Auf Augenhöhe
Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Juli-August 2012
Weltweit befinden sich etwa 67 Millionen Menschen auf der Flucht vor politischer, ethnischer und religiöser Verfolgung, vor ökonomischer Ausbeutung, Kriegen und Umweltzerstörung, vor Hunger und Armut. Erstzufluchtsländer sind dabei aber nicht die Industrienationen, sondern zum allergrößten Teil benachbarte Staaten, oft selbst Entwicklungs- bzw. Schwellenländer. Dort leben die Menschen meist jahrelang unter schwierigen Bedingungen ohne Zugang zu elementaren Rechten und Perspektive. Dennoch nehmen die Zahlen der Asylerstanträge in Deutschland seit Jahren ab. Neben der hermetischen Abschottung Europas durch die EU-Grenzschutzagentur Frontex sorgt die sogenannte Drittstaatenregelung dafür, dass in EU-Binnenländern wie Deutschland kaum noch Flüchtlinge asylberechtigt sind. Darüber hinaus stellen Abkommen verschiedener EU-Länder mit Nachbarstaaten von Krisenregionen sicher, dass Flüchtlinge in der Nähe ihrer Herkunftsländer verbleiben bzw. direkt dorthin zurück abgeschoben werden können. 1993 wurden in Deutschland mehr als 100.000 Asylsuchende aufgenommen. In diesem Jahr wurde das Recht auf Asyl faktisch abgeschafft – auch als Reaktion auf die rassistischen Pogrome in den Jahren zuvor. Und inzwischen? Den Rassismus hat man mit dem Asylkompromiss jedenfalls nicht hinter sich gelassen. Und dieser äußert sich vielfältig: Zum Beispiel auf der Straße bei Bürgerprotesten wie in Leipzig, wenn es darum geht, Asylsuchende dezentral unterzubringen oder in Chemnitz, wo sich der Unmut auch mit Unterstützung der NPD gegen die Erstaufnahmeeinrichtung wendet. Ebenso wird in den ländlichen Gebieten des Freistaates mit unschöner Regelmäßigkeit und fraglicher Beihilfe von rechts gegen Flüchtlinge und deren Unterbringung protestiert. Aber auch institutionell wird diskriminiert: Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) sorgt unter anderem dafür, dass Asylsu-
chende mit 40 Prozent weniger als Hartz-IV-Betroffene auskommen müssen, dass sie in Gemeinschaftsunterkünften auf einer Fläche von 4,5 - 6 m2 pro Person leben müssen und dass sie nur in eingeschränktem Maße medizinisch versorgt werden. Weil das nicht dem menschenwürdigen Existenzminimum entspricht, äußert inzwischen auch das Bundesverfassungsgericht deutliche Zweifel. Sachsens Innen- und Wirtschaftsminister werben seit einiger Zeit für eine »Willkommenskultur« – meinen damit aber nur, dass jene gern gesehen sind, die ein jährliches Einkommen von mehr als 40.000 Euro vorweisen können. Das spiegelt sich auch im sächsischen Zuwanderungs- und Integrationskonzept. Aber auch Fachkräfte schauen sehr genau darauf, wie Ihre Mitmenschen behandelt werden – und zeigen bisher kaum Interesse, sich hier niederzulassen. Dabei ist die einzige Möglichkeit, Fremdenfeindlichkeit wirksam zu bekämpfen, genau das – die persönliche Begegnung. Zu diesem Urteil kommt unter anderem eine aktuelle repräsentative Studie der TU Dresden, in der die Schlussfolgerung gezogen wird, dass sich mehr AusländerInnen ansiedeln sollten. Die Stadt sei Beispiel dafür, dass Vorbehalte gegenüber Fremden dort am größten sind, wo wenige leben – aus dem einfachen Grund, dass sie dort mehr auffallen. Der Ausländeranteil in der sächsischen Hauptstadt liegt bei knapp vier Prozent. Die DresdnerInnen schätzen ihn fast drei Mal so hoch ein. Die Lösung? Sachsen muss Flüchtlinge aufnehmen. Zum Beispiel über das ResettlementProgramm des UNHCR, wie es die Save-Me-Kampagnen in Dresden, Leipzig und Chemnitz fordern. Denn das bedeutet nicht nur aktive Nothilfe zu leisten, sondern eine Neuansiedlung besonders Schutzbedürftiger mit dauerhafter Perspektive und aufenthaltsrechtlicher Sicherheit. Außerdem dürfen Flüchtlinge nicht an den Tropf zweitklassiger Sozialleistungen gehängt werden. Nur soziale und ökonomische Gleichstellung und politische Teilhabe kann zu einem Miteinander auf Augenhöhe führen. Freya-Maria Klinger
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»Flüchtlinge werden als Bedrohung der Idylle empfunden« sonstige Unterkünfte – also Wohnungen – zugelassen sind, wenn eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, die amtsärztlich bestätigt werden muss, oder wenn humanitäre Gründe dafür sprechen – zum Beispiel bei alleinerziehenden Frauen, Menschen in Ausbildung oder Flüchtlingen, die für die Heimunterbringung zu alt sind. Das muss aber jeweils nachgewiesen werden. Vor allem junge Männer fallen aus diesem Kriterienkatalog heraus und müssen folglich in den Gemeinschaftsunterkünften bleiben. Dann kommt noch dazu, dass die Kommunen für die Wohnungsunterbringung nicht mehr Geld aufwenden dürfen als für eine Unterbringung in einer Massenunterkunft.
In Leipzig kann man derzeit ungewohnt viel politisches Engagement von ansonsten eher passiven Bürgerinnen und Bürgern beobachten. Ein Grund zur Freude ist das allerdings nicht. Denn der Stein des Anstoßes sind Pläne der Stadt, die Wohnsituation von Asylsuchenden und Geduldeten zu verbessern und sie verstärkt dezentral unterzubringen. Dagegen regt sich Widerstand in der Bevölkerung. »Links!« sprach darüber mit der Leipziger Stadträtin Juliane Nagel (DIE LINKE). Leipzig diskutiert derzeit heftig über die Unterbringung von Asylsuchenden. Was plant die Stadt? In Leipzig gibt es zwei Asylunterkünfte, die je etwas mehr als 200 Personen aufnehmen können. Eins steht in Grünau, das andere in Heiterblick. Vor drei Jahren wurde diskutiert, ob das Heim in Heiterblick geschlossen werden soll. Als Alternative zu diesem Standort wollte die Stadt noch weiter am Stadtrand ein Container-Heim bauen, dagegen gab es viel Protest. Dann hat der Stadtrat mit sehr knapper Mehrheit beschlossen, dass an dieser Stelle doch ein neues Heim gebaut werden soll. Die Stadt hat davon allerdings Abstand genommen, weil der private Betreiber andere Kostenvorstellungen hatte. In diese Lücke sind LINKE und Grüne gesprungen und haben im Stadtrat eine Neuorientierung bei der Unterbringung von Flüchtlingen beantragt. Zum einen heißt das, Flüchtlinge verstärkt in Privatwohnungen, also dezentral unterzubringen, und zum anderen, Standorte für kleinere Heime mit maximal 50 Bewohnern im gesamten Stadtgebiet zu suchen. Nach fast zwei Jahren hat die Stadtverwaltung diesen Auftrag erfüllt und sechs Standorte im Stadtgebiet vorgeschlagen. In der Weißdornstraße in Grünau soll außerdem eine neue Sammelunterkunft bezogen werden, in der bis zu 250 Personen unterkommen sollen. Wo liegen die Vorteile einer dezentralen Unterbringung? In ganz Sachsen gibt es Massenunterkünfte, die meist irgendwo am Stadtrand stehen. Da werden die Leute nicht gesehen, man hat keine Berührung mit ihnen. Das ist ein Problem, weil die Flüchtlinge ohnehin isoliert sind, trauma-
tisiert hier ankommen – sie flüchten ja meist vor Not, Bürgerkrieg, politischer Verfolgung. Dann kommen sie hier in solche Unterkünfte, wo sie sich wieder wie im Knast fühlen müssen. Privatsphäre gibt es nicht, in Heiterblick müssen sich fünf Menschen einen Raum teilen. Die baulichen Zustände sind in den meisten Unterkünften ziemlich mies, es fehlt der Kontakt zur Bevölkerung, der Zugang zu sozialen oder kulturellen Angeboten Viele der Betroffenen verfallen in Lethargie und finden gar nicht mehr die Kraft, da noch rauszukommen. Da leuchtet es ein, dass kleinteilige Unterkünfte viele Vorteile haben. Ja, sie gewährleisten zum Beispiel mehr Privatsphäre. In dem neuen Konzept der Stadt soll jeder Asylsuchende 7,5 m2 Raum zum Leben und Schlafen zur Verfügung haben. Das Land Sachsen schreibt 6 m2 vor. Der Sprung erscheint lächerlich, ist aber das, was von der Verwaltung als realisierbar und finanzierbar betrachtet wird. In den neuen Unterkünften ist vorgesehen, dass möglichst jeder Flüchtling einen eigenen Raum haben soll. Und das Konzept sorgt dafür, dass die Asylsuchenden jetzt innerhalb der Stadt untergebracht werden. Davon erhoffen wir uns besseren Kontakt zur Wohnbevölkerung. So wird auch die Integration befördert. Der Streit entzündet sich nun an den Vorschlägen für die geplanten kleineren Standorte. Genau. Es soll sechs Standorte außer der neuen Sammel-
unterkunft in Grünau geben, nämlich je einen in Wahren, in Portitz, in Plagwitz, in Dölitz, in Schönefeld und in Eutritzsch. An drei Orten gibt es Konflikte, in Wahren, Portitz und Grünau. Warum gehen Teile der Bevölkerung auf die Barrikaden? Ich hatte ja gesagt, dass in Schönefeld ein solcher Standort geplant ist, das liegt im Osten der Stadt. Da waren die NPD-Wahlergebnisse ziemlich hoch, deshalb könnte man vermuten, dass rassistische Einstellungen oder Bürgerproteste hier am wahrscheinlichsten vorkommen. Das ist aber nicht so. Streit gibt es eher in Wahren und Portitz, das sind Viertel, wo gut situierte Leute wohnen. Da mischen sich Vorurteile gegenüber Flüchtlingen – in Bezug auf Kriminalität, Drogen, Unsicherheit von Kindern, Vermüllung, Wertverfall der Immobilien – mit Vorstellungen von Idylle, vom ruhigen Wohnviertel, wo man nicht gestört werden will. Die Flüchtlinge werden als Bedrohung dieser Idylle empfunden. Wie ist Ihre Einschätzung zum Agieren der Stadtverwaltung? Versucht man zu vermitteln? Die Stadtverwaltung hat den Fehler gemacht, das Konzept schnell durchbringen zu wollen, und hat es nicht mit einer geeigneten Kommunikation begleitet. Es hätte vor der Veröffentlichung des Konzepts Informationsveranstaltungen in den Stadtteilen geben müssen. Bürgerinnen und Bürger haben so von den Plänen erst aus der Zeitung erfahren, und
das ist immer schwierig. Jetzt ist die Stadtverwaltung in den drei Vierteln, wo es Probleme gibt, ziemlich unter Beschuss. Teilweise kommen hunderte Bürger zu den Versammlungen, da bekommt die Stadtverwaltung den geballten Bürgerzorn ab. Das ist sicher eine Folge des schlechten Informationsmanagements, aber auch von einer fremdenfeindlichen oder fremdenskeptischen Grundhaltung in vielen Köpfen. Was kann getan werden, um die Situation zu entschärfen? Ein erster guter Schritt war die Verschiebung der Stadtratsentscheidung auf den 18. Juli. Damit hat man mehr Zeit, ins Gespräch zu kommen, Ängste aufzufangen und menschenfeindliche Äußerungen zurückzuweisen. Wenn Menschenwürde verbal verletzt wird, kann man das nicht so stehen lassen. In einer Versammlung kam ein guter Vorschlag, der besagte, dass man mit Leuten, die in den Heimen wohnen, einfach mal eine lockere Veranstaltung machen sollte, damit man sich kennenlernen kann und Ängste abgebaut werden. Warum ist es so schwer, Flüchtlinge in Wohnungen unterzubringen? Momentan leben 1.100 Flüchtlinge in Leipzig, davon 60 Prozent in Wohnungen. Das Bundesasylverfahrensgesetz schreibt vor, dass Flüchtlinge in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften leben müssen, bis ihr Asylantrag beschieden wurde. Das sächsische Flüchtlingsaufnahmegesetz regelt das auch so. Ein Unterparagraph besagt, dass auch
Also ist die CDU verantwortlich? Ja, das hat die Landesebene zu verantworten. Die CDU verhindert die dezentrale Unterbringung und hat es auch abgelehnt, den Kommunen mehr Spielräume zu geben. Was müsste die Kommune generell tun, um die Integration von Flüchtlingen in Leipzig zu verbessern? Das Problem ist, dass das Bundesgesetz die Flüchtlinge sehr stark benachteiligt. Asylsuchende sind mit Arbeitsverboten belegt und bekommen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, das sind etwa 220 Euro monatlich. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Sätze übrigens erst vor kurzem als zu niedrig kritisiert. Außerdem unterliegen sie der Residenzpflicht, dürfen also den Kreis oder die Kommune, dem oder der sie zugewiesen sind, nicht verlassen. Da kann eine Stadt wenig machen. Ganz wichtig sind kostenlose Deutsch-Kurse, die derzeit begrenzt angeboten werden und die aufgestockt werden müssen. Gut sind auch Patenschaftsmodelle, wie sie in Leipzig vorgesehen sind. Da können sich Menschen bei einem Verein melden, die Lust haben, mit Asylsuchenden in Kontakt zu kommen. So kann ein Draht hergestellt werden zwischen Einzelpersonen oder Familien. Das Ehrenamt ist also zweifellos eine wichtige Säule, darf aber nicht dazu führen, dass professionelle Unterstützung der Flüchtlinge und die Verantwortung der Gesamtgesellschaft aus dem Blick geraten. Die Fragen stellten Rico Schubert und Kevin Reißig.
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Syrien: Brandbeschleuniger zur Eskalation Angesichts grauenvoller Massaker und besonders, wenn Kinder unter den Opfern sind, wie in Hula Ende Mai, rufen viele Menschen nach schneller Abhilfe. Aber um herauszufinden, ob oder wie Maßnahmen wirksam sein können, ist eine möglichst objektive Einschätzung der Lage wichtig. Das ist im Vorfeld oder während gewalttätiger Auseinandersetzungen schwierig, besonders wenn es unter Umständen gar nicht gewollt ist. Ohne auch nur die offiziellen Ergebnisse der UN-Untersuchungen abzuwarten, wurde hierzulande sofort dem Assad-Regime die Schuld an dem schrecklichen Massaker gegeben, obwohl es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht für diese Gräueltaten verantwortlich war: »Das Massaker von Hula ist ein Wendepunkt im syrischen Konflikt. Die westliche Öffentlichkeit beschuldigt, gestutzt auf die UN-Beobachter, die syrische Armee. Diese Version kann auf Grundlage von Augenzeugenberichten bezweifelt werden. Demnach wurden die Zivilisten von sunnitischen Aufständischen getötet«, schrieb die FAZ (13.06.2012). Wenn danach gerufen wird,
So schreien erfahrungsgemäß die Diebe selbst, um von sich abzulenken und den Verdacht auf andere zu richten; möglicherweise sogar auf jene, die gerade im Begriff sind sie zu entlarven. »Haltet den Dieb«, schrien die politischen und medialen Agenten der Banken und Börsen im Vorfeld der griechischen Parlamentswahlen, und sie schrieen bis zum Abend des Wahltages. Sie sahen den Euro verschwinden und Europa vor dem Abgrund oder gar schon einen Schritt weiter. Schuld an allem sollte eine Partei in einem kleinen Land Euopas sein - eine linke Partei, die Syriza mit ihrem Anführer Tsipras in Griechenland. Da sprachen angeblich die Pro-Europäer gegen
das Morden zu beenden, muss zur Kenntnis genommen werden, dass die Aufständischen mit dreistelligen Millionenbeträgen von Saudi-Arabien und Katar aufgerüstet werden. Die Koordination der Waffenlieferungen obliegt der CIA, und die militärische Ausbildung der Rebellen vor Ort haben US-Spezialeinheiten übernommen. Durch diese Militarisierung der anfangs überwiegend friedlichen Protestbewegung
wurden inzwischen Linke, progressive und gewaltfreie Akteure weitgehend marginalisiert. Berechtigte Kritik am Assad-Regime darf nicht den Blick darauf verstellen, dass die auf Vermittlung Kofi Annans im April 2012 vereinbarte Waffenruhe seitens der Regierung überwiegend eingehalten wurde, wahrend die Aufständischen ihre Angriffe intensivierten. Der Nachrichtendienst Strategic Forecast schreibt da-
zu (15.06.2012): »Zahlreiche neue Berichte weisen darauf hin, dass die syrischen Rebellen den Waffenstillstand vom 12. April als eine Gelegenheit benutzt haben, sich neu zu formieren und neu zu bewaffnen […] Die Waffen wurden mutmaßlich über die Türkei, Libanon und Irak geliefert, hauptsächlich von Zulieferern aus Saudi-Arabien und Katar. Aufgrund der besser ausgestatteten und bewaffneten Rebellen, die ent-
schlossen sind, das Regime zu vernichten, scheint das Feld für eine Intensivierung des Konfliktes bereitet«. Leider deutet vieles darauf hin, dass es wenig Interesse des Westens gibt, eine friedvolle progressive Opposition in Syrien zu unterstützen, sondern dass andere Aspekte wie die Tatsache, dass Assad wichtigster Verbündeter des Iran ist, im Vordergrund stehen. Sabine Lösing
Hintergrund: Syrien Syrien ist Nachbarstaat Israels und Jordaniens, des Libanons, der Türkei und des Irak. Auf einer Fläche, die etwa halb so groß ist wie die Bundesrepublik, beherbergt das Land etwa 20 Millionen Menschen. Hinter Regierungschef Baschar al-Assad steht eine faktische Einparteienregierung, da die panarabische, sakuläre und sich selbst als sozialistisch bezeichnende BaathPartei das politische System dominiert. Seit Herbst 2011 herrscht infolge des »Arabischen Frühlings« Bürgerkrieg in Syrien, der bislang zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert hat und weltweit großes Medieninteresse findet. dessen Feinde. Ein besonders entfesselter, möglicherweise aber auch nur grenzdebiler Kommentator einer österreichischen Zeitung malte das Gespenst des Bolschewismus, Stalins, der Mauer und der Stasi an die Wand, um die Griechinnen und Griechen noch schnell ins europäische Flucht-Boot zu bekommen. Es ging offensichtlich ein Gespenst um in Griechenland und Europa. Das Gespenst der Demokratie, das Gespenst der Volksherrschaft, verleumdet als Gespenst des Kommunismus. »Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet.« Mehr als »haltet den Dieb« war das aber alles nicht: Wer droht denn, Europa und den Euro endgültig in den Abgrund zu schicken, und hat Griechenland schon vorausgeschickt? Da waren und sind keine Linken zu sehen. Es sei denn, man hält Sarkozy und Merkel für solche? Diese Art von Politikerinnen und Politikern und die mit ihnen verbündeten Superreichen in ganz Eu-
ropa sind die Diebe. Sie haben den Völkern und den Griechinnen und Griechen zumal ihren wohlverdienten Wohlstand geraubt; durch Niedriglohn, durch Militarisierung der Union, durch Spardiktate, durch Steuerhinterziehung, durch
aber in Stellung gebracht. Sie waren zuvor schon die Hirten der Böcke, die dafür sorgten, dass vornehmlich deutsche Exporteure, einheimische Großkapitalisten und international agierendes Finanzkapital das Land kahlfressen konnten und jetzt, wo sie das Heu rein haben, frisches Gras fordern. »Börsen reagieren erleichtert«, meldet die LVZ am 18. Juni. Der österreichische Standard registriert: »Märkte schnaufen nach Griechenland-Wahl durch«. Der inkompetenteste Außenminister, den Deutschland je hatte, dieser Herr Westerwelle spricht aber noch am Wahlabend vom »gesunden Menschenverstand«. Wie viel Ahnung hat der denn davon? Ahnung hat er von kaum etwas. Verstand hat er wohl auch nur wenig. Vielmehr hatte er Angst! Angst vor den Börsen, Banken und Spekulanten. Die haben längst ihre Herrschaft über die Politik etabliert. Für die Völker jedoch hat man hierzulande und überall anderswo in Europa dem Kapital liebdienernde Medien
Haltet den Dieb! den hohen Preis für eine Abschottung gegen Menschen in Not. Und nicht nur das: Sie sind dabei die Vielfalt europäischer Kultur zu zerstören. Dennoch, sie haben einen kleinen Erfolg für sich bei den Wahlen in Griechenland verbuchen können. Es ist noch einmal gelungen, im bereits weitgehend verödeten Griechenland, den Bock zum Gärtner zu machen. »Pro-Europäer in Griechenland vorn«, springt es uns auch aus Zeitungen in Leipzig und Dresden an. Ich schreibe diese Zeilen am Tag nach der Wahl. Noch ist heute ungewiss, was die Parteien aus dem Wahlergebnis machen werden. NeoDemokratia und Pasok sind
und eine aufgerüstete Polizei. Wahlen, Meinungsfreiheit, Demonstrationsrecht hingegen verleumdet man bei Gefahr für das große Geld immer mehr als kontraproduktiv. Für dessen Wohlergehen in der weiten Welt empfiehlt der Bundespräsident die Bundeswehr inclusive Heldentod. Glück aber wird zum Suchtgift degradiert. Die Märkte haben »durchgeschnauft«, den einfachen Menschen nimmt man die Luft zum Atmen. Ob Griechenland wenigstens im Fußball Deutschland eine Lektion erteilen kann, weiß ich zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Glosse auch noch nicht. Es würde realiter nicht viel helfen. Der Mut und die Zuversicht jener Griechinnen und Griechen, die mit der Wahl von Tsipras die »Mächte des alten Europa« in Angst und Schrecken versetzten, wird jedoch nicht verpuffen. »Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch an die Sonnen« - nicht nur in Griechenland und in Frankreich. Peter Porsch
Hintergrund
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Schwierigkeiten beim Erfahren der Wahrheit Manchmal hat man selbst als sächsischer Innenminister einen richtig guten Tag. Niemand, der einem Vorwürfe wegen der Mängel in der eigenen Amtsführung macht, niemand, der über die Ausdünnung der Polizeipräsenz schimpft, niemand, der über das Behördenkarussell klagt, niemand, der die Schwächen des Landesentwicklungsplans moniert, niemand, der einmal mehr Vorwürfe wegen der chronischen Unterfinanzierung der Kommunen erhebt. An einem solchen guten Tag weilt Innenminister Markus Ulbig fernab von Dresden in der Provinz, wo man seine Anwesenheit noch zu schätzen weiß. Zum Beispiel dann, wenn er in Rötha eine Fördermittelzusage von 500.000 Euro gibt. Für den Abriss einer Schweinemastanlage. Oder wenn er sich in Zwenkau beim Start der deutschen Meisterschaften im Radfahren präsentiert. Solch ein seltener Tag wird dann besonders gut, wenn man durch diese dienstlichen Verpflichtungen unangenehmen Aufgaben in der Landeshauptstadt entgehen kann. Der 22. Juni war ein solcher Tag. Ein strahlender Innenminister war auf Reisen und ließ sich fotografieren. Gleichzeitig wurde Staatssekre-
tär Michael Wilhelm bei der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) für den sächsischen Geheimdienst die Kritik des Gremiums gebündelt um die Ohren gehauen. Nicht einmal mehr auf die eigenen Leute konnte er sich verlassen. Dass die beiden Oppositionsvertreter, André Hahn und Kerstin Köditz von der LINKEN, ständig etwas herumzumäkeln haben, war er ja schon gewohnt. Aber jetzt auch noch die eigenen Leute! Das, was Ausschussvorsitzender Prof. Dr. Günther Schneider vorlegte, war schon eine Katastrophe. Der LINKEN ging selbst das noch nicht weit genug. Entsprechend das Medienecho. »Die sollen endlich arbeiten«, so die Forderung von Kerstin Köditz in die Mikrofone. Zwar blieb der SuperGAU aus, denn das Gremium stellte fest, die Schlapphüte hätten »dem Trio zu keinem Zeitpunkt irgendeine Unterstützung geleistet«. Weder direkt, noch indirekt. Das war aber auch schon alles an positiven Mitteilungen. Wenn eine PKK feststellt, dass die Analysefähigkeit des Geheimdienstes zu wünschen übrig lässt und man dafür »qualitativ hochwertig ausgebildete Mitarbeiter, insbesondere auch für Netzwerkanalysen« brau-
che und das »Referat Rechtsextremismus (Auswertung) stärker auf Analyse hin ausgerichtet werden« müsse, dann ist das eigentlich ein vernichtendes Urteil. Anders ausgedrückt: »Die sollen endlich arbeiten«. Wenn man die Wahrheit darüber erfahren will, was jemand getan hat, dann reicht es eben nicht, zu wissen, was jemand unterlassen hat. Wen hat er vielleicht mit dieser Handlung beauftragt? Damit ist man sofort bei den unsäglichen V-Leuten, die den Geheimdiensten zur Informationsbeschaffung dienen. Und manchmal eben auch zu mehr. Wie kann man sich der Wahrheit auch nur annähern, wenn – wie im Bericht der PKK – diese Spitzel in keiner Weise problematisiert werden? Zur Klarstellung: es handelt sich um Nazis, die für Geld und/ oder andere Leistungen wie dem Schutz vor Strafverfolgung richtige oder unvollständige oder auch falsche Informationen über andere Nazis liefern. Im spezifischen sächsischen Fall verhielt es sich so, dass der so genannte Verfassungsschutz das direkte Umfeld des NSU zwar kannte, aber nicht so einordnete. Er beobachtete sie nicht, sondern er wollte sie als V-Leute gewinnen. Gleich sieben solcher Neonazis wurden ange-
sprochen. Alle lehnten ab. Wie soll man die Wahrheit erfahren und dann für Schlussfolgerungen aufschreiben, wenn zum Schutze dieser Spitzel das Wissen nicht verwertet werden darf? Was, wenn die Spitzel feixend ihre privilegierte Stellung nutzen, um die V-Mann-Führer vor allem an der Nase herumzuführen und ein ganz eigenes Spiel zu spielen? Genau das spielte sich auch im Freistaat ab. Und genau das wurde in dem Bericht ausgespart. Carsten S. aus Brandenburg, Deckname »Piato«, verurteilt wegen Beteiligung an einem versuchten Mord, bereits Anfang der neunziger Jahre verwickelt in terroristische Aktivitäten und nach seiner Haftentlassung aktiv bei »Blood + Honour« und dessen militantem Arm »Combat 18« sowie bei der NPD, war VMann des »Verfassungsschutzes«. Von 1994 bis zu seiner Enttarnung im Sommer 2000. 1998 hielt er sich längere Zeit in Chemnitz auf. Sein dortiger reger Telefon- und SMSKontakt zum sächsischen »Blood + Honour«-Führer Jan W. ist dokumentiert. Daraus wird u. a. deutlich, dass »Piato« seinem Gesprächspartner damals versprach, ihm Waffen zu besorgen. Sie waren für die drei Nazis aus Je-
2. Linke Sommerakademie Sachsen schafft Verbindung Der diese Zeitung tragende Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. veranstaltet nach dem großen Erfolg vom letzten Jahr die 2. Linke Sommerakademie vom 6. bis 8. Juli 2012 in Krögis bei Meißen. Im Mittelpunkt steht das Thema Kommunikation und damit verbunden die Weiterbildungen und Qualifikation derer, die sich in linken Strukturen und Zusammenhängen engagieren oder dies vorhaben. In erster Linie geht es um Fähigkeitsvermittlung, wie man
sich in Parteien, Vereinen, Initiativen und/oder Bündnissen sinnvoll einbringen kann. Während der Sommerakademie gibt es neben qualitativ hochwertigen Seminaren auch genügend Raum, um sich gegenseitig zu vernetzen, miteinander zu diskutieren und einander zuzuhören. UnterstützerInnen sind die Rosa-Luxemburg-Stiftung, DIE LINKE. Sachsen, Bereich politische Bildung der LINKEN und Abgeordnete der Fraktion im DIE LINKE im Sächsischen
Landtag. Weitere Informationen über gebotene Inhalte, Anmeldung und Preise unter www.linke-bildung-kultur.de Natürlich kann sich aber auch direkt bei uns, dem ausrichtenden Verein Linke Bildung & Kultur für Sachsen per Mail sommerakademie@linke-bildung-kultur.de oder telefonisch 0351 84389773 angemeldet werden. Der TeilnehmerInnenbeitrag liegt bei 35 Euro für Delegierte aus Organisationen, ohne Delegierung kostet es 95 Euro.
na gedacht. Der Vorgang hatte keine Konsequenzen. Dem Geheimdienst war es wieder einmal wichtiger, seine Quelle zu schützen als die Bürgerinnen und Bürger. Ein Bericht, der solche Vorgänge ausspart, gibt bestenfalls eine Teilwahrheit wieder. Natürlich braucht eine funktionierende Demokratie überhaupt keinen Inlandsgeheimdienst. Die Abschaffung des Landesamtes für Verfassungsschutz war und ist eine richtige Forderung. Es ist eine unbequeme Wahrheit, dass sie gegenwärtig nicht umsetzbar ist. Aber natürlich ist es trotzdem wahr, dass es bereits heute Alternativen gäbe – die Gründung offen und öffentlich arbeitender wissenschaftlicher Institute beispielsweise, die unabhängig sind von der regierungsamtlichen Extremismusdoktrin. Oder die umfassende unabhängige externe Evaluierung und Tiefenanalyse des Landesamtes. Doch machen wir uns nichts vor: Wir werden einen Geheimdienst nicht zwingen können, die Wahrheit zu sagen. Aber wir können ihn dazu zwingen, immer dreister zu lügen. Bis es auch der letzte merkt. Sogar Minister Ulbig, wenn er aus der Provinz zurück in Dresden ist. Volkmar Wölk
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Der neue russische Faschismus – ein Phönix aus der Asche? Neofaschismus und extremer Nationalismus in Russland und ihre historischen Wurzeln Es passt nicht zusammen: Die sozialistische Sowjetunion, die mit ihren Verbündeten die faschistische Weltallianz zerschlug und Osteuropa von deutscher Naziokkupation befreite – deren Nachfolgestaat Russland soll zu Ländern wie Deutschland, Italien oder Frankreich gehören, in denen der Faschismus heute zu einer realen Gefahr geworden ist? Der Schoß, aus dem das faschistische Verbrechersystem kroch, das 50 Millionen Menschen den Tod brachte, davon 27 Millionen Sowjetbürgern, ist trotz alledem »fruchtbar noch«, auch auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR, vor allem in Russland, in der Ukraine und im Baltikum. In Leningrad kam während der nazideutschen Wehrmachtsblockade eine Dreiviertelmillion Menschen um. 57 Jahre später fand hier das Festival »Botschaft an die Völker« statt. Ehrengast war die 99-jahrige Leni Riefenstahl, die ihre Filme »Triumph des Willens« und »Fest der Volker« (Olympiade) vorstellte. Russische Medien waren des Lobes voll: Man lebe in Russland nun endlich in einer freien und toleranten Gesellschaft, die Freiheit müsse man auch den russischen Neofaschisten einräumen. Kurz danach wurde in Jekaterinburg/Swerdlowsk, dem einstigen Herrschaftsbereich des damaligen Gebietssekretärs Boris Jelzin bis zu seinem Aufstieg in das Politbüro der KPdSU, auch der Film über den NSDAP-Parteitag 1934 auf einem »faschistischen Abend« gezeigt. Russische Mädchen in SS-Uniform überreichten den Besuchern eine Armbinde mit Hakenkreuz. Anschließend wurden Exemplare von Hitlers »Mein Kampf« und NSDAP-Parteizeichen versteigert. Nach Angaben des Moskauer Analyse- und Informationszentrums SOWA/EULE gibt es gegenwärtig in Russland (142 Mio. Einwohner) ein Dutzend neofaschistische und extrem nationalistische Parteien mit weit über 70 000 Mitgliedern: unter anderem die Bewegung Alexander Barkasovs,
Alexej Navalnyi am 24. Dezember 2011: »Wenn wir wollten, könnten wir den Kreml und das Weiße Haus stürmen.« Bild: Wikimedia Bogomolov.PL
die Völkische Nationalpartei, die Bewegung gegen illegale Immigranten DPNI (2011 Verbotsverfahren eingeleitet), die Partei der Freiheit (Juri Beljajev), die Nationalistische Gemeinschaft (Dmitrij Rumjancev, seit 2012 verboten), die Nationalbolschewistische Partei (Eduard Limonov, seit Verbot 2005 unter dem Dach der Antiputin- Opposition Das Andere Russland) und die Russische NationalSozialistische Gemeinschaft (seit 2000 Bewegung Russische Aktion). Präsident Putin erließ 2002 die Föderationsgesetze Nr. 112-F3 (»Verfolgung extremistischer Organisationen«) und Nr. 114-F3 (Widerstand gegen extremistische Tätigkeit«). Dass Verbote allein nicht ausreichen, verdeutlicht das Ausmaß der kriminellen Verbrechen der
extremen Rechten in Russland seitdem: Allein von Januar 2004 bis April 2009 töteten neofaschistische Gewalttäter in allen Gebieten Russlands 588 Menschen, über 2 000 Personen wurden schwer verletzt. Die extreme (einschließlich neofaschistische) Rechte ist inzwischen Teil der Opposition gegen Putin geworden. Dem Organisationskomitee der Anti-Putin-Front gehören Vertreter der DPNI und der im März 2010 gegründeten, im gesamten neofaschistischen Spektrum verankerten Nationaldemokratischen Allianz an. Im Vorfeld der Duma-Wahlen 2011 profilierte sich einer der schärfsten Gegner Putins, der Blogger und Anwalt Alexej Navalnyi als maßgeblicher Wortführer der sogenannten antikaukasischen Kampagne auf der Moskauer Kundgebung
der 5 000 völkischen Faschisten (»Russischer Marsch«). Am 24. Dezember 2011 fragte der Führer der rechtsextremen DPNI, Aleksander Belov, auf einer Großkundgebung: »Wollt ihr Alexej Navalnyi als Prasidenten?« Da erschien dieser neue »Messias« der extremen Rechten und erklärte: »Wozu brauchen wir Parteien? Wir sind selbst die Partei, wir, die hier Versammelten. Wenn wir wollten, könnten wir den Kreml und das Weiße Haus stürmen.« Warum konnten im Rahmen des politischen Pluralismus auch neofaschistische und extrem nationalistische Parteien in diesem territorial größten Land der Erde entstehen, das unter dem Krieg und der Okkupation Nazideutschlands so große Opfer brachte? Die Transformation des sowjetischen Staatssozialismus
in den neoliberalen Kapitalismus seit 1990 ist eine Voraussetzung dafür. Politische und ideologische Träger faschistischer und extrem nationalistischer Ideologien waren aber nicht nur russische Emigranten in den USA, Asiens und Europas nach 1917 beziehungsweise Dissidenten im eigenen Lande, sondern auch in einer ideologischen Strömung der Parteinomenklatura, der sogenannten Russischen Fraktion innerhalb des ZK der KPdSU und des Komsomol. Ende der 70er Jahre entstanden in der UdSSR russisch-patriotische Gruppen, die sich um die Restauration historischer Baudenkmale und Kirchen kümmerten, nationalrussische Traditionen pflegten. Schon 1982 gaben sie sich den Namen »Pamjat« (Gedächtnis). Dieses Gedächtnis wurde mit Gorbatschows Glasnost 1986 zur einflussreichen antisemitischen, chauvinistischen, bald auch antikommunistischen Sammelbewegung »Patriotische Vereinigung Pamjat«, der Mutterorganisation der meisten neofaschistischen Parteien. Diese beziehen sich auf das Erbe der Zarenmonarchie, der Hegemonie der RussischOrthodoxen Kirche, besonders auf die Konterrevolutionären Schwarzhunderter, die erste völkisch-klerikale Bewegung (1905-1917: 420 000 Mitglieder, u. a. Bund des Russischen Volkes). Mehr noch – die Neofaschisten sehen sich als Erben der in der russischen Emigration seit 1920 wirkenden Organisationen, wie die in der Mandschurei/ Mandschuko (150 000 Emigranten, 1931 Russische Faschistische Partei mit 6 000 bzw. seit 1934 Allrussische Faschistische Partei mit 20 000 Mitgliedern), in den USA (Allrussische Faschistische Organisation – 2 000 Mitglieder), in Deutschland (50 000 Emigranten, 1933 Russische Völkische Befreiungsbewegung – 2 000 Mitglieder, seit 1935 Russische Nationale und Soziale Bewegung) oder der Völkische Arbeitsbund (mit Filialen in Frankreich, Deutschland und auf dem Balkan). Die faschistischen Emigrantenorganisationen unterstützten als Kollaborateure politisch und militärisch den antikommunistischen Kreuzzug Nazideutschlands und der japanischen Militaristen im Zweiten Weltkrieg. Karl-Heinz Gräfe
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Ein Blick zurück, zwei nach vorn Betrachtungen zum Göttinger Parteitag der LINKEN Vor dem Göttinger Parteitag war in der LINKEN oft die Rede von mehreren Zügen, die aufeinander zu rasen. Die Partei befand (und befindet) sich in einer tiefen Krise. Viele Genossinnen und Genossen mögen sich zähneknirschend an Wolf Biermanns »Der rote Stein der Weisen« erinnert haben: »Wir haben wie blödes Federvieh/ mit rotem Kamm und Kikeriki/ zum Gaudi für die Bourgeoisie/ uns oft genug zerschunden«. Obwohl der Parteitag alles andere als eine entspannte oder gar euphorische Veranstaltung war, haben sich die schlimmsten Befürchtungen nicht bestätigt. Die Spaltung ist ausgeblieben, Konfliktlagen waren zwar spürbar, wirkten aber nicht lähmend. Der Umgang untereinander war respektvoll, wenn man vom höchst unsensiblen Verhalten einiger westdeutscher Delegierter nach der NichtWahl von Dietmar Bartsch absieht. Bei den Wahlen gelang den Delegierten insgesamt ein personeller Neuanfang abseits der alten Konfliktlinien. Alle Lager mussten akzeptieren, dass sie sich nicht vollkommen durchsetzen konnten, und sie haben das auch getan. Das neue Führungsduo kann nur erfolgreich sein, wenn es von der gesamten Basis aktiv unterstützt wird. Es gelingt den LINKEN langsam wieder, in die Offensive zu kommen. So machten die beiden Vorsitzenden Kipping und Riexinger kürzlich mit radikalen Vorschlägen zur Besteu-
erung hoher Einkommen von sich reden. Die Umfragewerte sind zwar nach wie vor im Keller, ein kleiner Aufwärtstrend aber erkennbar. Wenn die LINKE jetzt zügig die strategisch richtigen Themen für den Bundestagswahlkampf setzt, gibt es durchaus Hoffnung. 2013 wird das Jahr der Krisenfolgen sein, und es wird viele Möglichkeiten geben, die LINKE als Anwältin der Bevölkerungsmehrheit und wirkliche Alternative zur neoliberalen Kürzungspolitik in Europa zu positionieren. Die Strategie, mit der die LINKE 2009 reüssierte, wird 2013 allerdings nicht mehr durchschlagen – schließlich ist die SPD in der Opposition, sie blinkt links, wenn sie auch nicht links abbiegen wird. Hervorzuheben, dass die LINKE die einzige wirkliche Oppositionskraft gegen die Fiskalpakt-Parteien darstellt, könnte eine tragende Säule ihres Erfolgs sein. Die LINKE sollte konsequent EUweit einheitliche Sozialstandards und Unternehmenssteuern fordern und sich für die kompromisslose Besteuerung von Krisenprofiten einsetzen. Außerdem wäre es an ihr, wirkungsvolle Strategien zu entwickeln, um die Finanzmärkte an die Kette zu legen und die EU zu demokratisieren. Vielversprechende Themen wären außerdem die Rückeroberung des Öffentlichen – Energieversorgung, Wasserversorgung, Nahverkehr sollen als Stichworte genügen –, der Kampf gegen hohe Mieten und Gentrifizie-
rung in den Städten oder die sozialen und Urheberrechtsaspekte des Internets. Hoffentlich wird es nicht notwendig sein, auch gegen eine deutsche Beteiligung an einem Krieg in Syrien oder im Iran zu mobilisieren. DIE LINKE sollte als lernende, integrierende Partei auftreten und nicht als eine, die alle Antworten schon zu geben weiß. Den eigenen Wählern und Mitgliedern sollte die Hoffnung wiedergegeben werden, dass die LINKE wirklich etwas verändern kann – die Genossenschaft TLG FairWohnen ist ein hervorragendes Beispiel. Dazu gehört im Übrigen auch der
Kampf für das Recht auf politischen Streik, das in vielen Staaten Europas selbstverständlich ist. Außerdem bietet das Internet beachtliche Möglichkeiten, um eine Graswurzelbewegung zu mobilisieren, die Veränderung zum Projekt der Menschen selbst macht – das haben Mélenchon in Frankreich und vor ihm Obama in den USA gezeigt. Vor Ort, in den Kommunen, sollte Politik von der Basis her gedacht werden und der Fokus auf der Gewinnung von Mitgliedern, nicht nur auf dem Erringen von Mandaten liegen. Denn für die Stärkung der Aktionsfähigkeit vor Ort können Mandate allenfalls eine notwendige Be-
dingung sein, keinesfalls aber eine hinreichende. DIE LINKE sollte sich ihrer Unterschiedlichkeiten bewusst werden und sie nutzen, um sich breit aufzustellen – als Volks- und als Interessenpartei, als Kümmerer- und Bewegungspartei, als lernende und fordernde Kämpferin für die Interessen der Mehrheit – realistisch und radikal, (selbst)kritisch und produktiv. Nur dann kommt der eine Zug mit der Aufschrift »DIE LINKE« unbeschadet ans Ziel – und nimmt alle mit, die sich auf die Reise hin zu einer besseren Gesellschaft machen wollen. Kevin Reißig
Die Furcht vor »seinesgleichen« Am 24. Mai 2012 wurde eine gemeinsame Entschließung der Fraktionen EVP, S&D, ALDE, Grüne/EFA und GUE/ NGL mit 430 Ja-Stimmen gegen 105 Nein- Stimmen bei 59 Enthaltungen angenommen. Im Kern fordern die Europaabgeordneten: Die EU-Mitgliedstaaten müssen im Kampf gegen Homophobie mit gutem Vorbild vorangehen, homophobe Gesetze in den Mitgliedsstaaten sind aufzuheben. Homophobe Gewalt in europäischen Ländern muss aktiv bekämpft werden. Die Mitgliedsstaaten sind aufgefordert, Überlegungen anzustellen, wie sie lesbischen, schwulen, bisexuellen und Transgender (LGBT)-Personen Zugang zu Lebensgemeinschaften, registrierten Partnerschaften oder Ehe gewähren könnten. Das Parlament verurteilt scharf je-
de Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung oder der Geschlechtsidentität und bedauert zutiefst, dass in der Europäischen Union die Grundrechte von LGBT-Personen noch nicht immer umfassend gewahrt werden. Der Beschlussfassung war eine heftige Debatte vorausgegangen, bei der die rechte Ecke des Hauses Homosexuelle als Kranke, die geheilt werden müssten, bezeichnete. »Ich finde, da mischt sich Europa ein in Sachen, die Europa gar nichts angehen«, so die CSUEuropaabgeordnete Angelika Niebler, die gegen die Resolution stimmte. Eine italienische Konservative schoss den Vogel ab und behauptete gar, dass es in Italien keine homosexuellen Paare gebe, was für Gelächter auf der linken Seite des Parlamentes sorgte.
Gegen die konservative Seite des Parlamentes sprach sich die Mehrheit für die gleiche Anerkennung von homosexuellen Lebensgemeinschaften und Ehen aus. Obwohl diese Resolution noch nicht einmal legislativ verbindlich ist, überschlugen sich die Reaktionen. Zahlreiche Kirchenvertreter und Konservative lehnen die Resolution des EU-Parlaments gegen Homophobie öffentlich ab. Dabei ist die Situation vieler Homosexueller in Europa haarsträubend. Nicht nur in Polens Fußballnationalelf will man Schwule lieber nicht sehen. Neuerdings gibt es Demonstrationen von Konservativen in Madrid und Warschau gegen die Homo-Ehe. Polizeiübergriffe auf Schwulenparaden und das Zulassen neonazistischer Überfalle auf solche Paraden im Beisein der Polizei,
wie in Budapest, prägen den Alltag. Offene Diskriminierung von Schwulen, Lesben, Transgender und anderen ist in Lettland Verfassungsrecht. Bis heute geht die offizielle Politik in Polen davon aus, dass die polnische Gesellschaft vor homosexueller Verunreinigung geschützt werden müsse. Die Liste der Vorfälle ist unendlich. Obwohl eine EU-Richtlinie die Nationalstaaten dazu verpflichtet, Homosexuelle gegen Diskriminierung in der Arbeitswelt zu schützen, ist deren Umsetzung in nationales Recht sehr unterschiedlich. Während Länder wie Belgien, Großbritannien, Dänemark, Frankreich, Deutschland und Spanien Vereinigungen homosexueller Menschen aus rechtlicher Sicht ermöglichen, sind andere EU-Mitglieder weit davon entfernt. Die weit verbrei-
tete Homophobie – ein Begriff, der erst seit Ende der 60er Jahre existiert und die irrationale Furcht vor der Relativierung von Werten und die Furcht »vor seinesgleichen« beinhaltet – lässt sich nur durch konsequente Gegenöffentlichkeit zurückweisen. Homophobie ist im Kern Menschenfeindlichkeit und muss als solche entschieden bekämpft werden. Es gibt nicht nur in vielen Mitgliedsstaaten enormen Nachholbedarf zur Abschaffung diskriminierender Regelungen. Auch in Deutschland wird unsinnigerweise noch zwischen eingetragenen Partnerschaften und Ehe unterschieden. Vor allem aber muss sich in den Köpfen der Menschen Einiges andern. Das Leben ist Vielfalt, davor muss man sich nicht fürchten. Cornelia Ernst
Juli-August 2012
Sachsens Linke
Einen Rückblick auf den Göttinger Parteitag bieten Jochen Mattern, Ralf Becker und Michael Leutert auf den Seiten 3 und 4. Der neugewählte geschäftsführende Parteivorstand wird auf Seite 5 vorgestellt. Was bringt es Sachsen, dass die TU Dresden einzige Exzellenzuni im Osten ist,
fragt Prof. Dr. Gerhard Besier auf Seite 6. Die gewendete Energiewende. Wo liegen die Konflikte, stellt Andreas Naumann auf Seite 7 dar. Im zweiten Teil der Serie über Wohnen in
Bildungspolitik
in einer Die Leitlinien iwerden mm er publiziert. So im e ab usg era nd So
Was heißt »gutes Leben«?
Das »gute Leben«, in dem man sich wohlfühlt, braucht zum Beginn eine Portion Glück mit den Eltern. Die Eltern können Verständnis für ihre Kinder haben. Dann verbieten sie ihnen nicht, ihre kindlichen Fragen zu stellen. Die Kinder bewahren ihre kindliche Neugier, und nicht verbogen wird ihnen ihr Rückgrat. Deshalb werden sie auch ihren eigenen Kindern das Rückgrat nicht verbiegen. Das ist Glück hoch zwei. Und alle werden sie in ihrem Berufe rebellieren. Ich kann bezeugen: Das ist interessant. In meinem Beruf habe ich oft rebelliert, weil ich erkannte, was nottut. Noch heute habe ich interessante Arbeit, als Rentner. Mitstreiter aus Bürger-Initiativen rufen bei mir an. Auch Kollegen von früher rufen bei mir an, sie erinnern sich unserer gemeinsamen Arbeit für unsere Mitmenschen. Solidarität gehört zum »guten Leben«. Und eine intakte Natur gehört dazu. Ich weiß, wie gelb der Ginster und wie blau die Kornblume blüht und wie sich der Ahorn färbt im Frühjahr und im Herbst. Mein Glück möchte ich anderen Menschen mitteilen, das gehört zu meinem Glück. Bündig und kurz: »Die Materie lacht in poetisch-sinnlichem Glänze den ganzen Menschen an«. So hat es ein Philosoph ausgedrückt, mit Vornamen Karl. Aber kaufen, kaufen, kaufen, um nichts als Gegenstände zu haben? Der Philosoph mit dem Nachnamen Marx hatte das verworfen: »An die Stelle aller physischen und geistigen Sinne ist [...] der Sinn des Habens getreten«. Das nannte er Entfremdung des Menschen von sich selber. Nun höre ich von erwachsenen Leuten: Ja, das »gute Le-
ben«, aber wir leben ja im Neoliberalismus, da kann jeder machen, was er will, und wenn er eben einen Porsche haben will, dann muss er ihn auch haben. Aus dem Haben an Sachen wird leicht ein Haben von Macht. In der Zeit der Französischen Revolution, als der Liberalismus,
d e r Kapitalis mus, noch unschuldig war, als seine freiheitsliebenden Philosophen die Welt neu zu sehen lernten, hatte Immanuel Kant geschrieben: »Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne«. Ein paar Jahrzehnte später war der Kapitalismus mit seiner Industrie schon weit fortgeschritten. Da hat Karl Marx das Prinzip von Immanuel Kant fortgeschrieben, nämlich so: »Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer
der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und sie haben sie als boni patres familias den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen«. Nun werden wir unseren Mitbürgern, den Nutznießern der Erde, nicht die Pistole auf die Brust setzen, wie man das
im Krimi sieht. Aber im Sinne von Immanuel Kant sind wir verpflichtet, ihnen ins Gewissen zu reden: Wir haben als boni patres familias, als Väter und Mütter unseren Nachkommen, die Erde verbessert zu hinterlassen. Das heißt Einschnitte zu machen an den bisherigen Formen des Wachstums. Wie viel Benzin darf ein Auto verbrauchen? Wie oft dürfen wir ein Flugzeug benutzen? Können wir zulassen, dass jeder Haushalt zwei Kilo Papier pro Woche ins Haus bekommt, die zum Kauf von immer mehr Sachgütern aufhetzen? Können wir da einfach nur sagen: Jeder Mitbürger möge unter
Sachsen beschäftigen sich Enrio Stange und Tilo Wirtz mit der Dresdner WOBA. Und auf der Europaseite stellt Dr. Cornelia Ernst die Kampagne zur Regionalförderung vor.
»gutem Leben« verstehen, was er will? Wir können viel Genuss gewinnen. Wir brauchen nur zu unterscheiden zwischen Reichtum im Sinne der Kapitalgesellschaft, dem KapitaloReichtum, und andererseits dem menschlichen Reichtum, mit dem jeder glücklich sein kann, falls er versteht, seinen Kopf zu gebrauchen in menschlich-sittlichem Sinne. In diesem Sinne wird von Oskar Negt ein Dreisprung vorgeführt: Freiheit kann nur gedeihen, wenn jeder seinen Kopf gebrauchen kann. Jeder kann nur dann seinen Kopf gebrauchen, wenn ihm »ein hohes Maß von Wissen zur Ver fügung steht«. Und Wissen heißt, die Folgen des eigenen Handelns oder Zögerns beurteilen zu können. Das entspricht den Freiheitsauffassungen von Hegel, Marx und Engels. Da sieht es nicht gut aus mit der Freiheit in der Bundesrepublik, denn hier wird fast alles den betriebswirtschaftlichen Zwängen unterworfen. Dann heißt es gar noch, das wäre »alternativlos«. Neugier, Verstehen und Begreifen, Lernen und Wissen kann zum Genuss werden, beginnend in Familien und Kindertagesstätten. Statt eine Menge zu haben, gewinnen Menschen an Fähigkeit, die Welt zu genießen. Damit alle Menschen die Fähigkeit dazu erwerben, brauchen wir beträchtliches Wachstum der Staatsausgaben für Bildung und Fortbildung. Dann gewinnen wir auch Millionen Mitbürger für die ökologische Transformation. Wir haben eine menschliche Welt zu gewinnen. Rainer Thiel Bild: sualk61@flickr
Wahlkampfbeginn!
Darf ein Polizeipräsident Oberbürgermeister von Leipzig werden? Klar, darf er, nur ich will das nicht: Erstens ist er von der CDU aufgestellt worden. Auch wenn ich mich freue, dass es der CDU Leipzig gelungen ist, überhaupt einen Kandidaten für das höchste Amt in dieser über die Landesgrenzen von Sachsen hinaus wichtigen Stadt zu finden. Zweitens: Ob ein »Ordnungspolitiker« guter Bürgerpolitiker mit breiter Themenpalette für eine weltoffene Großstadt wie Leipzig sein wird, darf mit Recht bezweifelt werden. Drittens: Bei allem Populismus, den Herr Wawrzynski seit jeher an den Tag legt, sollte er ein paar Grundregeln beachten. De facto macht Leipzigs Polizeipräsident ja schon seit einem Jahr Wahlkampf. Erst Anfang März habe ich ihn aufgefordert: »Wenn Herr Wawrzynski Wahlkampf machen will, soll er seine Uniform ausziehen und sich selbst zur Wahl stellen.« Nun stellt er sich tatsächlich zur Wahl, also möge sich Leipzigs Polizeipräsident mit sofortiger Wirkung beurlauben lassen. Es kann nämlich nicht sein, dass er einerseits an Beratungen mit der Stadt zur Kriminalitätsprävention teilnimmt und andererseits mit Hilfe seines zur Neutralität verpflichteten Amtes Politik gegen die Stadtverwaltung macht. Viertens hat er als Polizeipräsident jetzt schon versagt, so hat er bereits im Februar einräumen müssen, dass seine polizeiliche Strategie zur Bekämpfung der Drogenkriminalität in Leipzig gescheitert
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Meinungen Heinz Bilau aus Leipzig zu „Pfarrer Gnadenlos ist Präsident“ (LINKS! 4/2012, Seite 4) Wogegen ich mich entschieden ausspreche, ist der immer wiederkehrende Versuch uns in die Büßerrolle zu drängen. Nicht nur wer in der DDR Verbrechen beging, muss mit rechtstaatlichen Mitteln bestraft werden, sondern selbstredend gilt das auch für die alte BRD genauso. Ich denke an die Kommunistenverfolgung, an das Verbot der KPD, an die Alleinvertretungsanmaßung u. u. u. Die Vergangenheit der BRD hat gewiss nicht weniger Makel, als die der DDR. Allein schon die Rolle der Nazis in der Justiz, der Bundeswehr, in der Volksbildung usw. – wo ist diese Aufarbeitung geblieben? Diese – von der PDS/DIE LINKE bisher fast widerspruchslose Einseitigkeit – verfestigt immer mehr die durch keine Tatsachen beschriebene Behauptung, die DDR sei ein Staat des Unrechts gewesen. Verfolgung von Unrecht – ja, aber ohne wenn und aber das
der in beiden deutschen Nachkriegsstaaten begangenen. Der Faschismus ist eine Ausgeburt, eine Abart des Kapitalismus. Den Versuchen, ihn in die Nähe des Realsozialismus zu rücken, muss entschiedener begegnet werden. Faschistoiden Neuanfängen muss Einhalt geboten werden. Kein DDR-Bürger hat Gründe, den Bürgern der BRD demütig zu begegnen. Diese Gleichberechtigung gehört zum Prozess der Einheit. Wir sind keine Bittsteller, wir fordern Gleichberechtigung vor den Leistungen der DDR und seiner Bürger. »Aufarbeiten« können wir dann gemeinsam. Steffi Müller aus WilkauHaßlau : Wir müssen wieder gesehen werden! Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen haben gezeigt, dass unsere Partei nicht mehr im Fokus der Wähler steht und in den Medien nur Aufmerksamkeit durch Personaldebatten oder sinkende Umfragewerte erfährt.
Seite 2 Diese Entwicklungen, langfristig schon absehbar, waren uns Anlass zu Überlegungen zur Verbesserung unserer Basisarbeit, um wieder gestärkt in den Bundestagswahlkampf 2013 vor Ort zu gehen. Die Basisgruppe Wilkau-Haßlau will daher regelmäßig mit ausgewählten Themen (alle zwei Monate) in die Öffentlichkeit gehen. Als geeignete Form sehen wie hier nach wie vor InfoStände an gut frequentierten Orten an. Wir haben uns gesagt, probieren wir es einfach und haben unseren Stand Sonnabend früh von 7.00 bis 9.00 Uhr vor einer örtlichen Bäckerei aufgebaut und siehe, es hat funktioniert. Das sollte auch andere Basisorganisationen ermutigen, es ebenso zu tun. Es geht auch in der kleinsten Kommune bzw. in Ortsteilen, wie wir festgestellt haben. Solche Aktionen regelmäßig zu tun, soll uns auch von anderen Parteien abheben, die sich eben nur in Zeiten von Wahlkämpfen sehen lassen. Wir wollen so eine Partei »zum Anfassen« bleiben und nicht nur eine Wahlpartei. Materialien für unsere Arbeit haben wir uns in den Kreis-, Landes- und über die Bundesgeschäftstelle besorgt.
Kolumne
Dümmste Party der Welt Von Uwe Schaarschmidt Wer im Jahre 2012 die FußballEM gewinnen wird, stand bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht fest. Um so fester jedoch stand schon vor Beginn der EM der Verlierer des Spektakels: der Fußball. Es ist schier unglaublich, wer sich mittlerweile an der Popularität dieses Sports so alles bedient: Militante Tierschützer, kalte Krieger, die auf 1990 hängen geblieben sind, postsowjetische Mafia-Banden, Erdgas-Oligarchen und selbstverständlich darf die politische Klasse Deutschlands nicht fehlen. Letzteres ist allerdings nix Neues. Der deutsche Fußball ist 1954 durch die deutsche Politik von der sportlichen auf die politische Ebene gezerrt worden. „Wir sind wieder wer“ war ein zutiefst politischer Satz, in jenem geteilten, von fremden Armeen besetzten Land. Aus dieser Rolle hat der Fußball in Deutschland nie wieder heraus-
Solidarität und kapitalistische Marktwirtschaft Marx entschlüsselte den Doppelcharakter der Ware und der Waren produzierenden Arbeit in der kapitalistischen Marktwirtschaft. Damit war der Zugang gefunden für das Wertgesetz, nach welchen auch der Wert der Ware Arbeitskraft bestimmt wird und da diese mehr Wert erzeugt als sie selbst Wert ist auch die Quelle des Mehrwerts. Der Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit wird daraus abgeleitet. Die Ausbeutung so zeigt es sich ist keine moralische Kategorie, sondern ein ökonomisches Muss der kapitalistischen Produktion. Solidarisch ist der Kapitalist nur indem er die Arbeitskraft ankauft und dem Arbeiter den Lohn zahlt, der notwendig ist um dessen Arbeitskraft nach dem täglichen Verschleiß wieder herzustellen. Eigentlich ist dies nur ein Zwangsverhältnis. Da der Produzent ihm auf dem Markt auch als Konsument entgegentritt, müsste die Gesamt-
Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der Linken in Sachsen Herausgeber: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden
heit der Preise der gesamtwirtschaftlichen zahlungsfähigen Nachfrage entsprechen, macht sie aber nicht. Die Profitorientierung der Kapitalistenklasse lässt dies nicht zu. Die Marktwirtschaft im Kapitalismus polarisiert Reichtum und Armut, sie wird nicht mehr den dringendsten Bedürfnissen der Menschen gerecht. Marktwirtschaft muss zwingend notwendig anders funktionieren, aber wie? Ansätze dafür finden wir in unserem Parteiprogramm. In diesem wird auf den Ausbau von Formen solidarischer Selbsthilfe hingewiesen, die sich am Bedarf und an den Potenzialen, sprich Möglichkeiten der Menschen orientieren, also was man braucht und was man kann. Die Voraussetzungen dafür sind das Gemeineigentum und die Gleichberechtigung aller am Produktionsprozess beteiligten. Wenn sich diese in Statuten von Genossenschaften wieder finden lassen, kann man von solidarischen Bezie-
hungen sprechen. Es ist also innerhalb einer sozialen Gemeinschaft möglich, den Systemdefekt des Kapitalismus, die Profitorientierung unter Missachtung des gesamtgesellschaftlichen Bedarfs, sehr begrenzt aufzuheben. Sehr begrenzt deshalb, da ja diese sozialen Gemeinschaften von den übergeordneten kapitalistischen Wirtschaftskreisläufen abhängig sind. Eine etwas eigenwillige Sicht legte uns Rico Gebhardt in der April Ausgabe von Sachsens Linke dar, indem er eine «demokratieverträgliche, dezentral verankerte solidarische Marktwirtschaft” als Ziel seines Wollens kundtat. Wie kommt unser Landesvorsitzende dazu sich einen solchen wirtschaftlichen Zustand «vorstellen« zu können. Mittelständige Unternehmer der Region Sachsen bevorzugen sich gegenseitig bei der Vergabe von Aufträgen, sichern damit Arbeitsplätze in
der Region. Aufträge des Landes und der Kommunen desgleichen Die Steuern bleiben bei uns, Landes und Kommunalpolitiker nehmen Einfluss, helfen fördern ermöglichen Öffentlichkeit. «Diese Marktwirtschaft…, hat von Haus aus einen Hang zum Sozialen. Da erstens jede MarktteilnehmerIn Interesse e an der Stärke des anderen hat….. Und zweitens ist Fairness ein Gebot des ökonomischen Überleben: Wer in seiner Gegend dafür bekannt ist, das er andere Leute über den Tisch zieht, wird mit einem solchen Ruf keine Kunden mehr finden… .” Hier angekommen wäre zu empfehlen die ”Autonome Bergrepublik Erzgebirge” auszurufen. Rico Gebhardt stellte sich Ende Mai in einer Diskussion den Mitgliedern des Ortsverbandes Plauen, was trotz gegensätzlicher Auffassungen freundlich anerkannt wurde. Waldemar Peine
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Internet unter www.sachsenslinke.de Kontakt: kontakt@dielinkesachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720 Redaktionsschluss 21.6.2012 Die nächste Ausgabe erscheint am 6.9. 2012.
gefunden - im Gegenteil. Heute wird er politisch mehr verwurstet denn je. Und im Dunstkreis dieser Verwurstung (was will die dicke Angela eigentlich sonst auf dem Fußballplatz?) sammelt sich ein komisches Gelichter aus Partygänger_innen ohne ein Herz für Fußball und dumpfbackigen Losern, die wenigstens aller zwei Jahre für vier Wochen „wieder wer sind“ zu einem absurd choreographierten Karneval, den der schönste Sport der Welt wirklich nicht verdient hat. Allein das aufgesetzte Integrationsgefasel in Sachen der Millionäre Özil, Kedhira & Co. verursacht angesichts der Realitäten im deutschen Alltag Brechreiz. Es ist nachvollziehbar, dass man sich von dieser Zerstörung einer Sportart deutlich distanziert. Ob man insgeheim oder offen sportlich für oder gegen das deutsche Team ist, spielt dabei gar keine Rolle. Die Abneigung gilt dem Drumherum - und dafür gibt es wie gesagt genügend Gründe - sportliche, wie auch politische. Im Jahre 2006 waren es dankenswerter Weise Julia Bonk und die sächsische Linksjugend, die auf das Problem einer nationalen Überidentifikation auf sportlichen Umwegen aufmerksam machten. Das hat den jungen Leuten damals viel Abneigung bis hin zu Hass eingebracht – sogar in der eigenen Partei. Allerdings auch eine Menge Zuneigung, wie die aus ganz Deutschland eingeschickten, geklauten Autofähnchen zeigten. Heute ist das Thema längst in der Gesellschaft angekommen, seriöse Soziologen beschäftigen sich mit dem Phänomen und auch die Qualitätspresse geht mehr oder weniger scharf mit dem patriotischen Zinnober ins Gericht. Eigentlich ein schöner und viel zu wenig beachteter Erfolg der jungen LINKEN aus Sachsen, der den oft gehörten Vorwurf, den jungen Leuten ginge es „nur um Party“ ad absurdum führt. Die wissen ganz genau, wann es Grund zum Feiern gibt und wann nicht. ist. Es ist verständlich, dass er sich nach seinem Versagen als oberster Polizist der Stadt noch ein tröstliches Erfolgserlebnis zu verschaffen versucht. Dieses Projekt darf der designierte Polizei-Pensionär aber nicht durch Verquickung von Polizei und Politik betreiben – das wäre zum Schaden von Polizei und Stadt. Rico Gebhardt
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Parteibande Der Auftritt Gregor Gysis war zweifellos einer der Höhepunkte auf dem Parteitag der LINKEN Anfang Juni in Göttingen. Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion kritisierte Hass, Tricksereien und üble Nachrede in der innerfraktionellen Auseinandersetzung. Deren Mitglieder handeln »nicht von der Sache getrieben, sondern von der Person, die eine bestimmte Meinung vertritt«. Wer glaubte, dies sei lediglich eine Beschreibung des Geschehens in der Bundestagsfraktion, der wurde noch auf dem Parteitag eines Besseren belehrt. Das Anstimmen von Triumphgesang angesichts eines Abstimmungssieges über einen innerparteilichen Konkurrenten führte genau das Verhalten vor Augen, das Gysi zuvor als pathologisch charakterisiert hatte. Neu und eben deshalb Aufsehen erregend sind die Offenheit und die Schonungslosigkeit, mit denen Gysi die Destruktivität im Parteileben öffentlich machte. Reden dieser Art sind in der Geschichte der Parteien eine Seltenheit. Insofern fiel der Parteitag in Göttingen gänzlich aus der Rolle. Er kehrte die innerparteilichen Konflikte nicht unter den Teppich, sondern führte sie öffentlich vor. Beobachter des Geschehens in Göttingen haben Gysis Rede mit der Nikita Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU verglichen. In einer Geheimrede vor den Delegier-
ten enthüllte Chruschtschow die unter der Herrschaft Stalins begangenen Verbrechen und die Deformationen in der Partei. Er leitete damit eine Phase der Entstalinisierung in der Sowjetunion ein. In ihrem Enthüllungscharakter und in ihrem ethischen Anspruch gleichen sich die Reden Chruschtschows und Gysis, nicht im Eingeständnis von Massenverbrechen. DIE LINKE hat keine Verbrechen zu gestehen. Dramaturgisch markieren sowohl Chruschtschows als auch Gysis Rede den Moment der
Peripetie. Will DIE LINKE nicht in einer Spaltung der Partei enden, hat auch DIE LINKE eine Neugründung bitter nötig. Andernfalls bedeutete Gysis Rede nichts anderes als eine »Kapitulationserklärung vor der darin analysierten Entwicklung«, wie die Kommentatorin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung behauptet. Ohne innerparteiliche Demokratie und Solidarität, das wissen wir seit Rosa Luxemburg, lässt sich keine befreite Gesellschaft aufbauen. Luxemburg rang schon als junge Sozialdemokratin mit dem,
was sie »Parteibande« nannte. Über die äußerte sie 1899 in einem Brief an Leo Jogiches: »Nach jedem Zusammensein mit ihnen wittere ich so viel Schmutz, sehe ich so viel Charakterschwäche, Erbärmlichkeit etc.« Dass sie sich in der Natur, unter Tieren wohler fühle als auf einem »hundsgemeinscheißdreckigen deutschen Parteitag«, auch ein Briefzitat, bekräftigt die engagierte Vorkämpferin der Arbeiterbewegung des öfteren in ihrer Privatkorrespondenz. Freilich, aus Sicht der Partei-
ensoziologie besteht kaum Anlass zu Optimismus, was einen Wandel der politischen Kultur in der Partei betrifft. Die Geschichte der Parteien zeigt, dass der pathologische Zustand eher der parteipolitischen Normalität entspricht. Nicht ohne Grund zirkuliert in der politischen Klasse der Bundesrepublik die Ansicht, der zufolge der Parteifreund der schlimmste Feind sei. Was also spricht dafür, dass es diesmal anders zugeht in der LINKEN? Jochen Mattern
Im Gegenteil, das hat dieser Konflikt gezeigt, auch in der LINKEN wirken mit Mächtigkeit die Prozesse eines abgehobenen Politikbetriebs und dessen Apparates von Mitarbeitern, die zur Überschätzung der eigenen Rolle in der Politik führen und die eigene Meinung und Wichtigkeit vor die gemeinsam bestimmte Aufgabe stellen. Das Abheben aber, die Anpassung an Verhaltensmuster des veralteten und nicht zukunftsfähigen Politikbetriebes verhindert man nur, wenn die Art und Weise dieses Politikbetriebes selber verändert wird: DIE LINKE muss aufhören mit der jahrzehntelangen, auf Karriere einiger Weniger in der bezahlten Politik orientierten Praxis. Sie hat viel mehr Potential an fähigen Mitgliedern, die sich aber nicht hinreichend einbringen können aufgrund ihrer Bindung in der Erwerbsarbeitswelt und der bestehenden relativ fixen
Strukturen der Berufspolitik. Professionelle Politiker entstehen und entwickeln sich nicht primär im etablierten Politikbetrieb, wie man in den verschiedenen Bewegungen wie attac, BUND; Mehr Demokratie e.V., Transparency International usw. sehen kann. Und als »Volksvertreter« ist es wichtig, dass DIE LINKE – wenigstens sie – darauf achtet, dass auch wirklich Vertreter der verschiedenen Schichten in ihren Fraktionen repräsentiert sind. Die Mischung aus Erfahrungen verschiedener Lebensbereiche mit weitergehender politischer und ökonomischer Bildung muss zur Grundlage eingreifender linker Politik werden. DIE LINKE muss der Vorreiter werden. Ralf Becker Grundsatzkommission und Landesrat im Landesverband DIE LINKE Sachsen BAG Bürgerrechte und Demokratie
Neuanfang? – Lehren ziehen! DIE LINKE hat sich in Göttingen befriedet. Die Probleme sind aber noch nicht gelöst. Man kann sie nur lösen, wenn Ursachen für die konfligierende Situation analysiert werden. Gysi sah keine Möglichkeit mehr Emotionales, allzu Menschliches nicht zum Hauptgegenstand einer politischen Betrachtung zu machen. Also kann der geneigte Leser davon ausgehen, dass höchst Subjektives zum Hauptproblem der Arbeitsfähigkeit der Bundestagsfraktion und des Parteivorstandes geworden war. Bei der engen Verflechtung von Fraktion und Parteivorstand kein Wunder. Man denke an die Besetzung des geschäftsführenden Parteivorstandes durch Fraktionsmitglieder. Auch im neuen Parteivorstand ist diese Quote noch zu hoch. Schaut man sich die »Exponenten« des öffentlichen Teils der Auseinandersetzung an, fällt auf, dass sie allesamt Be-
rufspolitiker sind. Berufspolitiker in ihrer Gesamtheit machen aber einen sehr geringen Teil in der LINKEN aus. Wenn einige wenige davon aber die Partei in derartige Strudel führen und ihre gesellschaftliche Stellung derart gefährden können, so stimmt etwas nicht sowohl mit dem inneren »Kräfteverhältnis« als auch mit den demokratisch-solidarischen Einstellungen dieser Berufspolitiker, von ihrem Selbstbild als »Diener« der Partei ganz zu schweigen. Das sollte sich die große Mehrheit der ehrenamtlichen Mitglieder mal gehörig durch den Kopf gehen lassen und bei der nächsten Listenaufstellung Konsequenzen ziehen. DIE LINKE hat viel mehr zu bieten, vor allem auch an Personal, als einen kleinen Haufen die eigene Bedeutung überschätzender Berufspolitiker. Das eben ist auch ihr Problem: Sie vermag es noch nicht, ihr auf Teilhabe, Selbstbestimmung,
Selbstermächtigung und souveräne Entscheidungsmacht der Mitglieder abgestelltes Demokratieverständnis in ihren eigenen Strukturen umzusetzen. Denn dann müsste sie längst daran konsequent arbeiten, den Gegensatz von Berufspolitik(er) und Rest der Mitglieder, der ja gerade in jene Krise mündete durch veränderte Strukturen und Arbeitsmethoden zu beenden. Die massive Personenfixiertheit, wie sie vor Göttingen zelebriert wurde, muss aufhören zugunsten von mehr Bescheidenheit bei den Berufspolitikern und entschieden mehr Selbstvertrauen bei den vielen ehrenamtlich, aber fachlich vielfach nicht schlechter arbeitenden Mitgliedern. Es gibt keinen überzeugenden Grund, über Jahrzehnte einen gleichbleibenden fixen Kern von bezahlten Politikern zu halten, dem die ganze ehrenamtliche Basis die tragende Grundlage schafft und erhält.
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Die Tür ist offen, hindurchgehen müssen wir selbst Auf einem Schild am Eingang der Göttinger Tagungshalle wurden die Gäste darauf hingewiesen, dass es verboten sei »Waffen aller Art«, »Feuerwerkskörper« oder »Stöcke und Stangen« mit hinein zu nehmen. Um es gleich vorweg zu sagen: Auch wenn man nach den Auseinandersetzungen vor dem Parteitag anderes hätten denken können, war das Schild weder extra für den Parteitag der LINKEN angebracht worden, noch war es nötig. Natürlich konnte man die Konflikte in unserer Partei auch während des Parteitags spüren. Ein sichtbarer Ausdruck davon war der sich zunehmend beschleunigende Wechsel von Kandidatinnen und Kandidaten für den Parteivorsitz; ein Ausdruck auch deshalb, weil es nicht zuerst um politische Inhalte ging, sondern um die Frage, wie man welche Person verhindern oder durchsetzen konnte. Und doch gab es auch anderes zu beobachten: Die Lage der Partei wurde offen angesprochen, hart und ehrlich, nicht nur in der Rede von Gregor Gysi. Es wurde miteinander geredet, nicht nur übereinander. In dieser Hinsicht hat unsere Partei ihre Sprache in Göttingen wieder gefunden. Auch die Zusammensetzung des neu gewählten Vorstands weist über jene feindselige Atmosphäre hinaus, die sich bei der Wahl
Michael König_pixelio.de
Eine Einschätzung des Göttinger Parteitags
zwischen Dietmar Bartsch und Bernd Riexinger in unwürdigen Jubel- und Hohngesängen nach der Bekanntgabe des Ergebnisses Bahn gebrochen hatte. Der neue Vorstand ist breit besetzt, es hat sich nicht ‚eine Seite‘ durchgesetzt. Es ist zudem der jüngste Parteivorstand, den wir bisher hatten. Fast unbemerkt ist in Göttingen damit auch ein Generationswechsel eingeleitet worden. Und dass der Landesverband Sachsen neben Katja Kipping als Parteivorsitzender zwei stellvertretende Vorsitzende sowie nicht weniger als fünf weitere Mitglieder des Parteivorstands der LINKEN
stellt, brauchen wir ebenfalls nicht als schlechtes Zeichen zu werten. Für die Zukunft der LINKEN und ihren politischen Erfolg wird entscheidend sein, ob und wie es uns gelingt, unterschiedliche politische Standpunkte in unserer Partei nicht nur auszuhalten, sondern produktiv zu nutzen und in praktische Politik umzuwandeln. Dafür hat Göttingen die Tür aufgemacht. Hindurchgehen müssen wir selbst. Wenn es uns gelingt, grundsätzliche Kritik an der Profitlogik der kapitalistischen Gesellschaft mit nach vorne weisenden Themen wie der Rekommu-
nalisierung der Öffentlichen Daseinsvorsorge zu verbinden und dazu ganz konkrete Initiativen wie die TLG FAIRWOHNEN zu entwickeln, die Alternativen zu renditefixierten Formen des Privatbesitzes aufzeigen, erfüllen wir unser Parteiprogramm mit Leben. Eine solche Politik setzt unmittelbar im Alltag der Bürgerinnen und Bürger an und weist in ihren Perspektiven zugleich über ihn hinaus – erfahrbar und nachvollziehbar. Eine solche Politik strahlt aus. Das wissen wir nicht zuletzt aus unserer eigenen ostdeutschen Geschichte, die wir mit in DIE LINKE eingebracht ha-
Den Aufbruch organisieren Vorhaben für die kommenden 120 Tage
… lautet der Titel des ersten Arbeitspapiers unserer neuen Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger. Eine ganze Menge haben sie sich für die ersten drei Monate vorgenommen. Ein kurzer Überblick: Kunst des Zuhörens Erfahrungsaustausch auf allen Ebenen, die Fähigkeit von einander zu lernen mit Leben füllen, die Parteiarbeit gemeinsam gestalten – sind Anliegen von Katja und Bernd. Erreicht
werden kann dies über Regionalkonferenzen, Treffen mit Landesvorsitzenden und einer Sommertour durch die Länder. Ein Blog, »Fragend schreiten wir voran« wurde eingerichtet. Auf dem kann rege diskutiert werden. Massentelefonkonferenzen Ost-West sowie eine Telefonkonferenz linker OberbürgermeisterInnen und LandrätInnen sollen ebenfalls dem Erfahrungsaustausch und besseren Kennenlernen dienen
oder Aufstocker). Gegenwehr ist dringend notwendig. Weiteres Gegeneinanderausspielen verschiedener Bevölkerungsgruppen darf es nicht geben. Deshalb sind parlamentarische und außerparlamentarische Aktivitäten zum flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn, gegen Leiharbeit und für Gute Arbeit notwendig. Eine öffentlichkeitswirksame Aktion wird noch vor der Sommerpause starten.
DIE LINKE – Schutzfaktor gegen Prekarisierung und Stress am Arbeitsplatz Rund 23 Prozent der Beschäftigten arbeiten zu Niedriglöhnen (Teilzeit, Leiharbeit, Minijobs
Aufklären und Widersetzen: Fiskalpakt ist eine Zwangsjacke für die Demokratie und eine Bremse für Investitionen – ein Bewegungsratschlag
Der Fiskalpakt wird die Situation der Kommunen weiter verschärfen und mittelfristig notwendige Investitionen verhindern. Eine »Demokratie in der Zwangsjacke« ist die Folge. Dieser Entwicklung muss entgegengetreten werden. Gewerkschaften, soziale Bewegungen und die europäischen Partnerparteien sollten im Bewegungsratschlag einbezogen werden. Beteiligung am Bündnis »Umfairteilen« und europaweite Initiativen für eine wirksame Vermögensbesteuerung sind das Ziel. Eine Offensive für das Öffentliche Gemeingüter wie Krankenhäu-
ben. Die nächste Bundestagswahl ist nicht mehr lange hin. Auf sie müssen wir uns jetzt konzentrieren und politische Angebote entwickeln. DIE LINKE wird gebraucht – gerade in einem Land, in dem die Unterschiede zwischen den anderen Oppositionsparteien und den Regierungsparteien kaum noch zu erkennen sind. Wie hat es Gregor Gysi in Göttingen völlig zutreffend formuliert: »Eigentlich haben wir kein Recht, unsere Partei zu verspielen.« So ist es! Michael Leutert, Sprecher der Landesgruppe Sachsen der Linken im Bundestag
ser, Stadtwerke, Kultureinrichtungen sind zum Teil noch kommunales Eigentum. Bürgerinitiativen wehren sich immer erfolgreicher gegen weitere Privatisierungsabsichten. Initiativen zur Wirtschaftsdemokratie, Formen solidarischer Ökonomie oder Rekommunalisierungen sind weiter zu stärken. Das Genossenschaftsmodell kann eine Antwort auf die Krise des Kapitalismus sein. (red) Das ganze Dokument unter: http://portal.dielinke-in-sachsen.de/ dokumente/2012-06-12_BR_ KK_120_Tage_Programm
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„Eine Chance für den Aufbruch“
..nannte Rico Gebhardt, Vorsitzender der sächsischen LINKEN den Göttinger Parteitag. In seiner Erklärung am 4. Juni wies er darauf hin, dass in Göttingen jene innerparteilichen Widersprüche zwischen »der linken Volkspartei im Osten und einer jungen, heterogenen LINKEN im Westen« an die Oberfläche traten, die von der anfänglichen Erfolgswelle überdeckt wurden. Weiter sagt er:«…Auch wenn ich für eine andere Spitze geworben habe, werde ich die neu gewählten Vorsitzenden vorbehaltlos unterstützen.« Das sollte für uns alle gelten, denn nur so können die Vorsitzenden gemeinsam mit allen Mitgliedern die Chance von Göttingen ergreifen und die Gräben zuschützen. Sachsen ist mit acht Genossinnen und Genossen im Parteivorstand vertreten, drei von ihnen im geschäftsführenden Parteivorstand, der aktuell aus acht Mitgliedern besteht, die im Folgenden kurz vorgestellt werden:
Katja Kipping, Parteivorsitzende 1978 in Dresden geboren, studierte Rechtswissenschaft. 1998 wurde sie Mitglied der PDS, saß sie von 1999 bis 2003 im Dresdner Stadtrat. Von 1999 bis 2005 Mitglied im sächsischen Landtag. Seit 2003 stellvertretende Parteivorsitzende, Arbeitsschwerpunkte im sozialen Bereich mit Kontakten zu sozialen Bewegungen. Seit 2005 Mitglied im Bundestag, seit 2009 Vorsitzende des Bundesausschuss für Arbeit und Soziales. Mitbegründerin des Netzwerks Grundeinkommen, von 2003 bis 2005 dessen Sprecherin. Redakteurin und Mitherausgeberin des Magazins »Prager Frühling« und eine der SprecherInnen des Crossoverinstituts Solidarische Moderne. Im Herbst 2011 kam ihr erstes Kind zur Welt. Sein Juni 2012 ist sie eine der beiden Parteivorsitzenden.
Bernd Riexinger, Parteivorsitzender
1955 in Leonberg geboren, gelernter Bankkaufmann. Seit 1991 Gewerkschaftssekretär. Er gehört der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken an, engagiert sich in der Sozialforumsbewegung und war 2003 einer der Initiatoren der Proteste gegen die Agenda 2010. Der ver.di-Geschäftsführer im Bezirk Stuttgart ist zudem Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstandes DIE LINKE. Baden-Württemberg und einer der Sprecher des Landesverbandes. Bereits in der WASG gehörte er dem geschäftsführenden Vorstand an. Am 2. Juni wurde er zum Parteivorsitzenden gewählt.
Caren Lay, stellvertretende Parteivorsitzende 1972 in Neuwied geboren, studierte u. a. Politik und war aktiv in der Friedens-, Frauenund Umweltbewegung. Kam 2000 als parlamentarische Beraterin in die PDSFraktion nach Sachsen. 2003/2004 Referentin im Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, wurde 2004 Mitglied des Sächsischen Landtags, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und bis 2007 Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführerin, sitzt seit 2009 im Bundestag. 2006 Wahl in den Parteivorstand, 2010 als Bundesgeschäftsführerin.
Dr. Axel Troost – stellvertretender Parteivorsitzender 1954 in Hagen geboren, Doktor der Volkswirtschaft, langjähriges Mitglied von IG Metall und attac. Seit 2006 Mitglied im Bundestag, mit Abgeordnetenbüro zunächst in Bremen. Seit seiner Wiederwahl 2009 befindet sich sein Büro in Borna. Er ist Sprecher der AG Wirtschaftspolitik und seit 2010
Mitglied im Parteivorstand, seit 2012 stellvertretender Vorsitzender.
Sahra Wagenknecht, stellvertretende Parteivorsitzende 1969 in Jena geboren, studierte von 1990 bis 1996 u. a. Philosophie. 1991 bis 1995 sowie 2000 bis 2007 Mitglied im Parteivorstand von PDS, Linkspartei. PDS bzw. der LINKEN. Seit 2010 stellvertretende Parteivorsitzende. Von 2004 bis 2009 für DIE LINKE im Europaparlament und Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung. Seit 2009 sitzt Sahra für NRW im Bundestag, seit November 2011 erste stellvertretende Fraktionsvorsitzende.
Jan van Aken, stellvertretender Vorsitzender 1961 in Reinbeck geboren, ist er seit 1980 aktiv u. a. in der Anti-AKW-Bewegung und gegen Gen-Technik. Zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Hamburg im Forschungsprojekt »Gentechnik in der Landwirtschaft«, war er von 1998 bis 2009 in verschiedenen Funktionen für Greenpeace und Greenpeace International aktiv. 2004 gründete er an der Uni Hamburg die Forschungsstelle Biowaffen und war von 2004 bis 2006 Biowaffeninspektor der Vereinigten Nationen. Seit 2009 für DIE LINKE in den Bundestag, ist er nun Außenpolitischer Sprecher.
Matthias Höhn, Bundesgeschäftsführer
1975 in Stolberg/Harz geboren, ab 1977 wohnhaft in Sangerhausen, studierte u. a. Publizistik- und Kommunikationswissenschaften. Seit 1992 Mitglied der PDS, übte verschiedene Funktionen in seinem Landesverband aus. 2005 wurde er Landesvorsitzender. Als Chefredakteur zeichnete er in den Jahren 2003/2004 für »klartext – Magazin der PDS Sachsen-Anhalt« verantwortlich. Seit 2002 Mitglied im Landtag von Sachsen-Anhalt. Seit 2007 Mitglied im Parteivorstand, in Göttingen zum Bundesgeschäftsführer gewählt.
Raju Sharma, Bundesschatzmeister 1964 in Hamburg geboren, studierte er Jura . 1990 bis 2003 sowie 2005 bis 2009 war Raju für die Schleswig-Holsteinige Staatskanzlei im Landesrechnungshof und im Referat für Haushalt und Verwaltungsmodernisierung tätig und Mitglied im Hauptpersonalrat. Aktiv in der Friedensbewegung, folgten Mitgliedschaften in SDAJ, DKP und MSB. 1992 bis 2005 SPDMitglied, trat er 2005 in die PDS ein. Von 2006 / 2007 war er u. a. Vorsitzender der Landesrevision, ab 2007 Mitglied der Bundesrevisionskommission. Seit 2009 ist der Mitglied im Bundestag.
Christine Buchholz 1971 in Hamburg geboren, Studium der Erziehungs- und Sozialwissenschaften und als Assistentin für Behinderte, später als freiberufliche Redakteurin und wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Bis 1999 Mitglied der SPD, Mitarbeit bei verschiedenen Mobilisierungskampagnen gegen Krieg, NPD, G8-Gipfel u. a. 2004 Eintritt in die WASG ist sie seit 2007 Mitglied im geschäftsführenden Parteivorstand, Schwerpunkte Friedenspolitik, Newsletterredaktion, Programmkommission. Seit 2009 ist sie Mitglied im Bundestag.
Heinz Bierbaum Geboren 1946, ist verheiratet und hat ein Kind. Der Professor der Betriebswirtschaft an der HTW Saarbrücken ist Leiter des iNFoInstituts. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes DIE LINKE.Saar und seit 2009 Mitglied im saarländischen Landtag.
Brigitte Ostmeyer 1952 in Goslar geboren, aufgewachsen in Baden-Würtemberg, ist Informatikerin und studierte nebenberuflich u. a. Politikwissen- und Rechtswissenschaften. Verwurzelt in der Ökologieund Friedensbewegung, war sie anfänglich bei den Grünen. Seit 2002 ist Brigitte Mitglied bei attac und trat 2004 in die WASG ein, war 2005 – 2007 Mitglied der Bundessteuerungsgruppe für den Parteibildungsprozess. Sie ist Mitglied bei der IG-Metall und engagiert sich in der Asyl-Arbeitsgruppe vor Ort.
Katina Schubert 1956 in Heidelberg geboren, u. a. politische Wissenschaften und Volkswirtschaft studiert und langjährige Mitarbeiterin von Bundestagsfraktion, Berliner Senat bzw verschiedener Abgeordneter. Sie war Mitbegründerin der Außerparlamentarischen Linken Bonn (ALB), trat 2001 in die PDS ein und begleitete seither verschiedene Leitungsfunktionen. Seit 2010 ist sie wieder Mitglied im Parteivorstand. Sie ist u. a. Mitglied bei ver.di und im Journalistenbund.
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Sind wir jetzt exzellent? das Nachsehen haben. »Exzellente Kürzungen« überschrieb der Sprecher der »Initiative Pro Romanistik Dresden« seinen jüngsten Hilferuf an die Politik. Eine Woche nach der Auszeichnung beschloss die Universität, renommierte und stark gefragte Studiengänge zu schließen, darunter das komplette Spanisch-Angebot. Allein um die maroden Gebäude der Uni zu sanieren, werden 500 Millionen Euro benötigt. Wenn das Land langfristig mehr Geld in »seine« Eliteuniversität steckt, steht zu befürchten, dass die anderen sächsischen Hochschulen weniger erhalten und auf die finanzielle Hierarchisierung bald auch eine wissenschaftliche folgt. Bleibt noch die Hoffnung auf Hilfe durch den Bund. Durch eine Verfassungsänderung soll jetzt das Kooperationsverbot von 2006 aufgeweicht werden und die Bundesregierung auf Dauer ganze wissenschaftliche Einrichtungen unterstützen können. Aber auch diese Geldflüsse werden der neuen Logik folgen: Große, erfolgreiche Universitäten werden mehr Geld aus dem Bundeshaushalt erhalten, kleinere, in der öffentlichen Wahrnehmung eher randständige Forschungszentren im Wesentlichen leer ausgehen. Schließlich ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung nicht bereit,
als »Sparbuch« (Annette Schavan) für die Länder zu fungieren. Will sagen: Jene Länder, die ihre Universitäten gut ausstatten, werden entsprechend mit Bundesmitteln belohnt. Der Exzellenzwettbewerb hat die Universitäten auch im Blick auf die Arbeitsweise der Hochschullehrer tiefgreifend verändert. So ist – etwa in der FAZ – massive Kritik an der Gleichförmigkeit der prämierten Zukunftskonzepte laut geworden. Aus den Presseabteilungen der Universitäten seien »Kommunikations- und Marketingabteilungen« geworden. Das System begünstige einen bestimmten Wissenschaftlertypus – den
»Manager und Antragsschreiber, der nur noch bestimmte Forschungsformate und Forschungsthemen bevorzugt.« Trotz stetig wachsender Studierendenzahlen blieb die Grundfinanzierung der Universitäten seit den 90er Jahren im Wesentlichen gleich. Zur Verbesserung der Studienbedingungen trägt die Exzellenzinitiative nichts bei. Von den Graduiertenschulen kann der wissenschaftliche Nachwuchs zwar profitieren, aber es fehlt nach wie vor an einem Konzept, den jungen Wissenschaftlern eine berufliche Perspektive zu eröffnen. Nach den fünf fetten Jahren der
Exzellenzförderung wird nur noch für ganz wenige aus diesem Kreis Geld für eine Weiterbeschäftigung zur Verfügung stehen. Wenn es nicht gelingt, eine Folgeförderung zu erhalten, reicht die Auslauffinanzierung gerade einmal zur Abwicklung der Exzellenzcluster. Was in dieser wenig guten Situation fürs Erste ganz wichtig ist: Bei den kommenden Haushaltsverhandlungen wird darauf zu dringen sein, dass die Sächsische Staatsregierung ihre Ausgabenakzente endlich couragiert verändert – zugunsten von Forschung, Lehre und Bildung in diesem Land. Gerhard Besier
Bild: Uni-Leipzig_phogel@flickr
Seit dem 15. Juni gehört die TU Dresden – als erste und einzige Universität in einem ostdeutschen Flächenland – in den Kreis der Exzellenzhochschulen. Ist nun alles gut geworden in der sächsischen Hochschullandschaft? Diesen Eindruck möchte vor allem Ministerpräsident Stanislaw Tillich erwecken. Mit Sinn für medienwirksame Bilder umarmte er Hans MüllerSteinhagen, den Rektor der TU Dresden. Natürlich freuen sich auch alle Mitglieder der ausgezeichneten Universität, und nicht wenige Dresdner sind stolz auf ihren Campus. Bemerkenswert ist, dass Müller-Steinhagen, dem der Erfolg maßgeblich zu verdanken ist, trotz aller Freude verhalten bleibt. Er artikuliert, wie kaum ein anderer in dieser Stunde des Triumphs, dass nur ein kleiner Schritt vorwärts getan wurde: »Der Anfang ist gemacht.« Wenn die TU Dresden zu einer der 100 besten Universitäten der Welt aufsteigen will – den Anschluss zur Weltspitze wiederzugewinnen ist das Ziel der Exzellenzinitiativen –, dann liegt noch ein weiter Weg vor der Hochschule. Das viele Geld – immerhin rund 140 Millionen Euro pro Jahr – fließt nur in ein paar Bereiche der Spitzenforschung. Es droht die Gefahr, dass die nicht subventionierten Fächer wie auch die Lehre
Große Sprünge für die Kleinen Krippenausbau, Zugangsbeschränkungen und Personalschlüssel – warum die KitaDebatte neu geführt werden muss
Am 13. Juni war die sächsische Bildungspolitik wieder einmal Anlass, vor dem Landtag zu demonstrieren. Im Unterschied zu den Vormonaten ging es jedoch nicht nur um Lehrkräftemangel und Unterrichtsausfall, sondern auch um Betreuungsund Bildungsqualität im vorschulischen Bereich. Die Liga der Wohlfahrtsverbände (DRK, AWO, Parität, Caritas, Diakonie, ZWST) hatte im Rahmen der im April 2012 wieder gestarteten Kampagne »Mehr Zeit für Kinder« ErzieherInnen und Eltern dazu aufgerufen, für
eine bessere Personalausstattung und kleinere Gruppen in den sächsischen Krippen, Kindergärten und Horten zu demonstrieren. Wohlgemerkt: nur die Beschäftigten der Kitas in freier Trägerschaft dürfen offiziell teilnehmen, den Angestellten der Einrichtungen in öffentlicher, also kommunaler Trägerschaft, ist eine Teilnahme während der Arbeits- und Öffnungszeiten der Kita nicht gestattet. »Große Sprünge für die Kleinen!« war das Motto, verfolgt man die Politik der sächsischen Staatsregierung in den letzten fünf Jahren, so sind maximal kleine spontane Hüpfer, jedoch keine großen Sprünge zu verzeichnen. Die ehemalige Sozialministerin Helma Orosz (CDU) versprach im Jahr 2008, zwei Jahre nach der verbindlichen Einführung des Sächsischen Bildungsplanes, die dringend notwendig Verbesserung der Fachkraft-Kind-Relation, bei der Sachsen bundesweit zu den
Schlusslichtern gehört. Stattdessen gab es nach zähen Verhandlungen mit den Kommunen über die Finanzierung als Wahlgeschenk 2009 das kostenfreie Vorschuljahr, das bereits Ende 2010 aus Spargründen wieder abgeschafft wurde. Mit der im SächsKitaG gesetzlich festgelegten Fachkraft-Kind-Relation von 1:6 in der Krippe, 1:13 in der Kita und 0,9:20 im Hort sind die zu den Kernbetreuungszeiten, in denen alle Kinder vom Sächsischen Bildungsplan partizipieren sollen, mit realen Gruppengrößen von 8-10 Null- bis Dreijährigen und 17 bis 20 Drei- bis Sechsjährigen auf eine pädagogische Fachkraft deutlich überfüllt. Manch einer mag sich an die Gruppengrößen in den Kindertageseinrichtungen der DDR zurückerinnern, die in einer ähnlichen realen Größe wie heute in Sachsen mit bis zu 20 Kindern (3- bis 6-Jährige) bestanden, jedoch muss darauf verwiesen werden, dass die
pädagogischen und psychologischen Herausforderungen an die ErzieherInnen deutlich gewachsen sind und sich auch die pädagogische Debatte drei Jahrzehnte weiterentwickelt hat. Zu den neuen Anforderungen an die ErzieherInnen gehört aus dem Bildungsplan die kontinuierliche Dokumentation des Entwicklungsprozesses jedes Kindes und regelmäßige Elterngespräche (nicht zu verwechseln mit den täglichen Tür-und-Angel-Gesprächen). Im sogenannten Betreuungsschlüssel und damit nicht bezahlt sind jedoch – im Unterschied bspw. zu den Schulen – Vor- und Nachbereitungszeiten, Elterngespräche, Krankheitsausfälle und Fortbildungstage. Der letzte Vorstoß der Fraktion DIE LINKE mittels Novellierung des SächsKitaG wurde im Januar 2012 durch CDU und FDP im Haushalts- und Finanzausschuss des Landtages aus finanziellen Gründen abgelehnt.
Mit der Verbesserung des Betreuungsschlüssels allein wäre in Sachsen ein erster großer Schritt getan, jedoch haben sich zwischenzeitlich neue Probleme herausgebildet. So bedarf es dringend einer Reform der ErzieherInnenausbildung auf Schul- und Hochschulniveau zur Sicherung der Fachkräfte (von 27.000 sächsischen Kita-Fachkräften gehen 15.000 bis 2030 in Rente), während der Personalbedarf durch den Krippenausbau bundesweit steigt. Darüber hinaus stehen Probleme der Inklusion in der Bildung und der Integration von Kindern mit Migrationshintergrund und sozialen Benachteiligungen aufgrund wachsender sozialer Segregation in Sachsen neue Fragen an die Bildungs- und Jugendpolitik im Freistatt, die dringend einer Antwort bedürfen. Annekatrin Klepsch, MdL, Kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE
Kommunal-Info 6-2012 27. Juni 2012 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de
KFS
Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Handel unter Kontrolle Stadt Fürth schützt Handel in Innenstadt Seite 3
Dachverband Dachverband Kommunalpolitischer Foren gegründet Seite 4
Rechtsextremismus Oberbürgermeister wollen intensiver gegen Rechtsextremismus zusammenarbeiten Seite 4
Seminare Seminarangebote für Herbst Seite 4
Gemeinderat und Bürgermeister Die Sächsische Gemeindeordnung1 benennt gleich in § 1 den Gemeinderat und den Bürgermeister als die Organe der Gemeinde. Das heißt: beide Organe, Gemeinderat wie Bürgermeister haben jeweils eigene, gesetzlich bestimmte Zuständigkeiten und eine sog. echte Organstellung. Der Bürgermeister ist also nicht bloß ein Vollzugsorgan des Gemeinderats, aber: der Gemeinderat ist nach § 27 das Hauptorgan der Gemeinde. Hauptorgan Gemeinderat Als Hauptorgan der Gemeinde kommt ihm eine kommunalpolitische Vorrangstellung zu, er ist das zentrale Entscheidungsgremium der Gemeinde und bestimmt die „Richtlinien der Gemeindepolitik“. Seinen gesetzlichen Niederschlag findet das in den in § 28 aufgezählten Aufgaben, insbesondere
der Festlegung der Grundsätze für die Verwaltung der Gemeinde; der Zuständigkeitsvermutung für alle Aufgaben, soweit dafür nicht der Bürgermeister zuständig ist; den Überwachungs- und Kontrollrechten gegenüber Bürgermeister und Verwaltung; den Mitwirkungsrechten bei Personalentscheidungen. Was unter den „Grundsätzen für die Verwaltung der Gemeinde“ zu verstehen ist, wird in der Gemeindeordnung nicht näher bestimmt, jedoch müssen die Einflussmöglichkeiten des Gemeinderats weit genug sein, damit der Gemeinderat seine Stellung als Führungsorgan erfüllen kann. Zu Verwaltungsgrundsätzen zählen insbesondere die grundsätzlichen Leitlinien, mit denen der Gemeinderat Vorgaben über Programm, Planung und Gestaltung des Gemeindehandelns macht, und mit
denen er seine grundsätzlichen kommunalpolitischen Zielsetzungen definiert. Beispiele für solche Richtlinien sind: konzeptionelle Planungen für die Stadtentwicklung und den Stadtumbau; Richtlinien für die Vermietung von gemeindeeigenen Wohnungen an bestimmte, zu bevorzugende Personengruppen; Grundsätze für die Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen oder Kriterien für die Vermietung gemeindeeigener Versammlungsräume. Die kommunalpolitische Steuerungskompetenz des Gemeinderats zeigt sich außerdem in der ausschließlichen Zuständigkeit für die Beschlussfassung über den Gemeindehaushalt (§ 76 Abs. 2) und die Finanzplanung der Gemeinde (§ 80).
Der Haushalt als die „in Zahlen gefasste Politik“ enthält vielfache Bindungen und Festlegungen für das künftige gemeindliche Handeln. Die Verantwortung für das Verwaltungshandeln der Gemeinde liegt damit nicht nur beim Bürgermeister, sondern auch beim Gemeinderat.2
Alleinentscheidungsrechte des Gemeinderats Von erheblicher Bedeutung für die herausgehobene Stellung des Gemeinderats sind die in § 41 Abs. 23 in 17 Punkten aufgezählten Angelegenheiten, die allein in das Entscheidungsrecht des Gemeinderats fallen. Dazu zählen u.a.
die Bestellung der Mitglieder von Ausschüssen des Gemeinderats, der Stellvertreter des Bürgermeisters, der Beigeordneten …; Satzungen, anderes Ortsrecht und
Flächennutzungspläne; die Regelung der allgemeinen Rechtsverhältnisse der Gemeindebediensteten; die Übertragung von Aufgaben auf den Bürgermeister; die Zustimmung zur Abgrenzung der Geschäftskreise der Beigeordneten,; die Verfügung über Gemeindevermögen, das für die Gemeinde von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung ist; die Errichtung, Übernahme, wesentliche Veränderung, vollständige oder teilweise Veräußerung und die Auflösung von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen sowie die unmittelbare und mittelbare Beteiligung an solchen; ein Haushaltssicherungskonzept, sofern erforderlich; die Bestellung von Sicherheiten, die Übernahme von Bürgschaften und von Verpflichtungen aus Gewährverträgen und den Abschluss der ihnen wirtschaftlich gleichkommenden Rechtsgeschäfte, soweit sie für die Gemeinden von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sind; Jahresrechnungen, Wirtschaftspläne und Jahresabschlüsse; die allgemeine Festsetzung von Abgaben und Tarifen; den Beitritt zu Zweckverbänden und den Austritt aus diesen.
Zuständigkeiten des Bürgermeisters
Während Entscheidungen von grundlegender Bedeutung und die allgemeine Bestimmung des Verwaltungskurses in der Kompetenz des Gemeinderats liegen und durch ihn demokratische Legitimierung erfahren, obliegen dem Bürgermeisters folgende Zuständigkeiten:
die Leitung der Gemeindeverwaltung (§ 51 Abs. 1); der Vollzug der Beschlüsse des Gemeinderats (§ 52 Abs. 1); die Erledigung der Geschäfte der laufenden Verwaltung (§ 53 Abs. 2); die Erledigung von Weisungsaufgaben (§ 53 Abs. 3).
In diesen Zuständigkeitsbereich des Bürgermeisters darf der Gemeinderat nicht durch Einzelentscheidungen eingreifen. Der Gemeinderat besitzt keine innere Organisationsbefugnis und kann nicht etwa die Gliederung der Gemeindeverwaltung oder den Geschäftsverteilungsplan bestimmen. Eine direkte Einflussnahme des Gemeinderats widerspräche der innergemeindlichen Kompetenzverteilung und würde eine effektive Arbeit des Bürgermeisters und der Verwaltung behindern. Das trifft insbesondere auf die in der Gemeinde alltäglich wiederkehrenden Routineangelegenheiten zu, die exakt, korrekt und rechtssicher abzuarbeiten sind. Deshalb liegen diese Geschäfte der laufenden Verwaltung in der Zuständigkeit des Bürgermeisters. Geschäfte der laufenden Verwaltung Beim Terminus „Geschäfte der laufenden Verwaltung“, wie er in der Gemeindeordnung verwendet, aber hier nicht näher bestimmt wird, handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum. D.h., zu bestimmen, was zu den Geschäften der laufenden Verwaltung gehört, liegt nicht im Ermessen des Bürgermeisters und auch nicht des Gemeinderats, sondern ist im EinzelFortsetzung: folgende Seite
Kommunal-Info 6/2012 Fortsetzung von Seite 1:
fall gerichtlich voll nachprüfbar. In Fachliteratur und Rechtsprechung hat der Begriff „Geschäfte der laufenden Verwaltung“ hinreichende Klärung erfahren: es handelt sich um solche Angelegenheiten des weisungsfreien Bereiches, „die mehr oder weniger regelmäßig wiederkehren und nach Größe, Umfang der Verwaltungstätigkeit und Finanzkraft der Gemeinde von sachlich weniger erheblicher Bedeutung sind.4 Es geht dabei um Routineangelegenheiten, die für die Gemeinde sachlich, politisch und insbesondere finanziell nicht von grundlegender Bedeutung sind und die daher im Regelfall von der Verwaltung nach feststehenden Regeln erledigt werden können, ohne dass sich der Gemeinderat damit befassen müsste. Darunter fallen nach herrschender Meinung alle diejenigen Entscheidungen, die
in der Gemeinde häufig wiederkehren und routinemäßig bearbeitet werden, von geringer finanzieller und wirtschaftlicher Bedeutung für die Gemeinde sind, und von geringem politischen Gewicht sind.
Zu den Geschäften der laufenden Verwaltung zählen zunächst die im täglichen Verkehr abzuschließenden Kauf-, Miet-, Pacht-, Werkoder Dienstverträge, wenn ihre politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und vor allem finanziellen Auswirkungen nicht erheblich sind und sie mit einer gewissen Regelmäßigkeit wiederkehren. Dazu gehören in der Regel: die Beschaffung des Bürobedarfs der Verwaltung und der sonstigen Ver-
brauchsgüter und der Abschluss von Werk- oder Dienstverträgen z.B. für Instandhaltungsarbeiten sowie der Abschluss von Versicherungen für amtliche Tätigkeiten, auch wenn die Versicherung auf längere Dauer (etwa 5 Jahre) abgeschlossen wird. Zum Komplex der Geschäfte der laufenden Verwaltung zählen auch die im Bereich der weisungsfreien Aufgaben der Gemeinde angesiedelten Entscheidungen in Verwaltungsverfahren oder Entscheidungen über Widersprüche gegen Verwaltungsakte der Gemeinde. Ob die Entscheidung über die Ausübung eines gemeindlichen Vorkaufsrechts (z.B. nach dem Landeswaldgesetz) ein Geschäft der laufenden Verwaltung ist,
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hängt von Kaufpreis und Gemeindegröße ab.5
Kompetenzabgrenzungen Um für die tägliche kommunale Praxis die Entscheidung über die
bei einem unbestimmten Rechtsbegriff keine Interpretationshoheit zu. Deshalb haben solche Bestimmungen in der Hauptsatzung nur deklaratorische Bedeutung. Ob es sich um ein Geschäft der laufenden Verwaltung handelt, ist eine in jedem Einzelfall nach o.g. Kriterien vollständig überprüfbare Rechtsfrage und keine Ermessensfrage der Gemeinden. Deshalb kann der Gemeinderat auch nicht durch eine willkürliche Hauptsatzungsregelung die Wertgrenzen so niedrig ansetzen, dass Angelegenheiten, die eigentlich ein Geschäft der laufenden Verwaltung sind, nicht in die Zuständigkeit des Bürgermeisters fallen sollen. Eine derartige Aushöhlung der gesetzlich zugewiesenen Kompetenz des Bürgermeisters wäre rechtswidrig. Eine entsprechende Regelung wäre daher unwirksam. Bei der Erledigung einzelner Geschäfte der laufenden Verwaltung hat der Gemeinderat kein direktes Weisungs- oder Mitspracherecht. Jedoch kann der Gemeinderat für diesen Bereich bestimmte Grundsätze beschließen, in denen Rahmenbedingungen für Entscheidungen über einzelne Geschäfte der laufenden Verwaltung vorgegeben werden. Wenn z.B. der Gemeinderat Grundsätze für die Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen aufgestellt hat, ist der Bürgermeister bei der Erteilung der einzelnen Sondernutzungserlaubnisse an den durch die Grundsatzentscheidung vorgezeichneten Rahmen gebunden. Darüber hinaus hat der Gemeinderat aber keine unmittelbaren Einflussnahmemöglichkeiten auf die Abwicklung der einzelnen Geschäfte der laufenden Verwaltung. Die alleinige Zuständigkeit des Bürgermeis-
Zuständigkeiten zu vereinfachen und die Kompetenzen zwischen Bürgermeister und Gemeinderat abzugrenzen, kann in der Hauptsatzung aufgezählt werden, was in der Gemeinde unter die laufende Verwaltung fällt. Außerdem werden in Hauptsatzungen regelmäßig Wertgrenzen bestimmt (z.B. bis 100.000 EUR), bis zu denen der Bürgermeister selbständig entscheiden kann. Die Aufzählung konkreter (vermeintlicher) Geschäfte der laufenden Verwaltung bzw. die Festlegung von Wertgrenzen in der Hauptsatzung ist letztlich aber nicht entscheidend dafür, ob die jeweilige Angelegenheit als „Geschäft der laufenden Verwaltung“ gilt, denn der Gemeinde steht
ters kann vom Gemeinderat weder durch die Hauptsatzung noch in der Geschäftsordnung oder durch Einzelbeschluss geändert, erweitert oder eingeschränkt werden. Fasst der Gemeinderat über ein einzelnes Geschäft der laufenden Verwaltung einen Beschluss, so ist dieser wegen eines Verstoßes gegen die Kompetenzverteilung rechtswidrig. Der Bürgermeister muss diesem Beschluss nach § 52 Abs. 2 widersprechen, sofern er den Beschluss des Gemeinderates nicht zu seiner eigenen Entscheidung macht. Andererseits kann der Bürgermeister aber auch nicht dem Gemeinderat Angelegenheiten der laufenden Verwaltung zur Entscheidung unterbrei-
Einzelfallbewertung Welche Angelegenheiten von geringer Bedeutung sind, lässt sich nicht von vornherein generell für alle Gemeinden beantworten. Für jeden Einzelfall sind stets die konkreten der Verhältnisse der jeweiligen Gemeinde zu betrachten. Dabei ist zu prüfen, ob die politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und vor allem finanziellen Auswirkungen unter Berücksichtigung von Größe, Struktur und Leistungsfähigkeit der Gemeinde erheblich sind. Die Zuordnung zu den Geschäften laufender Verwaltung kann auch nicht allein nach dem finanziellen Gewicht getroffen werden. So können finanziell recht unbedeutende Angelegenheiten kommunalpolitisch sehr wohl von Bedeutung sein, wie etwa die Benennung von Gemeindestraßen oder die Verleihung von Ehrenbürgerrechten. Sie gehören eben mitnichten zu den Geschäften der laufenden Verwaltung. Wenn eine zu treffende einzelne Entscheidung einen Gegenstand betrifft, der für sich zwar keine erheblichen Auswirkungen hat, damit aber ein Präzedenzfall für künftige Entscheidungen gleich zu behandelnder Fälle geschaffen würde, kann nicht der Bürgermeister allein entscheiden. Solche Grundsatzentscheidungen, mit denen die künftige Ermessenpraxis der Verwaltung bestimmt wird, sind deshalb keine Geschäfte der laufenden Verwaltung, sondern zwingend Aufgabe des Gemeinderates.6
ten. Er kann vom Gemeinderat allenfalls eine Stellungnahme erbitten, die dieser aber unter Berufung auf die gesetzliche Zuständigkeitsregelung ablehnen kann. Bei Streitigkeiten zwischen Bürgermeister und Gemeinderat über die Frage, ob ein Geschäft der laufenden Verwaltung vorliegt, kann im Kommunalverfassungsstreitverfahren Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben werden. Informationsrecht Der Gemeinderat kann sich nach § 28 Abs. 4 über Angelegenheiten der laufenden Verwaltung unterrichten lassen. Ebenfalls kann jedes Gemeinderatsmitglied nach § 28 Abs. 5 schriftlich oder mündliche Anfragen über einzelne Angelegenheiten der laufenden Verwaltung an den Bürgermeister richten. Unter die generelle Informationspflicht des Bürgermeisters nach § 52 Abs. 4 fallen Geschäfte der laufenden Verwaltung aber nur dann, wenn im Rahmen ihrer Erledigung ein Sachverhalt plötzlich eine nicht zu erwartende Wendung nimmt und plötzlich eine Bedeutung erlangt, die über ein Geschäft der laufenden Verwaltung hinausgeht. 1
AG
Alle im Text folgenden Paragrafenangaben beziehen sich auf die Sächsische Gemeindeordnung. 2 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar …, G § 28, Rn. 2. 3 Für die Kreistage gilt § 37 Abs. 2 Sächsischen Landkreisordnung entsprechend. 4 Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar …, G § 53, Rn. 28. 5 Vgl. ebenda, G § 53, Rn. 41-44. 6 Vgl. ebenda, G § 53, Rn. 34.
Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de V.i.S.d.P.: A. Grunke Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefödert.
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Handel unter Kontrolle?
Handel braucht Wandel – darin sind sich Stadtverwaltungen, Politiker und Händler einig. Um für den Kunden attraktiv zu bleiben, muss sich die bunte Ladenwelt weiterentwickeln. Die entscheidende Frage ist nur: Wo und mit welchen Sortimenten? Käme jemand auf die Idee, die maßgeblichen Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung der Städte zu fragen, wer dort prüfe, inwieweit der Einzelhandel Sortimentsvorgaben aus Bebauungsplänen oder aus Genehmigungsverfahren einhalte, würde er vielfach nur ratloses Schulterzucken ernten: Keine Zeit und kein Geld wären dafür vorhanden, hieße es. Und: In der Vergangenheit habe man bezüglich der Frage der Einhaltung der Flächen häufig ein Auge zugedrückt, denn man kenne ja seine Pappenheimer. Wer will schon einen wichtigen Magnetbetrieb in seiner Stadt vergrämen oder neue Konsumtempel fernhalten? Schließlich steht jede Kommune im Wettbewerb mit ihren Nachbarn. In Ballungsräumen ist da schnell ein Interessent über die Stadtgrenze zum Nachbarn „gerutscht“. Das tut jeder Stadt weh. So ist es kein Alltagsprojekt, wenn sich – wie jüngst im bayerischen Fürth – eine deutsche Großstadt eine Sortimentskontrolle der ansässigen großflächigen Einzelhändler wünscht. Im Fokus sollten dabei die Großflächen außerhalb der Innenstadt stehen. Der Wunsch der Stadträte ist: Alles, was der geplanten Innenstadtentwicklung schaden könnte, soll verhindert werden. Denn die Innenstadt hat, wie vielerorts, eine schützende Hand bitter nötig. Es geht um eine Signalsetzung: Händler und Investoren sollen sich sicher fühlen vor der Konkurrenz am Stadtrand. Gleichzeitig lehnt der Stadtrat jegliche Ansiedlung von zusätzlichen zentrenrelevanten Sortimenten außerhalb der Festsetzungen im Einzelhandelskonzept ab.
Kontrolle und Sanktionen
Damit war auch die Aufgabenstellung für den Gutachter klar: Sortimentsge-
naue Erhebung der Verkaufsflächen, akribisches Studium der Bebauungspläne und Genehmigungsunterlagen und Abgleich der Daten. Alle Beteiligten erwarteten das Ergebnis mit großer Spannung und leichter Nervosität. Denn allen Stadträten war klar: Wirksame Kontrolle braucht Sanktionen. Keiner weiß zu Beginn der Arbeiten so recht, welches Fass da aufgemacht wird. Zunächst galt es aber, alle Einzelhandelsgroßflächen zu ermitteln. 44 Einzelfälle rückten in den Fokus der Untersuchung. Für beide Seiten begann nun eine nicht unwesentliche Kleinarbeit. Während der Gutachter in mehreren Arbeitsgängen (Ersterhebung, Plausibilitätskontrolle, Nachbegutachtung durch zweiten Experten) die einzelnen Sortimentsflächen so scharf wie möglich beurteilte, stiegen Mitarbeiter der Verwaltung tief in den Aktenkeller hinab. Die Ergebnisse waren höchst interessant und lehrreich. Die Verwaltung – letztendlich immer Spiegel der aktuellen Richtlinien der Politik – konnte nur staunen, wie „relaxt“ man in der Vergangenheit mit Sortimentsvorgaben für den Einzelhandel umgegangen war: Bei Weitem nicht für alle neuen Einzelhandelsflächen – und der Handel ist bekanntlich äußerst dynamisch – wurden die Bebauungspläne angepasst, der Segen der übergeordneten Genehmigungsbehörde war ausreichend. Damit bastelte man, bestimmt nicht bewusst, an einem Pulverfass, das bis heute auf Entschärfung wartet. Was ist das Problem? In der Vergangenheit ging man sehr oberflächlich mit dem Begriff der einzuschränkenden Sortimente um. In verschiedenen Genehmigungen ist ganz allgemein von „Randsortimenten“ die Rede, oder später immerhin etwas fokussierter von „innenstadtrelevanten Randsortimenten“. Bei anderen Vorhaben spricht man von „innenstadtrelevanten Sortimenten“. Ein Definitionswirrwarr ohnegleichen. Immerhin findet man auch bei wenigen Ausnahmen eine exakte
Benennung der genehmigten oder ausgeschlossenen Sortimente. Heute sind nicht unbedingt alle Randsortimente auch zentrenrelevant, das regeln in der Zwischenzeit Sortimentslisten. Wobei es gar nicht sinnvoll ist, pauschal von innenstadtrelevanten Sortimenten zu sprechen, da damit wichtige und dynamische Versorgungszentren, die Druck auf die Innenstadt machen können, außen vor gelassen werden. Das Mittel der Wahl stellen deshalb immer individuell festgelegte Listen der Sortimente mit Zentrenrelevanz im betreffenden Fall dar. Es zeigt sich nämlich, dass durch die fast allerorten praktizierte unbedarfte Ungenauigkeit der Vergangenheit Spielräume für Einzelhändler schlummern, die theoretisch zur Ansiedlung von Sortimenten führen könnten, die in Summe einer Innenstadt erhebliche Probleme bereiten können. Doch die Erkenntnisse gehen noch weiter: Nur die wenigsten Sortimentsbeschreibungen sind so eindeutig formuliert, dass sie zweckdienlich sein können. Allein die Frage der Definition eines Randsortimentes ist tendenziell den sich verändernden Angebotswelten der Händler ausgeliefert. Hinzu kommt, dass durchaus vorbildliche und gut gemeinte Sortimentslisten zentrenrelevante Sortimente in der Vergangenheit gerne nach dem Kriterium der „Anwesenheit in Zentren“ beurteilten. Dies führte zum Beispiel dazu, dass Fahrräder oder in bestimmten Städten Beleuchtungsmittel oder Unterhaltungselektronik als nicht zentrenrelevant gelten, da sie faktisch nicht mehr in der Innenstadt vorhanden sind. Erst richterliche Entscheidungen der jüngsten Vergangenheit weisen einen vernünftigen Weg: Zentrenrelevant meint auch zentrumsstärkend und -bewahrend. Genau dieses Gefährdungspotenzial macht es für Städte so wichtig, sich einen Einblick in die einzelhändlerische Realität zu verschaffen. Deshalb war die Entscheidung des Stadtrates der mutigen Beispielkommune abso-
lut richtig, die gewachsenen Strukturen und Fakten erfassen und beurteilen zu lassen. Der konkrete Blick in die Vergangenheit löste umso mehr manches Kopfschütteln aus. Glücklicherweise entstand aus der gängigen Praxis bisher noch kein ernsthaftes Problem. Mehr Planungssicherheit Die Stadt Fürth hat durchaus gelernt. Bei der neuen Sortimentsliste wurde sehr großer Wert auf detaillierte Definition des Sortimentsbegriffes gelegt. Zukünftige Genehmigungen können beim Sortimentsbegriff auf die hinreichend genau festgezurrten Sortimente zurückgreifen und den Antragsteller in die Verantwortung nehmen. Schwarze Schafe der Vergangenheit werden im Einzelgespräch ins Gebet genommen. Man ist auf dem Weg, in Zukunft bei Abweichungen konkrete Bußgelder zu benennen und Planungssicherheit für alle Beteiligten zu erzeugen. Der beauftragte Gutachter soll als objektive Instanz in den kommenden Jahren immer wieder seinen Kontrollgang machen. Der Wirtschaftsreferent der Stadt Fürth resümiert zufrieden: „Die Stadt ist überzeugt: Es war richtig, Klarheit zu schaffen. Nur eine transparente Herangehensweise bewirkt letztendlich die nötige Sicherheit bei allen: Händlern, Politikern und Investoren. Wir werden nun die weitere Entwicklung der Innenstadt mit Bedacht und politischem Selbstvertrauen angehen.“ (aus: Onlinemagazin Der Gemeinderat, Nr. 4/2012, www.gemeinderat-online.de)
Kommunal-Info 6/2012
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Dachverband gegründet
Am Sonnabend, dem 23. Juni hat das Kommunalpolitische Forum Sachsen e.V. gemeinsam mit Kommunalpoltischen Foren aus anderen Bundesländern den (Dach)Verband Linker Kommunalpolitischer Foren gegründet. Unter einem Dach wollen die Kom-
munalpoltischen Foren voneinander lernen, Erfahrungen austauschen und gemeinsame Projekte verwirklichen. Im Zusammenwirken soll durch kommunalpolitische Bildungsarbeit ein Beitrag zur demokratischen Veränderung der Gesellschaft von unten geleis-
tet werden. Zweck des Verbands ist es deshalb, demokratische politische Bildung und die Vernetzung linker Kommunalpolitik zu fördern. Das soll insbesondere erreicht werden durch: den Erfahrungsaustausch und die Koordinierung der Arbeit linker Kommunalpolitischer Foren der Länder, die Entwicklung von Empfehlungen und Arbeitshilfen für die praktische Politik in den kommunalen Vertretungen und Körperschaften, die Vertretung der Interessen seiner Mitglieder sowie die Vermittlung ihrer Erfahrungen gegenüber dem Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung sowie gegenüber dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission, die Durchführung von bundesweiten Fachtagungen, Konferenzen und Seminaren zum Zweck der Fortbildung, des Erfahrungsaustausches und Information linker KommunalpolitikerInnen, die Kontaktpflege zu den kommunalen Spitzenverbänden auf Bundesebene sowie zu anderen nationalen und internationalen Institutionen, das Herstellen von Arbeitsbeziehungen zu wissenschaftlichen Einrich-
Städte gegen Rechtsextremismus Die Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister der ostdeutschen Städte bekräftigten bei ihrer Konferenz, sich beim Kampf für Demokratie und Toleranz und gegen Rechtsextremismus noch besser zu vernetzen und die Zusammenarbeit zwischen den Städten zu intensivieren. „Damit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus keine Chance haben, ist es notwendig, rechtsextremistischen Meinungen und Aktivitäten auf allen Ebenen zu begegnen und Toleranz und Demokratie zu stärken“, sagte die Oberbürgermeisterin der gastgebenden Landeshauptstadt Schwerin, Angelika Gramkow, die zugleich Präsidiumsmitglied des Deutschen Städtetages ist. Zahlreiche Städte engagieren sich seit Jahren, um Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit zu bekämpfen. Beispielsweise fördern sie die Prävention in Schulen und Jugendeinrichtungen und unterstützen Vereine. Als wirkungsvoll hat sich erwiesen, den Austausch von lokalen und regionalen Akteuren zu begleiten. „Es geht dabei ganz praktisch um Aktionsbündnisse oder ‚Runde Tische, um die Zusammenarbeit von Jugendarbeit und Schulen, von städtischen Ämtern, Polizei, Kirchen und freien Trägern. Ganz entscheidend ist es, interessierte Bürgerinnen und Bürger mit einzubinden. Es muss in unserer Gesellschaft selbstverständlich sein, nazistische, rassistische, antisemitische und islamfeindliche Aktivitäten zu ächten und zu verfolgen“, sagte Gramkow. So hat sich in Schwerin vor einem Jahr ein „Aktionsbündnis für ein friedliches und weltoffenes Schwerin“ gegründet, das sein Anliegen mit inzwischen fast 800 Unterstützerinnen und Unterstützern und zahlreichen Aktivitäten in die Öffentlichkeit trägt. Ziel sei es, wirkungsvolle Strategien zu entwickeln, um den Rechtsradi-
kalen den Nährboden zu entziehen und ihre Präsenz sowohl in den kommunalen Vertretungskörperschaften als auch bei Demonstrationen, Konzerten und in den sozialen Online-Netzwerken zu verhindern. Auch die Einrichtung von „Fachstellen gegen Rechtsextremismus“ in den Kommunen – oder von Regionalzentren für Demokratie und Toleranz wie in MecklenburgVorpommern – stelle ein wirksames Instrument zur Bündelung der Aktivitäten dar. Zudem trägt der Deutsche Städtetag die Bundesinitiative „Orte der Vielfalt“ mit, die beispielhafte Projekte im Kampf gegen Rechtsextremis-
mus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt unterstützt und auszeichnet. Damit bereits bestehende kommunale Netzwerke und Maßnahmen gegen Rechtsextremismus nachhaltig wirken können, forderte der Deutsche Städtetag den Bund auf, erfolgreiche Bundesprogramme (beispielsweise „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“, „Civitas – Initiativ gegen Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern“) weiter zu entwickeln. (01.06.2012, OberbürgermeisterKonferenz des Deutschen Städtetages in Schwerin)
Seminare im Herbst Im Herbst möchte das Kommunalpoltische Forum verschiedene Intensivseminare anbieten, d.h. ganztägige oder 11/2 –tägige Seminare zu folgenden Themen:
Vergaberecht: Ausschreibung und Vergabe kommunaler Aufträge Grundlagen zum Haushaltsrecht Doppik Rechte und Pflichten kommunaler Vertreter in Aufsichtsräten Grundlagen des Sächsischen Kommunalrechts: Sicher mit der Geschäftsordnung hantieren usw. Baurecht und Bauwirtschaft für Gemeinderäte Hierzu hätten wir gern gewusst, zu welchen Themen es ein Interesse gibt und wo wir die Veranstaltung (Ort oder Region) durchführen sollen. Gern nehmen wir aber auch weitere Themenvorschläge auf. Außerdem haben wir vor, im September eine Veranstaltung in Dresden anzubieten zum Thema
Sachsen auf dem Weg zu einer einheitlichen Sparkassenlandschaft? Auch hier hätten wir gern gewusst, ob diese Thematik auf Interesse stößt.
tungen, staatlichen Institutionen und Fachverlagen, gemeinsame Publikationen mit Organisationen in den Bundesländern, deren Zweck ebenfalls in der Förderung der Politischen Bildung liegt sowie die Unterhaltung eines Informationszentrums. Der Verband Linker Kommunalpolitischer Foren wird eng mit der RosaLuxemburg-Stiftung e.V., insbesondere mit deren Kommunalakademie zusammenarbeiten. Der Einladung zu einem Grußwort war der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der LINKEN Dr. Gregor Gysi gern gefolgt, weiß er doch kommunalpolitisches Engagement sehr zu schätzen. Zur Vorsitzenden des Verbands wurde Barbara Klembt gewählt, Bürgermeisterin der Gemeinde Wiesenburg und Präsidiumsmitglied des Städteund Gemeindebundes in Brandenburg. Stellvertreter wurde der niedersächsische Kommunalvertreter Michael Braedt, Schatzmeister der Thüringer Landespolitiker Frank Kuschel, Beisitzer wurden Petra Brangsch aus Berlin und Wolfgang Freye aus Nordrhein-Westfalen.
Wer sind die Nächsten? Nachdem alle Mitglieder der LINKEN Fraktion aus Taucha schon nach der letzten Kommunalwahl 2009 Mitglied im Kommunalpoltischen Forum Sachsen e.V. (KFS) wurden, folgten nun vor kurzem alle Dresdner Stadträte, die bislang noch nicht Mitglied waren.
Derzeit zählt das KFS über 110 Mitglieder. Verglichen mit anderen ostdeutschen Ländern sind wir nicht die Spitze. Das Kommunalpolitische Forum in Brandenburg hat weit über 400 Mitglieder, und selbst im dünnbesieMecklenburg-Vorpommern delten überflügelt das Kommunalpolitische Forum mit über 200 Mitgliedern das sächsische Forum. 2014 sind die nächsten Kommunalwahlen in Sachsen. Mit dieser Wahl werden wieder viele langjährig tätige und erfahrene KommunalpolitikerInnen ausscheiden und eine neue Generation wird in die Mandate nachrücken. Für das KFS wird noch nötiger als bisher sein, die Neuen auf ihr Mandat vorzubereiten und für sie dann nach der Wahl weitere Bildungsangebote vorzuhalten. Dazu wäre es auch gut, die Mitgliederbasis des KFS zu verbreitern. Die Vorsitzende des KFS, Simone Luedtke, Oberbürgermeisterin der Stadt Borna und der gesamte Vorstand des KFS würden sich freuen, wenn weitere Fraktionen wie die Dresdner nun vollzählig Mitglied im KFS würden.
Juni 2012
Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag
ParlamentsReport Kein Geld für Kommunen – Koalition reitet lieber das Sparschwein
Dass erneut Tausende Menschen gegen die sächsische Bildungspolitik unter Regie der CDU/ FDP-Staatsregierung demonstriert haben, zeigt vor allem eines: Der Wechsel an der Spitze des Kultusministeriums hat bisher nicht zum notwendigen Politikwechsel geführt. Damit ist auch nicht zu rechnen, solange die CDU die Staatsregierung anführt und die FDP ihr assistiert. Der Lehrermangel wird sich weiter verschärfen, ebenso wie die Defizite bei der frühkindlichen Bildung durch einen unzureichenden Personalschlüssel in den Kitas. Lehrer/innen, Eltern und Schüler/ innen haben trotz struktureller Defizite des sächsischen Schulwesens beachtliche Leistungen erbracht – siehe Pisa-Ergebnisse. Aber eine überdurchschnittliche Zahl von Schülern ohne Abschluss ist seit vielen Jahren, ebenso wie die in Ostdeutschland niedrigste Quote von unter Dreijährigen in öffentlicher Kinderbetreuung, Ausdruck von grundsätzlichen Mängeln im hiesigen Bildungssystem. Nun droht dem Bildungswesen in Sachsen durch schwarz-gelben Sparwahn sogar schrittweise der Kollaps. Statt notwendige Investitionen in Bildung auf den Weg zu bringen, reden CDU und FDP über ein Neuverschuldungsverbot für die Landesverfassung, obwohl der Freistaat seit 2006 keine neuen Schulden gemacht und keine ernsthafte landespolitische Kraft – auch nicht DIE LINKE – nach zusätzlicher Verschuldung gerufen hat. Reden wir also über das, worauf es jetzt ankommt: Vorfahrt für die Bildung!
Völlig unverständlich fand das nicht nur die kommunalpolitische Spre cherin der LINKEN, Marion Junge: „Sachsen rechnet im laufenden Doppelhaushalt mit Steuermehreinnahmen von 1,6 Mrd. Euro. Das zeigt, dass sich die sächsische Wirtschaft von der Finanz- und Wirtschaftskrise erholt hat. Und das zeigt auch, dass die vom Finanzminister angezettelte und von Schwarz-Gelb durchgewunkene Kürzungsorgie im Doppelhaushalt 2011/2012 völlig überzogen war. Der Doppelhaushalt hätte korrigiert werden müssen!“ Da die kommunalen Investitionshaushalte besonders von den Kürzungen betroffen waren – der Anteil an Investitionsmitteln in Sachsens Kommunen sank im Vergleich zu 2010 um 47 Prozent –; ist eine deutliche Aufstockung der Investitionspauschale mehr als geboten. Deshalb
© Dieter-Schütz / PIXELIO
Liebe Leserinnen und Leser!
Ginge es nach der LINKEN, bekämen Sachsens Kommunen bald mehr Geld. Am 14. Juni stand der Gesetzentwurf der Linksfraktion zur Verdoppelung der Investitionspauschale für die Kreisfreien Städte und Landkreise im Jahr 2012 zur abschließenden Plenar-Beratung an. CDU und FDP nutzten ihre Landtagsmehrheit und lehnten ab.
schlug DIE LINKE mit dem Gesetzentwurf vor, die jetzige Investitionspauschale für die kreisfreien Städte und Landkreise um 51 Millionen Euro zu erhöhen, um den Druck auf die Kommunalhaushalte abzumildern. „Eine Vielzahl der Kommunen hat aufgrund rückläufiger Schlüsselzuweisungen und größerer Soziallasten in diesem Jahr kein Geld für Investitionen zur Verfügung. Sie können auch nicht auf Fördermittel zurückgreifen, weil
ihnen die notwendigen Eigenanteile fehlen. Insbesondere werden Investitionen im Kita-, Schulhaus- und Straßenbau sowie bei Sportstätten zurückgestellt. Damit sich das ändert, muss die Investitionskraft der Kommunen in diesem Jahr noch einmal gestärkt werden“, unterstrich Marion Junge das Gesetzesanliegen: „Der Staat hat die verfassungsmäßige Pflicht, die kommunale Ebene angemessen finanziell auszustatten.“
„Alles im Lot?“ – LINKE unterstützt DGB-Kampagne für neues Vergabegesetz Der DGB Sachsen reist derzeit mit der Kampagne „Billig kommt teurer“ durchs Land, um für ein neues Vergabegesetz in Sachsen zu werben und dieses einzufordern. Die Fraktionen der LINKEN und der SPD haben
dazu unlängst einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht. In Dresden wählte DGB-Regionsvorsitzender Ralf Hron (re.) die Eissporthalle an der Magdeburger Straße als Anlaufpunkt, da die Halle durch
Foto: efa
Dr. André Hahn Fraktionsvorsitzender
Baupfusch schon nach kurzer Nutzungszeit mit erheblichem finanziellen Aufwand wieder „fit“ gemacht werden muss. „Mitunter erweist sich das vermeintlich ‚billige‘ Angebot durch Nachträge und Nachforderungen am Ende teurer als erwartet. Wettbewerb muss über Qualität erfolgen und darf nicht auf dem Rücken der Beschäftigen über den Missbrauch von Billig-Jobs, Leiharbeit und schlechten Arbeitsbedingungen ausgetragen werden. Gerade die öffentliche Hand muss daher in ihrer Vergabepraxis eine Vorbildfunktion erfüllen!“ fasst der Wirtschaftsexperte der LandtagsLINKEN, Karl-Friedrich Zais, die Position seiner Fraktion zusammen. Bei der Fotoaktion an der Eishalle übernahmen MdL Kerstin Lauterbach aus Großenhain (vorn) und Fraktionschef Dr. André Hahn (Mitte) die symbolische DGB-Wasserwaage, damit künfefa tig „Alles im Lot“ ist.
PARLAMENTSREPORT
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Staatsregierung negiert Gefährdungs analyse für Leipziger Flughafen
Sachsen legt Axt an Berufsfachschulen
Es war nicht das erste Mal, dass ein Fernsehbeitrag zu einer Landtagsdebatte führte. Und es war auch nicht das erste Mal, dass die Fraktion DIE LINKE den Missbrauch des Leipziger Flughafens als Drehscheibe für Militärtransporte zum Plenarthema machte. Am 13. Juni war es der MDRBeitrag „Exakt“ vom 21. März 2012, dem der Antrag der LINKEN („Erkenntnisse der Staatsregierung zu bestehender Terrorgefahr sowie eklatanten Sicherheitsmängeln und -risiken auf Grund der militärischen Nutzung des Flughafens Leipzig/Halle“) folgte. Die im MDR öffentlich gemachten, offensichtlich eklatanten Sicherheitsrisiken und der ignorante Umgang der sächsischen Staatsregierung damit, konnten nicht unkommentiert bleiben. „Der Sendung zufolge halten Sachsens Innenminister und die Flughafenleitung eine Gefährdungsanalyse des Landeskriminalamtes Sachsen (LKA) von 2008 geheim, aus der sich erhebliche Schwachstellen der Flughafensicherung und hieraus resultierende Risiken für die Sicherheit von zivilen Flugpassagieren, den Flughafen nutzenden Militärangehörigen sowie Anwohner/innen ergeben“, so Klaus Bartl, Recht
Was die Staatsregierung meint, wenn sie vorgibt, die duale Ausbildung zu stärken, offenbarte am 13. Juni die Aktuelle Debatte im Sächsischen Landtag.
experte der Linksfraktion. Der MDR-Beitrag stuft die Anschlagsgefahr auf US-Militärangehörige, die als Transitpassagiere den Flughafen für Zwischenstopps nutzen, als wahrscheinlich ein. Nichtsdestotrotz wiesen CDU und FDP den Antrag der LINKEN zurück. Die Staatsregierung sieht sämtliche Sicherheitsanforderungen erfüllt, hält den Flughafen nicht für ein Terrorziel und hat auch kein Problem damit, dass ausgerechnet dort das Sicherheitspersonal „eingedampft“ wurde.
„Sowohl Zivilisten als auch Militärangehörige sind extrem gefährdet. Der vorstehende Abzug der Truppen aus Afghanistan wird die militärischen Flugbewegungen in Leipzig nicht nur erhöhen, es ist zudem nicht auszuschließen, dass Terroristen nach derartig offenen Flanken suchen werden. Wer das für Panikmache hält, der sollte sich überlegen, welche Argumentationsbasis als politisch Verantwortlicher er denn hätte, wenn tatsächlich etwas passiert“, warnte Bartl.
Sachsens Lehrkräfte packen Bildungspaket neu als Lehrer/in anerkannt werden und der
altersgerechte Übergang für aus dem Schuldienst ausscheidende Lehrer/ innen ordentlich geregelt wird.
Foto: efa
„Annahme verweigert! WIR packen neu“ – so die Botschaft der Lehrer und Lehrerinnen in Sachsen. Am 13. Juni schickten sie symbolisch das dürre Bildungspaket der Staatsregierung zurück und füllten ein neues, größeres und gehaltvolleres – und damit eines, das dem Lehrernotstand im Land wirklich abhelfen, das Unterrichtsausfälle minimieren und die Attraktivität des Lehrerberufs heben könnte. Fast 6.000 Pädagogen waren zur „Packstation“ zwischen Kultusund Finanzministerium gekommen, darunter auch Cornelia Falken, selbst Lehrerin und Mitglied des Sächsischen Landtags. Im Namen ihrer Fraktion legte sie den Forderungskatalog der LINKEN mit in das neue „Bildungspaket“. Neben der Forderung nach Erhöhung und Verbesserung der bildungskapazitäten in den Aus Lehramtsstudiengängen der Universitäten will DIE LINKE, dass Lehramtsabsolventinnen und -absolventen eine rechtsverbindliche Einstellungsgarantie erhalten, dass im Ausland erworbene Abschlüsse und Qualifikationen
„Kahlschlag der Staatsregierung an den Berufsfachschulen stoppen – Zukunftschancen junger Menschen erhalten“ hatte DIE LINKE ihren Antrag überschrieben und die geplanten Kürzungen bei außerbetrieblichen Ausbildungsgängen an Berufsfachschulen öffentlich gemacht. So sollten Berufsfachschulen für Technik und Wirtschaft komplett eingestellt werden, womit bspw. gut nachgefragte Ausbildungsgänge für Informatik und Kommunikation oder Geologie- und Bohrtechniker um ihre Existenz gebracht worden wären. Heike Werner, familienpolitische Sprecherin der LINKEN, verwies in ihrer Rede auf die gravierenden Auswirkungen, die die Streichliste, wenn nun auch abgeschwächt, auf den ländlichen Raum haben werden: „Berufsfachschulen sind hier ein wichtiger Bestandteil für die Strukturent wicklung, weil sich die Schulträger mit Praxispartnern aus der örtlichen Wir tschaft MdL Heike Werner verbunden haben. Mit dieser ergänzenden Qualifikationsmöglichkeit wird jungen Menschen praxisnah der Weg in den 1. Arbeitsmarkt geebnet. Kleinen und mittelständischen Unternehmen fehlen meist die Ressourcen, eine solche Ausbildungsaufgabe qualitätsvoll zu leisten. Was jetzt geschieht, steht in krassem Widerspruch zu den Anforderungen des Kultusministeriums an die Kommunen, Berufsschulzentren zu Kompetenzzentren zu entwickeln, denen im ländlichen Raum besondere Bedeutung zukommt.“ Die Kappung eines Teils der landesrechtlich geregelten Berufsbildungsgänge beeinflusst zudem die Schulnetzpläne. Für Heike Werner ein gefährlicher Fakt: „Werden die Schulnetzpläne und auf deren Basis geleistete Investitionen wieder infrage gestellt, kommt es unweigerlich zu Rückforderungen von EUFördermitteln.“ MdL Werner appellierte an die Kultusministerin: „Frau Kurth, emanzipieren Sie sich von diesem Finanzminister! Schauen Sie bitte auf Ihre Fachbereiche! Fassen Sie in Zukunft Beschlüsse, die tatsächlich tragfähig sind, damit wir nicht wieder so ein Chaos haben, wie wir es heute hier besprechen müssen!“
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PARLAMENTSREPORT
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Foto: Maximilian Kretzschmar
Plenarspiegel Juni 2012
Alfred Müller aus Dresden vorm Finanzministerium: „Ich unterstütze die Anzeige der LINKEN!“
Strafanzeige gegen Finanzminister – LINKE und SPD vermuten Untreue Klaus Bartl (DIE LINKE) und Karl Nolle (SPD) haben gemeinsam Strafanzeige gegen Sachsens Finanzminister Georg Unland (CDU) gestellt. Die beiden MdL werfen Unland Untreue vor. Im Parlamentsreport spricht der rechtspolitische Spre cher der Landtagsfraktion DIE LINKE, Klaus Bartl, über die Hintergründe:
stelliger Millionenhöhe pro Quartal an die im Notverkauf eingetretene Baden-Württembergische Landesbank, bis dass die volle Bürgschaft von 2,75 Mrd. Euro getilgt ist, ist das Handeln des Finanzministers schlicht verantwortungslos.
Worauf zielt die Anzeige?
Prof. Unland hat den Landtag und die Öffentlichkeit stets glauben lassen, dass bei der zwar feststehenden Mitverantwortung des Kreditausschusses und der Verwaltungsräte, nur gegen die Bankmanager vorgegangen werden sollte, da nur diese durch eine Haftpflichtversicherung in Höhe von 50 Mio. Euro abgesichert sind. Allein diese Argumentation ist befremdlich, schließlich fragt, wenn der „Normalbürger“ einen Schaden verursacht, auch kein Finanzamt oder sonstiges Gremium des Freistaates danach, ob er den zu ersetzenden Schaden aus einer Haftpflichtversicherung tilgen kann. Unabhängig davon wurde aber jetzt erst bekannt, dass auch für die damaligen Mitglieder des Kreditausschusses und des Verwaltungsrates offenbar eine so genannte OrganHaftpflichtversicherung existiert. Wir fragen uns natürlich, weshalb dann nicht auch gegen diese, in der Regel Politiker in herausgehobenen Ämtern, wie Minister, Staatssekretäre, Landtagsabgeordnete, Oberbürgermeister usw. nicht mit Schadenersatzforderungen vorgegangen wurde. Es steht zu vermuten, dass diese eben vom „politischen System“ geschützt werden, dass hier „nicht reingeleuchtet“ werden sollte.
Klaus Bartl: Wir sehen Finanzminister Prof. Unland im Verdacht, die ihm durch Gesetz und Amt anvertrauten Vermögenssicherungs- und Vorsorgepflichten für den Freistaat Sachsen dadurch gravierend verletzt zu haben, dass er für den durch den Crash der früheren SachsenLB entstandenen Schaden keinen einzigen der 41 Vertreter in den Überwachungs- und Kontrollgremien zur Verantwortung zog. Ohne die Zustimmung der jeweiligen Mitglieder des Kreditausschusses bzw. des Verwaltungsrates der SachsenLB wären die Hochrisikospekulationsgeschäfte, die letztlich zur de facto-Pleite der Landesbank geführt hatten, erst gar nicht zu Stande gekommen. Wenn sich Unland jetzt nur an die acht Bankvorstände bzw. -manager hält und nur sie allein verklagt hat, ist zu erwarten, dass diese dann genau das zu ihrer Entlastung einwenden werden. Bei dem 750-Mio.-Euro-Schaden, der den Bürgerinnen und Bürgern aus dem SLB-Fiasko inzwischen entstanden ist und bei weiter folgenden Schadenersatzleistungen in drei-
Warum kommt die Anzeige erst jetzt?
Nebenbei bemerkt erhielten all diese verantwortlichen Politiker für die Mitarbeit in den erwähnten Gremien Aufwandssaläre, die die Monatsbezüge eines Hartz-IV-Empfängers ums Mehrfache überwogen … Wie kam es dazu, die Anzeige gemeinsam mit MdL Nolle einzureichen? Karl Nolle und ich saßen von 2005 bis 2009 im Landesbankuntersuchungsausschuss des 4. Sächsischen Landtages, MdL Nolle als Obmann der SPD-Fraktion. Wir haben beide bei der Untersuchung der eigentlichen Ursachen und Gründe für den ruinösen Untergang der SachsenLB schon damals tiefe Einblicke erlangt. Dass ich sein Angebot, mit mir gemeinsam die Anzeige zu erstatten und von der Staatsanwaltschaft Prüfung und Aufklärung zu verlangen dankend entgegennahm, ist deshalb nur logisch.
Am 13 und 14. Juni 2012 fand die 57. und 58. Sitzung des Sächsischen Landtags statt. Folgende parlamentarische Initiativen wurden von der Fraktion DIE LINKE eingebracht: Aktuelle Debatte: „Kahlschlag der Staatsregie rung an den Berufsfachschu len stoppen – Zukunftschancen junger Menschen erhalten!“ Gesetzentwürfe – „Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst im Freistaat Sachsen“, 2. Lesung, (Drs 5/4819) – „Gesetz zur Verdoppelung der Investitionspauschale für die Kreisfreien Städte und Landkreise im Jahr 2012“, 2. Lesung (Drs 5/7777) Änderungsanträge – zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales und Verbraucherschutz zum Gesetzentwurf der LINKEN zum öffentlichen Gesundheitsdienst (s.o.), (5/9371) – zum SPD-Antrag zur Weiterentwickelung des sächsischen Bildungsplans (Drs 5/9374) Anträge – „Erkenntnisse der Staatsregierung zu bestehender Terrorge fahr sowie eklatanten Sicher heitsmängeln und -risiken auf Grund der militärischen Nut zung des Flughafens Leipzig/ Halle“ mit Stellungnahme der Staatsregierung (Drs 5/8669) – „Gefahren durch Grundwas seranstieg im Freistaat Sachsen abwenden“ (Drs 5/9268) In den Beschlussempfehlungen und Berichten der Landtagsausschüsse (Sammeldrucksache 5/9279) waren folgende Anträge der Fraktion DIE LINKE enthalten: – „Steuerrechtliche Ungleich behandlung zwischen Beschäftigten im öffentlichen Dienst und Beschäftigten in der Privatwirtschaft beenden!“ (Drs 5/8440) – „Sächsischer Weiterbildungs bericht“ (Drs 5/4318)
MdL Klaus Bartl
Drucksachen (Drs) und Redebeiträge unter www.linksfraktion-sachsen.de
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PARLAMENTSREPORT
Juni 2012
Glossiert
Menschen im Glück
Das Wasser bis zum Hals Die Zurückweisung ließ nicht lange auf sich warten. Kaum hatte die Fraktion DIE LINKE die Folgen des Grundwasseranstiegs in einigen Regionen Sachsens, zum Beispiel in den Braunkohlebergbau-Nachfolgegebieten, auf die Tagesordnung des Juni-Plenums setzen lassen, ließ Sachsens Umweltminister per Presserklärung wissen: 1. Die Grundwasserstände sind gefallen, 2. Der Grundwasserwiederanstieg in den betroffenen Gebieten ist dem Regen 2010 geschuldet und überhaupt geht es 3. mal wieder nur um billigen Populismus ... Nasse Keller, verschlammte Gärten, Wasser quer durchs Grundstück alles Populismus? Der Endlosbau der A72 wird noch endloser, weil das Grundwasser bis zu vier Meter höher steht als einst vermutet. Im Straßenbau, im Bahnbereich, an Häusern oder auf landwirtschaftlichen Nutzflächen - es gibt bereits einen ganzen Katalog an Schäden! Und an Betroffenen, die auf Hilfe hoffen und diese, wenn sie Glück haben, teils von der LMBV, nicht aber von der Staatsregierung bekommen. Eine flächendeckende Übersicht über die tatsächlichen Grundwasserstände hat die Staatsregierung
nicht. Sollte sie aber haben! Und Umweltministerium zu dem Schluss, sie darf die Schadensabwehr nicht dass es an mangelhafter (kommuPrivathaushalten und Betrieben naler!) Pflege der Gewässer II. Ordaufbürden! So die Forderung der nung, an zu viel Regen und an „falsch LINKEN, nachzulesen im Antrag gebauten“ Häusern liegt, dass es 5/9268: „Gefahren durch Grund- überhaupt Probleme mit dem Grundwasseranstieg im Freistaat Sachsen wasser gibt“, so Pinka. abwenden“. „Das Umweltministerium muss schnellstens regionale Bei dieser (Fehl-)Einschätzung Arbeitsgruppen bilden und blendet die Staatsregierung dort ortsansässige Sachvernicht nur die seit längerem ständige integrieren. Diese bestehenden und auch in Gruppen sollen sich dem der Anhörung zum LINKEN Grundwasseranstieg, der Vorgänger-Antrag („Umgang Wassergütesituation und mit hohen Grundwasserständen Standsicherheitsfragen den: BürgerInnen und Unterwidmen, daraus Maßnehmen unterstützen.“ nahmen ableiten und Drs 5/5692) dargestellfinanzielle Umsetzungsten Problemen in weiten möglichkeiten aufzeiTeilen Sachsens aus und gen“, so die umwelt fordert unverdrossen politische Sprecherin „eigenverantwortliches Dr. Jana Pinka. Handeln“ der betroffenen MdL Dr. Jana Pinka Bürger, Landwirte, KommuDer Antrag der LINKEN listet auch nen und Unternehmen ein. Fehler des Berichts der Staatsregierung vom April auf und dringt auf „Auch wenn Schwarz-Gelb unseren Nachbesserung. „Wir haben festge- Antrag jetzt abgelehnt hat, werden stellt, dass die Staatsregierung für wir die Staatsregierung nicht aus der ihren Bericht nicht die Daten aller Pflicht entlassen und weiter veheinfrage kommenden Grundwasser- ment Gegenmaßnahmen zum Schutz messstellen einbezogen hat und von Hausbesitzern und Firmen eindie statistische Auswertung fehler- fordern“ kündigte Umweltexpertin haft ist. Wohl deshalb kommt das Pinka an.
Völker, hört die – ähm – Vuvuzelas ?!? Sie haben es gut. Sie wissen schon, wer Fußball-Europameister ist. Ich nicht, denn während ich das hier schreibe, laufen die Spiele noch und
ich frage mich, ob Deutschland sein „Sommermärchen“ bekommt oder sich demnächst verzweifelt weinende Männer im Arm (im anderen
ein Bier) liegen, weil’s nicht gereicht hat und das Geld für die „Spiegelsocken“ an den Autos ein glatt rausgeschmissenes war? (Nicht traurig sein, die geben noch gute Badekappen ab. Sogar für Zwillinge!) Dem 1. Vizepräsidenten und Torschützenkönig des FC Landtag, der auch Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Landtag ist, kann das eigentlich egal sein. Erstens wollte er sowieso, dass „die beste Mannschaft gewinnt“ und zweitens hatte er sein EM-Highlight schon vorm ersten Anpfiff, nämlich beim Länderspiel Deutschland-Israel in Leipzig. Hier traf André Hahn auf den Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft, Uwe Seeler. Nach dem Foto mit ihm, hätte wohl auch ein EM-Sieg der Holländer seine Freude nicht mehr trüben können … efa
Was hat die Frau doch für ein Glück! Uta Windisch lebt nicht nur im schönsten Freistaat der Welt, sie gehört auch zu deren glücklichsten Bevölkerungsgruppe: der Sachsen-CDU. Diese wiederum hat das Potenzial der evangelisch-lutherischen Frohnatur erkannt und bringt die beneidenswert sorglose Erzgebirgerin für so ziemlich jedes Plenar-Thema in Stellung: Kritik an der sauteuren neuen Imagekampagne für Sachsen? Happy Uta wischt sie hinweg und zeigt so lange auf „die vielen glücklichen Menschen“, bis selbst dem politischen Gegner die Träne der Rührung ins Auge schießt. Probleme mit steigendem Grundwasser in Sachsens Kellern? Auch hier greift Super-Uta durch! Wenig zimperlich wird die Ningel*Opposition mit der Geschichte vom alten Handwerksmeister entwaffnet, der dem UnionsRhetorikwunder dereinst im schönen „Arzgebirch“ anriet, bloß keinen Beton in den Keller zu kippen, weil auch Grundwasser mal kommt und mal geht … Ob dieser anrührenden Betrachtungsweise kann selbst die einzige DiplomMineralogin im „Hohen Haus“ (Dr. Jana Pinka, DIE LINKE) nur beschämt das Haupt senken und darüber nachdenken, wie sie das den um ihre Existenz bangenden Menschen in den Bergbaufolge-Regionen ver klickern soll. Nach „Lucky Uta“ haben die eigentlich gar kein Problem. Es fehlt wohl nur an der richtigen Einstellung (Und an einem allwissenden Holzmichl. Oder so.) efa * für Nicht-Sachsen: ningeln=nörgeln
Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Fax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Elke Fahr
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Jugend
7-8/2012 Sachsens Linke!
Ein bisschen Mehr muss sein
Pfingstcamp 2012 der linksjugend[‚solid] Sachsen
Es ist seinem Motto gerecht geworden – das diesjährige Pfingstcamp trug den Titel »Darf’s ein bisschen mehr sein? – Im Land der lachenden Rehe«. Mehr Menschen, mehr Sonne, mehr Glitzer, mehr musikalische Vielfalt, mehr Parteienvielfalt: all diese Dinge beschreiben eine gelungene Veranstaltung, deren Organisation im Vorfeld wieder vielen Menschen viele Nerven gekostet, jedoch auch eine Menge Spaß gemacht hat. Was mit einem zweitägigen Aufbau im Vorfeld begann, nahm seinen Lauf mit der Ankunft des erstens Zugs am Zittauer Bahnhof. Bei wunderbarstem Wetter kamen bis zum Freitagabend knapp 400 Menschen in Bílý Kámen (Doksy, Tschechien) an. Bis zum Ende des Camps am Sonntag zählten wir letztlich über 400 Menschen. Die Workshop- und Seminarangebo-
te wurden gut angenommen. Thematisch gaben Veranstaltungen zu u. a. Extremismusklausel, Schulpolitik, Queerpolitik, EU-Außengrenzen, Klettern, NSU, Drogenpolitik, Gender/Wissenhierarchien, Porno, Spanischer Bürgerkrieg, Theaterimprovisation, Wohlfahrtsliberalismus, Parteiradio Leitkultur, Drucken/ Stencil/Beutel, Politische Entwicklung in Ungarn, Jugendpolitik, Programmdebatten, Datensicherheit, Saniworkshop, Bolzen, Inklusion, Knigge und ACTA eine bunte Mischung ab. Als Highlight ging schon im Vorfeld des Camps ein Gerücht um: Martin Sonneborn (Vorsitzender von DIE PARTEI, ehemaliger Chefsatiriker der TITANIC) würde kommen und seinen Film »Heimatkunde« vorführen. Leider konnte krankheitsbedingt nur das ebenfalls hohe PARTEI-Tier Georg Behrend erscheinen. Besondere Aufmerksamkeit erregte ein Mob aus Aerobictanzenden Menschen, der sich zeitweise über das Camp bewegte, initiiert von einem ehemaligen sächsischen JuKo. Gut besucht wurde au-
ßerdem die Live-Variante von »Ruck Zuck«. Musikalisch wurde auch dieses Jahr die elektronische Schiene gut bedient, allerdings waren auch Hip Hop, Schlager, Pop und Arbeiterlieder (bevorzugt am Lagerfeuer) vertreten. Die Verpflegung wurde dreigeteilt, um
das Durcheinander des letzten Jahres zu entwirren – vegan, vegetarisch und omnivor. Wir danken allen Menschen, die dabei waren – ob zum ersten Mal oder zum gefühlten 30. Mal und freuen uns, wenn es euch gefallen hat. Übrigens wird es auch wieder ein Aus-
wertungstreffen geben. Für alle interessierten Menschen: der Termin ist bei Rico Knorr in Erfahrung zu bringen. Lisa-Marie Jatzke (Mitglied Beauftragtenrat linksjugend [‚solid] Sachsen)
mit dem Diskussionsschwerpunkt Grundeinkommen – für und wider, Gewerkschaftshaus, Schützenplatz 14, Dresden 7. Juli, ab 18:00 Vortrag »Das Patriarchat ist tot, es lebe das Patriarchat?!« im linXXnet, Bornaische Straße 3 d, Leipzig 8. Juli, ab 18:00 Vortrag »Von der Menschwerdung der Frau« im linXXnet, Bornaische Straße 3 d, Leipzig 11. Juli, ab 18:00 Vortrag »Entwicklung des CSDs - Kritik und Perspektiven« in der B12 e.V., Braustraße 20, Leipzig 14. Juli, CSD-Demo in Leipzig mit der großen Frage, wer hat wohl den schönsten DemoWagen ;) 15. Juli, Sitzung des Beauftragtenrates (BR) ab 12:00 im linXXnet, Bornaische Straße 3 d, Leipzig 21. bis 29. Juli, AntifaCamp bei Weimar, mehr unter http:// antifacamp.net/ 21. Juli, TÜDELÜ - Das SchwulLesbischBiHeteroTrans-Parkfest in Chemnitz, Programm unter http://tüdelü-chemnitz. de/ 21. Juli, CannabisKulTour in Dresden, mehr unter http:// cannabiskultour.de 22. Juli, CannabisKulTour in
Chemnitz, mehr unter http:// cannabiskultour.de 25. Juli, CannabisKulTour in Bautzen, mehr unter http:// cannabiskultour.de 26. Juli, CannabisKulTour in Zwickau, mehr unter http:// cannabiskultour.de 27. Juli, CannabisKulTour im Herderpark Leipzig, mehr unter http://cannabiskultour.de und www.linxxnet.de 28. Juli, Global Space Odysee (GSO) in Leipzig, kulturpolitische Demonstration und Plattform für die verschiedensten alternativen Kulturschaffenden in Leipzig, mehr unter http://www.gso-le.de 28. Juli, ab 13:00 KrimsKrams – Vorträge, Workshops und Kultur im Jugendclub Gnandorf, Raupenhainerstraße 12, Borna, mehr unter http://boncourage.de/ 29. Juli bis 5. August, Sommercamp der linksjugend [’solid] in Kratzeburg an der Müritz, Anmeldung und Infos unter http://soca12.wordpress.com/ 11. bis 19. August, Klima- und Energiecamp in Jänschwalde/ Janšojce, mehr unter http:// www.lausitzcamp.info/
Eine Reise, die ist lustig – Termine eine Reise, die ist schön… Bald ist es wieder soweit: die Provinzparade geht in die nächste Runde! Wir packen auch schon wie im letzten Jahr unsere Koffer und machen uns gemeinsam auf den Weg, um vom 20.8. bis zum 9.9.2012 que(e)r durch sächsische Dörfer, Kleinstädte und Provinzen zu touren. Wieso wir das tun? Ganz einfach: um Menschen zu treffen und zu erreichen, Präsenz zu zeigen, uns miteinander zu vernetzen, gegenseitig unter die Arme zu greifen und uns auch einfach mal alle ein bisschen besser kennenzulernen. Auf dem Programm stehen Workshops (Beutel nähen, Stencils basteln,...) , Live-Berichterstattungen auf dem Blog der Linksjugend Sachsen (http:// w w w.linksjugen d - b log g t . de/), gemeinsames Feiern und natürlich haben wir die Taschen voller Infomaterialen, wie zum Beispiel Flyer, Aufkleber, Broschüren, CDs und so weiter. Um das alles umsetzen zu können, brauchen wir eure Hilfe: Wir suchen ambitionierte Menschen, die sich mit uns dieser Aufgabe stellen und es wieder zu einem Projekt machen möchten, an das wir gerne noch in mehreren Jahren zurückdenken. Wenn ihr
genau darauf Lust habt, dann schreibt einfach eine Mail an unseren Beauftragtenrat (beauftragtenrat@lists.linksjugend-sachsen.de), der sich mit euch in Kontakt setzen wird und seid dabei. Wir freuen uns auf jede_n einzelne_n von euch, der_die sich mit einbringen möchte! Sandra Weiße, Mitglied Beauftragtenrat linksjugend [‚solid]
Provinzparade 2011 in Bautzen
6. bis 8. Juli, linke Sommerakademie, mehr unter http://links-sachsen. de/2012/03/3822/ 7. bis 14. Juli, CSD-Woche in Leipzig, mehr unter http:// www.csd-leipzig.de/ und http://queer.dielinke-sachsen. de/ 7. Juli, ab 10:30 Konferenz »Arbeit und Existenzsicherung im demokratischen Sozialstaat«
Mehr Infos unter www.linksjugend-sachsen.de
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Die gewendete Energiewende Das Wort Energiewende hat sich seit Fukushima und dem damit verbundenen Machtwechsel in Baden-Württemberg in unserer Gesellschaft durchgesetzt und wird nun von fast allen Medien und politisch Verantwortlichen tagtäglich propagiert bis strapaziert. Allerdings meinen alle Seiten nur scheinbar das Selbe, in Wirklichkeit ist die Energiewende nur ein Synonym zur Durchsetzung bestimmter Interessen. Entsprechend den Machtverhältnissen breitet sich gegenwärtig die neoliberale Sicht der Energiewende aus, womit letztlich der eigentliche Sinn verloren geht, denn hinter dem Begriff verbirgt sich viel mehr als nur eine Veränderung unserer Energiewirtschaft. Dass es die Wirtschaftsstrategen dabei nicht schwer haben, ihre Ideologie zu verfolgen, liegt zum Einen daran, dass die Gegenseite ihre Positionen immer mehr aufweicht, und zum Anderen an dem Aufeinandertreffen unterschiedlichster Interessen. Wie komplex und vielschichtig dieser Prozeß ist, soll an den Folgen der Energiepolitik der sächsischen Landesregierung untersucht werden, welche konsequent den neoliberalen Wandel durchsetzt. Der Landesentwicklungsplan als Instrument der bürgerlichen Energiewende Die sächsische Landesregierung hat in ihrem Landesentwicklungsplan vom Frühjahr 2012 festgeschrieben, dass künftig rd. 30 % der Energie durch Windkraftanlagen erbracht werden sollen. Das klingt zunächst gut und entspräche dem Wandel hin zu den erneuerbaren Energien, verbirgt aber große Spannungsfelder, die gegenwärtig über die betroffenen Bürger, die Kommunalpolitiker und zu Lasten der Natur ausgetragen werden. Das Problem sind die Flächen, auf denen die Windräder stehen sollen. Die Rolle der Planungsverbände Regionale Planungsverbände haben u.a. die Aufgabe, solche Flächen zu finden, ihre Genehmigungsfähigkeit zu prüfen, die Bürger in den Aufstellungsbeschluß der Anlagen einzubeziehen und der Politik Vorschläge zur Umsetzung zu machen. Ist ein Planungsverband dazu nicht in der Lage oder findet er aus objektiven Gründen keine entsprechenden Flächen, legt die Landesregierung administrativ Gebiete zur Windener-
gienutzung fest, ohne Einbeziehung der Bürger und der Kommunalpolitiker vor Ort. Der regionale Planungsverband Oberes Elbtal/Osterzgebirge hat entsprechend der Auflagen der Landesregierung potentielle Flächen ermittelt, diese mit den Bürgern erörtert, der Politik zum Beschluß vorgelegt und stößt nun auf erheblichen Widerstand von allen Seiten. Sitzungen des Planungsverbandes mussten in große Säle verlegt werden, weil hunderte betroffener Bürger der Region zur Teilnahme angereist waren. Die Aufstellungsbeschlüsse zu den Windanlagen wurden immer wieder verschoben, weil es bisher zu keiner Einigung aller Beteiligten gekommen ist. Die Interessengegensätze Der Grund ist, daß die Energie-
ativen, den Planungsverband und die Politik; der Planungsverband gegen die Bürgerinitiativen, die Politik und teils gegen die Investoren ... So stehen letztlich alle gegen alle. Nicht ganz, die Landräte stehen buchstäblich zwischen allen und darum bleibt ihnen nur noch zu lavieren. Ihrer Landesregierung dürfen sie nicht, den Bürgerinitiativen können sie nicht widersprechen, das sind ihre Wähler. Persönlich stehen sie den Anliegen der Bürgerinitiativen näher als den Vorgaben aus Dresden, aber von dort kann man parteipolitische Maßnahmen einleiten, die wiederum bei der Aufstellung für die nächsten Wahlen von Bedeutung sind. Und die Landesregierung selbst, die lässt streiten und erwartet, dass ihr Wille geschieht.
Pacht ihrer Felder oder Wälder an. Voriges Jahr ging es noch um 25 000 Euro/Jahr je Fläche, jetzt werden schon über 60 000 Euro geboten. Da unterschreiben dann doch einige, geben ihre Landwirtschaft auf und wollen in Zukunft von der Windenergie leben. Aus Feldern und Wäldern werden Windparks. Die Investoren sprechen von der Energiewende, die sie voranbringen wollen, erwähnen aber die hohen Renditen nicht, die aus den Millioneninvestitionen für die über 200 Meter hohen Windanlagen sprudeln. Pächter und Verpächter denken zuallererst an ihren Gewinn und nicht an den sauberen Strom. Hieraus ergibt sich der Konflikt für den anderen Teil der Bevölkerung, denen ihre Landschaft als Lebensraum dient. Er besteht in der Diskrepanz von
Folie: Bürgerinitiative gegen Windkraftanlagen
wende nicht allein eine ökonomische Veränderung ist, sondern dass sich ihre Folgen vor allem auf den Naturschutz, den Städtebau und im Sozialbereich auswirken. Dementsprechend viele Gegensätze müssen berücksichtigt werden, was aber bekanntlich eine Kunst ist, die niemand kann. Es streiten die Bürger, organisiert in Bürgerinitiativen, gegen den Planungsverband, die Landesregierung und Investoren; die Politik untereinander sowie gegen den Planungsverband, die Landesregierung und die Bürgerinitiativen; die Investoren gegen die Bürgerinitiativen, in Konkurrenz untereinander und gegen den Planungsverband; Bürger, die ihre Flächen an Windanlageninvestoren verpachten wollen, gegen die Bürgeriniti-
Der Konflikt Die Landesregierung und die Mehrheit der Politik wollen den Energiewandel, jedenfalls das, was sie darunter verstehen. Darum ordnen sie ihn an, ohne Einbeziehung der Beteiligten. Es wird deshalb kein Meter weniger Braunkohle abgebaut und es werden auch keine besseren Voraussetzungen für die Solarbranche geschaffen, alles soll bleiben wie es ist, aber mehr Strom aus Wind soll dazu kommen. Die Investoren wittern das große Geschäft. Darum waren sie auch schon vor Ort, bevor die Planungsverbände überhaupt mögliche Flächen ausgewiesen haben. Bürgerinitiativen berichten, dass die schlimmer sind als die Hamburg-Mannheimer Versicherung nach der Wende. Sie bieten den Bauern Geld für die
Energiewende gegen Natur, Landschaft und Tourismus. Alle wollen weg von den fossilen Energieträgern und meinen damit alle etwas anderes. Und weil das Hauptproblem die fehlenden Flächen sind, verkommt der gute Ansatz der sauberen Energie zum bloßen Geschäft. Nun steht nur noch Energiewende gegen Naturund Umweltschutz, den letztere unter kapitalistischen Bedingungen immer verlieren werden. Die Befürworter dieses Weges meinen, man könnte Windanlagen wieder abbauen und wollen dabei nicht zur Kenntnis nehmen, wie lange ein gerodeter Wald benötigt, um wieder natürlicher Lebensraum für Flora und Fauna zu werden. Das ist der neoliberale Weg, der die Erde zerstört. Als die Atomkraftwerke abgeschaltet wurden, ging
bei keinem einzigen Haushalt in Deutschland der Strom aus, niemand hat die Abschaltung überhaupt bemerkt, aber wir brauchen dringend mehr Energie. Dahinter verbirgt sich der ökonomische Wandel, den die neoliberalen Regierungen Europas gegenwärtig der ganzen EU aufzwingen.
Der andere Weg In den 90er Jahren war die Gesellschaft schon mal weiter und ökologischer. Es ist den Herrschenden gelungen, ihre Marktideologie wieder fest in die Gesellschaft zu verankern, bis in die Umweltverbände und unsere Partei hinein. Die Prämissen hießen damals ganz klar weniger Verbrauch, dezentrale Energiewirtschaft, Vielfalt der Energieträger, Suffizienz. Das heißt, dass wir prüfen müssen, ob wir überhaupt alles benötigen, was wir verbrauchen. Vor 15 Jahren hatten wir Energiebilanzen gefordert, die potentiellen und vorhandenen Energieressourcen sollten dem Bedarf unter Berücksichtigung der Bevölkerungsentwicklung gegenübergestellt werden, welche nach den Prognosen stetig abnimmt. Wieso brauchen wir mehr Energie mit weniger Einwohnern? Wissenschaft und Forschung sollten verbrauchsarme Geräte entwickeln, eine moderne Infrastruktur im Interesse eines preiswerten und flächendeckenden öffentlichen Verkehrs ausgebaut werden. Ziel war eine sozialökologische Entwicklung mit einer Ökonomie, die allen Einwohnern Arbeit und ein vernünftiges Leben garantiert. Durchgesetzt hat sich die andere Richtung. Damit sind wir wieder beim Landesentwicklungsplan als Instrument der Wirtschaft. Die Entwicklung zur ökologischen Energieökonomie ist auch unser Ziel, aber ist es nachhaltig, wenn dafür Wälder und zusammenhängende Naturgebiete zerstört werden und das bisschen regionale Landwirtschaft, das noch geblieben ist, aufgegeben wird? Die Planungsverbände werden von den Landesregierungen finanziert, sie müssen deren Vorgaben umsetzen, doch die Politik kann sich ihr widersetzen, dazu muss sie sich aber der ursprünglichen Visionen erinnern, weniger Wachstum, mehr Nachhaltigkeit, umfangreiche soziale und gesellschaftliche Arbeit; eine Gesellschaft eben, in der die Ökologie mit der Ökonomie, dem Sozialwesen und unserer Kultur im Einklang steht. Andreas Naumann
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Was heißt hier nachhaltig? Interessante Diskussionen zum deutschlandweiten Aktionstag für Nachhaltigkeit am 4. Juni bei der Leipziger LINKEN Aus Anlass dieses Aktionstages hat die Ökologische Plattform der LINKEN/Adele Leipzig eine Podiumsdiskussion zum Thema »Nachhaltige Kommunalpolitik kontra Ökonomie und Soziales?« organisiert. Mitveranstalter waren der Stadtvorstand, die Stadtratsfraktion und der SDS (durch dessen Vermittlung konnten wir in einem Hörsaal der Universität tagen). Podiumsgäste waren der Leipziger Bürgermeister für Umwelt, Ordnung und Sport Heiko Rosenthal (DIE LINKE) und die Berliner Genossin Katrin Lompscher. Sie ist jetzt stellvertretende Vorsitzende der LINKEN-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und war 2006–2011 Berliner Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz. Ausgehend von den Fragen, was Nachhaltigkeit eigentlich bedeutet, welche Ziele
Nachhaltigkeitspolitik anstreben sollte und ob sich die Erreichung dieser Ziele, wenn überhaupt, bewerten oder sogar messen lässt, legten beide Diskutanten zunächst Ihre Meinung aus Sicht linker Politiker dar. Bezugspunkt war eine Definition des »Rates für Nachhaltige Entwicklung«: »Nachhaltige Entwicklung bedeutet, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung so zu gestalten, dass die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben und dass wirtschaftliches und soziales Wohlergehen für gegenwärtige und künftige Generationen erreicht werden kann - bei uns und weltweit.« Nachhaltigkeitspolitik soll eine Richtschnur für langfristig tragende Entscheidungen geben und muss in alle Politikfelder integriert werden – sei es die Energie- und Umweltpolitik, die Finanz-, Sozial- oder Bildungspolitik; sie umfasst also deutlich mehr als bloße ökologische Forderungen. Katrin Lompscher wies darauf hin, dass Nachhaltigkeitsziele und -indikatoren messbar sein müssen. Heiko Rosenthal führte aus, welche der 21 Ziele der Bundesregierung mit quantifizierten Indikatoren sich die Stadt Leipzig zu eigen gemacht hat und welche Gestaltungsspielräume eine Kommune zu Verfügung hat.
Für Leipzig hat die Stadtverwaltung als Nachhaltigkeitskriterien 4 Ziele - ausgeglichener Haushalt, die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Inklusion von Migrantinnen und Migranten sowie den Klimaschutz – übernommen. Katrin Lompscher betonte außerdem die zunehmende Bedeutung der Partizipation der Bürgerinnen und Bürger, ohne die eine erfolgreiche Nachhaltigkeitspolitik nicht möglich ist. Als Beispiel dafür führte Heiko Rosenthal die jetzt gestartete Kampagne »Leipzig – weiter denken« an.
Beide Politiker legten zu zahlreichen weiteren Themen Ihre Erfahrungen mit kommunaler Nachhaltigkeitspolitik aus linker Sicht dar. Dazu gehörten die energetische Gebäudesanierung und Probleme des Passivhausstandards, Aspekte kommunaler Verkehrspolitik, des Klimaschutzes und der Steuerung des Flächenverbrauches durch die Kommune. Lompscher lobte das Schweizer Modell (Baugebot mit Frist). Berücksichtigt werden müssen auch immer die soziale Komponente (z. B. Sozialklausel bei Leipziger Umweltzo-
ne) und die Konsequenzen von Nachhaltigkeitspolitik für die Bürgerinnen und Bürger, insbesondere deren Bezahlbarkeit. Beide Gäste wiesen außerdem nachdrücklich darauf hin, dass eine Schuldenbremse für eine erfolgreiche Nachhaltigkeitspolitik kontraproduktiv ist. Die Finanzausstattung der Kommunen muss deutlich verbessert werden. Eine weitere Forderung ist die Berücksichtigung der Lebenszyklus-Kosten bei allen Prozessen. Angela Müller und Joachim Finster
tischen Leitlinien machen wir auch erste konkrete inhaltliche Angebote.« Dr. André Hahn sagte in seiner Rede: »Vor einigen Monaten bin ich von Verantwortungsträgern auf der Bundesebene wie im Landesverband gefragt worden, ob ich mir vorstellen könne, 2013 für den Bundes-
tag zu kandidieren. Ich war diesbezüglich unentschlossen, und habe deshalb die Beratung von Genossen und Freunden gesucht. Das Ergebnis ist meine heutige Kandidatur. Ich habe mir diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Ich war und bin sehr gern Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Sächsischen Landtag. In einer Situation, in der unsere Existenz im Bundestag jedoch ernsthaft gefährdet ist, bin ich bereit gemeinsam mit Katja und anderen nunmehr auch bundespolitische Verantwortung zu übernehmen. Denn wir haben nicht das Recht, das Vertrauen von mehr als fünf Millionen Wählerinnen und Wählern, die uns 2009 mit einem Rekordergebnis in den Bundestag gewählt haben, leichtfertig zu verspielen.« Die Wahl der Liste der KandidatInnen für den deutschen Bundestag erfolgt auf einer Landesver treterInnenversammlung im Frühjahr nächsten Jahres. Rico Schubert
Kleiner Parteitag der LINKEN nominiert Katja Kipping und Dr. André Hahn Der sogenannte Kleine Parteitag der sächsischen LINKEN hat am 16. Juni die Bundesvorsitzende der LINKEN, Katja Kipping und den derzeitigen Fraktionsvorsitzenden der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, Dr. André Hahn, zur sächsischen Doppelspitze für die Bundestagswahlen 2013 nominiert. Von 62 anwesenden Mitgliederndes Kleinen Parteitages, der aus dem Landesvorstand, dem Landesrat, dem Fraktionsvorstand der Fraktion im Sächsischen Landtag und den Kreisvorsitzenden besteht, stimmten 43, mithin 69,4 Prozent, für die Nominierung der beiden PolitikerInnen. In seiner Rede warb zuvor der sächsische Landesvorsitzende der LINKEN, Rico Gebhardt für die beiden PolitikerInnen, »aus unserer sächsischen Verantwortung heraus«. »Wir Sachsen haben mit unseren elf Kandidaturen für den Bundesvorstand der LINKEN, von denen acht gewählt wurden, bundespolitische Verantwortung übernommen. Weniger
wäre verantwortungslos gewesen. Nun beginnt die Kärrnerarbeit, die Zuwendung zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. Mit Katja Kipping und Dr. André Hahn besteht nun die Möglichkeit, auch wenn bisweilen verschiedene Standpunkte existieren, sich endlich wieder den Aufgaben zuzuwenden.
Mit der Nominierung der bekanntesten LINKEN PolitikerInnen in Sachsen, werden wir diese Verantwortung fortsetzen. Das gute Ergebnis für die Doppelspitze gibt dazu weiteren Auftrieb. Es ist ein Signal, wir fangen an mit dem Bundestagswahlkampf! Mit der Diskussion der Bildungspoli-
Dr. André Hahn und Karl Nolle (SPD) auf dem Kleinen Parteitag
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Seit dem Verkauf der WOBA ist der Konzern sehr bemüht, den Informationsfluss nach außen möglichst klein zu halten. Das ist übrigens nichts Besonderes. Fast alle privatwirtschaftlichen Organisationen halten es mit dem Stillschweigen wie diese sprichwörtlichen ehrenwerten Familien in Süditalien. Und was doch an die Öffentlichkeit gelangt, ist häufig mehr oder weniger dick aufgetragene Werbung in eigener Sache. Transparenz sieht anders aus. Wenn aber eine Firma als AG oder GmbH firmiert und damit von den Vorteilen der Haftungsbeschränkung Gebrauch macht oder Fremdkapital von Aktionären verwendet wird, sind vom Gesetzgeber gewisse Öffentlichkeitspflichten aufgegeben. Deshalb bietet das Unternehmensregister (elektronisch unter www. unternehmensregister.de) manch interessanten Einblick in das Innenleben von Gesellschaften. Auf der Spur der Schulden So ist es möglich, sich über den Schuldenstand und auch den Schuldendienst von Firmen zu informieren. Ein Blick in die Bilanzen des WOBAKonzerns zeigt deutlich, dass die Dresdner Schulden die Stadt nie verlassen haben. Sie wurden letztlich auf die WOBA abgewälzt und damit auf die
Fachkonferenz: I like Datenschutz 14. Juli Leipzig Am 14. Juli 2012 lädt die Europaabgeordnete Dr. Cornelia Ernst zu einer DatenschutzFachkonferenz nach Leipzig ein. Die Veranstaltung beginnnt 10:00 Uhr und findet in der GARAGE, Karl-Heine-Straße 97 statt. »Kaum ein Thema bewegt Europa trotz Euro-Krise so grundsätzlich wie die Sicherung des Grundrechtes auf Privatheit in der modernen Informationsgesellschaft. Oder kann es dies gar nicht geben – ist Privatsphäre der Preis für Freiheit und Sicherheit?« Cornelia Ernst Ablauf: 10:00 Eröffnung: MdEP Cornelia Ernst und MdEP Jan Philipp ALBRECHT, Berichterstatter im Europäischen Parlament Inputs: Datenschutz Modern? Joe McNamee, European Digital Rights, http://edri.org
Jonathan Göpfert_pixelio.de
Was so in den Bilanzen der WOBA steht
MieterInnen, die nun mit der aggressiven Bewirtschaftung eines klammen Vermieters leben müssen. Zum Bilanzstichtag am 31.12.2011 standen die WOBA-Gesellschaften noch mit 1,08 Milliarden Euro in der Kreide. Anfänglich waren 1,201 Milliarden Euro gepumpt worden. Und zwar von allerersten Adressen, nämlich der Deutschen Bank AG, London und der Lehman Brothers Europe Limited i. L. – »i. L.« heißt »in Liquidation. Denn die Lehman Bank ist ja 2009 Pleite gegangen. Wer noch ein wenig mehr Finanzkrise mag, findet auch noch Folgendes
Datenschutz in Sicherheit? Sönke Hilbrans, Rechtsanwalt, Berlin Datenschutz in Arbeit! Karin Schuler, DVD e.V., Bonn Mittagsimbiss Workshops: A) Datenschutz modern? Moderation: Klaus Bartl, MdL B) Datenschutz in Sicherheit? Moderation: Julia Bonk, MdL Datenschutz in Arbeit! Moderation: Karsten Neumann, Landesbeauftragter für Datenschutz Mecklenburg-Vorpommern a.D. Abschließende Podiumsdiskussion mit den Referenten und den Ergebnissen der Workshops Schlusswort MdEP Lothar Bisky Ende gegen 18 Uhr Die gesamte Veranstaltung wird per Livestream im Internet übertragen. ht tp ://w w w.i - like - daten schutz.de
interessant. Natürlich verblieben die Kredite nicht bei den Banken, sondern wurden verbrieft und als strukturierte Wertpapiere weiterverkauft. Diese CMBS (colateral mortgage backed securities, heißt hypothekenbesicherte Wertpapiere) hören auf so launige Namen wie »DECO 14 – Pan Europe 5« für den Anteil der Deutschen Bank und »Windermere IX« für den Lehman-Anteil. Ratingagenturen senken die Daumen Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit machte die
Konferenz: Arbeit und Existenzsicherung im demokratischen Sozialstaat 7. Juli Dresden Im Rahmen der Debatte der Sozialpolitischen Leitlinien der LINKEN Sachsen ist das Thema Bedingungsloses Grundeinkommen einer der zentralen Knackpunkte. Letztlich wird an diesem Thema auch die Frage nach Status und Ausgestaltung von Erwerbsarbeit und Mindestsicherung diskutiert. Um Raum für eine konstruktive Meinungsbildung zu schaffen, haben die Landesarbeitsgemeinschaft Bedingungsloses Grundeinkommen und die LAG Betrieb & Gewerkschaft gemeinsam mit dem Landesvorstand der LINKEN Sachsen eine Konferenz vorbereitet. Die Konferenz findet am 7. Juli 2012 im Gewerkschaftshaus Dresden, Schützenplatz 14, 01067 Dresden statt. Mehr Informa-
WOBA-Klage der Stadt Dresden Wellen bis in die Büros der Ratingagenturen. Moody’s senkte das Rating für Windermere IX und damit für die Hälfte der Finanzierung des WOBA-Deals am 8. April letzten Jahres wegen der Klage. Dummerweise muss allerdings bis 2013 eine Anschlussfinanzierung gefunden werden. Die dazu laufenden Verhandlungen wurden wegen des Rechtsstreites bis zu einer möglichen Klärung der Situation auf Eis gelegt. Die Agentur Fitch nahm die Verbriefung auf die Negativ-Watchlist. Nun half auch der Vergleich zwischen Dresden und der WOBA/GAGFAH nicht mehr. Fitch senkte das Rating am 24. April diesen Jahres, also nach dem Vergleich. Mit einem Male störte, dass ein »Klumpenrisiko« bestand, da die WOBA-Schulden nur in zwei Teile gesplittet sind. Vielleicht liegt in den Schwierigkeiten der Anschlussfinanzierung auch ein Grund für einen möglichen Totalverkauf der WOBA, wie er vor ein paar Wochen diskutiert wurde. Auf diese Weise könnte versucht werden, die Reißleine zu ziehen, wenn keine Anschlussfinanzierung gefunden wird. Der WOBA-Verkauf – ein Verlustgeschäft für Dresden
Trotz alledem! – halten insbesondere die Stadträte der CDU die Fahne des WOBA-Verkaufs hoch. 70 Millionen Euro müsste die Stadt angeblich jährlich an Zins und Tilgung aufbringen, hätte sie die WOBA nicht verkauft. Schaut man sich allerdings die Posten von Zins, Tilgung und Gewinn an, haben die Wohnbau Nordwest GmbH und die Südost-Woba GmbH von 2007 bis 2011 jährlich gemeinsam im Schnitt 96 Millionen Euro erwirtschaftet – mithin jährlich 26 Millionen mehr, als die Stadt hätte an Zins und Tilgung bezahlen müssen. Sofern hier keine Sachverhalte übersehen wurden oder etwas nicht aus den Bilanzen ablesbar ist, hätte sich die Stadt nicht entschuldet, sondern bares Geld verschenkt. Vielleicht wäre die Stadt nicht um Teilverkäufe herumgekommen. Aber ein Totalverkauf war vor allem im Interesse der GAGFAH und der finanzierenden Banken, die bisher die einzigen Gewinner in dem Spiel sind, mal davon abgesehen, dass das Lehman Brothers nicht mehr viel hilft. Wie dem auch sei, Sinn und Zweck von Wohnungen ist es, dass Menschen ein Dach über dem Kopf haben. Und nicht, dass finanzwirtschaftliche Pirouetten gedreht werden, bis alles ins Stolpern gerät. Enrico Stange/Tilo Wirtz
tionen unter: www.dielinkesachsen.de Ablauf : 10:30 Uhr Begrüßung Juliane Nagel, LAG Bedingungsloses Grundeinkommen DIE LINKE Sachsen Klaus Tischendorf, LAG Betrieb und Gewerkschaft DIE LINKE Sachsen 10:35 Uhr Eröffnung durch den Landesvorsitzenden, Rico Gebhardt 10:40 Uhr Emanzipatorisches Grundeinkommen: Das Konzept der Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen DIE LINKE Stefan Wolf, Sprecher der BAG Grundeinkommen DIE LINKE 11:00 Uhr »Gute Arbeit« und sanktionsfreie Mindestsicherung Ralf Krämer, BAG Betrieb und Gewerkschaft DIE LINKE 11.20 Uhr Pause 11:40 Uhr Podiumsdiskussion mit Katja Kipping – MdB, Bundesvorsitzende DIE LINKE und Markus Schlimbach, stellv. Vorsitzender DGB Bezirk Sachsen 13:00 Uhr Mittagspause 13:45 Uhr Workshops : Arbeit: gesellschaftlich not-
wendig, produktiv, entfremdet? Was wird unter ‚Gute Arbeit’ gesamtgesellschaftlich, unter den Bedingungen von Konkurrenz und Produktivitätssteigerung, verstanden und ist damit Vollbeschäftigung erreichbar? Welche Möglichkeiten bietet ein emanzipatorisches Grundeinkommen für die selbstbestimmte Gestaltung von Arbeit und Lebenszeit? Welche Möglichkeiten bieten die sanktionsfreie Mindestsicherung oder weitere Ansätze? Sozialökologische Gestaltung der Gesellschaft Wie können soziale Gerechtigkeit und die ökologische Gestaltung der Produktion und Konsumtion zusammengebracht werden? Armut vermeiden: durch ein linkes emanzipatorisches Grundeinkommen oder eine sanktionsfreie Mindestsicherung? 15.15 Uhr Pause 15:30 Uhr Auswertung der Workshops 16:15 Uhr Resümee - Ausblick Jayne-Ann Igel, Mitglied des Landesvorstandes
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DIE LINKE im Europäischen Parlament
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Regionen fördern! Nicht bestrafen!
Am 12. Juni 2012 startete die linke Fraktion im Europaparlament die Kampagne »Regionen fördern! Nicht bestrafen!«. Sie richtet sich gegen ein Vorhaben, das die deutsche Bundesregierung mit anderen Regierungen (Österreich, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande und Schweden) im Rat der Europäischen Union durchdrücken möchte. Worum geht es? Die deutsche Bundesregierung hat sich mit einer Gruppe anderer Regierungen zusammengeschlossen und möchte, dass Fördermittel aus den europäischen Strukturfonds (Fonds für Regionale Entwicklung und Europäischer Sozialfonds) künftig als Druckmittel gegen Mitgliedstaaten in der EU eingesetzt werden können. Und zwar sollen jene Mitgliedstaaten, die die verordnete Sparpolitik des Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht einhalten, und die VerschuldungsKritieren nicht befolgen, keine oder weniger Fördermittel aus den Strukturfonds erhalten. Dies wäre ein neuer Sanktionsmechanismus in der europäischen Fördermittelpolitik, und wenn es nach dem Willen der deutschen Bundesregierung geht, soll er ab Januar 2014 in Kraft treten. Das Vorhaben der deutschen Bundesregierung zeigt, wie unsolidarisch sie gegenüber anderen Mitgliedstaaten ist, die aufgrund der Wirtschafts-
und Finanzkrise eine höhere Verschuldung in Kauf nehmen müssen. Gemeinsam mit meinen französischen, griechischen und portugiesischen Fraktionskollegen habe ich eine Kampagne gegen diesen unsäglichen Sanktionsmechanismus vorgeschlagen. Denn es darf doch nicht sein, dass einem Mitgliedstaat ausgerechnet dann die Fördermittel gestrichen werden, wenn er sich offensichtlich in Haushaltsschwierigkeiten befindet. In den Zeiten der Wirtschaftsund Finanzkrise brauchen wir Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung, auch durch die Strukturfonds. Hinzu kommt: die EU-Fördermittelpolitik ist auch ein Zeichen der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten. Sie sollte nicht missbraucht werden, um den Stabilitäts- und Wachstumspakt und die europäische Sparpolitik durchzusetzen. In unserer Kampagne »Regionen fördern! Nicht bestrafen!« fordern wir die Menschen in den verschiedenen Mitgliedstaaten der EU auf, Druck auszuüben auf die Gruppe der Regierungen, die den neuen Sanktionsmechanismus einführen wollen. Die Delegation DIE LINKE. im Europaparlament hat einen Protestbrief an Angela Merkel geschickt, in dem wir an Merkel und ihre Minister appellieren, ihre Verhandlungsposition zu ändern und von dem geplanten Sanktionsmechanismus Abstand zu nehmen. Wir fordern alle Menschen in Deutschland und der übrigen EU auf, es uns gleich zu tun. Den Protestbrief und weitere Informationen zur Kampagne finden sie auf unserer Internetseite www.dielinke-europa.eu oder bei www.corneliaernst.de
Wie wichtig die europäischen Fördermittel sind, sieht man allein an der schieren Höhe der Mittel, die in jeder Förderperiode bereitgestellt werden: ein Drittel des EU-Haushalts wird für die Strukturfonds verwendet. Deutschland erhält in der aktuellen Förderperiode 2007-2013 26,3 Mrd. Euro. Griechenland erhält 20,4 Mrd., Portugal 21,5 Mrd., und Spanien 35 Mrd. Euro. Die europäischen Fördermittel stehen für alle 271 Regionen in der EU zur Verfügung, und wir möchten, dass das auch in Zukunft so bleibt. Mit den Geldern werden Investitionen in kleinen und mittleren Unternehmen gefördert, Maßnahmen gegen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, der Zugang zu Ausbildungsstellen,
der Kampf gegen Armut, Maßnahmen gegen den Klimawandel, und Projekte im Bereich Infrastruktur und Energie.
Warum sollten Sie unsere Kampagne unterstützen? Weil die Regionen in der EU nicht bestraft werden dürfen durch den Entzug von Fördermitteln, wenn Mitgliedstaaten die Defizitkriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht einhalten. Weil wir in den Zeiten der Euro- und Wirtschaftskrise ein europäisches Investitionsprogramm brauchen, aber keine Sanktionen und Bestrafungen für die Menschen in den verschiedenen Regionen der EU. Weil die Mitgliedstaaten in der EU Solidarität demonstrieren sollten, gerade in Zei-
ten der Krise. Weil wir den Versuch bekämpfen müssen, die Mitgliedstaaten gegeneinander auszuspielen. Weil das Ergebnis dieses neuen Sanktionsmechanismus die weitere Verarmung der Regionen wäre. Weil wichtige Akteure auf europäischer Ebene schon gegen diesen Sanktionsmechanismus Sturm gelaufen sind (das Europäische Parlament, der Europäische Gewerkschaftsbund, der Ausschuss der Regionen) - jedoch bislang vergeblich. Schreiben Sie Merkel & Co. Sichern Sie so, dass die europäischen Fördergelder wie bisher für alle Menschen und alle Regionen in der EU zur Verfügung stehen. Cornelia Ernst
activebizz.de_pixelio.de
Gegen Sanktionen in der EU-Fördermittelpolitik. Kampagne der linken Fraktion im Europäischen Parlament
Biblioteca de ArteFundação Calouste Gulbenkian @flickr
Studientage der Fraktion GUE/NGL in Kopenhagen Die GUE/NGL machte mit ihren Studientagen, anlässlich der dänischen EU-Ratspräsidentschaft, in Kopenhagen Station. Organisiert hatten diese der dänische MdEP Søren Søndergaard und sein Team. Wichtige Programmpunkte waren neben der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise, das Thema der Regierungsbeteiligung linker Parteien in den unterschiedlichen EUStaaten. Den Auftakt machte Asbjørn Wahl, linker Gewerkschafter und Autor mehrerer Publikationen über die Linke und Regierungen. So argumentierte der Norweger ge-
gen das linke Mitregieren, da die dortige Regierungsbeteiligung die radikale Linke geschwächt und eine neoliberale Politik erst möglich gemacht habe. Andere Erfahrungen haben beispielsweise die zypriotischen und finnischen Linken gemacht. »Ist der Euro die Lösung oder Teil des Problems?« Mit dieser Frage setzte sich Henrik Herlev, Ökonom und Herausgeber der Zeitschrift »Kritisk Analyse«, auseinander und beschrieb die Euro-Krise aus der skandinavischen Perspektive. Kenneth Haar vom Corporate Europe Observatory sprach über die Finanz-Lobby in der
EU und darüber, dass die Regeln der Bankenregulierung durch Vertreter der Banken bzw. Lobbyisten aufgestellt wurden. Haar forderte eine Überarbeitung des Systems von Expertengruppen in der Europäischen Kommission, ein verpflichtendes Register für Lobbyisten in Brüssel und einige Verbesserungen der Regelungen zum Zugang zu Dokumenten. Einen großen Teil der gemeinsamen Diskussionen nahmen Themen der globalen Erwärmung und Umweltprobleme ein. So forderte der Begründer der Kampagne gegen den Klimawandel Gareth Dale, eine
Million grüne Arbeitsplätze in Großbritannien und beklagte, dass die EU ihre klimafreundlichen Ziele nicht erreichen wird. Anders Olesen von der Gewerkschaft Bygsam erklärte, dass wir eine Wende in der Weltwirtschaft zur nachhaltigen Produktion brauchen. Denn gerade die Produktion von Waren und der ständig steigende Energieverbrauch werden die Klimakrise noch verschärfen. Beim Besuch des Flughafens Kopenhagen stellten Management und Gewerkschaft ihre Initiative für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Bodenpersonals, insbesondere den
Schutz vor Feinstaub zur Diskussion. Die Gewerkschaft 3 F berichtete von ihrem Kampf gegen RyanAir, die durch die Aktionen der Gewerkschaften bis heute noch keine Landeerlaubnis in Kopenhagen haben. Jan Robert Karas
Sachsens Linke! 7-8/2012
DIE LINKE im Bundestag
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Kaum eine Berufsgruppe bleibt mittlerweile von der Leiharbeit verschont. Selbst gefragte pädagogische Fachkräfte, wie Erzieherinnen und Erzieher, müssen sich als Leiharbeitskräfte verdingen und sich in vielen Fällen dem Lohndumping der Branche aussetzen. Dies ist das Ergebnis einer durch mich gestellten Anfrage an die Bundesregierung zum Einsatz von pädagogischen Fachkräften als Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung. Zuvor hatten mir mehrere betroffene Erzieherinnen berichtet, dass sie zu Niedrigstlöhnen von rund 1.000 Euro brutto im Monat für eine Vollzeitbeschäftigung von Leiharbeitsunternehmen an Kindertagesstätten verliehen werden. Der Verleih von pädagogischen Fachkräften wie K i n d e r g ä r t n e r/ - i n n e n , Sozialpädagogen/-innen und Sozialarbeiter/-innen durch Leiharbeitsunternehmen an Kindergärten und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe hat sich in den letzten Jahren zu einem wachsen-
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Verleih von pädagogischen Fachkräften als neuer Trend in der Leiharbeit
den Geschäftsfeld entwickelt. Waren im Jahr 2009 bundesweit 5.664 Sozialarbeiter/innen, Sozialpädagogen/-innen, Kindergärtner/-innen und Kinderpfleger/-innen bei Leiharbeitsunternehmen angestellt, sind es im Jahr 2011 schon 7.338 gewesen, eine Zunahme um 30 Prozent, wie aus einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit hervorgeht, die die Bundesregierung in ihrer Antwort mitgeliefert
hat. In Sachsen waren im Jahr 2011 280 pädagogische Fachkräfte bei Leiharbeitsunternehmen angestellt. Mittlerweile gibt es spezialisierte Anbieter und viele Leiharbeitsunternehmen entdecken diesen Geschäftsbereich für sich neu. Die Gier nach Profit der Leiharbeitsbranche scheint vor keinem Berufsfeld Halt zu machen, noch nicht einmal vor dem hochsensiblen Bereich der Kindererzie-
hung. Erziehung ist in erster Linie Vertrauenssache. Erzieherinnen und Erzieher sind Bezugspersonen und nicht beliebig bzw. in kurzen Abständen austauschbar, wie es beim kurzfristigen Einsatz von Leiharbeitskräften der Fall ist. Für Kinder sind stabile Beziehungen unabdingbar für die psychosoziale Entwicklung. Sie haben spezielle individuelle Bedürfnisse, die die Betreuerinnen und Betreuer kennen
ESM, Fiskalpakt und die Demokratie in unserem Land Wie ist es eigentlich um das Demokratieverständnis der Regierenden in diesem Land bestellt, wenn bereits vor der Abstimmung des Bundestages über ein Gesetz das höchste Gericht des Landes beim Bundespräsidenten vorstellig werden muss, um ihn zu bitten, das Gesetz so lange nicht zu unterzeichnen, bis das Gericht dessen Verfassungskonformität geprüft habe? Nichts anderes ist Ende Juni vor der Abstimmung zum Euro-Rettungsschirm ESM und dem europäischen Fiskalpakt geschehen. Angesichts der Konsequenzen, die ESM und Fiskalpakt beinhalten, ist es erstaunlich, wie wenig öffentlicher Protest sich im Vorfeld der Abstimmung regte. Immerhin haben die Gesetze nicht weniger als die Beschneidung der Rechte des von den Bürgerinnen und Bürgern gewählten Parlaments in dessen wichtigster Disziplin, dem Haushaltsrecht, zum Inhalt. Defizitstaaten sollen demnach
künftig ihre nationalen Haushalte der europäischen Kommission und dem europäischen Rat zur Genehmigung vorlegen müssen. Dieser Abgabe nationaler Hoheitsrechte eines demokratisch legitimierten Parlaments steht aber keine demokratische Legitimation jener Gremien auf europäischer Ebene gegenüber. Damit würde eine Schuldenbremse als Ausdruck einer ideologisch bornierten Finanzpolitik nun auch auf europäischer Ebene installiert und auf dieser überwacht, die selbst keiner Überwachung unterliegt. Die Folge: Ob finanzpolitische, sozialpolitische oder wirtschaftspolitische Entscheidungen: Die Wählerinnen und Wähler könnten nur noch begrenzt Einfluss nehmen. Begründet wird dies mit dem europäischen Krisenszenario, dass angeblich kein anderes Handeln zulasse. Zudem ist eine Überprüfung der Mechanismen schlicht nicht vorgesehen. Die Gesetze sollen unumkehrbar sein.
Aus diesen Gründen klagt DIE LINKE im Bundestag gegen ESM und Fiskalpakt. Nach unserer Überzeugung sind sie nicht nur politisch falsch, sondern auch mit dem Grundgesetz unvereinbar. Dass dazu ein Eilantrag und eine Intervention des Bundesverfassungsgerichts beim Bundespräsidenten notwendig war, die Überprüfung der Gesetze abzuwarten, wirft ein bezeichnendes Licht auf das Demokratieverständnis der Bundesregierung. Der Zeitplan zur Verabschiedung und In-KraftSetzung der Gesetze war so eng, dass weder ausreichend Zeit zur Prüfung durch die Abgeordneten, noch Zeit für seine Überprüfung durch das Verfassungsgericht blieben. Das Grundgesetz sieht eine Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative vor. Hier hat die oberste Exekutive gezeigt, wie ernst sie die beiden anderen nimmt: Leider nicht so ernst. SPD und Grüne, auf deren Stimmen die Bundesregierung
für die notwendige Zweidrittel-Mehrheit angewiesen war, verhielten sich wie immer. Zunächst verknüpften sie ihre Zustimmung an zahlreiche Bedingungen, dann drohten sie zwischenzeitlich sogar mit Ablehnung. Am Ende gaben sie sich mit kleinen Kompromissen und Absichtserklärungen, die in keinem Verhältnis zu den Auswirkungen der Gesetze stehen, zufrieden. Von einem Altschuldentilgungsfond für ärmere Länder, wie ihn beide Parteien anfangs gefordert hatten, war nun nicht mehr die Rede. So bleibt lediglich DIE LINKE, von konservativer Seite oft genug als extremistisch gebrandmarkt, als Verteidigerin der im Grundgesetz verankerten Rechte des Parlaments. Und es bleibt ein Bundesverfassungsgericht, dass immer häufiger die Rechte des Parlaments gegenüber der Bunderegierung stärken muss. Eine bemerkenswerte Allianz. Michael Leutert, Mitglied im Haushaltsauschuss des Bundestages
müssen. Auch die Eltern setzen Vertrauen in eine Erziehungseinrichtung und die dort tätigen pädagogischen Fachkräfte. Wie sich dies mit dem Einsatz von Leiharbeitskräften vereinbaren soll, ist mir unbegreiflich. Pädagogische Fachkräfte werden derzeit, gemessen an ihrer hohen Qualifikation und Verantwortung, schon in einem regulären Arbeitsverhältnis nicht angemessen entlohnt, zudem oft nur in Teilzeit beschäftigt. Sie jetzt auch noch als Leiharbeitskräfte zu beschäftigen, schlägt dem Fass den Boden aus. Pädagogische Fachkräfte dürfen nicht als billige Arbeitskräfte zur Profitmaximierung von Leiharbeitsunternehmen her halten, ebenso wenig wie alle anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Insbesondere im erzieherischen Bereich klagen die Arbeitgeber über einen Fachkräftemangel. Doch motivierte Fachkräfte bekommt man nur und bindet sie an sich, wenn man gute Arbeitsbedingungen bietet. Grundsätzlich fordert DIE LINKE die Abschaffung der systematischen Niedriglohnbeschäftigung in Form der Leiharbeit. Die Unternehmen müssen verpflichtet werden, die Leiharbeitskräfte zu den gleichen Bedingungen wie die Stammbeschäftigten zu übernehmen. Sabine Zimmermann
Alternativlos? Als DIE LINKE angekündigt hatte, wegen der Gesetze zum ESM und dem europäischen Fiskalpakt das Bundesverfassungsgericht anzurufen, ließ die Reaktion nicht lange auf sich warten. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) nannte dies eine »unnötige Zeitverzögerung«, denn die Zustimmung zum Fiskalpakt sei »alternativlos«. Dieser Kraftausdruck zur Beendigung einer demokratischen Debatte erlebt in letzter Zeit eine wahre Blüte: Ob Euro-Krise, Schuldenbremse, Schlecker-Pleite – alles angeblich alternativlose Entscheidungen. Doch Sprache ist verräterisch: Wenn es tatsächlich keine Alternative gäbe, warum muss dann überhaupt noch entschieden werden? Und damit die Propagandisten einer falschen Alternativlosigkeit das auch wirklich erkennen, haben sie ja uns. Da bleibt ihnen wirklich keine Wahl. Michael Leutert
Geschichte
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Vor 15 Jahren starb der „Nestor der DDRGesellschaftswissenschaften“ Als er seinen »Dialog mit meinem Urenkel« 1983 veröffentlichte, war Jürgen Kuczynski schon hochbetagter Rentner. Die DDR hatte wegen ihrer Auslandschulden gerade eine schwierige Phase durchlaufen und einen von F. J. Strauß vermittelten Eine-MilliardeKredit von der BRD erhalten. Ich habe Kuczynski als Student bei einer Diskussionsveranstaltung in der Leipziger Moritzbastei live erlebt. Das Buch selbst erschien zensiert, obwohl es dennoch Probleme des Sozialismus in einer Weise ansprach, wie sie bis dato sonst kaum publiziert werden konnten. War das die Autorität des »greisen weisen« Wissenschaftlers, die sich durchsetzte, oder doch eher »Narrenfreiheit« des persönlichen Bekannten von »E. H.«? Nach der »Wende« erschien das Buch nochmals unzensiert. Und im Buch »Große Fehler und kleine Nützlichkeiten« sagte Kuczynski 1992 von seinen damaligen Ansichten: »Damals, 1983, habe ich das System bejaht und tausend kritische Punkte daran gefunden. Das war falsch. Ich hätte das System verneinen und tausend gute Sachen daran finden sollen«. Ob er seine eigene »objektive Anpassung« durch den »Druck der herrschenden Verhältnisse«
in der DDR wohl tief genug bis in Facetten persönlichen Verhaltens für sich kritisch hinterfragt hat, muss offen bleiben. Er meinte aber das reale, praktische System in der DDR, nicht das »System des wissenschaftlichen Sozialismus«. Er blieb Kommunist bis zum Tode, so sah er sich im Titel des dritten Bandes seiner Memoiren »Ein hoffnungsloser Fall«. Diese Entscheidung traf der gereifte Jungwissenschaftler 1930 mit 26 Jahren, als er in die KPD eintrat und sich fortan in der legalen und illegalen politischen Arbeit engagierte. Als der Zweite Weltkrieg begann, war Kuczynski schon ein gestandener Wissenschaftler, vor allem als Wirtschaftshistoriker und -statistiker. Durch seinen Aufenthalt als Forschungsstudent 1926-29 in den USA hatte er sich in den wirtschaftswissenschaftlichen Kreisen schon einen Namen gemacht. Als er Deutschland 1936 in Richtung London verließ, wurde er bald Statistiker des Office of Strategic Services des amerikanischen Geheimdienstes und 1944/45 bei der US Army. Er war Mitglied der Leitung der KPDEmigrantenorganisation in Großbritannien. Nach dem Krieg zuerst Präsident der Zentralverwaltung für Finanzen der Sowjeti-
schen Besatzungszone, dann Inhaber eines Lehrstuhls für Wirtschaftsgeschichte an der Berliner Uni, wurde er einer der prominentesten und produktivsten Wissenschaftler der DDR. Aus der von ihm 1955 gegründeten und geleiteten Abteilung Wirtschaftsgeschichte im Institut für Geschichte der Akademie der
Wissenschaften wurde das auf ihn zugeschnittene Institut für Wirtschaftsgeschichte. Sein Hauptthema war die Lage der Arbeiterklasse im Kapitalismus. Er war langjähriges Mitglied des ZK der SED. 1964 versorgte Kuczynski als Gutachter den Nebenkläger F. K. Kaul im ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess mit Fak-
Die »Berliner Begegnung zur Friedensförderung« 1981 in Berlin. An dem zweitägigen Treffen nehmen auf Einladung des DDR-Schriftstellers Stephan Hermlin rund 100 Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler aus beiden deutschen Staaten sowie aus weiteren europäischen Ländern und aus Westberlin teil. Unter ihnen sind Prof. Jürgen Kuczynski, Hermann Kant, Stephan Hermlin, Bernt Engelmann (BRD). v.l.n.r.
ten zur Verflechtung der I. G. Farben und der SS bei der Errichtung und im Betrieb des KZ Auschwitz-Monowitz seit 1941. Natürlich begrüßte er den Herbst 1989 als Revolution. Was er so wenig wie andere sah, war allerdings die fehlende organisierende Kraft dieser Bewegungen, die keinen »besseren Sozialismus« zu schaffen in der Lage waren. Die Privatbibliothek von J. K., eine der größten überhaupt, wurde 2003 von der Zentralund Landesbibliothek Berlin in den Bereich Historische Sammlungen übernommen. Selbst Kuczynski ist ein Beispiel, wie auch über den Durchschnitt der Akademikerschicht hinausragende Wissenschaftler dennoch der Systemanpassung anheim fielen. Die Art und das Maß ihrer Kritik reichten nicht, konnten keine produktive Rolle spielen! Schleichende Anpassung durch systemimmanenten Druck bleibt vielfältig bestehen. Sie wird zur Gefahr für jede auf Veränderung zielende Bewegung, je unreflektierter sie bleibt. Auch hier liegen noch Lehren für DIE LINKE, für ihre Protagonisten in Funktion und Mandat, und für ihr nahestehende Wissenschaftler. Ralf Becker
Provokation unter Polizeischutz »Blutsonntag in Altona!« lautete die Schlagzeile der Hamburger Volkszeitung am 18. Juli 1932.Das sozialdemokratische »Hamburger Echo« vom selben Tag berichtete in gleichfalls großer Aufmachung: »Grauenhaftes ist geschehen! Ströme von Blut sind geflossen! 12 Tote und 50 Verletzte in den Proletarierquartieren der Altonaer Altstadt... Das Ergebnis eines einzigen Propagandaaufmarsches der Hitlerschen Bürgerkriegsarmee...« Zornig-trauriger Rückblick auf einen Tag, der, wie im Verlaufe der nächsten Tage feststand, tatsächlich 18 Todesopfer und 285 Verletzte gefordert hatte. 5000, andere Quellen sprechen von bis zu 7000 Angehörige der faschistischen SA waren am 17. Juli durch das Altonaer Abruzzenviertel, eine Hochburg der KPD, marschiert. »Werbemarsch« hatten sie die gezielte Provokation genannt. Der sozialdemokratische Polizeipräsident Otto Eggerstedt hatte ihn genehmigt und zu dessen Schutz die gesamte Altonaer Schutzpolizei in Bereitschaft versetzt. Appelle der KPD und der Antifaschistischen Aktion
an Bürgermeister Max Brauer, ebenfalls SPD, und Eggerstedt, den Aufmarsch angesichts jüngster Gewalttaten der braunen Horden zu verbieten, verhallten ungehört. Die SPD-Führung rief zu »Ruhe und Ordnung« auf, empfahl ihren Mitgliedern, ins Grüne zu fahren. Dabei hatten erst eine Woche zuvor, am 16. Juli, 1500 SA-Leute im nahen Eckernförde eine Versammlung des Landarbeiterverbandes überfallen und zwei Teilnehmer der SPD-nahen Organisation getötet. Die am 16. Juni von Reichskanzler Franz von Papen verfügte Aufhebung des SA- und SS-Verbots hatte den braunen Kolonnen neuen Auftrieb gegeben. Am frühen Nachmittag dieses Sonntags konnte der »Werbemarsch« also polizeigeschützt vom Bahnhof Altona zunächst nach Ottensen, dann in die Altstadt von Altona ziehen. Gegen 17 Uhr fielen in der Schauenburger Straße die ersten Schüsse. Das aus anderen Straßenschlachten der SA bekannte Kommando: »Straße frei, Fenster zu, es wird geschossen« ertönte. Die Polizei eröffnete das Feu-
er auf die umliegenden Häuser und setzte schwere Waffen ein. Es war in der Tat so, wie es das »Hamburger Echo« am nächsten Tag vermeldet hatte: »Ströme von Blut sind geflossen.« Die Toten waren, bis auf zwei SA-Männer, Altonaer Bürger. Sie starben, wie in einer Chronik zu lesen, »durch die Kugeln einer nicht mehr demokratisch legitimierten Polizei«. Reichskanzler von Papen reagierte auf den »Altonaer Blutsonntag« mit dem »Preußenschlag«: Per Notverordnung setzte er am 20. Juli die geschäftsführende preußische Regierung unter dem Sozialdemokraten Otto Braun ab und ließ sich zum Reichskommissar in Preußen ernennen. Ein halbes Jahr später war Hitler an der Macht. Der lohnte, wie eine Hamburger SPD-Veröffentlichung anmerkt, »Eggerstedt seine Nachgiebigkeit nicht: er wurde Anfang 1933 verhaftet, schwer misshandelt und im Oktober »auf der Flucht« aus dem KZ Esterwegen erschossen«. Zu dieser Zeit hatten die neuen Machthaber schon begonnen, den »Blutsonntag« juristisch aufzuarbeiten. Im Mai
1933 gab es den ersten »Blutsonntagsprozess«. Der verlief allerdings nicht ganz nach ihren Vorstellungen. Sondergerichte mussten die gewünschten Ergebnisse bringen. Am 2. Juni 1933 wurden Bruno Tesch, August Lütgens, Walter Möller und Karl Wolff wegen »gemeinschaftlichen Mordes« der am »Blutsonntag« umgekommenen SA-Männer zum Tode verurteilt. Sie wurden am 1. August 1933 auf dem Hof des heutigen Amtsgerichts Altona mit dem Handbeil hingerichtet. In einem weiteren Sondergerichtsverfahren verhängten die Richter am 29. Juni 1934 für 14 Angeklagte Zuchthausstrafen zwischen zwei und zehn Jahren wegen »Beihilfe zum Mord« oder »Beihilfe zum Totschlag«. Sämtliche Urteile, so ermittelte der französische Wissenschaftler Léon Schirmann bei seinen Forschungen über die Weimarer Republik, fußten auf gefälschten Beweisstücken und falschen Zeugenaussagen. Das hinderte die SA und den Altonaer Oberbürgermeister allerdings nicht, am 17. Juli 1933 in Altona eine Gedenktafel zu enthüllen. An dieser Stel-
le, so der Text, wurden »durch feigen marxistischen Überfall die Kameraden Koch und Büdding ermordet. Sie fielen im Glauben an Adolf Hitler«. Zynisch und unterschwellig drohend der Berichterstatter der NS-Presse über die Veranstaltung: »Wo noch vor einem Jahr Dachschützen und Barrikaden die Antwort auf den Werbemarsch der braunen Kolonnen darstellten, herrscht heute Ruhe und interessierte Aufmerksamkeit. Hier im Herzen der früheren Kommune haben wohl noch nicht alle, die heute interessiert aus ihren Fenstern auf die hier angetretene SA schauen, die Vorzüge eingesehen, die unser Führer und unsere Bewegung ihnen zu bieten haben. Aber das wird mit der Zeit und den weiteren Erfolgen unserer nationalen Wiedergeburt noch kommen...« Nicht zuletzt auf Grund der Forschungsergebnisse von Léon Schirmann hat die Hamburger Justiz durch Entscheidungen von 1992, 1996 und 1998 die damaligen Urteile aufgehoben und alle Angeklagten freigesprochen. Hans Canjé
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Sommer und Lektüre
»Links!« empfiehlt: Was man im Sommer lesen sollte. Die Redaktion und andere stellen ihre Lieblingsbücher vor, oder Bücher, die man mal gelesen haben sollte.
Dieses Buch ist keinesfalls eine einfach nacherzählte Biografie des einflussreichsten und am häufigsten fehleingeschätzten Mannes des deutschen Fußballs. Vielmehr sind die 464 Seiten in prägende Charaktereigenschaften des langjährigen Managers und jetzigen Präsidenten des FC Bayern untergliedert, wie z.B. »Der gestresste Antreiber« oder »Der warmherzige Moralist«. Sie zeigen die zahlreichen Gesichter und auch Widersprüche der größten Reizfigur im deutschen Profifußball. Der Autor hat mit diesem Buch keine bloße Aneinanderreihung von Fakten geschaffen, sondern erzählt auch kritisch über Aufstieg und Leiden des jungen Fußballers, seine Berufung als Manager und sein Verhältnis zu Freunden, Feinden und Medien. Dabei wird sowohl die berechnende als auch die warmherzige Seite des Uli Hoeneß deutlich. Fazit: Ein ehrliches und faszinierendes Buch, nicht nur für eingefleischte Bayern-Fans, sondern auch für alle Kritiker. Juliana Schielke Christoph Bausenwein, Das Prinzip Uli Hoeneß – Ein Leben für den FC Bayern. Verlag Die Werkstatt, 6. Auflage. Gebunden, 464 Seiten, 28 Euro.
Hans Fallada: Jeder stirbt für sich allein
Sahra Wagenknecht: Freiheit statt Kapitalismus
Die Neuausgabe von Falladas letztem Roman erschien im letzten Jahr erstmals in der ungekürzten Fassung des Original-Typoskriptes. Er erzählt von der Entscheidung der Eheleute Quangel, nach dem Tod ihres einzigen Sohnes im Krieg etwas gegen den Nationalsozialsozialismus zu unternehmen. Der Konsequenzen im Falle einer Entdeckung sind sie sich bewusst. Es entsteht ein beeindruckendes Bild vom Berlin der 1940er Jahre; das Klima von Angst, Gewalt, Verrohung und Denunziation wird ebenso spürbar wie die Wirkung kleiner Gesten der Menschlichkeit. Auch für Leser, die den Roman schon kennen, hat die Neuausgabe etwas zu bieten – erstmals werden die Eheleute Quangel differenzierter dargestellt, deren anfängliche Zustimmung zum Nationalsozialismus in vergangenen Auflagen weggelassen wurde. Auch die derberen Beschreibungen anderer Charaktere und der Abdruck gestrichener Adjektive tragen dazu bei, dass die Personen lebendiger werden. Stefanie Götze
Wohlstand für alle! Das versprachen schon viele Apologeten einer mehr oder weniger gezähmten Marktwirtschaft, angefangen beim bürgerlichen Nationalökonomen Adam Smith, fortgesetzt beim »Wirtschaftswunder«-Kanzler Ludwig Erhard und beim Prediger ungehemmt freier Märkte, Milton Friedman (»Die soziale Verantwortung der Wirtschaft ist es, ihre Profite zu vergrößern«). Eingelöst hat der Kapitalismus dieses Versprechen nie, er kann es auch gar nicht. Was er hingegen perfekt beherrscht, ist Raubbau an Mensch und Natur, an persönlicher Freiheit und ökonomischer Wohlfahrt der breiten Mehrheit der Erdbevölkerung. Sahra Wagenknecht legt eine weitere brillante Analyse des real existierenden Kapitalismus vor und geht dabei von seinen Heilsversprechen aus – nicht jedoch, weil sie zur »Sozialen Marktwirtschaft« des 20. Jahrhunderts zurückwollte, sondern um die ganze Abscheulichkeit dieses totalitären Wirtschaftssystems – jüngst beobachtbar in Griechenland – zu entlarven. Doch Kritik zu üben ist das Eine, Alternativen anzubieten, das Andere. Deshalb widmet sich die Autorin im zweiten Teil dem Entwurf eines »kreativen Sozialismus«, der Marktwirtschaft ohne Kapitalismus mit Sozialismus ohne Planwirtschaft
Hans Fallada, Jeder stirbt für sich allein. Aufbau Verlag, 12. Auflage. Gebunden, 704 Seiten, 19,95 Euro.
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Christoph Bausenwein: »Das Prinzip Uli Hoeneß – Ein Leben für den FC Bayern«
verbindet. Nur so viel sei schon jetzt verraten: Es ist ein inspirierendes Buch, das Mut und Kraft gibt im Kampf für eine bessere Gesellschaft. Kevin Reißig Sahra Wagenknecht, Freiheit statt Kapitalismus. Eichborn Verlag, 1. Auflage. Gebunden, 406 Seiten, 19,99 Euro. Klaus Huhn: Die Gauck-Behörde. Der Inquisitor zieht ins Schloss Prediger, Inquisitor, Erlöser, Pfarrer Gnadenlos – Joachim Gauck heften viele Etiketten an. Auf dem größten sollte stehen: »Der einzig plausible Grund, Christian Wulff nachzutrauern«. Denn der Hoch- und Selbstgelobte ist keineswegs der integrierende Messias, für den ihn viele halten, und schon gar nicht »unser aller Präsident«. Klaus Huhn hat viele bislang eher unbekannte Details über das Leben eines Mannes, der selbst Fassade ist, zusammengetragen. Darunter ist auch ein kompletter Abdruck der »Prager Erklärung zum Gewissen Europas und zum Kommunismus« in deutscher Sprache, zu deren Erstunterzeichnern Gauck 2008 gehörte. Das Schriftstück dokumentiert den militanten Antikommunismus bürgerlicher Politiker Gauck’scher Provenienz, die sich seit langem bemühen, die Verbrechen der DDR und anderer Ostblockstaaten mit dem faschistischen Völkermord gleichzusetzen. Kein Problem mit Gewalt hat Gauck indes, wenn es um die aktuellen Kampfeinsätze der Bundeswehr geht. Für letztere fordert er vom »glückssüchtigen« Volk (!) Verständnis und Begeisterung. Wenn er so weiter macht, erhält er bald ein weiteres, durchaus nicht unbekanntes Etikett: Pastor, der Kanonen segnet. Wer jedenfalls der medialen Lobhudelei mancher Medien nichts abgewinnen kann und wissen will, wer Gauck wirklich ist, kommt an diesem Büchlein nicht vorbei. Paul Kühn Klaus Huhn, Die Gauck-Behörde. Der Inquisitor zieht ins Schloss. Edition ost – spotless, 1. Auflage. Broschiert, 128 Seiten, 9,99 Euro.
Issac Singer - Satan in Goraj Gerade festgestellt, dass Isaac Singer - der Autor von Satan in Goraj 1978 auch den Literaturnobelpreis erhielt. Satan in Goraj war sein erstes Buch, das wohl noch in Jiddisch - Der sotn in Goray - geschrieben wurde. Es ist für die Lektüre sicherlich nicht schlecht, wenn man Grundkenntnisse im Alten Testament mitbringt. Nach den schrecklichen Pogromen des Bohdan Chmelnyzkyj um 1648, denen um die 100000 Juden in Osteuropa zum Opfer fielen, besiedeln die Leute wieder das Dorf Goraj. Doch alles ist anders, die alte Ordnung bröckelt, der alte Rabbi schafft es nicht die kabbalistischen Umtriebe zu bändigen. Mehr und mehr Bewohner erwarten den »Messias« Shabbetaj Zvi. Hier sind dann Bibelkenntnisse gefragt. Am 31. Mai 1665, während eines Aufenthaltes in Gaza, erklärte sich Schabbetaj zum Messias. Zeichenhaft ernannte er zwölf Mitglieder der Gemeinde zu Gaza zu Repräsentanten der zwölf Stämme Israels. Dies war der Beginn der messianischen Bewegung, die den Namen Schabbetais tragen und die ganze jüdische Diaspora erschüttern sollte (Sabbatianer). In Goraj treffen mehr und mehr Seher und Verkünder ein. Während der erste bald im Wahnsinn versinkt, hat der Anführer, der Schächter Reb Gedalja, fast heiligen Einfluss. Er übernimmt die Führung der Gemeinde, doch unter seinem Einfluss und angeheizt durch eine sich zur Hysterie steigernden messianischen Erwartung brechen nach und nach die Schranken von Sitte und Gesetz. Reb Gedalja nimmt Rechele, eine junge, von Krankheit und prophetischen Visionen gequälte Frau, zu sich, obwohl sie noch mit dem ersten Verkünder verheiratet ist. Rechele verfällt den Dämonen. Es gelingt zwar, den Dibbuk auszutreiben, der von ihr Besitz ergriffen hat, sie stirbt aber wenige Tage später. Die erhoffte Wiederkunft des Messias findet nicht statt und die Einwohner von Goraj stehen enttäuscht vor den Trümmern ihrer Existenz. Isaac Singer, Satan in Goraj. Gebraucht erhältlich, zum Beispiel vom Verlagshaus Rowohlt, 1983. Taschenbuch, 154 Seiten
Rezensionen
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Sommer und Lektüre
Anthony Burgess - Der Fürst der Phantome
Gelesen und begeistert. Von Anthony Burgess kennt man wohl vor allem Clockwork Orange und ich war selbst erstaunt, wie produktiv der Autor war, es sollen rund 30
die zwei treibenden Quellen, die Burgess´ Leben und seine Bücher beeinflussten. (Ein überaus interessantes Leben übrigens.) Auch Der Fürst der Phantome widmet sich ausführlich und in wunderbaren Predigten des Papstes Gregor mit dem Verhältnis von Gott
Urlaubslektüre, es braucht etwas Ruhe beim Lesen. Viele Fragen des Lebens werden in diesem Buch bearbeitet, es gibt Antworten. Mit diesen Antworten kann frau/man sehr gut in die Arbeitswelt zurückkehren, manche Aufgabe läßt sich schneller lösen.
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selbst Kinder und Enkelkinder zum Staunen bringen. Ich empfehle dieses Büchlein für den kurzen Urlaub. Es bringt Humor und Fröhlichkeit in eine gesellige Runde. Es ist schnell durchgelesen. Es kann auch als Taschenbuch gezückt werden, wenn kleine Pausen beim Wandern, oder beim Stadtbummel geplant werden. Marina Brandt Jurij Brezan, Krabat oder die Verwandlung der Welt. Suhrkamp Verlag, 2. Auflage, 2004. Taschenbuch, 420 Seiten, ab 13 Euro.
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Günter Herlt, Aber Oma! Heitere Kurzgeschichten vom Wohl und Wehe der jungen Alten. Eulenspiegel Verlag, 2002. Taschenbuch, 93 Seiten, 9,95 Euro.
und dem freien Willen. Wer also mal der Frage nachgehen will, wieso Gott das Böse zulässt und ob es überhaupt Gott gibt, findet interessante Ansätze. Rico Schubert Anthony Burgess, Der Fürst der Phantome. Aus dem Englischen von Wolfgang Krege. Klett-Cotta Verlag, 4. Auflage, 1996. Gebunden, 870 Seiten, 28,95 Euro. Brèzan, Jurij: Krabat oder die Verwandlung der Welt. Krabat, der sorbische Volksheld, durchläuft alle Zeiten und Räume der Geschichte vom Anfang der Welt bis zu ihrer notwendigen Neuschaffung in einem fernen Jahrhundert. In diesem Prozess lebt, forscht und handelt er in der Gegenwart als Biologe und Humangenetiker Serbin und wird sich immer stärker seiner ungeheuren Verantwortung als Wissenschaftler, als Enthüller und Schöpfer geheimnisvoller Lebensvorgänge bewusst. Sein Ziel ist, Macht und Wissen zum Wohle der Menschheit zu vereinen. Es ist eine Aneinanderreihung von Geschichten, die tiefsinnig und skurril sind. Der Roman verlangt aufmerksame Leser. Ich empfehle den Roman als
Herlt, Günter: Aber Oma! Unser Opa....Heitere Kurzgeschichten vom Wohl und Wehe der jungen Alten Dieses Heft ist im Eulenspiegel Verlag 2003 erschienen. Es berichtet in kleinen Kurzgeschichten über die Generation der Mittfünfziger und darüber, wie sie mit ihrem Leben zurecht kommen. Mit Erfahrungen und Courage meistern sie manche Situation im Alltag und finden Lösungen, die
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Romane sein, daneben zahlereiche Bücher über Literaten. Schon der erste Satz beeindruckt und man will und muss lesen. »Am Nachmittag meines einundachtzigsten Geburtstags, als ich mit meinem Buhlknaben im Bett lag, kam Ali und sagte, der Erzbischof sei da und wolle mich sprechen.« Mit der Lebensgeschichte von zwei ungewöhnlichen Gestalten bietet Anthony Burgess nicht nur ein imposantes Fresko des letzten Jahrhunderts. Ken Toomey ist der schwule Schriftsteller billiger Romane, der viel Geld verdient, aber auf der Suche bleibt. Sein angeheirateter Schwager, ein Lebemann, der gern isst, trinkt und spielt, wird der spätere Papst Gregor. Toomey soll eine Wunderheilung bezeugen, der Geheilte ist, wie sich später herausstellt, der Anführer der Jones-Sekte, die Anfang der 70er Jahre durch einem Massenselbstmord ausgelöscht wird. Paradoxerweise sind es also gerade die Überhöhungsund Vollkommenheitsbestrebungen von religiösen und politischen Führern, die das Böse in die Welt hineintragen. Denn was wäre geschehen, hätte Papst Gregor Jones nicht gerettet? James Joyce und der Katholizismus sind laut Wikipedia
Marx und May Es gibt ja immer noch Menschen, die den Sommer nutzen, um in wärmere Gefilde zu reisen. Angesichts des Klimawandels ist das eine doch eher fragwürdige Angelegenheit. Denn eigentlich braucht man es ja gar nicht so viel wärmer, als es die Sommer hierzulande anzubieten haben. Daher ist es sehr zu empfehlen, sich das Geld für Zug oder Flug zu sparen und es stattdessen in ein, zwei, drei Bücher zu investieren. Mit der Sommersonne auf dem Bauch oder dem Rücken lassen sich so hervorragend ganz andere Reisen machen, eben nicht nur in ferne Länder, sondern in ganz andere Zeiten, in andere Universen oder hinein in die gedanklichen Gebäude spannender Dichterinnen und Denkerinnen. Da ich für die Rosa-Luxemburg-Stiftung in letzter Zeit ein paar Veran-
staltungen zur Frage »Würde Karl Marx Karl May lesen?« gemacht habe, empfehle ich für diesen Sommer genau diese beiden doch sehr unterschiedlichen Autoren. Schon Ernst Bloch wusste ja: »Es gibt nur Karl May und Hegel, alles dazwischen ist eine unreine Mischung.« Der Hegel aber ist sicher nur für die ganz Harten als Sommerliteratur zu empfehlen. Daher weiche ich auf Karl Marx aus, der nicht weniger anspruchsvoll, aber in meinen Augen deutlich attraktiver als Stilist ist. Vielleicht ist es ja für den einen oder die andere interessant, zum ersten oder wiederholten Male das 24. Kapitel des Kapitals (I. Band) aufzuschlagen, und zu lesen, was Marx dort über »Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation« des Kapitals schreibt. Zumindest räumt er dort mit einem Märchen auf, dass so beginnt: »In einer längst verfloßnen Zeit gab es auf der einen Seite eine fleißige, intelligente und vor allem sparsame Elite und auf der andren faulenzende, ihr alles und mehr verjubelnde Lumpen.« (...) Und wer sich dann durch 50 Seiten stringenter Argumentation dazu durchgeackert hat, ja der darf dann auch Karl May lesen, ob Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi dann die Helden sind, ist auch egal. Stefan Hartmann Karl Marx, Das Kapital. Kritik der Politischen Ökonomie. Erster Band: Der Produktionsprozess des Kapitals. Dietz Verlag, 37. Auflage. Gebunden, 955 Seiten, 24,90 Euro. Karl May, Winnetou I. Karl-MayVerlag. Gebunden, 567 Seiten, 17,90 Euro.
Rosa-Luxemburg-Stiftung
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Termine Leipzig, 3. Juli, 18 Uhr Vortrag und Gespräch Franz Kafka in Leipzig – Ein Tag (29.6.1912) mit verlegerischen Folgen Ein Exkurs in den Kurt Wolff Verlag Mit Prof. Dr. Klaus Schuhmann, Literaturwissenschaftler Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 5. Juli, 18 Uhr Reihe: Luxemburg in Schönefeld So ein Theater – zur Zukunft von Leipzigs Kultur Mit Mandy Gehrt, Stadträtin Leipzig Bürgerbüro MdB Dr. Barbara Höll/MdL Dr. Monika Runge, Gorkistraße 120, 04347 Leipzig Leipzig, 5. Juli, 19 Uhr Reihe: MarxExpedition 2012 Form und Geschichte des kapitalistischen Staates Mit Prof. Dr. Joachim Hirsch Universität Leipzig, Hörsaalgebäude Universitätsstraße 1, Hörsaal 8, 04109 Leipzig Krögis bei Meißen, 6.-8. Juli, 2. Linke Sommerakademie Sachsen [komunikatsio:n] = Verbindung schaffen Mit Angeboten zu Zeitsouveränität; Argumentationstraining; Telefontraining; Gremiensitzungen leiten, konstruktives Beraten, Einbinden; Konflikte lösen; Wege der Entscheidungsfindung; Freiem Reden; Spreed, Skype, Cloud Computing und Beteiligungsorientierten Kampagnen Veranstaltet vom Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. Anmeldung unter: sommer-
Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dres-
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Kein Ort. Nirgends
Ausstellung und Programm zum Leben von Christa Wolf
akademie@linke-bildung-kultur.de oder telefonisch 0351 84389773 Seminarzentrum Gut Frohberg, Schönnewitz 9, 01665 Käbschütztal / Krögis Teilnahmebeitrag: 95,- €, ermäßigt 15,- € Leipzig, 12. Juli, 19 Uhr Diskussion und Vortrag Reihe: MarxExpedition 2012 Landnahme und Wachstumszwang. Zu den Grenzen kapitalistischer Dynamik Mit Prof. Dr. Klaus Dörre, Jena Universität Leipzig, Hörsaalgebäude Universitätsstraße 1, Hörsaal 8, 04109 Leipzig 20. Juli, 17 Uhr Vortrag und Diskussion Ich krieg’ die Krise. Wie weiter mit dem Euro und Herrn Sarrazin? Mit MdB Dr. Axel Troost, Volkswirt, stellvertretender Vorsitzender DIE LINKE Moderation: Prof. Dr. HansGeorg Trost Bürgerbüro, Schulstraße 8, 02826 Görlitz Hoyerswerda, 21, Juli, 10.00 Uhr Vortrag und Diskussion Ich krieg’ die Krise. Wie weiter mit dem Euro und Herrn Sarrazin? Mit MdB Dr. Axel Troost, Volkwirt, Memorandum-Gruppe, stellvertretender Vorsitzender DIE LINKE Moderation: Prof. Dr. HansGeorg Trost Einstein-Casino, Albert-Einstein-Straße 47D, 02977 Hoyerswerda
den Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer
»Kein Ort. Nirgends« erzählt die Geschichte der fiktiven Begegnung Heinrich von Kleists mit Karoline von Günderrode im Kreise einer Teegesellschaft. Während alle anderen in Gespräche vertieft sind, fühlen sie sich beide als Fremde, Außenseiter. Die Ausstellung, die anlässlich des Todes von Christa Wolf am 1. Dezember letzten Jahres entstand, trägt den gleichen Titel wie das Buch. Drei große Tafeln geben einen Überblick über die wichtigsten Stationen von Christa Wolfs Leben und Schaffen. Fotos zeigen die Schriftstellerin, eine Vitrine ihre Bücher, übersetzt in viele Sprachen und zahlreiche Zei-
tungsartikel aus den 1990er Jahren bis 2011 Wolfs Spiegel in den Medien. Die Artikel aus verschiedenen Zeitung zeigen Christa Wolf oft als Unverstandene, als Leidende, als Außenseiterin, wie der Titel der Ausstellung es andeutet. Sie geben aber auch ein Bild von der großen Schriftstellerin, der Verehrten, der Fotogenen, der Engagierten. Nach ihrem Tod war es vielen ein Bedürfnis, an das Leben und Werk von Christa Wolf zu erinnern. So entstand unter Federführung der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag die Ausstellung, zu welcher Prof. Manfred Neuhaus seine gesammelten Zeitungs-
Auflage von 18000 Exemplaren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig, Rico Schubert (V.i.S.d.P.) Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84 38 9773 Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Redaktionschluß: 21.6.2012 Die nächste Ausgabe er-
scheint am 6.9.2012. Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand. Abo-Service 0351-84389773 Konto: KontoNr. 3491101007, BLZ 85090000, Dresdner Volksbank Internet www.links-sachsen.de
artikel beisteuerte, Peter Sodann seltene Erstausgaben, Prof. Klaus Schuhmann und Dr. Christel Hartinger ihr Wissen zum Leben und Schaffen von Christa Wolf. Nachdem die Ausstellung im Landtag zu sehen war, konnte sie dank der Unterstützung durch die Landtagsfraktion von Mai bis Juni auch in Leipzig, in der Geschäftsstelle der Rosa-Luxemburg-Stiftung gezeigt werden. Wegen großer Nachfrage wurde die Ausstellung bis Anfang Juli verlängert. Zur Eröffnung in Leipzig gaben Prof. Schuhmann und Dr. Hartinger noch einmal Einblicke in das Leben von Christa Wolf und es wurden Interviews mit ihr gezeigt. Zur Finissage lasen sechs Frauen aus ihren Lieblingsbüchern der Schriftstellerin. »Schreiben ist groß machen.« schrieb sie in »Nachdenken über Christa T.«. Und für die InitiatorInnen, Besucherinnen und Besucher der Ausstellung wie der Veranstaltung war Christa Wolf eine Große, von der sie noch einmal Abschied nehmen wollten. Stefanie Götze
Essay
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7-8/2012 Links!
»Es ist egal, wie es ausgeht. Hauptsache wir gewinnen.« Gesagt hat das Angela Merkel zum Fußball, dokumentiert ist es in bild.de vom 14.06.2012. Gesagt haben können hätte sie es sicher auch zur Wahl in Griechenland. Solches nivellierte jedoch gefährlich die Meinungsvielfalt in Europa und schlösse die Griechinnen und Griechen tendenziell aus. Die haben aber auch ein »Wir«. »Wir sind ein wunderbares Volk. Wir haben das nicht verdient, so zu leiden.« Das sagte der griechische Torhüter nach dem Sieg über Russland. »Wir« so sagt uns das DUDEN-Universalwörterbuch »steht für ... einen Kreis von Menschen, in den die eigene Person eingeschlossen ist«. Wen meint Frau Merkel da mit ihrem »Wir«? Sie meint offensichtlich Deutschland mit allen seinen Bürgerinnen und Bürgern. Denn bild.de verkündete am gleichen Tag, »Hurra,Hurra, wir schlagen Holland mit 2:1.« Das hat zwar die deutsche Nationalmannschaft geschafft, aber in diesem »Kreis von Menschen« sind weder Frau Merkel, noch die Redakteure und Redakteurinnen von bild. de eingeschlossen. Dennoch das »Wir«; also doch »wir« alle. Ich habe aber gar nicht gewonnen, ich habe nur ein Fußballspiel gesehen, das mir sogar ganz gut gefallen hat. Ich schließe mich also aus diesem Wir-Patriotismus aus. Da kann die Junge-Union hundert Mal im Internet für »Patriotismus - Ja bitte« werben. Es wirkt jeglicher Patriotismus beängstigend, der ungefragt einschließt und kein Entkommen zulässt. Da wird eine riesige Fahne der Kroaten über das halbe Stadion gezogen und wickelt die Menschen darunter unentrinnbar ein. Es werden Hymnen geschmettert mit »Inbrunst«, wie der ARD-Kommentator feststellt. »Inbrunst« steht etymologisch in Zusammenhang mit Begattungstrieb, mit innerer Glut, mit tiefem Gefühl belehrt mich das einschlägige Wörterbuch. Soll so singen, wer will. Mich kann er oder sie deswegen nicht zu Gleichem bewegen. Dieses Singen hat aber etwas in diese Richtung Forderndes. Patriotismus schließt ein und schließt aus mit Hilfe von Symbolen. Da stehen dann, ob es gefällt oder nicht, in einer Reihe mit den einschließenden Hymnen und Fahnen die Affenlaute und Bananen für den dunkelhäutigen Italiener Balotelli. Der Zynismus vollendet sich im Kommentar
eines Lesers der Netzausgabe der österreichischen Kronenzeitung am 15.06.12: »Das ist doch nicht rassistisch. Die werden gedacht haben, dass ihn eine Banane stärkt.« Das ist nicht weit entfernt von der Kennzeichnung nazistischer Gaskammern als Duschen und Desinfektionsräume. Patriotismus befördert, sich mit dem Eigenen zu erheben und das Fremde zu erniedrigen. In facebook fand sich am 14.06.12 eine Montage. Unter den Worten »Knie Nieder - Land« stand das Ergebnis des Spiels Deutschland gegen Niederlande, flankiert von der jeweiligen Nationalflagge: 2 unter »Knie Nieder« und 1 unter »Land«. Das kann man nur mehr schwer unter Ulk verbuchen. Ein Witz ist ein Witz und manchmal nicht sehr rücksichtsvoll. Witze leben auf Kosten anderer und ziehen ihren Effekt aus der Vermischung von Zusammenhängen. Da mag man mit den Trägerinnen von zwei Plakaten nicht all zu sehr ins Gericht gehen, problematisch bleibt das Ganze dennoch: »Welches Tier schießt keine Tore«, war auf dem einen Plakat zu sehen. Die Antwort stand auf dem anderen: »Robben«. Wird man zukünftig dem Holländer Robben das Heulen von Robben zumuten und vielleicht Fische auf das Spielfeld werfen? Es klingt doch eigentlich harmlos und »ist doch so«, wenn bei der Nennung der Ukraine in deutschen Medien (»zufällig« meist in negativen Zusammenhängen) immer wieder mal hinzugefügt wird, »Ex-Sowjetrepublik«. Welcher Aufschrei ginge durch den deutschen Blätterwald, wenn ein ukrainischer Kommentator die Nennung Deutschlands
ergänzte mit, »das ehemalige faschistische Deutsche Reich«. Und es ist schon eine Verkehrung der Dinge, wenn der Kommentator des österreichischen Fernsehens zum Spielort für Tschechien gegen Griechenland meint: »Breslau - oder Wroclaw, wie es in Polen heißt.« Wie würde jener Mann reagieren, wenn z.B. ein Engländer sagen würde, »in Vienna or Wien, as its called in Austria.« Es sei dem Österreicher sein »Breslau« nachgesehen und den Engländern ihr »Vienna« erst recht. Die Rangordnung, die sich in der Reihenfolge der Nennungen von Breslau und Wroclaw reflektiert, zeugt jedoch von einem latenten Revanchismus. Es suggeriert polnischen Eigensinn bei den Ortsnamen. Natürlich muss man nicht mehr so penibel mit den polnischen Ortsnamen umgehen, wie vor der Anerkennung der OderNeiße-Grenze durch die Bun-
desrepublik. Sensibilität ist aber immer noch angesagt. Schlicht Dummheit und wenig Bildung steckt dahinter, wenn ein ARD Reporter von »Lehmberg«, mit langem e, spricht. Wenn er schon nicht Lwiw aussprechen kann, sollte er doch wenigstens den deutschen Ortsnamen phonetisch richtig - mit kurzem e - beherrschen. Sensibilität muss aber auch die Kritik zeigen. »Dreckfressen« und »Hackfressen« für Spieler, »Deppen« für Fußballfans, die das Patriotische und die erträgliche Lautstärke aus eigener Sicht überziehen, oder die allgemeine Abwertung des Zuschauens des Fernsehpublikums mit »glotzen« zeugen auch nicht gerade von Sachlichkeit und Toleranz. Im Extremfall ist es nur die Umkehrung der Ausgrenzung. Wenn ein Student wegen seines Deutschland-Trikots aus einer Kneipe verwiesen wird, ist das Wasser auf die Mühlen
von Bild und auch nicht weit weg vom Wunsch eines Polen, die Polizei möge den Marsch der Russen zum Stadion verbieten. Und weil das nicht so war, war ihm die Gewalt polnischer Hooligans legal: »Die Fans mussten die Ehre der Polen verteidigen! Bravo! Wir lassen uns nicht ins Gesicht spucken.« (Standard, 15.0612) Gott sei Dank spielen heute in allen Nationalmannschaften Leute, mit zunächst »ausländischer« Herkunft. Die Liste ist lang und gerade für Deutschland betrifft das hervorgehobene Leistungsträger. Auch nicht jeder Kommentar ist schon per se nationalistisch. Es ist doch amüsant, wenn ein österreichischer Kommentator meint, »Ribery, der ist überall, von dem gibt‘s mehrere.« Obskur wirkt beim Fußball, wenn der ARD-Kommentator einen holländischen Spieler lob: »Hat alles Hand (!) und Fuß, was er macht.« Aber auch Kommentatoren wollen Sprachkultur beweisen. Da wird dann auch schon mal ein »Schienbeinschützer sicher positioniert.« Also lassen wir jenen den Spaß am Fußball und dem akzeptablen Beiwerk, die den Spaß brauchen. Ein bisschen Fasching wird wohl immer sein und ein Krieg wie einst zwischen Honduras und El Salvador wird wegen eines Fußballspiels hoffentlich nicht wieder ausbrechen. Ich schließe mich dem an, was auf jedem Dress und in jedem Stadion zu lesen ist: »respect. exchange your jerseys«. Peter Porsch Bilder: Wikimedia (oben) und lightsurgery@flickr
Kultur
Links! 7-8/2012
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»No Dancing With Nazis!«
Für den 15. September plant die Initiative »No Dancing With Nazis!« (»Kein Tanzen mit Nazis!«) ein antifaschistisches Open-Air-Event unter gleichnamigem Motto auf dem Delitzscher Roßplatz. Anlass des Konzerts ist der brutale Angriff von Neonazis auf Gäste eines Ska-Konzerts im Delitzscher Jugendhaus YOZ am 18. Marz 2012. Unter den Betroffenen befand sich ein DJ aus Tschechien sowie der Konzertveranstalter, der schon häufiger Ziel von Angriffen war. Der Prager Musiker wurde durch eine Glasflasche bzw. einen Schlagring so schwer am Auge verletzt, dass er ins Krankenhaus eingeliefert werden musste und auf dem Auge wohl nie wieder richtig sehen kann. Der Angriff im März zeigte deutlich, dass alternative Menschen in Delitzsch gefährlich leben. Organisierte Neonazis und ihre UnterstützerInnen haben ihre Strukturen in der Stadt und im Landkreis Nordsachsen derart ausgebaut und gefestigt, dass
Musik Konstantin Wecker liebt es, sein Publikum zu überraschen. Die Vielseitigkeit eines politischen Künstlers, der unabhängig bleiben will und sich deshalb auch nicht das enge Korsett einer Parteimitgliedschaft anzieht, erlaubt verschiedene Stile. So erlebt man ihn kämpferisch-polternd wie Ernst Busch, appellierend wie Hannes Wader oder FranzJosef Degenhardt, zuweilen spitzbübisch wie Georg Kreisler, stets aber revoltierend wie Quetschenpaua und frech wie Funny van Dannen. Trotzdem ist sich der 1947 in München geborene Liedermacher, Autor, Komponist und Schauspieler treu geblieben – und begleitet musikalisch den alltäglichen politischen Wahnsinn, jedoch nicht, um ihn erträglicher zu machen. Denn das vermag auch er nicht, selbst wenn er es wollte. Wecker ist Meister ironischer Kommentierung – man denke nur an die »Ballade vom Puff«, seine Abrechnung mit Bushs
scheinbar problemlos Angriffe erfolgen können. In Delitzsch wohnt der Nazikader Maik Scheffler. Scheffler gilt als wichtige Schnittstelle zwischen der NPD und den so genannten »Freien Kräften«, hat seinerzeit das neonazistische Netzwerk »Freies Netz« mitbegründet und ist seit Juli 2011 stellvertretender Vorsitzender der sächsischen NPD. Er sitzt für die neonazistische Partei im Delitzscher Stadtrat und ist seit 2009 Kreischef der NPD Nordsachsen. Zu seiner Wahl als Kreisvorsitzender gab Scheffler die Kampfansage aus, den Landkreis zu einer »nationalen Musterregion«, zur »zweiten Sächsischen Schweiz der NPD« machen zu wollen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Gegenstrategien lokale Akteure und allen voran die offizielle Delitzscher Stadtpolitik dem NaziTreiben entgegensetzen. Die Reaktionen der Stadtverwaltung auf den Übergriff im Marz ließen jedenfalls mehr als zu wünschen übrig. Dem Konzertveranstalter wurden Vorwurfe gemacht, dass er mit dem Statement »No Skanking with Nazis«, mit dem er das Konzert beworben hatte, diese erst herausfordere. Die Folge war die Androhung, in städtisch geförderten Häusern keine Veranstaltungen mehr machen zu können, solange Nazis dort sichtbar aus-
geschlossen würden. Dies ist in Augen der Initiative »No Dancing With Nazis!« eine falsche und fatale Reaktion. Betroffene rechter Gewalt bedürfen bedingungsloser Un-
– trotz des zögerlichen Agierens der Stadtverwaltung und obwohl Nazis ihr Bedrohungsszenario aufrechterhalten – Einiges geschehen. Eine Woche nach dem Über-
terstützung. Ebenso ist die Förderung von Angeboten, die sich als nicht-rechts/antifaschistisch verstehen, essentiell, um Nazis zurückzudrängen. Seit März ist in Delitzsch
griff gab es eine antifaschistische Demonstration mit über 200 Teilnehmenden. Junge, alternative Menschen aus Delitzsch haben sich darüber hinaus zu einem Verein zu-
sammengeschlossen, um eine Lobby für eine demokratische und alternative Kultur zu schaffen. Einen ersten größeren Punkt will nun die Initiative »No Dancing With Nazis!« setzen, in der sich verschiedene Akteure aus Kultur und Politik zusammengefunden haben. Mit dem Open-Air-Konzert am 15. September 2012 soll ein Angebot alternativer Jugendkultur geschaffen und damit die kontinuierliche Arbeit für eine demokratische Kultur in Delitzsch unterstützt werden. Auf einer großen Buhne werden an diesem SeptemberSamstag unter anderem »Die Tornados« spielen, deren Konzert am 18. März Anlass für den Naziangriff war. Außerdem spielen die Band des schwer verletzten Musikers, »Pilsner Oiquell«, die Delitzscher Coverband »Rammelstein« und mindestens drei weitere KünstlerInnen verschiedener Genre. Neben dem Konzert werden verschiedene Vereine und Initiativen Workshops durchführen und an Ständen über ihre Arbeit informieren. »No dancing with Nazis« muss in Delitzsch und auch in anderen sächsischen Orten ein Veranstaltungsstandard werden! Informationen zur Veranstaltung finden sich unter: http:// nodancingwithnazis.noblogs. org
Eine Liebeserklärung – augenzwinkernd Verbrechen in »Amerika« oder im »Waffenhändlertango«, und nicht zuletzt an »Wenn die Börsianer tanzen« und »Guttiland«. Seit 2011 nimmt er schließlich die »Mutter der Nation« aufs Korn und besingt »Das Lächeln meiner Kanzlerin«. Der Protagonist hat darin ein vor allen Klassenfeinden gut gehütetes Geheimnis, das er nun seinen linken Freunden offenbart: »Doch alles Dunkle will ans Licht/ Die Enge sucht die Weite,/ und selbst mein kleines rotes Herz/ pocht auf der falschen Seite«. Er bekennt: »Das Lächeln meiner Kanzlerin,/ es raubt mir den Verstand./ Wenn sie parliert im Parlament,/ regiert mit zarter Hand,/ dann weiß ich: ganz egal, was sie politisch fabuliert,/ wir werden von dem schönsten Lächeln dieser Welt regiert«. Wo die Liebe hinfällt … Der von Amors Pfeil Getroffene fürchtet nun die – drastisch beschriebene – soziale Ächtung seines Umfelds und rechtfertigt sich:
»Ach ja, ich seh’s, ihr seid geschockt,/ ihr seht die Welt so kritisch./ Die Liebe macht mich toll und blind/ und restlos unpolitisch«. Vorerst zweifelt er noch ein wenig an Merkels Kurs; schließlich gehe sie »mit der Atomlobby ins Bett«, um kurz darauf Ökostrom
»ganz toll« zu finden. Dann jedoch fällt ihm ein Ereignis vom 13. April 2008 ein, an das sich viele – freilich mit unterschiedlichen Empfindungen – erinnern dürften: »Ein Bild erhellte diese Nacht,/ am Nordpol schmolz der Schnee:/ Da zeigte meine
Bild Wikimedia
Mit Ska, Hip Hop, Hardcore und Punkrock gegen Nazis und für eine alternative Jugendkultur in Nordsachsen!
Kanzlerin ihr pralles Dekolleté!« Merkel war damals zur Eröffnung der Osloer Nationaloper in einem tief geschnittenen Abendkleid erschienen. Nun ist’s um ihn geschehen: »Das … nein die – die Brüste meiner Kanzlerin/ rauben mir den Verstand./ Es schlägt mein Herz für diese Brust/ und unser Vaterland«. Wenn er doch nur einmal kurz an dieser Brust liegen könne, schwöre er, nie wieder die Linken zu wählen. Für sie, singt er, fälle er sogar in Stuttgart alte Bäume, »und sprenge ihr den Kopfbahnhof für Immobilienträume«. Er blase für sie im Verbund mit der NATO »den Terrorfürsten dieser Welt den Marsch«, mauschele mit Bankern und Lobbyisten. »Und wenn es sein muss, schösse ich/ für sie auf Pazifisten«. Bloß gut, dass das Gesagte bleibt, was es ist: Ironie. Darauf kann man sich – trotz aller Wecker’schen Überraschungen – verlassen. Kevin Reißig