werden, dass eben die Centergröße sowie ihr Mikrostandort, ihre bauliche Form und die Branchenzusammensetzung zu einer Gefährdung des innerstädtischen Einzelhandels führen können. Schon weil Außenstandorte kaum noch genehmigungsfähig sind, wird der Trend zu innerstädtischen Lagen anhalten.

Lebensmittel-Discounter

Hinsichtlich ihrer Standortdynamik und der davon ausgehenden Wirkungen auf die städtischen Versorgungsstrukturen fallen besonders die Lebensmittel-Discounter auf. Diese Betriebsform war noch in den 1990er Jahren ganz überwiegend auf allen Stufen der städtischen Zentrensysteme vorzufinden; insbesondere für die Zentren kleinerer und mittelgroßer Städte zählten die Discounter mit zu den Garanten einer auf die fußläufige Erreichbarkeit ausgerichteten städtischen Nahversorgung. In der Zwischenzeit hat sich das Standortverhalten der Lebensmit-

Nach „Handel aktuell 2009/2010“, Köln 2010, S. 173

delsbetriebe und den vorhandenen, zumeist noch kompakten und kleinteiligen städtebaulichen Strukturen in zentralen städtischen Lagen,  ein verstärkter Funktionsverlust gewachsener, zentraler Bereiche, der aufgrund der Wechselbeziehungen zwischen unterschiedlichen Nutzungen nicht nur den Einzelhandel betrifft,  die drohende Ausdünnung des Nahversorgungsnetzes – mit einer Verschlechterung der (fußläufigen) Erreichbarkeit von Versorgungsstandorten als Konsequenz,  eine sinkende Individualisierung des Einzelhandels und damit letztlich auch ein Verlust an Individualität der Städte,  eine noch ansteigende Fluktuation im Einzelhandel mit der Folge häufiger Neu- und Umnutzungen,  ein zunehmender Konkurrenzwettbewerb, in den die (Innen-)Städte durch die Dynamik im Einzelhandel untereinander geraten,  eine häufig einseitig in den Vordergrund gestellte Bedeutung der Pkw-Erreichbarkeit von Einkaufsbereichen,  wachsende Umweltbeeinträchtigun-

„bewohnernah“? Welche Distanzen werden diskutiert? Im Einzelhandelserlass des Landes Nordrhein-Westfalen etwa wird davon ausgegangen, dass die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs – v. a. mit Lebensmitteln, Getränken sowie Gesundheits- und Drogerieartikeln – i.d.R. noch in einer Gehzeit von 10 Minuten möglich sein soll. Dies entspricht in etwa einer fußläufigen Entfernung von 700-1.000 m. In der Planungspraxis wird üblicherweise mit Distanzringen gearbeitet; „gängige“ Distanzen sind 500 und 700 Meter, die den Kunden zugemutet werden, um Verkaufseinrichtungen mit Einzelhandelsgütern des täglichen Bedarfs fußläufig zu erreichen, mitunter werden sogar 1 000 Meter angegeben (siehe oben). Hinter den von Planern anvisierten Radien von 500 bzw. 700 Metern um Nahversorgungsstandorte steht der Planungsansatz einer urbanen und kompakten Siedlungsstruktur der kurzen Wege. Dabei ist festzuhalten: Eine einheitliche oder normativ anerkannte Zeit- oder Distanzeinheit zur Beurteilung der Nahversorgungsqualität, möglicherweise sogar differen-

chen Gebieten – sind Variationen dieses Grundgerüstes oder Abweichungen davon vorzufinden.

1 Redaktionell geringfügig bearbeiteter Auszug aus: Gerd Kühn (2011): Einzelhandel in den Kommunen und Nahversorgung in Mittel- und Großstädten, Berlin (Difu-Paper), Hrsg.: Deutsches Institut für Urbanistik.

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de V.i.S.d.P.: A. Grunke Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefödert.


Kommunal-Info 4/2012

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Kita-Ausbau statt Betreuungsgeld Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) sehe derzeit keinen Spielraum für die Einführung des Betreuungsgeldes. In der Debatte um die Kleinkinderbetreuung hat der Verband die Wirtschaft aufgefordert, sich für den Ausbau der Kinderbetreuung einzusetzen.

Wirtschaft in der Pflicht

Von der Wirtschaft wird eine Selbstverpflichtung erwartet, dass bis 2013 so und so viele tausend Plätze entweder in Betriebskindergärten geschaffen oder bei kleineren Unternehmen verbindliche Kooperationen mit vorhandenen Kindergärten eingegangen werden. Das müsse jetzt vorbereitet werden, denn die Zeit laufe ab: am 1. August 2013 gilt der Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz. Zu dem Zeitpunkt laufe dann die heiße Phase des nächsten Bundestagswahlkampfes. Die Eltern würden ganz sicher nicht differenzieren, wer schuld sei, wenn es mit dem Rechtsanspruch nicht klappe.

den sich die Politik konzentrieren sollte. Nach wie vor fehlten über 200.000 Plätze, die nicht ausreichend finanziert seien.

Kein Betreuungsgeld

Ausbau der Kindertagesbetreuung

Anlässlich der gemeinsamen Forderung vom Bund Deutscher Arbeitgeber (BDA) des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), die Bundesregierung solle von ihrem Vorhaben Abstand nehmen, ein Betreuungsgeld für Eltern einzuführen, die ihre Kleinkinder nicht in die KITA geben, betonte Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, gegenüber dem Handelsblatt-Online: Wenn die Wirtschaft das Betreuungsgeld ablehne, solle sie sich auch mit den Kommunen dafür einsetzen, zusätzliche Kinderbetreuungsplätze in Betriebskindergärten zu schaffen bzw. sich an Ausbaumaßnahmen vor Ort beteiligen. Absoluten Vorrang müsse die Erfüllung des Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung haben, der ab dem 1. August 2013 gilt. Diesen Anspruch zu erfüllen, setzt einen finanziellen und organisatorischen Kraftakt voraus, auf

Kinderspielplätze Spielplätze mit statischen Geräten auf planierten Flächen sind nicht mehr zeitgemäß. Kinder wollen toben, Neues entdecken und miteinander Spaß haben. Das können sie am besten in naturnahen, für alle Generationsgruppen offenen Spielräumen... Kinderspielplätze in der Stadt, aber auch auf dem Land sind für Kommunen ein Dauerbrenner. Sie binden immer mehr knapper werdende Flächen, sind teuer in der Anschaffung und Wartung. Zudem produzieren sie häufig Ärger bei den Anliegern... Anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse verweisen auf Aspekte, die für eine gesunde kindliche Entwicklung erforderlich sind. Der Kinderspielplatzgedanke, beginnend Anfang der 50er-Jahre, hat übrigens hier seine Wurzeln. Er sollte Ersatzplatz für verbaute Wohnumwelten und ein vor zunehmendem Straßenverkehr behüteter Raum sein...

In einen Interview mit der Leipziger Volkszeitung stellte Landsberg we-

sentliche Inhalte des geforderten Aktionsprogramms dar: Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert einen Notfallplan zur Rettung des Rechtsanspruchs auf einen frühkindlichen Betreuungsplatz. Noch könne das Unheil aufgehalten werden. Dazu müssten die beteiligten Politiker aber ihre Schwarze-Peter-Spiele einstellen und stattdessen ein gemeinsames Aktionsprogramm aufstellen. Bestandteil des Notfallplans müssten unter anderem größere Betreuungsgruppen, schnell angelernte Erzieher sowie eine Selbstverpflichtungsklausel der Wirtschaft zur raschen Schaffung tausender betriebsnaher Betreuungsplätze sein. Absoluten Vorrang müsse das Ziel haben, den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz zu erfüllen, auch wenn das ein finanzieller und organisatorischer Kraftakt sei. An erster Stelle müsse auch eine Ausbildungsinitiative für Erzieher stehen. Außerdem sollten Betreuungs-Standards flexibler gestaltet und neu geregelt werden. Dazu könnten im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes zusätzlich 5.000 Stellen für junge Leute

Inzwischen weiß man jedoch, dass Spielen der Hauptberuf der Kinder ist und sie mehr benötigen als limitierte Spielangebote. Die kindliche Entwicklung verläuft insbesondere in den ersten zehn Lebensjahren rasant. Sie ist angeboren intrinsisch („von innen kommend“, „selbst“) motiviert, sucht stets nach neuen Herausforderungen. Solche kindgerechten Lernimpulse sind gekennzeichnet durch drei wesentliche Aspekte:  Bewegungsförderung: Die Bewegung soll nicht, wie im Sportverein üblich, verordnet werden. Man weiß heute, dass die Lust an der Bewegung in engem Zusammenhang mit Architektur steht. Diese muss zur Bewegung herausfordern. Vergleichbar einem Baumstamm, der über einen Graben führt und zum Klettern, Balancieren und Einüben der Körperkoordination herausfordert.  Sinnliche Anregungen: Gerätespielplätze bieten keine breit angelegten sinnlichen Anregungen. Auch rech-

te Winkel, glatte Plattenwerkstoffe, Sandkisten oder Einheitsbodenbeläge sprechen die Sinne nicht an. Naturnahe Konzepte bieten hier unschlagbare Vorteile. Man braucht nur mal sich selbst befragen, wo man als Kind die beliebtesten Spielorte erlebte. Es waren die Hecken, der Graben, der Bach – eben die Streifräume, wo man selbst handeln konnte.  Positive Emotionen: Der dritte Aspekt, der kindliche Entwicklung über das Spiel fördert, hängt mit positiven Emotionen zusammen. Sie stellen sich ein, wenn das angeborene Neugierverhalten, das Lernen-„Wollen“ über das Entdecken und Forschen immer wieder neu angesprochen wird. In Kindertageseinrichtungen und auf Schulhöfen werden heute naturnahe Konzepte favorisiert. Im öffentlichen Raum steht die Planung hierfür noch am Anfang, wenngleich die ersten Kommunen Lösungen suchen, die noch brauchbare Spielgeräte in naturnahe Konzepte integrieren. Sie reagie-

Deshalb sollten die für das Betreuungsgeld vorgesehenen Mittel zunächst in den Ausbau der Kindertagesbetreuung investiert werden. Auch die Frage, wie es gelingen kann, Tausende von notwendigen ErzieherInnen sowie Tagesmütter und Tagesväter zu gewinnen, wurde bisher leider nicht beantwortet. Dazu habe der DStGB ein Aktionsprogramm vorgeschlagen mit einer Ausbildungsinitiative der Bundesagentur für ErzieherInnen, zusätzlichen Stellen im Bundesfreiwilligendienst und steuerlichen Anreizen für Tagesmütter und Tagesväter. Die Politik muss jetzt handeln, sonst werden die Eltern, die vergeblich nach einem Betreuungsplatz fragen, enttäuscht sein und die Politikverdrossenheit wird zunehmen.

Notfallplan

geschaffen werden, die vielleicht später professionell als Erzieher arbeiten wollen. Deshalb sollte für den Notfall ein vorübergehender Fonds geschaffen werden, um den Städten zu helfen, denen eine große Klagewelle droht. Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit müsse es sein, junge Arbeitslose für die Betreuung zu qualifizieren. Das Bundesfinanzministerium könnte die früher geltende Regelung zeitweilig wieder einführen, dass Frauen nicht sozialversicherungspflichtig sind, die neben der Betreuung des eigenen Nachwuchses auch noch ein oder zwei Kinder zusätzlich betreuen wollen. Tagesmütter gewinnen und dadurch Betreuungsplätze zu sichern sei der einfachste, billigste und schnellste Weg. Natürlich könne die Zahl der Plätze auch dadurch erhöht werden, dass die Gruppengröße bei Betreuungseinrichtungen erhöht werden. Das ginge, wenn einer Erzieherin beispielsweise vorübergehend ein, zwei Hilfskräfte an die Seite gestellt würden.

Dilemma des Notfallplans

Der vom DStGB anvisierte Notfallplan zeigt das ganze Dilemma der Situation. Der vom Bundesgesetzgeber beschlossene Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz wurde den Kommunen zur Realisierung „auf’s Auge gedrückt“, ohne die entsprechende Finanzierung mitzugeben. Nun naht der Termin und eine schnelle Lösung muss her, ein Notfallplan. Da die Finanzierung des Projekts recht vage ist, müssen Standards gesenkt werden. Gruppengrößen zu erhöhen und Hilfskräfte zur Seite zu stellen, heißt aber, an der Qualität der Betreuung der Kinder zu sägen. Offen gesagt werden muss zudem, dass angesichts der allgemeinen Finanzlage der Kommunen das Provisorium Notfallplan schnell in einen Dauerzustand verfallen könnte. Welches Schicksal Dauerprovisorien erleiden, dürfte aus der Geschichte hinlänglich bekannt sein. ren auch unter dem Aspekt ökonomischer Vernunft, weil sie durch solche Sanierungsmaßnahmen in der Lage sind, aus dem Kinderspielplatz einen quartiersbezogenen Generationentreff planen zu können. Dies ist eine weise Entscheidung, da Kinder für eine gesunde Entwicklung nicht nur Bewegungsförderung, sinnliche Anregungen, positive Emotionen benötigen, sondern auch Erwachsene und ältere Menschen als Leitbilder. Naturnahe Spiel- und Begegnungsräume für alle Generationsgruppen unterstützen somit das Ziel, kinder- und familienfreundliche Politik voranzutreiben. (aus: www.gemeinderat-online.de)


Kommunal-Info 4/2012

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Studie „Rekommunalisierung“ Kommunen wollen Steuerungseinfluss zurückgewinnen Kommunen wollen in der Daseinsvorsorge die Richtung wieder selbst bestimmen. Das geht aus einer aktuellen Studie über die Ziele von Maßnahmen zur Rekommunalisierung hervor. Ein regelrechter Trend ist aber nicht zu erkennen. Die Kommunen messen der kommunalen Leistungserbringung wieder ein höheres Gewicht bei. Von einem flächendeckenden Trend zur Rekommunalisierung kann allerdings nicht gesprochen werden. Dies geht aus einer aktuellen Studie der Hypo-Vereinsbank hervor. Für die Untersuchung wurden deutschlandweit alle Kommunen über 20 000 Einwohner befragt. Beteiligt haben sich 102 Gemeinden aus allen Flächenländern, was die Autoren der Studie als Basis für einen zuverlässigen Überblick über die aktuelle Entwicklung annehmen. In der Studie haben Finanzwissenschaftler vom Kompetenzzentrum Öffentliche Wirtschaft und Daseinsvorsorge der Universität Leipzig untersucht, was Städte und Gemeinden unter dem Begriff Rekommunalisierung verstehen und was die Gründe die Rückführung wichtiger Infrastrukturleistungen in kommunale Regie sind. Die wichtigsten Ergebnisse der Befragung im Überblick:  Fast die Hälfte der Kommunen mit Haushaltsdefizit plant eine Rekommu-

nalisierung.  Rund zwei Drittel der Kommunen verstehen unter Rekommunalisierung einen Rückkauf ehemals öffentlicher, im Zeitverlauf privatisierter kommunaler Unternehmen.  Als mögliche Gesellschafterstrukturveränderung im „Konzern Kommune“ liegt die Rekommunalisierung mit 35,9 Prozent knapp hinter der interkommunalen Zusammenarbeit (41,0 %). Privatisierungen spielen mit 2,6 Prozent de facto derzeit keine Rolle.  Die Gründe von Rekommunalisierungsbestrebungen liegen in erster Linie in der Wahrung/im Ausbau des kommunalen Steuerungseinflusses.  Rekommunalisierungsgründe in den einzelnen befragten Sektoren sind mehrschichtig, allerdings spielt der kommunale Einfluss und damit die Ziele der Daseinsvorsorge eine entscheidende Rolle. Der Finanzwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Lenk von der Universität Leipzig sagte bei der Vorstellung der Studie Anfang Juli, Rekommunalisierungsmaßnahmen seien derzeit sehr aktuell. „Im Gegensatz zu Privatisierungen nehmen sie – neben interkommunalen Kooperationen – einen hohen Stellenwert ein.“ Trotz angespannter Haushaltslage stellt die Rückführung wichtiger Infrastrukturleistungen in kommunale Regie laut Studie derzeit eine bedeutende Option für die Gemeinden dar. Viele Kommunen beschreiten – trotz Haus-

haltsdefizit – diesen Weg. Über die Ziele der Rekommunalisierung ehemals öffentlicher Leistungen sagt Studienprojektleiter Dr. Oliver Rottmann, diese lägen vor allem in der Rückgewinnung des kommunalen Steuerungseinflusses. Kommunen hätten dabei neben Einnahmeaspekten besonders die Gewährleistung der Daseinsvorsorge im Blick. „Gerade im Rahmen dieser Perspektive erwiesen sich Privatisierungen nicht in jedem Fall als zielführend“, unterstreicht Rottmann. Für den Energiesektor stellt die Studie eine „klare Tendenz zur Rekommunalisierung“ fest. Für den Krankenhaussektor seien diese Bestrebungen weniger zu beobachten. Konsens bestehe hingegen, dass Privatisierungen derzeit in nur geringem Umfang verfolgt werden. (aus: www.gemeinderat-online.de)

Veranstaltungen

des Kommunalpolitischen Forums Sachsen e.V.

Was tun gegen Neonazis in der Kommune? am 5. Mai 2012, Sonnabend, 11-16 Uhr in Dresden Haus der Gewerkschaften, Schützenplatz 14 Einführungsvortrag  Dipl.-Soziologin Julia Marth, Universität Bielefeld stellt Ergebnisse aus der Langzeitstudie „Deutsche Zustände - Unruhige Zeiten“, die am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld unter der Leitung von Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer erarbeitet wurde. Workshops  Zum Erscheinungsbild der extremen Rechten in den sächsischen Kommunen  Strategien des Umgangs mit den extremen Rechten  Zivilgesellschaftliches Engagement vor Ort stärken Teilnehmerbeitrag: 3 EUR (Mitglieder des KFS: 1,50 EUR) Kommunalpolitische Konferenz 2012 zum Thema:

Kommunale Daseinsvorsorge zwischen Privatisierung und Rekommunalisierung 30. Juni 2012, Sonnabend, 10 bis ca. 15 Uhr in Dresden Haus der Gewerkschaften, Schützenplatz 14 Vorträge:  Privatisierung der kommunalen Daseinsvorsorge in Deutschland – eine Bilanz (Prof. Dr. Gerstlberger, Univ. von Süddänemark / Integrierte Management- und Kommunalberatung Kassel)  PPP in deutschen Kommunen – Bilanz und Erfahrungen (Dr. Karsten Schneider, DGB-Bundesvorstand)  Rekommunalisierung: Ursachen und Motive, Varianten, reale Möglichkeiten (Jens Libbe, Dt. Institut für Urbanistik Berlin)  Rekommunalisierung in der Praxis - Erfahrungen aus Bereichen der Ver- und Entsorgung (Erhard Ott, Bundesvorstandsmitglied der Gewekschaft ver.di, Fachbereichsleiter Ver- und Entsorgung)  Sicherung kommunaler Daseinsvorsorge durch bürgerschaftliche Selbsthilfe und Genossenschaften (Dr. Herbert Klemisch, Klaus Novy Institut e.V. Köln) Teilnehmerbeitrag: 5 EUR (Mitglieder des KFS: 2,50 EUR)

Sparkassen für Rekommunalisierung der Energieversorgung Erhebliche wirtschaftliche Herausforderungen im Zusammenhang mit der Energiewende sieht der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSVG), Heinrich Haasis. Nach Schätzungen der Sparkassen sind allein bis 2020 für alternative Energien, Netzinfrastrukturen und -übernahmen sowie energetische Sanierungen Investitionen von über 300 Mrd. Euro erforderlich. Die Sparkassen stünden bereit, die Energiewende vor Ort aus Kreditmitteln zu finanzieren sowie hierfür Kapital von Bürgerinnen und Bürgern über Bürgerbeteiligungsmodelle zu mobilisieren, sagte Haasis in Berlin. Haasis rief zugleich Unternehmen und Privathaushalte auf, stärker in Energieeffizienz in investieren. „Die Ziele zur 10%igen Stromeinsparung bis 2020 und zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energie auf 80 % bis 2050 sind nur mit mehr Anstrengungen beim Energiesparen möglich. Die günstigste Energie ist immer noch die, die nicht verbraucht wird“, sagte Haasis. 2011 seien allerdings nur knapp halb so viele Wohneinheiten energetisch saniert worden wie 2010. Haasis appellierte deshalb an die Politik, durch Freigabe und Optimierung von Förderprogrammen für Gebäudesanierungen ein klares Signal zum Energiesparen zu geben. Die Sparkassen stünden als wichtigster Partner der KfW und anderer Förderinstitute bereit, die entsprechenden Programme in realistische Finanzierungen für Unternehmen und Privathaushalte einzubeziehen. Haasis regte zugleich an, nicht nur in Großtechnologien und die Erweiterung zentraler Netze zu investieren, sondern die Energiepolitik der Zukunft stärker auf dezentrale Strukturen aufzubauen. „Am besten wäre es, wir könnten die Energie möglichst oft dort produzieren, wo sie verbraucht wird.“ Dazu würden zur dezentralen Einspeisung geeignete Netzinfrastrukturen und eine Rekommunalisierung der Energieversorgung benötigt. Dies sei auch eine Chance, den Bürgern politisch und finanziell eine stärkere Beteiligung anzubieten. (aus: Finanznachrichten, 28.02.2012)


April 2012

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

ParlamentsReport LINKES Handlungskonzept gegen Armut im Alter

Herr Tillich reagierte auf die Initiativen der demokratischen Opposition – darunter auch der Antrag der Fraktion DIE LINKE zur wirksamen Bekämpfung des Unterrichtsausfalls – im Landtag in seiner gewohnten Weise: mit Schweigen. Mittlerweile lässt er vernehmen, die von ihm selbst zu Beginn der Legislaturperiode ausgerufene Zielzahl von 70.000 Landesbeschäftigten am Ende des Jahrzehnts, was einer Reduzierung um ein Fünftel gleichkommt, solle nun doch nicht mehr gelten. Wir hatten ihm schon 2009 vorgerechnet, dass ein solcher Schnitt bedeutet, Lehrer/innen bzw. Polizistinnen und Polizisten in Größenordnungen „einzusparen“ und damit die Qualität der Schulen bzw. das Niveau der öffentlichen Sicherheit aufs Spiel zu setzen. Statt der Stellenzahl will Tillich jetzt eine bestimmte Personalkostenhöhe festschreiben lassen – was genauso willkürlich und realitätsfremd ist. Stattdessen braucht Sachsen eine objektive Bedarfsanalyse und ein entsprechendes Personalentwicklungskonzept, damit nicht Landesbedienstete entlassen werden, die das Land dringend braucht!

Dr. André Hahn Fraktionsvorsitzender

eine Mindestrente, die weit über dem heutigen Grundsicherungs­ niveau liegt, aber leistungsabhängig ist. Die Herstellung der deutschen Renteneinheit ist überfällig, zumal sie ostdeutsche Frauen zusätz­ lich benachteiligt. Wer das alles für unbezahlbar hält, dem sage ich: Durch ein gerechtes Steuersystem stünden genügend Mittel zur Verfü­ gung, um den Kampf gegen Frauen­ armut erfolgreich zu führen.“

© Bernd Lang / PIXELIO

Bildung ist nicht alles, aber ohne Bildung ist heutzutage alles nichts – das musste auch Ministerpräsident Tillich gerade feststellen: Niemand interessiert sich mehr für das ständige Selbstlob der schwarz-gelben Koalition wegen ihrer „Sparpolitik“, sondern zunehmender Unterrichtsausfall und sich verschärfender Lehrermangel beherrschen das landespolitische Geschehen.

die gegen das Prinzip ‚Gleicher Lohn für gleiche Arbeit‘ verstoßen, sollten keine Aufträge der öffentli­ chen Hand mehr erhalten. Die Ein­ führung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes von mittelfristig zehn Euro ist dringend geboten. So lange es diesen bun­ desweit noch nicht gibt, dürfen in Sachsen nur Unternehmen öffent­ liche Aufträge erhalten, die Min­ destlohn zahlen. Und: Wir brauchen

LINKE startet Online-Anhörung zur Verwaltungs-Transparenz Die Fraktion DIE LINKE hat ihren Gesetzentwurf für eine transparente Verwaltung (Gesetz über die Öffent­ lichkeit der Verwaltung und die Frei­ heit des Informationszugangs im Freistaat Sachsen) im Internet zur Diskussion gestellt. „Die Grundidee des Gesetzes ist, die Bürger/innen und den Staat auf Augenhöhe zu brin­ gen. Wir meinen, was die Verwaltung weiß, sollen auch die Bürger wissen können. Was mit öffentlichem Geld erarbeitet wurde, wie z.B. Expertisen oder Statistiken, soll auch der Öffent­

lichkeit zugänglich sein“, erläutert Julia Bonk, Fraktionssprecherin für Datenschutz, Verbraucherschutz und neue Medien, das Anliegen. Der Gesetzentwurf enthält eine not­ wendige Verfassungsänderung, um jeder Person einen verfassungs­ rechtlich garantierten Informations­ zugang zu bieten, eine Umkehr hin zu einer generellen Öffentlichkeit von Informationen der öffentlichen Stellen, Abschaffung des altherge­ brachten Amtsgeheimnisses sowie

© itestro / Fotolia.com

Liebe Leserinnen und Leser!

Schon oft hat die Fraktion DIE LINKE die Altersarmut zum Plenarthema gemacht. Zuletzt in der Aktuellen Debatte am 3. April, diesmal ging es konkret um die steigende Zahl an armen Rentnerinnen in Sach­ sen. Schon heute ist Altersarmut bei Frauen stärker verbreitet als bei Männern, weil sie zumeist weni­ ger Rente bekommen als Männer. Grund dafür ist, dass der Anteil sächsischer Frauen bei Teilzeit- und Minijobs sowie im Niedriglohnsek­ tor überdurchschnittlich hoch ist. Frauen haben zudem öfter unter­ brochene Erwerbsbiografien und werden im Vergleich zu Männern noch immer schlechter bezahlt. „In Sachsen erhalten Frauen nicht ein­ mal zwei Drittel des Lohnes west­ deutscher Männer“, weiß Dietmar Pellmann. Der Sozialexperte der Linksfraktion schrieb der Regie­ rungskoalition ins Stammbuch, wie der fortschreitenden Frauen-Alters­ armut zu begegnen ist: „Die Staats­ regierung muss endlich ein Gesamt­ konzept vorlegen. Unternehmen,

die Festschreibung weitergehender konkreter Informations- und Veröf­ fentlichungspflichten der Staatsre­ gierung und öffentlichen Stellen im Bereich der Umwelt-, Gesundheitsund Verbraucherinformationen in einem Gesetz aus einem Guss. Auch Geheimverträge soll es nicht mehr geben können. Einzig ausgenommen vom Informationsanspruch sind die Interessen betroffener dritter Einzel­ personen im Sinne des Datenschut­ zes, nicht aber von Unternehmen etwa bei Lebensmittelkontrollen. Die neue Aufgabe der Wahrung des Infor­ mationsanspruches soll in einer ver­ änderten Konstruktion beim Säch­ sischen Datenschutzbeauftragten angesiedelt werden. Die Veröffentli­ chung der entsprechenden Informa­ tionen ist im Internet in Form eines Portals vorgesehen. Damit der Gesetzentwurf vor sei­ ner Einbringung ins Parlament von einer breiten Öffentlichkeit disku­ tiert werden kann, sodass Kritiken und Anmerkungen mit aufgenom­ men werden können, sind alle auf www.linksfraktionsachsen.de/ onlineanhoerung eingeladen, mit zu diskutieren und das Werk noch bes­ ser zu machen. „Diese Beteiligungs­ offenheit ist für uns Ausdruck eines neuen Politikverständnisses, das auch jenseits der parlamentarischen Debatte auf die Teilhabe einer und eines Jeden setzt“, so Bonk.


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PARLAMENTSREPORT

April 2012

DIE LINKE hat den Grünen Daumen

Die Fakten dafür lieferte eine Große Anfrage der Fraktion mit dem Titel „Konzeption und Handlungsstrate­ gien der Staatsregierung zur Schaf­ fung von Rahmenbedingungen für die Sicherung und Fortentwicklung des sächsischen Kleingartenwesens bis zum Jahr 2020“ (Drs 5/5759). Was die Staatsregierung auf die zahl­ reiche Teilfragen zu antworten hatte, rief DIE LINKE und den Landesver­ band der Kleingärtner, der immerhin 220.000 Mitglieder vertritt, auf den Plan. So sorgte der vom Freistaat beab­ sichtigte Verkauf landeseigener Kleingarten-Flächen für Unmut. Für das 15fache des Pachtzinses sollen Kleingärtner ihre Scholle kaufen. Direkt betroffen: 130 Vereine mit 9.000 Pächtern. „Flurbereinigung“, nennt das der Rechtsexperte der LINKEN, Klaus Bartl, und warnte ebenso wie der Kleingarten-Landes­ verband, sich auf den Deal einzulas­

© Frank Radel / PIXELIO

Wenn Hunderte Kleingärtner/innen im Dresdner Landtag auftauchen, um eine Plenarsitzung live mitzuerleben, dann darf man davon ausgehen, dass es „pressiert“. So geschehen am 4. April. Erneut hatte sich DIE LINKE Laubenpiepern zugewandt und die „Zukunft des Kleingartenwesens“ zum Top-Thema im Landtag gemacht.

sen: „Das Problem ist, dass mit dem Kauf die Flächen unbefristet nur für Kleingartenzwecke genutzt werden dürfen. Das aber kann zum finan­ ziellen Desaster werden, wenn ein Kleingartenverein bspw. auf Grund von Überalterung aufgeben oder sich aus Mitgliedermangel auflösen muss. Dann würde eine Nachzah­ lung auf den Kaufpreis fällig, wobei es dann wohl um die Differenz zum Verkehrswert der Fläche bezogen auf Baulandpreise ginge, womit den von der Abwicklung betroffenen Vereinsmitgliedern eine Verschul­

dung droht.“ Aufgrund des massi­ ven Drucks nach der Plenarsitzung, lenkte die Staatsregierung ein und änderte die Verkaufsbedingungen so, dass eben diese Risiken nicht mehr gegeben sind. Neben dem Flächen(ver)kauf sind Sachsens Kleingärtner mit zahlrei­ chen weiteren Problemen belastet, darunter – zeitweilig und regional verschieden – mit bis zu 16 unter­ schiedlichen Kommunalabgaben. Die Fraktion DIE LINKE hat deshalb einen Entschließungsantrag (Drs 5/8782)

formuliert und ins Plenum einge­ bracht. Darin fordert die Fraktion die Staatsregierung auf, neben einer Konzeption für den langfristigen Schutz und die Weiterentwicklung des Kleingartenwesens in Sachsen neue Initiativen des Landes auf Bun­ desebene auf den Weg zu bringen, damit die schon seit über zehn Jahren angekündigte Neuregelung zur Erhe­ bung der Grundsteuer B für Kleingar­ tenflächen, die mit einer Laube über 24 bzw. 25 qm bebaut sind, endlich zum Abschluss gebracht wird. Ziel ist, dass Gartenlauben bis zu einer Größe von 30 qm nicht mehr geson­ dert bewertet und von der Grund­ steuer B befreit werden können. Klaus Bartl forderte namens der Linksfraktion den Freistaat Sachsen auf, „sich jeglichen Drucks auf die Kleingärtner/innen zum Kauf des Landes zu enthalten, denn Klein­ gartenanlagen nehmen durch ihre Existenz und durch ihr Wirken als so genannte weiche Standortfakto­ ren wichtige soziale und kulturelle Funktionen für die Bürgerinnen und Bürger wahr. Sachsen ist nach wie vor das Bundesland mit der größten Dichte an Kleingärten. Das Kleingar­ tenwesen bedarf auch zukünftig der besonderen Förderung und Unter­ stützung des Landes, der Kreise und Kommunen.“

Lehrermangel, Stundenausfall und Ministerflucht

Für Linkspolitikerin Cornelia Falken ist der immense Unterrichts­ ausfall in Sachsen schlicht Staats­ versagen: „Es ist doch egal, ob der oder die Kultusminister/in Flath, Wöller oder Kurth heißt: Es ist die

engstirnige Sicht dieser Staatsre­ gierung, die nicht merkt oder nicht merken will, wie brisant die Lage ist. Wenn der Finanzminister sich hinstellt und sagt: ‚Kein Staat kann alle Maximalwünsche erfüllen‘, dann hat er nichts verstanden. Es geht nicht um Wünsche, sondern um die Pflicht des Freistaates. In Sachsen herrscht Schulpflicht und die Schüler haben einen Anspruch auf die Erfüllung der Stundentafel und der Lehrpläne.“ Selbst nach Statistiken des Kul­ tusministeriums gibt es Schulen in Sachsen, die bis zu 18 Prozent Unterrichtsausfall haben, Schü­ ler, die bis zu einem halben Jahr kein Physik oder Mathe oder Kunst oder Geschichte oder Sport haben. Schulleiter, die nur bis zu drei Pro­

zent Unterrichtsausfall melden dür­ fen. Klassenzusammenlegung, ein Lehrer für zwei Klassen, Eltern, die Fotos: efa

Es war wenig überraschend, dass Lehrermangel und Unterrichtsaus­ fall einen breiten Raum im AprilPlenum einnahmen. Der Minis­ ter war von der Fahne gegangen, landesweit protestierten Schüler, Eltern und Lehrer. Auch wenn Lars Rohwer (CDU) für Neu-Ministerin Kurth eine Schonfrist einfordern und der „armen Frau“ die vielen Anträge der demokratischen Oppo­ sition nicht zumuten wollte, musste die Staatsregierung dennoch viele unangenehme Fakten zur Kenntnis nehmen.

Schüler betreuen, wenn der Lehrer krank ist; Lehrer, die in einer Unter­ richtsstunde nur zwanzig Minuten unterrichten, den Schülern dann Aufgaben geben, damit sie pünkt­ lich in der nächsten Schule zum Unterricht erscheinen. Halbjahres­ zeugnisse, auf denen für einzelne Fächer keine Noten erteilt werden konnten. „Die Zeit für die sorgfältige Vorbe­ reitung des neuen Schuljahres ist knapp, der Zahlenpoker muss end­ lich aufhören. Deshalb muss die neue Kultusministerin JETZT han­ deln!“, so Bildungsexpertin Corne­ lia Falken.


April 2012

PARLAMENTSREPORT

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Sonne, Wind und Tillich Der zukunftsorientierten Indus­ trie Sachsens Steine in den Weg zu legen, warf Dr. Jana Pinka dem sächsi­ schen Ministerpräsidenten auf der Plenarsitzung vom 4. April vor. Hin­ tergrund war die wage Haltung der Koalition zur Kürzung der Solarför­ derung. Per Antrag (Drs 5/8622) forderte DIE LINKE die Staatsre­ gierung auf, sich am 11. Mai im Bundesrat „im Schulterschluss mit anderen Bundesländern, wie Sach­ sen-Anhalt, NordrheinWestfalen, Thüringen, Baden -Wür ttemberg oder Rheinland-Pfalz“ den radikalen Kür­ zungsvorstellungen im „Gesetz zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strah­ lungsenergie und zu wei­ teren Änderungen im Recht der erneuerbaren Energien“ entgegenzu­ stellen. „Sie sollen für die sächsische Solar­ wirtschaft kämpfen, das erwarten wir von Ihnen“, forderte Jana Pinka den Regierungschef auf.

Absatz einheimischer Produkte eine reale Chance zu geben.“ Im Bereich von Sachsens Solarwirtschaft waren 2011 ca. 6.800 Menschen beschäf­ tigt, die Kürzungspläne blockieren also nicht nur den Umbau des Ener­ giesystems, sondern sie gefährden auch Arbeitsplätze im Freistaat. Für ihre Argumentation im Bundes­ rat schlug DIE LINKE der Staats­ regierung vor, schnellstens eine

© www.factory-7.de

Dabei sind für DIE LINKE nicht die Reduzierungen an sich das Problem, sondern deren Kurzfris­ tigkeit und Höhe. „Redu­ zierungen wurden immer auch von den Vertretern der Erneuerbaren Ener­ gien mitgetragen, wenn auch in zugesagten Fris­ ten und im Vertrauen auf Verlässlichkeit und Planungs sicher heit “, erläuterte Pinka und forderte Verbesserun­ gen im Gesetz, „um dem

Local-Content-Regelung auf den Weg zu bringen, die heimische Pro­ dukte schützt, indem wie in Italien und Frankreich eine Zehn-ProzentBonus-Regelung für Anlagen einge­ führt wird, die einen Mindest-Wert­ schöpfungsanteil in Europa haben. „Was dagegen der jetzige Geset­ zesentwurf beinhaltet, wird gerade den Verbraucher dazu veranlassen, noch stärker asiatische Produkte zu kaufen, denn das anhaltende Preisdumping können unsere Unternehmen nicht mehr stemmen“, so Pinka. Ein weiterer Kritikpunkt der LINKEN am neuen Gesetzentwurf ist die darin vorgesehene erhebliche Senkung des Zielkorridors der Aus­ bauleistung von Photo­ voltaikanlagen. „Damit wird auch der im Akti­ onsplan der Bundes­ republik Deutschland von 2010 enthaltene Ausbau der Photovol­ taikleistung auf 52 GW im Jahr 2020 nicht mehr erreicht werden kön­ nen“, schätzt Pinka ein: „Um die Gesamt­ ziele für den Ausbau erneuerbarer Energien zu erreichen, müsste eine Verminderung von Solarstrom zum Bei­ spiel durch eine höhere Erzeugung von Strom aus Windkraftanla­ gen ausgeglichen wer­ den.“ Das jedoch ist allein schon durch die Abwehrhaltung der FDP nicht zu erwarten.

Der lange Weg zur (parlamentarischen) Arbeit und den die demokratische Opposi­ tion durchsetzte. Nun also versuchte Ausschussvor­ sitzender Patrick Schreiber (CDU)

die Bummeltaktik und wollte nicht – oder zumindest nicht gleich - mit der Arbeit beginnen. Und wurde – wieder einmal – von „Rot-Rot-Grün“ unter Nutzung ihres Minderheiten­ rechts dazu gezwungen. Am 17. April rief der UA 3 seine ins­ gesamt 19 Mitglieder nun endlich zum ersten Mal zusammen. Für die Fraktion DIE LINKE sind das die MdL Klaus Bartl, Rico Gebhardt, FreyaMaria Klinger und Kerstin Köditz, wobei Bartl auch stellvertreten­ der Ausschussvorsitzender ist und Köditz die Fraktion als Obfrau ver­ tritt.

Foto: efa

Die CDU musste zum Jagen getra­ gen werden. Wieder einmal. Diesmal betraf es den Untersuchungsaus­ schuss (UA 3) zum Nazi-Terrortrio NSU, den die Koalition nicht wollte,

Während das genannte OppositionsTrio umgehend Anträge zu Zeugen­ befragungen stellte, gefallen sich die schwarz-gelben Ausschuss-Mit­ glieder im Nichtstun, sodass voraus­ sichtlich nicht vor dem 15. Juni erste Zeugen gehört werden können.

Plenarspiegel April 2012 Am 3. und 4. April 2012 fand die 53. und 54. Sitzung des Sächsi­ schen Landtags statt. Folgende parlamentarische Initiativen wurden von bzw. mit der Frak­ tion DIE LINKE eingebracht: Aktuelle Debatte: Drohende Altersarmut von Frauen in Sachsen und die Staatsregierung bleibt untätig Gemeinsamer Antrag der Frak­ tionen DIE LINKE, SPD und GRÜNE zur Festlegung der Mit­ gliederanzahl des 3. Untersu­ chungsausschusses – Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen (Drs 5/8701) Große Anfrage: Konzeption und Handlungsstra­ tegien der Staatsregierung zur Schaffung von Rahmenbedingun­ gen für die Sicherung und Fort­ entwicklung des sächsischen Kleingartenwesens bis zum Jahr 2020“ und die Antwort der Staatsregierung (Drs 5/5759; Entschließungsantrag: Drs 5/8782) Anträge: – Unterrichtsausfall in Sach­ sen unterbinden! – mit Stellung­ nahme der Staatsregierung (Drs 5/7493) – Ablehnung des Gesetzes­ vorhabens zur Kürzung in der Solarförderung – Für eine ver­ lässliche, planungssichere und zukunftsorientierte Förderung der Solarenergie (Drs 5/8622) In den Landtagsausschüssen wurden drei Anträge der LINKEN zu folgenden Themen behandelt: – Energiegipfel und StrommixOffensive in Sachsen: Ener­ gieversorgung zukunftsfähig ausrichten, keine Energie aus Atomkraft. (Drs 5/5611) – Errichtung einer Stiftung „Sächsische Industriekultur“ (Drs 5/6231) – Dezentrale Unterbringung der nach dem Sächsischen Flücht­ lingsaufnahmegesetz in Sach­ sen aufgenommenen Migrantinnen und Migranten (Drs 5/8100) Drucksachen (Drs) und Rede­beiträge unter www.linksfraktion- sachsen.de


PARLAMENTSREPORT

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April 2012

Wie ist er denn nun, der Mensch? Ist er per se gut, oder eher von Grund auf böse? Diese und andere Fra­ gen wurden am 2. April im DENK­ werk LINKS gestellt. Einlader war die Landtags-Linksfraktion, Ausgangsund Endpunkt des philosophischen Abends das Buch „Weder Gut noch Böse. Warum sich Menschen wie ver­ halten“ vom wissenschafts- und hochschulpolitischen Sprecher der Fraktion, Prof. Gerhard Besier.

Foto: Jens Wodrich

Besiers Schwerpunkte an der TU Dresden sind neben Religion, Staat,

Gesellschaft, Diktaturen und Frei­ heitsforschung auch religiöse und ethnische Minderheiten sowie euro­ päische Zeitgeschichte. Sein Buch liefert mögliche Gründe mensch­ lichen Verhaltens und die unter­ schiedlichen Deutungsmöglichkei­ ten dazu. „Das Buch sucht zu zeigen, wie sehr wir in sozial konstruierten Wirklichkeiten leben, uns an Bil­ der und Vorstellungen klammern, die in Krisensituationen allzu leicht zerbröseln können“, heißt es in der Beschreibung zu dem 358 Seiten starken Werk.

Im „Literaturhaus Villa Augustin“ beschrieb der Theologe, Psycho­ loge und Historiker vor gutbesetz­ ten Reihen, warum es lohnt, sich mit dem Thema auseinanderzuset­ zen: „Nach grausamen Taten Ein­ zelner erstarrt unsere Gesellschaft regelmäßig in hilflosem Entsetzen. Man sucht nach Erklärungen für das anscheinend Unerklärliche, und alsbald nennen die Kommenta­ toren den Täter „böse“. Aber nicht nur Einzelne, sondern auch größere Verbände, ja ganze Völker können gemeinschaftlich Verbrechen bege­ hen und dabei noch davon über­ zeugt sein, für eine gute Sache zu kämpfen.“ Neben Besier bestritt Prof. Niels Birbaumer, Psychophysiologe an der Universität Tübingen, den anre­ gend lebhaften Abend. Die Modera­ tion lag in den Händen von Frakti­ onssprecher Marcel Braumann.

Buchtipp: Gerhard Besier: „WEDER GUT NOCH BÖSE. Warum sich Menschen wie verhalten“ LIT-Verlag Münster, ISBN 978-3-643-11610-9; Preis: 29,90 Euro, [bei Bezug über TU Dresden, Lehr­ stuhl für Europastudien, 18,00 Euro] MdL Prof. Gerhard Besier (li.) und Prof. Niels Birbaumer (re.)

Gedanken ums Gedenken Kürzlich stellten CDU, SPD, FDP und GRÜNE einen Entwurf für ein neues Gedenkstättengesetz (Drs 5/8625) vor. Nicht nur für die Linksfraktion war das über­ raschend. Auch einige Opferver­ bände waren erstaunt, schließlich zog sich die Findungsphase für ein Gesetz, welches den Opfern des Nationalsozialismus ebenso gerecht wird wie denen, die in der DDR zu Schaden kamen, seit Jah­ ren ergebnislos hin.

rung auf deren Bitte hin in Konsul­ tation mit den regierungstragen­ den Fraktionen ruhen lassen und nicht im Landtag zur Abstimmung gestellt. Leider kam dennoch kein neues Gesetz zustande, weshalb wir die Angelegenheit zu Beginn der Wahlperiode erneut thema­ tisierten und beantragten, den beschämenden Umgang mit den NS-Opferverbänden zu beenden (Drs 5/698). Wir hätten uns gern in

die Erarbeitung des jetzt vorgeleg­ ten Gesetzentwurfs eingebracht“, bedauert der LINKE Fraktionschef André Hahn. Ungeachtet dessen wird sich DIE LINKE in Absprache mit den Opfer­ verbänden weiter in die parlamen­ tarische Beratung einbringen und Vorschläge zur weiteren Qualifizie­ rung des Gesetzentwurfes unter­ breiten.

Ebenso merkwürdig war der Ausschluss der LINKEN, zumal diese u.a. vor mehr als vier Jah­ ren als erste Fraktion einen eige­ nen Gesetzentwurf zur Novellie­ rung des Gedenkstättengesetzes vorgelegt hatte, um endlich den unhaltbaren Zustand zu beenden, dass mehrere Opferverbände u.a. wegen der im Gesetz enthaltenen Gleichsetzung der Nazi-Zeit mit der DDR nicht mehr in den Gremien der Stiftung mitarbeiten konnten und wollten.

So kann man auch mit kleinen Sachen Menschen große Freude machen… Ich hatte ihm prophezeit, dass er damit in den ZeitungsWochen-End-Kolumnen landen würde. Und ich hatte ihm auch gesagt, dass er sich damit in der LINKS-Zeitung wiederfinden würde. Das hat er nun davon, der Enrico, den alle nur Enno nennen und dessen flotte Lippe sich hin und wieder selbstständig macht. Wie am wirklich späten Abend des ersten Plenartages im April. Zugegeben, das Ansinnen der Grünen, zu später Stunde über die Förderung von „Radabstellanlagen in den Liegenschaften Sachsens“ fachsimpeln zu wollen, war kühn. Die CDU-Rednerin regte sich auch gleich über den verschwurbelten Begriff auf und schnauzte, sie werde nur über „Fahrradständer“ reden. Dass tat auch der LINKE Redner, nur eben auf seine Weise. Um zu zeigen, dass seine Fraktion den Antrag zwar nicht für den Brüller hält, ihm in der Sache aber durchaus zustimmen könne, philosophierte MdL Stange (!): „Im Zweifel lieber einen Ständer mehr als einen zu wenig.“ Das Protokoll vermerkt nach diesem Satz „Heiterkeit und Beifall“ … Und ich vermerke an dieser Stelle: Prophezeiung erfüllt, und zwar gleich zwei Mal. efa

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Fax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Elke Fahr Foto: efa

„Wir hatten unseren Gesetzent­ wurf im Interesse einer Kompro­ missfindung und wegen der lau­ fenden Vermittlungsbemühungen von Vertretern der Staatsregie­

Foto: © Otto Durst - Fotolia.com; Montag: efa

Der gute böse Mensch

Gedenkstätte zur Erinnerung an die KZ-Außenstelle im Kamenzer Herrental


5/2012  Sachsens Linke!

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Romafeindliche Mobilisierungen

Am 31. März 2012 fand in der tschechischen Grenzstadt Varnsdorf der 13. romafeindliche Hassmarsch seit September 2011 statt. Statt der Demonstration blieb es an diesem Samstag bei einer Kundgebung »anständiger Bürger« auf dem Rathaus-Platz. Im Schüren von Ressentiments gegen die Minderheit der Roma stand diese den Aufmärschen allerdings in nichts nach. Im Zentrum der Veranstaltung stand ein offener Brief, mit dem die Regierung in Prag aufgefordert wird, etwas gegen die »Entstehung von Wohngettos« zu unternehmen. Hintergrund ist die Auflösung eines der beiden Varnsdorfer Roma-Wohnheime, in dem diese über Jahre lang auf engstem Raum leben mussten. Der Auszug aus dieser eigentlich als Obdachlosenheim firmierenden Unterkunft wurde ihnen, u.a. durch das Vorenthalten von Wohngeldzahlungen für normale Wohnungen, systematisch verwehrt. Aufgrund öffentlichen Drucks – auch die Europaabgeordnete Dr. Cornelia Ernst war im vergangenen Jahr vor Ort – hat die tschechische Regierung diese gesetzeswidrige Praxis nun offensichtlich unterbunden. Bezahlbaren Wohnraum finden die zum Auszug angehaltenen über 100 Varnsdorfer Roma vor allem in Neubaublocks. Zahlreiche Familien bezogen in den letzten Wochen ihre neuen Domizile. Die Lebensbedingungen sind dort um einiges besser. In der mehrheitlich tschechischen

Bevölkerung allerdings wächst der Unmut gegen die entstehenden »Zigeuner-Siedlungen«, erste Familien verließen die Wohnblöcke bereits. Aus Sicht derer, die Stimmung gegen die Roma schüren und die am Samstag auf dem Rathausplatz demonstrierten, hat sich »das Problem« nun verlagert. Doch das tatsächliche Problem liegt woanders, nämlich in der krassen strukturellen sozialen Ausgrenzung und Benachteiligung von Roma. Rund 70% der tschechischen Roma sind arbeitslos. »Das Image der Roma ist derart schlecht, dass es an ein Wunder grenzt, dass überhaupt noch 30 Prozent der Roma offiziell beschäftigt sind.« kommentiert der Menschenrechtsaktivist und Journalist Markus Pape. Entsprechend schlecht ist ihre soziale Situation. RomaKinder werden zudem in unverhältnismäßig hoher Zahl in Sonderschulen für Kinder mit »leichter geistiger Behinderung« eingeschult. In der Sonderschule in Varnsdorf macht der Anteil von Roma 95 % aus. Viele der Eltern arrangieren den Besuch der Sonderschule, weil die Kinder zumindest dort nicht diskriminiert werden und mehr individuelle Förderung erhalten als in der Regelschule. Ein weiteres tatsächliches Problem ist die Bildung von »Wohngettos«. Wer keiner Erwerbsarbeit nachgehen kann und/oder kein bzw. nicht ausreichend Wohngeld bekommt, wird sich auch nicht unbekümmert eine adäquate Wohnung leisten können. Die Mehrheit der tschechischen Roma findet sich also in einem Kreislauf wieder, aus dem es kein Entrinnen gibt, solange die Regierung keine wirklich greifenden Maßnahmen ergreift oder die EU die Nicht-Umsetzung

„Roma-Hetze“ nebenan Unter dieser Überschrift wurde für den 21. März 2012 ein Vortrag von Aktivist_innen der Initiative »Solidarity with Czech Roma« in der unlängst in Pirna eröffneten »K2 – Kulturkiste« (http://k2kulturkiste.blogsport.de) angekündigt. Die Location bietet Platz für antifaschistische Bildungsarbeit, kleinere Ausstellungen, Vorträge, Filmbesprechungen, Lesungen und Seminare. Die Vorsitzende des Tamara Bunke Vereins für internationale Jugendverständigung ( ht tp ://t amar abunkeverein.de.vu/) Ramona Gehring und Jens Thöricht informierten über die Situation in der Region Sluknov

(Schluckenauer Zipfel). Diese Region gilt als »strukturschwach«. Firmen investieren nicht, das Bildungsniveau ist schlecht und die Infrastruktur miserabel. In den Jahren 2008 und 2009 haben etliche Firmen Arbeitsplätze abgebaut, die Arbeitsbedingungen haben sich generell verschlechtert. »Kriminalität, gewalttätige Übergriffe, Wegnahme von Arbeitsplätzen und das Ausnutzen von Sozialleistungen« wurden als Gründe für die Ablehnung der Sinti und Roma durch die einheimische Bevölkerung genannt. Litinov im Jahre 2008 markierte einen Anfangspunkt antiziganistischer Ausschrei-

der 2011 beschlossenen Roma-Strategie zum Abbau von Benachteiligungen nicht mit Sanktionen belegt. Bis 2013 erhält die Tschechische Republik von der EU insgesamt 200 Millionen Euro zur Verbesserung der Wohnbedingungen von Roma. Laut einem Bericht der Nachrichtenmagazins »Tyden« wurden diese Gelder bisher zweckentfremdet, indem sie vorwiegend in Wohnviertel der Mehrheitsbevölkerung geflossen sind. Infrastruktur, von der Roma wiederum ausgeschlossen sind. Die institutionelle Ausgrenzung geht Hand in Hand mit tief sitzenden Vorurteilen gegen die Minderheit der Roma. Eindimensionale Schuldzuweisungen, Gewaltausbrüche und Hass-Märsche, wie sie in Nordtschechien seit mehreren Monaten gehäuft auftreten, sind die Spitze eines Eisberges antiziganistischen Denkens. Jeder kleinste Anlass wird benutzt, um Ethnisierung zu betreiben, gegen »schwarzen Rassismus« zu hetzen.

So gelten zwei von Roma-Jugendlichen angezettelte Kneipenschlägereien in den nordtschechischen Orten Rumburk und Novy Bor als Auslöser der seit September 2011 anhaltenden Pogromstimmung gegen Roma. Nazis, wie Vertreter der Partei »DSSS« (Partei der sozialen Gerechtigkeit«), heizen die Stimmung an und können dabei problemlos an Einstellungen der Mehrheitsbevölkerung anknüpfen. Bei den ersten Hassmärschen in Nový Bor und Varnsdorf verschwammen die Grenzen zwischen den politischen Spektren von Sozialdemokratie, Konservativen und Nazis. Sprüche wie »Zigeuner ins Gas« und Steinwürfe gegen Roma-Unterkünfte prägten das Bild dieser Märsche. Die Situation in Tschechien steht nicht allein. In zahlreichen europäischen Staaten entladen sich in den letzten Monaten romafeindliche Einstellungen in Gewaltausbrüchen. Die Öffentlichmachung der Situation, Solidarität mit

den Betroffenen und ihren UnterstützerInnen sowie offensiver Widerstand gegen Romafeindlichkeit sind unabdingbar. Am 20.5.2012 wird in der nordtschechischen Stadt Rumburk ein Kinderfest stattfinden. Hier soll Kindern, Eltern und Engagierten ein Freiraum vom Alltag der Diskriminierung und Ausgrenzung gegeben werden. Ein Raum, um Energie zu schöpfen und ins Gespräch zu kommen. Auch Initiativen aus Sachsen werden das Ereignis unterstützen. Über Spenden (z.B. Sachspenden in Form von Spielzeug oder Geldspenden) freuen sich die OrganisatorInnen, die aus dem Umfeld der Initiative »Hass ist keine Lösung« kommen. Kontakt über die Leipziger Initiative gegen die Diskriminierung von Roma, die sich u.a. in Tschechien engagiert: antiziganismus-leipzig@riseup net und Tamara Bunke e.V. Zittau tamara-bunke-verein@gmx. de. Juliane Nagel

tungen in der tschechischen Republik. Der Funke sprang im August 2011 in die nördlichen Regionen über. Ramona Gehring gab einen chronologischen Abriss der stattgefundenen Aktionen, die sich gegen Sinti und Roma richteten. Als zwei der Organisatoren dieser Aktionen gelten «Delnická Strana sociální spravedlnosti«, die Nachfolgeorganisation der »Delnicka Strana«, eine rechtsnationale Arbeiterpartei, und Lukáš Kohout. Das oberste Verwaltungsgericht hat im Februar 2010 die »Delnicka Strana« verboten und ihre Auflösung angeordnet. Die Richter folgten damit dem Antrag der Regierung und stuften die Partei als verfassungsfeindlich ein. Für die Rechten in Tschechien ist das

Parteiverbot ein herber Schlag, denn die »Delnicka Strana« galt als Sammelbecken für die Nationalisten. In der Urteilsbegründung heißt es: «Die Partei richtet sich verallgemeinernd gegen Roma, Vietnamesen und Juden ebenso wie gegen Homosexuelle, Zuwanderer und generell gegen Menschen anderer Hautfarbe”. Kohout ist 1983 in Most geboren und gelernter Koch. Er versucht sich immer wieder als wichtigen Menschen im öffentlichen Leben zu stilisieren und gilt als Hochstapler. Ins Visier der Justiz ist er nicht nur aufgrund der von ihm maßgeblich organisierten Aktionen geraten, sondern auch wegen nicht beglichener Kreditraten für ein Notebook. Möglichkeiten, etwas zu tun,

gibt es viele. Sei es die Berichterstattung über die Zustände in der Region, das Sammeln von Kleidung für die Betroffenen, die Anwesenheit vor Ort bei antiziganistischen Aufmärschen, um den Menschen zu zeigen, dass sie nicht allein sind. Die lokalen Romas wollen eine nicht mehr genutzte Kirche als sozialen Treffpunkt nutzen und dort Angebote für Menschen schaffen, die wie sie selbst sozial benachteiligt werden. Dieses Vorhaben könnt ihr ebenfalls mit Spenden aber sicherlich bald auch mit Arbeitseinsätzen vor Ort unterstützen. Jens Thöricht

Bild hiddenside@ Flickr

Spitze eines Eisberges von tief sitzendem Antiziganismus

Konto für Geldspenden an die Roma: Tamara Bunke Verein / Kontonummer: 3000082580 / BLZ: 850 501 00 Sparkasse Oberlausitz-Niederschlesien / Betreff: Roma CZ


Sachsens Linke!  5/2012

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Neue Hochschulautonomie wird zynisch instrumentalisiert Exzellenzuniversität Dresden soll das Desaster überstrahlen und sächsische Sparwut drosselt Bundesmittel Sachsens Hochschulen kommen nicht zur Ruhe. Nachdem sie der Einstellungsstopp völlig überraschend traf, entschloss sich der Dekan der Philosophischen Fakultät der TU Chemnitz, das Sommersemester eine Woche später beginnen zu lassen, um in der gewonnenen Zeit die entstandenen Lücken in der Lehre notdürftig zu stopfen. Eine am 23. April vom Wissenschaftsausschuss verantwortete Anhörung im Landtag markierte eine Zäsur, die in die Hochschulgeschichte Sachsens eingehen dürfte: Bisher, so die Rektorin der Universität Leipzig, Beate Schücking, sei man nach dem »Rasenmäherprinzip« vorgegangen und habe die zu erbringenden Kürzungsleistungen über die ganze Universität hinweg verteilt. Das sei jetzt nicht mehr möglich. Nunmehr müssten ganze Einheiten amputiert werden. In Leipzig trifft es zunächst wohl das Pharmazeutische Institut. Weitere Einschnitte, so

ist zu befürchten, werden folgen. Diese Anhörung bildete auch in anderer Hinsicht eine Zäsur: In einer gemeinsamen Pressemeldung erklärten die Koalitionsfraktionen, im Rahmen ihrer Autonomie habe die Universität Leipzig vorgeschlagen, das Pharmazeutische Institut aufzulösen. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass sowohl die Rektorin wie auch der Prorektor der Universität Leipzig, Thomas Lenk, in der Anhörung ausdrücklich unterstrichen, sie hätten sich zu diesem schmerzlichen Schritt durchringen müssen, weil ihnen an-

gesichts der Sparbeschlüsse der Staatsregierung kein anderer Ausweg geblieben sei. So sieht also die Hochschulautonomie in Sachsen aus! Aufgrund des viel zu eng gesteckten finanziellen Rahmens können die Hochschulen ihre neue Autonomie nun mittels Streichungsvorschlägen erproben. Diese stehen allerdings unter dem Prüfungsvorbehalt zunächst des Wissenschaftsministeriums (SMWK), und auch das Sozialministerium ist im vorliegenden Fall noch zu konsultieren. Die für die Misere eigentlich verantwortliche

Staatsregierung nimmt sich selbst aus dem Schussfeld, indem sie auf die »autonome Entscheidung« der Hochschule verweist. Was für eine zynische Instrumentalisierung dieser »Autonomie«! Mit angehaltenem Atem wartet man derweil in der Staatskanzlei wie im SMWK auf die im Juni erwartete Entscheidung, ob die TU Dresden in den Rang einer Exzellenzuniversität erhoben wird. Ihr neuer Glanz, so das Kalkül, soll die dunkle Wirklichkeit der sächsischen Universitätslandschaft überstrahlen helfen und die überaus schwie-

rige Lage der anderen Hochschulen vergessen machen. Was aber, wenn dieser Trumpf nicht sticht? In diesem verzweifelten Fall bliebe allein die Rettung durch den Bund. Am Freitag, dem 20. April, vereinbarten Bundesbildungsministerin Schavan und die Wissenschaftsminister der Länder in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz eine stattliche Erhöhung der Hochschulpakt-Mittel bis 2020 – als Antwort auf die fatale Fehleinschätzung bei den Studienanfängerzahlen. Allerdings erwartet der Bund, dass die Länder ihren Anteil an der Aufstockung leisten. Während die Länder bisher eine Steigerung von durchschnittlich 20,2 Prozent vornahmen, hob Sachsen seine Hochschul-Ausgaben aber nur um 9,8 Prozent an. Hier, wie auch bei der ins Auge gefassten Qualitätsoffensive Lehrerbildung, werden die Bundesmittel jedoch nur dann reichlich fließen, wenn die Länder vergleichbare Summen investieren. Wenn Sachsen bei seinem jetzigen Sparkurs bleibt, wird es nur wenige Tropfen von dem verheißenen Geldsegen aus Berlin abbekommen. Der Löwenanteil geht dann wieder, wie schon bei früheren Initiativen, an jene Länder, die ihre Hochschulen großzügig ausstatten – allen voran Baden-Württemberg. Gerhard Besier

Kommunaler Haushalt von LINKS - Stadt Borna Kommunales Frühwarnsystem Das sächsische Innenministerium bietet ein Frühwarnsystem zur Bewertung Kommunaler Haushalte im Freistaat an. Die Ergebnisse von Borna können sich hierbei sehen lassen, eine Anhebung des Ratings von »B - hinreichende Leistungsfähigkeit« auf »A - stabile Haushaltslage« verbunden mit der Aussage, dass derzeit für Borna keine latenten Risiken bekannt sind, sprechen für sich. Damit liegt Borna im sachsenweiten Vergleich unter den besten 25 Prozent aller Kommunen mit mehr als 20.000 Einwohnern und ist im Kreis die einzige Große Kreisstadt mit Bestnote. http://www.statistik.sachsen.de/appsl1/fws/index.jsp Schuldenstand Stadtverwaltung und Stadtrat haben es mit einer diszip-

linierten Konsolidierungspolitik in den letzten drei Jahren geschafft, den Schuldenstand von knapp 10 Mio. € auf 6 Mio. zu reduzieren. Ende 2011 wird in Borna die Pro-Kopf-Verschuldung die Grenze von 300 € pro Einwohner unterschreiten. Im Vergleich zu Geithain mit 1.185 €/EW, Markkleeberg mit 570 €/EW oder Markranstädt mit 733 €/EW können sich diese Zahlen durchaus sehen lassen. Ziel ist es, in den kommenden vier Jahren weitere zwei Mio. € zu tilgen, um den kommunalen Finanzspielraum durch eine massive Reduzierung der Zinsverpflichtungen zu erhöhen. Rücklage Die Rücklage einer Stadt bildet deren Sparstrumpf. Zur Absicherung ungeahnter Risiken verpflichtet der Gesetzgeber die Kommunen wenigstens 2 Prozent ihres

Verwaltungshaushaltes als Mindestrücklage vorzuhalten, dies entspricht für die Stadt Borna knapp 500.000 €. Landkreis Leipzig Zieht man zum Vergleich den Landkreis Leipzig heran, dieser erhielt das Rating »C - kritische Haushaltslage«, ergibt sich in der mittelfristigen Finanzplanung des Kreises eine deutliche Unterschreitung der Mindestrücklage. Auch wenn sich die CDU in diesem Punkt mit Kritik am Landkreis zurückhält, ergibt sich daraus ein nicht unerhebliches Risiko für die Stadt Borna, da ein mögliches Mittel zur Konsolidierung der Kreisfinanzen die Erhöhung der Kreisumlage ist. Die Kreisumlage, der Betrag, den die Kommunen von ihren Steuereinnahmen und Schlüsselzuweisungen an den Landkreis zu zahlen haben, liegt derzeit bei 29,2 Prozent, könn-

te aber im Haushaltsjahr 2012 auf Werte zwischen 31 und 33 Prozent steigen.

Oberbürgermeisterin Simone Luedtke verantwortlich machen kann.

Haushaltsrisiken Aus der Ungewissheit über die künftige Höhe der Kreisumlage ergibt sich für die Stadt Borna auch das größte Haushaltsrisiko. Jede Erhöhung um 1 Prozent belastet den kommunalen Haushalt mit knapp 160.000 €. Sollten die Planungen des Landkreises im Kreistag mehrheitsfähig sein, ergeben sich für Borna zusätzliche Aufwendungen von 300.000 600.000 € pro Jahr. Demgegenüber stehen für die Stadt Borna die Beseitigung des Haushaltsrisikos zur Rückzahlung von Fördermitteln der ehemaligen Gemeinde Wyhratal. Zwei Risiken, für deren Entstehung die Bornaer CDU wahrscheinlich schwer, für die Beseitigung des Ersteren sehr wohl die Bornaer

Investitionen /Fördermittel Auf Grund der angespannten Situation bei den Kommunalfinanzen können Städte und Gemeinden kaum noch investieren, ohne auf Förderprogramme zurück zu greifen. Die Beantwortung der Frage, warum Borna bis 2008 davon nicht partizipiert hat, sondern erst nach persönlichem Einsatz der Oberbürgermeisterin Luedtke die entsprechenden Fördermittelbescheide erhalten hat, bleibt jedem selbst überlassen. Unterm Strich bleiben für Borna 2001 - 2008 knapp 20 Mio. € und 2008 2011 40 Mio. € an kommunaler Investitionssumme. Daniel Knorr, Vorsitzender des Finanzausschusses der Stadt Borna


Sachsen in Europa

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Sachsen in Europa Erster Diskussionsentwurf

A) Eckpunkte der Diskussion Ziel In Vorbereitung insbesondere auf die Europa- und Landtagswahlen entwirft DIE LINKE. Sachsen den Ansatz eines modernen Konzeptes für ein »Europa der Regionen« aus einer linken Perspektive. Natürlich gibt es hier schon eine Reihe von Vorarbeiten (siehe auch Aleksa), gleichwohl kann wohl nicht davon ausgegangen werden, dass eine geschlossene Position, die auch die aktuellen Entwicklungen reflektiert, existiert. Grundlegend für diese Diskussion ist der Gedanke, dass seit der Unterzeichnung des Maastrichter Vertrages die Lebensverhältnisse von über einer halben Milliarde Menschen in 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wesentlich durch Entscheidungen in »Brüssel« mitbestimmt werden. Zugleich zeigt sich, dass insbesondere in Krisen die nationalen Ökonomien durch die unterschiedlichen Entwicklungsgrade mit den Vertragskonstruktionen der EU (von Maastricht bis Lissabon) nicht mehr in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden können. Die Politik hat ihr Primat über die Wirtschaft an die Finanzmärkte abgegeben. Ohne die Zurückeroberung dieses Primats wird es keine alternativen Entwicklungen geben. DIE LINKE. Sachsen versteht es als ihre Aufgabe, einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Politik, also in unserem Verständnis die Menschen in diesem Land, die Hoheit auch über dieses entscheidende Politikfeld erringen können.

Im Ergebnis sind die Staaten »schlanker« geworden, soziale Leistungen und Rechte wurden abgebaut, die soziale Absicherung gegen Lebensrisiken wie Krankheit oder Erwerbslosigkeit wurden immer stärker zusammengestrichen, die Bildung verkümmert und die öffentliche Infrastruktur – seien es nun Straßen, (Hoch-)Schulen, Versorgungsnetze oder Abwassersysteme – verfällt immer mehr. Zugleich findet ein Steuerwettlauf statt, der seine Basis in der einseitigen und völlig überzogenen Wettbewerbsphilosophie der EU-Wirtschaftspolitik hat, in der Solidarität völlig vernachlässigt wird. Die derzeitigen Schuldenprobleme vieler Euro-Staaten sind zu einem erheblichen Teil durch einen Rückgang ihrer Steuereinnahmen bedingt, weil die Steuern für Unternehmen und vermögende Privatpersonen gesenkt und die reale Eintreibung genau dieser Steuern immer systematischer vernachlässigt werden. Auch in einigen Regionen Süd- und Westdeutschlands ist es längst üblich, dass um Unternehmensansiedlungen mit dem Argument geworben wird, das Finanzamt vor Ort würde schon mal ein Auge zudrücken. Die EU – und in noch stärkerer Form die Euro-Zone – ernten mit der derzeitigen Krise die logischen Früchte ihres Leitbildes: Im Wettlauf gibt es nur einen oder wenige Gewinner, und Gewinner gibt es nur, wo es

Exportüberschüssen gegenüber dem Ausland aufgehäuft, der größte Teil davon gegenüber den EU»Partnern«. Im gleichen Maße, wie Deutschland Exportüberschüsse erwirtschaftet hat, mussten andere Länder Importüberschüsse hinnehmen, denn die Überschüsse der einen sind immer die Defizite der anderen. Allein die Euro-Krisen-Länder Griechenland und Portugal haben im gleichen Zeitraum 377 Mrd. Euro an Leistungsbilanzdefiziten aufgehäuft und mussten sich dieses Geld überwiegend im Ausland leihen. Die Krise der Euro-Zone ist daher vor allem und zuerst eine Auslandsschuldenkrise ganzer Länder (inkl. der Auslandsschulden der Privaten Haushalte, Banken und Unternehmen) und nicht primär eine Staatschuldenkrise der öffentlichen Haushalte. Ohne ein Gegensteuern gegen die Leistungsbilanzungleichgewichte durch eine koordinierte Wirtschafts-, Sozial-, und Fiskalpolitik und durch einen Strukturwandel auch in Überschussländern wie Deutschland (inkl. der Umorientierung vom Export auf die Binnenwirtschaft) ist die Währungsunion nicht überlebensfähig. Es ist sicher richtig, dass es nicht Aufgabe der Linken ist, die EU in ihrer bestehenden Form zu befestigen. Die EU in den Verträgen von Maastricht und Lis-

Diese Diskussion beginnt mit der Verabschiedung der Eckpunkte »Europa in Sachsen«, die offen für Veränderung in der sächsischen Gesellschaft diskutiert werden. Vor den Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 wird auf Grundlage der Diskussionen das Konzept »Sachsen in Europa« verabschiedet, das zugleich Bestandteil des Landesentwicklungs- und Wirtschaftskonzepts der LINKEN. Sachsen wird.

Zur gegenwärtigen Situation in der EU - Wirkungen auf die Regionen Die Krise der Europäischen Währungsunion, kurz Euro-Krise, wird häufig als Staatsschuldenkrise Griechenlands, Portugals und anderer Euro-Länder dargestellt. Diese Analyse greift zu kurz und kommt zu völlig falschen Schlussfolgerungen. Die Europäische Währungsunion war von Anfang an eine Fehlkonstruktion, weil die Vereinheitlichung der Geldpolitik nicht durch eine Koordination der Wirtschafts-, Sozial- und Fiskalpolitik ergänzt wurde. Eine einheitliche Geldpolitik für eine Gruppe von Ländern mit recht unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen, Arbeitsmärkten und Unternehmenslandschaften führt unter Konkurrenzbedingungen notwendigerweise dazu, dass sich die Unterschiede dieser Länder eher verstärken. Die Europäische Union ist spätestens mit dem Vertrag von Maastricht und der Einführung des europäischen Binnenmarktes 1993 ein Projekt der Staatenkonkurrenz geworden.

auch Verlierer gibt. Und die Verlierer werden von den Märkten bestraft. Während allerdings Unternehmen unter marktwirtschaftlichen Bedingungen verschwinden können, ist das Verschwinden ganzer Gesellschaften hingegen unmöglich. Wie sehr sich die Euro-Zone in der Konkurrenz auseinanderentwickelt hat, zeigen die dramatischen Ungleichgewichte in den Handelsbilanzen. Vor allem Deutschland hat mit seiner aggressiven Exportorientierung mittels Lohndrückerei und Sozialabbau (Agenda 2010, Rente mit 67 etc.) seine europäischen Konkurrenten niederkonkurriert. Deutschland hat von 2000 bis 2010 über 1000 Mrd. Euro an

sabon verdient keineswegs kritiklose Unterstützung. Genauso falsch und mit Blick auf die deutsche und europäische Geschichte zugleich brandgefährlich ist die Annahme, das Ziel einer europäischen Annäherung und guten Nachbarschaft sei durch einen Kollaps der EU leichter zu bewerkstelligen. Die Aufgabe besteht darin, einen neuen Prozess der europäischen Integration anzustoßen, in dem Europa und die europäische Union nicht allein als Wirtschaftsraum, sondern als ein gemeinsamer Sozialraum gedeihen kann, in dem die kulturelle Vielfalt eine gegenseitige Bereicherung darstellt und nicht als Vorwand für Konflikte herhalten muss.


Sachsen in Europa Am Beginn der Europäischen Union stand die Idee, durch ökonomische Verflechtung der Gründungsmitglieder eine europäische Friedensordnung zu schaffen. Es zeigt sich aber im Laufe der Entwicklung der EU, dass die ökonomische Integration allein nicht ausreicht. Eine Friedensordnung bedarf ebenso sehr auch der sozialen und politischen Integration.

Nationalismus – Verhältnis der EU zu den Nationalstaaten Nach dem deutschen Faschismus und zwei mörderischen Weltkriegen, in denen Deutschland und die Nationalstaatsidee eine Schlüsselrolle gespielt haben, muss die Idee des Nationalismus als historisch unwiderrufbar diskreditiert betrachtet werden. Sie kann deshalb keine Option linker Politik sein! Nun kann man natürlich darauf verweisen, dass der Nationalstaat den Rahmen für die Entwicklung der europäischen Sozialstaaten und Rechtsstaaten gebildet hat. Das gilt sicher für einen Teil der EU-Staaten, insbesondere für die EU-Gründungsländer, für die skandinavischen Ländern und für Großbritannien. Allerdings wurde der Sozialstaat im nationalstaatlichen Rahmen nicht freiwillig von der Kapitalseite gewährt. Vielmehr wurde er von den Gewerkschaften der Kapitalseite mühsam in jahrzehntelangen sozialen Kämpfen abgerungen. In Deutschland hat der Sozialstaat vor allem in den Jahren nach den beiden Weltkriegen aufgrund der seinerzeitigen besonderen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse entscheidende Fortschritte erfahren. Zudem haben die europäischen Sozialstaaten die Ausbeutung der so genannten dritten Welt zur Voraussetzung. Dieser Aspekt wird allzu oft nur am Rande wahrgenommen. Der Nationalstaat ist also auch aus dieser Perspektive ambivalent. Seine historischen Wohltaten richten sich nur an seine Bürgerinnen und Bürger, an die, die dazu gehören. Wer nicht dazugehört, hat nicht nur keine Ansprüche, sondern zahlt für den Sozialstaat oft genug noch mit. Mit anderen Worten: Gerechtigkeit ist im nationalstaatlichen Rahmen nur beschränkt möglich. Auf die globale Herausforderung an Gerechtigkeit und auch an ein ökologisches Wirtschaften gibt er keine hinreichende Antwort. Was für die oben genannten Länder im Blick auf den Nationalstaat gilt, gilt aber für alle EU-Mitgliedsstaaten. Die drei Länder Spanien, Portugal und Griechen-

Seite 2 land haben sich erst Mitte der 1970er Jahre aus rechten Diktaturen befreien können und erst zu diesem Zeitpunkt den Übergang in moderne Gesellschaften und Ökonomien begonnen. Formal ist in diesen Ländern der Sozial- und Rechtsstaat zwar noch innerhalb des Nationalstaatkonzept aufgebaut worden. Substantiell konnte er aber nur mit der Unterstützung der EU aufgebaut werden. Ohne die Gelder aus den Kohäsionsfonds der EU (bzw. der Vorgänger der EU) hätten diese Länder keine funktionierenden Sozialstaaten aufbauen können, jedenfalls nicht in so kurzer Zeit, wie es geschehen ist. In dieser historischen Phase der EU war die Struktur- und Regionalpolitik dazu vorgesehen, die ökonomischen Ungleichheiten und die Ungleichheiten der Lebensbedingungen innerhalb der EU einander anzugleichen. Für Deutschland mit seinen relativ hohen Standards war das nie ganz unproblematisch. Erst unter dem Druck des erstarkenden Neoliberalismus in den 1990er Jahren hat sich die gefährliche Vorstellung durchgesetzt, dass Ungleichheit nicht als ein zu überwindendes Problem zu betrachten sei, sondern als Motor der Entwicklung. Unter diesem Vorzeichen haben die Nationalstaaten seit den 1990er Jahren forciert begonnen, sozialstaatliche Errungenschaften abzubauen. Allen voran die deutsche Bundesregierung. Sie versucht die nationalen Parlamente mehr und mehr als »Abnickgremien« zu missbrauchen. Ihren Einfluss im Rat nutzt sie, um dem Europäischen Parlament die seit 1999 errungenen Mitentscheidungskompetenzen streitig zu machen und sie soweit wie möglich zurückzudrängen versucht, wie am Beispiel des sog. Fiskal-Paktes sichtbar wird! Eingebettet ist dieser Prozess in tiefgreifende Veränderungen der Arbeitswelt infolge informationstechnologischen Fortschritts. Diese Veränderungen der Arbeitswelt bedingen ihrerseits tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen, insbesondere eine Verschiebung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die sich in zunehmender Arbeitslosigkeit und daraus resultierenden Machtverlusten der Gewerkschaften sowie zunehmender atypischer Arbeitsverhältnisse ausdrücken. Somit sind die Gewinne aus dem technischen Fortschritt (Rationalisierungsgewinne) in den letzten Jahrzehnten vor allem der Kapitalseite zugute gekommen. Ziel linker Politik ist es, den technischen Fortschritt in sozialen und demokratischen Fortschritt zu übersetzen. Dies wird nur auf europäischer Ebene zu erreichen sein.

Sachsen besitzt als eigenständige Region die Möglichkeit, dieser Tendenz auf verschiedenen Wegen entgegen zu steuern, insbesondere durch effektive Nutzung der Chancen, die sich aus den europäischen Fördermöglichkeiten ergeben. Sächsische Gemeinden, Städte, Landkreise und Bezirke können durch Mitwirkung im Rahmen Operationeller Programme sozialen Ausgleich anstreben und die Schaffung gleichwertiger Lebens- und Arbeitsbedingungen in grundlegenden Bereichen unterstützen.

Europa demokratisieren Eines der Kernprobleme der EU ist ihr Demokratiedefizit. Dieses wird nicht einfach damit aufgehoben, dass die Rechte des Europäischen Parlamentes gestärkt werden. Das muss zweifellos auch geschehen, genügt aber nicht. Eine neue Stufe der politischen Integration Europas kann nicht hinter dem Rücken der europäischen Bevölkerung durchgesetzt werden. Das derzeit praktizierte Durchregieren der nationalen Regierungen kann keine Lösung sein. Daher muss die Macht des Rates begrenzt, die des Europäischen Parlamentes erhöht werden. Im Gegenzug ist die regionale Beteiligung an gemeinschaftlichen Beschlussverfahren der EU zu verstärken, um die Interessen Sachsens deutlicher auf der EU-Ebene einzubringen und eine transparente Vermittlung von EU-Initiativen auf regionaler und lokaler Ebene möglich zu machen. Eine Reform der politischen Institutionen der EU ist notwendig. Vor allem muss diese dazu dienen, die Bürgerinnen und Bürger in die Entscheidungen über die Zukunft Europas einzubinden. Europa braucht eine lebendige Demokratie, in der das Europaparlament innerhalb der EU zentraler Entscheidungsort wird, die Rechte der nationalen Parlamente gestärkt und die Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger deutlich erweitert werden. Es geht darum, einen gesamteuropäischen politischen Raum zu schaffen. Dazu gehören auch europäische Parteien und transnationale Listen für die Europawahlen. Der Wettstreit um politische Alternativen ist Voraussetzung und Motor der Vergemeinschaftung der EU. Die EU-Kommission muss beispielsweise auch an die Mehrheitsverhältnisse des Europäischen Parlaments gebunden werden und einzeln durch das EP gewählt werden. Die direkte Beteiligung der Bürger könnte mit einer Europäischen Bürgerinitiative verbessert werden, sie muss aber eine rechtliche Bindungswirkung erhalten. Ebenso muss aber auch über eine Stärkung der Demokratie in den Mitgliedsstaaten nachgedacht werden. Nationale Volksentscheide sollte es auch in der Bundesrepublik geben. In allen Bundesländern muss es kompetenzstarke Europaausschüsse und Europa als eine durchgängige Querschnittsaufgabe in allen Ministerien und Ausschüssen geben. Europäische Politik muss in den Parlamenten und außerhalb derer strukturell verankert und transparent gemacht werden.

Ein linker, sächsischer Beitrag für eine europäische Bürgerdemokratie Europas Bürger leben in Regionen. Alles, was politisch auf EU-Ebene entschieden und vollzogen wird, kommt dort an. Daher muss für uns in Sachsen die Region der Ansatz für jedwede und daher auch europäische Politik sein. Eine der größten Herausforderungen ist es, »den Bürger/die Bürgerin« zum Akteur/Akteurin aller wesentlichen Entscheidungen in den Regionen werden zu lassen. Unser Leitbild von der Zukunft Sachsens als Region in Europa schließt daher die Befähigung der Bürger/Bürgerin ein, politische Entscheidungen über und in ihrer Region nicht nur nachzuvollziehen, sondern real zu beeinflussen.


Sachsen in Europa

Seite 3 Das ist das Allgemeine. Das Besondere ist, das sich für Sachsen eine Spezifik auf Grund der längsten EU-Binnengrenze gibt, die nicht mehr trennt, sondern verbindet. Diese Besonderheit ist dann eine Chance, wenn Sachsen von seinen Bürger/innen als kooperative Region aufgefasst wird und diese territoriale Besonderheit nicht nur rein territorial versteht, sondern historisch-kulturell, politisch, wirtschaftlich und sozial. Damit leisten die Bürgerinnen und Bürger im Dreiländereck einen unverzichtbaren Beitrag zur europäischen Integration. Dieser Prozess wird aber nur dann nachhaltig sein, wenn er von den Bürgerinnen und Bürgern unmittelbar getragen wird. Und auch das hat etwas mit notwendiger demokratischer Teilhabe zutun. Grenzüberschreitende Kooperation muss daher einen deutlich höheren Stellenwert in der sächsischen Politik erhalten. Dazu gehört der Ausbau regionaler Prozesse durch Stärkung der Planungsregionen, regionale Entwicklungsziele, die von den Bürger/innen unmittelbar bestimmt werden, Stärkung regionaler und lokaler Vernetzungen der Wirtschaft, Kultur, Sozialpolitik. Regionen brauchen mehr Eigenverantwortung, weniger staatlicher Kontrolle aus der Dresdner Residenz. Nutzung der Kohäsionspolitik zur Stärkung regionaler Strukturen und Akteure: Die EU-Kommission schlägt in ihren Verordnungsentwürfen zur neuen Fördermittelperiode nach 2013 vor, das Partnerschaftsprinzip deutlich zu stärken. Das heißt, dass Vertreter der Zivilgesellschaft, besonders aus dem Umweltbereich, den Nichtregierungsorganisationen und aus der Förderung von Gleichstellung und Nichtdiskriminierung in die Erarbeitung der Zielstellungen für die Operationellen Programme einbezogen werden sollen. Damit können Entwicklungsziele in den Regionen genauer bestimmt und Erfolge verstetigt werden. Um regionale Entwicklung weiter zu fördern, müssen wir uns bundesweit dafür einsetzen, dass die gravierenden landespolitisch bedingten Unterschiede in der Beantragung von EU-Mitteln abgeschafft und einheitliche Standards und Formulare in der gesamten Bundesrepublik geschaffen werden. Dadurch werden Kooperationen zwischen innerdeutschen Regionen erleichtert und transparent. Der Freistaat Sachsen sollte Regionalbudgets einrichten, die auf die Bedürfnisse nachhaltiger regionaler Entwicklung abgestellt sind und innerhalb der Regionen den Bürger/innen mehr Freiheit bieten, eigenständige Entscheidungen zu treffen. Mehr Vertrauen in die Regionen und ihre Bürger ist eine Voraussetzung dafür. Wir brauchen eine verstärkte Länderkooperation innerhalb Deutschlands. Dafür müssen Konzepte auf den Tisch, unter Einbeziehung regionaler Akteure: Beispiel – verbindlicher Ausbau der Städtekooperationen, aber auch Kooperationen im ländlichen Raum, Ausbau der Kooperationen regionaler Akteure, z.B. der Hochschulen, Kultureinrichtungen, Wissenschaftseinrichtungen. Ausbau der Kooperation im Dreiländereck: In der Fördermittelperiode nach 2013 erhält grenzüberschreitende Kooperation einen deutlich erhöhten Stellenwert und Mittel. Sachsen und die benachbarten Regionen benötigen regional untersetzte Konzepte zur Weiterentwicklung der entsprechenden Euroregionen. Transnationale grenzüberschreitende Kooperation muss vor allem im Bereich der gemeinsamen Umwelt- und Energiepolitik (das schließt die Auseinandersetzung mit der Atompolitik ein), Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik (gemeinsame Fachkräftepolitik und nicht bloßes Abwerben der Besten nach Deutschland z.B.), Verkehrs- und Infrastrukturpolitik, Sozial- und Gesundheitspolitik, Feuerwehr, Rettungsdienste ff. weiterentwickelt werden. Herausragende Bedeutung kommt der Bildung zu: Unser Schulsystem und unsere Schulbildung in Sachsen sollte die Nachbarschaft zu Polen und Tschechien mitdenken und berücksichtigen. Das betrifft allgemeine Schulinhalte, Allgemeinbildung »über den Nachbarn«, aber auch Sprachförderung (nicht nur im grenznahen Raum) Jede/r Jugendliche in Sachsen sollte wenigstens einmal ein Praktikum in Polen oder Tschechien absolvieren. Ähnliches sollte auch für die Jugendlichen aus den angrenzenden Bezirken unse-

rer Nachbarländer gewährt werden. Unterstützung demokratischer und emanzipatorischer Kräfte: Kampf gegen menschenfeindliche Ideologien in den drei Ländern, gemeinsame Aktionen (siehe Sachsen: Dresden 13. Februar). Bekämpfung von Antiziganismus und Unterstützung von Roma-Organisationen zur Entwicklung starker Interessenvertretungen für die Gleichberechtigung von Minderheiten wie in Tschechien, Nutzung der Erfahrungen beispielsweise der Sorben. Unterstützung von LSBT-Organisationen (Lesben-Schwule-Bisexuelle und Trans-Organisationen) wie beispielsweise in Polen.

Europäische Fördermittelpolitik in Sachsens Regionen Mit dem Beitritt ärmerer Staaten zur EU seit 2004 und durch die Wirtschafts- und Finanzkrise sind auch die Unterschiede zwischen Arm und Reich innerhalb der EU drastisch angewachsen. Rumänien und Bulgarien haben ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von ca. einem Drittel des durchschnittlichen EU-BIP. Sinn und Zweck der EU-Struktur- und Regionalpolitik ist der wirtschaftliche, soziale und territoriale Zusammenhalt und der Abbau der großen Unterschiede zwischen den 271 Regionen. Sachsens Regionen haben seit 1991 zu den ärmsten und am meisten unterstützten Regionen der EU gehört. Seit 1991 flossen ca. 15 Mrd. Euro in Sachsens Wirtschaft, Wissenschaft, Technologieentwicklung, Beschäftigungs-

politik und in die Landwirtschaft. Wesentliche Infrastruktur einschließlich neuer Arbeitsplätze wurde damit entwickelt. In der gegenwärtigen Förderperiode sind das 5 Mrd. Euro. In der neuen Fördermittelperiode nach 2013 fallen sämtliche ostdeutschen Regionen aus der EUHöchstförderung. Die Region Leipzig verlor die Höchstförderung bereits 2007 (phasing out). Da gegenwärtig die neuen Konditionen für die weitere Struktur- und Regionalpolitik nach 2013 auf europäischer Ebene verhandelt wird, sind alle Regionen gefordert, sich jetzt in diesen Prozess einzubringen. Unsere Forderungen als LINKE in Sachsen sind dafür: Wir verlangen auf Grund der gewachsenen Armut innerhalb der EU eine Erhöhung des EU-Haushaltes zulasten der Mittel für Militarisierung und Sicherheitspolitik und die Einführung der Finanztransaktionssteuer in der EU. Wir fordern die Bundesregie-

rung auf, wenigstens dem Kommissionsvorschlag zu folgen und nicht, wie im Rat der EU angekündigt, ihren Beitrag für den EU-Haushalt zu kürzen, weil damit die Mittel für die Struktur- und Regionalpolitik spürbar verringert würden. Der Abbau von Armut in der EU ist nur möglich, wenn mit der verhängnisvollen Sparpolitik in den Mitgliedstaaten Schluss gemacht wird und in der EU eine soziale Fortschrittsklausel in alle Verträge eingeführt wird. Daher setzen wir uns dafür auf nationaler und europäischer Ebene ein. Wir setzen uns dafür ein, dass die aus der Höchstförderung heraus fallenden Regionen, wie zum Beispiel die ostdeutschen Regionen einschließlich der Phasing-Out-Regionen, wie Leipzig, eine Übergangförderung (Zwischenkategorie) erhalten, die zwei Drittel des bisherigen Förderumfangs beträgt. Der Kofinanzierungssatz muss weiterhin 75% betragen, wenn die Stabilisierung der Infrastruktur in diesen Regionen gewährt werden soll. Alles andere würde zu spürbaren Abbrüchen in der Infrastrukturentwicklung führen und hätte verheerende Auswirkungen auch auf die Beschäftigungspolitik. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihren im Rat verfochtenen Sonderweg einer anderen Übergangsförderung endlich fallen zu lassen und sich dafür einzusetzen, dass die Zukunft dieser Regionen nicht zur Verhandlungsmasse im Rat wird. Das Beispiel Leipzig zeigt, dass allein die Berücksichtigung des Bruttoinlandsproduktes für die Förderhöhe unzureichend ist. Wir wollen, dass weitere Kriterien Berücksichtigung finden, wie der demografische Wandel, Arbeitslosigkeit oder regionale Nachteile.

Wir setzen uns dafür ein, dass mit der Struktur- und Regionalpolitik ursächlich nicht zusammenhängende Restriktionen und Bedingungen für die Mittelgewährung in den Regionen abgeschafft werden: Antidiskriminierung und aktive Armutsbekämpfung, zum Beispiel durch die Auflegung von Landesarmutsprogrammen, muss Bestandteil dieser Politik werden. Statt mehr Restriktion muss es um den Abbau von Bürokratien und Erleichterung der Nutzung von EU-Mitteln für regionale Akteur/innen gehen. Die EU muss eine Ausgleichsunion zum Abbau von Armut und Diskriminierung werden.

Sachsen als Region in Europa weiterentwickeln Der Entwurf eines praktischen politischen Programms für Sachsen in Europa erfordert ein Grund-


Sachsen in Europa verständnis zu einem Europa der Regionen. Europäische Integration als Politik des Friedens, der Solidarität und des sozialer Fortschritts verbunden mit national vermittelter regionaler und lokaler Identität. Aus diesen beiden Seiten (europäische Integration und regionale Identität) eines modernen Regionenverständnisses leiten sich verschiedene Konsequenzen ab. (1) Europäische Integration vermittelt sich über einen ‚Mechanismus‘ der Mehr-Ebenen-Governance, in welchem die Regionen allerdings nicht hierarchisch unter der nationalen und Europa-Ebene steht, sondern eher in einem Dreicksverhältnis eine eigenständige Rolle im Verhältnis zu Europa und der Bundesebene spielt. (2) Regionale Identität auf der anderen Seite ist nicht als ‚Sachsenmythos‘ zu verstehen, sondern bezieht sich neben der Region Sachsen ebenso auf grenz- und landesübergreifende Regionen, die sich aus funktionalen Zusammenhängen (Wirtschaft, Tourismus, Verkehr …) mit anderen Regionen ergeben. »Region« ist deshalb ein amorpher raumbezogener Begriff, der nicht starr z.B. durch administrative Grenzen bestimmt wird, sondern etwas mit der praktischen und unmittelbaren Lebensgestaltung der Menschen zu tun hat. (3) Eine dritte Ebene ergibt sich aus der grenzüberschreitenden und trans-regionalen Verbindung zwischen Regionen in Europa, die gestützt auf regionale Eigenständigkeit (wie sie jedenfalls für Sachsen als Bundesland gegeben ist) wechselseitig sinnvolle Beziehungen auch temporärer Art eingehen. Naheliegend sind Euregios im unmittelbar grenzüberschreitenden Bereich oder länderübergreifend aber auch zwischen Regionen, deren Territorien nicht unmittelbar aneinander grenzen, können Beziehungen eingehen. Gerade unter dem Aspekt politischer Gestaltungskraft scheinen in dieser grenzüberschreitenden und trans-regionalen Verbindung von Regionen in Europa Potenziale zu stecken, die Handlungsspielräume in der EU ermöglichen (die Subsidiaritätskontrolle ist im Bereich der parlamentarischen Zusammenarbeit zwischen Regionalparlamenten dafür ein Beispiel.) Politische und parlamentarische Strukturen und Kommunikation sollten in Gestalt ihrer individuellen Akteure und Gruppen langfristig auf dieses Regionenverständnis ausgerichtet werden. Das betrifft Akteure in Gebietskörperschaften ebenso wie Parteistrukturen oder parlamentarische Institutionen und Aktivitäten. Der hier angedachte Ansatz wendet sich also ausdrücklich von regionalem Egoismus und Provinzialismus ab, der sein höchstes Ziel darin sieht, möglichst viele Fördermittel für die eigene Region zu ergattern und im übrigen auch in der Zusammenarbeit mit anderen Regionen primär den eigenen Vorteil im Auge zu haben (siehe Abwerbung von medizinischem Personal aus Polen und Tschechien mit der Folge kritischer Zustände im Gesundheitswesen in diesen Ländern.) Dieser Provinz-Egoismus ist tendenziell auch immer mit Renationalisierungstendenzen verbunden, die Fremdenfeindlichkeit und Abgrenzung befördern.

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B) Aufgaben der LINKEN. Sachsen in der grenzüberschreitenden politischen Arbeit 1. Sachsen ist auf Grund seiner geografischen Lage im besonderen Maße geeignet, eine Brückenfunktion zwischen Ost-, Mittelost- und Westeuropa zu erfüllen. Zudem ist es als Bundesland, das in direkter Nachbarschaft zu Polen und Tschechien liegt, unmittelbar politisch, kulturell, wirtschaftlich, ökologisch und auf andere Weise mit den beiden Nachbarn verbunden. Dies ist hinsichtlich des Grundsatzes linker Europapolitik, eine Europa von unten zu gestalten, eine verstärkte Herausforderung an den Landesverband der Partei. 2. Die Bilanz bisherigen Wirkens der Partei zeigt neben Erfolgen und Innovationen linker Politik insgesamt noch Schwächen auf den unterschiedlichsten Ebenen und in den verschiedenen Bereichen. Aufgebaute Kontakte und partnerschaftliche Beziehungen gilt es weiter zu verstetigen und institutionell zu verankern. Die Koordinierung und Profilierung einzelner Einrichtungen (Büros der MdEP, der MdB und MdL vor allem des Grenzraumes), von Zusammenschlüssen der Partei, die europapolitisch aufgestellt sind, und von europapolitisch links angesiedelten Nichtregierungs- und Nichtparteiorganisationen ist zu verstärken. Neue elektronische Vermittlungstechnologien müssen auch der Europapolitik gewidmet sein (z.B. www. lavka.info), deren Vernetzung mit anderen europaweiten medialen Netzwerken angestrebt werden. Die traditionellen Formen wie z.B. die Europafeste im Vogtland (Bad Elster) und in der Oberlausitz (Bautzen) bilden einen guten Ausgangspunkt für die Präsentation unserer europapolitischen Positionen auf

Straßen und Plätzen. Grenzlandtourneen beiderseits der Grenzen mit linken Politikern sowie gemeinsame Beratungen zu politischen Problemen mit linken Politikern Polens und Tschechiens sollen insbesondere in Vorbereitung und Gestaltung des Europawahlkampfes verstärkt zur Erarbeitung und Präsentation gemeinsamer Positionen genutzt werden. Das Kooperationsabkommen von linken Fraktionen der beiden Länderparlamente Sachsens und Brandenburgs und der Regionalparlamente Polens und Tschechiens vom Jahre 2004 hat sich als effektive Form der Zusammenarbeit der Abgeordneten erwiesen. Es ist bundesweit beispielhaft und hat in seinem Gefolge auch zur engeren Partnerschaft von Parteistrukturen beigetragen. Diese Kooperationsbeziehungen sollen weiter vertieft werden. Zugleich sollten wir uns als LINKE Sachsen in öffentliche Veranstaltungsformen und in die öffentliche Auseinadersetzung um europapolitische Themen stärker einbringen. Dazu gehört die Beteiligung an »Interkulturellen Wochen«, und »Europawochen« in Sachsen. DIE LINKE. Sachsen wird in Zusammenarbeit mit parteinahen Bildungsträgern (Rosa-LuxemburgStiftung, Vereine wie Europaklub International e.V. ) langfristig ihre Bildungsarbeit auch europapolitisch ausrichten. Es sind mehr Bildungsmöglichkeiten vorhanden als genutzt werden. Es herrscht kein Mangel an Themen, der Mangel besteht in deren Abforderung bei den Bildungsträgern. Die LINKE. Sachsen muss sich europapolitisch stärker engagieren und profilieren und erkennen, dass Europapolitik keine Politik neben der »eigentlichen« nationalen, regionalen Politik ist, sondern mit allen Politikebenen engstens verbunden ist. Die Landespartei und ihre Gliederungen, vor allem die Kreis- und Ortsverbände, haben sich in Anbetracht der 2014 anstehenden Europawahl über eine gemeinsame Strategie europapolitischen Wirkens frühzeitig zu verständigen..


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Finanzbeirat hat sich konstituiert Am 24. Februar 2012 fand die konstituierende Sitzung des neugewählten Finanzbeirates in der Landesgeschäftsstelle statt. Zur Vorsitzenden wurde die Genossin Angela Hähnel gewählt. Außerdem wurde die Geschäftsordnung und der Arbeitsplan / Konkretisierung der Arbeitsaufgaben für das Jahr 2012 beschlossen. Der Finanzbeirat hat kleinere Arbeitsgruppen gebildet und will sich mit nachfolgenden Themen, neben den Aufgaben, die er laut Landessatzung §§ 38 bis 40 hat, beschäftigen:

Mandatsträgerbeiträge - Umgang in den Kreisverbänden, Umgang mit Beitragssäumigen und Beitragsbefreiungen in den Kreisverbänden, Geschäftsstellenanalyse, mittelfristige Finanzplanung in den Kreisverbänden, Wahlfinanzen für die Wahlen 2013 / 2014. So sollen u.a. Musteranschreiben und –beschlüsse für die Kreisverbände als Hilfestellungen erarbeitet werden, dem Landesvorstand Vorschläge für die Geschäftsstellenstruktur unterbreitet werden oder einheitliche Grundlagen für die

Diskussion zum Vergabegesetz Die Landtagsfraktionen der LNKEN und SPD bringen einen Entwurf für ein neues »Gesetz zur Neufassung des Vergaberechts im Freistaat Sachsen und zur Änderung weiterer Vorschriften« (Vergabegesetz) in die parlamentarische Debatte ein. Dazu soll es eine breite öffentliche inhaltliche Verständigung/Diskussion mit Parteien, Gewerkschaften, Verbänden und Mitgliedern der kommunalen Parlamente geben. Ein Hauptanliegen des Entwurfes sind Regelungen für die Vergabe öffentlicher Aufträge, wie u.a. für öffentliche Investitionen, das Rettungswesen sowie der Abfallerfassung und Entsorgung, welche soziale, umweltbezogene und innovative Aspekte berücksichtigen sowie einer Wettbewerbsverzerrung durch niedrige Standards entgegenwirken. Für beide Einreicher spielt die Bezahlung nach Tarif-, Branchen und Mindestlöhnen eine sehr wesentliche Rolle, um Wettbewerbsvorteile über

niedrigere Personalkosten und Lohndumping zu verhindern. In diesem Zusammenhang wird auch die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn diskutiert. Die Arbeitsgemeinschaft betrieb&gewerkschaft lädt alle interessierten Mitglieder des Stadtverbandes und Sympathisant/innen zu einer Diskussionsrunde: »Billiger ist teurer - brauchen wir ein neues Vergabegesetz!?« ein. Die Veranstaltung findet am Mittwoch, dem 23.Mai 2012, 17:30 Uhr, im Rothaus e.V., Lohstrasse 2, statt. Unsere Diskussionspartner sind: Karl-Friedrich Zais, MdL,Wirtschaftspolitischer Sprecher,Fraktion DIE LINKE Klaus Tischendorf, MdL, Fachbereichsvorsitzender der Gewerkschaft Ver.di ChemnitzErzgebirge, FB 7(Kommunen) und Dr. Heidi Becherer, DGBSachsen. Stadtverband DIE LINKE Chemnitz Arbeitsgemeinschaft betrieb&gewerkschaft

mittelfristige Finanzplanung erstellt werden. Damit wollen wir die Arbeit der KreisschatzmeisterInnen und Kreisvorstände erleichtern. Wie bisher werden die Mitglieder des Finanzbeirates an den Beratungen der KreisschatzmeisterInnen und des Landesvorstandes teilnehmen. Neben den schriftlichen Berichten an den Landesparteitag wird der Finanzbeirat jetzt auf der Internetseite des Landesverbandes über seine Arbeit berichten. Der Finanzbeirat ist unter der

Emailadresse erreichbar: Finanzbeirat@dielinke-sachsen. de oder per Post über die Landesgeschäftsstelle. Dem neugewählten Finanzbeirat gehören nachfolgende Genossinnen und Genossen an: Marlene Brückner, KV Zwickau/Jugend, Rainer Harbarth, KV Görlitz/Kreisschatzmeister, Karin Höfer, KV Vogtland/Vorsitzende der Kreistagsfraktion und Mitglied der Finanzrevisionskommission, Angela Hähnel, KV Erzgebirge/Kreisschatzmeisterin, Thomas Kind, KV Nordsach-

sen/MdL und stellv. Kreisvorsitzender, Daniel Knorr, KV Nordwestsachsen/Geschäftsführer, Gitta Müller, KV Meißen/Kreisschatzmeisterin, Lutz Richter, KV Sächsische Schweiz-Osterzgebirge/ Kreisvorsitzender, Jan Schneider, KV Bautzen/Kreisschatzmeister, Franziska Wendler, SV Chemnitz/Schatzmeisterin sowie als gesetztes Mitglied Heinz Pingel, Landesschatzmeister. Angelä Hähnel

Antifa-Konferenz Durchführung einer Konferenz zu inhaltlichen Fragen von Rassismus und Ideologie der Ungleichwertigkeit Grundlage ist der Sachantrag C - Antifaschistische Arbeit verstärken – Ideologien der Ungleichwertigkeit bekämpfen! - an den 6. Landesparteitag der Partei DIE LINKE. Sachsen vom 5./6. November 2011 in Bautzen Der Landesparteitag beschloss, dass Die LINKE. Sachsen im nahen zeitlichen Umfeld des 8. Mai 2012 eine Parteikonferenz zu inhaltlichen Fragen von Rassismus und Ideologien der Ungleichwertigkeit sowie zu Handlungsoptionen der LINKEN in der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Spielarten dieses politischen Spektrums durchführt. Die Konferenz findet am 5. Mai 2012 von 11 – 16 Uhr im Gewerkschaftshaus Dresden, Schützenplatz statt. Veranstalter ist das Kommunalpolitische Forum Sachsen. Ablauf: 11-11:15 Uhr Organisatorisches (wo welcher WS, Mittagessen etc.) 11:15 – 12:30 Uhr Input »Deutsche Zustände« 12:30 – 13 Uhr Mittag 13 -15 Uhr WS Phase 15 – 15:15 Pause 15:15 – 16 Uhr Zusammentragen der Ergebnisse, Feedback 16 Uhr Schluss 16 – 17 Uhr Treff LAG Antifaschistische Politik

Partner sind die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen und DIE LINKE. Sachsen. Schwerpunkte »Deutsche Zustände«. Einführungs-Input Diskriminierung und Gewalt gegen bestimmte Menschengruppen gehören zum Alltag in der Bundesrepublik. Zehn Jahre untersuchte das Forscherteam vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld im Rahmen der Langzeitstudie »Deutsche Zustände« Einstellungen der Menschen in Deutschland. Mit dem vorerst letzten Teil der »Deutschen Zustände« kommen die WissenschaftlerInnen zu dem Schluss: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit - Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, die Abwertung von Obdachlosen, Behinderten und Langzeitarbeitslosen - steigt wieder an; soziale Unsicherheiten tragen dazu bei, dass Menschen gewaltbereiter und menschenfeindlicher agieren. Julia Marth (Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, Universität Bielefeld) stellt die Befunde der Studie vor und gibt Impulse für den Umgang damit. Zugesagt hat Julia Marth vom Institut für interdiszipl. Konflikt und Gewaltforschung Bielefeld´. 1. Extreme Rechte in Sachsen Die extreme Rechte in Sachsen ist sehr vielfältig aktiv: von »seriöser« Parlamentsarbeit über vermeintlich unpolitische Konzerte und Fußballturniere bis hin zu Gewalt und Terror. Vieles ist über Jahre gewachsen und doch gibt es immer wieder neue Aktionsformen. Die extreme Rechte lässt sich nicht in einfache Schubladen pressen, denn ihr Agieren ist breit

gefächert und stark vernetzt. Referentin: MdL Kerstin Köditz 2. Politischer Umgang: Nicht kooperieren, aber offensiv auseinandersetzen Wie aktuelle Erfahrungen anderer europäischer Länder zeigen, geht die Strategie, die radikale Rechte zu entzaubern, indem sie in die politische Verantwortung genommen wird, nicht auf, ebenso wenig die Übernahme eines Teils ihrer politischen Forderungen und Argumentationen. Dies führt zu Konzessionen an diese Parteien und ihrer Ideologie. Dennoch reicht eine öffentlich bekundete Ausgrenzung nicht. Der anstrengende, aber Erfolg versprechenste Weg, den die demokratischen Parteien gehen müssen, ist die offensive Auseinandersetzung mit der extremen Rechten und ihrer Ideologie. Ihre menschenverachtenden, autoritären und aggressiven Überzeugungen müssen thematisiert und verurteilt werden. Referent_innen: Lutz Richter (kommunalpolitischer Part), Juliane Nagel (2.Abschnitt) 3. antifaschistisches Engagement stärken Starke zivilgesellschaftliche Akteure und bürgerschaftliches Engagement sind unentbehrliche Partner bei der Bekämpfung der radikalen Rechten. Sie beobachten die rechtsradikale Szene vor Ort, organisieren Protestaktionen, häufig in Form von Demonstrationen und Konzerten, oder sie leisten Opferhilfe. Diese Akteure haben großen Einfluss auf die Entwicklung einer breiteren Problemwahrnehmung in der Bevölkerung wie auf ihre Mobilisierung gegen Aktionen der extremen Rechten. Referentin: MdL Freya-Maria Klinger


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Jenseits von sogenanntem »Glück« Postwachstumsökonomie und Gemeingüterökonomie

Am 2. Dezember 2011 fand in Dresden zu diesem Themenkomplex eine Podiumsdiskussion statt, an der Niko Paech (außerordentlicher Professor an der Universität Oldenburg), Friederike Habermann (Ökonomin, Historikerin und Autorin mit den Schwerpunkten Feministische Ökonomie, Solidarische Ökonomie und Gemeingüterökonomie) und Ronald Blaschke (Philosoph, Autor zum Thema Armut und Grundeinkommen sowie Mitbegründer des Netzwerkes Grundeinkommen) teilnahmen. Eingeladen hatte die Initiative Grundeinkommen Dresden und Umgebung, deren Vertreter Bernd Czorny die Veranstaltung moderierte. Wir dokumentieren im Folgenden in Auszügen den Verlauf der Diskussion. Frage: Wie ist der Begriff der Postwachstumsgesellschaft entstanden, und warum ist heute das Nachdenken über eine Postwachstumsgesellschaft so notwendig? Niko Paech: Die Postwachstumsökonomie hat vier Gründe für ihre Alternativlosigkeit: 1. Die Möglichkeit, in Geld und über Märkte transferierte Wertschöpfung systematisch von ökologischen Schäden zu entkoppeln, entbehrt jeder theoretischen und empirischen Grundlage. 2. Nach Erreichen eines bestimmten Niveaus bewirken Zunahmen des Einkommens bzw. Konsums keine weitere Steigerung des individuellen Wohlbefindens (Lebenszufriedenheit oder so genanntes »Glück«). 3. Die soziale Logik des Wachstumsimperativs, wonach Hunger, Armut oder Verteilungsungerechtigkeit durch ökonomische Expansion zu beseitigen sei, ist hochgradig ambivalent. Das Eintreten kontraproduktiver sozialer Effekte des wirtschaftlichen Wachstums ist nicht minder wahrscheinlich. 4. Wirtschaftswachstum stößt an ökonomische Grenzen. Das als »Peak Oil« apostrophierte Phänomen einer zu erwartenden Ressourcenverknappung weitet sich absehbar dergestalt aus, dass von einem herannahenden »Peak Everything« auszugehen ist. Insbesondere die explosionsartige Nachfragesteigerung

von Aufsteigernationen wie China und Indien führt zu einer entsprechenden Verteuerung jener Ressourcen, auf deren bislang vermeintlich unbegrenzter Verfügbarkeit der materielle Wohlstand basierte.

Frage: Inwieweit wird der dem Kapitalismus inhärente Wachstumszwang durch die Gemeingüterökonomie überwunden? Die geschichtliche und vor allem die heutige Praxis zeigte und zeigt, dass kapitalistisches Wachstum Armut schafft und damit die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet. Einher geht es mit der fortschreitenden Zerstörung von Gemeingütern, wie zum Beispiel durch Privatisierung von Gewässern in Brandenburg. Friedericke Habermann: Eine Reduzierung auf 20% des jetzigen Umweltverbrauchs in Europa erzwingt ein Schrumpfen der Wirtschaft. Wachstum ist eine Schimäre, hat keinen Zuggewinn an Lebensqualität gebracht. Es müssen ganze Industriezweige stillgelegt werden. Selbstversorgung über Gemeingüter hat keinen Wachstumszwang. Die Gemeingüterökonomie kommt ohne Geld aus. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir als Menschen ebenso Produkt unserer Umwelt sind wie unsere Umwelt unser Produkt. Verändern lässt sich nur beides zusammen. Dies erfordert auch eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft, hin zu

einer Gesellschaft, die ihre Produkte unentgeltlich und ohne Tausch, aber in einem Verbund der Gegenseitigkeit abgibt. Offene Plätze, die den Grundsatz praktizieren, dass Boden niemandem gehören sollte. Nutzungsgemeinschaften, die ihre Ressourcen ohne Tausch zu Verfügung stellen. Für mich sind all dies Module, die von anderen als Anregungen aufgegriffen werden können. Die wenigsten bedeuten eine vollkommene Lebensveränderung. Mir geht es auch darum, zu zeigen, wie wir in einzelnen Bereichen beginnen können, etwas zu verändern. Zunächst das Prinzip, beizutragen statt zu tauschen. Dazu gehört, dass man eher vertraut als kontrolliert. Auch das Prinzip der Offenheit ist wichtig: Man muss nicht Teil einer festen Gemeinschaft sein, um etwas nutzen zu können. Und das Prinzip der freien Kooperation. Wenn wir es als Selbstverständlichkeit leben, beizutragen statt zu tauschen, zu teilen statt zu kaufen, wird uns niemand mehr erzählen können, dass die Tatsache, dass 100.000 Menschen am Tag verhungern, leider nicht zu ändern wäre. Oder dass wir nur etwas Wert sind, wenn wir imstande sind, uns zu verwerten. Die Gemeingüterökonomie schafft eine starke Einbindung des Individuum in die Gemeinschaft

Frage: Das damit zwingend erfolgende Wegbrechen ganzer Industriezweige und einer

starken Reduzierung anderer Industriezweige verursacht zwangsläufig den massenhaften Verlust von Arbeitsplätzen, damit sich verschärfende Verteilungskämpfe, die einen Transformationsprozess unmöglich werden lassen kann. Welche Rolle kann das bedingungslose Grundeinkommen spielen?

Ronald Blaschke erläuterte auf der Basis der Definition des Netzwerkes Grundeinkommen zunächst, was ein bedingungsloses Grundeinkommen ist. Es beinhaltet vier Kriterien: erstens es wird in existenz- und teilhabesichernder Höhe ausbezahlt, zweitens es ist ein individueller Rechtsanspruch, dritten findet keinerlei Bedürftigkeitsprüfung statt und viertens besteht kein Zwang zur Arbeit oder anderer Gegenleistung. Das bedingungslose Grundeinkommen bedeutet einen Freiheitsgewinn, der notwendig ist für eine Transformation in eine Postwachstumsgesellschaft. Die Menschen müssen ohne soziale Verluste in der Lage sein, einen Abstand zur Lohnarbeit zu gewinnen. Dies wird dadurch möglich, dass das bedingungslose Grundeinkommen ein Grundrecht auf Multiaktivitäten ermöglicht. Im Transformationsprozess zu einer Postwachstumsgesellschaft kann das bedingungslose Grundeinkommen zunächst in Geld ausbezahlt wird, um danach in ein nichtmonetäres Grundeinkommen

überführt zu werden.

Frage: Erich Fromm sagte, dass in einer entfremdeten Welt sich der Mensch die Welt dadurch aneignet, indem er sie konsumiert, vom Geist des Habens besetzt ist. Der Kapitalismus bietet nur scheinbar die freie Wahl der Lebensform, erzwingt indes uniforme Lebensmuster. Die Wahl besteht beispielsweise in der Marke des Autos. Welche Offenheit bietet die Gemeingüterökonomie in den Lebensformen, wenn man insbesondere nach Lateinamerika blickt? Welche Rolle spielt die Bewegung der Transitiontown beim Übergang in eine Gemeingüterökonomie? Friederike Habermann: Eben hier können sich Module einer zukünftigen Postwachstumsgesellschaft herausbilden. Im Rahmen der Transition-TownBewegung (etwa »Stadt im Wandel«) gestalten seit 2006 Umwelt- und Nachhaltigkeitsinitiativen in vielen Städten und Gemeinden der Welt den geplanten Übergang in eine postfossile und relokalisierte Wirtschaft. Viele Initiativen des Transition Town Movement vertreten eine Umweltphilosophie, die angesichts schwindender Rohstoffe und negativer ökologischer Auswirkungen der Globalisierung die Idee des »einfachen Lebens«, der Regional- bzw. lokalen Wirtschaft sowie der Nachhaltigkeit und der wirtschaftlichen Selbstversorgung propagiert.


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Mitgliedermagazin – Ein Tanker? Die Vorstellung des Projektes »Mitgliedermagazin« für und in der Partei DIE LINKE fand im Rahmen der LiMAArena als Podiumsdiskussion statt. Bundesgeschäftsführer Werner Dreibus hatte als Gast Wolfgang Storz (ehemals Chefredakteur der Frankfurter Rundschau) geladen. Unter den Teilnehmern der Veranstaltung war auch der Geschäftsführer des Neuen Deutschland, Olaf Koppe. »Eigene Medien bilden einen geschützten Raum, in dem die innerparteiliche Kommunikation ausgebaut werden kann und muss«, so Wolfgang Storz. Hierzu muss das Mitgliedermagazin eindeutig empfängerorientiert sein, also die Mitglieder in den Mittelpunkt stellen. Als parteiliches Kommunikationsmedium darf es dabei jedoch nicht der Überbringer von Botschaften des Parteivorstandes sein. Zur aktuellen Situation erklärte Werner Dreibus, dass etwa die Hälfte der Mitglieder nur einmal im Jahr persönlichen Kontakt zur Partei hat. Gerade diese Mitglieder sollen über das Magazin erreicht und das Geschehen in der Partei informiert werden. Gleichzeitig erfährt das Ma-

gazin eine Verlängerung ins Netz. Hier werden für die Dauer von zwei Wochen im Magazin aufgemachte Diskussionen moderiert. Ergänzend zu den im Magazin behandelten Sachthemen sollen im Netz zusätzliche Wissensbausteine bereitgestellt werden. Auch wird derzeit diskutiert, ob zwischen dem aktuell geplanten quartalsweisen Erscheinen des Magazins Onlineausgaben ins Netz gestellt werden, da es eher unwahrscheinlich ist, dass ein nur viermal im Jahr erscheinendes Magazin tatsächlich die Mitgliederbindung stärkt. Die Finanzierung des Magazins muss überdacht werden. Es sollte für ein beispielsweise monatliches Erscheinen ein komplett neues Finanzierungskonzept erarbeitet werden. Zur Schaltung von Anzeigen, einer möglichen Finanzierungsquelle, wurde indes im Parteivorstand eine Grundsatzentscheidung gefällt. Danach dürfen nur Anzeigen von Partnern und befreundeten Organisationen (ND, TAZ, Rosa-LuxemburgStiftung, Gewerkschaften usw.) im Mitgliedermagazin veröffentlicht werden. Anzeigen aus der Wirtschaft seien ausgeschlossen. Diese Regelung gilt zukünftig auch für den DISPUT. Der Bundesgeschäftsführer informierte auch über den aktuellen Stand. Nachdem der Bundesausschuss der Partei am 5. Februar 2012 die Mittel für das Mitgliedermagazin nicht freigab. Für den Ausschuss

waren noch verschiedene Fragen zu Inhalt, Kooperation mit den Landesverbänden, Redaktionsstatut und Rolle und Aufgaben des Redaktionsbeirats offen. Bis Ende April sollen diese Fragen geklärt sein, sodass der Bundesausschuss erneut über die Freigabe der finanziellen Mittel entscheiden kann. Allerdings werden auch – ohne zusätzliche Kosten zu produzieren – die Weichen gestellt, um im Falle einer positiven Entscheidung sofort mit der Produktion einer Pilot-Ausgabe mit verkürzter Seitenzahl

zu beginnen. An dieser Stelle regte Olaf Koppe an, das Fest der LINKEN für die Präsentation dieser Ausgabe zu nutzen. Mit Blick auf die Vertriebskosten regte der Geschäftsführer des ND zudem an, eher auf Wechselseiten als auf Länderbeilagen zu setzen. Weiterhin wies er darauf hin, dass ein gut gemachtes Mitgliedermagazin auch Außenwirkung haben kann und nicht ausgeschlossen werden sollte, dies über den Handel und im Abo an Nichtmitglieder zu vertreiben. Abschließend brachte Wolf-

gang Storz noch mal auf den Punkt, welche Rolle das Mitgliedermagazin spielen soll: »Das Mitgliedermagazin soll Landes- und Kleinzeitungen nicht vertreiben. Es soll ein Tanker sein, der alles mitzieht und unterstützt!« Nachtrag: Am 27. und 28. April 2012 wird der Bundesausschuss der Partei DIE LINKE eine Entscheidung, ob und wie das Mitgliedermagazin erscheinen soll, treffen. Ralf Fiebelkorn und Simone Hock, Bundessprecherrat RoRe

Foto Wolfgang Pehlemann

Veranstaltung zum Mitgliedermagazin auf der 9. LiMA am 22. März 2012 in Berlin

LAG betrieb & gewerkschaft blickt zurück und nach vorn Für den 31. März 2012 waren alle Mitglieder der Landesarbeitsgemeinschaf t (LAG) betrieb&gewerkschaft in das Chemnitzer Soziokulturelle Zentrum »QUER BEET« eingeladen. Neben den Berichten aus den regionalen Arbeitsgemeinschaften (AG’s) standen die Verständigung auf eine Grundposition zum »Bedingungslosen Grundeinkommen« und der Gesetzentwurf der LINKEN zum sächsischen Vergabegesetz auf der Tagesordnung. Aus den Berichten der regionalen AG‘s wurde schnell deutlich, dass die in betrieb&gewerkschaft engagierten Mitglieder eine großartige Arbeit leisten. Jens Thöricht berichte aus dem Landkreis Görlitz über die unterschiedlichen Aktionen zur Unterstützung der Verkäuferinnen bei Schlecker und über die Aktivitäten im Rahmen

der Kürzung beim Theater. So beteiligen sich die hiesigen Mitglieder an der Kampagne www.kulturabbau-stoppen. de, denn auch Schauspieler und Künstler haben Anspruch auf eine gerechte Bezahlung. Bitte unterstützt den Aufruf von »Kulturabbau stoppen« durch eure Unterschrift und Weiterverbreitung. Aus der Chemnitzer AG teilten die Mitglieder mit, dass sie ebenfalls mit den Beschäftigten bei Schlecker solidarisch sind und aktiv dahingehend waren und dass sie sich in die Vorbereitung und Durchführung der Proteste gegen den Naziaufmarsch am 5. März eingebracht haben. Herzlichen Dank dafür. Der erfolgreiche Bürgerentscheid über die Dresdner Krankenhäuser und die Aktivitäten im Zusammenhang mit Dresden-Nazifrei – diese Themen beherrschten das Wirken der

Dresdner Mitglieder. MdB Sabine Zimmermann, die ebenfalls Mitglied der LAG ist, informierte nach den Berichten über das Bundestreffen von betrieb&gewerkschaft ( h t t p : // p o r t a l . d i e l i n k e in - s ac hs en.de/def ault . asp?iid=546&mid=0&uid=0), über die geplanten Krisenprosteste am 17. und 19. Mai in Frankfurt. Weitere Informationen hierzu folgen noch. Einen Input aus gewerkschaftlicher Sicht zum Thema »Bedingungsloses Grundeinkommen« (BGE) gab anschließend Heinz Hoffmann, Bezirkssekretär der IG Metall für Berlin, Brandenburg und Sachsen. Intensiv tauschten sich die Anwesenden über unterschiedliche Aspekte zum Thema aus. Weiter hinterfragt werden muss, ob eine Entkoppelung der Erwerbsarbeit von Sozialleistungen möglich ist und wie ein Konzept zum BGE

von LINKS konkret aussehen und finanziert werden kann. Dank an Uwe Schaarschmidt, der sich mit dem Thema BGE seit Jahren intensiv beschäftigt und gleich vor Ort einige Fragen beantworten konnte. Da in den nächsten Monaten dazu eine hochinteressante Konferenz mit der LAG Bedingungsloses Grundeinkommen und weiteren Akteuren stattfinden wird, sind die Mitglieder von betrieb&gewerkschaft überzeugt, waren sich alle einig, diesen Prozess ergebnisoffen zu halten. Auf der Konferenz soll ein Konzept zum BGE von LINKS vorgestellt, Fragen geklärt und darüber nachgedacht werden, ob dieses Thema Relevanz für die »Sozialpolitischen Leitlinien der LINKEN Sachsen« hat. Gegebenenfalls wird ein entsprechender Änderungsantrag für den kommenden Landesparteitag formuliert.

Unser wirtschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, KarlFriedrich Zais, informierte im Anschluss über den Gesetzesentwurf zur Änderung des »Gesetzes zur Sicherung von Tariftreue, Sozialstandards und fairem Wettbewerb bei öffentlicher Auftragsvergabe im Freistaat Sachsen«. Als LINKE fordern wir ein Vergabegesetz, in dem »Tariftreue« und ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50-10 Euro drinsteht. MdL und Sprecher der LAG betrieb&gewerkschaft Klaus Tischendorf bittet alle regionalen AG’s zu diesem Thema Veranstaltungen durchzuführen. Auf diesen soll unser Entwurf vorgestellt und erörtert werden. MdL Zais und MdL Thomas Kind, der ebenfalls anwesend war, sowie Heinz Hoffmann stehen dafür als Referenten bereit. Jens Thöricht


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Jugend

Neues Konzept, neue Kontakte und einige alte Scherereien Bundeskongress 2012: Vom 30. März bis zum 1. April fand in Berlin der diesjährige Bundeskongress (BuKo) des Bundesverbandes von linksjugend [`solid] statt. Dieser setzt sich aus 250 Delegierten zusammen, die von den 16 Landesverbänden und den Bundesarbeitskreisen gewählt werden. Zusätzlich zu den circa 200 angereisten Delegierten kamen, es mag wohl an Berlin gelegen haben, diesmal auch überdurchschnittlich viele Gäste. Nachdem vorhergehende BuKos eher eine Imitation von Bundesparteitagen gleichkamen und zum Teil auch von einer extrem aufgeheizten Stimmung geprägt waren, hatte ein Vorbereitungskreis unter dem Titel »BuKo neu denken« versucht, dem Bundeskongress eine neue Struktur zu verpassen. Statt trocken Rechenschaftsberichte als Frontalbeschal-

lung vorzutragen, wurden diese in Form von Stichpunkten und Kurzberichten auf Pinnwände geklebt. Für die gegenseitige Auswertung des vergangenen Jahres, aber auch zum kennenlernen anderer Basisgruppen und Landesverbände gab es ein sogenanntes World Café, bei dem sich alle Teilnehmenden mehrmals an verschiedenen Tischen treffen, um sich an diesen gemeinsam auszutauschen. Hauptbestandteil des neuen Konzepts war jedoch ein neues Antragsverfahren, wie es bereits auch bei dem Kleinen Programmparteitag der sächsischen LINKEN in ähnlicher Form gegeben hat: Alle Delegierten konnten zunächst vorher ausgeteilte Punkte auf verschiedene Anträge durch Aufkleben verteilen. Diejenigen Anträge mit den meisten Punkten wurden dann, statt nur im großen Plenum, in ein-

zelnen Workshops intensiv vordiskutiert. Mit einer großen Mehrheit konnten diese Workshopgruppen dann Empfehlungen an das Plenum sowie Übernahmen von Änderungen oder Streichungen beschließen. An vielen Stellen hat das Konzept recht gut funktioniert, obgleich vor allem der Erfolg der Workshops stark von der jeweiligen Kompetenz der Moderation abhing. Durch die neue Struktur des BuKos wurden letztlich sicherlich zahlreiche Meinungsverschiedenheiten in entspannter und konstruktiver Atmosphäre diskutiert. Unschöne Formen der Auseinandersetzung hat es auf diesem BuKo dennoch gegeben. Am Samstag beispielsweise wurde zunächst ein Antrag aus dem Landesverband NRW diskutiert, der den Bundesarbeitskreis Shalom dazu aufforderte, die Unterstützung der Kampag-

Braucht die Pfingstcamp – Darf’s ein LINKE eine bisschen mehr sein? LAG Queer? …. im Land der Oder haben wir schon eine vollkommene Emanzipation in den Köpfen der Menschen erreicht - in der LINKEN und der Gesellschaft? Was ist mit Emanzipation, eingetragene Lebenspartnerschaft, Trans*, Körperkult, Bisexualität, Crossdresser, Kampflesbe, Monogamie, Drag King, Feminismus, Schwuppe, Lesbisch, Selbstbestimmung, Hetero, HIV, Pornographie, Homo, Intersexualität, Drag Queen, Körperbilder, Transsexualität, Regenbogenfamilien, Lack und Leder, Lebensweisen, Geschlechterrollen, Polyamorie, Schwul, Sexualpädagogik, Transgender, ....? Wenn Du mit all diesen Begriffen etwas anfangen kannst und sie genügend gewürdigt fühlst, dann brauchen wir wohl keine LAG Queer mehr - Wenn nicht, dann komm zu uns und arbeite mit - wir haben auch Kekse (-: Melde dich einfach unter: lagqueer@dielinke-sachsen.de. Wir treffen uns das nächste mal am 17. Mai, (Internationale Tag gegen Homophobie) 14 Uhr, im linXXnet (Bornaische Str. 3d) in Leipzig. www.queer.dielinke-sachsen. de Daniel Knorr

lachenden Rehe.

Alljährlich veranstaltet die linksjugend [’solid] Sachsen zu Pfing­sten ein mehrtägiges offenes, politisches und kulturelles Treffen - das Pfingstcamp. Im Jahr 2012 findet das Camp - vom 25.-28. Mai 2012 - bereits zum vierzehnten Mal statt und der Veranstaltungsort ist wie im letzten Jahr Doksy in der Tschechischen Republik. In der Vergangenheit nahmen jährlich ca. 400 Interessierte im Alter zwischen 13 und 55 Jahren teil. Und mit dir werden auch dieses Jahr wieder so viele unterschiedliche Menschen ein verlängertes Wochenende mit Seminaren, Workshops, Konzerten und dem ganzen Drumherum verbringen. Dieses Jahr fragen wir ganz konkret: »Darf´s ein bisschen

mehr sein?« und meinen damit: - mehr Kultur, mehr Seminare, mehr Politik, mehr Workshops, mehr Pop, mehr Meer, mehr Spass…. - mehr Bands, wie Tapete, Gossenboss mit Zett, sorry für the music, Ohne Gewähr, Schokotronic und acid.milch&honig werden zum Tanz aufspielen und so manche Wade zucken lassen. Aber auch nach und während den Konzerten sollte für alle Teilnehmer_innen dieses Wochenende ein Unvergessliches im Land der lachenden Rehe werden. Einige Seminare: Gender und Wissenshierarchien, Pornoworkshop, Komm doch mal anders - Penetrationskritik und weibliche Sexualität, Campradio, Sächsische Demokratie, Datensicherheit, Politische Entwicklung in Ungarn, Vereinsbuchhaltung,

ne »Stop the Bomb« gegen die nukleare Rüstung Irans zurückzuziehen. Als Grund wurde angegeben, dass sich unter eben jenem Aufruf auch einige Personen mit mehr oder weniger problematischen Standpunkten wiederfinden. Zu guter Letzt wollte der Antrag sogar so weit gehen, bei nicht erfolgter Rücknahme der Unterstützung des Kampagnenaufrufs ein Auflösungsbeschluss über den BundessprecherInnenrat und den nächsten Bundeskongress zu bewirken. Während der erste Teil des Antrages angenommen worden ist, fand sich für die Auflösungsbestrebung keine Mehrheit auf dem Bundeskongress. Nun mag man von der genannten Kampagne halten was man will, aber wenn sich Verbände dafür entscheiden, nur noch Aufrufe zu unterschreiben, unter denen ausschließlich die vermeintlichen

Vertreter der »reinen Lehre« zu finden sind, wird man außer den eigenen Projekten wohl kaum noch etwas Unterstützenswertes finden. Der sächsische Jugendverband hat sich auf diesem BuKo indes nicht nur aktiv an der Neugestaltung und Organisation beteiligt, sondern auch viele Gespräche mit Vertreter_innen anderer Landesverbände geführt. Im Herbst diesen Jahres soll als Ergebnis voraussichtlich eine gemeinsame Sitzung des sächsischen Beauftragtenrates mit den LandessprecherInnenräten der Genoss_innen aus Bayern und Baden-Württemberg stattfinden. Auf dem Bundeskongress wurden darüber hinaus u.a. die Themen Rassismus (vor dem Hintergrund des 20. Jahrestages der Pogrome in Rostock-Lichtenhagen) und Krisenproteste als Schwerpunkt gesetzt. Tilman Loos

Termine Campzeitung, Saniworkshop, Funkdisziplin, Kletterworkshop, Malusion, Was kommt nach Sex, No Nation und Krise, Impro-Theater, Europa + Krise, EU-Außengrenzen, Alternatives Schulkonzept, Hedonismus-Kritik, Kritischer Konsum mit links – (wie) geht das?, Knigge lesen: »Von A - Z Gutes Benehmen«, Alternative Festivalkultur, Parteiradio Leitkultur und vieles vieles mehr. Wenn du vor dem Pfingstcamp schon deine Neugier stillen willst, lohnt sich ein Besuch der Internetseite, dort wirst du genauere Programmbeschreibungen finden, die wie immer aber auch im Programmheft abgedruckt sind, aber das gibt es erst auf dem Pfingstcamp. Anmeldung: pfingstcampanmeldung.linksjugend-sachsen.de

5. Mai Parteikonferenz zur Antifaschistischen Politik ab 10:00 im Gewerkschaftshaus, Schützenplatz 14, Dresden 5. Mai Festival »Rock am Kuhteich« im ehemaligen Freibad Borna, www.rock-am-kuhteich. de 11. Mai Forum »Existenz- und Teilhabesicherung – Mindestsicherung oder Grundeinkommen?« ab 18:00 im Rothaus, Lohstraße 2, Chemnitz 12. Mai Barcamp »Urheberrecht im 21. Jahrhundert« im Conne Island, Leipzig 13. Mai Sitzung des Beauftragtenrates (BR) ab 12:00 im Rothaus, Lohstraße 2, Chemnitz 25. bis 28. Mai 14tes Pfingstcamp der sächsischen linksjugend, diesmal unter dem Motto »Darf’s ein bisschen mehr sein?« und wieder im tschechischen Doksy, dem Land der lachenden Rehe, pfingstcampanmeldung.linksjugend-sachsen. de 28. Mai bis 3. Juni Veranstaltungswoche zum ChristopherStreet-Day (CSD) in Dresden, queer.dielinke-sachsen.de/ 02. Juni queer-feministische Party »F*ck you Gender!« ab 20:00 im Jugendhaus Roter Baum, Großenhainer Straße 93, Dresden 2. Juni Stay-Rebel-Festival in Chemnitz 8. bis 10. Juni YOU – Europas größte Jugendmesse in Berlin, www.you.de,,, wir werden leicht zu finden sein, einfach der Glitzerspur folgen ;) www.linksjugend-sachsen.de


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

Erste Frau als Vorsitzende Liebe Gabi, Du bist seit kurzem die neue Vorsitzende der GUE/NGL und zugleich die erste Frau in diesem Amt? Ja, innerhalb der GUE/NGL bin ich die erste Frau als Vorsitzende. Aber auch im EP selbst haben sich viele gefreut, dass eine Frau an der Spitze der Fraktion steht. Welche Ziele hast Du? Intern die »3K«: Kommunikation, Kooperation und Koordinierung. Extern: die Profilierung der Linken im EP, die Mobilisierung gegen die brutalen Kürzungen der Sozialausgaben in den EU-Staaten, der Widerstand gegen weitere Privatisierung öffentlicher Güter und Leistungen, die Privatisierung sozialer Sicherungssysteme… Die GUENGL ist eine konföderale Fraktion. Heißt das, jeder macht Seins? Es heißt erst mal, dass die unterschiedliche politische Kultur, Erfahrungen und Ziele der Parteien respektiert werden. Ich kann als (ost-)deutsche Linke mit meinen spezifischen Erfahrungen nicht einfach einem griechischen Kommunisten sagen wollen, wie er sich »richtig« zu verhalten hat. Wir sind das einzige Projekt mit dieser Bandbreite von Linken in Europa. Es geht um das, was uns verbindet, nicht was uns trennt. Der Fiskalpakt treibt mittlerweile Hunderttausende Menschen in Europa auf die Straße. Warum ist er so gefährlich und was hat das Europaparlament dagegen unternommen? Der Fiskalvertrag entspricht den Interessen der Finanzmärkte, nicht der Menschen. Es ist ein zwischenstaatlicher

Vertrag, der außerhalb des EURechts steht. »Merkozy« und andere Regierungschefs umgehen das Europaparlament bewusst. Die Demokratie wird vergewaltigt, Hunderttausende werden in die Armut getrieben. Wir müssen die Regierenden im Parlament mit den Folgen ihrer Politik für die Ärmsten der Armen, Kinder, aber auch für die in Not geratenen Kommunen und für die KMU in den von den dramatischen Kürzungen betroffenen Ländern konfrontieren. Darüber hinaus prüft die Delegation der LINKEN im EP gerade, inwiefern die Rechte dieses verletzt werden.

Worin siehst Du das Demokratiedefizit auf europäischer Ebene? Die Bürgerinnen und Bürger werden nicht gefragt, wenn die Finanzmärkte und die Regierungschefs die EU in eine Richtung treiben, die nicht ihren Interessen entspricht. Merkel und Co wollen gezielt die Rechte umgehen, die das EP mittlerweile hat. Wir müssen inzwischen höllisch aufpassen, dass nicht die nationalen Parlamente und das EP gegeneinander ausgespielt werden. Merkels Argumentation klingt einfach: In Zeiten der Not muss gehandelt werden, Debatten mit den Parlamenten können wir uns nicht erlauben. Wir, die Regierungschefs, sind die Macher. Gegen diese Entdemokratisierung müssen wir uns zur Wehr setzen! Welche Vision von Europa, europäischer Integration hat eigentlich DIE LINKE? Wir streiten für eine EU, in der alle Menschen in Würde leben können, es keine Armut und soziale Ausgrenzung gibt, Kinder nicht auf der Straße leben müssen und alte Menschen ih-

ren verdienten Lebensabend genießen können. Dazu gehört auch, dass die EU ihre Verantwortung für die Lösung globaler Fragen wahrnimmt, für Entwicklung eintritt und gegen globale Armut, den Klimawandel und die Umweltzerstörung vorgeht. Ebenso muss sich die EU von ihren Rüstungsverpflichtungen verabschieden und statt auf Militärmissionen auf internationale Konfliktpräventionen setzen. Was muss Deiner Meinung nach auf EU-Ebene dringend verändert werden? Wir brauchen eine klare Entscheidung für eine soziale EU, in der es zuerst um die Menschen geht statt um die Rettung der Banken. Wir brauchen eine Sozialklausel im EU-Recht, armutsfeste, EUweite Mindestlöhne und Mindesteinkommen, sowie soziale und ökologische Mindeststandards. Wir brauchen knallhar-

te Entscheidungen, um die Allmacht der Finanzmärkte zu beschneiden. Die Spekulanten müssen mit einer internationalen Transaktionssteuer endlich zur Kasse gebeten werden. Wir brauchen aber in erster Linie mehr Demokratie, direkte Bürgerentscheide und selbstbewusste Parlamente. Beängstigend ist das Erstarken der extremen Rechten bzw. rechtsnationaler Kräfte in Europa. Was können wir dagegen tun? Die Angst vor dem sozialen Absturz wirkt lähmend für demokratische Kämpfe. Zur Durchsetzung der Kürzungen von Löhnen und Sozialtransfers zögern die Regierenden nicht, sich der nationalen Karte zu bedienen. Unter den Ärmsten in Griechenland gibt es ca.1 Million Migrantinnen und Migranten. Wer interessiert sich dafür, wie sie überleben? Innerhalb der gesamten EU ist

»Asylbewerber gehen hier durch die Gosse!« Regionaltag von MdEP Dr. Cornelia Ernst: Ihr 1. Regionaltag im Raum Sebnitz sollte Conny Ernst ins Asylbewerberheim führen. Auf Lampedusa sah sie die Flüchtlingsdramen, erzählt sie, als wir uns vorab im neuen Pirnaer Infoladen von AkuBiz und Roter Baum e.V. mit der AG Asyl treffen. Das Heim in Langburkersdorf ist zur Hälfte abgebrannt. Ein Teil der BewohnerInnen wurde auf kleinere Einrichtungen und Wohnungen verteilt. Es funktioniert gar nicht schlecht, erzählt Kati Hille, die 2. Beigeordneten des Landrates. Das nächste Heim in Schmiedeberg ist beschlossene Sache,

dezentrale Unterbringung kein Thema. »Vor allem die Nebenkosten fallen uns auf die Füße«, erklärt Frau Hille. »Wenn man die Kommunen besser ausstatten würde, wäre es leichter.« Nachdem der »arabische Frühling« irgendwo steckengeblieben ist, kommen viele junge Männer aus Nordafrika auf lebensbedrohlichen Wegen zu uns. »Wann Schule, wann Arbeit?« seien die ersten Fragen ihrer Neuankömmlinge, erzählt uns Heimleiterin Ute Bensing. Wenn dann nichts passierte, fielen sie in ein tiefes Loch. Nach Wochen der Untätigkeit setzt Resignation ein, die

Menschen werden psychisch krank, es gibt Gewaltausbrüche, der Notarzt muss hier Leben retten, die Polizei einschreiten. Ein Sozialarbeiter ist allein damit beschäftigt, Strafbescheide zu bearbeiten. Man muss die Leute an die Hand nehmen, meint Ute Bensing, die für DIE LINKE. im Neustädter Stadtrat sitzt. »Asylbewerber gehen hier durch die Gosse«, entfährt es einem Angestellten. Bedrückt verabschieden wir uns nach zwei Stunden von ihr, die wohl den schwersten Job im Landkreis macht. Wir sind wütend: wenn alle Landkreise aufbegehrten,

müsste sich was ändern. Hier herrscht ein Notzustand! Zentrale Unterbringungsmöglichkeiten sind auf Dauer eine Katastrophe und es sind PsychologInnen und SozialarbeiterInnen notwendig, um mit den Betroffenen zu reden. Wir beschließen den Abend mit einem Vortrag von Conny zu »Rechtsextremisten im Europaparlament« im Pirnaer Infoladen. Der Vortrag begeistert und fesselt die jungen Leute von AkuBiz. Übrigens: der Verein hat am 2. April ein neues Fördermitglied gewonnen: die Europaabgeordnete Dr. Cornelia Ernst. Anja Oehm

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die Politik des Fiskalvertrags, des Sozialabbaus, der Kürzungen im Bildungssystem mit einer repressiven Asyl- und Flüchtlingspolitik verbunden. Den Rechten und Nationalisten wird es einfach gemacht! Wir müssen auftreten und sagen: Nicht die portugiesischen Arbeiter, die Migranten in Griechenland, die Flüchtlinge in Lampedusa oder die Roma in Tschechien sind schuld an der Krise. Verursacher sind die unbeschreiblich Gierigen! Sicher hast Du jetzt noch weniger Zeit für Deine Familie. Gab es schon Streiks daheim? Die Zeit seit meiner Wahl war sehr intensiv. Bisher hat mein Mann noch nicht von seinem Streikrecht Gebrauch gemacht. Ich hoffe, wir bewältigen diese Phase weiterhin gut zusammen. Bei meinen erwachsenen Töchtern bin ich froh, wenn sie Zeit für uns haben. Leider werden die Wochenenden mit den Enkeln wieder seltener. Gabi Zimmer, geboren am 7. Mai 1955 in Berlin, verheiratet, zwei Kinder, 1986 bis 1989 Mitarbeiterin in der Betriebsparteiorganisation der SED, 1990 bis 2004 Mitglied des Thüringer Landtags, 1990 bis 1998 Vorsitzende der PDS Thüringen, 2000 bis 2003 Parteivorsitzende der PDS, seit 2004 MdEP

Herzlichen Glückwunsch Nach der Wahl Gabi Zimmers zur Fraktionsvorsitzenden der Vereinten Europäischen Linken/ Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) wurde Cornelia Ernst zur Vorsitzenden der Delegation DIE LINKE im Europaparlament gewählt. Zusammen mit dem Europaabgeordneten Thomas Händel steht die aus Sachsen stammende Politikerin nun der achtköpfigen ParlamentarierGruppe der LINKEN vor. Die LINKE Sachsen bewertet dies als wichtiges Signal für die proeuropäische Position der Partei und wünscht Cornelia Ernst für ihre Arbeit als Vorsitzende der Delegation viel Erfolg.


DIE LINKE im Bundestag

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Das Ende der guten Rente Ewige Jugend – danach sehnen sich die Menschen seit Jahrhunderten und was hat man nicht alles versucht, um dieses Ziel zu erreichen. Selbst ein spanischer Eroberer soll auf einer Expedition in die neue Welt einst die Quelle der ewigen Jugend gesucht haben. Gefunden hat sie indes noch niemand und auch die beste Pflegeserie, Aerobic, Vitaminpillen oder Yoga können es nicht verhindern: Wir werden alt. Und was dann? Schön wäre es zumindest, wenn wir uns im Alter, bei all den damit verbundenen Einschränkungen z.B. durch Krankheiten und Gebrechen nicht noch Sorgen um die bloße Existenz machen müssten. Das müssen wir aber – und zwar mächtig und auch nicht nur im Osten Deutschlands – hier aber besonders. Jene Menschen, die 1990 um die 40 und darüber waren und es nach der Deindustrialisierung Ostdeutschlands oft nicht mehr geschafft haben, ihre Erwerbsbiografie bruchlos fortzusetzen, sich von Erwerbslosigkeit zu ABM- und Umschulungsmaßnahme hangelten und letztendlich doch keinen dauerhaften und vor allen Dingen keinen gut bezahlten Job mehr fanden, trifft es demnächst besonders hart: Ihnen fehlen schlicht die er-

forderlichen Rentenpunkte, um jetzt, beim Erreichen des Rentenalters menschenwürdig leben zu können. Die s.g. Grundsicherung im Alter – also ein Einkommen auf Hartz IV-Niveau – das ist es, was ihnen für den Herbst des Lebens bleibt. Nennen wir es getrost Armut, Altersarmut eben. In großem Umfang privat vorzusorgen war ihnen – ihrer Einkommenssituation geschuldet – ebenfalls nicht möglich. Allerdings ist dies – wie gesagt – kein reines Ostproblem, denn im Osten wie im Westen Deutschlands wurde die gesetzliche Rentenversicherung als solidarisches Rentensystem in den letzten Jahren systematisch zerstört. Man muss wirklich hin und wieder darauf hinweisen, dass es SPD und Bündnisgrüne gewesen sind, die vor zehn Jahren jenen verhängnisvollen Paradigmenwechsel vollzogen: An die Stelle der Lebensstandardsicherung durch die gesetzliche Rentenversicherung hat man das Prinzip der Beitragssatzstabilität gesetzt. Um die Beiträge stabil zu halten, wird das Rentenniveau um ein Fünftel abgesenkt. Im Klartext: Fasst man alle Kürzungen der Gesetzlichen Rente zusammen, dann beträgt eine Rente, die früher 1000 Euro betragen hätte, heute nur noch 750 Euro.

Erreichbar ist das neben hinkenden Renten z.B. mit der Anhebung des Renteneintrittsalters. Für die privaten Versicherer ist das natürlich ein glänzendes Geschäft, da ihnen die Menschen mit der Warnung vor Altersarmut geradezu zugetrieben werden. Verträge zur s.g. Riesterrente wurden den Menschen mit einer Aufdringlichkeit angeboten, wie sonst nur Lamadecken und Topfsets auf Kaffeefahrten. Dass die Riesterrente für Geringverdienende ebenso sinnvoll ist, wie ein 30teiliges Topfset für einen Witwer, der im Altersheim lebt, hat sich in-

zwischen herumgesprochen. Ebenso herumgesprochen dürfte sich haben, dass das Problem Altersarmut auch im Westen als solches ankommen wird. Sind es hier vorerst hauptsächlich Frauen mit kürzeren Erwerbsbiografien, wird es künftig auch Männer, die ihr Erwerbsleben als Leiharbeiter oder mit Werks-oder Honorarverträgen verbracht haben, oder Frauen, die lediglich in Minijobs »dazuverdienten« treffen. Das Ende der »guten Arbeit« ist eben auch das Ende der guten Rente. Ich meine, wir brauchen dringend eine Mindestrente, damit

Bezahlbarer Bahnverkehr für alle! Die Bahnpreise sind zu hoch! Sparpreise, Wochenendangebote und andere Rabattaktionen der Bahn sind unübersichtlich und sehr begrenzt. Viele Menschen können sich Bahnfahren nicht (oder nicht mehr) leisten. Doch Mobilität, die Möglichkeit von A nach B zu kommen, ist eine Voraussetzung für die Teilnahme am öffentlichen Leben. Mobilität ist ein Grundrecht. Deshalb müssen öffentliche Verkehrsmittel bezahlbar sein – und zwar für alle. Das gilt sowohl im Nah- als auch im Fernverkehr. Das völlig überzogene Preisniveau der Deutschen Bahn AG muss insgesamt sinken. Es muss außerdem eine soziale Komponente geben für Menschen mit schmalem Budget. Für DIE LINKE heißt das insbesondere: es muss ein DB Sozialticket eingeführt werden für Menschen, die von staatlichen Transferleistungen wie zum Beispiel Hartz IV leben müssen. Unsere Idee ist einfach und gerecht: die Bahncard 50 soll als Sozialticket für 20 Euro angeboten werden. Um die Bahn zu einem gemein-

wohlorientierten und ökologisch sinnvollen Verkehrsmittel für alle zu machen, wollen wir außerdem die Bahncard 50 und die Bahncard 100 zu Mobilitätskarten aufwerten. Dazu müssen deren Preise deutlich gesenkt werden. Denn wir wollen, dass sehr viel mehr Menschen die Bahn nutzen und vom Individual-PKWVerkehr in den Zug umsteigen können. Die Bahn muss kundenfreundlich und zuverlässig sein. Davon war in den letzten Jahren immer weniger zu spüren. Brechende Achsen an ICEs, Sauna-Abteile im Sommer, Winterchaos und massive Verspätungen sind schon fast zu Markenzeichen der Bahn geworden. Darüber hinaus werden tausende von Streckenkilometern stillgelegt, Bahnhöfe geschlossen und die Zahl der Beschäftigten halbiert. Nur die Preise, die wurden stetig immer mehr angehoben. Dadurch gingen die Fahrgastzahlen im Bahnverkehr seit 1995 um 15 Prozent zurück. Der Hintergrund für die Bahnpannen und Preissteigerungen ist vor allen Dingen die Gewinn-

orientierung des privatisierten Unternehmens Deutsche Bahn AG und die jahrelange Fixierung auf den Börsengang. DIE LINKE setzt sich für einen bezahlbaren, kundenfreundlichen und zuverlässigen Bahnverkehr ein, der sich am Gemeinwohl orientiert und der

kein Rentner und keine Rentnerin im Alter in Armut leben muss. Über die Höhe herrscht noch Diskussionsbedarf innerhalb der LINKEN. Mein Vorschlag lautet, sich dabei an der aktuellen Armutsrisikogrenze zu orientieren und die liegt gegenwärtig bei 970 Euro. Auf diese Rente sollte man Anspruch haben, ohne vorher den für den Lebensabend hart ersparten Notgroschen aufbrauchen zu müssen. Zudem sollten alle bisher erfolgten Kürzungen der Gesetzlichen Rente zurückgenommen werden. Katja Kipping

Am Beispiel Betreuungsgeld eine echte Alternative zu Auto- und Flugverkehr darstellt. Und der vor allem kein Luxusgut ist, das sich nur noch Besserverdienende leisten können. Caren Lay (MdB, Bundesgeschäftsführerin DIE LINKE)

…kann man gut nachvollziehen, wie viele Entscheidungen der Bundesregierung zustande kommen. Da sind drei Parteien: CDU, CSU und FDP. Die FDP und die CSU haben so ihre Probleme. Sie werden bockig und versuchen sich zu profilieren. In letzter Zeit konnte sich die notleidende FDP in der Koalition ab und an durchsetzen. Nun ist aber in Bayern 2013 Landtagswahl, und auch die CSU braucht Erfolge. Deshalb soll das Betreuungsgeld eingeführt werden: Eltern, die ihre Kinder nicht in die Kita geben, sollen 100 bis 150 Euro pro Kind erhalten. Zwar meinen auch die FDP- und weite Teile der CDU-Fraktion, dass das Vorhaben falsch ist, weil Kinder vom Besuch einer Kita enorm profitieren, aber egal! Schließlich muss die CSU ihre Klientel befriedigen. Was lernen wir? In dieser Regierung sticht das Machtdenken die Argumente aus. Michael Leutert

Foto: Niklas Plessing @flickr CC-Lizenz

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Geschichte

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Das Capa-Haus - aufwühlende Lektionen in Erinnerungskultur Dieses Foto hat jeder schon gesehen: Ein stürzender Soldat, der reflexartig noch sein Gewehr nach oben reißt, wird im doppelten Sinne getroffen. Die feindliche Kugel trifft den Interbrigadisten im Spanischen Bürgerkrieg, und der weltberühmte Fotograf Robert Capa trifft just in diesem Moment mit dem Objektiv seiner Kamera die erschütternde Szene. Capa bildete die Fratze des Krieges ab, um für immer an den Frieden zu gemahnen. In seinem reichen Schaffen hielt er auch einen weiteren höchst persönlichen, zunächst aber namenlosen Augenblick des Krieges fest: Ein amerikanischer GI liegt krampfhaft verdreht in der aufgerissenen Tür eines Balkons. Eine in kurzen Sequenzen geschossene Fotoserie zeigt eine sich ausbreitende Blutlache unter dem kraftlos gewordenen Körper. Zutiefst berührende Bildsprache. Über dieses Foto ist inzwischen so ziemlich alles bekannt. Der sterbende Mann ist ein Befreier. Er verlor sein Leben am 18. April 1945, bei der Befreiung Leipzigs von der faschistischen Diktatur. Die amerikanischen Truppen waren bereits weit an den äußeren Rand des Stadtzentrums vorgerückt, als die Kugel eines fanatisierten deutschen Heckenschützen den Amerikaner traf. Die Capa-Fotos erschienen unter dem symbolischen Titel »Der letzte Tote des Krieges« in der längst ebenfalls

berühmten »Victory«-Ausgabe der Illustrierten »Life« am 14. Mai 1945. Ein Menschenleben später erregt das Haus Jahnallee 61 in der sächsischen Messestadt erneut die Gemüter. An dem wuchtigen Gebäude scheiden sich die Geister. Als Bauwerk ist es ruinös, als Bezugspunkt auf dem Weg in den ehemals hochindustrialisierten Leipziger Westen ist es stadtbildprägend. Das längst zum Capa-Haus geadelte Gebäude soll – und muss vielleicht – abgerissen werden. Viele engagierte Leipziger und ihre wohlmeinenden, weiter als die momentane Stadtverwaltung blickenden Verbündeten stemmen sich gegen das Unfassbare. Die Beschäftigung mit der Historie des bedrohten Hauses verlieh der ohnehin bekannten Faktenlage einen kaum noch für möglich gehaltenen Schub. Friedensaktivisten, Militärhistoriker und Mitglieder einer Bürgerinitiative fanden in einer selten erlebten Allianz der Vernunft wider das Vergessen und die Resignation zusammen und ermittelten in akribischer Forschungsarbeit endlich den Namen des gefallenen MG-Schützen und seines Kameraden, der laut Gefechtsvorschrift den Platz am MG einnahm, um die vorrückenden GIs zu decken. Raymond J. Bowman aus Rochester, New York, verlor sein Leben mit 21 Jahren in Leipzig; Lehman Riggs, der andere MG-Schütze, konnte –

mit inzwischen 92 Jahren hoch betagt – in Cookeville, Tennessee, gefunden werden. Riggs war auf Einladung des Mitteldeutschen Rundfunks in den vergangenen Tagen erstmals seit 67 Jahren wieder in Leipzig. In dem Raum, in dem sein Kamerad Raymond J. Bowman starb, salutierte Riggs ergriffen und still. Immer wieder betont er bescheiden, aber eindringlich, dass er an diese Rückkehr nicht mehr geglaubt hatte. Riggs ist wieder am Ort des Geschehens, das Robert Capa für – hoffentlich – alle Zeiten abbildete. Die nüchtern dokumentierende Bildsequenz bekommt persönliche Züge,

der »letzte Tote des Krieges« hat seinen Namen zurück. Hellwach nahm der tapfere Lehman Riggs in seiner Uniform, die er in Ehren hält, vergangenes Wochenende an einer Veranstaltung in Leipzig teil. Stille herrschte in dem Raum, als Riggs seine Kriegserlebnisse schilderte, von seiner Mission sprach und persönliche Erinnerungen zum besseren, ergreifenden Verständnis des historischen Geschehens beisteuerte. »War is terrible«, mahnt Lehman Riggs und kämpft mit den Tränen. Für die Zuhörer ist es eine eindringliche Friedenslektion. Und das Capa-Haus muss, wenn es ir-

gendwie geht, erhalten bleiben. Das wünscht sich Lehman Riggs ausdrücklich. Das Capa-Haus braucht Frieden und Fürsorge – um des Friedens willen. Lehman Riggs ist nach aufwühlenden Tagen in Leipzig wieder auf dem Rückweg in die USA. Würde er diese Rückreise mit der Gewissheit antreten, dass der Ort seines Erlebens vor 67 Jahren bewahrt wird, hätte die Stadt Leipzig endlich ein Denkmal, mit dem sich fortschrittliche, geschichtsbewusste Menschen uneingeschränkt anfreunden und Stolz darauf entwickeln könnten. Volker Külow

Hegemonie und Sozialismus - Antonio Gramsci Am 27. April vor 75 Jahren starb einer der Führer der italienischen Arbeiterbewegung und Theoretiker der Partito Communista Italiano (PCI), Antonio Gramsci, an den Folgen seiner Kerkerhaft unter Mussolini. In armen Verhältnissen auf Sardinien geboren, musste er schon mit elf Jahren arbeiten. Nach Gymnasium und klassischem Lyzeum konnte er mittels eines Stipendiums ab 1911 an der Turiner Universität Philosophie, Geschichte und Philologie studieren. Hier, im Zentrum der italienischen Arbeiterbewegung, wurde er 1913 Mitglied der Partito Socialista Italiano (PSI), der auch Benito Mussolini angehörte. Gramsci begrüßte begeistert die Oktoberrevolution in Russland, betrachtete sie zugleich als eine Revolution gegen das Marxsche »Kapital«. Die intensive Beschäftigung mit den Schriften von Marx, Engels und Lenin machte Gramsci zu einem vehementen Verteidiger des Marxismus gegen die

politischen Führer und Theoretiker der II. Internationale. Er war einer der Führer bei der Abspaltung des linken Flügels der PSI und der Gründung der PCI 1921, die unter seiner Führung eine »Leninistische Partei« wurde. Gramsci kämpfte in den 20er Jahren erbittert gegen den 1922 zur Macht gelangten Faschismus in Italien und trat gegen die Sektierer in der Partei um Bordiga für eine Politik der breiten Volksfront ein. Am 8.11.1926 wurde Gramsci mit anderen kommunistischen Parlamentsabgeordneten trotz ihrer parlamentarischen Immunität auf Befehl Mussolinis verhaftet und 1928 zu über 20 Jahren Zuchthaus wegen »Verschwörung gegen die Staatsgewalt, Anstiftung zum Bürgerkrieg, Aufreizung zum Klassenhass, der Verteidigung von Verbrechen und umstürzlerischer Propaganda« verurteilt. Im Prozess sagte er dem faschistischen Staatsanwalt: »Ihr werdet Italien ins Verderben führen, und uns Kommunisten

wird die Aufgabe zufallen, es zu retten«. Seine während der Haft entstandenen »Briefe aus dem Kerker« beeinflussten die Nachkriegskultur Italiens nachhaltig. Auch international fand Gramscis Werk Interesse, jedoch kaum bei denen, die aus seinen Erkenntnissen hätten lernen können für die Überwindung des Kapitalismus und die erfolgreiche Entwicklung von »Sozialismus«. Denn Gramsci war kein »Katechismus-Marxist-Leninist«, sondern ein schöpferischer Kopf. Die deutsche LINKE hat erst zaghaft sein Werk wiederentdeckt, und sich mit seinem Hegemonie- Konzept beschäftigt. Ohne eine neue HegemonieBewegung sind die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse nicht grundlegend zu ändern. Klar ist, dass DIE LINKE ein Problem bei der wissenschaftlichen Fundierung ihrer Politik hat, das sich in der Verknüpfung von Programm, Strategie und (außerparlamentarischer

und parlamentarischer) Aktionspolitik befindet. Das ist das Problem der Erzeugung einer neuen Hegemonie-Bewegung. Das Verhältnis von »Führung«, Mitgliedschaft und gesellschaftlichem Einfluss steht Kopf. Die LINKE sollte sich hier von Gramsci helfen lassen, denn er war sich des Problems des inneren Zusammenhalts und der Rolle von »organischen Intellektuellen« in der Partei in Beziehung zu ihrer Aktionsfähigkeit bewusst. Allerdings hat DIE LINKE kaum »organische Intellektuelle« in Verantwortungspositionen. Um eine Trendwende in ihrer politischen Wirksamkeit zu erreichen, müsste sie neue Formen der inneren Mitwirkung bei Politikfindung und Umsetzung entwickeln, die auf Außenwirkung gerichtet sind. Und ihre führenden Politikerinnen und Politiker brauchen dafür eine Bildung, die sie nicht in Parlaments- und Vorstandssesseln bekommen. »Linke Politik« braucht v. a. ge-

sellschaftliche Mehrheiten jenseits parlamentarischer Wahlarithmetik. Sie braucht soziale und politische Bewegung, demokratische Selbstbeteiligung und -entscheidung der Betroffenen, geistige und kulturelle »Aufrüstung«, eine tief in die Gesellschaft hineinwachsende Hegemonie eben. Sie benötigt daher kontinuierliche und umfassende Organisation solcher Wirkungsmöglichkeiten. Andere Parteien können sich mit der Organisation von Wahlkämpfen und PR-Strategien begnügen, DIE LINKE ginge daran zugrunde. Solche Prozesse sind zu »führen«! »Eine Partei muss nicht nur ein lernendes, sondern auch ein handelndes System sein«, referierte die Parteivorsitzende Klaus Ernst auf der Vorstandsklausur im Dezember 2011. Genau da aber, beim Hegemonie organisierenden Handeln, fehlt es der LINKEN nahezu vollständig an Führungs-Kompetenz. Gramsci bleibt aktuell. Ralf Becker


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Rosa-Luxemburg-Stiftung

Termine Chemnitz, 1. Mai, ab 13 Uhr Aktion und Intervention Reihe: Absahnen!* /*Arbeitsbefreiungsmaßnahmen und Sahnetörtchen*/ Springbrunnen am Roten Turm, 09111 Chemnitz Leipzig, 2. Mai, 19 Uhr Reihe: MarxExpedition 2012 Anonyme Herrschaft und Fetischismus. Moderne Machtverhältnisse und ihre Selbstverrätselung Mit Dr. Ingo Elbe Universität Leipzig, Hörsaalgebäude Universitätsstraße 1, Hörsaal 8, 04109 Leipzig Dresden, 2. Mai, 19 Uhr Vortrag und Diskussion ACTA und der Kampf um das „Geistige Eigentum“ Mit Tobias Schröter, Referent für Forschungs- und Technologiepolitik bei der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Chemnitz, 3. Mai, 20 Uhr Lesung und Gespräch Reihe: Absahnen!* /*Eine Schaarschmidt-Lesung*/ Satirische Kolumnen zur Arbeitskritik. Mit Uwe Schaarschmidt, Dresden Lokomov, Augustusburger Straße 102, 09126 Chemnitz Leipzig, 3. Mai, 18 Uhr Vortrag und Vernissage »Kein Ort. Nirgends« Vernissage zur Christa-WolfAusstellung Mit Prof. Dr. Klaus Schuhmann, Literaturwissenschaftler und Dr. Christel Hartinger, Literaturwissenschaftlerin Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 4. Mai, 20 UhrVortrag und Gespräch Reihe: Absahnen!* /*Dann lieber gleich arbeiten*/ Mit Gregor Henker, Leipzig Lokomov, Augustusburger Straße 102, 09126 Chemnitz Chemnitz. 7. Mai, 20 Uhr Öffentliches Treffen Reihe: Absahnen!*

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dres-

/*Einstweilen wird es Mittag*/ Lokomov, Augustusburger Straße 102, 09126 Chemnitz Chemnitz, 8. Mai, 20 Uhr Filmlounge Reihe: Absahnen!* /*Viereckige Augen*/ Kurzfilmprogramm zum Wandel der Arbeit Lokomov, Augustusburger Straße 102, 09126 Chemnitz Dresden, 9. Mai, 19 Uhr Linke Streitkultur? Heillos zerstritten? Eine Diskussionsveranstaltung zur politischen Kultur der Partei DIE LINKE Mit Bernd Wittich, Philosoph und freischaffender Autor WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 10. Mai, 18 Uhr Linke Streitkultur? Heillos zerstritten? Eine Diskussionsveranstaltung zur politischen Kultur der Partei DIE LINKE Mit Bernd Wittich Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 15. Mai, 18 Uhr Zwickauer Zelle, NPD, freie Kameradschaften – Nazistrukturen in Sachsen Mit MdL Kerstin Köditz Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 15. Mai, 18 Uhr Reihe: Absahnen!* /* Klasse Bewußtsein! */ Galerie für zeitgenössische Kunst (GfzK) Leipzig, Neubau, Karl-Tauchnitz Str. 9-11, 04107 Leipzig Dresden, 15. Mai, 18 Uhr Reihe: Junge Rosa Kritische Theorie – was ist das eigentlich? Mit: Steffen Juhran, Leipzig WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 22. Mai , 19 Uhr Hightech-Kapitalismus in der Krise Mit Prof. Wolfgang Fritz Haug Kulturkaufhaus DAStietz, Großer Saal, Moritzstraße 20, 09111 Chemnitz Leipzig, 22. Mai, 18.30 Uhr Reihe: Absahnen!* /* Klasse Bewußtsein! */ Teil II Galerie für zeitgenössische Kunst (GfzK) Leipzig, Neubau, Karl-Tauchnitz Str. 9-11, 04107 Leipzig Leipzig, 23. Mai, 19 Uhr Reihe: MarxExpedition 2012 Marx und die Grenzen der Dialektik Mit Prof. Dr. Christoph Türcke Universität Leipzig, Hörsaalgebäude Universitätsstraße 1, Hörsaal 8, 04109 Leipzig Dresden, 23. Mai, 19 Uhr Karl Marx im 21. Jahrhundert? Mit Martin Runow, gesellschaftswissenschaftlicher Beirat der LINKEN Dresden WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Dresden, 30. Mai, 20 Uhr Filmvorführung mit anschließendem Gespräch Fernes Land - pakistanischdeutsches Roadmovie Mit Kanwal Sethi, Regisseur Leipzig Schauburg, Königsbrücker Straße 55, 01099 Dresden Leipzig, 31. Mai, 18 UhrDie politische Situation in Russland nach den Präsidentschaftswahlen*** Mit Boris Krumnow, Mitglied AG Russland der Rosa-Luxemburg-Stiftung Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04207 Leipzig

Leipzig, 22. Mai, 18 Uhr Die neue „große Transformation“ – vom radikalen Marktsystem zu einer nachhaltigen Solidargesellschaft? Mit Prof. Dr. Rolf Reißig,

Leipzig, 31. Mai, 19 Uhr Reihe: MarxExpedition 2012 Entfremdung. Die Schizophrenie im Kapitalismus Mit Prof. Dr. Christian Schmidt Universität Leipzig, Hörsaalgebäude Universitätsstraße 1, Hörsaal 8, 04109 Leipzig

den Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer

Auflage von 18000 Exemplaren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig, Rico Schubert (V.i.S.d.P.) Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84 38 9773 Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Redaktionschluß: 22.4.2012 Die nächste Ausgabe er-

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Provinz muss nicht provinziell sein Cathleen Bürgelt und Gerd-Rüdiger Hoffmann (MdL) über die Kulturkonferenz der RosaLuxemburgStiftung Am 4. und 5. Mai findet die 2. Kulturkonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Thema »Provinz versus Provinzialität - ‚Pisa-Schock’ und musische Bildung« im Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen (Ortenburg) statt. Was erwartet die Gäste dieser Konferenz? Gerd-Rüdiger Hoffmann: Ein inhaltlich sehr anspruchsvolles Programm, interessante Menschen und eine sehr schöne Stadt. Nicht zuletzt auch ein hochaktuelles Theaterstück, nämlich »Geschlossene Gesellschaft« von Jean-Paul Sartre in der Inszenierung von Erik Dolata. Wer hatte denn die Idee, eine solche Konferenz zu veranstalten? Cathleen Bürgelt: Die Idee ist ja nicht im luftleeren Raum entstanden. Das Thema musische Bildung und die Ergebnisse der so genannten PISA-Studien sind Themen der politischen Bildung der Rosa-LuxemburgStiftung. Vor allem aber kommen die Anregungen aus der Ständigen Kulturpolitischen Konferenz der Partei DIE LINKE, in der wir aktiv mitarbeiten, und von KulturarbeiterInnen selber. Und warum musische Bildung als Schwerpunkt? GRH: Musische Bildung ist Ressort und übergreifende Aufgabe. Sie hat den ganzen Menschen im Blick. PISA-Kriterien scheinen mir mehr auf Verwertbarkeit der zukünftigen ArbeitnehmerInnen ausgerichteten zu sein. Ergebnisse musischer Bildung wie kultureller Bildung insgesamt sind schwer messbar. PISA will messen und sieht scheint am 31.5.2012. Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand. Abo-Service 0351-84389773 Konto: KontoNr. 3491101007, BLZ 85090000, Dresdner Volksbank Internet www.links-sachsen.de

dadurch nicht alles, was für Menschen wichtig ist, meine ich jedenfalls. Wer wird auf der Konferenz sprechen? CB: Den Eröffnungsvortrag hält der ehemalige brandenburgische Kulturminister Hinrich Enderlein. Lutz Hillmann, Intendant des gastgebenden Theaters, wird dabei sein. Weiterhin haben zugesagt der Reformpädagoge Otto Herz, der Musikprofessor Werner Beidinger, der sorbische Komponist Detlef Kobjela, die Direktorin der Musikakademie Rheinsberg Ulrike Liedtke, Stephan Hoffmann vom Kulturamt Dresden, Ulrike Erdmann von der Plattform Kulturelle Bildung Brandenburg, Christina Tast, die in einem kleinen Dorf mit ihren Leuten Opern im ehemaligen Schweinestall inszeniert, und noch einige mehr. Die erste Kulturkonferenz fand 2011 in Zollbrücke statt... CB: ... ja, etwa fünf Häuser und ein Theater – das Theater am Rand. Über einhundert Kulturinteressierte haben teilgenommen und erwarten eine Fortsetzung. ... also in der tiefsten Provinz. Aber ist auch Bautzen Provinz? GRH: Ja, aber eben nicht provinziell. Wenn in der »Provinz« musische Bildung als lustvolle Anstrengung begriffen wird, »Provinzialität« zu überwinden, dann sind die Probleme und Erfolge vielleicht viel direkter zu erfassen als in den »Metropolen«. Auch darum soll es in Bautzen gehen. Ein guter Ort und viele freuen sich darauf. Mit wie vielen TeilnehmerInnen rechnen Sie? CB: Der Saal fasst einhundert Personen. Rechtzeitiges Anmelden wäre gut. Veranstaltungsort: Burgtheater des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters, Ortenburg 7 02625 Bautzen / Budyšin Teilnahmebeitrag inklusive Theaterkarten und Versorgung an beiden Tagen: 25 Euro. Aus organisatorischen Gründen wird um Anmeldung gebeten: Regionalbüro Lausitz der RosaLuxemburg-Stiftung, Bärengasse 3, 01968 Senftenberg Telefon: 03573 – 6589 586 E-Mail: rls-lausitz@gmx.de Weitere Informationen unter www.gerd-ruediger-hoffmann.de/kulturkonferenz


Rezensionen

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»My Song« von Belafonte erzählt acht Jahrzehnte Bügerrechtsgeschichte

Harry Belafontes Autobiographie »My Song« entstand in Zusammenarbeit mit dem Journalisten Michael Shnayerson. Ich habe sie verschlungen wie sonst nur Rolf Recknagels Biographie von Jack London – denn diese Lebensgeschichte liest sich eher wie ein Roman denn wie eine Biographie. Hier stehen die zeitlosen Themen im Vordergrund: Der Kampf um Frieden und Bürgerrechte sowie gegen Rassismus, und für Anerkennung und Respekt für die Schwarzen in den USA. Es tauchen dabei jede Menge legendärer Namen auf – Erwin Piscator, Paul Robeson, Marlon Brando, Sydney Portier oder Martin Luther King –, die Belafonte aus nächster Nähe erlebt, mit denen er gesprochen und für Bürgerrechte gekämpft hat. Die subjektive Sicht Belafontes erfüllt die Namen mit Leben. Daraus ist ein »linkes Pflichtbuch« entstanden, wichtig für jeden, der ein grundlegendes Verständnis über den Kampf um Bürgerrechte erlangen will. Wer ein solches bereits hat, für den ist es einfach lebendig erzählte Geschichte mit unbekannten Details. Umso mehr man im Vorfeld weiß, desto spannender liest es sich vielleicht. Umso weniger man vorab an Kenntnissen hat, desto mehr wird es einen bereichern. Natürlich werden hier massive Lücken in unserer Allgemeinbildung beim Thema »Bürgerrechte« deutlich, vor allem in einer Zeit, in der »der Westen« das Thema »Menschenrechte« missbraucht, um Bomben,

Mord und Totschlag im Irak, in Afghanistan, Libyen oder in Syrien zu rechtfertigen. Wenn wir nicht einmal wissen, dass das Frauenwahlrecht in Frankreich 1945 und in der Schweiz 1971 eingeführt wurde, wie ist es dann erst um unsere Kenntnisse in Sachen Bürgerrechte für die Schwarzen und Indianer in den USA bestellt? Das Buch schließt die Lücke keinesfalls, aber es regt an zur Weiterbeschäftigung, weil einem die eigene Unwissenheit bei der Lektüre durchaus bewusst werden kann. Harry Belafonte wurde am 1. März 1927 als Sohn der jamaikanischen Hilfsarbeiterin Malvene Love Wright in Harlem geboren – das politische Engagement seiner Mutter prägte ihn, darauf hat Belafonte mehr als einmal hingewiesen. Seine karibische Herkunft erklärt auch ein ganz anderes Selbstbewusstsein, denn Schwarze in Jamaika waren schon 1927 viel freier als in den Südstaaten der USA. Die Tatsache, dass Belafonte in New York aufwuchs, hat übrigens ihre Wurzeln in dem politisch wachen Blick seiner Mutter: Obwohl sie Harry aus Gründen, die mit ihrer Arbeit zu tun hatten, 1935 vorerst nach Jamaika zurück brachte, schien es ihr dann 1939 – wie vielen anderen Jamaikanern – höchste Zeit zu sein, ihren Sohn in New York in Sicherheit zu bringen. In Jamaika rechnete man im Ergebnis der Angriffe der Nazis auf Großbritannien damit, dass diese nach dem Sieg über England Jamaika beset-

zen könnten. Zeit seines Lebens setzte sich Harry Belafonte – der sich als politischer Aktivist sieht, der Künstler geworden ist – für Bürgerrechte und Frieden ein. Begonnen hat dabei alles an der New School for Social Research (Neue Schule für soziale Forschung) in New York, deren dramatische Abteilung von Piscator geleitet wurde und die Kunst immer mit politischem Engagement verband. Belafonte ist

nie stehen geblieben – er führt diesen Kampf weiter bis in die Gegenwart. Heute unterstützt und fördert Belafonte Occupy und Attac – so wie er schon immer Geld für die schwarze Bürgerrechtsbewegung spendete. Im aktuellen Wahlkampf steht er für Obama, den er gleichwohl von links stark kritisiert, zum Beispiel weil er viel zu wenig für die Schwarzen getan hat. Mit »My Song« hat der schwarze Aktivist an seinem

85. Geburtstag nicht nur den Linken der Welt ein großes Geschenk gemacht. Das Buch verdient ein weltweites Publikum, denn es hilft verstehen, wo die »Führungsmacht der westlichen Welt« in Sachen Bürgerrechte wirklich steht – und wie es dazu kam. Ralf Richter »My Song« erschien bei Kiepenheuer & Witsch und kostet 24,99 Euro in gedruckter Form – und als E-Book 21,99 Euro.

Besessen von der Liebe zur russischen Literatur Ist es ein Liebesroman, ein Campus-Roman, ein langer Essay über das Lesen klassischer russischer Autoren wie Tolstoi, Dostojewski, Babel? Egal, denn selten wurde wohl so erfrischend darüber geschrieben, was es »bringen« könnte, sich mit den Klassikern der russischen Literatur zu beschäftigen. Heutzutage verlangt es schon eine gehörige Portion Hartnäckigkeit, sich den 1000 Seiten von Tolstois »Krieg und Frieden« zu widmen. Aber dass sie es immer noch wert sind und daher wohl nicht ohne Grund den Rang eines Klassikers haben – was auch immer diesen Rang definiert –, beweist dann eben die Lektüre. Batuman berichtet davon, und wie sie

über das Studium, die dazugehörigen Stipendienaufenthalte und Konferenzen dazu kam, dass sich das Lesen dieser Klassiker unbedingt lohnt und wie sich dieses dann schnell zu einer großen, wilden Leidenschaft für die russische Literatur ausweitet. Sie erzählt von ihrer großen Bewunderung für die klassischen russischen Autoren. Dabei liest sie niemals, ohne nicht gleichzeitig mit einem Auge auf ihr Leben und die Menschen um sie herum zu schielen. Deswegen geht es natürlich immer auch um die Liebe und den Tod. Der Leser ist nah dran, wenn sie etwa von Verlusten berichtet, oder davon, wie es ihr in der Fremde ergeht. Hilfe sucht und findet sie immer wieder

in der Literatur. Wenn sie etwa von ihrem Aufenthalt in dem uns doch recht fremd erscheinenden Usbekistan berichtet, ist das mehr als nur Literatur oder Geschichte. Angeblich hat das Usbekische mehr als hundert Worte für »Weinen«. Das macht das Erlernen des Alt-Usbekischen – einer Sprache, deren bekannteste Autoren bei uns nahezu unbekannt sind – zu einem Abenteuer. Davon, aber auch wie Lesen das eigene Leben nicht nur abbildet, sondern auch bereichert, berichtet Batuman. Oder sie entdeckt, dass ein amerikanischer Pilot, der 1920 im russisch-polnischen Krieg abgeschossen und von Isaak Babel verhört wurde, später den Film »King Kong« produzierte.

Wunderbar ist auch ihr Bericht vom modernen »Eispalast«. Die Zarin Anna Iwanowna ließ 1740 in St. Petersburg einen Eispalast errichten, in dem sie auf sadistische Art und Weise ein Kleinwüchsigenpaar die Hochzeitsnacht verbringen ließ – auf einem Bett auf Eis. Dieser Palast wurde aus touristischen Gründen heute nachgebaut, und die Verwicklungen, die es gibt, um den eigentlich öffentlichen Palast anzusehen, sind nicht nur komisch, sondern werfen auch ein gutes Schlaglicht auf das heutige Russland. Der Titel des Buches leitet sich von Dostojewskis 1873 veröffentlichten Roman Die Dämonen ab. Der Titel wird auch als Böse Geister, Die Teufel oder

eben Die Besessenen übersetzt. Während Dostojewski aber über Leben und Tod im vorrevolutionären Russland schreibt, ist Batuman lediglich besessen von den russischen Autoren. Nicht umsonst ist sie in den USA, aber auch in Europa als Kultautorin angesehen. Vielen Dank an Kein&Aber, dass sie die Publikation auch für den deutschen Büchermarkt herausgebracht haben. Ich bin sehr gespannt auf das nächste Buch. Dieses ist uneingeschränkt empfehlenswert. Rico Schubert Elif Batuman: „Die Besessenen. Abenteuer mit russischen Büchern und ihren Lesern.“ Kein & Aber, 368 Seiten, 22.90 Euro


Kultur

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Kultur ist MehrWert! den letzten Monaten im Entwurf erarbeiteten Kulturpolitischen Leitlinien sind ein Versuch, linker Kulturpolitik in Sachsen konkrete Gestalt zu verleihen. Sie wurden im Rahmen eines Kulturkonventes am 21.04.2012 der Öffentlichkeit vorgestellt. Im gut gefüllten Saal des Leipziger Central Kabaretts kam es zu einem fruchtbaren Meinungsaustausch zwischen Partei und Kulturschaffenden, der seinen würdigen Abschluss in Lesung und Gespräch mit der Autorin Daniela Dahn fand. Notwendig ist ein Kulturbegriff, der nicht, wie es bei den bürgerlichen Parteien häufig der Fall ist, in einer redundanten Repräsentationskunst (Stichwort: Nationalmuseum Sachsen) gipfelt, sondern der sich als gestalterisch-kreatives Potenzial zur gesellschaftlichen Gestaltung versteht. Handeln in Fragen der Kultur ist geboten: Auch das »Kulturland Sachsen« bleibt mittlerweile vom Kulturabbau nicht mehr verschont. Die ideologische Sparpolitik der CDU und die Entstaatlichungsphantasien der FDP haben in dieser Legislaturperiode bereits zahlreiche Kulturinstitute in Not gebracht. Die Zwangskommunalisierung der Landesbühnen Sachsen führte nicht nur mit der Abwicklung des Landesbühnenorchesters zur Zerstörung eines jahrzehntelang gewachsenen Klangkörpers, sondern auch zu Einschnitten bei den Kulturraummitteln, da aufgrund der nun durchgeführten Mitfinanzierung der Landesbühnen durch die Kulturräume Mittel für andere Einrichtungen verloren gehen. Gerade die kleineren soziokulturellen Träger sind hier oft die

Leidtragenden. Angedacht für die Zukunft ist von Ministerin von Schorlemmer offensichtlich eine gezielte Entsolidarisierung von Kultureinrichtungen, die sich fortan über die verbleibenden Finanzmittel streiten sollen, sich freuend über jeden sterbenden Konkurrenten, dessen Hinterlassenschaft man vorläufig zum eigenen Überleben nutzen kann. Sowohl der brutale Zynismus, den das Ministerium für Wissenschaft und Kunst dabei seinen eigenen Mitarbeitern (Landesbühnen) entgegenbringt, als auch die völlige Gleichgültigkeit, die beim Theatersterben in den Kommunen – so jüngst in Zittau – an den Tag gelegt wird, sind Zeichen dafür, dass die kulturelle Substanz des Freistaats bei dieser Landesregierung

nicht in guten Händen ist. Die Trägervielfalt – vor allem auch in der Fläche – muss erhalten bleiben, damit den künftigen demographischen Veränderungen im Freistaat nicht mit kulturellem Kahlschlag begegnet wird. Schließlich sind es oft gerade die strukturschwachen, bevölkerungsarmen Regionen, für welche die kulturelle Auseinandersetzung mit Menschenfeindlichkeit, mit Rassismus und Rechtsextremismus, Diskriminierung und Ausgrenzung von existenzieller Bedeutung sind. Der Verlust kultureller Strukturen in den Kommunen ist zumeist unwiderruflich. Hier gilt es vorzubeugen, indem den Entscheidungsträgern vor Ort der immense immaterielle Wert einer intakten Kulturszene vor Augen geführt werden

muss. Häufig ist die berühmte Entscheidung zwischen der Schlaglochausbesserung und dem Erhalt eines Kulturträgers eine äußerst komplexe, zumal sie zumeist menschliche Schicksale und Biographien berührt. Kulturpolitik ist nicht zuletzt auch Sozialpolitik. Kürzungen und tarifpolitische Eingriffe führen auch bei Künstlern und Kreativen immer häufiger zu prekären Lebensverhältnissen. Durch Ausstellungsvergütungen für bildende Künstler und der grundsätzlichen Einhaltung von am Tariflohn ausgerichteten Gagen bei Theatern und Orchestern, auch in der freien Kulturszene, könnte der Prekarisierung von Kulturschaffenden nachhaltig entgegengewirkt werden. Guido Hackhausen

»linksextremistische Bedrohung« erfinden. So bemerkt kaum jemand, wer wirklich gefährlich ist, und Menschen, die davor warnen, werden ignoriert oder kriminalisiert. Man fühlt sich unweigerlich in das Dorf hineinversetzt, das Degenhardt in seinem Lied modelliert: August, der Schäfer, hat zwar die Wölfe gehört, die »zusammen das Fraßlied geheult« hätten, »das aus früherer Zeit«. Seine Warnungen verhallen jedoch, und er »ward nie mehr gesehn’n«. Das Dorfhexenkind sah sie auch, »nachts im Steinbruch« und »blutbefleckt« – um kurz darauf von der Mutter gemaß-

regelt zu werden: »Wer den bösen Wolf nicht vergisst, mein Kind, bleibt immer ein Kind« – eine Anspielung auf die nicht nur unter rechtslastigen Publizisten populäre Forderung, den Holocaust zu historisieren, um nicht ewig unter dem »Schuldkult« zu leiden. Als erste Anzeichen der Gefahr nicht mehr zu leugnen sind, lässt Degenhardt »die Greise zahnlos lachen« und zischeln, dass sie es ja gleich gesagt hätten und man die Felder wieder mit »altem Mist« düngen möge. Selbst, als die Wölfe »dann zu Johannis beim Feuertanzfest« aus dem Geäst hervorbrechen

und Dorfbewohner massakrieren, woraufhin sich das Feuer ausbreitet, geht die Realitätsverweigerung weiter: »Kinder, spielt, vom Rauch dort wissen wir nichts und riechen auch nichts«. Blind sein und blind machen – daran hat sich wenig geändert. Vielleicht sollte sich Ulbig ein wahres Wort von Edmund Burke, einem Urvater des Konservatismus, zu Herzen nehmen: Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun. Und er sollte Degenhardt hören – beim Öffnen der Augen hilft das ungemein. So man das denn will. Kevin Reißig

Bild: Wikimedia Commons

Die Kulturdebatte in Deutschland hat in den letzten Monaten deutlich an Brisanz gewonnen. Leider lässt sich in diesem Zusammenhang häufig eine verstärkte Kulturfeindlichkeit vor allem der Wirtschaftseliten herauslesen, als gelte es, auch an dieser Stelle den Weg freizumachen für einen entfesselten Spekulationskapitalismus. So fordern neoliberale »Kulturmanager« in einem Machwerk mit dem bezeichnenden Titel »Kulturinfarkt« (Kultur als gesundheitliche Bedrohung für die Gesellschaft!) beispielsweise die Ausdünnung der Kulturszene in Deutschland unter dem Aspekt ihrer Markttauglichkeit und verneinen in diesem Zusammenhang schlicht das gesellschaftsbildende und -bindende Potenzial von Kunst und Kultur. Die Negierung geistigen Eigentums durch die politischen Newcomer Piraten und damit die Entziehung der Lebensgrundlage von zahlreichen ohnehin häufig in prekären Verhältnissen lebenden Kreativen, sowie die generelle Ferne der neuen Modepartei von kulturellen Milieus (so wurde bereits die Schließung der Deutschen Oper Berlin auf die Tagesordnung gebracht – ein Theater und Arbeitgeber also für einige hundert Beschäftigte!) zielt in ähnliche Richtung und beweist, dass das Thema Kultur weder in der kapitaldominierten, noch in der virtuell-ignoranten Lebenswelt gut aufgehoben ist – Grund genug also, dass sich die LINKE in Sachsen ihre Ansichten zu diesem wichtigen Gesellschaftsthema stärker konturiert. Die von der Landesarbeitsgemeinschaft Kultur in

Musik

Blinde sehen Wölfe nicht Kürzlich präsentierte Sachsens ulkiger Innenmister seine neuesten Zahlen zur »politisch motivierten Kriminalität«. Getreu dem seiner Politik zugrundeliegenden Prinzip »Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt« – das er, für Sachsens tiefschwarze Staatsregierung ganz untypisch, ausgerechnet bei einem frechen, rothaarigen Mädchen entliehen zu haben scheint –, trat er mit einem wenig überraschenden Ergebnis vor die Presse: Die »links motivierten Straftaten« hätten 2011 zugenommen. Bei näherem Hinsehen sind die statistischen Tricks allerdings durchschaubar.

Es sind Äußerungen wie diese, die Franz-Josef Degenhardt (1931-2011) recht geben – was er selbst wahrscheinlich bedauern würde. Auf seiner 1965 erschienenen LP »Spiel nicht mit den Schmuddelkindern« findet sich auch »Wölfe mitten im Mai«. Es beschreibt metaphorisch, wie Wölfe Stück für Stück Besitz von einem Dorf ergreifen – was auf die deutsche Gesellschaft zu beziehen ist, die sich noch immer der faschistischen Gefahr gegenübersieht. Real ist diese Gefahr auch, weil es Menschen gibt, die ihre Existenz verleugnen, von ihr ablenken wollen – etwa, indem sie eine


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