Links! Ausgabe 07-08/2012

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Auf Augenhöhe

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Juli-August 2012

Weltweit befinden sich etwa 67 Millionen Menschen auf der Flucht vor politischer, ethnischer und religiöser Verfolgung, vor ökonomischer Ausbeutung, Kriegen und Umweltzerstörung, vor Hunger und Armut. Erstzufluchtsländer sind dabei aber nicht die Industrienationen, sondern zum allergrößten Teil benachbarte Staaten, oft selbst Entwicklungs- bzw. Schwellenländer. Dort leben die Menschen meist jahrelang unter schwierigen Bedingungen ohne Zugang zu elementaren Rechten und Perspektive. Dennoch nehmen die Zahlen der Asylerstanträge in Deutschland seit Jahren ab. Neben der hermetischen Abschottung Europas durch die EU-Grenzschutzagentur Frontex sorgt die sogenannte Drittstaatenregelung dafür, dass in EU-Binnenländern wie Deutschland kaum noch Flüchtlinge asylberechtigt sind. Darüber hinaus stellen Abkommen verschiedener EU-Länder mit Nachbarstaaten von Krisenregionen sicher, dass Flüchtlinge in der Nähe ihrer Herkunftsländer verbleiben bzw. direkt dorthin zurück abgeschoben werden können. 1993 wurden in Deutschland mehr als 100.000 Asylsuchende aufgenommen. In diesem Jahr wurde das Recht auf Asyl faktisch abgeschafft – auch als Reaktion auf die rassistischen Pogrome in den Jahren zuvor. Und inzwischen? Den Rassismus hat man mit dem Asylkompromiss jedenfalls nicht hinter sich gelassen. Und dieser äußert sich vielfältig: Zum Beispiel auf der Straße bei Bürgerprotesten wie in Leipzig, wenn es darum geht, Asylsuchende dezentral unterzubringen oder in Chemnitz, wo sich der Unmut auch mit Unterstützung der NPD gegen die Erstaufnahmeeinrichtung wendet. Ebenso wird in den ländlichen Gebieten des Freistaates mit unschöner Regelmäßigkeit und fraglicher Beihilfe von rechts gegen Flüchtlinge und deren Unterbringung protestiert. Aber auch institutionell wird diskriminiert: Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) sorgt unter anderem dafür, dass Asylsu-

chende mit 40 Prozent weniger als Hartz-IV-Betroffene auskommen müssen, dass sie in Gemeinschaftsunterkünften auf einer Fläche von 4,5 - 6 m2 pro Person leben müssen und dass sie nur in eingeschränktem Maße medizinisch versorgt werden. Weil das nicht dem menschenwürdigen Existenzminimum entspricht, äußert inzwischen auch das Bundesverfassungsgericht deutliche Zweifel. Sachsens Innen- und Wirtschaftsminister werben seit einiger Zeit für eine »Willkommenskultur« – meinen damit aber nur, dass jene gern gesehen sind, die ein jährliches Einkommen von mehr als 40.000 Euro vorweisen können. Das spiegelt sich auch im sächsischen Zuwanderungs- und Integrationskonzept. Aber auch Fachkräfte schauen sehr genau darauf, wie Ihre Mitmenschen behandelt werden – und zeigen bisher kaum Interesse, sich hier niederzulassen. Dabei ist die einzige Möglichkeit, Fremdenfeindlichkeit wirksam zu bekämpfen, genau das – die persönliche Begegnung. Zu diesem Urteil kommt unter anderem eine aktuelle repräsentative Studie der TU Dresden, in der die Schlussfolgerung gezogen wird, dass sich mehr AusländerInnen ansiedeln sollten. Die Stadt sei Beispiel dafür, dass Vorbehalte gegenüber Fremden dort am größten sind, wo wenige leben – aus dem einfachen Grund, dass sie dort mehr auffallen. Der Ausländeranteil in der sächsischen Hauptstadt liegt bei knapp vier Prozent. Die DresdnerInnen schätzen ihn fast drei Mal so hoch ein. Die Lösung? Sachsen muss Flüchtlinge aufnehmen. Zum Beispiel über das ResettlementProgramm des UNHCR, wie es die Save-Me-Kampagnen in Dresden, Leipzig und Chemnitz fordern. Denn das bedeutet nicht nur aktive Nothilfe zu leisten, sondern eine Neuansiedlung besonders Schutzbedürftiger mit dauerhafter Perspektive und aufenthaltsrechtlicher Sicherheit. Außerdem dürfen Flüchtlinge nicht an den Tropf zweitklassiger Sozialleistungen gehängt werden. Nur soziale und ökonomische Gleichstellung und politische Teilhabe kann zu einem Miteinander auf Augenhöhe führen. Freya-Maria Klinger


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