Links! Ausgabe 10/2012

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Gottes eigenes Land

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Oktober 2012

Jede und jeder weiß, das sind die USA. Deshalb haben sie das nicht verdient, was jetzt möglicherweise auf sie zukommen könnte. Der Filmschauspieler Chuck Norris hat das Unglaubliche ausgesprochen: Gewinnt Barack Hussein (!) Obama ein zweites Mal die Präsidentschaftswahlen in den USA, dann bricht in den USA der Sozialismus aus. Der Sozialismus! Und tausend Jahre der Finsternis würden dem folgen. Man kann es hören und sehen, auf Youtube, wie Chuck Norris und seine Frau das gesagt haben und die US-Amerikaner und Amerikanerinnen anflehten, deshalb den Republikaner Mitt Romney zu wählen. Ich will mich nicht einmischen in den Wahlkampf der USA. Da gilt für mich immer noch, was einst der Botschafter der Sowjetunion in der DDR, Pjotr Andrejewitsch Abrassimow, zur Präsidentenwahl in den USA gesagt hat. Auf die Frage, ob denn Ronald Reagan oder Jimmy Carter der bessere Präsident der USA wäre, hat er geantwortet, das sei egal. Gut wäre nur, dass es nicht beide werden könnten. Das ist doch zumindest originell. Mit Erich Honeckers Vorstellungen vom Sozialismus hatte Abrassimow allerdings so seine Probleme und wurde deshalb nach Moskau zurückgerufen. Immerhin hatte er aber zuvor dafür gesorgt, dass das so genannte »Viermächte-Abkommen« über Berlin unter Dach und Fach kam. Aber ich schweife ab. Chuck Norris ist nicht irgendwer. Der muss schon wissen, was da so auf Gottes eigenes Land zukommen könnte. Schließlich hat er schon in den Achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts für sein Land gekämpft. Erst gegen die kommunistischen Vietcong, dann gegen Invasoren aus dem damaligen Ostblock und schließlich noch gegen arabische Terroristen. Man kann nicht direkt sagen, dass er bei seinen Heldentaten gefilmt wurde. Aber verfilmt wurden sie schon. Also, richtig gesagt, er spielte die Helden in den entsprechenden Filmen, ohne ein solcher wirklich gewesen zu sein. Es muss uns jetzt nicht interessieren, dass die Republikaner noch 2008 mit McCain einen Kandidaten hatten, der wirklich in Vietnam gekämpft hat und vom Vietcong sogar gefangen

genommen wurde. Ich hingegen muss zugeben, dass ich das mit Chuck Norris‘ Filmen nur nachgelesen habe. Die Filme durfte ich nie sehen. Das hat die Zensur der DDR verhindert, in der ich damals lebte. Kein Wunder, dass sie das tat, denn sie war ja sozusagen ein Teil des »Reiches des Bösen«, wie Ronald Reagan damals die Sowjetunion nannte. Diese DDR stand auch auf Seiten der Nordvietnamesen, die sich gegen die USA wehrten, weil die sie in die »Steinzeit bomben« wollten, wie sich ein amerikanischer General unumwunden zum Kriegsziel bekannte. Zur »Achse des Bösen« konnte später George W. Bush diese DDR freilich nicht mehr zählen. Es war zu vielen im Volk der DDR aufgefallen, dass »alles mit dem Volk, alles für das Volk, alles durch das Volk« vielleicht doch anders gehen müsste als von der SED und ihren Blockfreundinnen und -freunden als »real existierender Sozialismus« praktiziert. Es blieben für die »Achse des Bösen« nur mehr Nordkorea, der Iran und der Irak übrig. Im Irak ist von den USA mittlerweile gründlich aufgeräumt worden. In Afghanistan hat man den Platz der früheren Sowjetunion eingenommen. Anderes steht uns wohl noch bevor. Da ist Obama ja auch kein Waisenknabe. Unter dem Schutz des Friedensnobelpreises macht er der »Freien Welt« die Schwerarbeit und erntet keinen Dank – nicht in Afghanistan, nicht in Libyen oder Ägypten oder sonst wo. Vielleicht zeigen sich die Japanerinnen und Japaner dankbarer? Denen hat Obama den vom Bündnis geforderten militärischen Beistand vor kurzem erst garantiert, wenn es China wagen würde, seinen Anspruch auf die umstrittene Inselgruppe Senkaku mit Gewalt durchzusetzen. Gewagt, gewagt! Doch »Yes we can« hat Barack Obama vor vier Jahren gerufen. Manches, was zu können er mittlerweile bewiesen hat, hatte man ihm damals nicht zugetraut, ja, wollten seine Wählerinnen und Wähler gar nicht, dass er es konnte. Für manches braucht er noch Zeit, sagt er jetzt. Auf jeden Fall hat dieser Teufel gegen scharfen republikanischen Widerstand jeder Bürgerin und jedem Bürger der USA eine Krankenversicherung aufgezwungen. Chuck Norris hat Recht: Hier dräuen Sozialismus und finstere Jahre am Horizont. Und Bismarck war der größte Sozialist auf dieser Erde, die eine Scheibe ist.


Links! Debatte

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Großer Verlust, kleiner Gewinn Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Der Rettungsschirm ESM und der Fiskalpakt dürfen von Deutschland ratifiziert werden – unter gewissen Auflagen. Das ist überwiegend enttäuschend. Die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter sind, mit wenigen Ausnahmen, dafür bekannt, in brenzligen Fragen die Linie der Regierung nicht erheblich zu durchkreuzen – einige Kritikerinnen und Kritiker sprechen sogar von einem »Ja, aber-Gericht«. Sie sollten gewissermaßen Recht behalten. Die erteilten Auflagen sind gleichwohl nicht unerheblich: Die Haftungsobergrenze für die deutsche Beteiligung am Rettungsschirm wurde vorerst bei 190 Milliarden Euro festgemacht. Die Informationsund Mitwirkungsrechte des Bundestags wurden eindeutig gestärkt, dabei darf auch die Geheimniskrämerei gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des ESM und im Gouverneursrat kein Argu-

ment für eine mangelhafte Unterrichtung der Abgeordneten sein. Das sind Teilerfolge, die zweifelsohne von Bedeutung sind und umso mehr sein werden. Nicht auszudenken, wenn die entsprechenden Eilanträge in Karlsruhe gar nicht erst gestellt worden wären. Aber wir sollten uns damit das Urteil nicht umfänglich schön reden. ESM und Fiskalpakt sind grundsätzlich gebilligt worden, und das Verfassungsgericht ist der Auffassung, dass eine unumkehrbare, ewige Schuldenbremse auch mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar sei. Zumindest vorläufig und bis zum Ergebnis der noch ausstehenden Hauptverhandlung am Bundesverfassungsgericht. Was droht nun? Der Fiskalpakt soll möglichst Verfassungsrang erhalten (das wird vom europäischen Gerichtshof überprüft). Der Bundeshaushalt muss zukünftig mindestens ausgeglichen sein, wenn nicht sogar Überschüsse aufweisen. Geplante Kredite sind vorab anzumelden und die EU-Kommission gibt eine Ausgaben- und Schuldenhöhe vor. Das ist nichts anderes als eine drastische Einschränkung der Haushaltssouveränität des Bundestags. Und wenn

wir diese ökonomisch irrsinnigen Verpflichtungen nicht einhalten können, kann das eine saftige Strafzahlung in den ESM-Topf bedeuten. Eine Etatsteigerung durch die Hintertür. Da nützt es auch nichts, wenn wir vollständig informiert sind. Die sozialen Kosten des Fiskalpakts wären umso größer: Ohne einen gewissen Spielraum in der Kreditaufnahme keine aktive Konjunkturpolitik, keine gestaltende Finanzpolitik, kein sozial-ökologischer Um-

bau. Die Zeche zahlen dann die »kleinen« Leute. Zu ihren Lasten wird gekürzt und gestrichen werden, dass sich die Balken biegen – und zwar in ganz Europa. Aber geben wir nicht klein bei! Wir bleiben bei unseren Forderungen nach einer verschärften EU-Finanzmarktregulierung. Wir wollen das Finanzsystem schrumpfen, die Banken wieder unter gesellschaftliche Kontrolle bringen und ein demokratischeres und soziales Europa schaffen. Wir

fordern eine EU-Vermögensabgabe, ohne die es keine Umverteilung zwischen Arm und Reich geben kann. Wir brauchen eine Finanztransaktionssteuer, die den Hochgeschwindigkeitshandel und die Spekulanten in Ketten legt. Und nicht zuletzt rechtfertigt allein die deutsche Schuldenbremse eine Vermögenssteuer, sonst schmieren unsere Länder und Kommunen und mit ihnen die Lebensqualität aller Menschen in Deutschland endgültig ab. Axel Troost

Bild Edwin IJsman @ flickr

Am Ende zahlen die Armen die Zeche für die Reichen

Zeitgespräch der Gesellschaft Am 12. September wurde der amerikanischen Philosophin Judith Butler in der Paulskirche zu Frankfurt a. M. der Adorno-Preis verliehen. Weil sie Hamas und Hisbollah vor einigen Jahren der globalen Linken zurechnete und Boykotte gegen Israel unterstützt, brach Wochen vor der Würdigung eine polarisierende Debatte in deutschen Medien aus – nachfolgend einige Bemerkungen zur Diskussion. Mit einer scharfen Polemik hatte der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, Stephan J. Kramer, die Auszeichnung der »Israel-Hasserin« Judith Butler als unwürdig und skandalös bezeichnet und gleichzeitig dem auswählenden Kuratorium »mangelnde moralische Festigkeit« attestiert, weil es die »moralische Verderbtheit« Butlers nicht von ihrem philosophischen Schaffen getrennt habe. Judith Butler, die Anfang der 1990er Jahren mit »gender trouble« und »bodies that matter« grundlegend die Geschlechterforschung mit ihrer diskurstheoretischen Dekon-

struktion der Zweigeschlechtlichkeit als kulturell überformte diskursive Praktiken und nicht naturgegebene Materialisierungen inspirierte, war in den vergangenen Jahren einige Male durch ihr politisches Engagement dem Vorwurf des Antisemitismus ausgesetzt. So bereits im Jahre 2002 durch den Präsidenten der HarvardUniversität, Lawrence Summers, der amerikanischen Akademikerinnen und Akademikern einen intentionalen Antisemitismus unterstellte, als US-Universitäten dazu aufriefen, aufgrund israelischer Besatzungspolitik Investivkapital aus Israel zurückzuziehen. Unter den protestierenden Akademikerinnen und Akademikern war auch die in Berkeley lehrende jüdische Professorin, die sich seit Herbst 2001 verstärkt einer Ethik der Mitmenschlichkeit und Gewaltlosigkeit im Anschluss an Adorno und Emmanuel Levinas widmete und aus ihrer israelkritischen Haltung zur Besatzungspolitik palästinensischer Gebiete keinen Hehl macht. Sie unterstütze diese Organisationen nicht vorbehaltlos, sondern boy-

kottiere ausschließlich besatzungskonforme Institutionen, keine Individuen aufgrund deren Staatsbürgerschaft, betonte Butler wiederholt. Spannende Aspekte der Kontroverse im Vorfeld der AdornoPreisverleihung waren zum einen die zahlreichen Kolumnen, Interviews, Statements, aber auch Fürsprachen und Petitionen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die medial als Expertinnen und Experten fungierten und sich für die Wissenschaftlerin Judith Butler aussprachen – trotz teilweise geäußerter Kritik an deren Boykottunterstützung. Eine solche Breite dieser Diskussion ist in deutschen Medien nicht sehr häufig zu beobachten, sondern eher typisch amerikanisch als »Zeitgespräch der Gesellschaft«. Namhafte Geistesund Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler wie u.a. Seyla Benhabib, Sabine Hark oder Alex Demirovic von der Rosa-Luxemburg-Stiftung betonten in einer Petition, dass die medial skandalisierte Einschätzung zu Hisbollah und Hamas von den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern

kontrovers diskutiert werde, aber nicht impliziere, Gewalt dieser Terrororganisationen zu unterstützen. Nicht eine Grenzziehung und Diskursabbruch, sondern eine Intensivierung dieser Diskussionen sei nötig, in der die intellektuelle Integrität Butlers nicht infrage steht. Typisch deutsch war hingegen von rechts bis links des deutschen Blätterdschungels, von Broder bis von der Osten-Sacken, das gewohnt halbwissende JournalistInnen-Meinungsportal, das sich, wenn nicht durch abgedruckte Agenturmeldungen befriedigt, in moralisierenden Beurteilungen Butlers ergoss. Und schließlich war spannend zu verfolgen, wie die Professorin der Rhetorik, Judith Butler, mit drei Repliken auf die Polemik Kramers und die entfachte mediale Kontroverse ihre Souveränität zurückgewann und am Tage der Preisübergabe in der taz mit dem Artikel »Wir maskieren die Realität« einen vorläufigen Schlusspunkt setzen konnte, bemerkenswert aus deskriptiv wissenschaftlicher und politischer Sicht ei-

ne »globale Linke« betreffend: »Das bedeutet nicht, dass wir die Begrifflichkeiten der unterschiedlichen Gruppen akzeptieren, es bedeutet, dass wir sie kritisch analysieren. Weigern wir uns, das zu beschreiben, was wir nicht dulden wollen, dann entziehen wir uns die Basis für Kritik. Wenn wir den Antiimperialismus nicht als eine Version von Linkssein zulassen, sind wir nicht mehr in der Lage zu zeigen, wie unzureichend diese ist. Lehnen wir eine Bewegung ab, müssen wir ihre Ziele sowohl beschreiben als auch bewerten, und so ihre Untiefen ausstellen« (taz vom 11.09.2012). Durch eine Dialektik der freien Meinung, so erinnerte die israelische Soziologin Eva Illouz im »Spiegel« an John Stuart Mill, wird keine falsche Meinung zum Schweigen gebracht, denn sie könnte ein Stück Wahrheit enthalten. Die que(e)re Denkerin Judith Butler hat mit dieser Performance, diesem Zeitgespräch der deutschen Gesellschaft den Adorno-Preis verdient. Maximilian Kretzschmar


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Die Misere mit der Rente Kurz vor Ende des Sommerlochs rücken sich zwei Namen aus der großen Politik wieder selbst in den Vordergrund: Sigmar Gabriel (Vorsitzender der SPD) und Ursula von der Leyen (Bundesministerin für Arbeit und Soziales, CDU). Beide »streiten« beherzt und mit der Trotzigkeit zweier Kinder um die Rentenfrage, obwohl sich ihre Pläne nur marginal unterscheiden. Sigmar Gabriel strebt eine Solidarrente von mindestens 850 Euro für jeden Rentner an, die er mit Steuermitteln finanzieren möchte. Dafür erhält er Zuspruch von Ursula von der Leyen, allerdings mit der Bedingung, dass die Aufstockung aus der Rentenkasse selbst erfolgen soll. Dazu passend halten beide an der Absenkung des Rentenniveaus von 51 auf 43 Prozent bis 2030 fest, wofür Gabriel aber schon herbe Kritik aus den eigenen Parteireihen einstecken musste. Sachsens SPDChef Martin Dulig sagte dem Magazin »Der Spiegel«: »Uns werden Wähler verloren gehen. [...] Ich will die Linkspartei nicht durch unser Rentenkonzept mit Viagra füttern«. Und die LINKE? Die äußert sich – vertreten durch ihren sächsischen Partei- und Fraktionsvorsitzenden Rico Gebhardt – auch und schlägt vor, zunächst die erforderlichen Gesetzgebungsschritte einzuleiten, damit das Rentenniveau wieder auf dem Stand vor dem Jahr 2001 angehoben, das gesetzliche Renteneintrittsalter auf 65 Jahre abgesenkt und der Rentenwert Ost endlich an den Rentenwert West angeglichen wird. Dazu gehört, dass sogenannte artfremde Leistungen wie die rentenpolitischen Kosten der deutschen Einheit, Leistungen aus der Kriegsopferfürsorge oder die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten künftig

ausschließlich aus Steuermitteln finanziert werden müssen. Außerdem müssen alle Einkommens- und Erwerbsformen in die gesetzliche Rentenversicherungspflicht einbezogen werden, also zum Beispiel auch die Gehälter von Beamten, Freiberuflern oder Abgeordneten. Das fordert die LINKE seit langem, wie der Rentenexperte der sächsischen Landtagsfraktion, Dr. Dietmar Pellmann, feststellt. Da sich die drohende Alters-

weit aufzuwerten, dass sie die Betroffenen tatsächlich vor Armut schützt«, kommentiert Pellmann das Vorhaben. Außerdem müsse die Rente nach Mindesteinkommen gewährt werden und nicht als sogenannte Zuschussrente. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) spricht sich für eine Aussetzung der geplanten Senkung der Rentenbeiträge auf 43 Prozent aus. Dahinter steht die Überlegung, dass ein gesetzlicher

die Fakten ähnlich: »Wer jetzt noch Zeit verstreichen lässt und nicht die richtigen Schlüsse zieht, nimmt den sozialen Abstieg von Millionen Menschen billigend in Kauf. [...] Um das Massenheer der von Altersarmut bedrohten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht schutzlos auszuliefern, muss das Übel an der Wurzel bekämpft werden. Zudem muss die unsinnige Rentenbeitragssenkung schleunigst vom Tisch. Denn um der

armut und die Rentenentwicklung nicht vom Lohnniveau trennen lassen, gehört auch die Einführung eines armutsfesten gesetzlichen Mindestlohns zur Rettung der gesetzlichen Rentenversicherung. Aktuell plant die schwarzgelbe Koalition in Berlin eine Senkung der Rentenbeiträge. »Das muss ausgesetzt werden, um eine Demografie-Reserve aufzubauen und die Erwerbsminderungsrenten so

Mindestlohn von 8,50 Euro automatisch die Renten erhöhen würde und Rentnern, denen durch diese Maßnahme noch nicht geholfen werden kann (alle, für die die Lohnerhöhung »zu spät« kam), mit einer »Rente nach Mindesteinkommen« in Höhe von 950 Euro ein würdevolles Leben auch im Alter ermöglicht werden muss. Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbandes Deutschland (SoVD), sieht

Altersarmut das Wasser abzugraben, sind stabile Sozialbeiträge und Sozialleistungen absolute Voraussetzung«. LINKE, SoVD und DGB sind sich also einig, dass nur ein Mindestlohn zukünftige Rentner vor Altersarmut schützen kann und eine »Aufstockrente« nur die Symptome, nicht aber die Ursachen von Altersarmut bekämpfen würde. Jeder fünfte Arbeitnehmer verdient derzeit weniger als 10,36 Euro pro

Stunde, und selbst wenn diese Arbeitnehmer bis 67 Jahre arbeiten würden, bliebe ein Niedriglohn ein Niedriglohn. Wie soll man dann angesichts der geplanten Absenkung des Rentenniveaus im Alter ein würdevolles Leben führen? Selbst Menschen, die heute etwas besser verdienen, wären momentan im Rentenalter auf soziale Leistungen angewiesen. Selbst ein heutiger Arbeitnehmer, der weniger als 2.500 Euro brutto (15,62 € pro Stunde) bekommt, wird mit den Tag des Renteneintritts den Gang zum Sozialamt antreten müssen. Früher konnten die allermeisten Omas und Opas ihre Enkel verwöhnen. In Zukunft werden wohl eher die Enkel ihren Opas und Omas Geld »zustecken« müssen. Ist das menschenwürdig? Gerecht? Oder gar sozial? Wozu soll jetzt noch in die Rentenkasse einzahlen, wer später selbst nach vierzig Beitragsjahren doch nur auf Sozialleistungen angewiesen sein wird? Arbeit muss sich lohnen! Das kann für den heutigen Arbeitnehmer und für den zukünftigen Rentner nur mit einen Mindestlohn und einer Mindestrente, die sich auf das Mindesteinkommen bezieht, erreicht werden. Gabriels und von der Leyens Vorschläge können allenfalls als symbolhaft gelten, zumal die Bedingungen der Bundessozialministerin die allermeisten künftigen Rentner von vornherein vom Erhalt einer armutsfesten Rente ausschließen würden. Ein Arbeitnehmer, so war die Rente einst gedacht, muss während seines Arbeitslebens für den Moment und für die Rente vorsorgen können. Mit 10,36 Euro pro Stunde ist das vollkommen utopisch, und die beiden großen Parteien machen keinerlei Anstalten, das Problem Altersarmut wirklich anzupacken. Rico Schubert /Anja Zendlowski

Warum über die Rente streiten, wenn doch am 21.12. ohnehin die Welt untergeht?

es gibt kein morgen!« besiegen, wird im deutschen Bundestag hitzig diskutiert: »Zuschussrente« wird von Ursula von der Leyen (CDU) auf der einen Seite gefordert, und auf der anderen Seite bittet die SPD zum »Aufwachen«, weil – so deren Meinung – eine »Solidarrente ohne Mindestlohn« nur die Folgen, aber nicht den Grund von Altersarmut bekämpfen würde. Nach neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes wäre ein Mindestlohn aber auch unabhängig von der Rentenmisere zwingend nötig, da 20,6 Prozent der Beschäftigten unter 10,36 Euro brutto pro Stunde

(Niedriglohngrenze) verdienen. Es ist nicht schwer zu erahnen, dass Arbeitnehmer, die wenig Lohn erhalten und damit auch viel weniger in die Rentenkasse einzahlen, am Ende auch weniger rausbekommen. Wobei das Ende ja doch nicht mehr lange auf sich warten lässt: Am 21.12. ist es so weit, dann braucht man sich keine Sorgen mehr um die Rente machen. Politiker müssten gar nicht mehr versuchen, sich nicht nur bei den Wählern, sondern vielleicht sogar bei Petrus einzuschleimen. Sollten die Mayas Recht behalten und die Welt noch in diesem Jahr untergehen, wie immerhin 4 Pro-

zent der Deutschen glauben, dann wäre es schon besser, wenn man an der Himmelspforte mit guten Taten glänzen könnte und nicht, wie das Vorurteil besagt, nur wahlkampfdienlich gelogen hätte. Können die Deutschen also derzeit auf wahre Aussagen der Politiker hoffen? Das würde bestimmt den Anteil jener Deutschen, die Politiker als vertrauenswürdige Berufsgruppe ansehen, der derzeit laut einer Studie des Magazins Reader‘s Digest bei 9 Prozent liegt, erhöhen. Eine solche Studie über die Mayas gibt es (noch) nicht, wobei sie allerdings nicht einmal gesagt haben, dass die Welt

untergeht. Es könnte tausend Gründe geben, warum ihr Kalender genau am 21.12.2012 aufhört: Vielleicht verstarb der »Kalenderschreiber«, oder er hatte keine Lust mehr – oder die Mayas wussten doch mehr als wir, und am 21.12. kommen kleine grüne Aliens, die uns entweder angreifen wollen, was wiederum von den gefährdeten Renten ablenken würde, oder unser Rentensystem direkt revolutionieren. Wenn sie sich allerdings, wie es Y-TITTY in ihren Lied verlauten lassen, verrechnet haben, dann dürfte auch das Ansehen der Mayas erheblich sinken. Anja Zendlowski

Während auf Facebook zur großen »Weltuntergangsparty mit anschließender Aftershow Party« eingeladen wird und »Y-TITTY« den »letzten Sommer« musikalisch mit den poetischen Worten »Ich sing den Weltuntergangs-Sommersong, / Vor Gevatter Tod stiehlt sich keiner mehr davon! / Wir feiern ohne Sorgen, als gäbe es kein morgen ... / Nein ehrlich,


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Ein Angriff auf die heutige Idee der Universität Die Wahrnehmung der hochschulpolitischen, sozialen und kulturellen Belange der Studierenden gehört zu den Aufgaben der Fachschaftsund Studentenräte an sächsischen Hochschulen. Sie sollen die studentische Mobilität, die politische Bildung und das staatsbürgerliche Verantwortungsbewusstsein der Studierenden fördern, fordert das aktuelle Hochschulgesetz. Eine von den Regierungsfraktionen initiierte Gesetzesänderung zielt nun auf die Abschaffung einer gemeinsamen, verfassten Studierendenschaft und greift die Idee der Universität an. Die Idee einer gemeinsamen Organisation von Studierenden ist eine alte. Bereits an der Universität Bologna schlossen sich im Mittelalter Studenten nach geografischer Herkunft zur Wahrung ihrer Interessen in sogenannten Nationes zusammen. Mit Herausbildung des Fakultätssystems wich ihre Bedeutung. Dennoch bildeten sich in der Frühen Neuzeit erneut private und selbstverwaltete Vereinigungen zur Unterstützung der Studenten und zur Wahrung ihrer Interessen heraus: die »Landsmannschaften« mit ihrer wechselhaften Geschichte. Ihr Unvermögen, mit antiquierten Traditionen und Ansichten zu brechen, führte jedoch in das gesellschaftliche Abseits, in denen sich Studentenverbindungen heute befinden. Ferner ist die Tradition des politischen Engagements kein Phänomen der Gegenwart. Im Vormärz stritten Studenten für demokratische Freiheitsrechte. Nach dem Zweiten Weltkrieg förderten die Alliierten an den westdeutschen Hochschulen den Aufbau demokratisch organisierter Studierendenschaften und führten sie in der bestehenden Rechtsform samt Pflichtmitgliedschaft und Beitragsrecht, nun jedoch als »Schulen der Demokratie« mit politischem Bildungsauftrag, weiter. Den größten Demokratisierungs- und Modernisierungsschub brachte den Hochschulen die 68er-Bewegung. Studierende forderten die Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen, protestierten gegen elitäre Strukturen und überholte Traditionen und erkämpften eine größere Mitbestimmung der Studierenden in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung einschließlich einer neuen pluralistischen Themenvielfalt.

Sachsens CDU/FDP-Koalition plant nun im neuen Hochschulgesetz eine Ausstiegsmöglichkeit aus der verfassten Studierendenschaft. Studierende könnten dann aus ihrer Mitgliedergruppe austreten und würden nicht mehr von Studierenden- und Fachschaftsräten vertreten. Für Junge Union und RCDS stellt das eine »Stärkung der Selbstbestimmung für alle Studenten« dar, wenn diese nicht mehr einem »Zwangsverband« beitreten müssen. Worum es den Initiatoren der Gesetzesänderung eigentlich geht, zeigt eine Presseerklärung des FDP-Jugendverbands JuliA. Dort werden den Studentenräten »Demokratiedefizite« und eine Willensbildung »fern von der Wirklichkeit« vorgeworfen. Realitätsfern seien StuRa-Referate mit Titeln zu «nachhaltiger Mobilität”, «Ökologie”, «Gleichstellung und Lebensweisenpolitik” oder «Antirassismus”. Als Beleg für die scheinbare Missachtung von Interessen wird die geringe Wahlbeteiligung zu den Gremien der studentischen Selbstverwaltung angeführt. Nun ist eine rückläufige Wahlbeteiligung in Deutschland nichts Neues. Die diagnostizierte Politikverdrossenheit scheint kein rein studentisches Problem zu sein, und der hergestellte Zusammenhang somit mehr als fraglich. Vielmehr stellt sich die Frage, warum CDU- und FDP-Jugendverbände und ihre Hochschulgruppen nicht bei den alljährlichen studentischen Wahlen versuchen, die von ihnen wahrgenommene Diskrepanz zwischen studentischen Interessen und der Arbeit gewählter Studierenden- und Fachschaftsräte zu ihrem Vorteil zu nutzen? Vielmehr passt der Vorstoß zum schleichenden Wandel der Gruppen- zur Managementuniversität und damit zur Stärkung der Leitungsebene zulasten der demokratischen Mitbestimmungsrechte. Studierendenvertretungen erfüllen die im Hochschulgesetz definierten Aufgaben. Umweltinitiativen sind Angebote der politischen Bildung, Semestertickets dienen der Mobilität der Studierenden, Antirassismus ist Bestandteil staatsbürgerlichen Verantwortungsbewusstseins! Und Aufgaben, die sich der Staat zu eigen gemacht hat, rechtfertigen Pflichtmitgliedschaften in Institutionen, die sich dieser Auf-

gaben annehmen, so das Bundesverfassungsgericht. Es zwingt sich der Eindruck auf, dass die Initiatoren der Gesetzesänderung vielmehr die Modernisierung der Hochschulen und der studentischen Selbstorganisation zurückdrehen wollen. Es ist ein beendet geglaubter ideologischer Kampf des letzten Jahrhunderts, der im Kern die Idee der heutigen Universität mit

einer emanzipierte, verfassten Studierendenschaft als Bestandteil der Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden angreift. Es ist ein Kampf um politische Ansichten, den der konservativ-liberale Nachwuchs in den Gremien der studentischen Selbstverwaltung verloren hat. Mit der Gesetzesänderung hoffen sie, die progressiven Kräfte an den Hochschulen zu schwächen.

Letztlich schwächen sie jedoch alle Studierenden, denn ihre Interessenvertretung dürfte unter den neuen Gegebenheiten nicht einfacher werden. Nick Wagner Unser Autor hat Politikwissenschaft, Geschichte und Geografie studiert. Er war viele Jahre in der Studierenden- und Mittelbauvertretung der TU Dresden aktiv.

Bild Dieter Schütz@pixelio.de

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Hintergrund

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Roma in Ungarn: Hass und Gewalt

Roma und Sinti bilden mit 10 bis 12 Millionen Menschen die größte ethnische Minderheit in der EU. In vielen Mitgliedstaaten werden Sinti und Roma ausgegrenzt und haben häufiger als die Mehrheitsbevölkerung unter Armut und Arbeitslosigkeit zu leiden. Die Wirtschaftskrise scheint die Lage der Roma noch zu verschärfen. Ein erschreckendes Beispiel sind die Ereignisse in Ungarn. So spielten sich im Dorf Gyöngyöspata im letzten Jahr grauenhafte Szenen ab. Uniformierte rechtsradikale Milizen belagerten wochenlang eine Roma-Siedlung, bewarfen die Häuser mit Steinen und veranstalteten Aufmärsche. Es herrschte Pogromstimmung, bei den Auseinandersetzungen gab es mehrere Verletzte. Bis heute hat sich die Lage nicht entspannt. Der neue Bürgermeister kommt von der

rechtsradikalen Partei Jobbik, deren Parteiprogramm sich um ein einziges Thema dreht: Die so genannte Roma-Kriminalität. Ein solches Klima des Hasses und der Abwertung erklärt, warum das Denkmal in Budapest für die im Holocaust ermordeten Roma immer wieder beschädigt wird. Von der Regierung wird die Diskriminierung von Roma gelegentlich geleugnet. Am 25. Mai dieses Jahres äußerte der ungarische Staatssekretär für Kommunikation in Antwort auf einen Bericht des US-Außenministeriums, dass es keine Diskriminierung von Roma in Ungarn gebe. Obwohl die gleiche ungarische Regierung, als sie die EU-Ratspräsidentschaft innehatte, in ihrer Roma-Strategie eindringlich beschrieb, wie schwierig die Lage für diese Minderheit in Ungarn ist. Eine Umfrage von Eurobarometer zeigt, dass

Diskriminierung aufgrund von Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe in Ungarn öfter vorkommt als in anderen EU-Staaten. Studien der europäischen Grundrechteagentur zeigen, dass ungarische Roma ganz besonders stark von Ausgrenzung auf dem Arbeitsmarkt betroffen sind. Obwohl die Mitgliedstaaten von der europäischen Kommission aufgefordert wurden, eine Roma-Strategie vorzulegen und Ungarn eine solche hat, verschlimmert sich die Situation. Dies zeigt, dass sich DIE LINKE in Brüssel weiterhin dafür einsetzen muss, dass die Mitgliedstaaten sanktioniert werden können, wenn sie die Roma-Strategie nicht einhalten. Geredet wurde genug, nun müssen Taten folgen! Cornelia Ernst


Oktober 2012

Sachsens Linke

Dere aktuellen OstWestdebatte widmet sich Stefan Hartmann auf Seite 3. Der Text ist eine gekürzte Fassung, komplett unter www.links-sachsen. de oder auf www. dielinke-sachsen. de. In einem Kurzinterview bezieht Rico Gebhardt, als einer der Mitautoren des Briefes an Katja Kipping und Bernd Rie-

xinger Position. Enrico Stange zeigt auf, was die neue ÖPNV-Finanzierungsverordnung für Sachsen bedeuten würde. Auf Seite 4. Ein kurzer Bericht vom sogenannten

Kleinen Parteitag am 15. Juli findet sich auf Seite 5. Dort gibt Michael Friedrich auch den Auftakt zur Diskussion der Kommunalpolitischen Leitlinien.

Dialog für Sachsen in Antje Feiks zum LandesgeschäftsführerHerbst startet. neuen Projekt, das im

Startschuss für Dialog

Bernd Riexinger auf dem sogenannten Kleinen Parteitag am 15. Juli in Dresden. Mehr dazu auf Seite 5

Das größte Täuschungsmanöver Kommentar zum Doppelhaushalt 2013/2014

Am 7. September brachte die CDU-FDP-Koalition ihren Entwurf zum Doppelhaushalt 2013/2014 in den Sächsischen Landtag ein. Nach einer ersten Überprüfung kann man jetzt schon sagen: Was der Finanzminister im Namen der Staatsregierung veranstaltet, ist das größte haushaltspolitische Täuschungsmanöver seit 1990. Offiziell war der vorherige Etat 2011/2012 ein Kürzungshaushalt wegen angeblicher Mindereinnahmen in Milliardenhöhe gewesen, und der nun vorliegende Haushaltsentwurf 2013/2014 sollte ein Füllhorn von Wohltaten sein, möglich durch Steuermehreinnahmen in Milliardenhöhe. Die Wahrheit aber ist: Der Haushaltplan 2013 liegt im Volumen insgesamt 200 Millionen Euro unter dem realen Haushaltsjahr 2011. Damals gab es statt der geplanten je

15,5 Milliarden Einnahmen und Ausgaben am Ende real 16,9 Milliarden Einnahmen und 16,5 Milliarden Ausgaben. Im Plan für 2013 sind Ausgaben und Einnahmen in Höhe von 16,3 Milliarden Euro vorgesehen. Man hat sich also damals künstlich arm gerechnet, um rechtzeitig vor der Wahl den großzügigen reichen Onkel spielen zu können.

Taktisch nicht ungeschickt, aber unredlich Die Zahlen und Fakten, die jetzt im Jahr 2012 auf dem Tisch liegen, sprechen eine klare Sprache: CDU und FDP haben keinen langfristig wirksamen Plan gegen den zunehmenden Lehrermangel und auch nicht die Absicht, den mit den realen und völlig ungerechtfertigten Sozialkürzungen der Haushaltsjahre 2011 und 2012 angerichteten Flurschaden wieder gut zu machen. Diese Staatsregierung hat ebenso kein Ziel für die nachhaltige Gestaltung des Lan-

des; das sieht man schon daran, dass der Finanzausgleich mit den Kommunen trotz ständig weiterer übertragener Aufgaben jahrzehntelang unverändert blieb und nun um gerade mal 30 Millionen steigt, was nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, aber keine dauerhafte Lösung der Finanzierungsmisere auf kommunaler Ebene darstellt. Stattdessen strömen unter Schwarz-Gelb die Fachkräfte aus dem Land: durch die bundesweit niedrigsten Lehrergehälter, durch die Streichung des Weihnachtsgeldes für Polizisten, durch einen viel zu hohen Personalschlüssel im Bereich Kita (als 4-facher Vater weiß ich wovon ich spreche) und durch eine unsägliche Niedriglohnpolitik, die Sachsen schon bald zum traurigen Spitzenreiter bei der Altersarmut machen wird, wie die jüngsten Berechnungen der CDU-Bundesarbeitsministerin erschütternd zeigten. Und ein Wort zur so genannten Schuldenverbotsdebatte:

Sachsen hat dank einzigartig niedrigen Schuldenstands eine unübertreffbar blendende Bonität. Wir haben kein Schuldenproblem, sondern ein Defizit an Investitionen in das, was das Land attraktiv für Menschen macht, hier zu bleiben bzw. hierher zu kommen. Im Dezember soll der Haushaltsplan im Landtag beschlossen werden. DIE LINKE wird die Zeit bis dahin nutzen, ihre finanzpolitischen Vorschläge zu machen, natürlich seriös durchgerechnet. Dabei ist unser Hauptthema bei diesen Haushaltsberatungen Investitionen in Köpfe, Investitionen in das, was Menschen brauchen. Wir meinen, Sachsen hat auch mittelfristig genug Geld, das Wichtige zu tun, wenn man weiß, was man will, und sich Unwichtiges spart – und dazu gehört nicht nur die teure sogenannte Dachmarken-Werbekampagne der Staatskanzlei. Rico Gebhardt, MdL, Sächsischer Landesund Fraktionsvorsitzender

Am 20. und 21. Oktober findet in Chemnitz der 7. Landesparteitag statt. Wir werden uns der Diskussion der Sozialpolitischen Leitlinien sowie der Bildungspolitischen Leitlinien zuwenden. Da wir unsere Ideen nicht zum Selbstzweck diskutieren, sondern mit unseren Leitlinien ein Diskussionsangebot für die Menschen in Sachsen schaffen, wird der Landesparteitag auch der Startschuss für den Dialog für Sachsen sein. Nach dem Parteitag wollen wir zu einzelnen Punkten der Leitlinien mit Menschen ins Gespräch kommen, die zum Einen thematisch beizutragen haben, aber zum Anderen auch unsere Positionen kritisch oder wohlwollend beleuchten und weitere Ideen mit uns »spinnen«. Sowohl in der Entstehung unserer Papiere, aber auch bei deren Weiterentwicklung wollen wir tatsächlich offen sein für Impulse. Wir haben nicht zu jedem Punkt das Allheilmittel parat, und vermutlich erwartet das auch niemand von uns. Mit diesem nicht neuen, aber deutlich in den Vordergrund gerückten Aspekt der Öffnung und des Willkommenheißens anderer Meinungen stehen wir vor einer großen Herausforderung. Wir müssen versuchen, die Probleme und Sorgen der Bevölkerung, aber auch deren Ideen in konkretes politisches Handeln zu übersetzen. Wir müssen sagen, was geht, wo Grenzen liegen, und vor allem den Leuten, die sich engagieren wollen, die notwendige Unterstützung an die Hand geben. Dabei müssen wir uns auch wieder angewöhFortsetzung nächste Seite


Sachsens Linke!  10/2012 nen, eine Sprache zu verwenden, die klar und verständlich ist. Wir sind sehr gut im Anprangern und im Sagen, was kritikwürdig ist – aber Lösungen zu erarbeiten, die verständlich und machbar sind, ist die Aufgabe, die vor uns steht. Schon jetzt wollen die ersten Kreisverbände die dialogische Idee auf ihre Struktur herunter brechen. Das zeigt mir, dass der letzte Parteitag mit dem »Dialog für Sachsen – Bewegung kommt von links« als verbindendes Projekt zwischen linken AkteurInnen in Sachsen den richtigen Auftrag ausgelöst hat. Auch das Übertragen auf die Kreisund Ortsverbände ist geplant, es wird an Konzepten gestrickt, die wir den Städten und Kreisen anbieten können, um auch dort die Form des offenen Dialoges mit nur wenig Aufwand in die Tat umzusetzen. Es bleibt zu hoffen, dass wir den Mut haben, auch mit noch nicht salonfähigen Ideen, aber auch mit soliden Angeboten an die Öffentlichkeit zu gehen. Denn nur mit diesem Mut und dem notwendigen Selbstbewusstsein kommt Bewegung von links. Antje Feiks

Medien kompetent nutzen, gestalten und diskutieren Am 17.11. findet an der Universität Leipzig eine »LiMA regional« statt. Die Linke Medienakademie e.V. ist ein eingetragener unabhängiger Bildungsverein für Medienmacher. Hinter dem Konzept der LiMA steckt die Idee, kritischen Journalismus und Gegenöffentlichkeit zum Medienmainstream zu fördern. Für eine regionale Vernetzung findet eine Akademie in Leipzig statt. Derzeit sind folgende Workshops geplant: Kampagnenplanung, Internetrecherche & Sicherheit im Netz, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Gestaltung und Layout mit InDesign, Bildbearbeitung und Layout mit GIMP und Scribus, Rhetorik, Medienrecht, Textwerkstatt, Web 2.0 und LINKES CMS, Medien ehrenamtlich produzieren. Weitere Informationen unter: www.linke-journalisten.de

Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der Linken in Sachsen Herausgeber: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

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Meinungen Rita Kring aus Dresden zu »Freiheit für Pussy Riot!« (Links! 9/2012, S.8) Gegen viele, die im Februar 2010 und 2011 gegen Neonazis protestiert haben, wurde gegen Landfriedensbruch (§ 125), Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129) und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz ermittelt. UnterstützerInnen von Pussy Riot im Kölner Dom wurden gewaltsam rausgeworfen und bekamen Anzeigen wegen Hausfriedensbruch (§ 123), Störung der Religionsausübung (§ 167) und ebenfalls Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Auch Anzeigen wegen Bildung krimineller Vereinigungen (§ 129) und Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen (§ 166) wären denkbar. Die Aufregung über das Urteil gegen Pussy Riot in den meisten Medien hat das Ziel, den wirtschaftli-

chen, politischen und militärischen Konkurrenten Russland schlechtzumachen. Pläne für Internetzensur (»Zensursula«) gibt es auch bei uns. Politische Parteien dürfen keine Auslandsspenden annehmen. Westliche Geldgeber finanzieren den gewaltsamen Umsturz in Ländern, die sich ihnen nicht unterwerfen. Gegen Homosexuelle wird insbesondere im kirchlichen Bereich auch in der BRD vorgegangen. Und, dass Pussy Riot verurteilt wurde, obwohl sich Putin für milde Behandlung ausgesprochen hat, zeigt, dass die russische Justiz mindestens so unabhängig ist wie die deutsche. Die große Mehrheit der russischen Bevölkerung hat sich für eine Verurteilung von Pussy Riot ausgesprochen. Übrigens, Putin ist jetzt Präsident und nicht Ministerpräsident. Aber Kenntnis der Fakten gefährdet die schönsten Vorurteile.

Glosse Von Stathis Soudias Uwe Schnabel aus Coswig zu »Internationaler Austausch ...« (Sachsens Linke! 9/2012, S. 8) Belarus kann kritisiert werden, weil es ausgerechnet von der deutschen Polizei lernen will. Wie im Artikel erwähnt, geht diese ja gewaltsam gegen gewaltfreie Castorblockaden und gegen gewaltfreie antifaschistische Blockaden und darüber hinaus auch gegen gewaltfreie Proteste bei Gipfeltreffen, wie in Heiligendamm, vor. Von den Toten in Polizeizellen (z.B. Oury Jalloh) und bei Polizeieinsätzen (z.B. Benno Ohnesorg, Philipp Müller, erschossener, mit Gewalttäter verwechselter, Wanderer) und der Ausbildung der Polizei in Afghanistan ganz zu schweigen.

»Ich möchte Leipzigs erste Oberbürgermeisterin werden« Für diese Stadt: Die Menschen gewinnen, Energien entfalten. Unter diesem Titel legt die OBM-Kandidatin der LINKEN Dr. Barbara Höll den Entwurf ihres Wahlprogramms vor und lädt zur Diskussion ein. Denn in fünf Monaten wird in Leipzig gewählt. Das verheißt: Gesprächsrunden der unterschiedlichen Kandidaten, über die Wege zu streiten, wie diese Stadt künftig aussehen soll, wo neue und gerechtere Akzente gesetzt werden. Die derzeitige Stimmung spricht für einen Wechsel. Wahlen für den Oberbürger im Rathaus sind Personal-Wahlen, da lassen sich die Anwohner kaum vom Parteibuch leiten. Er oder sie muss in den kommenden Jahren vieles meistern. Vier Punkte stellt Dr. Barbara Höll in den Mittelpunkt ihres Programmentwurfs: die Solidarstadt, die Wirtschaftsstadt, die Bürgerstadt und die Kulturstadt. Ihr Credo: »Für mich steht der solidari-

sche Zusammenhalt in Leipzig ganz oben auf der Agenda, denn in unserer Stadt bündeln sich die sozialen Problemlagen der Entwicklung im Osten Deutschlands wie in einem Brennglas. Die großen Unternehmensansiedlungen sind gelungen, jetzt gilt es, die mittelständische Wirtschaft in solides Fahrwasser zu bringen. Die Menschen in Leipzig müssen als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Leistungszuwachs der Wirtschaft beteiligt werden. Wir brauchen mehr mittelbare und unmittelbare Bürgerbeteiligung. Das Vertrauen zwischen Bürgerinnen und Bürgern und der Politik ist brüchig geworden. Dieses Vertrauen wieder wachsen zu lassen, wäre ein prägender Anspruch für mich als Oberbürgermeisterin.« Im Programmentwurf findet sich viel Konkretes: »Das Problem Kitaplätze und Schulen wird zügig gelöst. Mit den Planungen für ein neues Naturkundemuseum wird umgehend

begonnen. Die Eigenbetriebe Kultur kommen wieder in die Verantwortung des Fachbürgermeisters. Die Verkehrsplanungen in Leipzig müssen den Forderungen der Bürgerinnen und Bürger nach Straßensanierung statt Neubau, dem Ausbau von Fuß- und Radwegen gerecht werden. Jeder Bürger soll das Recht haben, unkompliziert an Informationen zu gelangen. Die Vorstandsbezüge in städtischen Unternehmen werden offen gelegt. Die Stadtbezirksbeiräte werden den Ortschaftsbeiräten gleichgestellt, denn sie sind neben dem Stadtrat das wichtigste Bindeglied zu den Nöten und Sorgen der Menschen.« Der Entwurf des Wahlprogramms kann unter www.barbara-hoell.de herunter geladen werden. Alle Bürgerinnen und Bürger Leipzigs können sich mit Hinweisen, Vorschlägen oder Kritik an die Kandidatin wenden. -jomi (Übernahme aus Leipzigs Neue)

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer

Auflage von 16050 Exp. gedruckt. Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Ralf Richter, Stathis Soudias Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio Internet unter www.sachsens-

linke.de Kontakt: kontakt@dielinkesachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720 Redaktionsschluss 19.9.2012 Die nächste Ausgabe erscheint am 25.10.2012.

Lieber Rico, eigentlich wollte ich dir gratulieren. Für den Vorsitz der Landespartei, für den Vorsitz der Fraktion und auch dafür, dass du, fast im Alleingang, das Demografie Problem! Aber, aber du gibst mir keine Chance, du und deine Fraktionäre meckern immer nur rum. So wird es nie was. Darum gestatte es mir, dir den einzig richtigen Weg zu zeigen. Also: Lehrer, Schüler und Eltern gehen auf die Straße: Unterrichtausfall, Lehrermangel, Kürzungsorgien. Was ist die Antwort der CDU? »Stanislav Tillich. Der Sachse« Die Kommunen gehen in die Knie, die durch Land und Bund übertragenen Pflichten übersteigen deren Einnahmen und Möglichkeiten; Sport, Kultur, Schulsanierung bleiben auf der Strecke. Was ist die Antwort der Landesregierung? »Stanislav Tillich. Der Sachse« Die Neonazis besetzen immer mehr das öffentliche Leben, Polizisten gehen auf die Straße und protestieren, der Stellenabbau bei der Landespolizei nimmt dramatische Züge an, dem Innenminister muss – endlich mal – beigebracht werden, welches sein Ressort ist. Ausländer, Obdachlose, Asylbewerber werden durch Dörfer und Städte gejagt, geschlagen, ermordet. Was ist die kompetente Antwort der CDU? »Stanislav Tillich. Der Sachse« Tillich kennst Du? Der Ministerpräsident, den man sich stundenweise mieten kann… Unter uns: immer mehr beschleicht mich das Gefühl, wir werden von Schildbürgern regiert. Übrigens, gerüchteweise heißt es, er, Der Sachse, will, wie sein Amtskollege Oettinger, nach Brüssel – wenn das nichts ist(!) –, um seine Englischkenntnisse unter Beweis zu stellen. Ich fürchte, die Lücke, die er hinterlässt, ist so klein, da passt keiner mehr rein. Ist nur ein Gefühl. Also lieber Chef, entweder lässt du es mit der Sachpolitik und tust, so wie die Staatspartei CDU, dumm rum lächeln, oder... nun, oder ich geh zurück nach Griechenland, da weiß ich wenigstens, wo ich dran bin. Apropos: auf meine Frage, wie dort die Lage ist, sagte man mir: »Weißt du, im Krieg war das Land von der Wehrmacht besetzt und wurde von Gauleitern regiert. Jetzt ist das Land von der Troika besetzt und wird von der Merkel regiert.« Verbleibe untertänigst Dein Stathis


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»Ost« kein Thema mehr? tag noch Menschen mit ostdeutschen Prägungen gibt«, schließlich müssten die noch bestehenden sozio-ökonomischen und kulturellen Unterschiede zwischen Ost und West angemessen zum Ausdruck kommen. Am 10. September äußert sich Sarah Wagenknecht zum Thema. Die überraschende Botschaft lautet, dass sie das »OstWest-Thema« für überholt hält. Bei aller Liebe, es ist ein sehr dünnes Eis, auf das sich stellvertretend für DIE LINKE deren Vize-Chefin begibt. Im Juli 2012 wurde in Ostdeutschland eine Arbeitslosenquote von 10,3 Prozent gemeldet, in den alten Bundesländern eine Quote von 5,9 Prozent. Bei den Bruttoverdiensten ist festzustellen, dass diese im Osten um 17 Prozent niedriger als im Westen sind. Darüber hinaus, als logische Konsequenz der Einkommenssituation in den letzten zwanzig Jahren, steigt der Anteil der von Abschlägen betroffenen Neurentner insbesondere in den neuen Bundesländern tendenziell an. Fast 80Prozent der Neurentnerinnen in Ostdeutschland sind im Jahr 2008 von rentenmindernden Abschlägen betroffen; in den alten Bundesländern sind es rund 40Prozent. Etwas anders ist dies bei den Mieten. Hier ist es so, dass zwischen 1996 und 2006 eine Angleichung stattgefunden hat. Der Datenreport 2008 des Statistischen Bundesamtes zeigt: Im Westen werden 27,9 Prozent, im Osten 26,9Prozent des Haushaltsnettoeinkommens für Miete ausgegeben. Die Zeit der relativ geringen

Mieten im Osten ist vorbei. Die hier auf Grund der überdeutlichen Sichtbarkeit nur angedeutete Faktenlage macht deutlich, dass die neuen Bundesländer nun seit zwei Jahrzehnten unter Bedingungen existieren, die einer sozialen und ökonomischen Dauerkrisensituation gleichkommen. Es ist auch nicht absehbar, dass es besser wird. Zu sagen, was ist, sollte auch in der LINKEN angemessen sein. Reale gesellschaftliche Probleme zu verschweigen oder zu ignorieren wäre einer LINKEN unwürdig. Nicht zuletzt deshalb, weil es die Situation der von diesen Problemen betroffenen Menschen ungemein verschlechtert, denn es würde sie unsichtbar machen,

vielleicht sogar mundtot. Der Erfolg der vormaligen PDS und der jetzigen LINKEN in den neuen Bundesländern ist nur verstehbar, wenn begriffen wird, dass er aus konkreten gesellschaftlichen Problemlagen heraus erzielt wurde durch eine Politik, die sich darauf bezieht und versucht, glaubwürdige und kompetente Antworten zu geben. Dementsprechend ist die Erfolgsgeschichte »Ost« durchaus für die gesamte Partei wichtig und kann Orientierung dafür geben, wie DIE LINKE dauerhaft in der bundesdeutschen Gesellschaft verankert werden kann. Die gesellschaftliche Diskriminierung und Schlechterstellung von Menschen mit ostdeutschem Geburtsort und ostdeutscher

Biographie darf genauso wenig Platz in der LINKEN haben, wie die Ignoranz gegenüber den in den letzten 20 Jahren gewonnenen politischen Erfahrungen. Der immer noch weite Weg zu einer fairen Vereinigung der bundesdeutschen Gesellschaft widerspiegelt sich auch in dieser Partei, die selbstverständlich Teil dieser Gesellschaft ist. Verliert DIE LINKE ihre stabilste Säule, die bisher noch im Osten steht, wird sie es sehr schwer haben, mehr als eine von vielen kleinen linken Gruppen im ganzen Land zu sein. Die Gefahr besteht. Deshalb lassen sich die daraus folgenden Aufgaben nicht vertagen. Stefan Hartmann, stv. Landesvorsitzender DIE LINKE.Sachsen, Parteivorstand DIE LINKE

Vor allem befinden wir uns gerade in der Findungsphase der Wahlkampfstrategie zu den Bundestagswahlen. Wir waren uns einig in der Runde der Landes- und Fraktionsvorsitzenden, dass wir die vielfältigen Defizite in Ostdeutschland thematisieren müssen. Weil es diese Unterschiede weiter gibt. »Sagen, was ist« gehört allemal zu den Pflichten der LINKEN.

worin bestand denn der Erfolg der PDS? Der Erfolg der LINKEN und damit der PDS besteht unter anderem darin, dass es uns gelungen ist immer wieder die Benachteiligung der Menschen in diesem Vereinigungsprozess zu thematisieren und es gab ja z.B. auch die eine oder andere Veränderung im Zusammenhang mit dem Vereinigungsvertrag. Wir haben aber auch dafür gesorgt, dass wir in diesem für viele »mörderischen« Transformationsprozess eine Stimme derer waren, die sich benachteiligt fühlten.Wir waren aber auch Heimat … Wären die Erfolge der PDS in drei Sätzen zu beschreiben, dann würde ich das machen, es ist aber so viel mehr...

schichte Ost«? Das eine Partei wie die PDS, die wie in Sachsen bei Wahlen 1990 ca. 10 Prozent eingefahren hat, sich über Jahre kontinuierlich steigern konnte, obwohl wir immer die »Schmudelkinder« der Nation waren. Das wir eine linke Kraft gesellschaftlich tief verankert haben ist ein Erfolg, den nicht viele andere linke Organisationen aufzuweisen haben.

Bild Markus Zottler@flickr

Fünf Nachrichten aus der ersten Hälfte des September 2012. Unter dem Titel »Verblühende Landschaften« beschreibt das »Handelsblatt« die Lage in Ostdeutschland. Mit vielen Fakten wird dort gezeigt, »dass die wirtschaftliche Aufholjagd im Osten faktisch zum Stillstand gekommen ist«. Immerhin habe es bis 2005 nach verschiedenen Kriterien eine Annäherung an das Westniveau gegeben (Beispiel: Produktivität auf 75Prozent), seitdem jedoch ging es wieder leicht abwärts. Ein paar Tage später veröffentlicht die Deutsche Post den »Glücksatlas 2012«, eine wissenschaftliche Studie, in der verschiedene Zufriedenheitswerte gebündelt werden. Die neuen Bundesländer belegen präzise die letzten sechs Plätze. Im Übrigen ist dieser Glücksatlas wieder mal eine jener Landkarten, auf denen die Umrisse der vormaligen DDR überdeutlich zu sehen sind. Ebenfalls in der ersten Septemberwoche fordert der SPD-Wirtschaftsminister Thüringens Machnig eine Strategie 2030 für Ostdeutschland. Die neuen Bundesländer bedürften einer konkreter definierten Industriepolitik und einer Kräftebündelung zum Beispiel in den Bereichen Forschung oder Fachkräftesicherung. Nicht weniger als 1 Billion Euro sei dafür notwendig. Am 1. September lässt sich Bundestagsvizepräsident und SPD-Mann Thierse wie folgt zitieren: »Trotzdem wünsche ich mir, dass es in den Parteien und vor allem im Bundes-

Wir waren auch Heimat... Sachsens Linke sprach mit dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden Rico Gebhardt Du bist Mitunterzeichner des Briefes an die beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger, in dem »mehr Respekt« gegenüber dem Osten erwartet und auf die »Stärken der Partei in Ostdeutschland« verwiesen wird. Wie kam es dazu? Wenn wir die Geschichte der LINKEN der letzten fünf Jahre Revue passieren lassen, haben die Erfahrungen des ostdeut-

schen Teils der LINKEN nicht immer eine herausgehobene Rolle gespielt. Klar, wir wollen eine neue Partei sein. Klar, die Genossinnen und Genossen in den alten Ländern waren der Meinung, es reicht wenn sie den Rucksack SED mittragen müssen, da müssen ostdeutsche Themen nicht mehr so im Fokus der Gesamtpolitik stehen. Dazu kommt, dass wir drei inhaltliche Themen zum Bundestagswahlkampf 2009 hatten, die in der gesamten Republik ein wichtiger Wiedererkennungsfaktor für DIE LINKE waren: »Raus aus Afghanistan«, Hartz IV muss weg« Mindestlohn«. Es fällt aber auf, dass sich in den letzten Monaten plötzlich die SPD auch bei diesem Thema sich plötzlich als InteressenvertreterIn der Ostdeutschen aufspielt.

Ist DIE LINKE eine Ostpartei? Nein, wir sollten auch gar nicht den Versuch unternehmen eine Ostpartei zu werden. DIE LINKE ist entweder Gesamtdeutsch oder überflüssig. Wenn, wie ausgeführt, die Menschen im Osten bis heute nachweisbar schlechter gestellt sind,

Was heißt »Erfolgsge-

Geht es nicht mehr um machtpolitische Positionen als um regionalpolitische? Eine interessante Entgegensetzung! Weder noch. Es geht darum zu prüfen, inwieweit Erfahrungen, die in einer gesellschaftlichen Dauerkrise gewonnen wurden, verallgemeinert werden können.


Sachsens Linke!  10/2012

Soziales

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Morlok will ländlichen Raum abhängen Eine neue ÖPNVFinVO – Finanzierungsverordnung für den ÖPNV – ist im Entwurf vom Kabinett beschlossen und den Nahverkehrszweckverbänden, den Regionalen Planungsverbänden sowie den kommunalen Spitzenverbänden SSG und SLKT zur Stellungnahme zugeleitet worden. Und diese Stellungnahmen sprechen eine einheitliche und vernichtende Sprache. Aber der Reihe nach. Die Finanzierung des ÖPNV auf Schiene und Straße wird durch diese Verordnung geregelt. Danach erhalten die Nahverkehrszweckverbände in Sachsen bis 2014 zugewiesene Festbeträge zur Bestellung insbesondere von Schienenpersonennahverkehrsdienstleistungen (SPNV), aber auch für die Bestellung von Busdienstleistungen. Dafür erhält der Freistaat Sachsen im Jahr 2012 eine Zuweisung aus Regionalisierungsmitteln (RegMittel) des Bundes von 507 Mio. Euro. Leider leitet er davon nur gut 71 Prozent an die Zweckverbände weiter. Mit dem Doppelhaushalt 2011/12 hat der Freistaat einen ersten großen Einschnitt in die ÖPNV-Finanzierung vorgenommen, die zu einer Absenkung des Budgets der Zweckverbände um 8,5 Prozent geführt hat. Aus den Geldern bestreitet Sachsen nun auch die Finanzierung der Citytunnel-Risiken sowie

die ureigene Landesaufgabe des Schülerverkehrs. Die Verteilung der RegMittel wird 2014 einer grundsätzlichen Revision unterzogen. Dabei werden die bestellten Zugkilometer im SPNV der Jahre 2012/13 zugrunde gelegt. Aufgrund der Kürzungen haben genau für diese Jahre die Zweckverbände SPNV-Dienstleistungen abbestellen müssen. Und wer bedenkt, dass Sachsen nur etwa 5Prozent Anteil an Bevölkerung und Fläche am Gesamtbestand in Deutschland hat, aber dennoch 7,16Prozent der RegMittel erhält, kann erahnen, welchen Bärendienst uns FDP-Minister Sven Morlok mit dem ÖPNV-Kürzungshaushalt 2011/12 für die Neuverteilung der Mittel getan hat. Nun also eine neue ÖPNVFinVO für die Jahre 2015 – 2020. Dabei kann niemand sagen, wieviel Geld Sachsen ab 2015 aus den RegMitteln erhält. Trotz dieser Unwägbarkeiten unternimmt es der Verkehrsminister, radikal in die SPNVFinanzierung einzugreifen. Einerseits wird die Festbetragszuweisung in einen prozentualen Schlüssel umgestellt. Andererseits werden die Finanzierungsanteile für die Strecken nach Fahrgastzahlen bewertet. Damit werden die in der Grafik mit den Kategorien 1 bis 3 gekennzeichneten Strecken akut gefährdet und künftig vermutlich

nur noch durch Busverkehre bedient. So stehen beispielsweise die Strecken Hoyerswerder-Niesky, Döbeln-Meißen und Zwönitz-Aue auf der Kippe. Dass gerade die Strecke Hoyerswerda über Niesky nach Görlitz für 300 Mio. Euro ertüchtigt und auf 160 km/h ausgebaut wird, spielt dabei keine Rolle. Für Morlok ist auch unerheblich, dass aus Sicht der Regionalentwicklung dem SPNV eine Raum erschließende Funktion zu-

kommt. Mit diesen Plänen werden vor allem ländliche Regionen abgehängt. Erforderlich ist die weitere Erhöhung des politischen Drucks auf die sächsische Staatsregierung. Es ist jetzt an der Zeit, vor allem mit den Kreisverwaltungen, den Landräten, mit Fahrgastverbänden und auch den Gewerkschaften ins Gespräch zu kommen, um die Sensibilität des Themas und die Interessen der PendlerInnen, der Fahrgäste und

Beschäftigten zu artikulieren. Als Landtagfraktion arbeiten wir mit den Kreistagsfraktionen der LINKEN eng zusammen. Im Landtag findet am 9. November auf unseren Antrag eine öffentliche Sachverständigenanhörung im Landtag statt. Der ÖPNV ist nach dem sächsischen Gesetz Aufgabe der Daseinsvorsorge. Dass das so bleibt, muss die neue ÖPNVFinVO verhindert werden. Enrico Stange

Die Grafik zeigt die Ableitung des Verteilungsschlüssels ausgehend von der abschnittsbezogenen SPNVNachfrage für 2025. Die Datengrundlage ist die Landesverkehrsprognose für 2025.

Stromsperren Wenn in armen Haushalten die Lichter ausgehen

Unser moderner Alltag beruht auf dem Zugang zu Energie, doch immer mehr Menschen werden davon ausgeschlossen. 2011 wurden in Sachsen laut einer Studie der Verbraucherzentrale 21.600 Haushalten der Strom abgedreht, weil sie ihre Stromrechnung nicht bezahlen konnten. Das sind 17 Prozent mehr als im Vorjahr. Bundesweit sind sogar 600.000 bis 800.000 Haushalte pro Jahr von Stromsperrung betroffen. Dabei handelt es sich in den seltensten Fällen um Leute, die gern im Kerzenschein sitzen und sich von ihrem Geld lieber etwas anderes kaufen. Die Betroffenen

haben oftmals ihren Arbeitsplatz verloren oder sind aus anderen Gründen in Geldnot geraten. Studien belegen, dass Haushalte mit geringen Einkommen auch einen geringeren Energiebedarf haben. Man spart eben, wo man kann. Doch die massiv gestiegenen Energiepreise treiben die Rechnung immer höher: In den letzten 10 Jahren haben sich die Strompreise fast verdoppelt. Im gleichen Zeitraum haben sich die Gewinne der vier großen Stromanbieter versiebenfacht. Viele der von Stromsperren Betroffenen sind auf staatliche Unterstützung wie ALG II angewiesen. Der anteilige Hartz IV-Satz für das Gesamtpaket »Wohnen, Energie und Instandhaltung« liegt seit ei-

niger Zeit bei 30,42 Euro. Dieser Betrag reicht schon seit Jahren nicht mehr aus, um die Menge an Strom zu bezahlen, die ein durchschnittlicher Haushalt in Deutschland verbraucht. Denn diese Menge schlägt aktuell in Sachsen mit ca. 37 Euro zu Buche. Tendenz bekanntermaßen steigend. Denn steigende Netzentgelte oder EEG-Umlage schlagen auf die Stromrechnungen der Kleinverbraucher voll durch, während die Stromgeschenke der Bundesregierung große Unternehmen um 1 Milliarde Euro pro Jahr entlasten. Das heißt, private Haushalte und kleine Unternehmen zahlen mit ihrer Stromrechnung für die Großindustrie mit. Notfalls um den Preis, dass sie nicht mehr bezahlen können. Für das Jahr 2012 und darü-

ber hinaus ist daher mit weiter steigenden Zahlen bei Stromabschaltungen zu rechnen. In Sachsen und bundesweit. Dennoch weigert sich die Bundesregierung zu handeln. Umweltminister Altmaier erklärt stattdessen, dass bei drohender Stromsperrung ja das Jobcenter mit einem Darlehen aushelfen könne. Aber wie sollen die Betroffenen diese Darlehen zurückzahlen? Durch gekürzte Auszahlungen in den folgenden Monaten? Und wie sollen dann die folgenden Stromrechnungen vom gekürzten Satz bezahlt werden? Es besteht akuter Handlungsbedarf. DIE LINKE fordert das Verbot von Stromsperren für Privathaushalte! Denn der Zugang zu Strom ist notwendig und damit ein soziales Grundrecht. Die Energiewende muss

sozial ausgestaltet werden. Wir setzen uns daher für die Einführung eines sozialen Sockelmodells ein. Das ist ein progressives Tarifmodell mit einem je nach Haushaltsgröße kostenlosem Grundkontingent an Strom und dann steigenden Preisen. Dieses soziale Sockelmodell ist sozial ausgewogen und setzt zugleich ökologische Anreize zum Energiesparen. Gleichzeitig fordern wir eine Abwrackprämie für alte, energiefressende Geräte im Haushalt. Und nicht zuletzt eine staatliche Preisaufsicht, die Marktmachtmissbrauch, Extraprofite und damit den unbegründeten Anstieg der Strompreise verhindern kann. Caren Lay, MdB stellvertretende Parteivorsitzende


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Riexinger und Kipping zu innerparteilichem Dialog Auf dem letzten Kleinen Parteitag, der gemeinsamen Beratung von Landesvorstand, Landesrat, Kreisvorsitzenden sowie Fraktionsvorstand am 15. September in Dresden zogen die Parteivorsitzenden der LINKEN, Katja Kipping und Bernd Riexinger, ein positives Resümee zum Auftreten und zur Aufnahme der LINKEN nach dem Göttinger Parteitag in der Öffentlichkeit. »Mit unserer Forderung, dass nicht die RentnerInnen und Beschäftigten für die Krise aufkommen müssen, sondern die Millionäre, sind wir an den Sorgen und Unsicherheiten der Menschen dran. Wir fordern, die Profiteure, und nicht die Opfer der Krise sollen für diese bezahlen. Unsere Vorstellung bleibt, dass wir die Finanzmärkte demokratisieren und regulieren müssen.« Mit diesen Worten gibt Bernd Riexinger den klaren Weg vor. DIE LINKE will sich für Mindestlohn, Mindestrente und sanktionsfreie Mindestsicherung einsetzen, und Katja Kipping erläutert, weshalb diese Trias notwendig ist, »um einen eigenständigen Wahlkampf füh-

ren zu können«. Der Landes- und Fraktionsvorsitzende Rico Gebhardt machte in seiner Eröffnungsrede deutlich, dass »Bundesebene der LINKEN und Landesverband Sachsen wieder an einem gemeinsamen Strang ziehen«. Der Kleine Parteitag diskutierte die Kommunalpolitischen Leitlinien in erster Fassung.

Diese sollen den WählerInnen zeigen, was linke Politik vermag. »Eine umfassende, rechtzeitige und ernstgemeinte Bürgerbeteiligung bei kommunalen Vorhaben« fordert Michael Friedrich bei der Vorstellung der Leitlinien. Ein weiteres Thema war die Sucht- und Drogenpolitik, für die auch Leitlinien erarbeitet wurden. Erwartungsgemäß

führte die Vorstellung durch René Jalaß zu einer regen, ja erregten Debatte. Festzuhalten bleibt, wie auch Rico Gebhardt formulierte, dass die derzeitige Drogenpolitik »ihre Ziele nicht nur nicht erreicht hat, sogar das Gegenteil des Gewünschten erzeugt hat, nicht Gesundheitschutz, sondern Tod«. Grund dafür sei, dass sie auf Repression und Kriminali-

sierung setze und »Menschenund Freiheitsrechte [verletzt], weil sie bevormundet, weil sie der Bevölkerung schlicht nicht traut.« DIE LINKE fordert daher z.B. die geregelte Einrichtung von Drogenkonsumräumen mit medizinischer Betreuung. Dazu wäre nur eine Umsetzung von Bundesrecht in Sachsen notwendig, doch dem verschließt sich die sächsische Regierung. Außerdem will DIE LINKE sich für die Ermöglichung von Drug-Checking einsetzen, und für einen umfangreichen Ausbau eines flächendeckenden Angebotes suchtpräventiver Bildungsangebote in Schulen und vorschulischen Einrichtungen. »Diese Angebote dürften aber nicht, wie bisher, von uniformierten Polizeibeamten, die nur das Verbot aussprechen und damit die Neugierde geradezu wecken«, durchgeführt werden, sondern von »engagierten Fachleuten«. Beide Papiere sollen nun in die innerparteiliche, und darüber hinaus im Dialog für Sachsen, in die Diskussion gegeben werden. Rico Schubert

Orientierungshilfe für die »Mühen der Ebene« Diskutiert mit uns die Kommunalpolitischen Leitlinien! Der Sächsische Landesverband der LINKEN stellt exakt eine Abgeordnete im Europaparlament, acht im Bundestag, 29 im Sächsischen Landtag, aber stolze 1.165 in den Stadträten, Gemeinderäten, Ortschaftsräten und Kreistagen, dazu noch 11 Bürgermeister und andere hauptamtliche Wahlbeamte. Diese knapp 1.200 Mandate und die rund 1.050 Menschen, die diese Mandate tragen, sind ein gewaltiges Pfund, mit dem wir unsere Wertevorstellungen, unser Menschenbild und unsere Politikangebote, aber auch unseren Protest in die Gesellschaft tragen können. Deshalb sind unsere Kommunalpolitiker_innen für die Partei im Wortsinne LINKE Leuchttürme. Wir haben gefestigte Positionen, realistische Erwartungen und legitime Ansprüche an LINKE Kommunalpolitik mit einem Ausblick bis etwa zum

Jahr 2020 zusammengestellt. Damit schreiben wir die Kommunalpolitischen Leitlinien von 2003 und den Beschluss »Für eine starke Bürgergesellschaft in starken Kommunen« von 2005 fort. Beide Dokumente sind auch heute nicht falsch. Aber die Welt hat sich weiter entwickelt. Die Stichworte EU-Erweiterung, gescheiterte Gemeindefinanzreform, Arbeit der Jobcenter, Finanzkrise, Schuldenbremse, Energiewende, Gemeindestrukturreform und demographischer Wandel mögen genügen. Entstanden ist ein Dokument von rund 40 Seiten, das in jeder Weise alltagstauglich und gestaltungsorientiert sein will. Für uns LINKE sind die Kommunen keine idyllischen Gebilde. Armut und Unsicherheit in einer reichen Gesellschaft treten hier ganz augenscheinlich zutage. Die Kluft in der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebenssituation zwischen den Menschen ist gewachsen und wächst weiter. Oberstes Anliegen der LINKEN muss es deshalb sein, die Menschen in den Städten und Gemeinden mit ihren Be-

dürfnissen und Sorgen zum Ausgangspunkt des kommunalpolitischen Handelns zu machen und die Kommunen nicht bloß als juristische Verwaltungseinheiten zu betrachten. Elementares Orientierungsfundament für uns sind dabei die Grundwerte des Demokratischen Sozialismus: Freiheit, Gleichheit, Solidarität, menschliche Emanzipation, soziale Gerechtigkeit und Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen sind in ihrer untrennbaren Verbindung zu sehen. Dazu gehört auch, in den Kommunen für ein Klima der Weltoffenheit, der Mitmenschlichkeit und der Toleranz zu wirken. Angesichts der immer geringer werdenden Handlungsspielräume auf kommunaler Ebene scheint die Ohnmacht von Politik hier besonders augenfällig zu sein. Globalisierung, Finanzkrise und EU-Wettbewerbspolitik schränken die kommunale Selbstverwaltung massiv ein, ja machen sie stellenweise zur Farce. LINKE Kommunalpolitik kann sich dennoch nicht darin erschöpfen, darauf nur mit Pro-

test zu reagieren. In solchen Situationen heißt es: Kritik an die Bundes- und die Landesebene adressieren, Mut zur Prioritätensetzung haben, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern nach Lösungen suchen und die eigenen Entscheidungen transparent darstellen. In solchen Situationen wird LINKEN Kommunalpolitiker_innen natürlich auch Kompromissbereitschaft und -fähigkeit abverlangt, die jedoch niemals zu profilloser Beliebigkeit führen dürfen. Freies Mandat kann für unsere Mandatsträger_innen nicht bedeuten, völlig beziehungslos zu den generellen Zielvorstellungen der Partei zu stehen, sondern sich bei Entscheidungen an unserer Programmatik zu orientieren. Die Leitlinien wollen hierfür eine nützliche Orientierungshilfe, aber eben kein Dogma sein. Deshalb ist es kein unlösbarer Widerspruch, wenn Akteure der LINKEN in unterschiedlichen Kommunen infolge unterschiedlicher Ausgangsbedingungen und Kräftekonstellationen bisweilen zu unterschiedlichen Lösungsansätzen kommen. Ihr

Auftreten und Handeln sollte sich aber stets von solchen Grundmaximen leiten lassen wie Nachhaltigkeit, die Bewahrung des kommunalen Eigentums im Interesse der Sicherstellung der kommunalen Daseinsvorsorge und eine ernstgemeinte Bürgerbeteiligung bei kommunalen Vorhaben. Wir sind sehr sparsam mit »roten Haltelinien« umgegangen. Vielmehr schlagen wir »rote Gestaltungskorridore« vor. Ganz bewusst wollten wir ein Dokument aufsetzen, das sich trotz miserabler Rahmenbedingungen, die wir sehr deutlich kritisieren, nicht beim Jammern und Lamentieren aufhält, sondern ausdrücklich zum Mitmachen und Mitgestalten einlädt. Ein Dokument also, das sich sehr gut in den »Dialog für Sachsen« einordnet, weil es sich den so oft beschworenen »Mühen der Ebene« stellt. Daraus könnten später einmal konkrete Kommunalwahlprogramme abgeleitet werden. Lasst uns in diesem Sinn in die Diskussion der Kommunalpolitischen Leitlinien einsteigen! Michael Friedrich


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Sommerakademie – ein Wochenende voller Inhalte Es ist heiß und staubig auf den Straßen der Provinz... Nein, dass ist nicht der Beginn des Provinzparadenberichts, ich schreibe über die Sommerakademie des Vereins Linke Bildung und Kultur für Sachsen. Wir befinden uns noch nicht am Zielort, dem Gut Frohberg, Krögis bei Meißen. Denn nachdem wir mit S-Bahn und Bus immerhin bis ins Käbschütztal gekommen sind, schultern wir unser Gepäck und laufen die gut be-

fahrene Landstraße entlang. Nun denn, ich komme zum inhaltlichen Teil. Neben einem Seminarwochenende war die Sommerakademie auch Start des MentoringProgramms 2012/2013 und bevor der Großteil der Teilnehmenden eintrudelte, begannen wir am Nachmittag bereits mit einer Vorstellungs- und Einführungsrunde. Vor der ersten Workshopphase gab es Abendessen, was zumindest bei mir

zusammen mit dem bisherigen (Arbeits-)Tag zu einer gewissen Lethargie führte. Angebotene Seminare waren übrigens Zeitsouveränität, Argumentationstraining, Sitzungen leiten, Entscheidungsfindung, Spreed/Skype/Cloud Computing, Telefontraining, Konflikte lösen, Freies Reden sowie beteiligungsorientierte Kampagnen. Wer sich nicht für Zeitsouveränität entschieden hatte(welcher über den gesamten Zeitraum

ging), konnte zwei Angebote an diesem Wochenende mitnehmen, denn jede Einheit hatte 4 Blöcke á 1,5 Stunden. Intensivtraining also – allerdings kam mir jedes der von mir besuchten Seminare zu kurz vor. Freitagnacht schlug das Wetter um. Der Samstagvormittag war verregnet, die rauchenden Teilnehmenden standen unter den dünn gesäten Unterstellmöglichkeiten und pafften hektisch. Den Tag über liefen die Semi-

LAK Gender beim Christopher Street Day Bisher 10 Veranstaltungen erfolgreich durchgeführt – weitere geplant

Die CSD`s in Dresden und Leipzig wurden von uns inhaltlich und strukturell bereichert. Dabei lag der Schwerpunkt nicht nur auf Homosexualität, sondern auch bei gesellschaftlichen Entwicklungen von Geschlechtern und deren Rollen, verschiedenen L(i) ebensweisen und Emanzipationsbestrebungen. Mit Vorträgen wie »Die Auslöschung geschlechtlicher und sexueller Pluralität mit der europäischen Moderne« oder »Von der Menschwerdung der Frau« kamen wir mit vielen jungen Menschen ins Gespräch und konnten auch unsere eigenen Positionen vertiefen. Höhepunkte der CSD`s waren die Demonstrationen, bei denen wir mit einem eigenen LKW neben flotten Sprüchen, Forderungen und Konfetti auch Musik zu bieten hatten und so die Demonstrationen prägten. Die LINKE und linksjugend [‘solid] Sachsen stehen damit weiter als eine große Säule im Team der CSDVeranstalter und kämpfen auch im nächsten Jahr für die Abschaffung von Geschlech-

terrollen, Vorurteilen und für das Recht auf Liebe unabhängig vom Geschlecht. Der LAK Gender macht aber

nicht nur in der CSD- Saison inhaltliche Veranstaltungen. Geplant sind im Frühjahr 2013 sechs Vorträge und Podiums-

diskussionen zum Thema Geschlecht und Kapitalismus. Marco Böhme

SoCa 2012 – Der Kapitalismus geht baden, wir gehen schwimmen! Vom 29. Juli bis zum 5.August fand das alljährliche Sommercamp der linksjugend [‚solid] statt. Dieses Mal trafen sich die Camp-Teilnehmer_innen in Mecklenburg-Vorpommern, genauer gesagt in Kratzeburg an der Müritz. Leider bereits zu Anfang ist negativ zu er-

wähnen, dass von den rund 180 Teilnehmer_innen nur 31,88Prozent weiblich waren. Wie immer gab es ein umfangreiches Workshopprogramm, welches die Camp-Besucher_ innen im Vorfeld selbst mitgestalten konnten. Das breit gefächerte inhaltliche Pro-

gramm reichte von Inklusionspolitik über Häkeln bis zu einer Diskussionsrunde mit Bernd Riexinger. Neben dem inhaltlichem Teil wartete auf die Teilnehmer_innen auch ein Kulturprogramm, dass sowohl die üblichen Events wie Kino und die Nachtralley als auch neue

Formate wie das Spiel »RuckZuck« umfasste. Auch während des Camps wurde versucht, alle Menschen in die Organisationsstrukturen einzubeziehen. Etwa durch die tägl. stattfindenden Plena. Nele Werner

nareinheiten, die Sonne traute sich später wieder heraus. Am späten Nachmittag riefen Antje, Suza und Dani zum Reflexionsplenum, welches in ein gemütliches Beisammensein um eine im Hof platzierte Feuerschale mündete. Sonntag noch eine Einheit, Mittagessen, Auswertungsmethode, Grupppenfoto: alles in allem ein sehr informatives Wochenende mit vielen interessanten Inhalten und Menschen. Lisa-Marie Jatzke

Termine 6. Oktober, Sitzung des Beauftragtenrates (BR) ab 12 Uhr, Ort steht noch nicht ganz fest, wenn du vorbeikommen willst, schreib einfach an rico. knorr@ dielinke-sachsen.de 10. Oktober, ab 19 Uhr Vortrag »Greek reality – Der rechte Rand in Griechenland gestern und heute« im Wohn- und Kulturprojekt B12, Braustraße 20, Leipzig, mehr unter http://agantifa.blogsport.de/ 12. Oktober, ab 18 Uhr Vortrag »Ökofaschismus - Faschismusphilosophie und rechtsoffene Esoterik« im K2 – Kulturkiste, Kirchgasse 2, Pirna 17. Oktober, ab 19 Uhr Vortrag »Vortrag Rechte Morde in Leipzig« im Wohn- und Kulturprojekt B12, Braustraße 20, Leipzig, mehr unter http:// agantifa.blogsport.de/ 18. bis 21. Oktober, 19. Festival lesbischer Lebenskunst in Leipzig, mehr Infos unter http://leletre.de/ 20. bis 21. Oktober, 7. Landesparteitag im Pentahotel, Chemnitz 24. bis 30. Oktober, Herbstakademie der linksjugend [’solid] Sachsen, alle Infos, Seminare und Anmeldung unter http://linke-herbstakademie. de/ 2. bis 4. November, Verbandswochenende der linksjugend im Bessunger Forst bei Darmstadt, Anmeldung und Infos unter http://www.linksjugend-solid.de/verbands_ we/ 3. November, ab 15 Uhr Kreisjugendtag der linksjugend Nordwestsachsen im Links. Punkt, Breite Straße 9, Eilenburg


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

10/2012  Sachsens Linke!

Die Demokratie gestärkt ? - Die BVG-Entscheidung zum Fiskalpakt Aushandlungsprozesse auf EUEbene eingebracht werden. Zu mehr Demokratie hätte geführt, wenn das BVG das Europäische Parlament (EP) in seine Betrachtungen einbezogen und eine Mitentscheidungsrolle des EP über ESM und Fiskalpakt zur Bedingung gemacht hätte. Kritisch ist zu sehen, dass das BVG eine Bankenlizenz für den ESM ausgeschlossen hat. Eine Bankenlizenz für den ESM wäre ein kurzfristig praktikabler Weg gewesen, die entscheidende Fehlkonstruktion der EZB auszusetzen: Nämlich das Verbot der direkten Staatsfinanzierung. Dadurch werden die Euro-Staaten den Märkten ausgeliefert und der Möglichkeit beraubt, sich gegen Spekulationen zur Wehr zu setzen. Die Möglichkeit einer direkten Staatsfinanzierung durch die Zentralbank bedeute eine Garantie der Rückzahlung der Staatsschulden. Spekulationen auf eine Staatspleite werden damit sinnlos. Nur so kann die Politik ihre Handlungsfähigkeit gegenüber den Finanzmärkten zurückgewinnen. Das Verbot einer direkten Staatsfianzierung durch die EZB ist eines der zentralen

neoliberalen Konstruktionselemente der Eurozone, die dringend korrigiert werden müssen. Um aus der Krise herauszukommen und Spekulationen gegen Euro-Länder zukünftig zu unterbinden, muss der EZB die direkte Staatsfinanzierung erlaubt werden. Eigentlicher Gegenstand der BVG-Entscheidung war der Fis-

kalpakt. Das BVG hat ihn nicht gekippt. Selbst wenn man anders entschieden hätte, hätte das keine praktischen Auswirkungen gehabt. Denn der Fiskalpakt ist eine Doppelung eines Teils der Ende 2011 in Kraft getretenen Economic-Governance-Gesetzgebung der EU in Form eines zwischenstaatlichen Vertrages. Den Fiskal-

pakt zu stoppen ist nötig, aber keineswegs ausreichend. Die Linke im Europaparlament hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die europarechtliche Vereinbarkeit des Fiskalpakts, der kein EU-Recht ist, untersuchen soll. Wichtiger aber ist es, sich mit der Economic-Governance-Gesetzgebung zu korrigieren. Jürgen Klute, MdEP

Verhandlungen wurde das Land 156. Mitgliedsstaat der We lthan d e l s o r g anis at i o n (WTO). Dass die sich positiv entwickelnde wirtschaftliche Partnerschaft nicht durch entsprechende politische Schritte flankiert wird, ist eine nicht hinnehmbare Abnormität der russisch-europäischen Beziehungen. Bei meinen Gesprächen in Moskau betonten alle GesprächspartnerInnen, von der Regierung bis zur linken Opposition in der Duma und außerhalb: Russland wird den Weg der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modernisierung weiter gehen (müssen) und dabei mit jedem verantwortungsbewusst kooperieren, der Augenhöhe und Interessenausgleich garantiert. Aber gerade über die Wege zu einem sozialeren, wirtschaftlich modernen und demokratischen Russland herrschen in der Finanz- und Wirtschaftswelt einerseits, aber auch in der Opposition von rechts bis links unterschiedliche Vorstellungen. Wenn die Russlandpolitik der

EU weiterhin an alten Denkmustern klebt, wird der Partner im Osten ein Fremder bleiben. Denn gemeinsame Interessen werden immer wieder von der Einforderung von Vorleistungen und Bedingungen überlagert, zu denen auch die erwartete einseitige Akzeptanz von EU-Vorgaben gehört. Ich finde es wichtig, die mit der Unterzeichnung der Europäischen Menschenrechtskonvention eingegangene Selbstverpflichtung Russlands zur Demokratie permanent anzusprechen. Gerade in Fällen wie dem Prozess gegen die Rockband Pussy Riot. Dies darf keine Einbahnstraße sein, sondern Chance für den Beginn eines gemeinsamen Dialoges. Helmut Scholz MdEP

Bild Jens Bredehorn@pixelio.de

Gut ist, dass das Bundesverfassungsgericht (BVG) der Bundesregierung die gelbe Karte gezeigt und sie an die Rolle des demokratisch gewählten Bundestages erinnert hat. Die BVG-Entscheidung zu Fiskalpakt und ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus, Teil des »Euro-Rettungsschirms«) wirft aber auch kräftige Schatten. Aus europäischer Sicht wird die bestehende politische und ökonomische Vormachtstellung der BRD im Krisenmanagement weiter verfestigt. Mit der dem Bundestag nun zugesprochenen Zustimmungskompetenz hat die BRD eine privilegierte Kontrollfunktion über das Krisenmanagement erhalten, dem sich die anderen EU-Mitgliedsstaaten beugen müssen, wenn sie ein Veto aus Deutschland vermeiden wollen. Denn was aus deutscher Sicht nicht sinnvoll und was den WählerInnen in Deutschland nicht vermittelbar ist, dürfte im Bedarfsfall wohl kaum die Zustimmung des Bundestages erhalten. Die Interessen und Sichtweisen anderer EU-Mitgliedsstaaten können damit kaum noch auf gleicher Augenhöhe in die politischen

Zwischen Punk und Tradition, zwischen Vorurteilen und Partnerschaft Das russische Außenministerium hat die jüngste Resolution des Europäischen Parlaments zur politischen Instrumentalisierung der Justiz in der russischen Föderation als Beispiel anhaltender Einmischung in innere Angelegenheiten zurückgewiesen. Präsident Putin bezeichnete sie als inakzeptabel. Auslöser der neuen Eskalation im Verhältnis EU-Russische Föderation war die mehrheitlich von Abgeordneten der EPP, S&D, ALDE, ECR und Grünen getragene Position zum Prozess gegen drei Mitglieder der russischen Rockband Pussy Riot. Wegen »Rowdytums aus Motiven des religiösen Hasses« sollen die MusikerInnen, die in einer Kirche ein »Punkgebet« gegen die Wahl Putins zum russischen Präsidenten aufführten, für zwei Jahre ins Gefängnis. Das im August ergangene Urteil hat Empörung nicht nur in Teilen der russischen Opposition, sondern auch international ausgelöst. Daher hat auch unsere Fraktion der GUE/NGL einen eigenständigen Entwurf in die

Debatte eingebracht: Die Verurteilung der SängerInnen ist nicht nur nach unseren Moralvorstellungen, sondern auch nach internationalen Rechtsnormen und eingegangenen Verpflichtungen zu den Menschenrechtsdeklarationen und der Pariser Charta durch Russland überzogen. Friedlicher Protest gegen Institutionen und Autoritäten des Staates, muss erlaubt sein – überall. In der Debatte wird jedoch ausgeblendet, worum es in den Beziehungen zwischen EU und Russland gehen muss: um die Herstellung einer echten wirtschaftlichen und politischen Partnerschaft auf Basis von Gleichberechtigung und gegenseitigem Vorteil. Mir bereitet Sorge, dass sich der Westen der verbal beschworenen »Strategischen Partnerschaft« mit Russland nicht nähert, sondern sich von ihr entfernt. Es ist fast zur Routine geworden, die eigenen Interessen und selbstbestimmte Kriterien zum Maßstab einer Zusammenarbeit zu machen, das Europäische Par-

lament nicht ausgenommen. Ein solches Verhalten steht im Widerspruch zu den Realitäten: Der Handel zwischen Russland und der EU floriert: Ende August sagten deutsche Automobilhersteller in Russland Wachstumsraten von 30 Prozent in diesem Jahr voraus. Es gibt vielfältige Beziehungen in Forschung und Entwicklung. Zudem kann und will die EU nicht auf russische Rohstoffe verzichten, ebenso groß ist die Nachfrage auf dem russischen Markt nach europäischen Fertigprodukten, Dienstleistungen und Know-how, gerade weil viele Industriezweige sich nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch unter Jelzin und seinen neoliberalen Stichwortgebern noch nicht erholt haben. Ich finde das wichtig, weil ökonomische Verflechtung positive politische und gesellschaftliche Kooperation mit sich bringen kann. Kürzlich ist ein Schritt zur weitergehenden Integration Russlands in die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung gegangen worden: Nach jahrelangen


Sachsens Linke!  10/2012

DIE LINKE im Bundestag

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Bild: Jonathan Göpfert_pixelio.de Bild Dr. Klaus-Uwe Gerhardt@pixelio.de

Erstaunt habe ich mir am Montag nach dem Kleinen Parteitag des sächsischen Landesverbandes in Dresden die Augen gerieben. »LINKE schließt Frieden mit Hartz IV« stand da in der Sächsischen Zeitung, meinem Heimatblatt, geschrieben. Nun weiß ich nicht, ob die SZ jemanden vor Ort hatte, oder ob sie der Verkürzung irgendeiner Agentur aufgesessen ist. Fakt ist jedenfalls, dass DIE LINKE, so wie sie ist, wegen und gegen Hartz IV entstand. Wieso also sollten wir unseren Frieden damit machen? Und selbst wenn Hartz IV endlich wirklich verschwände und durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung ersetzt würde, gäbe es noch genügend Schweinereien im Lande, die es zu bekämpfen gälte. Ich erinnere nur an die Auslands - und demnächst eventuell Inlandseinsätze der Bundeswehr. Ich denke an Deutschland als drittgrößten Waffenexporteur der Welt. Ich denke an flächendeckende Mindestlöhne von denen man würdig leben kann. Ich denke an eine Rente, von der sich gleiches behaupten ließe und die von ALLEN, die in Deutsch-

R_K_by_Manfred Jahreis_pixelio.de

Womit wir niemals Frieden machen

land ein Einkommen erzielen, entsprechend dieses Einkommens finanziert wird. Ich denke an eine Gesundheitspolitik, für die das ebenfalls gilt und ich denke an die vielen, völlig überflüssigen Krankenkassen und die überflüssige Praxis-

gebühr. Ich denke an eine Drogenpolitik, die statt Problembewußtsein zu heucheln und Drogenbarone reich zu machen, den Menschen hilft, mit ihrem Recht auf Rausch auch jenseits der Volksdroge Alkohol vernünftig umzugehen.

Ich denke an ein Bildungssystem, in dem der Bildungserfolg nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängt.. Ich denke an eine ökologisch-soziale Energiewende, die nicht die Verbraucher_innen, sondern jene Konzerne bestraft, die

Zivile Sicherheitsforschung – wirklich nur zivil? terin Schawan selbst betonte in einer programmatischen Rede 2006 in Karlsruhe, »dass heute nicht mehr die wehrtechnische, sondern die zivile Forschung führend bei der Erschließung neuer Technologie ist.« Ihr Staatssekretär Rachel verwendete kurz darauf in Essen die selben Worte, um schließlich klar zu sagen, was das heißt. »‘Dual Use in die andere Richtung‘ ist gefragt.« Diesen Worten folgten Taten. 2007 startete die erste Programmphase des Forschungsprogramms zur zivilen Sicherheit, das Anfang dieses Jahres bis 2017 verlängert wurde. Schauen wir, wer die staatlichen Fördergelder bekommt, wird deutlich, dass schon während der Projektphase nicht getrennt wird: Mit der Rüstungssparte von EADS, Cassidian, mit Rheinmetall Defence Electronics, Diehl oder Thales profitieren führende Rüstungskonzerne direkt von den Geldern des Ministeriums und sind in die Forschungen eingebunden. Daneben sind auch militärische Einrichtungen bei der zivilen Sicherheitsforschung dabei, so das Wehrwissenschaftliche Institut oder die Bundeswehr-Universität Hamburg.

Beispielsweise erhalten Rheinmetall und Cassidian im Rahmen des Projekts D3CoS zur Erforschung von Drohnen Mittel des BMBF. Die unbemannten Flugzeuge können ebenso im Katastrophenfall wie in Kriegen eingesetzt werden. Die Referenzen der beteiligten Rüstungsunternehmen sind dagegen eher einseitig: Rheinmetall ist unter anderem an der bereits in Afghanistan eingesetzten Drohne KZO beteiligt und Cassidian verfügt mit dem Eurofighter, dem Tornado oder den Drohnen Tracker und CL289 über reichlich Erfahrung in militärischer Lufttechnik. Die militärische Nutzung der Forschungsergebnisse liegt auf der Hand. Über den Sinn militärischer Forschung lässt sich streiten. DIE LINKE und die Bundesregierung haben in diesen Bereich klar unterschiedliche Positionen. Nicht streiten lässt sich darüber, dass militärische Forschung nicht in zivile Programme gehört. Von ihnen dürfen weder Bundeswehreinrichtungen noch Rüstungskonzerne profitieren. DIE LINKE fordert deshalb zum einen, dass Rüstungskonzerne, die bis jetzt Gelder bekommen haben, ihre Verwertungsplä-

Dass Lobbyisten im Bundestag…

ne veröffentlichen müssen. Bis jetzt verweigern sie dies. Daneben werden wir einen Antrag einbringen, dass nicht nur Universitäten und Hochschulen eine Zivilklausel bekommen, sondern auch das BMBF selbst. Rüstungsforschung hat am Forschungsministerium nichts zu suchen – wirklich ziviler Sicherheit dürfen die Fördergelder gerne dienen. Michael Leutert, MdB, Mitglied im Haushaltsausschuss

Bild siepmannH@pixelio.de

Zivile Sicherheitsforschung« – der Begriff klingt zunächst einmal unverdächtig. Wer hat schon etwas gegen Forschung, die der Sicherheit dient, noch dazu, wenn jener das Attribut ‚zivil‘ vorangestellt ist? Soweit zur Theorie. In der politischen Praxis der Bundesregierung ist die Sache etwas anders. Das Bildungs- und Forschungsministerium (BMBF) plant für die nächsten Jahre jeweils 57 Millionen Euro für zivile Sicherheitsforschung ein. Die Anwendung kann unter anderem Katastrophenfälle wie Massenpaniken oder Ausfälle von komplexen Systemen einer hochtechnisierten Gesellschaft umfassen. Dabei handelt es sich um sinnvolle Arbeit. Das Problem beginnt bei der kaum möglichen Trennung von rein ziviler, von sicherheits- und von militärischer Nutzung. Die meisten geförderten Projekte fallen in die Kategorie des ‚Dual Use‘, der sowohl zivilen wie militärischen Anwendbarkeit. Um ein genaues Bild über das Programm des BMBF zu erhalten, lohnt ein Blick auf die Intention des Ministeriums sowie auf die beteiligten Firmen und Institutionen. Forschungsminis-

diese Wende über Jahrzehnte hinweg in der Lobby des Parlaments torpediert und verschleppt haben. Das sind in der Tat einige Themen mehr, als nur Hartz IV - wenn auch noch längst nicht alle. Aber ich kann es abkürzen: Ich denke schlichtweg an das Parteiprogramm, welches wir in Erfurt mit übergroßer Mehrheit beschlossen haben. Wir haben es uns mit diesem Programm nicht leicht gemacht auch gegenseitig nicht. Aber wir haben es beschlossen und darum gilt es. Und wer wissen möchte, mit wem wir uns unter welchen Bedingungen aussöhnen und mit wem vermutlich niemals, dem sei ein Blick in dieses Parteiprogramm empfohlen. Und wenn er oder sie dieser Empfehlung nachkommt, wird ihm oder ihr schnell klar werden: Ein friedliches Deutschland in sozialer Gerechtigkeit - das ist unser Auftrag. Und hier schäme ich mich des rhetorischen Diebstahls bei Axel Cäsar Springer ausnahmsweise nicht. Frieden mit Hartz IV stünde diesem Auftrag diametral entgegen. Katja Kipping

ein- und ausgehen ist bekannt. Geschätzt sind es rund 5000. Mit ihrer Hilfe versuchen Interessengruppen, die Abgeordneten zu beeinflussen. Es liegt in der Natur der Sache, dass wirtschaftlich potente Interessengruppen besonders viel Einfluss nehmen - die Pharmaindustrie zum Beispiel. Doch nicht nur Abgeordnete sind Zielobjekte der Lobbyisten. Auch unsere MitarbeiterInnen werden ab und an beglückt. Es geht darum, eine »Wohlfühlatmosphäre« zu schaffen, Beziehungen und Vertrauen aufzubauen. Wenn – wie vor kurzem -meine Büroleiterin zu einem »Mitarbeiter-Workshop« eines Pharmakonzerns eingeladen wird, weiß man, dass weder bei dem Vortrag, noch dem »Dialog bei einem kleinen Imbiss« Kritisches zur Sprache kommen soll. Um es kurz zu machen: Bei uns wandern solche Einladungen in den Papierkorb. Es kann trotzdem nicht schaden, auf das Phänomen aufmerksam zu machen. Michael Leutert


September 2012

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

ParlamentsReport LINKER Einfall wegen zu viel Ausfall

Ob Täuschung oder Irrtum – mit dieser CDU/FDP-Staatsregierung ist kein Staat zu machen, weil sie statt zu handeln das Land lahmgelegt hat. Statt die Bremsen bei den Investitionen in Bildung und sozialen Zusammenhalt zu lösen, tritt man öffentlich auf die Schuldenbremse, obwohl Sachsen gar kein Schuldenproblem und niemand Neuverschuldung gefordert hat. Aber der Tanz der schwarz-gelben Koalition ums Schuldenverbot ist offenbar ebenso eine durchsichtige Inszenierung wie die wirklichkeitsfernen Zahlenspiele des Finanzministers. Wer an all dies glaubt, wird nicht selig – politische Glaubwürdigkeit sieht anders aus!

Wie geht DIE LINKE mit den Umfrageergebnissen um?

Wie viel Unterricht fällt denn im Durchschnitt aus?

Wir werden natürlich wie bisher vehement dafür eintreten, dass mehr junge Lehrer eingestellt und Lehrkräfte generell angemessen bezahlt werden. Wir unterstützen die Forderung der Lehrervertretungen nach einem Generationentarifvertrag und fordern Arbeitsbedingungen, die Schule für beide Seiten zum Gewinn macht: für Lernende und Lehrende. Und wir fordern Kultusministerin Kurth ausdrücklich auf, endlich die amtliche Halbjahresstatistik über den ausgefallenen Unterricht zu veröffentlichen, wozu sie im Übrigen per Landtagsbeschluss verpflichtet ist. Zudem haben wir ganz aktuell einen Antrag zur Personalsituation an den Schulen gestellt.

Mit Durchschnittszahlen ist die wirkliche Dramatik nicht zu erfassen. Es sind die Extreme, die man angucken muss. Auch wenn unsere Umfrage nicht repräsentativ ist, müssen wir

Was konkret unsere Umfrage betrifft, haben wir drei Einsender ausgewählt, die wir in verschiedener Weise unterstützen. Mitte September habe ich der Schule zur

Frau Falken, hat Sachsen ein Problem mit nicht gehaltenem Unterricht? Definitiv. Auch wenn Ministerin Kurth keine Zahlen nennt und das Thema gern abmoderieren würde. Unsere Umfrage bestätigt: Der Unterrichtsaufall ist – und war offenbar gerade im letzten Schuljahr – besonders hoch.

Foto: efa

wie bewertet man das Handeln eines Finanzministers, der sich mit seinem 15,5-Milliarden-Haushaltsplan 2011 um anderthalb Milliarden verrechnet und dann zwei Jahre später so tut, als stelle er nun viel mehr Geld fürs Volk zur Verfügung, obwohl der aktuelle Plan 200 Millionen Euro unter der Summe liegt, die vor zwei Jahren am Ende tatsächlich ausgegeben wurde? Hat er die Öffentlichkeit getäuscht oder hat er sich geirrt? Bedenkt man, dass maximal ein Zehntel des Landeshaushalts politisch frei verfügbar ist, also rund anderthalb Milliarden, hat Sachsens Finanzminister Unland die drohende finanzielle Handlungsunfähigkeit des Landes vorgespielt. Damit wollte er einen seit 1990 beispiellosen Sozialabbau rechtfertigen, der auch mit dem aktuellen Etatentwurf nicht zurückgenommen wird.

zur Kenntnis nehmen, dass es hierzulande Klassen gibt, an denen in Monatsfrist bis zu 27 Unterrichtsstunden ausgefallen sind. Das entspricht in etwa einer ganzen Unterrichtswoche! Mit regulärem Schulbetrieb hat das rein gar nichts mehr zu tun.

Lernförderung „Fritz Gietzelt“ in Leipzig den ersten symbolischen Scheck überreicht (Foto unten), ein zweiter ging an das Geschwister-Scholl-Gymnasium in Nossen. Den Unterrichtsausfall beheben wir damit zwar nicht, mit unserer Unterstützung wollen wir aber den jeweiligen Schülerrat ermutigen, weiter konsequent für die Interessen der Schüler/innen zu streiten. Eine Einzelzuschrift haben wir noch extra ausgewählt. Diese kam von Henrik Merker (Foto oben rechts), der Schülersprecher im Gymnasium in Großröhrsdorf ist und sich sehr über den Unterrichtsausfall ärgert. Und der nun dank uns in der zwangläufig „frei“ werdenden Zeit der Ausfallstunden seine Lieblingsmusik über einen neuen iPod nano – natürlich in Rot! – anhören kann. Foto: efa

Liebe Leserinnen und Leser,

Die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag wollte sich nicht länger mit der von der Realität widerlegten Behauptung, in Sachsen stünden ausreichend Lehrer/ innen vor den Klassen, begnügen und hatte eine Idee: Ende letzten Jahres wurden Sachsens Schüler/ innen gebeten, aufzuschreiben, wie viele Unterrichtsstunden in einem bestimmten Zeitraum an ihren Schulen ausgefallen sind und der LINKEN dies mitzuteilen. Inzwischen sind die Einsendungen ausgewertet. Zum Umfrageergebnis befragten wir die Fraktionssprecherin für Bildungspolitik, MdL Cornelia Falken:

Foto: DAK

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

Die Schulsozialarbeiterin Janine Kloß (links) mit Schülerinnen und Schülern der Schule für Lernförderung „Fritz Gietzelt“ Leipzig.


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PARLAMENTSREPORT

September 2012

Landeshaushalt 2013/2014: Für die Menschen oder für den Sparstrumpf? Am 7. September hat Sachsens Staatsregierung dem Landtag ihre Haushaltsvorstellungen für die kommenden zwei Jahre präsentiert. Formal hieß das „Erste Lesung des Entwurfs des Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplanes des Freistaates Sachsen für die Haushaltsjahre 2013 und 2014 und die Feststellung der Finanzausgleichsmassen und der Verbundquoten in den Jahren 2013 und 2014“ (Drucksache 5/9949). Viele Buchstaben für viel Geld: Insgesamt 33,13 Milliarden ist der sächsische Doppelhaushalt 2013/14 „schwer“. Wie das Geld verteilt, wo gekürzt und wo draufgesattelt werden soll, darüber gehen die Vorstellungen von CDU/FDP und der LINKEN weit auseinander. Die größten Differenzen skizzierte Fraktionsvorsitzender Rico Gebhardt wie folgt: Vielen droht Armut im Alter

Axt an der Wurzel des sozialen Zusammenhalts Die Koalition von CDU und FDP hat die Axt an die Wurzel des sozialen Zusammenhalts gelegt. Im ersten Etat dieser Koalitionsregierung für 2011 und 2012 wurde der Sozial­ haushalt um 13 Prozent zusammengestrichen. Diese Untat wird mit dem Doppelhaushalts-Entwurf 2013/2014 keineswegs zurückgenommen. Finanzminister Unland ist dem damaligen Protest mit der Begründung begegnet, zur Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskrise sowie des drohenden Rück-

gangs der Einnahmen seien diese schmerzhaften Einschnitte unumgänglich. Diese Rechtfertigungs­ strategie der Staatsregierung gehört in der Haushaltsgeschichte des Freistaates ins Kapitel Legendenbildungen. Mit einigen wenigen Zahlen kann man diese Legende zerstören: Das Haushaltsjahr 2011 sah Einnahmen und Ausgaben in Höhe von 15,5 Mrd. Euro vor. Inzwischen gibt es ja eine Ist-Betrachtung dieses Haushaltsjahres. Die sagt folgendes: 16,9 Mrd. eingenommen, 16,5 Mrd. ausgegeben. Im Ergebnis war das heraufbeschworene haushaltspolitische „Katastrophenjahr 2011“ das drittbeste Einnahmejahr seit 1990 und das fünfthöchste Ausgabevolumen eines Haushaltes seit 1990! Haushalt 2011/12 war Wahlkampfhaushalt Ausgehend von diesen Erkenntnissen sind die aktuellen Aussagen

zur Entwicklung des Haushaltes für 2013 und 2014 mit gesundem Misstrauen zu bewerten. Dennoch ist es notwendig, noch einen Aspekt der vergangenen Haushaltsperiode zu beleuchten. Denn falls doch angesichts der enormen Differenz von anderthalb Milliarden Euro ein Plan bestand, dann kann das nur dieser sein: Der Haushalt 2011/12 war ein Wahlkampfhaushalt. Ausgehend von absurd niedrigen und falschen Planzahlen soll jetzt ein Aufwuchs simuliert werden, der aber praktisch nicht existiert! Dafür hat Schwarz/ Gelb Flurschaden in der Gesellschaft angerichtet, den der neue Doppelhaushalt nicht beseitigt. Im Vergleich zu den realen Zahlen des Jahres 2011 sinkt das Volumen des Plans 2013 um 200 Mio. EUR! Der Freistaat verhält sich wie jene Vermögenden, die sich arm rechnen, um ja nicht ihren Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft nachkommen zu müssen. Dauerbaustelle Bildung

Fotos: efa

Zwei Drittel aller hier sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten verdienen maximal 2.500 Euro brutto im Monat und gehören damit zu der Gruppe der Bevölkerung, die in Zukunft von Altersarmut bedroht ist. Soviel zu den Visionen Tillichs und Morloks, aus Sachsen ein „Geberland“ zu machen. Besser wäre, Schwarz-Gelb würde sich mit uns für einen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn und für ein Landes-Vergabegesetz einsetzen, das dafür sorgt, dass mit Aufträgen des Freistaates kein Lohndumping mehr unterstützt wird.

Zu den Pflichten der Landesregierung würde es jetzt gehören, ihre bildungspolitische Irrfahrt zu beenden, deren Ziel lautet: CDU und FDP wollen in Sachsen die besten Schulen mit den deutschlandweit am schlechtesten bezahlten Lehrerinnen und Lehrern schaffen, ganz zu schweigen von den defizitären Arbeitsbedingungen. Das funktioniert nicht! Für die Schule brauchen wir eine viel größere Anzahl an Referendarstellen und deutlich mehr Einstellungen von Lehrkräften. Die jetzt

im Haushalt eingestellten Mittel für „Unterrichtsgarantie“ in Höhe von 2,8 bzw. 4,1 Mio. Euro, um Vertretungskräfte mit und ohne Lehrbefähigung durch die Schulleiterinnen und Schulleiter einstellen zu lassen, sind Folge der verfehlten Schulpolitik der letzten Jahre. Mit welchem Standortvorteil will Sachsen im Wettbewerb um die immer mehr umworbenen ausgebildeten Referendare kämpfen? Gehalt: Fehlanzeige. Kleine Klassen: Fehlanzeige. Durchlässige Bildungsangebote: Fehlanzeige. Hochtechnologien im Unterricht: Fehlanzeige. Und die Ministerin philosophiert im Fernsehen: Man müsste mal was tun … Kita-Pauschale rauf, Betreuungsschlüssel runter Bei der frühkindlichen Bildung sieht es nicht besser aus: Die KitaLandespauschale ist seit 2005 bei 1.875 Euro eingefroren. Sie muss auf 2.400 Euro angehoben werden! Damit könnte dann auch die überfällige Verbesserung des Personalschlüssels finanziert werden: von 1:6 auf 1:4 in der Krippe und von 1:13 auf 1:10 in den Kitas. Dafür werden wir uns in den Haushaltsberatungen stark machen, ebenso für die Anrechnung der Vor- und Nachbereitungszeit bei der Umsetzung des Sächsischen Bildungsplanes. Besonders erbärmlich sieht es beim Bildungsthema Inklusion aus, also der Einbeziehung von Kindern mit besonderem Förderbedarf in das Regelschulwesen. Für mehr


September 2012 als 1.700 Schulen und über 2.700 Kitas in Sachsen stellt das Kultusministerium in den Jahren 2013 und 2014 jeweils 150.000 Euro für Inklusion zur Verfügung. Das entspricht in etwa dem Jahresgehalt eines Ministers. Das ist nicht nur eine Missachtung der UN-Behindertenrechtskonvention, sondern auch des Landtags, dessen demokratische Fraktionen in einem gemeinsamen Antrag erste Schritte zur Gestaltung der Inklusion beschlossen haben. Sachsen hat kein Verschuldungsproblem … … denn wir haben die „MilbradtDividende“, die dem Freistaat eine beispiellos niedrige Schuldenlast und eine hohe Investitionsquote beschert hat. Ungeachtet des grandiosen Versagens bei der Landesbank-Geschäftspolitik, die

PARLAMENTSREPORT zum Crash mit Milliardenverlust geführt hat. Wir zahlen jetzt im vorliegenden Haushaltsentwurf auch für Rechnungen, die uns der Notverkauf der Sächsischen Landesbank hinterlassen hat. Ein originäres CDU-Erbe. Pro Haushaltsjahr sind 100 Mio. Euro zur planmäßigen Zuführung in den Garantiefonds eingestellt, um die Gesamtlast von 2,75 Mrd. Euro an Gewährleistungen zu finanzieren. Ob der Koalition eigentlich bewusst ist, was man für Landesprogramme für diese 200 Mio. auflegen könnte, um z.B. soziale und kulturelle Infrastruktur zu gestalten? Auch dies ist ein weiteres Beispiel für die Vernichtung von potentieller Gestaltungskraft im Freistaat Sachsen. Mit den Füßen abgestimmt Unser Problem ist nicht der Verlust von Geld durch Kreditbelastung,

sondern der Verlust von Menschen, die aufgrund ihrer praktischen Erfahrungen z. B. mit den Folgen sächsischer Niedriglohnpolitik, ihr Glück woanders gesucht haben. Über eine dreiviertel Million Menschen sind NETTO in den vergangenen zwei Jahrzehnten gegangen. Sie haben mit den Füßen abgestimmt über die Politik der Staatsregierung und die Lage im Freistaat. Jeder weiß, dass sich unter denen, die gegangen sind, viele junge gut ausgebildete Menschen, insbesondere viele kluge junge Frauen befinden! Und die holt man nicht mit einer Eierschecke an der Autobahnraststätte zurück.

Seite 3 dige Geld zu geben, wie gerade bei den Lernmitteln erlebt. So blieb der Finanzausgleich jahrzehntelang unverändert, jetzt soll es gerade mal 30 Millionen zusätzlich geben, ein Tropfen auf den heißen Stein.

Kommunen immer mehr belastet

Die Fraktion DIE LINKE wird die kommende Zeit der Haushaltsberatungen nutzen, um herauszufinden, an welchen Stellen die jeweilige schwarz-gelbe Prägemarke unseren TÜV-Stempel erhalten kann. Stichworte sind dabei: Personalabbau im Landesdienst, haushaltstechnische Umsetzung des Standortegesetzes, Bildungspaket, Sozialhaushalt, Braunkohle-Subventionen, Kahlschlag im Schienenpersonennahverkehr im ländlichen Raum, Schröpfung der Kulturräume u.v.a.m.

Die Landespolitik bürdet den Kommunen beständig neue Aufgaben auf, ohne ihnen das dafür notwen-

u mehr unter www.linksfraktion-sachsen.de (Pressemitteilung 415/2012)

Sachens Lehrkräfte haben’s satt: Streik statt hohler Worte! Wie schlecht es um Sachsens Bildungswesen bestellt ist, lässt sich neben der Zahl an Ausfallstunden auch an der Anzahl der Großdemonstrationen und Kundgebungen der Schüler/ innen, Lehrkräfte und Elternver tretungen ablesen. Allein im laufenden Jahr sind diese vier Mal zu Tausenden nach Dresden gereist, um auf Lehrermangel, schlechte Bezahlung, miese Arbeitsbedingungen und mangelhafte Beachtung durch die Regierenden aufmerksam zu machen: am 28. März, am 10. Mai, am 13. Juni und zuletzt am 7. September, wo mit ca. 15.000 Demonstrierenden so viele Menschen vor dem Dresdner Landtag standen, wie nie zuvor.

belastungen zumutet, dann ist der Widerstand dagegen legitim“, so Bildungsexpertin Cornelia Falken: „Mit einem GenerationenTarifvertrag streben die Lehrer/ innen altersgerechtes Arbeiten und flexible Altersübergänge an. Damit schaffen sie Platz für die dringend benötigten jungen Lehrkräfte. Solange die Staatsregierung keine solide Personalpolitik im Lehrerbereich verfolgt, bleibt den Lehrerinnen und Lehrern nichts anderes übrig, als selbst für eine solche Politik zu kämpfen. Das geschieht in ihrem eigenen und dem Interesse der Schülerinnen und Schüler.“

DIE LINKE hingegen unterstützte die Lehrer-Streikaktionen: „Wenn der Finanzminister Verhandlungen über einen solchen Tarifvertrag ablehnt und der Haushaltsentwurf der Kultusministerin Sachsens Lehrerschaft noch mehr Arbeits-

Fotos: efa

Während draußen für bessere Bezahlung und einen GenerationenTarifvertrag demonstriert wurde, zeigte sich Finanzminister Georg Unland drinnen völlig unbeeindruckt und bezeichnete die Lehrerforderungen als „Partikularinteressen“, die „nicht zu bedienen“ seien. „Altersteilzeit“, so Unland, leiste „keinen Beitrag zur Sicherung der Unterrichtsversorgung“. Auch Unlands Parteikollege, CDUFraktionschef Flath, nannte den Lehrer-Warnstreik ungerechtfertigt und Neu-Kultusministerin Kurth „fehlte“ dafür „das Verständnis.“


PARLAMENTSREPORT

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September 2012

tation von Militärtechnik aus dem II. Weltkrieg und winkenden Männer in Wehrmachtsuniformen stießen vielen sauer auf. Die Präsentation der IG Militärtechnikfreunde Sachsen wurde weit über Sachsens Landesgrenzen hinaus zum Stein des Anstoßes. Der kulturpolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE Dr. Volker Külow nannte das Ganze einen Skandal und der VVN-BdA Sachsen verfasste eine offene Erklärung. Darin heißt es: „Sowohl der Standort dieses Vereins während der Festtage als auch seine Einordnung im Festumzug sind höchst kritikwürdig. Vom Konzept eines unpolitisch agierenden Vereins war es völlig abweichend, einen Wegweiser mit Entfernungsangabe nach Sewastopol sowie zur Feldpolizei (die Kriegsunwillige als Deserteure

Frauenarmut in einem reichen Land Am Samstag, dem 6. Oktober 2012 lädt die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag zu ihrer 6. Armutskonferenz nach Chemnitz ein. Zwischen 10 und 16 Uhr geht es im Kraftwerk e.V. in der Kaßbergstraße 36 um die Armutslagen von Frauen in unterschiedlichen Phasen des Lebens. Mit der Konferenz will DIE LINKE einen Beitrag zur Analyse der sozialen Situation in Sachsen leisten und ihrem Verfassungsauftrag zur Kontrolle

der Staatsregierung nachkommen sowie Vorschläge zur Verbesserung der Situation betroffener Frauen unterbreiten. Im Rahmen der Konferenz gibt es u.a. Referate und Diskussionsangebote zu den Folgen prekärer Arbeit und zur Situation Alleinerziehender. Das gesamte Programm nebst Einladung und Anmeldemöglichkeit finden Interessierte unter www.linksfraktionsachsen.de unter dem Menüpunkt „Termine“.

einfing und den Henkern übergab) als Dekoration aufzustellen. Im Festumzug erweckte der Auftritt in his-

torischen Wehrmachtsuniformen ebenfalls abstoßende Gedanken und Gefühle. Die Frage eines Ukrainers an uns, wie so etwas geduldet werden könne, konnten wir nicht beantworten. (…) Es ist beschämend, dass Uniformen dieser faschistischen Armee ohne auch nur einen Hinweis auf ihr verbrecherisches Wirken im Dritten Reich im Festumzug getragen werden durften.“ Der VVN-BdA forderte die Staatsregierung auf, „eine kritische Auswertung des Aufmarsches von Wehrmachtstechnik in Uniformen einer als verbrecherisch verurteilten Armee vorzunehmen und Sorge dafür zu tragen, dass eine Wiederholung künftig ausgeschlossen wird.“ MdL Dr. Külow hat unter der Drucksachennummer 5/10108 eine Kleine Anfrage gestellt. Übrigens: 2013 findet der Tag der Sachsen in Schwarzenberg statt … Foto: DAK

Der 21. Tag der Sachsen ist Geschichte. Freiberg hatte eingeladen und mehr als Vierhunderttausend Gäste kamen. Neben Vereinen, Unternehmen und Kulturschaffenden präsentierte sich auch Sachsens Politik. Darunter wie immer auch DIE LINKE, diesmal in Griffnähe zu den anderen Landtagsfraktionen auf einer sog. Parteienmeile am Busbahnhof. Der Platz selbst war nicht optimal gewählt, hier kamen einfach nicht so viele Besucher/innen entlang, wie wir sonst vom Sachsentag gewöhnt waren. Wie gut, dass es mit dem Bürgerbüro von MdL Dr. Jana Pinka einen zweiten, sehr gut besuchten Anlauf-Ort für an LINKER Politik Interessierte gab. Am Roten Weg war dann der Name Programm, hier standen u.a. die LINKE Bundesvorsitzende MdB Katja Kipping und Sachsens Landeschef und Frak­ tionsvorsitzender MdL Rico Gebhardt Rede und Antwort, interviewte Fraktionspressesprecher Marcel Braumann Landtagsabgeordnete zu aktuell-politischen Themen und wurde die selbst gebackene Erdbeertorte angeschnitten. Am Busbahnhof gab’s dafür LINKELogo-Äpfel – und eine Provokation angetrunkener Nazis. Dass da nicht gleich und konsequent eingegriffen wurde, offenbarte große Lücken am offiziellen Sicherheitskonzept für die „Parteienmeile“. Leider blieb das nicht das einzige Ärgernis: TVBilder vom großen Festumzug machten die ansonsten schöne und gastfreundliche Bergstadt unfreiwillig bundesweit bekannt. Die Präsen-

Foto: DAK

Helles und Finsteres beim Sachsentag in Freiberg

Da ist kein Wurm drin! Gewinne mit Obst …

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Fax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Elke Fahr


Kommunal-Info 8-2012 19. September 2012 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Feuerwehren Freiwillige Feuerwehren vor neuen Herausforderungen Seite 3

Klimawandel I

Demographischer und klimatischer Wandel erfordern Weiterentwicklung kommunaler Wasserinfrastruktursysteme Seite 3

Klimawandel II Positionspapier des Deutschen Städtetags

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Veranstaltungen Effektivität der Landkreise Vergaberecht Pflichten der Aufsichtsräte

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Sicherheit in Städten und Gemeinden Die Sicherheit vor Gewalt und Kriminalität hat für die Bürgerinnen und Bürger in den Städten und Gemeinden ganz wesentliche Bedeutung für ihre Lebens- und Wohnqualität. Außerdem sind Sicherheit und Ordnung auch wichtige Standortfaktoren für die Wirtschaft Der tatsächliche und der vermutete Grad an Sicherheit, die Gewaltfreiheit im öffentlichen Raum, die Wahrung der persönlichen Integrität und der Schutz der eigenen Habe sind wichtige Maßstäbe für die Akzeptanz des kommunalen Gemeinwesens. Wie sicher oder unsicher bestimmte Orte durch die Bürgerinnen und Bürger subjektiv wahrgenommen werden, hängt von der tatsächlichen oder auch nur befürchteten Kriminalität ab. Außerdem spielen Störungen der Ordnung unterhalb der Schwelle strafbaren Verhaltens und die vermeintliche oder tatsächliche Unübersichtlichkeit der städtebaulichen Gestaltung, die soziale „Unordnung“, geringer sozialer Zusammenhalt in Stadtteilen sowie die Sauberkeit und Ordnung eine wichtige Rolle für die subjektive Wahrnehmung von Sicherheit an bestimmten Orten. Urbane Transformationsprozesse (Auf- und Abwertungsprozesse) mit ihren Strukturbrüchen und gravierenden sozioökonomischen Veränderungen bilden den Hintergrund für die Befürchtung, Stadträume seien unsicher oder könnten unsicher werden.

Kommunales Handeln

Die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in den Städten und Gemeinden zu gewährleisten, ist zwar in erster Linie eine Aufgabe von Polizei und Justiz. Aber die Bürgerinnen und Bürger richten ihre Erwartungen an die Schaffung und Gewährleistung sicherer Lebensräume auch an die Städte

und Gemeinden, sie fragen nicht nach gesetzlichen Zuständigkeiten bei der Kriminalitätsbekämpfung. Und ideologisch geprägte Debatten über gesellschaftliche Ursachen von Kriminalität stoßen im allgemeinen zumeist auf taube Ohren. In den zurückliegenden Jahren konzentrierten sich die kommunalen Aufgaben in Bezug auf die Sicherheit in den Kommunen auf folgende Schwerpunkte:  Gefahrenabwehr (Erteilung und Entziehung von Gewerbeerlaubnissen für Gaststätten, Spielhallen usw., Festlegung von Sperrbezirken usw., Unterbringung von Obdachlosen, Regelung der Polizeistunde, Umgang mit Jugendschutz und Versammlungsrecht);  Maßnahmen der Städtebaupolitik (Festlegung von Nutzungsstrukturen, Vermeidung von städtebaulichen Angsträumen usw.);  Gestaltung von Rahmenbedingungen zur Kriminalprävention (Sozial-, Jugend-, Familien-, Wohnungs-, Bildungs-, Kultur-, Beschäftigungspolitik usw.).

Sicherheit als Querschnittsaufgabe

Seit Beginn der 1990er Jahre haben die Kommunen Sicherheit als Querschnittsaufgabe entdeckt und integrierte Ansätze zum Umgang mit dem Thema entwickelt. Diese wurden zumeist unter dem Leitbegriff „kommunale Kriminalprävention“ zusammengefasst. Darunter fallen solche Organisationsformen kommunaler Sicherheitspolitik wie z.B.:  Ordnungs- und Sicherheitspartnerschaften zwischen Polizei und Stadt: Sie sollen der Tendenz entgegenwirken, die alleinige Verantwortung für die Sicherheit bei der Polizei, für die

öffentliche Ordnung aber bei den Städten anzusiedeln;  kriminalpräventive Gremien: Sie sollen bürgerschaftliches Engagement einbinden und zur Entwicklung kleinteiliger Lösungen beitragen;  kommunale Ordnungsdienste: Sie übernehmen Ordnungsaufgaben, die von der Polizei aufgrund von Sparzwängen in den Landeshaushalten nicht mehr wahrgenommen bzw. von den Städten nicht mehr anderweitig erledigt werden (z.B. Kontrollaufgaben, die früher durch Parkwächter, Schaffner usw. erledigt wurden).

Kommunalpolitische Entscheidungen

In einer Befragung von 188 Städten und Gemeinden durch das Deutsche Institut für Urbanistik (DIfU) gaben davon 67 Prozent an, dass bei ihnen durch die Kommunalpolitik eine Vielzahl von Entscheidungen für die örtliche Sicherheit getroffen werden, die dann maßgebende Bedeutung für die Tätigkeit des Ordnungsamtes haben. Auch wenn die Tätigkeit kommunalpolitischer Gremien im wesentlichen von pragmatischen Lageeinschätzungen bestimmt wird, hat der politische Auftrag doch eine besondere Relevanz. Kommunalpolitik fungiert dabei auch als Schnittstelle zwischen Bürger und Verwaltung: Bürgeranliegen in Fragen der urbanen Sicherheit werden von der Kommunalpolitik aufgenommen und als möglicher Handlungsauftrag an die Verwaltung weitergegeben. Probleme bestehen in der möglichen parteipolitischen Instrumentalisierung von Fragen der urbanen Sicherheit und in der - auch von der Medienberichterstattung beeinflussten - Bewertung von Fragen der urbanen Sicherheit. So werden zum Teil über die mediale Ver-

mittlung auch überlokale Sicherheitsthemen in den lokalen Sicherheitsdiskurs aufgenommen. Grundsätzlich gibt es aber gegenseitige Rückkopplungen zwischen Kommunalpolitik und Verwaltung in Bezug auf die Beurteilung von Sicherheit und Ordnung an bestimmten Orten in den Städten und des notwendigen Handlungsbedarfs.

Subjektive Sicherheit

In jeder Stadt gibt es Orte, die in der öffentlichen Wahrnehmung als eher sicher oder eher unsicher gelten. Dies können in beide Richtungen Bahnhöfe, öffentliche Plätze, Grünanlagen, Einkaufsviertel, Wohngebiete sein. Die Gründe, warum Orte von allen oder von einzelnen Bevölkerungsgruppen als sicher oder unsicher wahrgenommen werden, sind seit langem Gegenstand der (kriminologischen) Stadtforschung zum subjektiven und objektiven Sicherheitsgefühl. Eine zentrale Erkenntnis aus dieser Forschung ergibt, dass empirische Daten der (polizeilichen) Kriminalitätsstatistik oft die Kriminalitätsfurcht der Einwohner statistisch nicht erklären können. Kriminalitätsfurcht ist primär eine emotionale Reaktion gegenüber Kriminalitätsereignissen, die als persönliche Bedrohung empfunden werden, die das real aber möglicherweise nicht waren oder werden. Ebenso wie die Kriminalitätsfurcht, die eher emotional herbeigeführt als faktisch gerechtfertigt gilt, beruht auch die Unsicherheit nicht zwangsläufig auf realer Bedrohung. Einen statistischen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Zahl der Straftaten und dem subjektiven Sicherheitsgefühl gibt es nicht. Unsicherheiten und Ängste der Fortsetzung auf Seite 2


Kommunal-Info 8/2012 Fortsetzung von Seite 1

Sicherheit ...

Bürgerinnen und Bürger können kausal nur selten kriminellen Delikten zugerechnet werden. Was also ist Sicherheit? Ist es schlicht die Abwesenheit von Unsicherheit? Kann es universelle Sicherheit dann Oberhaupt geben? Eher nicht, denn das Gefühl der Sicherheit ist ein individueller Zustand, der sich zum einen aus objektiven Rahmenbedingungen des (öffentlichen) Raumes erklärt, zum anderen aus individuellen Eigenschaften des Einzelnen. Zu den individuellen Eigenschaften gehören das Selbstwertgefühl, die Fähigkeit zum Umgang mit anderen (stigmatisierten) sozialen Gruppen und die körperliche Leistungsfähigkeit. Deren Schwinden führt gerade bei älteren und alten Menschen zu einer wachsenden Unsicherheit im (öffentlichen) Raum und höheren Erwartungen an (kommunale) Sicherheitspolitik. Ältere Menschen zeigen eine „höhere Kriminalitätsfurcht“, ein „stärker ausgeprägtes Vermeidungsverhalten“ und eine „höhere Vorsicht“ als jüngere. Dieses Verhalten ist aber nicht irrational, sondern lässt sich durch ihre höhere Verletzlichkeit und ihre geringeren Möglichkeiten der Bewältigung von Opfererlebnissen verstehen.

Seite 2 frastruktur, die Förderung der sozialen Mischung der Bewohnerschaft im Quartier, die Belebung des Raumes durch Förderung von Aktivitäten, die Förderung von Partizipation, Aktivierung, Selbstermächtigung der Bürgerinnen und Bürger, Quartiersmanagement, Jugendarbeit und sozialpädagogische Angebote sowie das Angebot sozialer Dienstleistungen (z.B. Schuldnerberatung);  Kommunikation mit der Bürgerschaft und die Information der Öffentlichkeit in Form der Veröffentlichung von Informationsbroschüren, Durchführung von Informationsveranstaltungen, Bereitstellung von Ordnungstelefonen oder Hotlines für Bürgermeldungen, Internetangebote für Bürgermeldungen sowie Präsentation von Aktivitäten des Ordnungsamtes in Fernsehen und Presse.

alräumliche Maßnahmen werden eingesetzt, die aus Sicht der Stadtplanungsämter der Sicherheit im öffentlichen Raum dienen. Obgleich die Städte unabhängig von ihrer Stadtgröße eine Vielzahl von sozialräumlichen Maßnahmen einsetzen, wird deren Wirksamkeit in Bezug auf die Sicherheit besonders von den Befragten aus den Großstädten sehr zurückhaltend eingeschätzt. Dies betrifft besonders gezielte Investitionen in soziale Infrastruktur sowie Angebote sozialer Dienstleistungen und Jugendarbeit.

Ordnungsamt und Stadtplanung

Vorschriften verboten. Dasselbe gilt in der Regel auch für die ortsrechtlichen Regelungen. Oftmals gilt in diesen örtlichen Satzungen ein Alkoholverbot auf Kinderspielplätzen u. ä. Einrichtungen (was im Sinne des Jugendschutzes rechtlich unbedenklich ist), aber eben nicht im öffentlichen Raum insgesamt. Der Alkoholgenuss als solcher ist also nicht verboten. Mittel zur (präventiven) generellen Verhinderung des Alkoholverzehrs im öffentlichen Raum bestehen daher nicht. Vielmehr müssen für den Erlass von Polizeiverordnungen weitere Störungen regelmäßig hinzukommen, die für sich betrachtet einzeln sanktioniert werden könnten. Sofern nämlich – ggf. auch alkoholbedingt – konkrete Störungen, wie z. B. lautes Grölen, Pöbeleien, Lärmbelästigungen einschließlich Nachtruhestörungen, Müllablagerungen oder öffentliches Urinieren hinzukommen, können diese Tatbestände jetzt bereits nach den einschlägigen Bestimmungen (OWiG, Krw-/AbfG, LImschG) sanktioniert werden. Bloße „Belästigungen“ im Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum bzw. -missbrauch überschreiten aber nicht die polizeirechtliche Gefahrenschwelle und rechtfertigen deshalb kein ordnungsrechtliches Einschreiten. Als Fazit bleibt daher festzuhalten, dass die Kommunen zurzeit keine rechtliche Möglichkeit zur Anordnung eines allgemeinen Alkoholverbots in einer örtlichen Verordnung haben. Eine wirksame und nachhaltige Kontrolle und Vollzug von Vorschriften durch Polizei und Ordnungsämter ist aber dennoch erforderlich. Die Forde-

Alkoholverbote

Gefordert wird zunehmend ein Alkoholverbot im öffentlichen Raum. Das Trinken von Alkohol auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen sowie in öffentlichen Anlagen ist weder nach bundes- noch nach landesrechtlichen

rungen der Bevölkerung nach (eher verstärkter) Präsenz von Ordnungskräften und einem Unterbinden gesellschaftlich nicht akzeptierter Verhaltensweisen müssen ernst genommen werden. Aber auch eine einfache Verdrängung dieser Szene ist keine Lösung. Es erscheint erfolgversprechend und ist modellhaft belegt, auch planerisch in- und außerhalb von Gebäuden des Wohnumfeldes der Betroffenen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, in denen sie sich sozialverträglich aufhalten können. Als Träger dieser Einrichtungen und Anlagen können Vereine oder separate Träger (AWO etc.) in Betracht kommen.

Videoüberwachung

Das Thema „Video-Überwachung“ wird in der Öffentlichkeit nach wie vor kontrovers diskutiert. Videoüberwa-

Objektive Rahmenbedingungen

Zu den objektiven Rahmenbedingungen gehört vor allem die Aufenthaltsqualität des Stadtraumes. Nachteilige städtebauliche Eigenschaften - wie etwa „dunkle Ecken“ und schlecht einsehbare Fußgängertunnel, Verwahrlosung des öffentlichen Raumes oder die Störung der öffentlichen Ordnung, z.B. durch zeitweise oder dauerhafte Anwesenheit bestimmter Personengruppen, verbunden mit öffentlichem Konsum von Alkohol oder anderen Drogen können in der Bevölkerung Unbehagen auslösen und dazu führen, dass Orte als unsicher und unbehaglich eingeschätzt und gemieden werden.

Maßnahmen und Konzepte

In den Städten und Gemeinden wird eine breite Palette von Maßnahmen und Konzepten zur Verbesserung der Sicherheit im öffentlichen Raum eingesetzt. Dazu gehören insbesondere:  ordnungsrechtliche Maßnahmen wie beispielsweise rechtliche Vorschriften (z.B. zum Umgang mit Alkohol) und die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten;  personelle Maßnahmen wie die Präsenz vor Ort, den Einsatz ehrenamtlicher Sicherheitskräfte oder den Einsatz privater Sicherheitsdienste;  technische Maßnahmen wie Investitionen in Beleuchtung oder Videoüberwachung/CCTV (Closed Circuit Television);  baulich-gestalterische Maßnahmen wie die Verbesserung der Einsehbarkeit von Räumen, die Pflege und Instandhaltung des öffentlichen Raumes oder die Berücksichtigung von Mindestanforderungen für Sicherheitsaspekte in der Bauleitplanung bzw. beim Einsatz von Instrumenten des Baurechts;  sozialräumliche Maßnahmen wie gezielte Investitionen in soziale In-

Die vom DIfU befragten Ordnungsämter sahen Schwerpunkte bei den ordnungsrechtlichen und den sozialräumlichen Maßnahmen und Konzepten sowie im Bereich Kommunikation und Information der Öffentlichkeit. Bei den personellen Maßnahmen werden besonders häufig die Präsenz vor Ort, bei den baulichgestalterischen Maßnahmen die Pflege und Instandhaltung des öffentlichen Raumes genannt. Nach Angaben der Ordnungsämter wird eine Vielzahl von sozialräumlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit im öffentlichen Raum eingesetzt. Die Angaben der Stadtplanungsämter weichen teilweise von denen der Ordnungsämter ab. Dies ist auf unterschiedliche Sichtweisen und Einschätzungen, aber auch auf unterschiedliche Zugänge zu Themen und Informationen zurückzuführen. Die Stadtplanungsämter wurden (abweichend von den Ordnungsämtern) auch ausführlicher zu baulich-gestalterischen Maßnahmen und Konzepten befragt. Von den Stadtplanungsämtern werden vor allem baulich-gestalterische und sozialräumliche Maßnahmen und Konzepte zur Verbesserung der Sicherheit im öffentlichen Raum angeführt. Als baulich-gestalterische Maßnahmen wurden vor allem die Neugestaltung des öffentlichen Raumes, der Beleuchtung und der Möblierung, die Verbesserung der Einsehbarkeit sowie die Pflege und Instandhaltung des öffentlichen Raumes, die Verwendung vandalismussicherer Materialien, die Markierung von Grenzen und die Beschränkung von Gebäudehöhen genannt. Auch unterschiedliche sozi-

chte Räume zeigen überwiegend einen Rückgang an Gesetzesübertretungen. Trotzdem kann Videoüberwachung nur ein Mittel neben anderen bei der Kriminalprävention sein. Sie ist kein Ersatz für fehlende öffentliche Präsenz von Polizei und Ordnungsdiensten, sondern allenfalls eine Ergänzung. Im Zusammenhang mit Gewalthandlungen kann sie als Polizeimaßnahme (Überprüfung von Kriminalitätsschwerpunkten) sinnvoll eingesetzt werden. In Einzelfällen, beispielsweise vor oder in Diskotheken, kann Videoüberwachung als Auflage nach dem Gaststättengesetz in Frage kommen. Wer Videoüberwachung einfüren will, muss berücksichtigen, dass hierdurch die Bürgerinnen und Bürger in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung als besondere Ausprägung des allgemeinen PersönlichFortsetzung auf Seite 4

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de V.i.S.d.P.: A. Grunke Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefödert.


Kommunal-Info 8/2012

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Feuerwehren vor neuen Herausforderungen zu bestimmen mag in der Theorie möglich sein. In der Realität variiert sie jedoch in Abhängigkeit von Art und Umfang der Situation am Schadensort, so dass Standardszenarien wie Brände in Wohnungen oder Unfälle im Straßenverkehr als Planungshilfe von Bedeutung sind. In anderen Ländern der Europäischen Union finden ausschließlich berufliche, auch militärbezogene Organisationsmodelle (Italien), hauptamtliche Vollund Teilzeitfeuerwehrleute (Niederlande) oder gar private Unternehmungen (Dänemark) zur Erfüllung der hoheit-

lichen Tätigkeiten Verwendung. Sollte in Deutschland eine Hinwendung zu solchen Systemen erfolgen, würde das einerseits exorbitante Mehrausgaben nach sich ziehen, andererseits aber müsste der gesellschaftliche Wert der Freiwilligen Feuerwehren nahezu vollständig aufgegeben oder neu ausgerichtet werden. Mehr zum Thema „Freiwillige Feuerwehr“ ist nachzulesen in: Friedhelm Wolter, Die freiwilligen Feuerwehren in Österrreich und Deutschland, VS Verlag 2011.

Demographischer und klimatischer Wandel

Freiwillige Feuerwehren sind die wichtigsten Säulen der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr. In Deutschland sind über 1 Mio. ehrenamtliche Feuerwehrangehörige tätig. Sie vollziehen die staatlichen Aufgaben der Brandbekämpfung sowie der Hilfeleistung bei Unglücksfällen und öffentlichen Notständen. Die ausschließliche Erfüllung durch berufliche Kräfte würde erhebliche finanzielle Mehraufwendungen erfordern. Dabei würden allein jährlich etwa 5 Milliarden Euro Personalkosten anfallen. Hinzu kämen immense Investitionen für Liegenschaften und flächendeckende logistische Infrastrukturen Somit besteht ein bedeutendes staatliches und gesamtgesellschaftliches Interesse, flächendeckend den dauerhaften Erhalt der ehrenamtlich betriebenen Feuerwehr sicherzustellen. Infolge der stetig fortschreitenden Technisierung aller Lebensbereiche und damit einhergehender Verkürzungen von Innovationszyklen sowie zunehmender Komplexität der vorgefundenen Schadenslagen ist ein immer höheres Ausbildungsniveau der Feuerwehrleute erforderlich. Zur Verdeutlichung sei exemplarisch auf zeitgemäße Sicherheitseinrichtungen in Kraftfahrzeugen (Fahrer-, Beifahrer-, Kopf- und Knieairbag und Seitenaufprallschutz) verwiesen, die für nahezujeden Fahrzeugtyp eine unterschiedliche Vorgehensweise bei technischen Rettungen nach Verkehrsunfällen notwendig machen. In der Freizeit stattfindende Schulungsmaßnahmen sind deshalb zu intensivieren, um den höheren Anforderungen gerecht zu werden. Diesen Erwartungen scheinen familiäre, berufliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen des ehrenamtlichen Feuerwehrengagements entgegenzustehen. Das bewährte System der Freiwilligen Feuerwehren steht in einem Spannungsfeld zwischen den dargestellten zeitlichen Ausbildungsnot-

wendigkeiten und den individuellen Möglichkeiten der Feuerwehrkräfte. Trotz einschlägiger Privilegierung in den Brandschutzgesetzen der Bundesländer wird das Feuerwehrehrenamt durch die Arbeitgeber immer weniger respektiert. Die Arbeitgeber erhalten auf Antrag den Lohnausfall von der Kommune erstattet. Dies gilt auch für Ausbildungsveranstaltungen, etwa der Teilnahme an Lehrgängen an einer Landesfeuerwehrschule. Dennoch wird manchen ehrenamtlichen Feuerwehrleuten von ihren Arbeitgebern untersagt, während ihrer Arbeitszeit den Arbeitsplatz wegen eines Feuerwehreinsatzes zu verlassen, obwohl dies den gesetzlichen Regelungen widerspricht. Daraus folgen unvermeidbare betriebsorganisatorische Schwierigkeiten im Ausbildungs- und Einsatzdienst der Freiwilligen Feuerwehren. Eine zusätzliche Verschärfung geht häufig mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen einher, die das in den jeweiligen Ortslagen organisierte Feuerwehrpersonal zu immer größerer Mobilität zwingt und demgemäß für die Abwehr etwaiger Schadenereignisse nicht bzw. nur noch zeitlich eingeschränkt zur Verfügung stehen lässt. Die Leistungsfähigkeit der Feuerwehren setzt ihre jederzeitige und flächendeckende Einsatzbereitschaft voraus. Für das ehrenamtliche System ist dabei die Verfügbarkeit des Personals von zentraler Bedeutung. Die überaus hohe Anzahl ehrenamtlicher Feuerwehrangehöriger spiegelt keinesfalls die reale Personalstärke in den jeweiligen Momenten des Schadensereignisses wider. Die räumliche Entfernung von Wohnort und Arbeitsplatz vermindert vor allem die Tagesalarmbereitschaft der Feuerwehr am Wohnort der Pendler. Es existiert eine nicht quantifizierbare Beteiligungsunsicherheit, die jedoch die Grenze der Leistungsfähigkeit nicht unterschreiten darf. Diese Grenze

Demographischer und klimatischer Wandel erfordern nachhaltige Weiterentwicklung kommunaler Wasserinfrastruktursysteme Wasserinfrastruktursysteme haben sehr hohe Kapital- und Fixkosten und sind auf jahrzehntelange Nutzung ausgelegt. Der Klimawandel, die demographischen Veränderungen, die Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsflächen sowie neue ökologische Anforderungen verändern jedoch die Rahmenbedingungen schon jetzt. Im Projekt NAUWA hat sich das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Zusammenarbeit mit der Kommunal- und Abwasserberatung NRW sowie der Emschergenossenschaft/Lippeverband mit der nachhaltigen Weiterentwicklung urbaner Wasserinfrastrukturen unter sich stark ändernden Randbedingungen beschäftigt. Die Wissenschaftler untersuchten im Auftrag der WestLB-Stiftung Zukunft NRW die Einflussfaktoren in vier Kommunen mit sehr unterschiedlichen Randbedingungen in Nordrhein-Westfalen. Die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen sind unter www.nauwa. de verfügbar. In den Kommunen Gelsenkirchen, Lünen, Velbert und der Gemeinde Wachtberg wurde erprobt, wie die Entwicklung einer langfristigen Strategie zur zukunftsfähigen Gestaltung der Wasserinfrastruktursysteme praktisch angegangen werden kann. In der Untersuchung berücksichtigte das Fraunhofer ISI unsichere gesellschaftliche und klimatische Entwicklungen und Randbedingungen sowie relevante ortsspezifische Handlungsfelder. Dabei wurden Fragen beantwortet wie: Was bedeuten die demographischen und klimatischen Entwicklungen konkret? Welche Umfeldveränderungen sind zusätzlich zu erwarten, und welche Anpassungserfordernisse ergeben sich daraus? Wie können Kommunen bei der nachhaltigen Weiterentwicklung ihrer Wasserinfrastruktursysteme unterstützt werden? Aus den Antworten ergaben sich für jede Kommune spezifische strategische Zielsetzungen und konkrete Maßnahmen. Es zeigte sich aber auch, dass bestimmte Themen in allen vier Kommunen eine wichtige Rolle spielen: So ist beispielsweise trotz sinkender Bevölkerungszahlen nach wie vor ein Flächenzuwachs zu verzeichnen. Dies zieht unter anderem den Ausbau der langle-

bigen und kostenintensiven Wasserinfrastruktur nach sich, deren zukünftige Auslastung und Finanzierung unsicher ist. Zudem werden die Auswirkungen des Klimawandels durch länger anhaltende Trockenperioden und gleichzeitig außergewöhnliche Starkregenfälle immer deutlicher für die Bürger spürbar – sie führen zu erheblichen Schäden. Eine weitere Gemeinsamkeit ist der zum Teil deutliche Rückgang des Wasserbedarfs, der durch die höhere Effizienz beim Umgang mit Wasser in Industrie und Haushalten sowie durch die aufgrund des demographischen Wandels zurückgehenden Kundenzahlen verursacht wird. Wegen der hohen Fixkosten wird der Aufwand für die Abwasserbeseitigung aber nicht wesentlich verringert, so dass ohne ausgleichende strukturelle Maßnahmen künftig deutliche Erhöhungen der Entgelte für Wasserver- und Abwasserentsorgung notwendig werden. „Vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich, dass Kommunen und Betreiber von Wasserinfrastrukturen gemeinsam und frühzeitig einen langfristig orientierten, strategischen Planungsprozess durchführen, um sich auf die anstehenden Herausforderungen gezielt einzustellen. Notwendig ist eine gründliche Analyse der Ist-Situation, um darauf aufbauend mögliche Entwicklungsszenarien zu erarbeiten. Anschließend können strategische Ziele festgelegt und Maßnahmen abgeleitet werden“, so Dr.-Ing. Harald Hiessl, Projektleiter und stellvertretender Institutsleiter am Fraunhofer ISI. Handlungsbedarf für die kommunale Wasserinfrastruktur sieht das Fraunhofer ISI vor allem beim Umgang mit der Starkregen-Problematik, bei Stadtplanung und Stadtentwicklung, der Berücksichtigung innovativer Techniken und Konzepte sowie bei notwendigen Maßnahmen zur Tarifanpassung. Demnach ist eine realistische Abschätzung des Flächenbedarfs vor dem Hintergrund der zu erwartenden demographiFortsetzung auf folgender Seite


Kommunal-Info 8/2012

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Veranstaltungen / Seminare Können die Landkreise durch Organisationsveränderungen erhebliche Einsparpotenziale erschließen? am 9. Oktober 2012, Dienstag, 18 Uhr in Dresden art-Hotel, Ostra-Allee 33 Der Referent, Peter Teichmann, Rechnungshofdirektor beim Rechnungshof des Freistaates Sachsen wird zunächst eine Einführung in die Beratende Äußerung des Rechnungshofes geben, danach besteht Gelegenheit, Fragen an ihn zu richten und mit ihm ins Gespräch zu kommen. Teilnahmebeitrag: 3,00 Euro. Teilnehmer ohne eigenes Einkommen, Studenten, AlG II– und SoHi-Empfänger können im Einzelfall davon befreit werden.

Seminar Ausschreibung und Vergabe von Aufträgen

vom 2. November, 18 Uhr bis 3. November 15 Uhr in Dresden Bergwirtschaft Wilder Mann – Hotel und Restaurant GmbH – Großenhainer Straße 243 Seminarleiter: Peter Gerlach, Dipl.-Ing., Geschäftsführer der Auftragsberatungsstelle Sachsen e.V. Teilnahmebeitrag: 20 Euro. Teilnehmer ohne eigenes Einkommen, Studenten, AlG II– und SoHi-Empfänger: 5 Euro

Seminar Kommunale Unternehmen und die Rechte und

Pflichten von kommunalen Vertretern in Aufsichtsräten vom 16. November, 18 Uhr bis 17. November 15 Uhr in 09669 Frankenberg AKZENT Landhotel, Seminarleiter: Alexander Thomas, Dipl.-Verwaltungswirt, Parlament.-wissenschaftlicher Berater Teilnahmebeitrag: 20 Euro. Teilnehmer ohne eigenes Einkommen, Studenten, AlG II– und SoHi-Empfänger: 5 Euro

Fankulturen im Fußball zwischen Panikmache und notwendiger Konfliktschlichtung Eine gemeinsame Veranstaltung mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. am 13. November, Dienstag, 18.00 Uhr in Zwickau mit: Gerd Dembowski, Sozialwissenschaftler, Experte der Fußballfanszenen (einführender Vortrag) und Kompetenzgruppe Fankulturen an der Universität Hannover und VertreterInnen aus Sport und Politik (angefragt) am 14. November, Mittwoch, 19.00 Uhr in Dresden mit: Gerd Dembowski, Sozialwissenschaftler (einführender Vortrag), Kompetenzgruppe Fankulturen an der Universität Hannover und Thilo Alexe, Sächsische Zeitung, Mitautor: Das Dresdner Stadion; Adam Bednarsky Geschäftsführer Roter Stern Leipzig; Tilo Kießling, sportpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Stadtrat Dresden; Torsten Rudolph, Fanprojekt Dresden e.V. (angefragt) Moderation: MdL Verena Meiwald am 15. November, Donnerstag, 18.00 Uhr in Leipzig mit: Gerd Dembowski, Sozialwissenschaftler (einführender Vortrag) Adam Bednarsky Geschäftsführer Roter Stern Leipzig; Helmut Loris, Leiter des Ordnungsamtes (angefragt); Sarah Köhler, Fanprojekt Leipzig (angefragt), Klaus Reichenbach, Sächsischer Fußball-Verband (angefragt) Moderation: MdL Verena Meiwald Anmeldung bitte an: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Str. 99, 01127 Dresden Telefon: (0351) 482 79 44 oder 482 79 45; Fax: (0351) 795 24 53 info@kommunalforum-sachsen.de; www.kommunalforum-sachsen.de Fortsetzung von Seite 2

Sicherheit ...

keitsrechts betroffen sind. Den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit und des Datenschutzes (u.a. durch softwaretechnische Begrenzungen der Überwachungsräume) ist deshalb ein hoher Stellenwert beizumessen. Auf der Grundlage dieser Überlegungen kann Videoüberwachung das Sicherheitsgefühl der in den Städten lebenden Menschen erhöhen. Dabei ist auch das psychologische Moment von Bedeutung, sich nicht durch Kriminalität bedroht zu fühlen und befürchten zu müssen, Opfer einer Straftat zu werden.

Neue Herausforderungen

Besonders im Bereich der Metropol-

regionen gibt es klare Signale dafür, dass das Sicherheitssystem weiterentwickelt und ausgebaut werden muss, um neuen Sicherheitsanforderungen gerecht zu werden. Zu den neuen Problemlagen zählen beispielsweise folgende:  die Gefahr von Segregation anstatt objektiv und subjektiv sicherheitsfördernder Integration;  organisierte Kriminalität und Korruption;  Gefahren der Innenstadtentwicklung etwa durch einseitige Entwicklungen, wie die Ansiedlung von Spielhallen und ähnlichen Betrieben;  neue Sicherheitsprobleme in Gebieten mit negativer demografischer Entwicklung: Wohnungsleerstände ebenso wie hohe Arbeitslosigkeit führen

zu „bedenklichen Schwächen sozialer Nahräume“;  größere Diskrepanz zwischen Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger im Bereich der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Gefahrenabwehr einerseits und der Leistungsfähigkeit der Städte in diesem Bereich andererseits. AG Literatur:

 H. Floeting/A. Seidel-Schulze: Sicherheit in der Stadt-eine Gemeinschaftsaufgabe. Ergebnisse aus zwei Kommunalbefragungen, Difu-Papers, Mai 2012.  Sicherheit und Ordnung in der Stadt. Positionspapier des Deutschen Städtetags, Mai 2011.

Positionspapier zu Klimawandel Die Städte stehen durch den Klimawandel vor großen Herausforderungen. Sie halten einen besseren Schutz der Bevölkerung vor Hitze und anderen Risiken in Folge des Klimawandels für nötig. Der Deutsche Städtetag hat dazu ein Positionspapier mit Empfehlungen an die Städte veröffentlicht. Die unmittelbaren Folgen des Klimawandels wie Extremtemperaturen, Starkregen, Dürreperioden und Stürme führen in Zukunft in den Städten zu höheren gesundheitlichen Risiken für die Menschen. Hitzetage und Tropennächte würden vor allem alte Menschen, chronisch Kranke und Kinder belasten. Außerdem ist mit deutlich mehr Schäden zu rechnen, etwa an städtischen Gebäuden, an Straßen oder in Parkanlagen. Das zwinge die Städte schon jetzt zum Handeln - trotz knapper Kassen. Um die Folgen des Klimawandels zu minimieren, sei ein ganzes Bündel von Maßnahmen erforderlich. Dazu zählen beispielsweise die Weiterentwicklung des Katastrophenschutzes, die stärkere Berücksichtigung des Klimawandels bei der Stadtplanung und bei der städtischen Gesundheitsvorsorgung. Für Stadtplaner wird es nach Einschätzung des Städtetages wichtiger, neben einer immer dichteren Wohnbebauung in Großstädten gleichzeitig für so genannte Kaltluftschneisen, Freiflächen und neue Grünachsen zu sorgen. Nur sie ermöglichen einen ausreichenden Luftaustausch und verhindern damit überhitzte städtische Bereiche, so genannte „Wärmeinseln“. Weiterer Anpassungsbedarf besteht außerdem beim Hochwasserschutz, bei der Erweiterung städtischer Kanalnetze für Starkregen, bei der Begrünung von versiegelten Flächen und Dächern oder bei der Erneuerung des Straßen- und Wegenetzes beispielsweise mit helleren, weniger Wärme speichernden Belägen. Berlin, 04.09.2012 Fortsetzung von Seite 3

... Wandel

schen Entwicklung ebenso notwendig wie die Sensibilisierung für die Bedeutung und entsprechende Steuerung der städtischen Siedlungsstruktur und dichte für die Wasserinfrastruktur. Der Überflutungsschutz muss als kommunale Gemeinschaftsaufgabe gesehen werden, bei der alle Akteure einzubinden und sehr unterschiedliche, sich gegenseitig beeinflussende Maßnahmen sowohl im öffentlichen als auch privaten Bereich umzusetzen sind. Mit einer Kostenstruktur-Analyse für Teilgebiete und Tarifstruktur-Änderungen kann eine Anpassung an die sich verändernden Nutzerzahlen und Verbrauchsveränderungen erfolgen. Die anhand der Beispielkommunen gewonnenen Erfahrungen können für andere Kommunen Hilfestellung für vergleichbare Prozesse bieten. Ein entsprechender Leitfaden ist unter www. nauwa.de verfügbar. Presseinformation vom 30.04.2012 Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI


Geschichte

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10/2012  Links!

Deutsche Wehrmacht marschiert in Freiberg Vieles hält man in Sachsen, wo die Gleichsetzung von NSDiktatur und DDR und damit die Verharmlosung der HitlerDiktatur seit 1990 Staatsdoktrin ist, inzwischen für möglich. Mit der Teilnahme von Wehrmachtsfans am diesjährigen »Tag der Sachsen« in Freiberg mit originalgetreu nachempfundenen Waffen, Uniformen und Fahrzeugen der Okkupationstruppen des »Dritten Reichs« einschließlich eines Tarnanzuges der Waffen-SS wurde aber eindeutig eine neue Stufe des Geschichtsrevisionismus erreicht. Beim traditionellen Festumzug präsentierte sich auch die IG Militärtechnikfreunde Sachsen und marschierte im wahrsten Sinne des Wortes mit Wehrmachtsmotorrädern, Kriegskraftwagen sowie einem Kettenfahrzeug vor einem teils begeisterten, teils konsternierten Publikum durch die Straßen. Wie zahlreiche Fotos dokumentieren, verlief der militärische Umzug ohne Proteste, war polizeilich genehmigt und Teil einer von offiziellen Regierungsstellen subventionierten Veranstaltung. Der dafür verantwortliche Organisator ist Matthias Rößler, Vorsitzender des Kuratoriums des »Tages der Sachsen« und Präsident des Sächsischen Landtages. In einer ersten Stellungnahme fand der CDU-Politiker den Auftritt völlig »in Ordnung«. Die sächsische LINKE protes-

tierte bereits am Tag des Geschehens massiv gegen diesen bizarren Auftritt und löste damit ein bundesweites Medienecho aus. Der kulturpolitische Sprecher ihrer Landtagsfraktion, Volker Külow, reichte inzwischen zwei Kleine Anfragen ein und schrieb einen Protestbrief an Rößler. Gegenüber »LINKS!« erklärte er: »Ich bin befremdet, ja geradezu bestürzt über den diesen skandalösen Auftritt der IG Militärtechnikfreunde Sachsen. Vor dem Hintergrund des Geschehens im Zweiten Weltkrieg und der unbestreitbaren Mitwirkung der Wehrmacht an den monströsen Menschheitsverbrechen ist es eben keine harmlose Folklore und kein schrulliges Hobby, wenn ein wesentlicher Bestandteil von Hitlers Vernichtungsmaschinerie heute im Gewand der militärhistorischen Brauchtumspflege originalgetreu (einschließlich der Wegweiser nach Moskau und Sewastopol!) bei Volksfesten und Events aller Art zum Einsatz kommt und damit eine enorme alltagskulturelle Verankerung erfährt. Mit dieser Verwandlung der Wehrmacht in eine kostümierte Spaßtruppe, die mit Triumphgesten den Beifall des Publikums einheimst, wird der Verharmlosung des gesamten NS-Systems unstrittig Vorschub geleistet. Es ist daher auch kein Zufall, sondern geradezu folgerichtig, dass sich sofort die

NPD mit Anerkennung zu Wort meldete und den vermeintlich ‚harmlosen Auftritt’ dafür lobte, ‚neugierige Blicke und viel freundliche Sympathie der Umstehenden’ hervorgerufen zu haben. Zu dieser Erfolgsmeldung haben die Neonazis aus ihrer Perspektive auch allen Grund«. Rößlers mediales Bekenntnis zum skandalösen Auftritt

der IG Militärtechnikfreunde Sachsen erfährt durch die ursprünglich erfolgte Ablehnung der Teilnahme des Verbandes der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten e.V. im Freistaat Sachsen noch eine zusätzliche unappetitliche Note. Nicht nur beim nächsten »Tag der Sachsen« in Schwarzenberg darf es keine Präsentation von Wehr-

machtsfans mehr geben! Angesichts der Geschichte der Stadt, die bekanntlich im Zweiten Weltkrieg nicht direkt durch Kampfhandlungen betroffen und zunächst auch nicht besetzt war (»Republik Schwarzenberg«), würde eine derartige Wiederholung dem Ganzen noch mehr Skandalcharakter verleihen, als es ohnehin schon hat. (red)

Nur das Schirmchen im Hintergrund zeigt: Wir schreiben das Jahr 2012, nicht 1940.

Der Schwarze Freitag war ein Dienstag Am Morgen des 24. Oktober 1929 deutete noch nichts auf die sich anbahnende Katastrophe hin. Doch im Laufe des Tages häuften sich an der New Yorker Börse Verkaufsaufträge aus allen Teilen des Landes, ohne dass gleichzeitig die entsprechenden Kaufaufträge erteilt wurden. Trotz sofortiger Stützungskäufe von Banken kam es zu starken Kurseinbrüchen. Das setzte sich am folgenden Tag fort, und am Wochenende verstärkten sich die Befürchtungen der Aktienbesitzer in den USA. Die eigentliche Katastrophe brach dann am Dienstag, den 29. Oktober mit Kursverlusten von 20 bis 50 Prozent herein. Der Tag ging als »Schwarzer Freitag« in die Geschichte ein, weil unter Börsianern der Freitag als besonders kritisch galt, seit am 9. Mai 1873 die Wirtschaftskrise der Gründerjahre begann. In den nächsten Wochen büß-

ten die in New York gehandelten Aktien insgesamt 30 Milliarden Dollar an Wert ein. Bis Juli 1932 wurden es 75 Milliarden Dollar. Über 85.000 Firmen gingen in Konkurs. Bis zum Oktober 1929 hatten Spekulationskäufe von Aktien und Grundstücken die Kurse rasant in die Höhe getrieben, so dass der Aktienwert immer weniger den realen Wirtschaftserträgen entsprach. Unternehmensvorstände gaben immer neue Aktien aus, ohne die Gewinne langfristig produktiv anzulegen. Auf den Börsenkrach folgten in den USA Vermögens- und Ersparnisverluste, Absatzschwierigkeiten in der Wirtschaft, Verfall der Preise, Konkurse, Massenentlassungen, Rückgang des Steuereinkommens und des Volkseinkommens, Sinken des Lebensstandards und damit verbunden eine Demoralisierung der Bevölkerung. Trotz

der gewaltigen Nahrungsmittelproduktion hungerten und verhungerten Menschen im reichsten Land der Welt. Die von den USA ausgehende Wirtschaftskrise hatte länger wirkende verheerende Folgen für andere Länder. Im Dezember 1929 erreichte sie auch Deutschland und nahm hier wegen der Abhängigkeit vom US-Kapital besondere Ausmaße an. Die industrielle Produktion ging um fast die Hälfte, die landwirtschaftliche Produktion um mehr als 30 Prozent zurück. Eine Pleitewelle erfasste das Land. Die Arbeitslosigkeit erreichte im Februar 1931 die Zahl von fünf Millionen und ein Jahr später von mehr als sechs Millionen registrierten und zwei bis drei Millionen nicht registrierten Erwerbslosen. Wie nicht anders zu erwarten, wurden die Krisenlasten ungleich verteilt. Eine Verordnung des Reichs-

präsidenten »zur Behebung finanzieller wirtschaftlicher und sozialer Notstände« vom 26. Juli 1930 erhöhte den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf 4,5 Prozent des Arbeitsentgelts und schränkte gleichzeitig die Leistungen der Arbeitslosen- und Krankversicherung stark ein. Während Arbeitslose zu Beginn der Krise noch 26 bis 29 Wochen Unterstützung erhielten, waren es Ende 1932 nur noch sechs Wochen. Dagegen erhielten die ostelbischen Junker im Rahmen der so genannten Osthilfe für ihre verschuldeten Güter 150 Millionen Reichsmark. Auch für den Bau von Kriegsschiffen bewilligte der Reichstag am 20. März 1931 50,6 Millionen Reichsmark. Die »Verordnung des Reichspräsidenten vom 4. September 1932 zur Belebung der Wirtschaft«, die durch eine »Verordnung zur Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsge-

legenheiten« am folgenden Tag ergänzt wurde, ermächtigte die Reichsregierung zur Änderung sozialpolitischer Gesetze und zu Eingriffen in die Sozialversicherung. Gleichzeitig erhielten die Unternehmer die Möglichkeit einer freien Lohnzumessung und durften die Tariflöhne bis zu 50 Prozent unterschreiten. Außerdem bekamen sie bei rechtzeitiger Zahlung der Steuern und bei Neueinstellung von Arbeitern Steuergutscheine in Höhe von insgesamt 1,5 Milliarden Reichsmark. In dieser Zeit der Wirtschaftskrise, des Abbaus von sozialen und politischen Rechten fand die populistische, nationalistische und demagogische Propaganda der Nazipartei breiten Widerhall. Bei den Reichstagswahlen vom September 1930 stieg die Zahl der für die NSDAP abgegebenen Stimmen auf 6,4 Millionen. Kurt Laser


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Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dres-

den Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer

Auflage von 16050 Exemplaren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig, Rico Schubert (V.i.S.d.P.) Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84 38 9773 Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Redaktionschluß: 19.9.2012 Die nächste Ausgabe er-

scheint am 25.10.2012. Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand. Abo-Service 0351-84389773 Konto: KontoNr. 3491101007, BLZ 85090000, Dresdner Volksbank Internet www.links-sachsen.de

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»Wie wir erzählen, erzählt anderen, wer wir sind.«

So hat das der Kommunikationswissenschaftler Jürgen Streeck 1988 in seinem Aufsatz »Seniorengelächter« niedergeschrieben, und es ist tatsächlich so. Die Person, die gerade spricht, ungefähr ihrem Alter nach einzuordnen und auch nach ihrem Geschlecht, auch wenn man die Person gar nicht sieht, ist selten schwer. Das verraten meist schon Stimmlage und Wortwahl. Weicht die Stimmlage vom tatsächlichen Alter und Geschlecht ab, so drückt sich das oft in Erstaunen aus, mag es schmeicheln oder nicht: »Du hast aber eine junge/alte Stimme!« oder »Deine Stimme klingt sehr männlich/weiblich!«. Kinder sind »altklug«, verwenden sie die Wörter und Wendungen der Alten. Man merkt aber oft noch mehr. Zum Beispiel, aus welcher Gegend im deutschen Sprachraum jemand kommt. Zumindest kann man feststellen: »Du bist aber nicht von hier!«. Ob das Gegenüber aus dem Norden oder aus dem Süden kommt, ist meist auch noch leicht zu unterscheiden. Bayerisch und Schwäbisch klingen eben anders als Niederdeutsch. Schweizerinnen und Schweizer erkennt man auf Anhieb. Kommt man von anderswo, wundert man sich, was alles »auf deutsch gesagt« sein kann. Das Sächsisch von Dresden, Chemnitz oder Leipzig wird dagegen ei-

gentlich überall verstanden – ein paar Besonderheiten im Wortschatz ausgenommen. Sehr zum Leidwesen der Sprecherinnen und Sprecher, denn genau das ist nicht zuletzt der Grund, warum andere meinen, Sächsisch sei nur »vermantschtes« Deutsch. Das kann historisch und sprachwissenschaftlich als Irrtum entlarvt werden, ist aber dennoch als weit verbreitete Meinung nicht aus der Welt zu schaffen. Menschen aus Bayern freilich, aus Mecklenburg, Schwaben oder dem Rheinland räumt man (fast) ihre eigene »Sprache« ein. Diese gilt es natürlich zu ehren und zu pflegen, macht sie ihre Sprecherinnen und Sprecher doch sympathisch in ihrer Eigentümlichkeit. Beim Schwäbischen kommt da wenigstens Skepsis auf. Das Sächsisch der genannten Großstädte und der Landstriche zwischen ihnen landet aber immer auf dem letzten Platz, wenn man nach den Sympathiewerten für Dialekte fragt. Dass es in Sachsen noch andere, durchaus positiv bewerte Mundarten gibt, wie die erzgebirgische, vogtländische oder oberlausitzische, hat sich bis jetzt außerhalb von Sachsen kaum herumgesprochen. Wir sind mitten in einem Problem, das in jeweils spezifischer Weise fast alle Sprachen haben: Sprachen existieren in Varietäten, und je nachdem,

welche ich wähle, welche sich beim Erzählen überkreuzen, erzähle ich auch etwas über mich und den Augenblick, in dem ich erzähle. Neben Alter, Geschlecht und Gegend, aus der ich komme, ist es auch die Situation, in der ich gerade spreche, die meine Äußerung prägt. Es werden beim Erzählen Zugehörigkeiten zu sozialen Gruppen aufgedeckt, meine Absicht steuert das Sprachverhalten und ob ich schreibe oder rede. Persönliche Einmaligkeit gibt dem Erzählen dann noch den letzten Pfiff. Die Sache hat Folgen: Was den Dialekt betrifft, können diese unangenehm oder angenehm sein. Dialektbeliebtheit eröffnet Chancen oder schafft Barrieren. Wienerisch macht sympathisch, auch wenn man es nicht ist; das gilt zumindest für Landstriche mit ausreichender Entfernung von Wien. Sächsisch? Besser lassen wir das! Den Dialekten können wir nicht so ohne Weiteres entsagen. Wem es aber gelingt, der oder die gilt als gebildet, gar vornehm, unter Umständen aber auch als arrogant. Der Gegenpol zu den Dialekten ist »Standard«, im Alltag nennt man das auch »Hochdeutsch«. Standard schreiben können viele – jedenfalls annähernd und wenn man die Rechtschreibung nicht zu streng beachtet. Standard sprechen können nur wenige. Schauspielerinnen, Schaus-

pieler, Nachrichtensprecherinnen und -sprecher sollten ihn möglichst perfekt beherrschen. Man kann jedoch auch beobachten, dass sich gerade unter dem Einfluss der Situation, des Gegenübers und der Absicht, Sprecherinnen und Sprecher mehr oder weniger bemühen, dem Standard näher zu kommen. Die Schule ist unter anderen ein Ort dafür. Varietäten sind uns nämlich nicht unentrinnbar aufgepresst. Sie begründen vielmehr Möglichkeiten, unter Bezugnahme auf Außersprachliches variabel zu sprechen; also zu erzählen, wer wir im Augenblick gerade sind und warum. Der Eingangs genannte Streeck meint deshalb, »wir leben weiter, während wir sprechen, und die Art, wie wir sprechen, ist auch eine Art zu leben«. Das ist eine Aussage über einen hochbedeutsamen sozialen Sachverhalt. Es ist nicht egal, wie ich spreche, sondern es entscheidet über Aufmerksamkeit, Zuwendung, Glaubwürdigkeit, schließlich über den Erfolg des Sprechens. Es schafft Distanz oder Nähe – schon durch das »Du« oder »Sie«. Ich zeige meine Bildung, meinen Beruf. Fremdwörter, Fachsprache, Satzbau wirken dabei. Die Erklärung eines Sachverhalts beim Bier in einer Landgaststätte unter sichtlichem Bemühen, Standard zu sprechen, wird fast

zwangsläufig als hochmütig ausgelegt werden. Politikern und Politikerinnen wird andererseits oft anbiederndes, aufdringliches Bemühen um Volksnähe, aber auch Inkompetenz unterstellt, wenn sie zu sehr und überall Dialekt sprechen. Ja, selbst bei Volksfesten sollten sie das nicht tun. Abgemildert kann man da schon die Herkunft aus der Gegend anklingen lassen, wenn man denn auch wirklich von da kommt, wo man gerade spricht. Das signalisiert: »Ich bin einer/eine von Euch!«. Die Leute wollen bei ihren Vertreterinnen und Vertretern aber auch erkennen, dass die es »besser« können als sie selbst. Sonst bräuchte man sie doch nicht. Da stören auch zu vulgäre Ausdrücke, zu viele Satzabbrüche, auch wenn sie für gesprochene Sprache typisch sind. Noch mehr stört in politischer Rede aber, wenn geschriebene Sprache nur mündlich vorgetragen, also vom Zettel abgelesen wird. Mündliche Kommunikation gehorcht anderen Gesetzen als schriftliche. Politiker und Politikerinnen sollten das unterscheiden können. Eines ist jedenfalls gewiss: Nicht nur was wir sagen, sondern auch wie wir es sagen entscheidet darüber, wie man uns wahrnimmt. Wer den Mund aufmacht oder die Feder spitzt, kann auf Datenschutz nicht mehr rechnen! Peter Porsch


Kultur

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Zwickauer Maler an der Ostsee die Grenze gezogen. Der Ort kam zu Litauen; also musste ich mich trennen und mich erneut auf die Suche nach einem Fleck Erde begeben, der nicht von Malern, Touristen und Badegästen überlaufen war. Im April 1921 machte ich mich allein, nur mit dem nötigsten Material im Rucksack, auf die Suche. Ich hatte der Karte nach in Ostpommern ein ähnliche Nehrung zwischen dem Leba-See und der Ostsee ausfindig gemacht. Zu Fuß streifte ich die Ostsee-Küste, nach Westen marschierend, ab. Ich entschloss mich zuletzt in Leba mein Standquartier zu errichten. Wenngleich dort andere Menschen, andere Fischertypen lebten, so wiesen doch die große Lontzker Wanderdüne und das weit ausgebreitete Dünengelände eine gewisse Ähnlichkeit mit der Kurischen Nehrung auf, die mich bewog, hier zu arbeiten. Die darauffolgenden Jahre blieb es dabei und ich habe es nicht bereut. Ich lernte diese Küste nicht nur schätzen sondern auch lieben. Sei es nun, dass ich auf meinen Streifzügen weiter ins Land hinein, ins ‚Blaue Ländchen‘ kam, in herrliche Wälder, zwischen denen verborgene Seen aufblitzten und sprudelnde Flüsse und Bäche sich durch die Landschaft schlängelten. Außerdem bargen die Wasser hier herrliche Fische und es

gab für mich nichts Besseres zur Beruhigung der Nerven, als ihnen nachzustellen und sie sportgerecht zu erbeuten. … Dabei ruhte der Stift nicht. Alles was ich sah, und um mich erlebte, wurde unerbittlich festgehalten und wie die erbeuteten Forellen, Lachse, Hechte und Aale nach Hause getragen.« Der 1881 in Zwickau geborene Expressionist lebte und wirkte fast 24 Jahre in Leba – ab 1933 fand er dort sein Exil, denn Pechsteins Bilder waren als »entartet« eingestuft worden. Also lebte der Professor der Preußischen Akademie der Künste mit der Hauptwohnung in Berlin fortan lieber unter pommerschen Fischern – bis die Rote Armee kam. Dann kehrte er nach Westberlin zurück. In der Bundesrepublik aber wurde er zwar geehrt, doch nicht mehr ausgestellt. Seine expressionistischen Bilder wurden von der Hamburger Kunsthalle in den 50er Jahren als »nicht zeitgemäß« zurückgewiesen – in Westdeutschland war nun abstrakte Kunst »in« und der alte Expressionist Pechstein »out«. Doch in seiner Heimatstadt Zwickau erlangte er in den 50ern Jahren die Ehrenbürgerschaft. 1955 starb Pechstein in Westberlin, nicht ohne in seinen letzten Lebensjahren zeitweilig wieder an die Ostsee zurückgekehrt zu sein – allerdings

Erlebt, und ist doch tot

Der spanische Bürgerkrieg und der Kampf progressiver Kräfte gegen Franco haben auch im Liedgut tiefe Spuren hinterlassen. Politische Lieder können an Personen erinnern, deren Biografien historisch bedeutsam sind, die aber aus dem kollektiven Bewusstsein zu verschwinden drohen. Eine dieser Persönlichkeiten, derer musikalisch gedacht wird, war der spanische Kommunist Julián Grimau. Anerkennung dafür, ihm ein musikalisches Denkmal geschaffen zu haben, gebührt (auch) Wolf Biermann. Zu letzterem ließe sich vieles sagen; allein seine Nach-WendeWendungen (Wiglaf Droste: »Politisch stand Biermann in der Nähe jeder Fernsehkamera«) könnten diese Zeitungsausgabe füllen, müssen sie aber wahrlich nicht. Fraglos festgestellt werden kann allerdings, dass Biermann zur Verbreitung von Spanien-Liedern beigetragen hat. Beispiele sind typische, eigenwillige

Interpretationen von Klassikern wie »Spaniens Himmel breitet seine Sterne«, »Am Rio Jarama« oder »Die Herren Generale«. Aber auch eigene Werke sind es durchaus wert, gehört zu werden, obwohl ihre Texte manchmal kontrovers, ja deftig sind. Aber genau das macht Biermann schließlich aus, und es ließe sich trefflich etwa über die »Ballade zur Beachtung der Begleitumstände beim Tode von Despoten« diskutieren (»Wenn endlich ein Despot / Erschlagen ist und tot / Dann muss man auch sofort / Sofort am selben Ort / Mit Nadel und mit Faden / Sein Arschloch fest verschnür‘n / Vernähen und verriegeln / Verklammern und heiß bügeln / Verrammeln ganz und gar, vernieten und verlöten / Schön luft- und wasserdicht / Damit die ganze Schar, damit all die Lakaien / Die krochen da hinein / Für ewig drinnen bleiben ...«), oder auch über das »Franco-Lied« (»Und würd‘ es

Götter geben / Das wär nicht schlecht, mein Sohn / Ich bäte um Francos Leben / Dass dieser klapprige Henkerclown / Ihn selber noch kriegt, den gerechten Lohn / Für all unser Blut, ja das soll er noch sehen / Wie sich die Gewehrläufe auf ihn drehen / Und auf seine Brut, ja so wird das gehen ...«). Doch zurück zu Grimau. Am 18. Februar 1911 in Madrid geboren, wurde er zuerst in der Republikanischen Linken Kataloniens aktiv, später in der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE). Im Bürgerkrieg (1936-1939) war Grimau in Barcelona Chef der örtlichen politischen Polizei der Zweiten Republik. Der Franquismus zwang ihn nach Kriegsende ins lateinamerikanische Exil; allerdings siedelte er in den 1950er Jahren nach Frankreich über. 1954 wählte ihn der Kongress der PCE in Prag ins Zentralkomitee, ab 1959 arbeitete er in Spanien im Untergrund für seine Partei. Im November 1962 lauerte Fran-

reiste er nun an die schleswigholsteinische Küste. Gegenwärtig weisen Tafeln in Leba auf sein Wirken hin. Im Museum der nahe gelegenen Gebietshauptstadt Slupsk (Stolp) gibt es Bilder aus seiner Lebaer Zeit – leider sind sie derzeit im Magazin und damit für die Öffentlichkeit nicht

zugänglich. Immerhin erinnern Tafeln heute in Leba an den Maler aus Zwickau an der Ostseeküste. Max Pechsteins Bilder werden ab dem 9. Februar 2013 in den Kunstsammlungen Zwickau unter dem Titel »Max Pechstein auf Reisen. Utopie und Wirklichkeit« ausgestellt. Ralf Richter

cos Geheimpolizei dem inzwischen zum gesuchten Staatsfeind Aufgestiegenen in einem Bus auf; die genauen Umstände seiner Enttarnung sind ungeklärt. Im »Prozess« vor einem Madrider Militärgericht am 18. April 1963 wurde er beschuldigt, 1937 und 1938 persönlich für Folterungen und Hinrichtungen von politischen und Kriegsgefangenen verantwortlich gewesen zu sein. Interessanterweise wurde er also nicht vordergründig seines illegalen Wirkens in der PCE wegen angeklagt (das wohl allenfalls eine Gefängnisstrafe gerechtfertigt hätte), sondern aufgrund seiner Aktivitäten im Bürgerkrieg, die als »bewaffnete Rebellion« bewertet werden konnten. Es wurden keinerlei Zeugen gehört. Grimau wurde zum Tode verurteilt und am 20. April 1963 trotz weltweiter, teils gewaltsamer Proteste durch ein Erschießungskommando exekutiert. Biermanns Lied, 1963 ent-

standen und dreizehn Jahre später auf dem Album »Es gibt ein Leben vor dem Tod« veröffentlicht, ist vergleichsweise schlicht aufgebaut, büßt dadurch aber nichts an Emotionalität ein. Bestimmendes Motiv ist die Bestürzung über Grimaus unausweichliche Hinrichtung, zum Beispiel: »Ach Mutter, in Madrids Morgengrau / Wenn bei uns die Sonne aus Blut auftaucht / Stirbt Julián Grimau«. Und schließlich: »Genossen, in Madrids Morgenrot / Lebt Julián Grimau bei uns / Er lebt, und ist doch tot«. Traurig, bitter resignierend singt Biermann diese Zeilen, wie so oft lediglich mit rhythmischer Gitarrenbegleitung. Es ist ein aufs Nötige beschränktes, schnörkelloses Lied, das sich aber umso tiefer ins Gedächtnis eingräbt – obwohl der Mensch, dem es gewidmet ist, immer unbekannter wird. So lebt Grimau, auch dank Biermann, in den Köpfen weiter. Kevin Reißig

Bild Cea. @flickr

Aus dem Geschichtsunterricht hat man noch einigermaßen die Deutschlandkarte aus der Zeit zwischen 1871 bis 1914 im Kopf – und schließlich das gerupfte Bild, als Ostpreußen nach dem verlorenen Krieg praktisch keine Verbindung zum Rest des Landes mehr hatte und man vom »polnischen Korridor« sprach. Doch was bedeutete das Ende des Ersten Weltkriegs eigentlich für die Menschen in den einst deutschen Orten Polens und in der Kurischen Nehrung, die litauisch wurde? Von heute auf morgen kamen eine neue Verwaltung und Amtssprache, dazu Ressentiments – dies alles konnte nicht ohne Spannung zwischen den Bevölkerungsgruppen bleiben, die alle Alters- und Berufsklassen betrafen. Man kann dort auf die Hinterlassenschaften eines Zwickauers, des bekannten Dresdner Brücke-Malers Max Pechstein stoßen, der vor dem Ersten Weltkrieg glaubte, sein kleines Paradies in Nidden gefunden zu haben – dort also, wo ab 1930 Thomas Mann für drei Jahre sein Haus hatte, das heute sein Enkel Frido Mann in seinem soeben erschienenen Buch »Mein Nidden« beschreibt. In unsicheren Zeiten nach Kriegsende machte sich der Maler auf und erinnerte sich später: »Im Friedensvertrag wurde bei Nidden


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