Träume, von denen wir was haben
Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt September 2012
Der Menschheitstraum, durch die Steigerung der Arbeitsproduktivität mittels Technisierung und Automatisierung von Fertigungsprozessen ein Stück frei zu werden von Erwerbsarbeit als Voraussetzung für den Lebensunterhalt, ist in seiner kapitalistischen und heute neoliberalen Ausformulierung zur Geißel geworden. Statt frei zu werden, sich emanzipieren zu können, sozial abgesichert für andere Betätigungsfelder Zeit zu finden, erleben wir auf der einen Seite die »Freisetzung« von Arbeitskräften und auf der anderen Seite erhöhten Leistungsdruck, die Ausweitung des Niedriglohnsektors und eine fortschreitende Prekarisierung der Arbeits- wie Lebensverhältnisse. Viele werden von vornherein als nützliche Glieder einer Gesellschaft verworfen, die größtenteils marktförmig organisiert ist und in der allein lohnabhängige und Erwerbsarbeit respektive Selbstausbeutung/ Selbstvermarktung als Sinn und Zweck des Daseins gelten. Über die Beurteilung der gegenwärtigen Lage herrschte bei der Konferenz »Arbeit und Existenzsicherung im demokratischen Sozialstaat«, die von den LINKE-Landesarbeitsgemeinschaften Grundeinkommen sowie Betrieb & Gewerkschaft organisiert worden war, denn auch weitgehend Einigkeit (siehe Interview Seite 2). Auch darüber, dass es Reformansätze bedarf, die unmittelbar umgesetzt werden können, wie etwa flächendeckender Mindestlöhne und einer sanktionsfreien Mindestsicherung von aktuell 1050 Euro, um die Lebensbedingungen für Erwerbstätige wie Erwerbslose zu erleichtern und ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Die gewerkschaftsnahe Strömung favorisiert Steuerungselemente wie Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung, Abschaffung von Leih- und Zeitarbeit und die gerechte Verteilung von Erwerbsarbeit. Die Realisierung dieser zum Teil am »Jetzt« orientierten Reformansätze kann dennoch nachhaltige Ver-
änderungen in der Gesellschaft bewirken, statt nur, wie gern unterstellt, den status quo zu erhalten. Die Wertschätzung von Arbeit etwa gewänne wieder mehr Raum in einer Gesellschaft, in der es seit längerem gängige Praxis ist, (lohnabhängige) Arbeit nur unter dem Kostenaspekt zu betrachten. Die von sozialen Bewegungen wie Teilen der LINKEN beförderte Perspektive eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE), das als Teil eines großen Umverteilungs- und Transformationsprojektes zu verstehen ist, bildet nur eine der möglichen Antworten. Immanent ist diesem Projekt auch die Vorstellung, dass künftig nicht mehr Erwerbsarbeit allein die relevante Beteiligungs- und Zugangsform zu den Gütern und zum Öffentlichen in der Gesellschaft darstellen wird. Das BGE kann nur mittels eines partizipativen Prozesses verhandelt und in Gang gesetzt werden. Dieses Projekt sehe ich nicht zuletzt in einem Zusammenhang mit Artikel 1 GG, der die Würde des Menschen per se voraussetzt. Missbrauch seitens der Wirtschaft, neoliberale »Übersetzungsversuche« (à la Althaus) wie auch Prekarisierungstendenzen müssen dabei ausgeschlossen werden. Eine andere Antwort, und dies zum Teil parallel oder als Grundbedingung für die Einführung des BGE, könnten die gerechte Verteilung von Arbeit, damit einhergehende Arbeitszeitverkürzung bei Lohnausgleich, eine gesetzliche Mindestsicherung und das Projekt Vollbeschäftigung bilden. All das erfordert auch einen öffentlichen Diskurs hinsichtlich gesellschaftlich notwendiger Arbeit und Definierung von Wirtschaftsund Entwicklungszielen. Die Debatte sollte unbedingt fortgesetzt und in einem zweiten Schritt danach gefragt werden, wo bei den unterschiedlichen Konzepten Anknüpfungspunkte zu finden sind. Auch sollte der Stellenwert von Arbeit in der Gesellschaft in den Blick genommen werden. Es gilt zu erörtern, welche Teilschritte im Sinne gerechter Verteilung von Arbeit und des BGE notwendig respektive unter den gegebenen Verhältnissen möglich sind, ohne dass sie vom Kapitalinteresse gleich wieder pervertiert werden.
Jayne-Ann Igel
Links! im Gespräch
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»Für eine kulturvolle Diskussion« Manchen gilt es als Utopie, anderen als revolutionäre Reformierung: Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Nicht nur Linke und die Gewerkschaften diskutieren seit Jahren über diesen spannenden Politikansatz. „Links!“ sprach nach der Konferenz „Arbeit und Existenzsicherung im demokratischen Sozialstaat“ der Landesarbeitsgemeinschaften Grundeinkommen und Betrieb & Gewerkschaft mit der Leipziger Stadträtin Juliane Nagel und dem ver.di-Gewerkschafter Klaus Tischendorf (beide DIE LINKE). Wie sieht die Zukunft der Arbeitsgesellschaft aus? Tischendorf: Die Frage lautet zunächst, wie die Arbeitsgesellschaft derzeit aussieht. Haben wir eine Vision? Wir haben ja viele Prozesse, die sich ändern. Die Frage wird sein, ob und wie man in Zukunft überhaupt an gesellschaftlichen Prozessen wird teilhaben können. Die Gewerkschaften müssen diese beachten, während sie für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen kämpfen. Deshalb halte ich eine Debatte über das BGE, gerechten Lohn und gerechte Arbeit für wichtig. Nagel: Das ist richtig. Wir müssen anerkennen, dass sich die Erwerbsarbeitsgesellschaft grundlegend wandelt. Das hat einerseits mit der Umwälzung von Produktionsprozessen durch Computerisierung, dem Bedeutungsgewinn immaterieller Arbeit und andererseits mit der politischen Reaktion auf diese Prozesse zu tun. Wir müssen als Linke die grundsätzliche Frage nach dem Sinn von Erwerbsarbeit stellen: Ist das Abschmelzen klassischer Industriearbeit nicht auch eine Entlastung, bedeutet die Automatisierung nicht einen Gewinn an Freiheit? Ist es nicht im Sinne einer sozialistischen Linken, sich für eine bedingungslose soziale Sicherung aller Menschen einzusetzen und damit das Diktum des Arbeitszwangs im Kapitalismus zu durchbrechen? Also müssen sich die Gewerkschaften vom Glauben an die Wiederherstellung der Vollzeiterwerbsgesellschaft verabschieden. Nagel: Ja. Die Produktivität hat sich seit den 1970er Jahren verdoppelt, während die ProKopf-Arbeitszeit sich um mindestens ein Viertel reduziert hat. Vierzigjährige, ungebrochene Erwerbsbiografien sind nicht mehr möglich, nötig und auch nicht wünschenswert. Je-
dem und jeder muss ein Leben mit möglichst viel Freiheit und Veränderungsoptionen inklusive einer ausreichenden sozialen Grundabsicherung ermöglicht werden. Die herrschende Politik aber baut den Niedriglohnsektor aus, verlängert die Lebensarbeitszeit und erhöht den Druck auf Erwerbslose. Wir brauchen den Abwehrkampf gegen den fortschreitenden Sozialabbau und die Entmündigung von Menschen. Es gibt aus unserer Sicht viele Schnittmengen zwischen gewerkschaftlichen Kämpfen und denen der BGE-BefürworterInnen. Tischendorf: Was heißt denn Vollzeiterwerbsgesellschaft? Heißt Vollzeitarbeit: acht Stunden arbeiten, oder weniger? Heißt es: zusammenhängende Arbeitsprozesse, oder Arbeit nur, wenn man gerade gebraucht wird? Wenn man sich die Diskussion um Arbeitszeitkonten ansieht oder die darüber, wie man jungen Müttern den Wiedereinstieg ins Erwerbsleben ermöglicht, wird klar: Da wird es große Veränderungen geben, und ich habe Bedenken, ob das Mindesteinkommen ausreichen würde, für alle diese Probleme die Lösung zu sein. Wie ist aktuell der Stand der Debatte? Tischendorf: Das Ergebnis der Konferenz ist, dass man miteinander spricht. In unserem Bundesparteiprogramm von 2010 haben wir als Kompromiss einen Abschnitt drin, der besagt, dass „Teile der Partei“ die Idee des BGE vertreten. In Sachsen diskutieren wir den Entwurf der sozialpolitischen Leitlinien, wo formuliert werden soll, dass „viele“ diese Idee verfolgen. Das war für uns als Landesarbeitsgemeinschaft Betrieb & Gewerkschaft
der Anstoß, endlich darüber zu reden und das Thema nicht auf dem Parteitag in einer Kampfabstimmung wegzubeschließen. Das ist in den letzten Jahren steckengeblieben, und das wollen wir aus Sachsen heraus wieder aufgreifen. Nagel: In der Debatte um die Sozialpolitischen Leitlinien ist die Positionierung zum BGE ein Knackpunkt gewesen. Uns ist aufgefallen, dass dabei auch viel mit falschen Vermutungen gegen das BGE hantiert wurde, außerdem schienen die Fronten zwischen BefürworterInnen und GegnerInnen verhärtet. Einen Raum zu schaffen, um ins Gespräch zu kommen, war aus Sicht unserer Landesarbeitsgemeinschaften und des Landesvorstandes der erste wichtige Schritt. War man nicht eigentlich schon weiter? Im „Alternativen Landesentwicklungskonzept für den Freistaat Sachsen (ALEKSA)“ der PDS-Fraktion von 2004 stand zum Beispiel: „Es ist notwendig, dass in der Bundesrepublik mittelfristig für alle Bürgerinnen und Bürger ein Grundeinkommen durchgesetzt wird“. Tischendorf: Damals haben wir das reingeschrieben, aber nicht über die Ausgestaltung gesprochen. Da sind wir jetzt weiter, auch weil diejenigen für diese Ideen gewonnen werden müssen, die das Bruttosozialprodukt erarbeiten. Bislang sagen viele in den Gewerkschaften noch, dass man sich zwar an den Debatten beteiligen, aber keine Arbeitsgruppen oder Ähnliches gründen möchte. Die Klientel der Gewerkschaften sind nach wie vor die Beschäftigten, deren Situation auch kurzfristig verändert werden muss, und die
Arbeitssuchenden. Ich denke aber, dass beides zusammengehört, die Diskussion über das BGE und die über die Situation der Beschäftigten und Arbeitslosen. Man kann natürlich nicht sagen, dass mit dem Grundeinkommen alle Probleme gelöst sind – genauso wie man die Idee umgekehrt auch nicht einfach als Utopie abtun kann. Zumal es zwischen Befürwortern und Zweifelnden sehr viel Übereinstimmung gibt – etwa beim Mindestlohn oder den Hartz-IV-Sanktionen. Man muss eine kulturvolle Diskussion hinbekommen. Nagel: Die Idee des BGE hat ihre Wurzeln im aufklärerischhumanistischen Denken des 18. Jahrhunderts – kein Wunder also, dass es in einem visionären Landesentwicklungsprogramm der PDS auftaucht. Spätestens seit den 1980er Jahren wird sie vielfach diskutiert. Auch die Debatte in den Gewerkschaften ist von vielen Mitgliedern ausdrücklich erwünscht, wird aber von den Gewerkschaftsspitzen eher zu deckeln versucht. Obwohl durch eine existenzsichernde Einkommensbasis und die damit verbundene Entlastung der ArbeitnehmerInnen vom Zwang, jeden denkbaren Job annehmen zu müssen, die Unternehmen zwangsläufig bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne anbieten müssen. Es geht auch um die grundsätzliche emanzipatorische Umwälzung der Produktionsverhältnisse. Beim Grundeinkommen werden viele Modelle diskutiert. Wird inzwischen ein bestimmtes mehrheitsfähig? Nagel: Die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Grundeinkommen der LINKEN hat 2009 ein Modell verabschie-
det. Es liegt bei 1000 Euro monatlich für Erwachsene und 500 für Kinder bis 16 Jahre und basiert zunächst auf einer Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Zur Finanzierung wird eine Grundeinkommensabgabe von 35 % auf alle Einkommen erhoben, hinzu kommen eine Börsenumsatzabgabe, eine Sachkapital-, Primärenergie-, Finanztransaktions- und eine Luxusabgabe. Steuerfinanzierte Sozialleistungen (Hartz IV, Kindergeld, BAföG) sowie die Bürokratie zur Verwaltung und Überwachung von Erwerbslosen entfallen, die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung werden zu einer BürgerInnenversicherung, die Arbeitslosenversicherung zu einer Erwerbslosenversicherung um- und ausgebaut. Hinzu käme die Realisierung eines Anspruches auf Zugang zu öffentlichen Infrastrukturen und Dienstleistungen wie Kultur, Bildung und Mobilität sowie die grundsätzliche Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche. Tischendorf: Das Spannende bei der Konferenz war für mich die Erkenntnis, dass wir nicht über irgendein Modell reden, sondern über das, was die BAG Grundeinkommen vorgestellt hat. Es gibt ganz unterschiedliche Modelle, auch konservative. Ich finde, man sollte das von der BAG vorgelegte Modell als Diskussionsgrundlage nehmen. Wie soll es nun weitergehen? Tischendorf: Zur Konferenz soll es einen Reader geben, in dem offene Fragen und Widersprüche enthalten sind. Man sollte die Debatte weiterführen. Wir als BAG Betrieb & Gewerkschaft wollen im nächsten Jahr eine Konferenz zum Thema „Gute Arbeit“ organisieren und auch die Befürworter des BGE dazu einladen. Nagel: Wir nehmen in Sachsen die Formulierung des Parteiprogrammes ernst, das sich ausdrücklich zur Weiterführung der innerparteilichen Debatte über das BGE bekennt. Diese mündet aber auch irgendwann in einer Positionierung. In dem Sinne würden wir uns natürlich freuen, wenn sich der Landesparteitag im Oktober auch zum Modell des BGE als linker, zukunftsorientierter Option der sozialen Sicherung und Demokratisierung der Gesellschaft bekennen würde. Die Fragen stellten Rico Schubert und Kevin Reißig.
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Beschneidung: Religionsfreiheit vs. körperliche Unversehrtheit Das Landgericht Köln hat am 7. Mai 2012 in einem Urteil eine auf Wunsch der muslimischen Eltern aus religiösen Gründen vorgenommene Beschneidung eines vierjährigen Jungen als rechtswidrige Körperverletzung beurteilt und damit eine heftige Diskussion ausgelöst. Unstrittig ist, dass eine Beschneidung – wie jeder andere körperliche Eingriff – tatbestandlich die Voraussetzungen einer Körperverletzung erfüllt. In seinem Urteil hatte das Gericht darüber zu entscheiden, ob dieser Eingriff durch die Einwilligung der Eltern gerechtfertigt gewesen ist. Dabei war zwischen mehreren hohen Verfassungsgütern abzuwägen: Dem Recht des minderjährigen Jungen auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 GG) und Selbstbestimmung (Artikel 2 Satz 1 GG) sowie seiner Religionsfreiheit (Artikel 4 Absatz 1 GG) einerseits und dem Recht der Eltern auf deren Religionsfreiheit (Artikel 4 Absatz 1 GG) und ihrem Recht auf Freiheit der Erziehung (Artikel 6 Absatz 2 GG). Im Ergebnis hat das Landgericht Köln sich der in der strafrechtlichen Literatur herrschenden Meinung angeschlossen und entschieden, dass die auf reli-
So beginnt ein Lied, das meine Großmutter manchmal gesungen hat. Das waren Zeiten, wo man des Herzens bloß symbolisch verlustig gehen konnte, indem man es zwar einem anderen »schenkte«, damit aber nur meinte, sich verliebt zu haben – »bis über beide Ohren«, wie es im Lied heißt. Das Herz war den Menschen immer besonderes Symbol fürs Gemüt. Man verliert es nicht nur und verschenkt es. Es kann brechen. Ja, man kann sogar eines haben oder auch nicht. Das Herz ist gut, weich, weit oder kalt und hart. Unser Sprichwortlager ist übervoll mit einschlägigen Zuordnungen und Vergleichen. Die anderen Organe können da nur bedingt mithalten, wenn einem etwas »an die Nieren geht«
giösen Traditionen begründeten Wünsche der Eltern hinter dem Anspruch des Kindes auf körperliche Unversehrtheit zurückzustehen haben. Zwangsläufig kritisieren dies viele Vertreter jüdischer und muslimischer Verbände heftig, da für diese Religionen die Beschneidung elementar ist. Sie sehen ihre religiöse und kulturelle Identität in Frage gestellt und akzep-
tieren die Aussage, dass es sich bei Beschneidungen um Körperverletzungen handele, nicht. Der Oberrabbiner Yona Metzger geht noch einen Schritt weiter, indem er sagt: »Eine Spritze fügt dem Kind mehr Schmerzen zu als die Beschneidung selbst«. Aus medizinischer Sicht indes wird diese Ansicht nicht geteilt. Dabei ist jede Blinddarmentfernung, juristisch gesehen,
tatbestandlich eine Körperverletzung. Jedoch ist der lege artis (den geltenden Regeln entsprechend, d. Red.) ausgeführte, medizinisch notwendige ärztliche Heileingriff durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigt und damit nicht strafbar. Bei jedem ärztlichen Eingriff müssen die Eltern für ihre Kinder entscheiden, denn diese verfügen noch nicht über die nötige Einwilligungs-
fähigkeit. Das gilt aber nur für Maßnahmen, die dem Wohle des Kindes dienen, also bei notwendigen Operationen. Eine Entscheidung der Eltern zur Vermeidung einer religiösen Ausgrenzung kann die Einwilligung des kleinen Patienten nicht ersetzen, da keine medizinische Indikation vorliegt und der Eingriff nicht dem Kindeswohl dient. Durch eine Beschneidung wird der Körper des Kindes dauerhaft und irreparabel verändert. Diese Veränderung läuft notwendig dem Interesse zuwider, später in freier Selbstbestimmung über eine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können. Dass dieses Problem lösbar ist, zeigen jüdische Gemeinden in Großbritannien: Dort wird das religiös geforderte frühkindliche Ritual der Beschneidung ins SchmerzlosSymbolische verschoben und die Entscheidung über den tatsächlichen Eingriff dem Betroffenen selbst überlassen, wenn er als Jugendlicher einwilligungsfähig ist. 14-Jährige können selbst entscheiden, welcher Religion sie angehören und ob sie den chirurgischen Eingriff über sich ergehen lassen wollen. In der anstehenden Debatte wird die Alternative sicher eine Rolle spielen. Jens Petermann
oder »eine Laus über die Leber läuft«. Natürlich hörte auch zu Zeiten meiner Großmutter das Herz irgendwann zu schlagen auf, selbst wenn es eigentlich noch gesund war, aber zum Beispiel die Impulse vom Gehirn fehlten. Das kann verschiedene Ursachen haben, keine schönen, jedoch unweigerlich zum Mensch-Sein gehörige. Zum Leben gehört bekanntlich auch der Tod. Dass er nicht allzu schnell eintritt, dafür haben wir die Medizin. Es war ein Südafrikaner, der Arzt Christiaan Barnard, der am 3. Dezember 1967 als Erster wagte, den Tod mit dem Leben in besonderer Weise zu verbinden: Er pflanzte dem schwer herzkranken Louis Washkansky das Herz einer fünfundzwanzigjährigen Frau ein, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Washkansky überlebte gerade mal 18 Tage. Erst mit ihm starb auch das Herz der Frau. Der zweite Patient Barnards‘ hielt bereits 19 Monate durch. Die Sache nahm ihren segensreichen Lauf. Wir wissen heute, was die Transplantationsmedi-
zin leisten kann. Übrigens auch und zum Beispiel in Heidelberg, in Göttingen und an vielen anderen Orten in Deutschland. Was mit Herzen geht, geht auch mit Leber, Nieren und Bauchspeicheldrüse. Ganze Gesichter werden verpflanzt. Die Sache nahm ihren Lauf und wurde
dient. Die Sprache ist verräterisch. Da kommt also eine Bank ins Spiel. Eine Bank ist ein »Unternehmen, das Geld- u. Kreditgeschäfte betreibt u. den Zahlungsverkehr vermittelt«, meint der DUDEN naiv. Wir wissen mehr. Die Bank nimmt ein und verteilt neu. Das klingt brav. Dabei wird aber geschoben und verschoben von einer Tasche in die andere. Geld wird zur Ware und bringt selbst noch Gewinn. Das kann des einen Ruin sein und die Quelle ständig wachsenden Vermögens anderer. Und siehe da, nicht anders funktioniert unter Umständen eine Organbank, wie wir kürzlich aus Göttingen erfuhren. Die Sache mit den Organen nahm offensichtlich nicht nur einen segensreichen medizinischen Lauf, sondern für einige auch einen segensreichen ökonomischen. Das ausgeklügelte System der Zuweisung von Organen an die Empfänger mit Klassifikationen nach Güte der Organe und Wartelisten der Patienten nach Dringlichkeit hat in der Realität einen Schwarz-
markt entstehen lassen. Ware, die rar ist, wird wertvoll. Es entstehen Begehrlichkeiten. Preise werden geboten, die nicht mehr jeder und jede bezahlen kann. Man kommt an die Ware jedoch zu schlecht heran, um sie profitabel verhökern zu können. Denn der Markt ist ja eigentlich geregelt. Da deklariert man kurzerhand gute Ware als Ramschware, um sie der kontrollierten Verteilung zu entziehen. Spender oder Spenderin sind eben über 65 Jahre alt gewesen und krank. Jetzt kann man ihre Organe gewinnbringend unter der Hand verkaufen. Ist das Herz erst Ware, irrt der Volksmund. »Du kannst den Himmel vermessen, berechnen der Erde Gebiet, während das Menschenherz sich aller Berechnung entzieht.« Denkste! »Ich hab‘ ein Herz für schwarze Schafe.« Der ironisch gemeinte facebook-Eintrag von »sheepworld« bekommt seine makabre wörtliche Bedeutung, und ein Organspender wird nun doch zum einträglichen Ersatzteilspender. Den Kapitalismus in seinem Lauf ...? Peter Porsch
„Ich hab‘ mein Herz in Heidelberg verloren ...“ systematisch ausgebaut, was Organentnahme, Organtransport, Organverteilung und schließlich deren Transplantation betraf. Die Sprache reagierte. Es gibt »Organspender« – die Assoziation mit »Ersatzteilspender« verbiete ich mir –, und es gibt »Organempfänger«. Zwischen ihnen vermittelt eine »Organbank«. Das ist laut DUDEN eine »Einrichtung, die der Aufbewahrung und Abgabe der Organe oder Teilen von ihnen«
Hintergrund
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... damit wir leben können Erinnerung für die Zukunft: Deutschland ganz unten Haltepunkt Rostock-L., August 1992
Alarmketten, früh aufstehen, vollbesetzte PKW, Busfahrten, Bahnhöfe, linke Jugendzentren, Autobahnausfahrten und Provinz-Parkplätze, bis tief in die 90er Jahre waren wir dauernd unterwegs. Hielten Wache vor Flüchtlingsheimen, unterstützten Flüchtlinge im Kirchenasyl, begleiteten sie auf die Ausländerbehörde und demonstrierten vor Wohnheimen, die sich bald zu Lagern entwickeln sollten. Atemlos, angestrengt, oft von der Situation überfordert. Theoretisch hatten wir die überschäumende rassistische Welle, den neuen deutschen Nationalismus, der der »Wiedervereinigung« folgen sollte,
vorausgesehen, auch die sogenannte »Asyldebatte« lief ja einher mit der sukzessiven Verschärfung der »Ausländergesetze« und der »Asylierung« von MigranntInnen, schon seit den 80er Jahren in der damaligen BRD. Wir kannten die Neonazis der BRD aus der GdNF »Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front«, Schlüsselorganisation von Neonazis (in den 1990er Jahren, d. Red.), die es an diesem Wochenende nach Lichtenhagen gezogen hatte, und wir hatten auch schon ihre neue Gefolgschaft in der ehemaligen DDR, etwa in der Ostberliner Weitlingstraße oder bei Überfällen auf linke Projekte in der Dresdener Neustadt kennen gelernt. Der Imbissbudenbesitzer von »Happi Happi bei Appi« (Westdeutsch für Anfänger?) aber, der an die rassistischen Pogromhelden auf der Güstrower Straße und Mecklenburger Allee Bier und Würstchen verkaufte, erschreckte uns weit mehr. Auch in unserem Haus in Berlin kamen die telefonischen
Hilferufe aus Rostock am 22. August 1992 an. Wir sind sofort mit mehreren Autos nach Rostock-Lichtenhagen gefahren, wie viele andere AntifaschistInnen aus Berlin, wir waren vielleicht hundert, vielleicht auch weniger. Im JAZ trafen wir GenossInnen aus MV, Hamburg, Hannover und anderen Orten. Und ich traf auf einen Freund, der uns erschreckt, aber ruhig die Situation vor dem Sonnenblumenhaus in Lichtenhagen schilderte. Was wir gemeinsamen begreifen mussten: Wir waren der (vermuteten) Härte der direkten Konfrontation mit dem Mob nicht gewachsen. Wir, die um »selbstbestimmte Räume« kämpften, standen ziemlich entsetzt vor einem »rechtsfreien« Raum, der jetzt von RassistInnen und Neonazis ausgefüllt wurde. Die Demonstration, die wir dann in der Nacht in Lichtenhagen durchführten, um »antifaschistische Präsenz« in Lichtenhagen zu zeigen, half weder den eingeschlossenen VietnamesInnen, deren Haus
noch angezündet werden sollte, noch konnten wir ein entschlosseneres Eingreifen der Polizei gegen den rassistischen Mob provozieren. Ein großer Teil der antifaschistischen DemonstrantInnen wurde verhaftet, dazu war die Polizei willens und in der Lage. Als ich den Abtransport der Flüchtlinge unterm Beifall des siegreichen Mobs beobachtete, lag mein Vertrauen in die eigene Kraft und Wirkungsmächtigkeit linker Solidaritätsarbeit und antifaschistischen Engagements in Scherben. Aber die Tage, die ich in Lichtenhagen verbrachte, waren entscheidend für mein Engagement bis heute. In Lichtenhagen 1992 waren wir zu Wenige, in Dresden stoppten wir fast 20 Jahre später den Neonaziaufmarsch mehrfach mit Zehntausenden und wirkten ziemlich erfolgreich in den Teil der Gesellschaft hinein, der sich ein Leben jenseits von Nationalismus und Rassismus vorstellen kann. Markus Teervoren, VVN-BdA Berlin (gekürzt)
Deutschland: Land ohne verfassungskonformes Wahlrecht Effekt hat das Bundesverfassungsgericht kritisiert und eine Neuregelung gefordert. Tatsächlich hatte die Koalition im vergangenen Jahr und ohne die Stimmen der Opposition eine Neureglung durch das Parlament gebracht. Diese Neuregelung – inzwischen vom Verfassungsgericht gekippt – sah vor, dass künftig die Wählerinnen und Wähler darüber entscheiden, wie viele Sitze ein Bundesland im Bundestag erhält. Auch das ist vom Bundesverfassungs-
gericht verworfen worden, weil die Wahlgebiete ungefähr gleich groß sein müssen, und das sind die Bundesländer nicht. Die Neuregelung besagt: Von den einem Bundesland zustehenden Sitzen im Bundestag werden zuerst die Direktmandate abgezogen und danach die verbleibenden Sitze auf die Parteien verteilt. Da dies insbesondere für kleinere Parteien zu unüberwindlichen Hürden in kleineren Bundesländern führen würde, sollte ein Reststimmenaus-
gleich stattfinden. Das heißt, dass die Stimmen, die für ein weiteres Mandat in einem Bundesland fehlen, zusammengerechnet werden. Die sich daraus ergebenden Sitze werden dann an die jeweiligen Parteien verteilt. Aber auch das führt zu negativem Stimmgewicht. Nachdem das Bundesverfassungsgericht diese Regelung für verfassungswidrig erklärt hat und die Bundesrepublik ein Land ohne Wahlrecht ist, finden nun All-Parteien-
Bild: Wikipmedia
Das deutsche Wahlrecht ist kompliziert. Mit der Erststimme wählen die Bürgerinnen und Bürger eine Person. Die Person mit den meisten Stimmen zieht über ein Direktmandat in den Bundestag ein. Mit der Zweitstimme wird eine Partei gewählt. Die Zweitstimmen entscheiden also, in welcher Stärke eine Partei in den Bundestag einzieht. Nun kann es aber passieren, dass eine Partei mehr Direktmandate erhält als ihr Bundestagssitze nach Zweitstimmen zustehen würden. In diesem Fall entstehen sogenannte Überhangmandate. Das kann zur Verzerrung des Wahlergebnisses führen. Deswegen hat das Bundesver fassungsgericht in seiner jüngsten Entscheidung eine Regelung gefordert, mit der verhindert wird, dass mehr als 15 Überhangmandate entstehen, ohne dass diese ausgeglichen oder verrechnet werden. Warum 15 Überhangmandate ohne Ausgleich oder Verrechnung zulässig sein sollen, ist nicht nachvollziehbar und scheint etwas willkürlich. Das deutsche Wahlrecht beinhaltet zugleich das sogenannte negative Stimmgewicht. Durch das System von Erstund Zweitstimme kann es passieren, dass ein Mehr an Stimmen für eine Partei zu weniger Sitzen im Bundestag führt und umgekehrt weniger Stimmen zu mehr Sitzen. Auch diesen
Gespräche statt. DIE LINKE wird daran beteiligt sein. Sie hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die vom Bundesverfassungsgericht kritisierten Punkte aufnimmt und eine verfassungskonforme Regelung vorschlägt. DIE LINKE fordert in ihrem – inzwischen vom Bundestag abgelehnten – Gesetzentwurf zudem: Wahlrecht für Menschen, die seit fünf Jahren hier leben; aktives Wahlrecht ab 16 Jahre und Wegfall der 5-Prozent-Hürde. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Direktmandate, die eine Partei auf Bundesebene erzielt hat, von den insgesamt für diese Partei gewonnenen Mandaten abgezogen werden. Danach sollten die verbleibenden Sitze auf die jeweiligen Landeslisten der Parteien aufgeteilt werden. Das dürfte zu keinen Überhangmandaten führen, außer vielleicht zu einigen wenigen in Bayern, weil die CSU nur dort antritt. In diesem Fall sollten die Überhangmandate ebenfalls auf Bundesebene ausgeglichen werden. Ich bin gespannt, wie die Verhandlungen zum Wahlrecht laufen werden und ob auf den guten Gesetzentwurf der LINKEN vielleicht doch zurückgegriffen wird. Er ist der einzige, der den Anforderungen des Verfassungsgerichtes gerecht wird, also der einzige, der verfassungskonform ist. Halina Wawzyniak
September 2012
Sachsens Linke
Die Auswirkungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (kurz ESM) und des Fiskalpaktes auf Europa, Deutschland und Sachsen beschreiben Axel Troost und Sebastian Scheel auf Seite 3. Wie mit Hartz IV-Empfängenr im Vogtland umgegangenwird, erzählt Dorothea Wolff auf Seite 4. Ralf Be-
cker berichtet über die Klagewelle gegen Hartz IV, ebenfalls auf Seite 4. Die auf dem Kleinen Parteitag am 15. September vorgestellten Drogenpolitischen Leitlinien beschreiben
Dialog für Sachsen in Antje Feiks zum LandesgeschäftsführerHerbst startet. neuen Projekt, das im
Dialog für Sachsen – Bewegung kommt von links Warum starten linke AkteurInnen den Dialog für Sachsen (DfS)? In Auswertung der Wahlen 2008/2009, aber auch in Auswertung von Veranstaltungen oder linken Initiativen, kommen wir immer wieder zu dem Schluss, dass wir Wege finden müssen, mehr Öffentlichkeit zu erreichen, Teilhabemöglichkeiten für die BürgerInnen anzubieten und aktiv an der Gestaltung des Landes teilnehmen sollen und müssen. Nun ist das keine Aufgabe, die eine Partei, eine Fraktion oder eine Stiftung allein leisten kann, sondern es ist eine gemeinschaftliche Aufgabe, die auch nur gemeinschaftlich von uns allen bewältigt werden kann. Aus diesem Grund haben sich AkteurInnen aus Partei, Fraktion, Rosa-LuxemburgStiftung und Kommunalpolitischem Forum zusammengetan, um dieser Aufgabe Form zu geben und sie auszugestalten. Das Projekt DfS wurde ins Leben gerufen. Ziel des Projektes ist es, im offenen Gespräch über die Zukunft unseres Landes zu sprechen, politische Angebote zu unterbreiten und diese zur Diskussion zu stellen. Es geht nicht darum, den Menschen zu sagen, was sie bewegt, sondern aufzugreifen, was sie tatsächlich beschäftigt. Weiterhin wollen wir Menschen in die Lage zu versetzen an politischen und gesellschaftlichen Prozessen teilzuhaben. Was bedeutet das konkret? Wir brauchen dafür nicht nur Neues erfinden, denn wir als Linke in Sachsen machen viel, sind aktiv und rege. Abstimmung der Vielfältigkeit des Tuns zum Erreichen größtmöglicher Öffentlichkeit steht im Fokus, d.h.: Ressourcen sinnvoll einsetzen: Nicht nur viel machen, sondern die vielen sinnvollen Dingen, die wir tun so zu steuern, dass sie ein großes Gan-
zes ergeben. Kooperation linker AkteurInnen: Trägerin des DfS ist nicht die sächsische LINKE allein, sondern der Verein linke Kultur & Bildung Sachsen e.V., in dem AkteurInnen aus der Partei, der Landtagsfraktion, der Bundestagsfraktion, des Kommunalpolitischen Forums, der Rosa-LuxemburgStiftung zusammengetan haben, um gemeinsam linke Politik zu gestalten und sich hierbei sinnvoll zu ergänzen. Fragen beantworten, wie z.B. Wo finden wir Menschen, mit denen wir ins Gespräch kommen? Und wie erreichen wir das? Wie wollen wir vorgehen? Die AkteurInnen, welche die Idee vorantreiben, sind der Auffassung, dass wir mit Projektarbeit und Steuerungsprozessen diese komplexen Aufgaben meistern können. Das heißt z.B. Ziele, also angestrebte Ergebnisse und Wirkungen zu definieren, um dann im Laufe des Prozesse immer wieder zu prüfen, ob die Maßnahmen anvisierte Ziele auch erreichen können. Weiterhin haben wir uns mit der Projektarbeit bewusst auf
einen Modus des Ausprobierens eingelassen, ohne dabei Altbewährtes wegfallen zu lassen. Im Grunde ist der Prozess, den wir ins Leben gerufen haben, der Versuch, das Handeln von Partei und partnerschaftlichen Vereinen und Strukturen so aufeinander abzustimmen, dass nicht doppelt oder dreifach gearbeitet wird. Aktivitäten in jeglicher Form sollen zur richtigen Zeit am richtigen Ort entwickelt werden. Dies entspricht einer neuen konzentrierten Arbeitsweise. Wir wollen Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung nehmen und Wahlen erfolgreich gestalten, indem: wir Angebote in der Partei unterbreiten, die zum mitmachen anregen, wir Angebote an die Gesellschaft entwickeln, die kommuniziert, qualitativ hochwertig und glaubwürdig vermittelbar sind, wir unsere Außendarstellung insgesamt verbessern, wir zuhören und die eingebrachten Ideen transparent in unsere Diskussionen und Positionen aufnehmen, wir uns innerparteilich so auf die Wahlen vorbereiten, dass
Freya-Maria Klinger und René Jalaß im Interview auf Seite 6. Und die Bedeutung der Europapolitischen leitlinien würdigt Cornelia Ernst auf Seite 7.
wir die Wahlkämpfe gut meistern werden. Nun mag man vielleicht kritisieren, dass das Vorhaben zu groß sei oder aber die Erfolgsaussichten gering sind oder aber sagen, dass das alles eh Nichts bringt. Oder wir nutzen die Chance, die sich mit dem DfS bietet und packen es an. Denn in jedem Fall werden wir im Prozess wichtige Erfahrungen sammeln, unser Miteinander stärken und mehr in den Fokus rücken sowie einen gemeinsamen Entwicklungsprozess durchschreiten. Und vielleicht schlagen sich all unsere Mühen auch in den zukünftigen Wahlergebnissen wieder ... Der Auftakt in die Öffentlichkeit wird der Landesparteitag im Oktober sein. Bis dahin wollen wir die Online-Debatte auf www.dialog-fuer-sachsen. de in Gang bekommen, um sie dann mit allen anderen Bausteinen weiter auszubauen. Antje Feiks Landesgeschäftsführerin der LINKEN Sachsen & Mitglied der Steuerungsgruppe „Dialog für Sachsen“
Gemeinsam statt isoliert
Nach dem Göttinger Parteitag kam unsere Partei endlich etwas zur Ruhe. Zumindest verschwand der Hickhack »guter Genosse – schlechter Genosse« aus den Medien. Gut so! Die neuen Vorsitzenden machten sich an die Mühen der Ebene, trafen sich bundesweit mit GenossInnen, das kam gut an. Auch in Sachsen, in Borna und Umgebung, gab es Gelegenheit zum Gespräch. Zugleich kam der Abwärtstrend unserer Umfrageergebnisse knapp vor der 5 Prozent Marke zum Halten. Das ist gut. DIE LINKE, die ja zu Recht für sich in Anspruch nimmt, die Interessen der meisten Menschen zu vertreten, sollte dies auch in Wahlergebnisse ummünzen. Aber, Hand aufs Herz, zufrieden können wir nicht sein! Deshalb gilt es jetzt für uns alle, die Voraussetzungen für das Wiedererstarken unserer Partei auch zu nutzen. Denn das können weder Katja und Bernd, noch Vorstände und Fraktionen alleine schaffen. Nun muss wieder in den Vordergrund rücken, was uns zwei Jahrzehnte lang hat wachsen lassen. Konkretes Handeln vor Ort. Statt abgehobener Losungen und Propaganda glaubwürdige Interessenvertretung. Und nicht zuletzt: Gemeinsamkeit mit BürgerInnen und Bürgern statt elitärer Isolation. Deshalb waren dieser Juli und August für viele AktivistInnen wohl der letzte entspannte Sommer. 2013 und 2014 wird es heißen: Sommerzeit ist Wahlkampfzeit! Und da nicht geerntet werden kann, was nicht zuvor gesät wurde, gibt es keinen Grund zu zögern. Raus zu den Menschen, rein ins Gespräch!
Sachsens Linke! 9/2012
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20 Jahre „IG unterwegs“ Ein Gründungsmitglied berichtet
Selbst die optimistischsten GründungaktivistInnen in der »Interessengemeinschaft Polittourismus« hätten nicht gewagt, von einer solchen Perspektive zu träumen – dass wir heute eine LINKE in Gesamtdeutschland haben. Auch nicht jene kleine Gruppe von linken MitstreiterInnen im damaligen alten »Haus der Begegnung« in Dresden auf der Franz-LisztStraße, die sich im Oktober 1992 zu Aktionen »Straßenwahlkampf« zusammenfanden und insbesondere durch eigenwillige Texte und Lieder bürgernahe Aktionen der PDS Dresden in der Öffentlichkeit unterstützten. Es ging dabei vorrangig um Themen der Kommunalpolitik (Bürgerbegehren), aber auch um die Vermittlung praktischer Hilfen zu den Themen Rente, Mieten und Vereinsrecht. Da diese Gruppe auf Parteitagen und Kundgebungen sowie öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen wie z.B. Einheitsmärkten oder den »Tagen der Sachsen« nun auch bundesweit in Erscheinung trat, wurde sie ab 1994 durch die Mitwirkung von weiteren GenossInnen aus Hoyerswerda verstärkt (Ralph Büchner, Renate und Heinrich Ruynat, Klaus Heine, Gerhard Heyme und Klaus Teske). Als die Nachfrage zu öffentlichen Auftritten auch aus anderen Bundesländern, z.B. Wahlkampfhilfe in Rostock, Nürnberg, Weiden, Berlin zunahm, weil die IG nun auch ein so genanntes Kinderanimationsprogramm aufgenommen hatte, traten freiwillig zeitweise weitere MitstreiterInnen aus Aue, Zwickau und Dresden bei. Das Team wurde nun mehr und mehr zu »Westaufbau-Touren« geschickt, bei denen versucht wurde, das Hauptthema der PDS: »Sozial gerecht. Ohne wenn und aber.« den Menschen anschaulich und überzeugend zu vermitteln. Keine einfache Sache, da es immer noch eine große Voreingenommenheit gegenüber PDS-Mitgliedern gab. Diese West-Touren führte die IG bis 2007 mittlerweile in alle alten Bundesländer. Beginnend in Bayern (Weiden, Ingolstadt, Nürnberg, München), in NRW u.a. Stollberg, Aachen, Dortmund, Duisburg, Hamm, hoch in den Norden nach Bremen,
Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der Linken in Sachsen Herausgeber: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden
Regionalkonferenzen
wo sie den Einzug der LINKEN 2007 (8,4%) als Fraktion in der Bürgerschaft miterlebte – das heißt tatkräftig durch mehrtägige Einsätze unterstützte. Ein besonderes Erlebnis war der Sieben-Tage-Einsatz beim »Kieler Umschlag« im Februar 2000, bei dem sich täglich ca. 10.000 Menschen auf einem großen Markt zusammenfanden. Weitere Aktionen gab es in den Großstädten Kassel, Braunschweig, Mainz, Hannover sowie im gesamten Musterländle Baden-Württemberg für die WASG. Auch in der internationalen Arbeit trat die »IG unterwegs« in Zusammenarbeit mit der »IG Polittourismus« in Erscheinung. Mit dem Bundesvorstand abgestimmte Aktionen/Komplexstände fanden bei den Pressefesten »Humanité« in Paris, der »Volksstimme« Wien, in Prag, Barcelona und Lissabon statt. Tausende Kilometer wurden zurückgelegt, unzählige Begegnungen fanden mit Menschen unterschiedlichster Ansichten statt. Oftmals musste viel Überzeugungsarbeit gegenüber VertreterInnen von Ordnungsämtern und der Polizei geleistet werden. Das erfolgreiche Zusammenspiel der Akteure Manfred Beck (Organisation und materielle Absicherung), Ulrich Reinsch (Musik und Liedermacher), Heinrich Ruynat (Kultur und Sichtwerbung), Klaus Herrmann (Transport), Sonja Reinsch, Christine Herrmann, Irmi Beck und Renate Ruynat (Standbetreuung und Versorgung) war der Garant des Gelingens dieser Aktionen. Nach 2007 wurden die Europacamps in Polen, die »Tage der Sachsen« und die anstehenden Wahlkämpfe der LINKEN zum Hauptinhalt. Anlässlich des Europacamps am 29. Juni 2012 in Sebnitz verabschiedete sich die »IG unterwegs« mit einem Programm bei GenossInnen aus Tschechien, Brandenburg und Sachsen. Auch wenn sich heute die Wahlkampfmethoden verändert haben in unserer elektronischen Medienwelt, sind die Erfahrungen der »IG unterwegs« für uns selbst als Erinnerung unverzichtbar, für die junge Generation Verpflichtung. Heinrich Rynat
Die Grundsatzkommission wird im Auftrag des Landesvorstandes in der zweiten Septemberhälfte parteitagsvorbereitend je zwei Regionalkonferenzen zu den Sozialpolitischen sowie den Bildungspolitischen Leitlinien durchführen. Dies dient der Bündelung der Debatten und bietet Gelegenheit, gemeinsam weitere Änderungsanträge zu den Papieren zu erarbeiten. Es entspricht der guten Tradition in unserem Landesverband, Anträge an den Landesparteitag bis zur Beschlussreife breit und ausführlich zu diskutieren und die Beteiligung möglichst vieler Genossinnen und Genossen am Diskussionsprozess zu gewährleisten. Nicht zuletzt ermöglicht dies auch, eigene Kompetenzen weiter zu entwickeln und sie für die alltägliche politische Arbeit wie anstehende Wahlkämpfe produktiv zu machen. Die Regionalkonferenzen zu den Bildungspolitischen Leitlinien finden an folgenden Orten statt: In Leipzig am 24. September, 18:00 Uhr, n.N. In Dresden am 25. September, 18:00 Uhr, Gewerkschaftshaus, Schützenplatz 14, 01067 Dresden Ablauf der Regionalkonferenzen in Leipzig und Dresden: - Kurze Inputs (Plenum) - 4 Workshops zur Erarbeitung der Schwerpunkte - Auswertung und Schlussdebatte (Plenum) Die Regionalkonferenzen zu den Sozialpolitischen Leitlinien: In Chemnitz am 26. September, 18:00 Uhr, Luxor, Hartmannstr. 9-11, 09111 Chemnitz In Bautzen am 27. September, 18:00 Uhr, Technologieund Gründerzentrum Bautzen, Preuschwitzer Str. 20, 02625 Bautzen Ablauf der Regionalkonferenzen in Chemnitz und Bautzen: - Input (Plenum) - Drei begrenzte Debatten zu 3 Thesen (Plenum) Hauptakteure sollen die Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer sein, deshalb empfehlen wir, sich vorher intensiv mit den Entwürfen zu befassen. Bitte werbt unter den Genossinnen und Genossen in Euren Gliederungen für eine rege Beteiligung an den Regionalkonferenzen.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer
Auflage von 17000 Exp. gedruckt. Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Tom Schumer, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Jörg Teichmann, Ralf Richter, Stathis Soudias Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio
Standpunkt der Kolumne IDS zum Göttinger Parteitag Der Parteitag in Göttingen zeigte katastrophale Zustände der Partei und offenbar große inhaltliche und personelle Differenzen offen auf. Dies ist aber nicht zuerst das Problem, sondern es sind die erheblichen Defizite in demokratischen Einstellungen und Verhalten von ganzen Gruppierungen in der Partei, die sich im Umgang miteinander zeigen. Die Kandidatur von Dietmar Bartsch war ehrlich und offen. Sie war sowohl mit einem inhaltlichen Angebot verbunden, als auch mit dem Angebot, sich einem Mitgliederentscheid zu stellen. Sie war vor allem rechtzeitig und so konnte sich die Basis mit diesem Angebot auch beschäftigen. Der Mangel der weiteren Kandidaturen war, dass sie sehr spät erfolgten, weswegen die inhaltlichen Konzepte an der Basis kaum diskutiert werden konnten. Die Delegierten liefen so Gefahr, zum Spielball verschiedener Interessengruppen zu werden. Die letztlich getroffenen Entscheidungen sind in diesem Zusammenhang zwar zu respektieren, aber zugleich muss deren Akzeptanz in und außerhalb der Partei erst noch erworben werden. Die Krise, in der wir uns gesellschaftlich befinden ist auch eine Krise der Politik. Die Krise der Linken aber macht es nur schwer möglich, hier wirklich Einfluss zu nehmen. Im Gegenteil: die Linke erscheint in den Augen vieler Bürgerinnen und Bürger sprachlos, unverständlich, selbstverliebt und mit sich selbst beschäftigt. Mit der Wahl in Göttingen tritt eine neue Generation in volle Verantwortung für linke Politik. Diese Generation versteht sich nicht als eine Ost- oder Westdeutsche. Sie versucht global zu denken und lokal zu handeln. Sie stellt alte Fragen anders und sie stellt neue Fragen in den Mittelpunkt des Handelns. Vor und mit Göttingen drohte ein Rückfall in die Tradition. Diese Gefahr ist mit dem Ergebnis des Parteitags mitnichten ausgeräumt, aber Göttingen markiert zugleich eine Möglichkeit für eine zukunftsfähige Entwicklung. Andre Thämelt Internet unter www.sachsenslinke.de Kontakt: kontakt@dielinkesachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720 Redaktionsschluss 3.9.2012 Die nächste Ausgabe erscheint am 27.9.2012.
Hinweis Von Uwe Schaarschmidt Besoffen schreibt man keine SMS! Jede und Jeder in der jüngeren Generation weiß das, weil er schon entsprechende Erfahrungen machte. Was kostet es für Mühe, das in angetüteltem Zustand Geschriebene am nächsten Morgen zu relativieren, persönliche Verwerfungen wieder grade zu biegen - Allein das Erinnern, wie es zu den bösen Gedanken kam! Es ist aber auch verlockend, den durch alkoholisches Plauderwasser aufgepimpten Unmut spornstreichs zu adressieren und ohne das Risiko, dafür ebenso spornstreichs eine geschmiert zu bekommen, abzusenden. Was für die SMS gilt, gilt selbstverständlich auch für Einträge bei Facebook und es gilt, das ist längst bekannt, auch für Mails. Vor allem letztere hat ja den Vorteil, dass man seine trüben Stimmung auch quantitativ ausleben kann und dass beim Nachdenken über die bösartigste Formulierung nicht dauernd das Displaylicht ausgeht. Das Ergebnis ist dann meist auch verheerend, zumal man sich sicher sein kann, dass die Epistel auch Empfänger erreicht, die man selbst nicht im Adressbuch hat. Und was für die Trunkenheit gilt, gilt natürlich auch für den kollektiven Unmut, in den man sich - möglicherweise sogar aus nachvollziehbaren Gründen - hineinsteigerte. Es bedarf keines Alkohols! Erst recht, wenn das betreffende Kollektiv von recht überschaubarer Größe ist. Jüngst, nachdem ich schon brav meine abendlichen Hopfentropfen einnahm, erreichte mich eine Mail, die nicht an mich, sondern an jemand anderes geschrieben war. Nach ebenso ausgiebiger wie grimmiger Schmunzelei begannen meine Finger zu kreisen, um einige Fragen und Bemerkungen zu tippen, die sich für mich ergaben. Als ich fertig war und nur noch ein Enter mich vom Absenden trennte, erhob sich eine warnende Stimme in mir und sagte sanft: „Mit Augen die vom Biere triefen, schreibt man kein böses Zeug in Briefen!“ Ich lies es also, war aber von meinen Gedanken so angetan, dass ich sie zu Papier brachte, um sie am nächsten Morgen zu prüfen. Dies tat ich auch. Was soll ich sagen? Ich war der sanften Stimme so dankbar, die meine Worte auf‘s Papier, statt ins Internet lenkte und ich bin mir sicherer denn je: Aufschreiben kann man vieles - aber man muss es nicht unbedingt abschicken. Vielleicht sollte man dazu mal eine Veranstaltung mit Linken aus Ost und West organisieren.
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ESM und Fiskalpakt - Horrorpolitik gegen ein soziales Europa DIE LINKE im Bundestag hat gegen die Verabschiedung von ESM und Fiskalpakt Klage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht. Im September erwarten wir die Antwort aus Karlsruhe. Weitere Antworten stehen noch aus: Was würde die Billigung von ESM und Fiskalpakt durch unsere obersten RichterInnen für Deutschland und Europa bedeuten? Wann ziehen wir die wirklichen VerursacherInnen der Finanzkrise zur Verantwortung? Wie stellen wir uns das zukünftige Europa vor? Mit der endgültigen Verabschiedung von ESM und Fiskalpakt würde die bislang schwerwiegendste Grundsatzentscheidung der Finanzpolitik Deutschlands gefällt. Der »Europäische Stabilitätsmechanismus«, kurz ESM, ist Bestandteil der Maßnahmen, die wir auch als »Euro-Rettungsschirme« kennen. Dieser Mechanismus wäre weder Unternehmen noch Bank, hätte aber ein Büro in Brüssel, volle Rechts- und Geschäftsfähigkeit und der Austritt einzelner Mitgliedsstaaten, wie Deutschland, wäre auf Dauer fast unmöglich. Mit dem ESM soll der EFSF abgelöst werden, der als Provisorium gegründet worden ist und im Juni nächsten Jahres ausläuft. Die Leitung des ESM würde ein Gremium aus Regierungsmitgliedern der Vertragsstaaten innehaben, der »Gouverneursrat«. Die Entscheidungen über parlamentarische Souveränitätsbereiche - den eigenen Staatshaushalt betreffend (Budgetsouveränität) oder die generelle Kontrolle der finanziellen Ausgestaltung des ESM-Etats - würden nicht
mehr beim Bundestag liegen. Ein einzelnes Mitglied der deutschen Regierung kann dann ohne Rücksprache mit den Abgeordneten des Parlaments Entscheidungen fällen. Der Fiskalvertrag sieht insbesondere vor, dass alle teilnehmenden Staaten eine unumkehrbare, auf ewig gültige Schuldenbremse einführen, möglichst mit Verfassungsrang. Dies lehnen wir aus folgenden Gründen ab: Erstens sprechen ökonomische Argumente gegen den Fiskalvertrag. Eine aktive Konjunkturpolitik wird künftig ebenso schwer möglich sein, wie eine gestaltende Finanzpolitik, etwa zur Einleitung der sozial-ökologischen Wende. Zweitens ist der Fiskalvertrag ein Angriff auf die Demokratie, weil die nationalen Parlamente ihr Haushaltsrecht abtreten müssen, sofern sie gegen die ökonomisch ungerechtfertigten Vorgaben des Fiskalpakts verstoßen. Drittens lehnen wir den Fiskalvertrag aus sozialpolitischen Gründen ab: Das Prinzip der Staatenkonkurrenz wird dazu führen, dass Haushaltskonsolidierung nicht etwa über höhere Steuern auf Vermögen oder Unternehmensgewinne erfolgen wird, sondern primär über Ausgabenkürzungen zu Lasten der ArbeitnehmerInnen sowie EmpfängerInnen staatlicher Hilfen. Und viertens ist er eine Gefahr für den europäischen Integrationsprozess. Er wird in vielen Staaten dazu führen, dass die EU nur noch mit Sozialabbau und Entdemokratisierung in Verbindung gebracht wird. Damit hätten die Verursacher der Krise - deregulierte und
entfesselte Banken - nicht nur die Finanz- bzw. Bankenkrise in eine Staatsschuldenkrise erfolgreich umoperiert, sondern auch noch die Wiedergutmachung ihrer Fehler in die Grundfesten der Euroländer meiseln lassen. Die Banken und Fonds allerdings hantieren fröhlich weiter mit Sekundenverkäufen, Nahrungsmittelspekulationen oder obskuren Finanzprodukten. Wie auch die Verhandlung vor dem Verfassungsgericht am Ende ausgeht, die Schlussfolgerung für die weitere Arbeit von Bundestagsfraktion und Partei DIE LINKE lautet: Wir müssen uns verstärkt für eine Zukunftskonzeption für
Europa einsetzen, bei der sowohl die Anforderungen eines demokratischen und sozialen Rechtsstaates eingehalten, als auch eine Regulierung der ökonomischen und finanziellen Verhältnisse durchgesetzt wird und die das Entstehen von riesigen Abschreibungsverlusten von Banken unterbindet. Neben einer drastisch verschärften EU-Finanzmarktregulierung tritt eine europäische Bankenaufsicht, die nicht nur von EU-Kommission und Europäischem Rat kontrolliert werden muss. Vielmehr muss das Europaparlament massiv in seinen Befugnissen aufgerüstet werden, gerade damit demokra-
tische Spielregeln nicht komplett auf der Strecke bleiben. Wir brauchen zudem eine Umverteilung zwischen den Reichen und den arm Gemachten in Europa über eine europäische Vermögensabgabe. Diese muss für Umverteilung sowohl innerhalb als auch zwischen den EU-Ländern sorgen. Die Besteuerung von großen Vermögen durch eine Vermögensteuer ist zusätzlich wegen der deutschen Schuldenbremse zur dauerhaften Finanzierung der Länder- und Kommunalhaushalte unumgänglich. Axel Troost ist finanzpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.
der Stabilitätskriterien des Fiskalpaktes überwachen. Er soll dabei auch die einzelnen Gebietskörperschaften nicht nur überwachen, sondern ihnen auch Auflagen erteilen können. Damit gibt es neben den Aufsichtsbehörden des Landes noch eine weitere zentrale Instanz, die in die kommunale Hoheit hineinregiert. Im Zweifelsfall ist dabei nicht die Leistungsfähigkeit der einzelnen Kommune oder aber die Sinnhaftigkeit einer Investition von Belang sondern die Einhaltung der Defizitgrenze der europäischen Union. Das bedeutet: Die Möglichkeiten über Kredite sinnvolle
und notwendige Investitionen in die kommunale Daseinsvorsorge aufzunehmen, werden von einem Tag auf den anderen unterbunden. Die Länder haben sich gegenüber dem Bund verpflichtet eventuelle Strafzahlungen an die EU zu 35 Prozent mitzutragen. Es braucht nicht viel Phantasie um sich auszumalen, dass sie die Lasten direkt und indirekt an die kommunale Ebene weitergeben werden. Für die Zustimmung zu diesem einmaligen Eingriff in die Haushaltshoheit der Länder und Kommunen haben sich die Landesregierungen mit Absichtserklärungen und Al-
mosen abspeisen lassen. Die Finanzierung der Eingliederungskosten für Menschen mit Behinderungen werden nach der Bundestagswahl geklärt, die Kosten der Grundsicherung im Alter sollen neu berechnet werden, der KitaAusbau soll durch den Bund unterstützt werden etc.. Hier wird nicht nur das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, sondern die kommunale Gestaltungsfreiheit massiv und auf Dauer eingeschränkt.
Der Reichsverweser kommt Der 29. Juni 2012 war ein schwarzer Tag für die Länder und Kommunen in Deutschland. Mit der Zustimmung des Bundestages zum Fiskalpakt haben die Abgeordneten einem umfassenden Spardiktat zugestimmt. Wo die bislang im Grundgesetz beschlossene bundesdeutsche Schuldenbremse mit Übergangsfristen für die Länder ab 2019 gilt, wird der europäische Fiskalpakt sofort seine Wirkung entfalten. Mit dem jetzt beschlossenen Vertrag verpflichten sich die Länder im Unterschied zur Schuldenbremse dafür Sorge zu tragen, dass auch ihre Kommunen de-
facto keine Kredite zur Finanzierung öffentlicher Investitionen aufnehmen dürfen. Für die Länder und deren Kommunen bleibt ein Betrag von 0,15 Prozent des nominalen Bruttoinlandproduktes. Bei Verstoß drohen Bußgelder an die Europäische Union. Bisher gibt es noch keine klaren Regelungen zur Überwachung der Einhaltung des Vertrages. Die Wirkungen indes sind nachhaltig. Mit Inkrafttreten der Regelungen werden die Kommunen einer restriktiven Überwachung ihrer Haushalte ausgesetzt. Der mit der »Schuldenbremse« installierte Stabilitätsrat soll jetzt auch die Einhaltung
Sebastian Scheel ist finanzpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag.
Soziales
Sachsens Linke! 9/2012
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der Rechtsanwältin hatte zudem offenbart, dass die Widerspruchsstelle der ARGE erklärt hatte, dass Recht fehlerhaft angewendet wurde
und dem Widerspruch vollinhaltlich abzuhelfen sei. Nach dem Gerichtsbescheid wies der Landrat die Verantwortlichen streng an, künf-
tig die Rechtsvorschriften unbedingt einzuhalten. Unsere Fraktion informierte aber auch die Presse. Daraufhin war dann in der Zeitung zu le-
Bild Duran@flickr
Frau Schneider und ihr 17jähriger Sohn mussten umziehen, erhielten aber von der ARGE nicht die Zusicherung für die Kostenübernahme der gewünschten Wohnung: Die Miete sei zwar angemessen, aber die Wohnung 8 m² zu groß. Auch ein Widerspruch führte zu keiner anderen Entscheidung. Das war eindeutig rechtswidrig! Als Kreisrätin informierte ich die zuständigen Vertreter des Landratsamtes, denn diese Behörde ist als Träger für die Kosten der Unterkunft auch verantwortlich für die Anleitung der Mitarbeiter der ARGE (jetzt Jobcenter). Aber dreimal erhielt ich die Auskunft, dass die Bescheide der ARGE rechtskonform seien, denn die sächsische Verwaltungsvorschrift Wohnflächenhöchstgrenzen erlaube keine andere Entscheidung. Dort steht aber, dass angemessene Leistungen der Unterkunft in tatsächlicher Höhe zu zahlen sind. Auch sechs weitere Belege für die Rechtswidrigkeit der Ablehnung nützten nichts. Glücklicherweise war die betroffene Hartz IV-Empfängerin bereit zu klagen, und das Gericht warf den Verantwortlichen grob rechtswidriges Handeln vor und empfahl »dringend das Lesen der bundesgerichtlichen Entscheidungen«. Die Akteneinsicht
sen, dass die verantwortliche Stellvertreterin des Landrates auf Anfrage informiert hätte, sie wolle streng recherchieren, wer die Schuldigen seien. Auch in einem weiteren Gespräch suchte der zuständige Dezernent »bei diesem Einzelfall« die Schuld allein bei einem Mitarbeiter der ARGE, der Vorschriften nicht eingehalten hätte. Komisch nur, dass ich dreimal von den beiden genau die Auskunft erhielt, nach denen die Mitarbeiter der ARGE entschieden hatten. Man versicherte zwar, dass das Jobcenter künftig keinem Hartz IV-Empfänger eine größere Wohnung verweigern werde, wenn die Miete angemessen sei und er diese Wohnung unbedingt mieten wolle, man werde aber weiter darauf aufmerksam machen, dass es ja sein könne, dass bei einer zu großen Wohnung die Heizkosten zu hoch werden oder bei einer Mieterhöhung die Miete dann über dem Angemessenheitswert liege oder eine Renovierung oder Ersatzbeschaffung zu teuer ausfalle. Fazit: Liebe Hartz IV-Empfänger, sucht Auskunft in Beratungsstellen der Sozialverbände und bei der LINKEN, lasst Euch nicht einschüchtern und habt den Mut zur Klage! Lasst Euch um die wenigen Rechte, die Ihr habt, nicht betrügen! Dorothea Wolff
Unrechtsstaatliche Praxis Gemeinhin wird der »Sozialstaat« BRD immer noch gefeiert, obwohl seine »Wohltaten« abgebaut wurden. Mehr Armut war direkte Folge. Doch Deutschland war noch nie so reich wie heute. Dann wurde nach Jahren verfassungswidriger Rechtspraxis endlich diese Verfassungswidrigkeit festgestellt: Der Regelsatz für ALG II sei willkürlich und nicht rechtskonform gebildet. Aber die unrechte Praxis durfte noch befristet weiter bestehen. Inzwischen zwar mehrfach erhöht bleibt er doch hinter der Inflationsrate zurück. Und gerade setzte das BVerfG noch einen drauf: würdesicheres Existenzminimum gilt für alle, auch für Migranten, Asylbewerber etc.. Was ein Pennäler sich ableiten kann aus dem GG, gesetzgebende Parlamentarier wissen es nicht! Im Hartz IV – Gesetz gibt es
viele Bestimmungen, die nach dem konkreten Einzelfall Sozialleistungen gewähren sollen. Das wurde von Anfang an nicht hinreichend realisiert, weil die Mitarbeiter der ARGEn und Jobcenter – oft aus anderen Verwaltungsbereichen kommend – erst geschult werden mussten, und viel zu wenige waren für schnelle und sachgerechte Bearbeitung. Eine Klagewelle setzte ein und hielt an. Sie ist dennoch nur ein Bruchteil der Anzahl jener, die von ähnlichen rechtswidrigen Entscheidungen betroffen sind. Zum Klagen nämlich bracht man die Bestätigung für Prozesskostenhilfe, gute Nerven und v. a. auch Zeit. Zu aller erst aber das Wissen um sein Recht. Und die nur durch bewilligte Prozesskostenhilfe zustande kommenden Klagen haben sich nach Auskunft der »Freien Presse« vom 12.07.12 seit 2007 fast
verdreifacht. Diese Klagewelle ist nun Juristen ein Dorn im Auge, da vielfach um »Bagatellbeträge« gestritten werde. Als Ursache machen sie neben »undurchschaubaren Regelungen der Hartz IV –Reform« die dank Prozesskostenhilfe nie da gewesene Einfachheit ohne Risiko auch in Bagatellsachen durch alle Instanzen zu streiten aus. Die Juristen stilisieren die Klagewelle als Folge der undurchschaubaren Regelungen und ihrer falschen Anwendung in den Bewilligungsentscheidungen zu einer eigenständigen Ursache, die dann völlig eigenständig »bekämpft« werden muss. Die »Freie Presse« gibt (bewusst?) keine Auskunft darüber, wie viele von den Verfahren im Sinne der Kläger entschieden wurden. Darüber aber gab es bereits verlässliche Aussagen, die Fehlerquote der Behörde ist viel zu hoch.
Würde also besser rechtskonform bewilligt, würde auch der Klageanfall sinken. Dort allerdings wird nicht angesetzt. Gerade sind wieder Stellen in den Jobcenter gekürzt worden, Überlastung der Mitarbeiter inklusive Fehlbearbeitung vorprogrammiert. Die Jobcenter sind angehalten sparsam zu wirtschaften. Es gibt interne Verwaltungsanordnungen zur Anwendung der Rechtsbestimmungen, diese sind – man glaubt es kaum – oft rechtswidrig. D. h. die Mitarbeiter werden auf rechtswidrige Rechtsanwendung verpflichtet, Dienstaufsichtsmaßnahmen bei Zuwiderhandlung inklusive. Beispiel Kassel: Der SPDSozialdezernent wies Pauschalierung der Kosten der Unterkunft (KdU) bei ALG II -Empfängern an. Damit wurden – staatsanwaltschaftlich später bestätigt – rechtswid-
rige Bescheide erstellt. Diese Praxis wurde auch staffrei (!) von Dezernent und Amt nach entsprechenden Hinweisen des Landessozialgerichtes aus entsprechenden Klagen Betroffener weitergeführt. Ca. 7.000 Betroffene bekamen ihre angemessenen KdU nicht voll finanziert. Einsparung für Kassel mehr als zwei Millionen Euro pro Jahr. So ist die Logik: vielen vorenthalten und den wenigen Klägern nachgeben macht unter dem Strich immer noch Einsparung für Jobcenter und Kommune – Rechtsbruch als legales Handeln von Behörden. Und wenn dann die Klagen wegen solcher Bagatellbeträge im Einzelfall sich Häufen, muss man die Hürden für Prozesskostenhilfe höher setzen – na klar doch. Die Gleichheit des Rechtsweges gibt es dann nicht, wenn man arm ist. Ralf Becker
Michael König_pixelio.de
Wie Hartz IV-Empfänger betrogen werden
Kommunal-Info 7-2012 5. September 2012 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de
KFS
Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Stadtentwicklung Jugendliche stärker in die Stadtentwicklung einbinden Seite 2
Spielplätze Kinderspielplätze kindgerecht gestalten Seite 3
Flächenverbrauch Schon in der Schule sparsamen Flächenverbrauch lernen Seite 4
Landkreise effektiv Können Landkreise Einsparpotenziale erschließen? Seite 4
Kinder- und Jugendparlamente Kinder- und Jugendparlamente haben sich als eine Form der institutionalisierten Partizipation von Kindern und Jugendlichen etabliert. Inzwischen sind Kinder- und Jugendparlamente regional, bundesweit und auch auf europäischer und internationaler Ebene vernetzt. Informationen zum Thema und Kontaktadressen sind im Netz zugänglich, unter anderem unter www.kinderparlamente.de, sowie unter www.kinderpolitik.de, der Web-Seite der Infostelle Kinderpolitik des Deutschen Kinderhilfswerks. Hier sind unter der Kinderpolitischen Landkarte mehr als 200 Ansprechadressen von Kinder- und Jugendparlamenten in Deutschland abrufbar. Kinder- und Jugendparlamente gibt es mittlerweile in vielen (meist kleineren und mittelgroßen) Städten und Gemeinden. Ihre Erscheinungsformen sind ähnlich zahlreich wie die Bezeichnungen, denn vielerorts heißen sie nicht Kinder-und Jugendparlament, sondern auch Bezeichnungen wie Jugendrat, Kinder- und Jugendbeirat, Kinder- und Jugendforum usw. sind geläufig. Allen gemeinsam ist jedoch, dass Kinder- und/oder Jugendliche von Gleichaltrigen als Delegierte gewählt werden, nach dem Vorbild der parlamentarischen Vertretung von Erwachsenen.
Grundsatz der Freiwilligkeit
Mitunter wird gerade das von Kritikern zum Anlass genommen, bei Kinder- und Jugendparlamenten handle es sich um nicht jugendgerechte Kopien von Erwachsenenstrukturen. Aber gelegentlich beklagen sich auch Betroffene über starre Verfahren und komplizierte Strukturen. Dies ist vor
allem dann der Fall, wenn die Initiative zur Gründung eines Kinder- und Jugendparlaments von Erwachsenen ausging und die Betroffenen nicht in Konzeption und Aufbau einbezogen wurden. Deshalb gilt es stets von dem Grundsatz auszugehen, Partizipation stets auf freiwilliger Basis aufzubauen. Kinder und Jugendliche müssen aus freiem eigenem Willen an Kinder- und Jugendparlamenten mitmachen wollen. Das schließt aber nicht aus, dass Kinder und Jugendliche von Erwachsenen auf die Möglichkeiten der Beteiligung aufmerksam gemacht werden, dass ihnen die Chancen, Freiräume und Möglichkeiten aufgezeigt werden, die sie dann selber ausfüllen können.
Sozialraumanalyse anstreben
Zu Beginn des Aufbaus von Kinderund Jugendvertretungen ist zunächst festzustellen: Besteht in der Gemeinde ein Bedarf bzw. gibt es das Interesse an einer Kinder- und Jugendvertretung? Sind für eine solche Form die Potenziale – also motivierte, an dieser Form der Mitwirkung interessierte Kinder und Jugendliche – vorhanden? Dies muss sehr sorgfältig geschehen, am besten durch eine ausführliche Sozialraum- und Lebensweltanalyse, bei der von vornherein Kinder und Jugendliche einbezogen werden. So können von Kinder und Jugendliche von Anfang an aktiviert und mobilisiert werden, was sehr nützlich für die nächsten Aufbauschritte sein kann. Im Übrigen ist eine solche Sozialraum- und Lebensweltanalyse auch hervorragend geeignet, um die wichtigen Probleme, Defizite, Wünsche und Bedürfnisse – also potenzielle Themen
einer künftigen Kinder- und Jugendvertretung – zu entdecken (und auch ein Akt der Partizipation und des Ernstnehmens der Gesamtheit der „Wählerschaft“, also derjenigen, die später vertreten werden sollen). Zur Analyse der örtlichen Gegebenheiten und Verhältnisse gehört auch die Betrachtung des Bestandes. Das heißt: Es ist zu prüfen, ob es schon Beteiligungsmodelle vor Ort gab und gibt, wie die Interessenvertretung der Kinder und Jugendlichen in Parteien, im Ortsjugendring, in der Jugendarbeit und in der Schule aussieht und welche Ressourcen, welches Interesse für ein Jugendparlament vorhanden sind.
Welche Chancen?
Was kann ein Kinder- und Jugendparlament (oder der Beirat) leisten, welche Chancen können sich damit eröffnen: es kann den Jugendlichen eine Plattform sein, von der aus sie ihre Interessen und Wünsche besser artikulieren und zu Gehör bringen können (die Chance steigt, mit eigenen Anliegen ernst genommen zu werden); es können demokratische und verwaltungstechnische Abläufe transparent gemacht werden und damit zur politischen und allgemeinen Bildung der Jungparlamentarier beigetragen werden; es kann ein Anwalt der übrigen, nicht direkt beteiligten Kinder und Jugendlichen sein (Kinder- und Jugendinteressenvertretung); es kann das Interesse bei Kindern und Jugendlichen für kommunale Belange wecken; es kann dazu beitragen, die Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen zu verbessern. Und schließlich: wenn es professio-
nell, d.h. fachlich und methodisch nach den Regeln der Kinder- und Jugendarbeit gemacht wird, kann es den Kindern und Jugendlichen auch Spaß machen.
Wahlen und Wahlverfahren
Die Wahlverfahren und die Alterszusammensetzung sind von Ort zu Ort unterschiedlich. In der Regel dauern die Legislaturperioden 2 bis 3 Jahre. Wahlberechtigt und wählbar sind alle Kinder- und Jugendlichen (innerhalb einer Alterspanne) des Orts (aktives und passives Wahlrecht). Vielerorts werden die „Wähler“ angeschrieben und erhalten ihre Wahlunterlagen postalisch. Die Kandidaten werden in der Regel direkt gewählt. Aber es gibt auch Modelle, bei denen die Wahlen in den Schulen durchgeführt werden. Hier ist in der Regel die Wahlbeteiligung höher. Kandidaturen sind öffentlich und werden zumeist an allen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit bekannt gemacht. Die Zahl der zu wählenden „Abgeordneten“ richtet sich nach der Zahl der zu vertretenden Kinder und Jugendlichen.
Sitzungen im Plenum
Sitzungen im Plenum finden in der Regel mehrmals jährlich (etwa zweibis viermal) statt. Zu aktuellen Themen können weitere Sitzungen einberufen werden. Die meisten Kinder- und Jugendparlamente verfügen über ein genaues Reglement in Form von Satzungen und/ oder Geschäftsordnungen. Die Geschäftsordnung wird durch das jeweils Fortsetzung auf Seite 3
Kommunal-Info 7/2012
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Jugend und Stadtentwicklung In „Städtetag aktuell“, Nr. 5/2012, dem Online-Magazin des Deutschen Städtetags, ruft der Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Rainer Bomba, dazu auf, Jugendliche stärker in die Stadtentwicklung einbinden: Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – alle drei Bereiche des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung treffen den Lebensalltag junger Menschen. Es sind die Jugendlichen, die in Zukunft Leben und Arbeit in unseren Städten bestimmen werden. Es liegt an uns, ihre Ansprüche und Bedürfnisse ernst zu nehmen und auch umzusetzen. Gerade angesichts des demografischen Wandels sollten wir diese Potenziale fördern. Städte sollen für alle Altersgruppen, für Jung und Alt, lebenswert gestaltet sein. Die Gestaltung zukunftsfähiger Städte, die auch attraktiv für Familien sind, ist eine Herausforderung. Wir stellen uns dieser Aufgabe und unterstützen die Städte und Gemeinden dabei, familiengerechter zu werden. Hier helfen wir vor allem mit den Programmen der Städtebauförderung und mit Projekten des Bundesforschungsprogramms „Experimenteller Wohnungsund Städtebau“ (ExWoSt). Mit insgesamt 4 Millionen Euro fördert das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Modellprojekte, bei denen Jugendliche ihre Stadtviertel mitgestalten und planen. Träger der Projekte sind Kommunen, Wohnungsunternehmen, Hochschulen, private Initiativen oder Vereine. Stadtentwicklung setzt sich mit dem Ausgleich von Interessen der Raumnutzung auseinander. Dabei haben wir festgestellt: Die Interessen von Jugendlichen werden selten berücksichtigt. Kinder sind laut, Jugendliche stören – diese Einstellung gegenüber Kindern und Jugendlichen wird oft geäußert. Trotz dieser kritischen Sichtweise bringen gerade junge Menschen wie kaum eine andere gesellschaftliche Gruppe soviel Leben in die Stadt. Kinder- und Jugendfreundlichkeit als Standortfaktor entdecken Kinder- und Jugendfreundlichkeit wird daher von den Städten zunehmend als Standortfaktor entdeckt. Hieran wollen wir anknüpfen. Eine reine Willenserklärung in Leitbildern reicht jedoch nicht aus. Es geht um eine konsequente und systematische Umsetzung von Kinder- und Jugendgerechtigkeit. Kinder und Jugendliche brauchen die Politik als Partner, die sich auch in Konflikten für ihre Interessen stark macht. Wir haben unser Engagement in den letzten Jahren verstärkt den Jugendlichen gewidmet, weil wir hier mehr Bedarf sehen als bei den Kindern. Für die Kinder wurde im Rahmen der „Spielleitplanung“ bereits vieles umgesetzt. Es gibt gute Beispiele für Jugendprojekte in den Städten. Mir geht es darum, dass wir diese Beispiele in die Mitte unserer Gesellschaft rücken. Wir wollen dazu beitragen, dass Beteili-
gung – und mehr noch die Mitwirkung von Jugendlichen – zum Allgemeingut, zu einer Selbstverständlichkeit planerischen Handelns werden. Projektreihe „Jugendliche im Stadtquartier“ Jugendliche brauchen vielfältige Räume – vom Rückzugsraum bis zur Bühne. Die einfachste Form der Bereitstellung von Freiräumen ist die Duldung ihrer Nutzung. Wir wollen allerdings mehr! Was sind die aktuellen Anforderungen Jugendlicher an Stadtquartiere? Wie können ihre Bedürfnisse ermittelt und auch umgesetzt werden? Zur Beantwortung dieser Fragen wurde die Projektreihe „Jugendliche im Stadtquartier“ im Rahmen des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus des Bundes eingerichtet. In über 50 Modellvorhaben und Jugendfonds in ganz Deutschland haben wir praktisch erprobt, wie eine kreative Beteiligung aussehen kann. Mit dem städtisch organisierten Aktionsfonds „Jugend bewegt Stadt“ wurden Vorhaben gefördert, die Jugendliche selbst entwickelt und umgesetzt haben – vom Umbau einer Freifläche zum Skatepark bis zur Ausstattung einer Brachfläche mit temporären Sportgeräten. Jede der ausgewählten Modellstädte erhielt dafür 25.000 Euro. Diese Jugendprojekte bekamen je nach Bedarf zwischen 400 und maximal 5.000 Euro. Jugendliche erhielten nicht nur direkt Geld zur Umsetzung ihrer Ideen, sondern waren auch für die Beurteilung der einzelnen Projektideen und für die Vergabe der Projektmittel selbst verantwortlich. Einige Kommunen haben dieses Fondsmodell zur Stärkung der Jugendbeteiligung bereits auf lokaler Ebene fest verankert. Um möglichst viele Partner für die Belange der Stadtentwicklung zu gewinnen, begrüße ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich Kooperationen unter anderem mit Verkehrsbetrieben, Wohnungsunternehmen und Stiftungen – insbesondere mit Bürgerstiftungen. Ganz gezielt suchen Jugendliche vergessene Räume. Sie suchen Räume, die von anderen freigelassen oder aufgegeben wurden: Brachflächen, Baulücken, leer stehende Häuser. In Leipzig wurde unter dem Motto: „Rette ein Haus
und nutze es“, ein leer stehendes Gründerzeithaus zum Stadteillabor mit Tonstudios und einer Skaterbahn. Auch in anderen Modellprojekten wurden z.B. leer stehende Ladenlokale genutzt. Leer stehende Gebäude und Brachflächen sind in vielen Innenstädten inzwischen ein Problem. Viele Brachflächen und leer stehende Gebäude können mit wenig Aufwand für eine kreative Zwischennutzung durch Jugendliche hergerichtet werden. Hier schlummern noch Potenziale. Potenziale sowohl für die Jugendlichen als auch für die Städte. Jugend ist erfinderisch und bringt neues Leben in die Stadt. Hier setzen wir an und führen unsere Projektreihe aktuell mit dem Thema „Jugend belebt Leerstand“ fort. Jugendforum „Stadtentwicklung“ Es war mir eine Herzensangelegenheit, die engagierten jugendlichen Akteure unserer Projekte in unser Haus einzuladen, um mit Ihnen gemeinsam ein Jugendforum „Stadtentwicklung“ zu gründen. Inzwischen ist das Jugendforum etabliert und berät den Bund zu aktuellen Fragen der Stadtentwicklung. Vertreter des Jugendforums haben auch aktiv in der Jury zur Auswahl der Projekte „Jugend belebt Leerstand“ mitgewirkt. In diesem Sommer werden sie uns beraten bei der Auswahl der besten Kurzfilme im internationalen Videowettbewerb „Young Energies“. Die drei besten Filme werden mit einem Preisgeld belohnt. Außerdem ist vorgesehen, die 15 besten jungen Filmemacher zum Sommer- Camp in den Mellowpark nach Berlin einzuladen. Der Mellowpark ist ein erfolgreiches Beispiel für eine gelungene Zwischennutzung und Stadtentwicklung durch Jugendliche. Auf einem brachliegenden Industriegelände haben Jugendliche einen Skate- und BMX- Park initiiert. Der Mellowpark entwickelte sich zu einem Jugend-, Sport- und Freizeitpark mit jährlich über 20.000 Jugendlichen, der in der Skate- und BMX- Szene international bekannt ist. Inzwischen wurde ein neues Gelände gefunden, das mehr als viermal so groß ist wie der alte Standort und damit Raum für Ideen und Visionen bietet. Zusammen mit den Jugendlichen hat der Trägerverein „all eins e.V.“ ein Konzept für die langfristige Entwicklung auf dem
neuen Gelände geschaffen. Dieses Engagement haben wir unterstützt. Die Ergebnisse der Modellprojekte „Jugend belebt Leerstand“ werden am 27. September 2012 in Berlin präsentiert und veröffentlicht. Wir können aber schon heute festhalten: Jugendliche wollen Verantwortung und Möglichkeiten, sich selbst zu erproben. Jugendliche fühlen sich durch die Möglichkeit der Mitwirkung ernst genommen. Wer ehrliche Fragen an Jugendliche stellt, der kann damit rechnen, ehrliche Antworten zu bekommen. Möglichkeiten der Mitwirkung binden junge Menschen an ihre Stadt und Gemeinde. Sie entwickeln dadurch eine stärkere Identifikation mit ihrer Heimatstadt. Ein wichtiges Ergebnis ist: Jugendliche sind Träger von Innovationen und die besten Experten in eigener Sache. Ihre Beteiligung ist wichtig für eine zukunftsfähige Planung. Über die Beteiligung von Jugendlichen können auch die Erwachsenen besser erreicht werden. Eine neue Dynamik für mehr Bürgerbeteiligung kann dabei entstehen. Eine kinder- und jugendgerechte Planung erzeugt einen Gewinn für Politik und Stadtentwicklung. Sie ist damit eine Strategie zur Zukunftssicherung der Städte. Ob wir all das schaffen, was ich gerade aufgezählt habe, hängt ganz wesentlich von allen lokalen Akteuren ab. Stadtplanung ist ein lokales Projekt, sie lebt von der Initiative und dem Engagement vor Ort. Und wir müssen in Deutschland von den guten Modellvorhaben endlich zur guten Alltagspraxis kommen. Lassen Sie Jugendliche gerade auch Flächen in zentralen Lagen nutzen. Nach dem Prinzip: Benutzen erwünscht! Binden Sie Jugendliche ein, wenn es darum geht, die Innenstädte lebendiger zu gestalten. Die Ergebnisse zeigen, bei vorausschauender Planung können auch in Innenstädten Freiräume für Jugendliche erschlossen werden. Die Entwicklung kinder- und jugendgerechter Städte ist nicht allein eine Aufgabe der Stadt- und Freiraumplanung. Dazu sind auch Kooperationen mit den Jugend- und Sportämtern und mit der Verkehrsplanung erforderlich. Dieser Aufgabe wollen wir uns gemeinsam annehmen.
Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de V.i.S.d.P.: A. Grunke Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefödert.
Kommunal-Info 7/2012
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Spielplätze kindgerecht gestalten Kinder lernen beim Spielen
Spielplätze mit statischen Geräten auf planierten Flächen sind nicht mehr zeitgemäß. Kinder wollen toben, Neues entdecken und miteinander Spaß haben. Das können sie am besten in naturnahen, für alle Generationsgruppen offenen Spielräumen. Kinderspielplätze in der Stadt, aber auch auf dem Land sind für Kommunen ein Dauerbrenner. Sie binden immer mehr knapper werdende Flächen, sind teuer in der Anschaffung und Wartung. Zudem produzieren sie häufig Ärger bei den Anliegern, sind im Grunde nur für Kinder gedacht und, was am schlimmsten ist, werden kaum benutzt. Sucht man im Gegenzug nach den Vorteilen, fällt es schwer, plausible Gründe zu nennen, die solche, bundesweit betrachtet, millionenschwere Angebote rechtfertigen. Denn wie wenig wertgeschätzt Spielplätze werden – so-
Gleichfalls sichtbar wird diese vernichtende Aussage, wenn man hinterfragt, was Kinderspielplätze im Grunde leisten sollen. Geht es doch dabei um die Förderung der Kinder, um Gesundheit, um Lernimpulse und um das Erlernen von Sozialkompetenzen, Teamfähigkeit, Kreativität. Also um die Ausbildung von Basiskompetenzen als Grundlage für lustvoll erlebtes Lernen, Forschen und Hinterfragen. Es geht demnach darum, Ideen produzieren zu können. Denn das wussten schon unsere Vorfahren: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr! Aufgrund einer Erhebung aus den 80er-Jahren kann man davon ausgehen, dass es heute in Deutschland rund 120 000 Kinderspielplätze gibt. Mehrheitlich handelt es sich dabei um Gerätespielplatzkonzepte. Allein deren Möblierung hat Milliardensummen gebunden. Wohl gemerkt, nicht gerechnet der
Raum für Erfahrungen
Anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse verweisen auf Aspekte, die für eine gesunde kindliche Entwicklung erforderlich sind. Der Kinderspielplatzgedanke, beginnend Anfang der 50er-Jahre, hat übrigens hier seine Wurzeln. Er sollte Ersatzplatz für verbaute Wohnumwelten und ein vor zunehmendem Straßenverkehr behüteter Raum sein. Heute, 60 Jahre später, klingt diese Vorstellung merkwürdig, da inzwischen der Straßenverkehr dominiert und praktisch alle Streifräume, Straßenspiele sowie andere Entdeckerplätze verschwunden sind. Spielen im Freien muss auf dem Spielplatz geschehen. Dieser ist in der Regel alterslimitiert, standardisiert nach DIN EN möbliert und nicht generationenübergreifend nutzbar. Spielen wird dort von Erwachsenen in der Sandkiste (experimentelles, kreati-
geplante Funktion nach kurzer Zeit erlebt, also erlernt. Inzwischen weiß man jedoch, dass Spielen der Hauptberuf der Kinder ist und sie mehr benötigen als limitierte Spielangebote. Die kindliche Entwicklung verläuft insbesondere in den ersten zehn Lebensjahren rasant. Sie ist angeboren intrinsisch („von innen kommend“, „selbst“) motiviert, sucht stets nach neuen Herausforderungen. Solche kindgerechten Lernimpulse sind gekennzeichnet durch drei wesentliche Aspekte:
Bewegungsförderung
Die Bewegung soll nicht, wie im Sportverein üblich, verordnet werden. Man weiß heute, dass die Lust an der Bewegung in engem Zusammenhang mit Architektur steht. Diese muss zur Bewegung herausfordern. Vergleichbar einem Baumstamm, der über einen Graben führt und zum Klettern, Balancieren und Einüben der Körperkoordination herausfordert.
Sinnliche Anregungen
Gerätespielplätze bieten keine breit angelegten sinnlichen Anregungen. Auch rechte Winkel, glatte Plattenwerkstoffe, Sandkisten oder Einheitsbodenbeläge sprechen die Sinne nicht an. Naturnahe Konzepte bieten hier unschlagbare Vorteile. Man braucht nur mal sich selbst befragen, wo man als Kind die beliebtesten Spielorte erlebte. Es waren die Hecken, der Graben, der Bach – eben die Streifräume, wo man selbst handeln konnte.
Positive Emotionen
fern diese nach althergebrachten Mustern eingerichtet wurden –, zeigen die vermeintlich angesprochenen Nutzer selbst, wenn sie mit den Füßen abstimmen und sich dort verweigern oder ungewünschte Spuren hinterlassen.
Wert der Grundstücke sowie Pflege und Wartung. Das ist die ökonomische Seite, die angesichts zunehmend knapper werdender öffentlicher Haushaltsmittel neu überprüft werden sollte.
ves, ruhebetontes Bauspiel), am Klettergerät (Bewegungsförderung, Mut, Risikokompetenz), der Schaukel (Freiheit, Körpererfahrung, Sozialkompetenz) verordnet. Alles ist fest eingebaut und unveränderbar. Kinder haben die
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on. Sie antworten auf Fragen, liefern Hintergrundwissen und sind, wenn sie Funktionsträger sind, für die Weiterleitung der Beschlüsse an die zuständigen Stellen verantwortlich. In der Regel verfügen Kinder- und Jugendparlamente über ein (wenn auch geringes) eigenes Budget. Die Kompetenzen sind von Ort zu Ort unterschiedlich. Mitunter entsenden Kinder- und Jugendparlamente auch Delegierte in Erwachsenengremien, wo sie zumeist als Berater (sachkundige Einwohner) fungieren.
Arbeit in Arbeitsgruppen
... Jugendparlamente neu gewählte Kinder- und Jugendparlament verabschiedet (bzw. bestätigt). Die Parlamente verfügen in der Regel über einen Vorstand, einen Pressesprecher und einen Schriftführer (weitere Ämter sind möglich). Die Öffentlichkeit ist zu den Sitzungen zugelassen. Erwachsene haben als Teilnehmende oft beratende Funkti-
Ein tragendes Element sind die Arbeits- und Projektgruppen, die z.B. wöchentlich zusammenkommen können und Beschlüsse des Parlaments vorbereiten oder umsetzen. Hier stehen konkrete Projekte im Mittelpunkt. Arbeitsgruppen können allen am Projekt oder an der Thematik interessierten und engagierten Kindern und Jugendlichen offenstehen. AG (Quelle: Infostelle Kinderpolitik des Deutschen Kinderhilfswerks)
Der dritte Aspekt, der kindliche Entwicklung über das Spiel fördert, hängt mit positiven Emotionen zusammen. Sie stellen sich ein, wenn das angeborene Neugierverhalten, das Lernen„Wollen“ über das Entdecken und Forschen immer wieder neu angesprochen wird. In Kindertageseinrichtungen und auf Schulhöfen werden heute naturnahe Konzepte favorisiert. Im öffentlichen Raum steht die Planung hierfür noch am Anfang, wenngleich die ersten Kommunen Lösungen suchen, die noch brauchbare Spielgeräte in naturnahe Konzepte integrieren. Sie reagieren auch unter dem Aspekt ökonomischer Vernunft, weil sie durch solche Sanierungsmaßnahmen in der Lage sind, aus dem Kinderspielplatz einen quartiersbezogenen Generationentreff planen zu können. Dies ist eine weise Entscheidung, da Kinder für eine gesunde Entwicklung nicht nur Bewegungsförderung, sinnliche Anregungen, positive Emotionen benötigen, sondern auch Erwachsene und ältere Menschen als Leitbilder. Naturnahe Spiel- und Begegnungsräume für alle Generationsgruppen unterstützen somit das Ziel, kinder- und familienfreundliche Politik voranzutreiben. (aus: Onlinemagazin „der gemeinderat“, Nr. 3/2011)
Kommunal-Info 7/2012
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Einladung zur Veranstaltung
Können die Landkreise durch Organisationsveränderungen erhebliche Einsparpotenziale erschließen? am 9. Oktober 2012, Dienstag, 18 Uhr in Dresden art-Hotel, Ostra-Allee 33 Im April 2012 veröffentlichte der Sächsische Rechnungshof seine Beratende Äußerung „Organisationsempfehlungen für sächsische Landkreise zur mittelfristigen Umsetzung bis zum Jahr 2020“. Darin wurden Empfehlungen zur Organisationsstruktur und Stellenausstattung der Landkreise gegeben. Für die Erarbeitung des Organisationsmodells hatte der Rechnungshof Organisationsaufbau, Stellenbestand und Aufgabenwahrnehmung in drei Landkreisen analysiert. Daraus wurde ein vollständig aktualisierter Aufgabenkatalog abgeleitet und ein kennzahlenorientiertes Stellenbemessungsverfahren für die einzelnen Aufgabenblöcke entwickelt. Für jeden Aufgabenblock erfolgte eine Empfehlung, welcher Organisationseinheit dieser zugeordnet werden sollte. Durch eine vergleichende Betrachtung der konkreten Arbeitsmengen und Fallzahlen ihres Landkreises mit den Annahmen im Organisationsmodell könnten die Landkreise ihren jeweiligen Stellenbedarf ermitteln. Aus der Untersuchung in den drei untersuchten Landkreisen gehe hervor, dass auf der Basis des vorgelegten Modells insgesamt rd. 438 Vollzeitstellen (einschließlich Stellenanteile außerhalb des Stellenplans, z. B. in Eigenbetrieben) eingespart werden könnten. Dies seien rd. 11 % des Stellen-Ist zum Stichtag 01.10.2010. Ausgehend von einem durchschnittlichen Personalkostensatz von 50 T Euro sei ein mittel- bis langfristiges Einsparpotenzial in den drei Landkreisen von rd. 21,9 Mio. Euro pro Jahr möglich. Unsere Veranstaltung richtet sich insbesondere an die Mitglieder der Kreistage, an die Landkreisverwaltungen, aber auch an die Gemeinderäte, da bekanntlich die Kreisfinanzen über die Kreisumlage auch für die kreisangehörigen Gemeinden von Bedeutung sind. Der Referent, Herr Peter Teichmann, Rechnungshofdirektor beim Rechnungshof des Freistaates Sachsen wird zunächst eine Einführung in die Beratende Äußerung des Rechnungshofes geben, danach besteht Gelegenheit, Fragen an ihn zu richten und mit ihm ins Gespräch zu kommen. Teilnahmebeitrag: 3,00 Euro. Teilnehmer ohne eigenes Einkommen, Studenten, AlG II– und SoHi-Empfänger können im Einzelfall davon befreit werden. Anmeldung bitte an: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Str. 99, 01127 Dresden Telefon: (0351) 482 79 44 oder 482 79 45; Fax: (0351) 795 24 53 info@kommunalforum-sachsen.de; www.kommunalforum-sachsen.de
Mit Partnern lernen Zum Seminar „Revitalisierung von Industriebrachen im Focus der Stadtentwicklungsplanung“ am 1. Juli in Löbau Lernen bedeutet seine Verhaltensmöglichkeiten und Verhaltensabsichten durch Erfahrungserwerb zu verändern. Besonders nachhaltig wirken auf uns Erfahrungen mit Dingen an denen wir besonderes Interesse haben. Besonderes Interesse genießt in diesem Sommer Löbau in der Oberlausitz wegen der 6. Landesgartenschau. Im Tal des Löbauer Wassers prägten bis vor wenigen Jahren die Reste von Industriebetrieben das Bild. Am 1 Juli hatte das Kommunalpolitische Forum Sachsen zu einem Seminar nach Löbau eingeladen. Und das Thema „Revitalisierung von Industriebrachen im Focus der Stadtentwicklungsplanung“ bewegte nicht nur Kommunalpolitiker aus der Oberlausitz. Auch vier Bürger aus der polnischen Partnerstadt Luban folgten der Einladung, die wir an das Büro der Europaabgeordneten in Luban geschickt hatten. In der besonderen Atmosphäre des Haus Schminke - einem bedeutenden Baudenkmal der Moderne – stellte Stadtrat Eberhard Golbs die Situation Löbaus dar. Dazu verglich er mit Hilfe von Luftbildern Stadtgebiete, die nicht mehr in der früheren Art genutzten werden. Um die Bedeutung von Planung und Koordination besonders deutlich wer-
den zu lassen, stellte er die Veränderungen im Tal des Löbauer Wassers und im Gelände der ehemaligen Offiziershochschule gegenüber. Im Norden der Stadt, wo sich bis 1990 die größte militärische Ausbildungsstätte befand, wurden einige Grundstücke verkauft und Gebäude abgerissen. Dies geschah ohne Plan geregelt durch Nachfrage und Fördermöglichkeiten. Im Ergebnis blieben die meisten denkmalgeschützten Gebäude zumindest teilweise leer. Auch im Tal des Löbauer Wassers stellten erst die Textilbetriebe und später die Zuckerfabrik die Produktion ein. Nur wenige Gebäude wurden von neuen Eigentümern genutzt. Jahrelange suche nach Möglichkeiten der Revitalisierung des Geländes gipfelten 2007 in einem Konzept welches zur Grundlage der Bewerbung für die Landesgartenschau wurde. Stadtrat Golbs und die anderen Löbauer Kommunalpolitiker konnten umfangreiche Erfahrungen mit Vorlagen der Verwaltung, mit Vorschlägen von Landschaftsplanern, der Abstimmung mit der Landestalsperrenverwaltung und Grundstückseigentümern und Mietern sowie der Suche und Beantragung von Fördermöglichkeiten einbringen. Den abschließenden Höhepunkt bildete der gemeinsame Besuch der Landesgartenschau. Er war ein angenehmer Weg, die Möglichkeiten der
Revitalisierung ehemaliger Produktionsstätten zu erkunden und sehr anschaulich, weil an vielen Punkten des Geländes der Zustand vor der Umgestaltung bildhaft dargestellt ist. Und der Lernerfolg? Die gewonnenen Erfahrungen eröffnen den Teilnehmer selbstverständlich neue Möglichkeiten, sich zukünftig in die Gestaltungsprozesse einzubringen und neue Verhaltensabsichten entwickelten sich auch. Die Fortsetzung des Erfahrungsaustausches auch zu anderen Themen wurden vereinbart und auch der wird natürlich offen sein für neue Teilnehmer. VON HEINZ PINGEL, STADTRAT IN LÖBAU
ze belastet die Kommunen zunehmend. Insgesamt sind diese Tendenzen ökonomisch, städtebaulich und ökologisch nicht zukunftweisend. Um der steigenden Zersiedlung entgegenzuwirken wurden im Rahmen des EU-Projektes „Circular Flow Land Use Management (CircUse) vom Österreichischen Umweltbundesamt (UBA) und dem Telepark Bärnbach neue Modelle für die Bewusstseinsbildung künftiger Flächennutzer entwickelt.Hierbei wurde ein Fokus auf die Wissensvermittlung an Schulen gelegt. Zusammen mit Schülerinnen und Schülern wurde ein zweitägiger Kurs zur Bewusstseinsbildung beim Flächenverbrauch erprobt. Als Ergebnis wurde die Broschüre „CircUse – Umwelteffekte der Flächennutzung“ Kursmaterialien für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe erarbeitet. Die Broschüre enthält unterschiedliche Lehrmaterialien zur Flächeninanspruchnahme. So wird der Frage nachgegangen, aus welchen Gründen „Flächen sparen“ sinnvoll ist. Zielsetzungen werden aufgeführt und diskutiert. Des Weiteren werden verschiedene Aufgaben zu Fragen „Wie möchte ich wohnen?“, „Wohnen früher und heute“ oder zur „Mobilität – Berechne deine Alltagswege“, die durch Schüler erarbeitet werden sollen, vorgestellt. Der Kurs kann mit einer Exkursion, der Beispiele zur Flächenversiegelung verdeutlicht, ergänzt werden. Die Broschüren „CircUse – Umwelteffekte der Flächennutzung“ mit Lehrmaterialien für Schülerinnen und Schüler ab der 9. Schulstufe sind nun in sechs Sprachen (Deutsch, Englisch, Tschechisch, Slowakisch, Polnisch, Italienisch) erhältlich und können kostenlos von der Webpage www.circuse. eu heruntergeladen werden. Dieses Projekt wird im Rahmen des CENTRAL EUROPE Programms umgesetzt und durch EFRE Mittel kofinanziert. Gefördert durch das Central Europe Programm zur Europäischen Territorialen Zusammenarbeit.
Aktuelle Publikation des KFS
Mit Flächen sparsam umgehen Sparsamen Umgang mit Flächen bereits in der Schule lernen Broschüren für Schulen zum nachhaltigen Umgang mit Flächen in sechs Sprachen veröffentlicht Berlin. Von Jahr zu Jahr steigt der Flächenverbrauch für Wohnen, Industrie, Gewerbe und Verkehr. Günstige Immobilienpreise in Lagen außerhalb der Kernstädte verstärken diesen Trend und führen zu weiterer Zersiedlung und länger werdenden Alltagswegen. Durch die zunehmende Bebauung steigt die Versiegelung von Flächen. Leider geht dadurch viel wertvoller Boden verloren und der Erhalt der ständig ausgebauten Straßen- und Leitungsnet-
Die lokale Verankerung der rechten Szene. Brennpunkt Burgstädt-Gegenstrategien für eine demokratische Entwicklung; 3,00 Euro.
Sommer 2012
Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag
ParlamentsReport Mehr Sinn und Verstand für Sachsens Politik! dies ist meine letzte Kolumne im „Parlamentsreport“. Nachdem mich der Kleine Parteitag der LINKEN in Sachsen neben Katja Kipping zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2013 nominiert hat, habe ich auf eine erneute Kandidatur für den Fraktionsvorsitz verzichtet. Die Fraktion wählte mit Wirkung zum 1. August Rico Gebhardt als Vorsitzenden, dem ich viel Glück und Erfolg im neuen Amt neben seinen Aufgaben als Landesvorsitzender wünsche. Ich werde meine Erfahrungen aus 21 Jahren im Landtag – vier Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter, zwölf Jahre als Parlamentarischer Geschäftsführer und fünf Jahre als Vorsitzender – bis zur Bundestagswahl als innenpolitischer Sprecher sowie als Mitglied des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses natürlich weiter in den Dienst der Fraktion stellen, bleibe im Präsidium des Landtags sowie im Parlamen tarischen Beirat der Stiftung für das sorbische Volk und bin auch künftig Ansprechpartner der Fraktion für Kirchen und Religionsgemeinschaften. Auch als dienstältestes Mitglied der LINKEN in einer Parlamentarischen Kontrollkommission mache ich weiter – nicht zuletzt weil das derzeitige Hauptthema dort, Aufklärung des Behördenversagens gegenüber Nazi-Terroristen, mich wohl auch im Bundestag beschäftigen wird.
Statt sich nun zwei Jahre später an die Reparatur des eingetretenen Flurschadens zu machen und Abbitte beim Wahlvolk zu leisten, ließ sich Finanzminister Unland zu Beginn der Sommerpause in einer überregionalen Zeitschrift als „Sturkopf“ feiern, was für ihn offenbar ein Kompliment ist. Noch befremdlicher ist der Zustand der neuen Kultusministerin: Sie verkündete mit Blick auf auch im Schuljahr 2012/2013 zu erwartenden Unterrichtsausfall und Lehrermangel, die „fetten Jahre“ seien vorbei. Das empfinden nicht nur die Lehrerinnen und Lehrer in Sachsen, die deutschlandweit die am schlechtesten bezahlten sind, als Hohn, sondern vor allem die vielen Studierenden der letzten Jahre, die liebend gern den viel zu wenigen Lehrernachwuchs hierzulande vergrößert hätten, aber keine Anstellung erhielten. Wir haben aber nicht nur was an der schwarz-gelben Staatsregierung auszusetzen, die jetzt schon bei der kommissarischen Besetzung der
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Liebe Leserinnen und Leser,
Der Herbst bringt dem Landtag die Haushaltsdebatte über den DoppelEtat 2013/2014 für den Freistaat. In Zeiten milliardenschwerer Steuermehreinnahmen sollte das Regieren leichter geworden sein, aber Schwarz-Gelb tut sich schwer mit vernünftigen Lösungen. Wir erinnern uns: Vor Jahren wurden dramatische Kürzungen insbesondere im Sozial- und Jugendbereich, deren Ausmaß seit der Wiederbegründung Sachsens seinesgleichen sucht, mit einer Einnahmensituation des Landes begründet, die sich freilich heute anders darstellt als prognostiziert.
MdL Rico Gebhardt erläutert den LINKEN „Plan für Sachsen“
Spitze des völlig ruinierten Landesamtes für Verfassungsschutz auf Amtshilfe aus dem rot-rot regierten Brandenburg angewiesen ist. Wir haben auch Alternativen anzubieten: Erstens einen anderen, kommunikativeren Politikstil, den wir unter dem Motto „Dialog für Sachsen“ im Internet und auf Diskussionsforen überall im Land verwirklichen wollen. Zweitens eine Sozialstaatsinitiative: In Sachsen verdient jeder vierte Beschäftigte weniger als 8,50 Euro pro Stunde, bundesweit ist es jeder Zehnte. Das Land ist Hochburg des
Für die gute und konstruktive Zusammenarbeit in den zurück liegenden Jahren möchte ich mich bei Ihnen und Euch gern bedanken. Ich kann Ihnen versichern: Sie werden auch künftig von mir hören.
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Ihr Dr. André Hahn
Niedriglohns und der massenhaften Aussicht auf Altersarmut. Daher muss gerade aus unserem Land eine Bundesratsinitiative zu einer wirklichen Reform des Sozialsystems ausgehen, die diesen Namen verdient. Dafür entwickeln wir bis Frühjahr 2013 Eckpunkte für einen entsprechenden Landtagsantrag. Drittens eine Technologie-Offensive, mit der wir bis Sommer 2013 die alternative Wirtschaftspolitik für eine Regierung ohne CDU ab Herbst 2014 vorbereiten werden. MdL Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender
11.537 Unterschiften gegen die Kürzungsorgie in Sachsens Hochschulbereich übergaben Vertreter der Konferenz Sächsischer Studierendenschaften vor der Semesterpause an den Dresdner Landtag. Die Studierenden kritisieren die kurzsichtigen Bildungspakete der Staatsregierung und fordern, den vor zwei Jahren beschlossenen Stellen-Abbau – bis 2020 sollen 1.000 Stellen wegfallen – zurückzunehmen und an die realen Zahlen von Studienanfängern anzupassen. DIE LINKE unterstützt die Forderungen der Studierenden und setzt sich im Landtag dafür ein.
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PARLAMENTSREPORT
Sommer 2012
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Mehr Schutz für Mütter!
Fehlendes Interesse am Haustier, Krankheit oder sozialer Abstieg – die Gründe für eine Tier-Abgabe sind mannigfaltig. Die meisten Tierheime haben ihre Kapazitäts- und finanzielle Belastungsgrenze längst
erreicht, doch Hilfe von den chronisch klammen Kommunen ist kaum zu erwarten. Zudem bekommen Tierschutzvereine kaum noch geförderte Arbeitskräfte bewilligt. Die ehrenamtlichen Tierschützer rackern bis an ihre physischen Grenzen und greifen oft auch in die eigene Tasche, um Betriebskosten, Tierarztrechnungen oder Futterkosten zu stützen. Eine von der Regierung vorgelegte „Empfehlung zum Umgang mit Fundtieren“ erwies sich als Flop und kann gesetzlich klar geregelte und kostendeckend konzipierte Vorgaben zum Umgang mit Fundtieren nicht ersetzen. Zudem muss die Fundtierumlage einheitlich gestaltet und ein mit weitreichenden Kontroll- und Initiativrechten ausgestatteter Landestierschutzbeauftragter bestellt werden – so die Forderung der Fraktion DIE LINKE, die leider keine Landtagsmehrheit fand.
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DIE LINKE hat die Staatsregierung aufgefordert, sich endlich der dramatischen Situation der Tierheime in Sachsen anzunehmen. Kathrin Kagelmann, tierschutzpolitische Sprecherin, hat die Tierheime im Freistaat besucht und die dort gesammelten Eindrücke und Fakten in den Tierschutz-Antrag der LINKEN einfließen lassen. „Der Kern unseres Antrages ist die Fundtierverordnung. Dabei handelt es sich nicht um eine edle Geste des Freistaats bei einer Richtlinie, sondern es handelt sich um konkrete Rechtsansprüche der Tierheime gegenüber den Kommunen, für die sie eine Pflichtleistung übernehmen“, so Kagelmann.
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Kein Herz für Tiere
Ortschaften stärken – Mitwirkung sichern DIE LINKE möchte den Belangen der Ortschaften im Freistaat Sachsen mehr Gewicht verleihen, hat dazu ein Gesetz erarbeitet und im Landtag zur Debatte gestellt. Mit der Novelle zur Sächsischen Gemeindeordnung sollen die Rahmenbedingungen für die Beteiligung der Einwohnerinnen und Einwohner am Kommunalgeschehen so verbessert werden, dass sie künftig schneller und umfassender in die kommunale Entscheidungsfindung einbezogen und die Belange der Ortschaften bei Entscheidungen des Gemeinderates mehr beachtet werden. „Wir erwarten, dass insbesondere ein Teil der mit Gemeindezusammenschlüssen zwangsläufig verloren gehenden örtlichen Identität und Eigenständigkeit durch erweiterte Möglichkeiten der Einwohnerbeteiligung in den Ortschaften ausgeglichen werden kann“, so Marion Junge, die Sprecherin für Kommunalpolitik.
Der Gesetzentwurf sieht u.a. eine verbesserte Beteiligung der Einwohnerinnen und Einwohner bei der Einführung der Ortschaftsverfassung vor. Zudem werden Aufgaben und Befugnisse des Ortschaftsrates konkretisiert. Der „Ortsbürgermeister“ (bisher Ortsvorsteher) soll durch Direktwahl gewählt und dadurch in seiner Position gestärkt werden. Die örtliche Verwaltung soll als Ansprechpartnerin der Bevölkerung erhalten bleiben. Die Ortschaften erhalten des Weiteren einen gesetzlichen Anspruch auf finanzielle Mittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben. Noch bis Ende 2012 besteht für alle die Möglichkeit, sich zum Gesetzentwurf bei einer Onlineanhörung (www.direktedemokratieonline.de) zu äußern. Die Fraktion DIE LINKE wird hier eingehende Anregungen beraten und ggf. in das Gesetzgebungsverfahren einfließen lassen.
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PARLAMENTSREPORT
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Bildung muss gratis sein! den Schulen findet nicht ausreichend statt. Das kritisierte Cornelia Falken, die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE: „Das Urteil von Bautzen gibt klar Auskunft darüber, dass der Freistaat Sachsen in den letzten 20 Jahren eine Praxis durchlebt hat, die die Eltern bezüglich der Bezahlung von Lernmitteln abgezockt hat. Wir sehen deshalb © Jahreis / PIXELIO
Taschenrechner, Arbeitshefte, Kopiergeld oder Klassenfahrten – im Laufe eines Schuljahres müssen Eltern mehrmals größere Summen in die Schulbildung ihrer Kinder investieren. Müssen sie das wirklich? Nein! Denn die kostenlose Bereitstellung der Lernmittel ist fester Bestandteil in der sächsischen Verfassung, nur die reale Umsetzung an
Handlungsbedarf in Form von klaren gesetzlichen Regelungen.“ Eine bloße Verordnung durch das Bildungsministerium reicht der LINKEN jedoch nicht. Denn selbst bei den kostenlos vergebenen Materialien kommt es in Sachsen zu merkwürdigen Aktionen: Es gibt Schulen, die bspw. verbieten, dass in die ausgeteilten Arbeitshefte hineingeschrieben wird… Die Fraktion DIE LINKE forderte die Staatsregierung deshalb auf, das Verfassungsrecht sofort umzusetzen, benötigte Lernmittel kostenlos bereit zu stellen und ihre Finanzierung zu sichern, „denn nach Artikel 85 der Sächsischen Verfassung ist klar geregelt, dass die Mehrbelastung von Kommunen durch den Freistaat Sachsen auszugleichen ist“, so Falken. DIE LINKE hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem in Sachsen endlich rechtssicher mit der Vergabe von Lernmitteln verfahren worden wäre. Die schwarz-gelbe Landtagsmehrheit lehnte diesen jedoch ab.
GEMA-Abzocke: Wird Sachsens Kulturszene der Ton abgedreht? Die „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“ (GEMA) soll eigentlich die Interessen der Künstler/innen vertreten. Die geplante GEMA-Reform wirkt diesem Ziel jedoch entgegen und bedroht die Existenz von Diskotheken und Musikkneipen. Und sogar Stadtfeste sind gefährdet, denn es werden ausnahmslos alle Veranstalter zur Kasse gebeten, die per Tonträger Musik abspielen oder Live-Musik organisieren.
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Nach der neuen Berechnung muss jede Veranstaltung einzeln aufgelistet werden. Das sorgt einerseits für einen hohen bürokratischen Aufwand und andererseits für enorme
Preissteigerungen. Ein Beispiel: Zahlte eine 110 qm große Musikkneipe ohne Eintritt im Jahr 2011 noch 1.300 Euro Gebühren, fielen mit der Reform ab 2013 sage und schreibe 22. 500 Euro an! Da dies für viele Musikveranstalter untragbar ist, bläst der Reform ein kräftiger Wind aus Bevölkerung, Gastronomie, Künstlerszene und Politik entgegen. Müssten betroffene Einrichtungen schließen, fielen auch zahlreiche Arbeitsplätze weg, so Volker Külow, der kulturpolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE: „Wenn die neuen GEMA-Tarife die Erhöhung von Eintritts- und Getränkepreisen erzwingen, werden Menschen mit weniger Geld aus der Clubszene verdrängt.
Es findet eine bedenkliche soziale Auslese statt“, so Külow weiter. Die Verantwortung sieht DIE LINKE vor allem bei Sachsens Wirtschaftsminister. „Morlok muss endlich die VogelStrauß-Politik beenden, die er bislang gegenüber der sächsischen Kulturund Kreativwirtschaft an den Tag gelegt hat und gegenüber der GEMA im Interesse der sächsischen Musikszene aktiv werden“, fordert Külow den FDPMinister auf. Durch DIE LINKE auf die Agenda gesetzt, fand die GEMA-Kritik während der Plenardebatte bei allen Fraktionen Gehör. In seltener Einstimmigkeit wurde dabei deutlich, dass die Sorgen über die GEMA-Reform von allen Parteien geteilt werden.
Plenarspiegel Juli 2012 Am 11 und 12. Juli 2012 fand die 59. und 60. Sitzung des Sächsischen Landtags statt. Nachfolgend eine Auswahl der parlamentarischen Initiativen der Fraktion DIE LINKE: Aktuelle Debatte – „Keine GEMA-Abzocke in der Kulturwirtschaft – Sächsischen Clubs kreative Programme weiterhin ermöglichen“ Gesetzentwürfe – Gesetz zur Umsetzung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf Lernmittelfreiheit in Sachsen, 2. Lesung (Drs 5/7234) – Gesetz zur Stärkung der Ortschaftsverfassung im Freistaat Sachsen, 1. Lesung (Drs 5/9560) Große Anfrage (GA) – „Leben in der zweiten Lebenshälfte – über 50-Jährige in Sachsen“ und die Antwort der Staatsregierung (Drs 5/7982) Dringlicher Antrag – „Bundesmeldegesetz im Bundesrat ablehnen – Weitergabe von personenbezogenen Daten ohne Einwilligung der Betroffenen stoppen!“ (Drs 5/9635) Entschließungsanträge – zum Gesetzentwurf der Fraktionen CDU und FDP mit dem Titel „Gesetz zur Änderung des Sächsischen Gesetzes über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz“ (Drs 9647) – zur Fachregierungserklärung „10 Jahre nach der Flut“ (Drs 5/9677) Änderungsanträge – zu Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zum „Landesentwicklungsplan 2012 – Entwurf für das Beteiligungsverfahren (Drs 5/8001) Anträge: – „Verlängerung der Mutterschutzzeit auf 20 Wochen“ (Drs 5/7363) – „Maßnahmen zur Verbesserung der derzeitigen Situation im Bereich des Tierschutzes und der Tierheime in Sachsen ergreifen!“ (Drs 5/3743) Drucksachen (Drs) und Redebeiträge unter www.linksfraktion-sachsen.de
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PARLAMENTSREPORT
Sommer 2012
Die Sachsen in der zweiten Lebenshälfte Kommentiert
Ach, Lörchen …
© S. Hofschlaeger / PIXELIO
Mit einer Großen Anfrage ließ DIE LINKE die Lebenslage der Ü-50Generation in Sachsen untersuchen. In sechs Fragekomplexen ging es um Erwerbstätigkeit, Qualifikation, Gesundheit und gesellschaftliche Mitwirkung derer, die zur Wende um die 30 waren und deren Lebenslauf sehr häufig genau dort „brach“. Heute ist in Sachsen fast jeder Zweite älter als 50 Jahre. Das verfügbare Einkommen der Ü-50er stagniert seit mehreren Jahren, wobei Frauen zwischen 50 und 65 mit durchschnittlich einem Fünftel weniger Geld auskommen müssen, als gleichaltrige Männer. 19 Prozent der Ü-50-Männer erzielten kein Einkommen aus Erwerbsarbeit; bei den Frauen sind es 21 Prozent. Die Mehrheit der über 50-Jährigen ist fachlich gut qualifiziert und bereit, sich weiter zu qualifizieren. Dem stehen jedoch oft bürokratische Hürden oder nach wie vor nicht ausgeräumte Vorbehalte hinsichtlich der Einstellung älte-
rer Arbeitnehmer/-innen entgegen. Mit einem Entschließungsantrag forderte die Fraktion DIE LINKE die Staatsregierung auf, ein Konzept zum Umgang mit den Folgen des demografischen Wandels zu entwickeln,
das auch den Bedürfnissen der heutigen Ü-50er gerecht wird und negative Entwicklungen, wie die Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse oder die Benachteiligung von Frauen, bremst. Schwarz-Gelb lehnte dies ab.
Weltoffenes Sachsen: Großröhrsdorf meets Haifa
„Die Begegnung mit Heiko Kosel ist uns sehr wertvoll, da er die Problematik Minderheit und Demokratie
anschaulich nahe bringt“, begründete Gruppenbegleiter Norbert Littig die wiederholte Einladung Kosels. „In Israel sind Araber mit ca. 20 Prozent eine Minderheit, das ist nicht konfliktfrei“, erklärt der Pfarrer und Religionslehrer die Themenwahl. Das länderübergreifende Austauschprogramm gibt es seit 2005. Über Ostern weilte eine deutsche Gruppe in Haifa, die „Gegenbesucher“ wurden in Dresden neben Norbert Littig noch von Gabriele Weber (Lehrerin für Mathematik und kath. Religion) betreut. Für die Partnerschule waren Mathe- und Physiklehrer Shehadeh Shehadeh und Englischlehrerin Rawia Abboud als
Betreuer dabei. (unt. Reihe: 1. u. 2. v. li. u. 2. u. 4. v. re.) „Die Muttersprache der jungen Leute ist Arabisch. Obwohl in Israel Arabisch offiziell zweite Amtssprache ist, wird im Behördenverkehr vorwiegend hebräisch gesprochen. Und es gibt Bestrebungen, ganz auf Arabisch zu verzichten“, reflektierte Heiko Kosel (unt. Reihe, 3.v.li.) das in Englisch geführte Gespräch. Nicht nur hier gibt es Parallelen zu den Sorben in Sachsen“, so Kosel. „In Sachsen ist ein Sorbe Ministerpräsident. In Israel wäre es jedenfalls zur Zeit undenkbar, dass ein Palästinenser Staatspräsident werden könnte“, meinte einer der Schüler aus Haifa.
Anlass war die Große Anfrage der LINKEN zur Ü-50-Generation. Diese hielt die CDU-Frau für gänzlich überflüssig, weil – Achtung, Zitat – „Die heute über 50-Jährigen (…) aktiv und sportbegeistert (sind). Sie radeln auf den gut ausgebauten Radwegen durch Sachsen, Europa oder noch weiter. Sie wandern (…) oder fahren mit dem Caravan oder auf Motorrädern durchs Land.“ Uff. Und das war noch nicht das Highlight! Das kam, als die 58-Jährige sich fragte, was DIE LINKE wohl mit „Altersdiskriminierung“ meine: „Was kann ich mir darunter vorstellen? Kommt demnächst die Ortspolizei behörde und verhängt ein Bußgeld gegen einen Jugendlichen, der seinen Platz in der Straßenbahn einer Person über 50 Jahre nicht angeboten hat (…)?“ Ich wollte gerade in Schnapp atmung verfallen, als Frau Dietzschold nachlegte: „Wenn man gegen Altersdiskriminierung vorgehen will, muss man auf die gesamtgesellschaftliche Verantwortung hinweisen.“ Bravo! Begriffen! Schwamm drüber, wenn „Lörchen“ – seit 2009 im Landtag – nichts davon weiß, dass Menschen über 50 z.B. bei der Jobsuche schon mal als „zu alt“ abgewiesen und ihnen kaum noch Qualifizierungen angeboten werden. Macht doch nix, haben sie mehr Zeit zum Radeln…! Liebe Frau Dietzschold, ich (Ü50) würde in der Straßenbahn sehr gern für Sie aufstehen. Allerdings nicht aufgrund Ihres Alters. efa
Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Fax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Elke Fahr
Foto: efa
Es war schon etwas Besonderes, was der LINKE MdL Heiko Kosel am 9. Juli erlebte. Nach 2006, 2007 und 2009 stand der Sorbe bereits zum vierten Mal jungen Palästinensern aus dem israelischen Haifa Rede und Antwort. Die 15 Schülerinnen und Schüler vom Orthodox-Arab-College in Haifa waren gemeinsam mit ebenso vielen Jugendlichen vom Großröhrsdorfer Ferdinand-Sauerbruch Gymnasium nach Dresden gereist, um sich u.a. über Sachsens Minderheitenpolitik zu informieren.
Ganz ehrlich, ich wollte mich nie wieder über Plenar-Debatten aufregen. Was aber soll ich tun, wenn in christdemokratischer Hausfrauennaivität gehaltene Reden mich foltern? Im Juli hatte Hannelore („Lörchen“) Dietzschold das übernommen.
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Warnschussarrest und längere Haftstrafen für Jugendliche Der Bundesrat hat das sog. »Gesetz zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungskompetenzen« gebilligt. Ein Antrag zur Überweisung in den Vermittlungsausschuss war zuvor nicht erfolgreich. Damit ist nun umgesetzt, was schon im Bundestag zu heftigen Debatten führte: Der Warnschussarrest für jugendliche und heranwachsende StraftäterInnen. Wird in Zukunft gegen junge DelinquentInnen eine Bewährungsstrafe ausgesprochen, kann dazu ein Jugendarrest von bis zu vier Wochen angeordnet werden. Kurz: Wer nicht in den Knast muss, kann zusätzlich in den Knast müssen. Diese Verknüpfung von Jugendstrafe und Jugendarrest war nach bisherigem Recht ausgeschlossen. Außerdem wächst die Höchststrafe für jugendliche MörderInnen von zehn auf fünfzehn Jahre an. Sämtliche Sachverständige und Abgeordnete der LINKEN im Bundestag haben sich gegen diese Neuregelung ausgesprochen. Sie sei wirkungslos, gefährlich und reinste Stammtischpolitik. Sachsens Linke fragte Landesvorstandsmitglied René Jalaß, der im Rahmen eines Forschungsprojekts des Kriminologischen Dienstes des
sie oft einen Heldenstatus in der Clique. ‚Haft vor Bewährung‘ widerspricht meiner Meinung auch der Subsidiarität des Freiheitsentzugs vor allen anderen Maßnahmen und die Bedingungen im Jugendstrafvollzug, z.B. beim Personal, werden nicht einmal den Mindestanforderungen der Vereinten Nationen, z.B. den sog. Beijing-Grundsätzen, gerecht. Gefängnisse verschlimmern nur, sie machen nicht besser.
Freistaates Sachsen als Honorarmitarbeiter in einer Jugendstrafvollzugsanstalt tätig ist. Jugendliche, die zu einer Bewährungsstrafe verurteilt werden, müssen demnach dennoch in den Jugendarrest. Genügt das bisherige Jugendstrafrecht nicht? Doch. Das bisherige Strafrecht ist meiner Meinung nach schon zu streng. Höchststrafen über 5 Jahre sind nicht mehr pädagogisch begründbar, nur mit Rache und Vergeltung. Der Warnschussarrest ist aber nicht zwingend, er liegt im Ermes-
sen der RichterInnen und kann eben zusätzlich bis zu 4 Wochen angeordnet werden. Einige sehen darin wirklich auch ein probates Mittel der Abschreckung, er ist für mich aber mehrfach unsinnig. Könnte es nicht gut sein, straffälligen Jugendlichen die Konsequenzen ihres Handelns so deutlich vor Augen zu führen? Ich stimme den BefürworterInnen zu, dass eine reine Bewährungsstrafe oft nur als Freispruch zweiter Klasse wahrgenommen wird. Auch von den
Verurteilten. Effektive Konsequenzen müssen aber schnell folgen, dass ist schon die erste große Hürde im Strafvollzug. Jahre nach einer Tat kommt jede Strafe zu spät. Es wäre auch für die Mehrzahl der StraftäterInnen kein Warnschuss mehr, da viele schon andere Arrestformen und damit Freiheitsentzug kennen. Die Insassenkultur im Gefängnis erreicht die Jugendlichen zudem viel schneller als jede pädagogische Hilfe, die in maximal 4 Wochen auch nicht adäquat greifen kann. Kommen die Gefangenen danach in die Freiheit, genießen
nur selten in diesen Stadtteilen. Hingegen sind die Stadtteile Plagwitz und Lindenau vor allem für zahlreiche junge Künstler wegen der nachgenutzten Werkhallen zu Ateliers und Werkstätten interessant. Bereits 1991 forderte die PDSFraktion der Leipziger Stadtverordnetenversammlung im Wissen um Chancen und Risiken des entstehenden kapitalistischen Wohnungsmarktes, Gegenstrategien zur sozialen Entmischung zu entwickeln. In Leipzig tätige Westfachleute bejahten zwar deren Notwendigkeit, bezweifelten aber den Erfolg. Strategien zum Erhalt der rationell und preisgünstig zu sanierenden getypten Vorund Nachkriegsbauten sowie zur Sicherung eines möglichst hohen kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsanteils waren erfolgreich. Nicht nur von der Leipziger PDS wurde seit 1993 immer wieder betont, dass Wohnen nur dann langfristig bezahlbar ist, wenn die Unterhaltung der Wohnungen für die Vermieter kostendeckend sind. Die Strategien der Linksfrak-
tion werden bei der Stadterneuerung im Stadtrat und von deren Vertretern im Aufsichtsrat der kommunalen Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB) bis heute konsequent vertreten. Innerstädtische kommunale und genossenschaftliche Bauten, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und zwischen 1945 bis 1970 in Baulücken sowie ab Anfang den 1980-er Jahr neu entstanden, wurden seit 1990 ebenso wie die Gründerzeithäuser weitgehend saniert. Im mondänen Waldstraßenviertel wurde mit »Lloyds Hof« ein Wohnquartier mit zahlreichen sozialgebundenen Wohnungen neu gebaut. Gleichfalls Mitte der 90er Jahre erzwangen Mieterinnen und Mieter der Inneren Westvorstadt, der Straße des 18. Oktober und der Holsteinstraße mit Unterstützung von PDSStadträten die Zurücknahme einer an hohen Architektenhonoraren orientierten, überzogenen Sanierung und Modernisierung. Sie setzten die Umsetzung vernünftiger Modernisierungs- und Sanie-
Alle Experten haben sich gegen die Verschärfung gewandt. Wieso hat der Deutsche Bundestag dennoch dieses Gesetz beschlossen? Weil darin zum Großteil Mathematikgenies sitzen, die wissen, was reziproke Proportionalität bedeutet: Je größer der Ruf nach härteren Strafen, desto geringer die Gefahr, nicht gewählt zu werden. Oder anders: Wir finden die Antwort auf Sinn und Zweck der Reform an den Stammtischen der Republik. Hier wiegen populistische Reaktionen mehr als eine rationale Kriminalpolitik und eine vernünftige Ursachenforschung. Die Fragen stellten Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert und Rico Schubert.
Gentrifizierung? Oder nicht Strategien gegen soziale Ausdifferenzierung gibt es seit 1991 in Leipzig Im Artikel »Eine Stadt hat eine politische Aufgabe« in der Ausgabe 05/2012 von Links! wird »Kampf der Gentrifizierung« wie eine »Sau durchs Dorf« getrieben und dafür ein Interview mit Prof. Dr. Rink vom Leipziger Leibnitz-Institut bemüht. Dabei benutzt er die gebräuchliche Definition von Gentrifizierung als die überwiegende Verdrängung einer ärmeren Bewohnerschaft durch Mittelschichten in einem Stadtteil, wie dies erstmals in den 1960er Jahren für Städte in England beschrieben wurde. Gentrifizierung beschreibt damit aber nur eine von mehreren Formen der sozialen Ausdifferenzierung. Analogien zu England in den 60-er Jahren gibt es im Leipziger Westen in der Weise, dass mit dem Wegbrechen der Industrie sich der legendäre
Londener Nebel abschwächte und sich die Luft in den Industriestadtteilen und jenen Vierteln, über die die Industrieabluft einst hinweg zog, stark verbesserte. Deshalb waren in diesen Londoner Stadtteilen im 19. Jahrhundert einst die Arbeiterquartiere entstanden. Nun wurden solche Wohnund Industriequartiere auch für andere soziale Schichten und ebenso für Investoren interessant. Deshalb sind Probleme in Leipziger Stadtteilen, wie im Sanierungsgebiet Connewitz, in Plagwitz oder im Sanierungsquartier Windmühlenstraße am Stadtzentrum mit »Gentrifizierung« allein nicht beschreibbar. Wenn die Entwicklung vom Arbeiter- hin zum Künstlerviertel wie in Leipzig-Plagwitz mit ärmeren Schichten zu reicheren Schichten gleichgesetzt wird, ist dies unzutreffend, da die meisten Künstler, wie auch andere Berufsgruppen, vor allem »Überlebenskünstler« sind. Jene Künstler, die sich etabliert haben und davon richtig gut leben können, lebten schon früher und leben auch heute
rungsstandards durch. Dies führte zu langfristig bezahlbaren Mieten in diesen Stadtteilen. Diese sanierten Wohnungen in den innerstädtischen Stadtteilen weisen nur einen geringen Leerstand auf. Die LWB führt diese Politik bis heute fort. Auch die Wohnungsbaugenossenschaften orientieren sich bei Vermietung und Unterhaltung, Sanierung oder Modernisierung und beim Neubau an den Einkommen ihrer Mitglieder. An nur gering über der Kostendeckung liegenden Nettokaltmieten orientieren sich auch private Vermieter bei der Sanierung und Modernisierung in der Großwohnsiedlung Grünau. Mit der durch politischen Druck von LINKE und Grüne in Leipzig erfolgten Anhebung der Kosten der Unterkunft haben auch Betroffene die Chance in guten Lagen eine sanierte Wohnung mit zeitgemäßem Standard zu erhalten. Siegfried Schlegel Stadtrat und Mitglied im Aufsichtsrat der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft
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Leitliniendiskussion: Für einen neuen Ansatz in der Drogenpolitik Wieso beschäftigt sich die sächsische LINKE mit Drogenpolitik? Wir fügen hier zusammen, was seit Jahren in Wissenschaft und Suchthilfe bekannt und belegt ist. Wir sitzen also nicht im Rausch zusammen und haben Visionen vom DiscounterKoks für alle. Wir sehen, dass hochrangige VertreterInnen der UN, viele Staatsoberhäupter, Teile der deutschen Polizei, eine Menge JuristInnen, MedizinerInnen, Fachleute aus der Suchthilfepraxis und viele andere eingesehen haben, dass die bisherige repressive Drogenpolitik gescheitert ist. Und wir nehmen deren Ergebnisse auf, weil wir als LINKE uns der Verantwortung gegenüber allen Bürgerinnen und Bürgern in Sachsen bewusst sind. CDU und FDP haben es da wohl leichter. DIE LINKE ist demnach nicht die Urheberin der Legalisierung? Nein. Viele Leute haben erkannt, dass Repression und Gewalt die Problematik nur verschärfen und verlagern. Wir bündeln die Anregungen, verpassen ihnen – wo nötig – unseren emanzipatorischen
Bild: The National Archives UK
Sachsens Linke sprach mit Freya-Maria Klinger und René Jalaß, beide maßgeblich an der Erstellung der Drogenpolitischen Leitlinien beteiligt, über das Papier.
Anstrich und stehen damit ziemlich solitär in der Parteienlandschaft. Mittlerweile hat sogar Renate Künast von den GRÜNEN erklärt, die Frage der Legalisierung sei eine Diskussion aus dem vergangenen Jahrhundert. Tschüß! Die Frage nach Überlebenshilfe, Solidarität und Selbstbestimmung ist niemals eine von gestern. Was bringt eine Legalisierung aller Drogen? Wir sind ja nicht nur für eine völlige Legalisierung, sondern wollen, dass die Menschen aufgeklärt werden. Das ist unser primäres Ziel. Die Achtung von Mündigkeit und Selbstbestimmung haben wir sogar in unse-
rem Programm verankert. Nur wer informiert ist und selbstbestimmt handeln kann, ist in der Lage objektiv abzuwägen, was gut oder schlecht für eine/n selber ist. Die Legalisierung kann dann helfen, dass präventive Projekte enttabuisiert und entkriminalisiert über das Schadenrisiko und die teilweise schlimmen Folgen von Abhängigkeiten informieren können. Legalisierung hilft dem Staat, die Kontrolle über Stoffqualität und -reinheit zu behalten, um die Gesellschaft vor tödlichen Streckmitteln zu schützen, und gleichzeitig entzieht die Legalisierung der Drogenkriminalität den milliardenschweren Markt. Das ist nicht nur unse-
re Überzeugung, sondern auch die etlicher nationaler und internationaler Institutionen. Legalisierung ist der Weg in eine Entstigmatisierung und umfassende medizinische und psychosoziale Unterstützung abhängiger Menschen. Was kann die sächsische LINKE denn auf dem Gebiet tun? Wir können der Regierung weiter Druck machen. Der Bundestag ging mit der gesetzlichen Verankerung der kontrollierten Heroinabgabe schon einen guten Schritt in diese Richtung. Sachsen setzt diese Regelung bislang nur nicht um. Auch Konsumräume sind hier noch nicht
erlaubt. Wir können die Bürgerinnen und Bürger pragmatisch aufklären. Zum Beispiel darüber, dass Cannabis weit weniger schädlich ist als Alkohol. Und wir können verstehen lernen, dass wir DrogenkonsumentInnen nicht ausgrenzen, sondern dass jeder und jede Einzelne für den eigenen Konsum auch eigene Gründe hat. Was macht Alkoholabhängige zu besseren PatientInnen und Heroinabhängige zu schlechteren Menschen? Wie geht es weiter? Die drogenpolitischen Leitlinien sollen als Bestandteil des »Dialog für Sachsen« unseren Standpunkt zu diesem Thema verdeutlichen. Wir werden am 15. September auf dem »Kleinen Parteitag« diese Leitlinien zur Diskussion stellen. Das ist der Auftakt für eine landesverbandsweite, aber auch eine (fach-)öffentliche Debatte. Wir haben von Anfang an Fachleute dabei gehabt und werden deren Kompetenz zusammen mit den Fragen und Ansichten in den Ortsverbänden bis zur abschließenden Abstimmung auf dem Landesparteitag in Anspruch nehmen. Das Papier muss hieb- und stichfest sitzen, dann sind wir uns der Rückendeckung aus Wissenschaft und Praxis sicher. Die Fragen stellten JayneAnn Igel, Ute Gelfert und Rico Schubert.
Göttingen und sächsische Probleme In Parteikommunikationskanälen wurde verbreitet, dass Katja Kipping und Andre Hahn von einem sogenannten »Kleinen Parteitag« zu sächsischen Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2013 »gewählt« worden seien. Nach der Landessatzung der LINKEN Sachsen gibt es ein solches Gremium nicht. Aber es gibt ein Gremium, das der Landesvorstand »bei Angelegenheiten von besonderer landespolitischer Bedeutung bzw. von besonderer Bedeutung für den Landesverband« nach § 32 (2) der Landessatzung einberufen kann. Dieses Gremium hat keinen Namen. Es kann »beraten und beschließen«, aber nur Dinge, welche die Satzung nicht anderen Gremien vorbehält. Wählen kann es nicht! Folglich konnten auch auf der Sitzung des Gremiums vom 16. Juni dieses Jahres keine Spitzenkandidaten »gewählt« wer-
den. Richtig ist, dass auf jener Sitzung am 16. Juni etwas über Spitzenkandidaturen beschlossen wurde, nämlich Katja Kipping und Andre Hahn der VertreterInnenversammlung nächstes Jahr als solche zu empfehlen. Dieser Empfehlungsbeschluss wurde wie ein Wahlvorgang gehandhabt, mit Stimmzetteln, um eine geheime Abstimmung zu gewährleisten. Es stellen sich mehrere Fragen: Warum überhaupt musste losgelöst von der noch folgenden Listenaufstellung eine Empfehlung für Spitzenkandidaturen her? Welcher Zweck wird damit verfolgt? Denn ohne Einfluss bleibt diese »Maßnahme« ja nicht in der LINKEN Sachsen (siehe eben auch parteimediale Darstellung). Auch aus dem Landesrat gab es mehrfachen Widerspruch, da keine ausreichende Abstim-
mung rechtzeitig vorher erfolgt sei, wie es § 42 (6) der Landessatzung vorsieht. Vor allem aber blieben Fragen nach der Bedeutung und Berücksichtigung von aktuellen Beschlusslagen im Landesverband offen. Es war ja auch keine Zeit, diese in einer Diskussion möglicher Spitzenkandidaturen heranzuziehen. Das betrifft: a) den Leitantrag des 6. Landesparteitags vom November 2011 zur »Erarbeitung einer Wahlkampfstrategie für die Wahlen in den Jahren 2013/2014, Erarbeitung und Beschlussfassung einer Wahlordnung zur Aufstellung der BewerberInnen und Landesliste für die Bundestagswahlen 2013 unter Berücksichtigung der derzeitigen Diskussionsstände«, b) den Beschluss des 6. Landesparteitages »Empfehlungen zur Aufstellung von KandidatInnen für Mandate und Funktionen, v.a. in der be-
zahlten Politik«, c) die Personalentwicklungskonzepte I und II. Diese Beschlusslagen wurden vom Landesvorstand im Vorfeld und auf der Sitzung vom 16. Juni nicht einmal angesprochen. Es gibt noch keine Wahlordnung und keine Wahlkampfstrategie, aber schon werden Spitzenkandidaten festgeklopft, wenn auch erst nur als Empfehlung. Durch dieses abgesonderte Nominierungsverfahren ist eklatant die Gleichbehandlung aller potentiellen BewerberInnen verletzt. Letztlich wäre auch zu beantworten, was namentlich Andre Hahn in herausragender Weise vor unseren sächsischen Listenkandidaten und Mitgliedern des Deutschen Bundestages Jörn Wunderlich oder Axel Troost für diese »Spitzenkandidatur« auszeichnet? Und, nach den schlechten Erfahrungen mit dem letzten Parteivor-
stand, wie wir künftig mit den Ämterhäufungen von Mandat und führender Parteifunktion, wie es bei Katja Kipping zutrifft, umgehen wollen. Ein solcher Umgang mit sensiblen Personalfragen ist nach allen Erkenntnissen der Parteiensoziologie auch mit Blick auf die Prozesse und Debatten, die nach Göttingen führten, kein zukunftsweisender Weg für die Entwicklung einer Partei wie DIE LINKE. Denn diese Verfahrensweise steht im Widerspruch zu dem Anspruch des Parteiprogramms von entschieden zu erweiternder demokratischer Teilhabe und Selbstermächtigung der Mitglieder. Die Spitzenkandidaturen sind satzungsgemäß gesehen bis zur LandesvertreterInnenversammlung weiterhin offen. Ob diese Wahl ohne vormundschaftliche Empfehlung noch möglich ist, bleibt zweifelhaft. Ralf Becker, Landesrat
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DIE LINKE im Europäischen Parlament
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Im März 2012 hat die LINKE auf einem Kleinen Parteitag ein erstes europapolitisches Eckpunktepapier »Sachsen in Europa« für die Debatte in der Partei frei gegeben, mit dem Ziel, im kommenden Jahr europapolitische Leitlinien zu erarbeiten. Die Diskussion dazu ist überfällig angesichts der täglichen Debatte um die Zukunft der EU, die nicht den Regierungschefs in Europa überlassen werden darf. Es geht schon lange nicht mehr nur um die Stabilität des Euro oder die Unterstützung Griechenlands, sondern um den Bestand der EU, mit der die tägliche Politik der LINKEN vor Ort eng verbunden ist. Dazu gehören Themen wie die Höhe der EU-Mittel der nächsten Jahre, die Frage, ob die Grenzen innerhalb der EU offen bleiben oder nach Gutdünken einzelner Regierungen dicht gemacht werden können. Dazu gehört die Frage, ob Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn zustande bringt oder weiter polnische und tschechische Arbeitskräfte zu Spottlöhnen plündern darf, was Einfluss auf die gesamte Lohnstruktur hat. Dazu gehört die Frage, wie viele MigrantInnen hier leben dürfen und wie Armut europaweit bekämpft werden kann. Das betrifft auch die Notwendigkeit eines neuen Energiekonzeptes in der EU und nicht nur in der Bundesrepublik, die, selbst bei Schließung aller Atomkraftwerke, ständig von französischen, polnischen und tschechischen Atom-
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Wieso wir eine europapolitische Debatte brauchen
kraftwerken umgeben ist. Immer mehr Politikgebiete werden europäisch vergemeinschaftet und zugleich immer weniger Menschen in die Entscheidungsfindung einbezogen. In relevanten Bereichen, wie Wirtschaft und Finanzen, herrschen eine Handvoll Regierungschefs über 450 Mio. Menschen ohne demokratische Legitimation, auch am Europarlament vorbei. Obwohl 80 Prozent aller wichtigen Entscheidungen vor Ort mit europäischen Standards und Vorgaben verbunden sind, kennen die meisten BürgerInnen
die Entscheidungsstrukturen nicht. Die LINKE sollte das als Erstes thematisieren! Nötig ist ein demokratisiertes Europa, das den BürgerInnen ermöglicht, an den Entscheidungen teilzuhaben. Als Zweites muss die LINKE für ein soziales Europa streiten. Das beginnt mit der gerechten Verteilung der EU-Mittel innerhalb der EU – einer EU, die Solidarität mit armen Mitgliedsstaaten auch praktisch zeigen muss! Das gleiche gilt für die Bundesrepublik, in der es die Schere zwischen Ost und West immer noch gibt.
Dabei ist Geld längst nicht alles! Gegenwärtig erfolgt auf fast allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens eine Angleichung der Rechtsverhältnisse in der EU: im Zivilrecht, Datenschutz, der Migrationspolitik, der Umwelt- und Energiepolitik sowie der Strukturund Regionalpolitik. Hier muss es darum gehen, dass diese Harmonisierung nicht zum Abbau von Standards führt, sondern sie verbessert. Drittens muss sich die LINKE Gedanken darüber machen, welchen Beitrag Sachsen für
dicht am Kreis Bautzen gelegen, immer wieder aufkommenden rassistischen, gegen die dortigen Roma gerichteten Exzessen. Mit Genossen aus dem Kreisverband und dem parteinahen Europaklub International entwickelten Lausitzer Mitglieder und Sympathisanten der Linkspartei Vorstellungen, wie sie den gesellschaftlich völlig ausgegrenzten Angehörigen der Roma sofort und auf lange Dauer helfen können. Von Kleiderspenden reicht das bis zur Einrichtung einer Vorschuleinrichtung für Roma-Kinder und Ankauf von Unterrichtmitteln für die auch schulisch ausgegrenzten, in tschechische Sonderschulen abgeschobenen Schüler. Dabei ist die auf dem vergangenen Landespar-
teitag in Bautzen gesammelte erhebliche Summe mehr als hilfreich. Projekte für RomaJugendliche fordert auch das Wahlprogramm der KSCM für die anstehenden Bezirkstagswahlen in Ústí. Überhaupt ist dieses Wahlprogramm übersichtlich gefasst, wendet sich kurz und bündig dem Sozialen, dem Schulwesen, der Kultur, der Sicherheit und anderen die Region ausmachenden politischen Bereichen zu. Die Unterstützung von Kinder-, aber auch Seniorenheimen in den Mittelzentren des Bezirkes, der Beistand für das Theater des Erzgebirges in Teplice, das Stadttheater in Most und die Nordböhmische Philharmonie, Hilfe bei Erhalt von Krankenhäusern in Žatec, Kadac, Rumburk, die
ein demokratisches, soziales, nachhaltiges und weltoffenes Europa leisten kann. Da gilt es nicht nur über die Potenzen des Dreiländerecks und grenzüberschreitende Projekte zu sprechen, sondern auch über die historisch gewachsene europäische Kultur der Zusammenarbeit Sachsens mit Regionen Tschechiens und Polens. So könnten z.B. die antifaschistischen Erfahrungswerte, die sich die LINKE erarbeitet hat, Enormes in den europäischen Kontext einbringen. Angesichts des erheblichen Wachsens neofaschistischer und rechtspopulistischer Strömungen in Europa, wäre dies elementar. In den nächsten Monaten soll, wie auf dem Kleinen Parteitag beschlossen, in den Kreisverbänden die Diskussion zum Papier geführt und auf dieser Basis Europapolitische Leitlinien für Sachsen entwickeln. Eine AG aus VertreterInnen des Landesvorstandes, der Landtagsfraktion und meinem Büro zusammensetzt und für die Diskussion in den Kreisverbänden gern zur Verfügung steht. Cornelia Ernst
Nicht mehr nur zu Gast … . Neues Verhältnis zwischen sächsischen LINKEN und KSCM im Bezirk Ústí nad Labem. Der Delegierte mit der Delegiertenkarte Nr. 49 des Bezirksparteitages der KSCM des Bezirkes Ústí nad Labem kam nicht aus Ústí, sondern aus Bautzen, Mitglied der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens ist er auch nicht: Heiko Kosel, Mitglied des Landesvorstandes der LINKEN Sachsens und Landtagsabgeordneter. Wie geht das? Anfang April hatte der Vorstand der KSCM im Bezirk Ústí nad Labem – die tschechischen Bezirke sind mit den deutschen Bundesländern vergleichbar – zur Parteitagsvorbereitung die eigene Tätigkeit bilanziert und dabei
die Zusammenarbeit mit der sächsischen LINKEN umfangreich diskutiert und als beispielhaft eingeschätzt. Daraus ergab sich der Entschluss, Heiko Kosel nicht wie bisher als Gast, sondern als Delegierten mit beratender Stimme einzuladen. Die Thesen des Wahlprogramms der KSCM standen im Mittelpunkt des Bezirksparteitages. Schwerpunkt dabei die soziale Frage: Ústecký kraj, der Bezirk Ústí, ist mit seinen 13 Prozent schon längere Zeit der Kreis mit der höchsten Arbeitslosigkeit. Eine solche Lage hat Nachwirkungen, die bis in das Verhalten der Menschen reichen, von denen auch ein Bautzener LINKER berührt ist. So von im Šluknover Zipfel, ganz
Erhöhung der Qualität der Mittelschulen stehen auf dem Programm. Bei den anstehenden Wahlen wird es so sein wie schon geraume Zeit: Sächsische LINKE werden die KSCM an Ort und Stelle unterstützen, tschechische Genossinnen und Genossen werden wieder in Sachsen der LINKEN zu Seite sein. Dank auch in jüngster Zeit belebter und auf vertragliche Ebene gehobener Zusammenarbeit, wie in Chemnitz, Sebnitz, Bautzen, Zittau oder im Vogtland. Dabei ist man für einander eben mehr als nur Gast. Die LINKE in Sachsen sollte diesen Impuls aufnehmen. Sieghard Kosel
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DIE LINKE im Bundestag
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Eine gute, bezahlbare Wohnung - für Viele ist diese Vorstellung mittlerweile beinah luxuriös. Denn die Mietkosten nehmen einen immer größeren Anteil am verfügbaren Einkommen ein. Insbesondere für Menschen mit geringen Einkommen werden steigende Mieten zum Problem. Sie sind vom Verlust ihrer Wohnung oder der Verdrängung aus ihrer gewohnten Umgebung bedroht. Das ist ein erhebliches gesellschaftliches Problem - in Ost und West. Denn leider sind die Mietpreise eines der ganz wenigen Gebiete, auf denen der Osten inzwischen westdeutsches Niveau erreicht hat. Zugleich hat sich die soziale Situation nicht ansatzweise entspannt. Dauerhafte Massenarbeitslosigkeit, niedrige Löhne, die von der sächsischen Staatsregierung sogar als »Standortvorteil« beworben werden, und steigende Armut im Alter lassen das Menschenrecht auf Wohnen zu einer immer kanpperen Ware auf dem Wohnungsmarkt werden. Wohnen und Wohnumfeld sind elementare Existenz- und Reproduktionsbedingungen für alle Menschen. Meine Anfrage an die Bundesregierung ergab nun, dass es heute bundesweit 800.000
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Wohnen muss bezahlbar sein!
Sozialwohnungen weniger gibt als noch vor 10 Jahren. Jede dritte Sozialwohnung ist in dieser Zeit weggefallen. Sachsen ist im Ländervergleich trauriger Rekordhalter beim Abbau: hier sind 63 Prozent und damit beinahe zwei von drei Sozialwohnungen vom Markt radiert. Gab es in Sach-
sen 2002 noch 223.418 Sozialwohnungen, sind es 10 Jahre später noch 83.308. Die vermeintlich segensreiche Wirkung der Regulierung durch den Markt und die staatliche Förderung der privaten Wohnungswirtschaft führen offensichtlich zu einem Wohnnotstand für die weniger be-
güterten Menschen in diesem Land. Es besteht dringender Handlungsbedarf, die schleichende Ausplünderung der Mieterinnen und Mieter, die Verdrängung aus den Innenstädten und die soziale Ungerechtigkeit durch unbezahlbaren Wohnraum zu beenden. DIE LINKE hat im Frühjahr
Die Legende von der konsequenten Haushaltsdisziplin Ob Eurokrise, Schuldenbremse oder die Debatte um Altersarmut – Deutschland müsse sparen, so die Position der Bundesregierung, die sich selbst als Hüterin einer konsequenten Haushaltsdisziplin gibt. Auch als Mitte August öffentlich wurde, dass Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen in der ersten Hälfte dieses Jahres rund 8,3 Milliarden Euro mehr eingenommen haben, als sie ausgaben, waren die mahnenden Stimmen sofort zu vernehmen. Auf keinen Fall dürfe man vom Sparkurs abweichen, stellten Haushaltspolitiker der CDU/CSU-FDPKoalition klar. Deutschland müsse die Neuverschuldung weiter abbauen und zudem – wie es FDP-Haushälter Fricke formulierte – »Vorbild in Europa« sein. Tatsächlich hat das Plus in den Kassen jedoch nur sehr begrenzt mit einer angeblich ‚vorbildlichen‘ deutschen Haushaltsdisziplin zu tun. Zurückzuführen ist es vielmehr auf einen Gewinn der Sozialversicherung im ersten Halbjahr 2012 in Höhe von 11,6 Milliarden, der das Minus von Bund, Ländern und Gemein-
den mehr als ausgleicht. Dieser Überschuss hat zum einen mit der im europäischen Vergleich noch guten Konjunktur zu tun, die sowohl höhere Einnahmen wie auch geringere Ausgaben beschert hat. Gespart wurde daneben tatsächlich, wenngleich einseitig, denn der Gewinn ist auch durch Ausgaben- und Leistungskürzungen bei der Rente, der Arbeitslosenversicherung und im Gesundheitssystem begründet. Ein Blick in den Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2013 zeigt darüber hinaus, dass von Haushaltsdisziplin immer dann keine Rede sein kann, wenn es von SchwarzGelb politisch anders gewollt ist. Zwar sind im Gesamtetat Ausgabensenkungen von rund zwölf Milliarden Euro vorgesehen. Doch müssen dazu nicht alle Ministerien gleichermaßen beitragen. So sinkt zwar der Etat des Arbeits- und Sozialministeriums , ebenso wie der des Gesundheitsministeriums, weil weniger Bundeszuschüsse an die Bundesagentur für Arbeit beziehungsweise die gesetzlichen Krankenkassen notwendig sind. Mehr Geld ausgegeben wird dafür
an anderer Stelle: Am stärksten soll ausgerechnet der Haushalt des Verteidigungsministeriums steigen und dies, obwohl mit der Umstrukturierung der Bundeswehr von einer Wehrpflicht- in eine Freiwilligenarmee eine deutliche Reduzierung der Truppenstärke verbunden ist. An zweiter Stelle folgt das Bundesministerium für Bildung und Forschung, was sinnvoll scheint. Betrachtet man den Etat jedoch näher, werden hier ebenfalls die Prioritäten von Schwarz-Gelb deutlich. So werden die Ausgaben für das BAföG, das Kinder aus sozial schwächeren Familien in Schule und Studium fördert, nach den Finanzplanungen um 14,6% gekürzt. Dagegen steigen die Zahlen für das Nationale Stipendienprogramm, das auf Elitenförderung ausgerichtet ist, aber keine zusätzlichen Studierenden an die Universität holt, stark an. Auch für solche Forschung, die in dem Ressort nichts zu suchen hat, ist Geld vorhanden. 57 Millionen Euro plant das Ministerium 2013 für die Förderung von Sicherheitsforschung auszugeben, wovon zahlreiche Rüstungskonzerne
direkt profitieren. Mehreinnahmen und geringere Ausgaben verschaffen der Bundesregierung einen Spielraum, den sie gerne nutzt. Das ist nicht zu kritisieren. Zu kritisieren sind die falschen Schwerpunkte, die SchwarzGelb einmal mehr setzt. DIE LINKE weist seit Jahren auf die chronische Unterfinanzierung im Arbeits- und Sozialbereich, im Gesundheitsbereich oder beim BAföG hin. Das Argument, es sei kein Geld vorhanden, um dagegen anzugehen, reicht jedenfalls nicht aus. Michael Leutert, MdB, Mitglied des Haushaltsausschusses
2012 die Mieten- und wohnungspolitische Offensive gestartet. Wir wollen u.a. die Mieten deckeln durch eine Mietobergrenze. Um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, fordern wir die Wiederbelebung des kaputt geschrumpften sozialen Wohnungsbaus. Der Bund darf sich hier nicht aus der Verantwortung stehlen. Zwar wurde 2007 im Zuge der Föderalismusreform die soziale Wohnraumförderung vollständig auf die Länder übertragen. Diese erfüllen die Aufgabe aber offensichtlich unzureichend. Die Wiedereinführung von Bundesfinanzhilfen für den sozialen Wohnungsbau ist daher angesichts der dramatischen Zahlen dringend notwendig. Insbesondere eine Unterstützung der Städte und Gemeinden bei Erhalt und Ausbau kommunaler Wohnungen steht nun auf der Tagesordnung. Der Verdrängung insbesondere ärmerer Schichten in Ballungsräumen und der damit verbundene soziale Entmischung vor allem attraktiver Wohnlagen müssen vor allem die Kommunen entgegen wirken können, die letztendlich über die genaueste Kenntnis der Problemlagen verfügen. Caren Lay
Internationaler Austausch… ist eine sinnvolle Sache. Man lernt sich kennen, kann Vorurteile abbauen und von den Erfahrungen des anderen profitieren. Es sind allerdings sehr spezielle Erfahrungen, die das Bundesinnenministerium den Kollegen im diktatorisch regierten Weißrussland vermittelt hat. Über mehrere Jahre durften weißrussische Sicherheitskräfte bei der deutschen Polizei lernen, wie man sich missliebige Demonstranten vom Leibe hält. Damit es nicht nur bei der grauen Theorie bleibt, konnten die weißrussischen Gäste bei den Einsätzen zum Castor-Transport 2010 und der Blockade gegen Nazis in Dresden 2011 zuschauen. Quasi als Andenken wurden zudem deutsche Schlagstöcke nach Minsk geliefert. Gelegenheit zum Ausprobieren besteht womöglich bald. Am 23. September sind Wahlen. Proteste gegen Manipulationen wurden das letzte Mal brutal unterdrückt. Michael Leutert
Geschichte
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Der sächsische Robin Hood
Gedanken des Stülpner‘s der Neuzeit zum 250. Geburtstag seines Vorfahren Der erzgebirgische Volksheld Karl Stülpner, bekannt als Wildschütz und »sächsischer Robin Hood«, wird in diesen Tagen 250 Jahre alt. Das Andenken an den ebenso berühmten wie umstrittenen Erzgebirger wach zu halten, hat sich Ralph Görner aus Zschopau zur Aufgabe gemacht. Wer den Stülpner-Imitator und –Forscher auf der Burg Scharfenstein besucht, erfährt Sagenumwobenes und Sagenhaftes aus dem schillernden Leben des »Stülpner Karl«. Für »Links!« hat er seine Gedanken zum 250. Geburtstag seiner Ikone niedergeschrieben. Am 30. August 1762 wurde Karl Stülpner am Fuße der Burg Scharfenstein im Gänsewinkel des Ortes in einer kleinen Lehmhütte geboren. Er war der achte Sohn eines Müllerburschen und Schusters. Der Siebenjährige Krieg tobte und brachte viel Elend über das sächsische Land und das Erzgebirge. Armut und Not, Teufel und Tod waren an der Tagesordnung. Der Vater und sein Bruder sind in jungen Jahren verstorben – so war vorherzusehen, dass Karl von Anfang an zum Lebensunterhalt seiner Familie beitragen musste. Dorfschulen gab es schon, doch die waren für Karl und seine Freiheitsliebe zu eng und zu streng, deshalb
konnte er nie lesen und schreiben – die drei Kreuze sind seine und meine Markenzeichen. Seit 1964 lebe ich in Scharfenstein in enger Verbindung mit Karl Stülpner und der Burg. Bei meiner heutigen Arbeit als Burgführer ginge es ohne Schreiben und Lesen beim besten Willen nicht mehr. Viele alte Schriften muss ich heute auch in Altdeutsch lesen können, um in der Stülpner-Forschung zu arbeiten. Dafür habe ich als Burggeist 10 Jahre lang in Scharfenstein die Schulbank gedrückt, denn meine Familie wohnte zu dieser Zeit in der Burg. Was würde Karl wohl zur heutigen Zeit sagen, wenn er sehen könnte, wie heute mit ihm umgegangen wird. Im Dritten Reich galt er als Volksikone, in der DDR als volksverbundener Held – und heute wird er in die Reihe der nichtarbeitenden Bevölkerung eingeordnet (Nach dem Motto: Er hätte sich zu seiner Zeit einer anderen Arbeit zuwenden können, es ja war genug da.). Jeder kann über Stülpner, denken wie er will – aber man muss die Zeit und die damaligen Umstände sehen. Bei einer Größe von etwa 1,80-1,85 Meter war er für diese Zeit auffällig und für den Bergbau nicht geeignet. Er ist deshalb zum Einzelgänger und Wildschütz geworden. Ich kämpfe für die Figur Stülpner in der heutigen Zeit auch
manchmal gegen Windmühlenräder an. Sein 250. Geburtstag wird am 28. und 30. September 2012 auf Burg Scharfenstein im schönen Erzgebirge begangen, es wird einen historischen Markt aus dem Jahre 1800 geben; Volksmusikanten der Region, ein
Theaterstück und wissenschaftliche Foren runden das Programm ab. Die Kameraden und das Militär seiner Zeit, die sich auch so benehmen, sind nicht mehr akzeptabel. Von Gewehr- und Kanonenknall sowie Pöbelei und Rauferei ganz zu schweigen, es ist ein-
Das bis heute erhaltene Grab von Karl Stülpner in Großolbersdorf. Bild: Wikipedia
fach nicht mehr erwünscht. So ändern sich die Zeiten. Kultur und Ordnung sind wichtiger als die bittere Wahrheit der vergangenen Zeit! Die Botschafter des Erzgebirges werden vom Landrat des Erzgebirgskreises benannt, es läuft gut an. Aber die historischen Persönlichkeiten werden wieder einmal vergessen – dabei gibt es einige, wie Barbara Uthmann, Adam Ries, Karl Stülpner und viele mehr. Der Räuberhauptmann Karaseck ist schon seit Jahren Botschafter der Oberlausitz und eine feste Größe in der Tourismuswerbung. Zwar ist ein Hörbuch zu Karl Stülpner ist entstanden, woran ich auch mitgewirkt habe, und einige Gedenksteine wurden auf böhmischer und sächsischer Seite eingeweiht. Auf der Burg Scharfenstein werden Stülpner-Wanderungen und Stülpner- Sonderführungen angeboten. Die Tagespresse informiert jedoch oft falsch, das Problem liegt aber an der fehlenden Information durch die Burg Scharfenstein. Es wäre oft gut, erst einmal mit mir als Stülpner Absprache zu nehmen. Denn der Stülpner von heute hat begriffen, dass – wie in früheren Zeiten – immer noch gültig ist: Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst die niemand kann. Glück Auf! Ralph Görner (alias Karl Stülpner XXX)
Schuld. Aber Sühne? Kann es je Wiedergutmachung geben für die Opfer des größten Menschheitsverbrechens? Wohl kaum, allenfalls in Ansätzen. Durch Geld, Demut oder Entschuldigungen lässt sich kein Leben wieder erwecken, keine Familie trösten, keine Demütigung aus der Welt schaffen. Alle Opfer des Hitlerfaschismus, ganz gleich, ob sie Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Antifaschisten, Homosexuelle, »Asoziale« oder andere waren, verdienten und verdienen »Entschädigung«; mindestens muss verlorenes Vermögen ersetzt und dafür gesorgt sein, dass die Angehörigen der Ermordeten wirtschaftlich abgesichert sind. Das und die Verfolgung der Täter liegen in der Verantwortung jenes Staates, der mit dem Hitlerstaat in rechtlicher (und gar zu oft auch personeller) Kontinuität stand und steht. Die Bundesrepublik ist beiden historischen Aufgaben nicht in dem Maße gerecht geworden, wie es die Dimension der Barbarei verlangt hätte. Denn nur wenige Maßnahmen
und Gesten der Demut und der versuchten Wiedergutmachung haben historische Bekanntheit erreicht, vor allem jene, die sich auf die Opfergruppe der Jüdinnen und Juden bezogen. Das verwundert nicht, war der Antisemitismus doch, wie Victor Klemperer in seinem »LTI – Notizbuch eines Philologen« schrieb, »das Zentrum und in jeder Hinsicht das entscheidende Moment des gesamten Nazismus«. Dennoch mussten mehr als 25 Jahre vergehen, bevor sich Bundeskanzler Willy Brandt, eigentlich selbst Nazi-Opfer, offiziell vor den Opfern der deutschen Verbrechen im Ghetto von Warschau verneigte (Seine Amtsvorgänger waren dazu nicht willens gewesen; es hätte indes mindestens der Ex-NaziGröße Kiesinger gut zu Gesicht gestanden.). Weniger bekannt als der Kniefall von Warschau ist eine internationale Übereinkunft zwischen Westdeutschland und Israel sowie der Jewish Claims Conference, die die Entschädigungsansprüche jüdischer
Naziopfer vertritt. Die Unterzeichnung des als Luxemburger Abkommen (und »Wiedergutmachungsabkommen«) bekannten Vertrages jährt sich am 10. September zum sechzigsten Male. Darin verpflichtete sich die Bundesrepublik, über einen Zeitraum von 14 Jahren Geldmittel, Exportgüter und Dienstleistungen im Umfang von 3,5 Milliarden DM zur Verfügung zu stellen, um die mittellose jüdische Flüchtlinge aus ehemaligen deutschen Besatzungsgebieten zu unterstützen, die sich im jungen Israel niederließen, und außerdem verlorene Vermögenswerte zu ersetzen. Die Entschädigung war mithin lediglich eine indirekte und von geringer Quantität, wenngleich das Volumen des Bundeshaushalts im Jahr 1953 kaum die 25-MilliardenMarke überstieg. Außerdem erklärte sich die Bundesrepublik bereit, weitere 450 Millionen DM an Verbände zu zahlen, die jüdische Opfer außerhalb Israels vertraten. Die Abstimmung im Deutschen Bundestag im März
1953 ergab nur eine knappe Mehrheit für den Vertrag; 239 von 402 Abgeordneten votierten dafür, darunter die gesamte SPD-Fraktion. Große Teile der CDU/CSU verweigerten sich, darunter auch Franz-Josef Strauß; ein viel bemühtes Argument bestand darin, dass das Abkommen die Beziehungen zu den arabischen Staaten gefährden könne. Wenn schon die Wahrhaftigkeit solcher Äußerungen kaum beurteilt werden kann, so zeugen sie doch jedenfalls von einer bezeichnenden Prioritätensetzung. Während sich das Parlament letztendlich doch mehrheitlich für das Abkommen entschied, ergaben demoskopische Befragungen des Allenbacher Instituts, dass nur ein Zehntel der Bevölkerung das Abkommen vorbehaltsfrei unterstützte. In Israel lösten die Verhandlungen scharfe Auseinandersetzungen aus; Oppositionspolitiker wie Menachem Begin verwahrten sich dagegen, auch nur den Eindruck zu erzeugen, Deutschland könne
sich von seiner Schuld freikaufen. Direkte Verhandlungen kämen daher nicht in Frage; die Alliierten übernahmen allerdings nicht die Mittlerrolle, sodass der israelischen Regierung unter David Ben Gurion nur der Weg unmittelbarer Verhandlungen blieb, um die gewaltige finanzielle Last der Flüchtlingsaufnahme bewältigen zu können. Eine Wiedergutmachung vermochte das Abkommen jedenfalls kaum zu leisten. Umso wichtiger wäre es gewesen, in den Dekaden nach dem Kriege die Verbrecher konsequent zur Rechenschaft zu ziehen und den wenigen Überlebenden zu zeigen, dass man sich wenigstens bemühte, ihr Leid zu sühnen. Es ist bekannt, dass die Nachkriegsgeschichte gravierend anders verlief, und so ist es für die allermeisten Hinterbliebenen schon zu spät. Diese traurige Gewissheit wird Deutschland mit Fug und Recht ebenso ewig anhaften wie die Schuld an millionenfachem Tod. Kevin Reißig
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Leipzig, 10. September, 20 Uhr, Wenn man mich einmal rühmen wird….. Hanns Eisler: Fragen Sie mehr über Brecht Eine Multimediashow mit Sabine Berendse und Paul Clements in Englischer Sprache Mit Unterstützung der RosaLuxemburg-Stiftung Sachsen e.V. Ratstonne, Moritzbastei, Universitätsstraße 9, 04109 Leipzig Dresden, 11. September, 18 Uhr, Reihe: JUNGE ROSA Parlamentarismus vs. Außerparlamentarismus Mit Heiko Hilker, Medienberater und ehemaliger Landtagsabgeordneter Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 11. September, 20 Uhr, Wenn man mich einmal rühmen wird….. Johann Faustus – Ein Opernlibretto von Hanns Eisler Gesang: Ines A. Krautwurst, Sprecher: Wolfgang Schmidt, Klavier: Stephan König Mit Unterstützung der RosaLuxemburg-Stiftung Sachsen e.V. Teilnahmebeitrag 15,- €, ermäßigt 10,- € Veranstaltungstonne, Moritzbastei, Universitätsstraße 9, 04109 Leipzig Leipzig, 13. September, 18 Uhr, Midissage der Ausstellung »Ein Mann träumt vom Tanzen« »Vermächtnis einer Tänzerin« Ein Videovortrag über die israelische Tänzerin Jardena Cohen Mit Michael Touma, toumaarts Leipzig Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Dresden, 19. September, 19 Uhr Lesung »Kriegsverrat. Vergangenheitspolitik in Deutschland« Mit Jan Korte, datenschutzpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bun-
Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dres-
Rosa-Luxemburg-Stiftung
Termine
destag Kooperationspartner: VVN BdA Sachsen WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden »Über vier Jahre debattierte der Bundestag in der vergangenen Legislaturperiode über die Rehabilitierung sogenannter Kriegsverräter. Dabei verweigerten sich zu Beginn der Debatte nicht nur konservative Kreise der Benennung der NS-Militärgerichtsbarkeit als das, was sie war: blutiges NS-Unrecht. Jan Korte und Dominic Heilig haben ihre Erfahrungen mit Koalitions- und Fraktionsdiziplin, dem Zusammenspiel von Medien und Politik, der Aufarbeitung der deutschen NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik und der Durchsetzungsfähigkeit der LINKEN in dem Buch zusammengetragen.« Quelle: buchredaktion.de Jan Korte stellt das Buch »Kriegsverräter« vor. Er selbst setzt sich seit Jahren für die vollständige Rehabilitierung von Deserteuren aus der faschistischen Wehrmacht im 2. Weltkrieg ein und will die Leistung der Verweigerer des Völkermordes durch das Nazi-Deutschland würdigen. Chemnitz, 19. September, 18 Uhr Vortrag und Diskussion „Mit Stolz blicken die Chemnitzer auf das Erreichte“ - Zum Chemnitzer Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands von 1912 Mit Dr. sc. Karlheinz Schaller, Chemnitz Rothaus e.V., Lohstraße 2, 09111 Chemnitz Chemnitz, 22. September, 12-18 Uhr Interkulturelle Wochen in Chemnitz – Auftaktveranstaltung u.a. mit Chemnitzer Schulen und Vereinen Die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen fördert die Eröffnungsveranstaltung der Interkulturellen Wochen in Chemnitz. Neumarkt, 09111 Chemnitz Leipzig, 25. September, den Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer
18 Uhr Reihe: Luxemburg in Schönefeld Metropolregion statt Kleinstaaterei - Leipzigs Zukunft in Mitteldeutschland Mit Wolfgang Denecke, Leiter des Arbeitskreises Wirtschaft, Arbeit, Finanzen der Linksfraktion im Leipziger Stadtrat Bürgerbüro MdB Dr. Barbara Höll/MdL Dr. Monika Runge, Gorkistraße 120, 04347 Leipzig Leipzig, 26. September, 18 Uhr Podiumsgespräch Erwin Strittmatters „Nachrichten aus meinem Leben“ - Ein Nachtrag zu seinem 100. Geburtstag Mit Prof. Dr. Klaus Schuhmann, Prof. Dr. Horst Nalewski und Prof. Dr. Manfred Neuhaus Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Dresden, 26. September, 19Uhr Vortrag und Diskussion Interkulturelle Tage 100 Jahre ANC - Wie sich Südafrika verändert hat Mit Gerd-Rüdiger Stephan, ehemaliger Büroleiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kapstadt WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 27. September, 18.30 Uhr Reihe: Rosa L. in Grünau Grundeinkommen in der Diskussion Mit Ronald Blaschke, Berlin Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04207 Leipzig Leipzig, 29. September, ab 11 Uhr Workshop Israel und Palästina: Zionismus und Nakba. Zwei Narrative, die einander ausschließen? Mit Dr. Salvador Oberhaus, Historiker, Regionalmitarbeiter der RLS Rheinland-Pfalz; Dr. Marcus Hawel, Soziologe, Referent für Bildungs-
Auflage von 18000 Exemplaren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig, Rico Schubert (V.i.S.d.P.) Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84 38 9773 Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Redaktionschluß: 5.9.2012 Die nächste Ausgabe er-
politik der RLS und Asaf Angermann, Philosoph, Promotionsstipendiat der RosaLuxemburg-Stiftung Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Wir bitte um eine Anmeldung unter info@rosalux-sachsen. de oder Tel: 0341-9608531 Israel und Palästina: Zionismus und Nakba Zwei Narrative, die einander ausschließen? Workshop I zur Geschichte des Nahostkonflikts im Rahmen des RLS-Bildungsmoduls «Linke Perspektiven auf den Nahostkonflikt» In der Geschichtswissenschaft beschreibt der Begriff der Meistererzählung (Masternarrative) den Prozess der Konstruktion sozialer, politischer, kultureller und besonders nationaler Identitäten. Es handelt sich um die großen, zusammenhängenden und auf den Nationalstaat orientierten Darstellungen von Historie zum Zwecke ihres öffentlichen Gebrauchs. Auf diese Weise bestimmen Meistererzählungen die öffentlichen Debatten wie auch die Ausrichtung der Staatsräson – sie stellen gleichsam eine Legitimationsgrundlage für vergangenes, gegenwärtiges und zukünftiges Handeln her. Für Israel und Palästina kommen zwei und mit der deutschen Perspektive sogar drei, zueinander in Bezug stehende aber wenig kommensurable und konfliktäre Masternarrative in Betracht. Diese Masternarrative bilden die Matrix für die Wahrnehmung des Nahostkonflikts auch in der deutschen Linken. Die Veranstaltung will die Konstruktionen der konkurrierenden israelischen und palästinensischen Masternarrative in ihrer Entstehung, Entwicklung und Bedeutung nachzeichnen und analysieren und auf diese Weise einen Beitrag zu einer sachlich-kritischen Debattenkultur leisten.
scheint am 27.9.2012. Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand. Abo-Service 0351-84389773 Konto: KontoNr. 3491101007, BLZ 85090000, Dresdner Volksbank Internet www.links-sachsen.de
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PROGRAMM I: Kurzfilm als Diskussionsgrundlage 11:00–12:30 Uhr «Eretz Nehederet» (Wundervolles Land) Antizionismus in Israel – Gespräche über Identität Ein Film von Daniel Ziehten. 75 min. Hebräisch/Englisch mit deutschen Untertiteln. Mittagspause von 12:3013:30 Uhr II: Geschichtserzählungen sind aus Interessen und Befindlichkeiten konstruiert 13:30–15:00 Uhr Impulsvortrag: Dr. Marcus Hawel (Soziologe, Referent für Bildungspolitik der RLS) Gemeinsame Diskussion: Israel und Palästina: Zionismus und Nakba. Zwei Narrative, die einander ausschließen? III: Zur Vor- und Frühgeschichte des Nahostkonflikts 15:00-16:30 Uhr Impulsvortrag: Dr. Salvador Oberhaus (Historiker, Regionalmitarbeiter der RLS RheinlandPfalz) Gemeinsame Diskussion Kaffee und Kuchen - 16:3017:00 Uhr IV: Das israelische und palästinensische Masternarrative im Wandel: 17:00-18:30 Uhr Zum Zionismus als Staatsräson Israels und der verhinderten Staatsgründung Palästinas Vortrag: Asaf Angermann Gemeinsame Diskussion Leipzig, 11. und 13. Oktober RLK Neue Eliten. Vom Wandel der Wissenschaftswelten und Prekarisierungsprozessen 11. Oktober, 19 bis 21 Uhr HIGHTECH-KAPITALISMUS IN DER GROSSEN KRISE Mit Prof. Dr. Wolfgang Fritz Haug Uni, Hörsaalgebäude 13. Oktober, 11 bis 18.30 Uhr Neue Eliten. Vom Wandel der Wissenschaftswelten und Prekarisierungsprozessen Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Teilnahmebeitrag (Sonnabend):10 Euro, ermäßigt 5 Euro (z. B. für Studierende, InhaberInnen eines Sozialpasses o. ä.)(inkl. Pausenversorgung)
Rezensionen
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Her mit den Dissidenten!
Film Vom 23. August bis 24. Oktober 2012 findet bereits zum achten Mal die globaLE in Leipzig statt. Die Reihe ist eine Initiative von attac Leipzig und wird von verschiedenen BündnispartnerInnen, etwa der Rosa-Luxemburg-Stiftung oder dem DGB, unterstützt. Es ist ein politisches Filmfestival, bei dem es darum geht, die globalen Auswirkungen des Neoliberalismus und der kapitalistischen Ökonomie zu dokumentieren. Gerade das Medium Film schafft dabei mit seinem direkten, sinnlichen Ansatz einen ganz besonderen Zugang zur globalen Wirklichkeit. In den gezeigten Werken geht es aber auch darum, Widerstandsformen gegen Ausbeutung und Ausgrenzung aufzuzeigen und zu vermitteln, wie Menschen ihren Mut, ihre Würde und ihre Hoffnung in diesem Kampf bewahren. Mit der globaLE werden the-
zu sein; schließlich eckte auch sie an, kündigte 1981 beim Magazin Prisma, »um nicht die Selbstachtung zu verlieren«. 1989 gehörte sie in Leipzig zu den Mitbegründern des »Demokratischen Aufbruchs (DA)«. Roter Faden des Buches ist die faktenreich belegte Folgerung, der Kapitalismus habe nur deshalb jahrzehntelang ein vergleichsweise menschliches Antlitz besessen, weil die Existenz des Ostblocks ihn dazu zwang. Nachdem der Sozialismus oder das, was sich als solcher bezeichnete, als Korrektiv der Ausbeutung und Unterdrückung (vorerst) weggefallen war, zeigte der Westen seine wahren Wesensmerkmale. Die Marktwirtschaft wurde von der Kette gelassen, der Privatisierungwahn überzog das Land und kehrte eine Volkswirtschaft hinweg, die bei weitem nicht so marode war, wie sie heute dargestellt wird. Die Abwicklung war total, sie traf nicht nur Betriebe, sondern auch viele hoch produktive LPG, sogar die Kultur. Begleitet wurde dieser Prozess von der erbarmungslosen Delegitimierung des Vergangenen, auch unter Nutzung offensichtlich unwahrer Behauptungen. Interessant sind auch Dahns Bemerkungen zur (notwendigen!) juristischen Aufarbeitung von DDR-Unrecht, deren Betrachtung allein schon ausreicht, um die infame staatsdoktrinäre Gleichsetzung der DDR mit dem faschistischen
Deutschland hinwegzufegen. Ungeachtet der monströsen Unterschiedlichkeit der Verbrechen in diesen beiden Zeitabschnitten legte die bundesdeutsche Justiz nach 1990 ungleich mehr Verfolgungseifer an den Tag als nach dem Kriege. Der Leser erfährt Erstaunliches: »Beide Diktaturen haben keinen einzigen identischen Anklagepunkt hinterlassen«. Es gab nach 1989 kein einziges Urteil wegen Schwerstverbrechen wie Folter oder Mord; die dem MfS zur Last gelegten Delikte spielten »keine zentrale Rolle«. Von den 100.000 Personen, gegen die Ermittlungsverfahren liefen, mussten nur 46 hinter Gitter; die allermeisten nicht länger als zwei Jahre. Auch dem Angriffskrieg in Jugoslawien, in den sich der Westen »hineingelogen« und durch den er »seine Unschuld verloren« hat, widmet die Autorin ein Kapitel. Das Werk schließt in ernster Sorge um den Fortbestand der Demokratie mit einem Plädoyer für eine sozialistische Wirtschaftsordnung, die dem Grundgesetz deutlich besser zur Geltung verhelfen könnte als jede Form von (Finanz-)Kapitalismus. An Gegenentwürfen mangele es nicht, wohl aber an Dissidenten. Daniela Dahn hat ein ehrliches Buch vorgelegt. Angenehm sachlich beschreibt sie Leistungen und Verbrechen beider »wie Yin und Yang« ineinander verwobener Blöcke und erklärt, warum der Weg-
fall der Systemkonfrontation auch dem Westen gravierende Probleme bescherte. »Wehe dem Sieger« ist wertvoll im Kampf um die Deutungshoheit über die Lebensgeschichte der Ostdeutschen, dem sich Linke unverändert stellen müssen – nicht nur, weil es um ihre eigene politische Glaubwürdigkeit geht. Das Buch gehört sicherlich zu den differenzierendsten Publikationen, die bisher zum Thema erschienen sind; es urteilt streng, doch nur da, wo ein solches Verdikt berechtigt ist. Dabei lässt es nie den Res-
globaLE: Das globalisierungskritische Filmfestival in Leipzig matische Filme, hauptsächlich Dokumentationen, einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. Unterstützt wird das ganze durch Diskussionen mit interessanten GesprächspartnerInnen, AktivistInnen und RegisseurInnen. In diesem Jahr wird das Konzept der Veranstaltungsreihe dadurch erweitert, dass das Kino im Spätsommer in den öffentlichen Raum gehen wird und die Filme in Parks vorgeführt werden sollen. Damit sollen Diskussion angestoßen weden, um ein breiteres Publikum zu interessieren, zu informieren und für linke Positionen zu öffnen. Ziel des Projekts globaLE´12 ist es, der interessierten Öffentlichkeit einen Überblick über die negativen Aspekte neoliberaler Globalisierung zu geben sowie über die viel-
fältigen Organisationen, Initiativen und Aktionsformen, die sich dieser Entwicklung innovativ und mutig gegenüberstellen. Wir erwarten davon auch Synergie-Effekte. Das Publikum soll ins Gespräch kommen, Kooperationspartner sollen einander finden und neue Bündnisse und Aktionen daraus entstehen. Der Eintritt ist frei. Mike Nagler Die Webseite: www.globaleleipzig.de Programm: Donnerstag, 23. August 20 Uhr, „Residenzpflicht“ (D 2012) Clara-Zetkin-Park, Wiese zwischen Glashaus und Sachsenbrücke Donnerstag, 30. August
pekt vor dem Leben der DDRBürgerinnen und -Bürger vermissen – ganz anders als viele Äußerungen Anderer, denen dazu die Größe fehlt und die so die deutsche Teilung auch 22 Jahre nach dem Beitritt konservieren. Das Buch tut gut – und hilft, die Lust auf kulturvolle Geschichtspolitik zu bewahren. Kevin Reißig Daniela Dahn: Wehe dem Sieger! Ohne Osten kein Westen. Rowohlt, 4. Auflage, gebunden. 304 Seiten, 18,90 Euro
Pyrhhus-Ny Carlsberg Glyptotek, Copenhagen
Es schiene nachvollziehbar, wenn Linke und LINKE langsam die Lust an Auseinandersetzungen über die DDR verlören. Schließlich ist eine defensive Debattenposition unausweichlich und sachliches Argumentieren nur schwer möglich. Die eine Wahrheit gibt es nicht, und das ist auch gut so. Man sollte keinen Anspruch auf sie erheben, auch dann nicht, wenn man Gauck, Lengsfeld, Baring oder Knabe heißt. Bei Daniela Dahn kommen Zweifel daran, dass sie dieser Verlockung widersteht, gar nicht erst auf. Das stellt sie gleich zu Beginn ihres jüngsten Buches »Wehe dem Sieger – ohne Osten kein Westen« klar: »Dies ist das Buch des Zweifels«, schließt ihr Vorwort, in klarer Abgrenzung zum sich selbst so bezeichnenden »Buch der Wahrheit« Weltall – Erde – Mensch, das DDRJugendweihlinge in den 60er Jahren überreicht bekamen. Zeiten ändern sich, Menschen auch, wenngleich die Autorin das wohl weniger nötig hatte als viele ihrer Zeitgenossen. Dahn, 1949 in Berlin geboren, malt ihr Land nicht weiß, nicht schwarz, sondern wahrheitsgemäß grau – im übertragenen Sinne, versteht sich. Das hat sie vielen voraus, die Fakten zur historischen Bewertung der DDR einzig so selektieren und darstellen, wie es ihnen politisch opportun erscheint. Dabei ist Dahn über jeden Verdacht erhaben, unkritische Verteidigerin der SED-Politik
20 Uhr, „Die Yes Men regeln die Welt“ (F/GB/USA 2009) Clara-Zetkin-Park, Wiese zwischen Glashaus und Sachsenbrücke Donnerstag, 6. September 20 Uhr, „Let‘s make money“ (A 2008) Clara-Zetkin-Park, Wiese zwischen Glashaus und Sachsenbrücke Freitag, 14. September 18 Uhr, „Voices of transition“ (F/D 2010, OmU) und 20 Uhr, „In transition 2.0“ (GB 2011, OmU), Querbeet, Hermann-Liebmann-Straße 17-19 Dienstag, 18. September 20 Uhr, „Debtocracy - Griechenland im Würgegriff der Schulden“ (GR 2011, OmU) Schaubühne Lindenfels, Karl-Heine-Straße 50
Mittwoch, 26. September 2012: 20 Uhr, „Der Standpunkt des Löwen“ (SEN 2011, OmU) Kinobar Prager Frühling, Bernhard-Göring-Straße 152 Mittwoch, 03. Oktober 20 Uhr, „Der große Ausverkauf“ (D 2007) UT Connewitz, Wolfgang-Heinze-Straße 12a Mittwoch, 10. Oktober 20 Uhr, „Catastroika“ (GR 2012, OmU) UT Connewitz, Wolfgang-Heinze-Straße 12a Mittwoch, 17. Oktober 20 Uhr, „Plastic planet“ (D 2009) Cineding, Karl-Heine-Straße 83 Mittwoch, 24. Oktober 20 Uhr „China blue“ (USA 2005) Kinobar Prager Frühling, Bernhard-Göring-Straße 152
Kultur
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Heiter, scharf, revolutionär : Ernst Busch sympathisch unbequem
Ernst Busch erblickte am 22. Januar 1900 als Sohn eines Maurers in Kiel das Licht dieser Welt. Mit fünfzehn erlernte er den Beruf des Werkzeugmachers und arbeitete dann in einer Werft. Schon bald begann er, sich politisch zu engagieren, und trat in die sozialistische Arbeiterjugend ein. Er wurde Mitglied der SPD, wechselte jedoch später zur USPD. Sein Talent für das Schauspiel und den Gesang wurde bereits sehr früh entdeckt. Im Alter von einundzwanzig Jahren bekam er ein Engagement am Kieler Theater, an dem auch Gustaf Gründgens zugegen war. 1927 zog es ihn nach Berlin, wo er Bertolt Brecht, Paul Dessau und auch Hanns Eisler kennen lernte, die er durch seine Aura als Schauspieler und Gesangsinterpret sehr beeindruckte. So blieb es nicht aus, dass er erste Filmrollen bekam als Moritatensänger in der Dreigroschenoper und in dem bekannten Spielfilm »Kuhle Wampe«. Dem Bretttheater blieb er jedoch weiter treu und sang die Songs von Tucholsky, Brecht, Mehring und Wedekind, die hauptsächlich von Hanns Eisler vertont wurden, und auch die Lieder der Arbeiterbewegung. Nach Hitlers‘ Machtübernahme emigrierte er nach Belgien, dann in die Schweiz und letzt-
Musik Am Ende waren es zwei Jahre Strafkolonie, und damit zumindest ein Jahr unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Berufung seitens der Verteidigung ist dabei noch möglich. Die Tatsache, dass einige von ihnen Kinder haben, ein gutes Führungszeugnis und eine positive Sozialprognose, soll zu diesem vergleichsweise milden Urteil geführt haben. Schließlich ist die ausführende Richterin nicht dafür bekannt, unter das geforderte Maß zu weichen. Jedenfalls nicht oft. Bewährung wurde dabei aber ausgeschlossen, soll das Urteil doch auch abschreckend wirken. Vielleicht auch abschreckend für die zahlreichen Demonstranten außerhalb des Gerichts. Sympathisanten und Gegner von Pussy Riot versammelten sich da; wer die bunte Maske als Zeichen der Solidarität überzog, wurde gleich verhaftet. Auch die ankommende Oppositionsprominenz, in personam Schachgroßmeister Garri
endlich kam er in die Sowjetunion. 1937 ging er nach Spanien, um die internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg mit seinen Liedern zu ermutigen. Als er nach Belgien zurückkehrte, war das Land bereits von der deutschen Wehrmacht besetzt und die Verhaftung durch die Gestapo ließ nicht lange auf sich warten. Man verurteilte ihn wegen »Hochverrats«, und nur dem Einfluss Gustaf Gründgens auf die Behörde war es zu verdanken, dass das zu erwartende Todesurteil in eine langjährige Haftstrafe umgewandelt wurde. 1945, nach der Befreiung durch die sowjetischen Truppen, setzte Ernst Busch seine Arbeit als Charakterdarsteller im deutschen Theater und am Berliner Ensemble fort und arbeitete auch weiter als politischer Sänger. Doch alsbald erwies es sich, dass sein Repertoire nicht den stalinistischen Normen der Ulbricht-Ära entsprach. Hinzu kam, dass er als leidenschaftliches KPD-Mitglied Probleme hatte, sich in der SED wiederzufinden. So durfte er nur die Lieder vortragen, die für die jeweiligen Theateraufführungen auserkoren waren. Das kam – im Grunde genommen – einem Auftrittsverbot gleich. Ab 1960 betrat er keine Bühne mehr.
Allein die Schallplattenfirma »Aurora«, die in der DDR eine außergewöhnliche Autonomie als selbstständiges Label der Akademie der Künste genießen durfte – die Plattencovergestaltung unterschied sich enorm vom staatlichen Schallplattenverlag Amiga, durch aufwendig-niveauvolles grafisches Design mit mehrseitigem Textheft –. ermöglichte es, dass Ernst Busch zwischen 1963 und 1976 cir-
ca 200 Lieder einsingen und veröffentlichen konnte. Danke Aurora!!! Abgesehen von den 18 EPs erschienen als LP: »An die Nachgeborenen« (Busch singt Brecht), »Wenn die Lichter nicht mehr brennen« (Legenden und Lieder), »Rosen auf den Weg gestreut« (Busch singt Tucholsky), »Heute zwischen gestern und morgen« (Busch singt Tucholsky), »Nur auf die Minute kommt es an« (Originalaufnahmen 1931 bis
1938), »No, Susanna« (Originalaufnahmen von 1945). Am beliebtesten waren seine Lieder aus den spanischen Bürgerkrieg: »Das Lied der Jaramafront«, »Spaniens‘ Himmel breitet seine Sterne« oder »Das Lied der internationalen Brigaden«. Auf einer Plattenhülle von 1977 steht folgendes Zitat über Ernst Buschs‘ gesangliche Qualität: »Will man nicht die Worte wiederholen, mit den Ernst Busch in vielen Sprachen hundertmal gepriesen wurde – hinreißend, brennend, unsentimental, stürmisch, unbestechlich, revolutionär, heiter, scharf, populär, präzise, metallisch, kompromisslos, souverän, kämpferisch und so weiter – müsste man sich ganz seltene Vokabeln einfallen lassen, um seine Wirkung neu beschreiben zu können.« Und Hanns Eisler über Ernst Busch: »Er ist wirklich ein genialer Sänger, da gibt es keinen in Ost und West, der ihm das Wasser reichen kann. Da ziehe ich meinen Hut. Es gibt keinen Menschen auf der ganzen Welt, der diese Lieder besser singen kann, nämlich weil er sie versteht«. Ernst Busch verstarb am 8. Juni 1980. Seine Grabstätte befindet sich auf einem Friedhof im Berliner Stadtteil Pankow. Jens-Paul Wollenberg
Gnade zu bitten. Der wiederum musste genau einmal in der Öffentlichkeit zurückrudern, als er behauptete, bei seinem Gespräch mit dem englischen Premier David Cameron hätte Pussy Riot keine Rolle gespielt. Cameron widersprach: Pussy Riot sei sehr wohl Thema gewesen und Putin habe diktiert, dass er für ein mildes Strafmaß sei, die U-Haft könnte Strafe genug sein. Gewissermaßen ist das Strafmaß auch mild, legt man zumindest ande-
re Prozesse von Richterin Syrowa zugrunde. Das Ganze ist als Warnschuss zu verstehen. Die ersten 100 Tage von Putins erneuter Ministerpräsidentschaft sind durch härtere Daumenschrauben geprägt. Es gilt nun auch die anstehenden Prozesse gegen die verhafteten Sympathisanten von Pussy Riot zu beobachten. Rechtzeitig zur Urteilsverkündung luden die verbleibenden Mitglieder der Band ein neues Stück ins Netz:��Putin entzün-
Freiheit für Pussy Riot! Kasparow und Linksfrontanführer Sergej Udaltsow, wurde »eingezogen«. In vielen Städten außerhalb Russlands, Berlin, Paris und London zum Beispiel gab es Solidaritätsaktionen. Aber auch landesweit in Russland wurden kleine Kundgebungen abgehalten, zum Beispiel in Murmansk, wo Aktivisten aus dem Bürgerrechtsund Umweltumfeld während der Verhandlung auf dem zentralen Platz in der Innenstadt protestierten. Mit Eiern wurden sie später beworfen, und überhaupt: Es ist nicht einfacher geworden in Russland, sich spontan zu versammeln. Neben all den neuen Gesetzen, der nun möglichen Internetzensur, dem Anti-NGO-Gesetz, das Nichtregierungsorganisationen, die vom Ausland finanziell unterstützt werden, als ausländische Agenten abstempelt, oder auch dem Anti-Homosexualitätsgesetz, ist das Versammeln unter freiem Himmel ohne korrekte Anmeldung nun strafbe-
wehrt. Nadeschda Tolokonnikowa, Jekaterina Samuzewitsch und Marija Aljochina wurden des Hooliganismus, also des Rowdytums angeklagt. Schuldig aufgrund des Paragrafen 213, der sattsam bekannt ist – auch wenn Neonazis auf Migranten oder alternative Jugendliche losgehen, wird das stets als Rowdytum gewertet. Dabei hatte die feministische Punkband Pussy Riot, am 21. Februar 2012 in der Christ-ErlöserKathedrale in Moskau lediglich ein sogenanntes Punkgebet gesungen: »Mutter Gottes, Jungfrau, vertreibe Putin. Der Chef des KGB ist ihr oberster Heiliger – Führt die Protestierer bewacht in Haft – Um den Heiligsten nicht zu betrüben, müssen Frauen gebären und lieben – Göttlicher Dreck, Dreck, Dreck«, hieß es da unter anderem. Die Strafe ist vielleicht noch anfechtbar, wobei die drei eines schon im Vorhinein ausgeschlossen haben: Putin um