Links! Ausgabe 11/2012

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Ein neues Vergabegesetz

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt November 2012

Die letzte Aktualisierung des sächsischen Vergabegesetzes erfolgte mit Wirkung zum 01.01.2003. In der Zwischenzeit hat sich die Welt weitergedreht – global, im Bund und auch in Sachsen. Mittlerweile ist jedem, der es wissen will, bekannt, dass Dumpinglöhne, geringfügige Beschäftigung oder Leiharbeit mit Stundenlöhnen unter 8,50 Euro zu Altersarmut führen. Ebenso klar ist auch, dass immer noch öffentliche Aufträge ohne soziale, ökologische oder Gleichstellungskriterien vergeben werden, dass bislang kaum Sanktionen gegen Auftragnehmer bei Verstößen gegen Arbeitsnormen möglich sind. All dies rechtfertigt die Neufassung des sächsischen Vergabegesetzes. Der DGB und die Fraktionen DIE LINKE und SPD begannen daher schon vor reichlich einem Jahr eine Diskussion zur Novellierung dieses Gesetzes. Jetzt liegt der Entwurf vor und wird vom DGB mit einer Aktion unter dem Motto »Billig kommt teurer« begleitet. Auszugsweise möchte ich die wichtigsten Vorschläge vorstellen. Neben der Forderung nach Tariftreue und der Beachtung eines Mindestentgeltes von 8,50 Euro pro Stunde in den Betrieben der Auftragnehmerinnen und Auftragnehmer bei öffentlichen Aufträgen (als ersten Schritt, 10 Euro bleiben weiterhin das Ziel) halten wir es für geboten, dass Kriterien für eine umweltverträgliche Auftragsausführung sowie internationale Kernarbeitsnormen bei der Vergabe gelten müssen. Das wären beispielhaft die Berücksichtigung von vollständigen Lebenszykluskosten eines Produktes beziehungsweise einer Dienstleistung oder die Beachtung des Mindestalters für die Zulassung von Beschäftigung, aber auch der Nachweis, dass der Bieter Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern und zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie durchführt. Die Frage der Kontrolle und der Sanktionsfähigkeit im Verga-

beverfahren löst immer wieder Diskussionen in den Kommunalvertretungen aus. Auch hier macht der Gesetzesentwurf Vorschläge. Neben der Formulierung anspruchsvoller Inhalte eines Vergabeberichtes ist vor allem die Nachprüfung von Vergabeverfahren notwendig. Unabhängig von Schwellenwerten soll für alle Auftragsvergaben eine leistungsfähige staatliche Kontrolleinrichtung geschaffen werden, die beauftragt wird und in der Lage ist, die öffentliche Vergabepraxis sowie die Einhaltung der festgelegten Regelungen effektiv zu überwachen, um ihre Einhaltung sicherzustellen. In vielen Positionen unterscheiden wir uns deutlich von den Vorstellungen der regierungstragenden Parteien. Sie wollen unter dem Deckmantel, dass vergabefremde Aspekte wie soziale, innovative und umweltbezogene Kriterien nichts im Vergabegesetz zu suchen hätten, die bisherige Vorgehensweise bei der Auftragsvergabe beibehalten. Damit ist zumeist der billigste Anbieter auch der wirtschaftlichste. Dabei ist den Kolleginnen und Kollegen von der schwarz-gelben Koalition offensichtlich entfallen, dass sich der vermeintliche Standortvorteil gerade ins Gegenteil verkehrt. Junge flexible Menschen, in der Mehrheit leider auch Frauen, verlassen das Land Sachsen, weil sie eben in anderen Bundesländern mehr Geld verdienen können. CDU und FDP wollen sogar die Obergrenze für die freihändige Vergabe auf 25.000 Euro anheben, ebenso soll die Herbeibringung einer Bankbürgschaft erst ab einer Auftragssumme von 250.000 Euro verlangt werden. Beides sind Instrumente, die sowohl die Beteiligung der kommunalen Ratsvertreter schwächen als auch riskant für die Kommunen sind. Der von LINKEN und SPD vorgelegte Gesetzesentwurf ist eine moderne, zukunftsweisende Grundlage, die auch den sächsischen Mittelstand stärkt, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auskömmliche Löhne garantiert und die nachhaltig wirksame Wertungsmaßstäbe bei der Auftragsvergabe formuliert.


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„Kahlschlags- und Kürzungspolitik ist zum Scheitern verurteilt“ Kaum ein Thema ist in diesen Tagen so präsent wie die Staatsschulden in Europa. „LINKS!“ sprach darüber mit Sahra Wagenknecht, Wirtschaftsexpertin der Bundestagsfraktion der LINKEN, und mit ihrem Kollegen Axel Troost, Sprecher für Finanzpolitik. Frau Wagenknecht, Herr Troost: Was ist eigentlich so schlimm an Staatsschulden? S. W.: Staatsschulden sind per se weder schlimm noch harmlos. Sie sind aber verantwortungslos, wenn mit ihnen Steuergeschenke für Reiche oder Bankenrettungen finanziert werden. In Spanien haben sich die Staatsschulden seit 2007 in Folge der Finanz- und Immobilienkrise verdoppelt, vorher waren sie im internationalen Vergleich sehr niedrig. 2012 werden die neuen milliardenschweren Kapitalspritzen für spanische Banken die Schulden weiter in die Höhe treiben. Es ist ein Mythos, dass die Staatsschulden gestiegen sind, weil die Bevölkerung über ihre Verhältnisse gelebt hätte. A. T.: Staatsschulden werden inzwischen regelrecht verteufelt. Das halte ich für grundfalsch. Tatsächlich sind die Staatsschulden mit der Finanzkrise regelrecht explodiert. Wir hatten in den 1930er Jahren eine fatale Weltwirtschaftskrise, weil das Finanzsystem kollabiert ist. Deswegen gehöre ich zu denjenigen, die eine Bankenrettung und teure Konjunkturprogramme für notwendig halten, um Schlimmeres abzuwenden. Allerdings hat es die Bundesregierung dabei versäumt, Bankeigentümer und Gläubiger in die Haftung zu nehmen. Verantwortungslos war es auch, die Finanzmärkte überhaupt von der Leine zu lassen. Die bisherige Finanzmarktregulierung ist auch viel zu zaghaft. Wie sind Staatsschulden überhaupt entstanden? S. W.: Durch Steuergeschenke an die Reichen und die Bankenrettungen. Steuersenkungen und die nicht wieder eingeführte Vermögenssteuer haben in Deutschland seit dem Jahr 2000 zu knapp 600 Milliarden Euro weniger Einnahmen geführt. Durch Bankenrettungen stiegen die Staatsschulden seit 2008 um knapp 400 Milliarden. A. T.: Schulden sind da, um öf-

fentliche Investitionen in Infrastruktur und Bildung zu finanzieren. Sie sorgen für Wachstum und können durch zukünftig höhere Steuereinnahmen gegenfinanziert werden. Durch schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme sollte in Krisenzeiten auch die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht werden. Alle weiteren Ausgaben sollten allerdings durch Steuern und nicht durch Schulden finanziert werden. Wir können nicht über Schulden sprechen und zugleich über die Fehler in der Steuerpolitik schweigen. Das hat meine Kollegin gerade richtig auf den Punkt gebracht. Regierungen erwecken den Eindruck, dass alle Staatsschulden zurückzuzahlen seien. Damit wurden und werden Einschnitte bei Bildung, Sozialem, Kultur und anderem gerechtfertigt. Ist das überhaupt realistisch? A. T.: Ein überschuldeter Staat muss pleitegehen können und seine Schulden zum Teil erlassen bekommen. Die Ansprüche der Gläubiger müssen dann gegenüber den Ansprüchen der Bevölkerung zurückstehen. Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass die Staaten Europas in der Mehrheit überschuldet sind. Griechenland ist ein besonderer Fall. Eine Staatspleite hat immer unschöne Nebenwirkungen. Wenn es darum geht, Reiche und Vermögende zur Kasse zu bitten, sind eine Vermögensabgabe und eine andere Steuerpolitik meist bessere Alternativen als Schuldenschnitte. S. W.: Der Versuch, ein überschuldetes Land durch eine soziale Kahlschlags- und Lohnkürzungspolitik zu sanieren, ist zum Scheitern verurteilt,

wie die schreckliche Entwicklung in Griechenland deutlich zeigt. Durch die verordnete Rezession ist inzwischen ein Fünftel der griechischen Wirtschaftsleistung vernichtet worden. Solche Einbrüche waren früher nur als Folge eines Krieges bekannt. Die sinkenden Steuereinnahmen reduzieren die Schuldentragfähigkeit des Staates weiter – ein Teufelskreis. In den letzten drei Jahren sind die Staatsschulden in Griechenland um weitere rund 60 Milliarden beziehungsweise 20 Prozent angestiegen. Warum nicht einfach Banken pleitegehen lassen, die sich vor allem mit Spekulation beschäftigen? S. W.: Einfach so sollte man es nicht machen. Aber bei einer kontrollierten Insolvenz müssten Eigentümer und Gläubiger für die eingegangenen Risiken haften. Das ist in Island erfolgreich gemacht worden. Es gibt weite Bereiche im heutigen Finanzsektor, deren Zockergeschäfte kein vernünftiger Mensch braucht. Dagegen müssen die für die Realwirtschaft elementaren Bereiche, wie Einlagen der Bürger bis zu einer festgelegten Grenze, Zahlungsverkehr und Kreditvergabe an die Realwirtschaft selbstverständlich durch den Staat abgesichert und garantiert werden. Eine Wirtschaftskrise in Folge der Bankenpleite wird so vermieden. A. T.: Das Finanzsystem ist viel zu sehr mit der Realwirtschaft verbunden, als dass man große Banken einfach pleitegehen lassen könnte. Deswegen muss der Staat im Pleitefall in der Tat bestimmte Teile absichern. Man kann dabei aber Bankeigentümer und Gläubiger nur begrenzt für Verluste

in Haftung nehmen, weil sie auch irgendwann pleite sind. Dann müsste der Steuerzahler also doch wieder in die Bresche springen. Deswegen wollen wir, dass sich Banken auf ihre Kernfunktionen konzentrieren und sich erst gar nicht verzocken können. Dafür muss erst mal ein Großteil des Finanzcasinos geschlossen werden. Was ist zur Idee einer „Europäischen Bank für Öffentliche Anleihen“ zu sagen? S. W.: Wer die Profitmacherei der Banken zu Lasten der Steuerzahler beenden will, muss die öffentlichen Haushalte aus der Abhängigkeit von den Banken befreien. Das geht nur, wenn der Staat sich in einem festgelegten Rahmen direkt bei der Europäischen Zentralbank (EZB) finanzieren kann. Und zwar zu den gleichen günstigen Bedingungen wie die Banken – zur Zeit mit 0,75 Prozent Zinsen. Mit dem Umweg über eine „Europäischen Bank für Öffentliche Anleihen“ sollen dabei institutionelle und juristische Probleme vermieden werden. Hingegen ist es keine Lösung, wenn die EZB mit dem Segen der Bundesregierung den Banken und Hedgefonds im Notfall ihre Staatsanleihen unbegrenzt abkauft. Das entspricht einer Vollkasko-Gratisversicherung für die Finanzinstitute. Das Kreditausfall- und Inflationsrisiko trägt die Bevölkerung. Es ist deshalb gut, dass der zuständige Arbeitskreis der Bundestagsfraktion DIE LINKE sich bereits vor über einem Jahr in seinem Papier „Wege aus der Krise“ kritisch zur Übertragung von Kreditrisiken der Banken an die EZB geäußert hat.

A. T.: Die EZB kauft die Staatsanleihen mit Abschlägen auf, deswegen handelt es sich eher um eine Teilkasko-Versicherung. Wer vor der Krise entsprechende Staatsanleihen gekauft hat, hat dadurch trotzdem Verlust gemacht. Das Hauptproblem sind für mich Hedge-Fonds und ähnliche Akteure, die sich erst zum Schluss mit Staatsanleihen eingedeckt haben, um damit zu zocken. Ich finde es unerträglich, wie Spekulanten ein Euroland nach dem anderen zum Abschuss freigegeben haben und sich die Staaten der Eurozone haben auseinander dividieren lassen. Das hätte sich durch die genannte „Europäische Bank für Öffentliche Anleihen“ unterbinden lassen. Wegen Ihrer Vorschläge und Ihrer Bezugnahme auf Walter Eucken und Ludwig Erhard wurde Ihnen, Frau Wagenknecht, der Vorwurf gemacht, sie huldigten neoliberalen Konzepten. Ist das berechtigt? S. W.: Wenn die Losungen „Wohlstand für alle“ und „Keine Bankenrettungen mehr zu Lasten der Bevölkerung“ neoliberal sind, dann kann ich mit dem abenteuerlichen Vorwurf gut leben. A. T.: Die Forderung, Banken einfach pleite gehen lassen, sind auch in neoliberalen Kreisen sehr populär – allerdings aus sozial-darwinistischen Motiven. Linke haben ganz andere Motive, nämlich Umverteilung oder politische Auseinandersetzungen. Da muss man natürlich aufpassen, dass man mit seinen Forderungen nicht versehentlich die falschen Kreise bedient. Vielleicht gelingt das nicht immer. Wenn Sahra Wagenknecht aber mit Erhard-Zitaten erreicht, dass man auch in bürgerlichen Kreisen wie in der FAZ über linke Ideen diskutiert, sehe ich das als Erfolg an. DIE LINKE fordert: „Unsere Schuldenbremse heißt Millionärssteuer“. Reicht das aus? S. W. Die Millionärssteuer ist zentral in unserem Steuerkonzept. Tatsächlich kann jederzeit ein Schuldenanstieg durch eine ausreichende Besteuerung der Millionäre – das betrifft weniger als ein Prozent der steuerpflichtigen Personen – gestoppt werden. Um die Krise dauerhaft zu überwinden, müssen außerdem die


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Energiewende auch in Sachsen? Es ist wichtig, dass wir uns den mit der Energiewende verbundenen Problemen auf breiter Front offensiv stellen. Die Zeit bis zum Abschalten des letzten Atommeilers 2022 wird rasend schnell vergehen, wenn nicht die sich immer massiver aufstellende Gegnerschaft der Energiewende erneut die Oberhand gewinnen sollte. Wie sieht es in Sachsen aus? Sachsen als Bundesland hat die Energiewendegesetze im vergangenen Jahr im Bundesrat abgelehnt. Stattdessen hat die Staatsregierung eigene Vorstellungen von der Energiewende entwickelt. So soll die Braunkohleverstromung die Lücken schließen, die durch die Abschaltung der Atomkraftwerke entsteht. Gerade Braunkohle als Energieträger mit den höchsten CO2-Emissionen soll es richten? Die Politik hat dafür den Begriff »Effizienz« erfunden. Der neue Braunkohleblock im Kraftwerk Boxberg IV »Box R« ist hocheffizient und emittiert 20% weniger CO2 als bisherige Kraftwerksblöcke. Mit seiner vollen Inbetriebnahme im nächsten Jahr steigen die CO2-Emissionen in Sachsen aber um rund 4,5 Mio. t pro Jahr an! Im April 2012 forderte der Energiepolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion die Abschaffung des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und legte im Juli nach, indem er forderte: »Wir müssen den Zubau von Erneuerbaren Energien verlangsamen«. Die CDUFDP-Koalition marschiert zwar

Wer sagt denn so was? Der Schiller war es nicht. Der hat bekanntlich seinen Marquis Posa im Don Karlos sagen lassen, »geben Sie Gedankenfreiheit, Sire«, und dachte, damit wären die aufmüpfigen Niederländer beruhigt, weshalb er dies ja auch dem spanischen König Philipp II. riet. Das mag klug gedacht gewesen sein. Heute wäre ich nicht so optimistisch wie Posa. Kaum hat da einer Gedankenfreiheit und natürlich auch die dazu gehörige Gelegenheit, seine Gedanken frei zu äußern, will er schon mehr. Er will die Beinfreiheit. So einer ist zum Beispiel der Peer Steinbrück. Er kommt aus der Sozialdemokratie, und

im Gleichschritt, aber den Ton scheint doch die FDP anzugeben. Ende Juni startete die FDP-Landtagsfraktion ihre »Fortschrittsoffensive 2012« mit einer Alternativen Klimakonferenz. Das Ziel war von Anfang an eindeutig: Der sich immer mehr ausprägende globale und regionale Klimawandel mit teils jetzt schon verheerenden Folgen muss geleugnet werden. Die Organisatoren hatten kaum Mühe, Wissenschaftler zu finden, die die Bestätigung dafür lieferten, dass es entweder überhaupt keine oder nur eine unbedeutende Klimaerwärmung gebe. Nachdem zunächst das ganze Rüstzeug der Klimaleugner ak-

tiviert wurde, fahren die Gegner nach der Sommerpause neues schweres Geschütz auf. Alle Stromverbraucher, egal ob privat oder gewerbsmäßig, haben es festgestellt: Die Strompreise steigen seit Jahr und Tag an. Als Verursacher kommt nur die EEG-Umlage für Wind-, Sonnen-, Biomasseund Wasserkraftstrom infrage. So ließ Sachsens Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP) am 10.09.2012 in einer Pressekonferenz verlauten: »EEG lässt Stromkosten explodieren und verhindert Innovationen – Quantenmodell bessere Alternative«. Diese Behauptung kommt nicht von ungefähr, sie ist das Ergebnis einer vom Frei-

staat in Auftrag gegebenen Studie. Der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Fraktion vertieft die Ergebnisse folgendermaßen: »Mehr als zehn Jahre nach seiner Einführung steht fest: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hat den Anteil der sogenannten erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung gesteigert. Mittlerweile beträgt ihr Anteil bereits über 20 Prozent. Der ursprüngliche Zweck des EEG, Nischentechnologien zur Stromerzeugung den Markteintritt zu ermöglichen, ist längst erreicht. Heute ist das EEG nicht mehr zeitgemäß, denn die großzügige Förderung der sogenannten erneuerbaren Energien über

das planwirtschaftliche EEG lässt die Kosten für Strom seit Jahren ungebremst explodieren und verteilt Geld von unten nach oben kräftig um«. Dass es Studien gibt, die das Gegenteil beweisen und die wahren Gründe für die Preissteigerungen aufdecken, darüber verlieren FDP-Politiker kein Wort. Privilegien der Industrie verteuern die EEG-Umlage. Es ist doch verständlich, dass die Kosten steigen müssen, wenn eine Vielzahl von Unternehmen durch die Bundesregierung von der EEG-Umlage befreit und diese Anteile privaten Verbrauchern, Handwerk sowie Mittelstand aufgelastet werden. Deutschland hat sich vorgenommen, mit der Energiewende eine Pionieraufgabe in Angriff zu nehmen. Vorbilder in der Welt gibt es nicht. Wir können die Aufgabe nur deshalb anpacken, weil Deutschland zu den führenden Technologienationen in der Welt gehört. Die Macher im sächsischen Wirtschaftsministerium scheinen aber nicht viel von Hochtechnologien zu verstehen und davon, welche herausragende Position Sachsen einnehmen könnte, wenn die Verantwortlichen statt auf die Bremse auf das Gaspedal treten würden. Reagieren wir nicht sofort mit Klimaschutzmaßnahmen, dann laufen uns die Kosten tatsächlich aus dem Ruder. Hans-Jürgen Schlegel Der ungekürzte Text ist unter www.links-sachsen.de downloadbar.

der muss man schon zugutehalten, einst viel getan zu haben für die Durchsetzung der Gedankenfreiheit. Und auch viel gelitten zu haben, bis es so weit war. Marx meinte, ein befriedigtes Bedürfnis schafft ein neues höheres. Das gilt nicht nur beim Wohnen, Essen, Trinken und sich Kleiden, das gilt auch beim Philosophieren. Dazu gehört alle Theoriebildung über Gott und die Welt und als Anleitung zum praktischen Handeln. Politik sollte vermitteln zwischen diesen Bereichen menschlichen Seins; das eine jeweils möglich machen durch das andere. Das braucht Gedankenfreiheit für die Philosophie, und Karl Marx dachte eben, alles geht immer vom Niederen zum Höheren. Ein Peer Steinbrück belehrt ihn eines Besseren. Dem befriedigten Bedürfnis kann man nämlich auch eine neues, niedrigeres entgegenstellen und philosophisch begründen. Steinbrück war deshalb nicht zimperlich, wenn es

um die Einschränkung von Bedürfnissen beim Essen, Kleiden, Trinken und Wohnen ging. Er gilt als einer der Väter der Agenda 2010. Jetzt halfen die Gedanken- und Meinungsfreiheit wenig. Philosophieren konnte man schon, aber Beinfreiheit hatte man kaum noch; auch bereits errungene war plötzlich wieder weg. Man war wieder eingezwängt in enge Grenzen der Daseinssicherung. Das engt auch

tausend Euro und mehr, wenn es gut läuft. Ob man die kriegt, weil man den Geldgebern ins Gewissen redet, weniger raffgierig zu sein, kann doch wohl bezweifelt werden. Einer, der die Agenda 2010 mit erfunden und durchgesetzt hat, fällt unter die unglaubwürdigen Philosophen, wenn er jetzt von der Beschränkung der Bankenmacht und der Bekämpfung der sozialen Spaltung spricht. Das glaubt ihm selbst in der eigenen Partei nicht jeder und jede. Deshalb fordert er ja als Kanzlerkandidat der SPD die Beinfreiheit. Er will sich nicht dauernd stoßen an irgendwelchen anderen, linken Beinen, die da scharren wegen der schrumpfenden Rente und der immer weiter aufgehenden Schere zwischen Arm und Reich. Seine Philosophie klingt dabei einen Augenblick sogar dialektisch: Er will ein Programm, das zum Kandidaten passt, und einen Kandidaten, der zum Programm passt. So hat er es ge-

Geben Sie Beinfreiheit! das Philosophieren ein. Die ganze Philosophie der Betroffenen wird darauf verschwendet, herauszubekommen, wie man in diesen Grenzen überlebt. Anders aber Peer Steinbrück. Er lebt ganz gut von der Gedankenfreiheit. Seine Honorare für deren Nutzung bei Finanzhaien sind kein Pappenstiel. Wir wissen zwar nicht ganz genau, was er dort so erzählt, wir wissen aber immerhin, wie viel man dafür bekommen kann – sieben-

sagt auf dem Parteitag der nordrhein-westfälischen SPD. Vorsicht, sage ich, und genauer hingeschaut! Die Reihenfolge macht es. Wenn erst das Programm zum Kandidaten passt, dann passt natürlich auch der Kandidat zum Programm und die Beinfreiheit ist gesichert. Sie ist gesichert für Peer Steinbrück, für die Banken und für die Lohndrücker. Die Rente bleibt jedoch weiter der Absenkung ausgesetzt, und die Zeit, bis es Rente gibt, wird verlängert. Was sind das für Sozialdemokraten, die heute solche Gesetze machen? Sie bauen keine massiven Steinbrücken in eine gerechte Zukunft für alle. Sie sind vielmehr steinernen Herzens. Neu ist solches allerdings nicht. »Weh auch Euch Gesetzeslehrern! Ihr ladet den Menschen Lasten auf, die sie kaum tragen können, selbst aber rührt Ihr keinen Finger dafür« (Lukas, 11, 46). Über 2000 Jahre Erfahrung – und der SPD fällt nur der Steinbrück ein? Peter Porsch


Hintergrund

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10 Jahre Afghanistankrieg – Einblicke und Ausblicke

zwei Frauen aus Afghanistan zu Wort, außerdem der Großvater eines in Afghanistan stationierten Soldaten. Zur Sprache kamen das Ungleichgewicht zwischen den Ausgaben für den Bundeswehreinsatz (eine Milliarde Euro pro Jahr) und für die Aufbauhilfe sowie die Problematik der Waffenexporte. Die beiden Afghaninnen warfen die Frage auf, wer in Afghanistan eigentlich der Feind sei. Früher wurde die eine Seite von den Warschauer Vertragsstaaten unterstützt, während die NATO die Taliban beförderte und mit modernen Waffen versorgte. Der Westen habe die Taliban erst stark gemacht, Bin Laden aufgebaut. Seit Beginn des Krieges habe sich das Klima in der Bevölkerung stark verändert. In den ersten

Jahren des Krieges seien die Menschen noch voller Hoffnung gewesen; nun seien die Hoffnungen auf ein besseres Leben dahin. Ziel muss der Wiederaufbau des Landes sein, die Förderung von Projekten für Ausund Weiterbildung in Afghanistan sowie zum Aufbau der Wirtschaft. Hier ist Deutschland auch nach Abzug der Bundeswehr weiter in der Pflicht. Auf ein weiteres Problem dieses Auslandseinsatzes machte der Großvater eines Soldaten aufmerksam. Viele der in Afghanistan stationierten Soldatinnen und Soldaten kämen traumatisiert zurück. Doch hier würden sie damit alleine gelassen. Stefan Liebich bestätigte, dass Deutschland für die Soldatinnen und Soldaten auch nach deren Rückkehr aus den Einsätzen eine Verantwortung habe. Das Schlusswort kam von einer Migrantin. Sie sei im Krieg aufgewachsen und könne verstehen, was die Soldatinnen und Soldaten belastet. Jedes Jahr zu Silvester verkrieche sie sich unter der Bettdecke, weil die Silvesterknallerei sie zu sehr an die Kriegsereignisse erinnere. Sie wünsche sich, dass die traumatisierten Soldatinnen und Soldaten gut betreut und nicht allein gelassen werden. In diesem Sinne dürfen wir nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan die Menschen dort nicht allein lassen. Unsere Verantwortung zur Unterstützung bleibt! Simone Hock

Besondere Kritik wurde am Asylbewerberheim in Langburkersdorf im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge geäußert. Hier würden offensichtlich alle Asylbewerber landen, die Probleme machten. Das Wort »Straflager« fiel. Was die Flüchtlinge dort erwarte, führe zu tiefer Enttäuschung, Flucht in den Drogenkonsum, unkontrollierten Ausbrüchen. Immer noch lebten diejenigen, die das Abbrennen des einen Heimtraktes miterleben mussten, in Angst. Es gebe einen großen Unterschied zwischen Asylunterkünften in der Stadt und auf dem Land, wurde festgestellt. Die Zustände in den ländlichen seien »gruselig« und es ergebe sich die Frage, ob man Asylbewerber nur noch in großen Städten unterbringen soll-

te. Dass auch das schwierig sein kann, berichteten Aktivisten aus Pirna. Als dort ein großes Asylbewerberheim aufgemacht werden sollte, gab es Unterschriftensammlungen dagegen – u.a. auch von Gewerbetreibenden, Ärzten. Bedenken äußerte auch die in unmittelbarer Nähe gelegene evangelische Grundschule. Die Konferenz hat insgesamt gezeigt, dass es in Sachsen viele motivierte Aktivistinnen und Aktivisten gibt, die unverdrossen Menschenwürde für Flüchtlinge einfordern. Beim Anblick der vornehmlich jungen Gesichter in der Runde wurde klar: Es hat ein Generationswechsel stattgefunden. Auch viele junge Menschen engagieren sich für Flüchtlinge – das stimmt froh. Anja Oehm

Bild DVIDSHUB @ flickr

Am 26. September 2012 besuchte Stefan Liebich, Bundestagsabgeordneter der LINKEN und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, das »Marienthaler Lichtspielhaus« in Zwickau. Er berichtete über die aktuelle Situation in Afghanistan, die Positionen der LINKEN und seine eigenen Einschätzungen. Das Land sei nach zehn Jahren Krieg von kleinen gewalttätigen Gruppen und einer wieder größer werdenden Zahl verschleierter Frauen im Straßenbild gekennzeichnet. Inzwischen hat der »Krieg gegen den Terror« viel mehr zivile Opfer gefordert als die verbrecherischen Terroranschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001. Auch wenn klar sei, dass man die Zahl von Toten nicht gegeneinander aufrechnen kann, solle man Anlass und Wirkung betrachten, so Liebich. Die Tötung Bin Ladens sei ein Armutszeugnis für die USA; die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse hätten gezeigt, dass man selbst mit den schlimmsten Verbrechern rechtsstaatlich umgehen könne. Erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges habe nun auch Deutschland wieder im Krieg getötete Soldaten zu betrauern. Letztlich stehe DIE LINKE jedoch nicht gegen die Soldaten, sondern gegen die Kampfeinsätze. Für Angehörige sei es immer schlimm, einen Menschen zu verlieren; deshalb nehme die Fraktion selbstverständlich an den

Trauerfeierlichkeiten für die Getöteten teil. Deutschland verfüge über eine Parlamentsarmee, so Liebich. Das bedeute, dass der Bundestag über jeden Auslandseinsatz gesondert entscheiden müsse. Diese Debatten böten immer wieder die Möglichkeit, auf Probleme solcher Auslandseinsätze aufmerksam zu machen. So seien auch Deutsche daran beteiligt, Personen zu identifizieren, die dann in der Gefahr stünden, von NATOBündnispartnern erschossen zu werden. Letztlich seien die vollmundigen Ziele wie der Aufbau von Demokratie, der Schutz der Menschenrechte, die Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen und eine Verbesserung der Lebensumstände nicht erreicht worden.

Zwar sei die terroristische alQaida nun nicht mehr von Afghanistan aus tätig, treibe aber unter anderem vom benachbarten Pakistan aus ihr Unwesen. Kritik übte Stefan Liebich auch an der Werbeaktion der BRAVO für »Abenteuerfreizeiten« der Bundeswehr. Es könne nicht sein, dass Wehrerziehung durch die Hintertür eingeführt werde. Auch in Schulen habe die Nachwuchswerbung der Bundeswehr nichts zu suchen. Es sei schlicht inakzeptabel, dass die meisten Soldatinnen und Soldaten aus den neuen Bundesländern und sozial schwachen Gebieten stammen. Gerade hier werde für die Bundeswehr als berufliche Chance geworben. In der Diskussion kamen auch

Initiativen-Konferenz „Asyl in Sachsen“ Das Kulturbüro Sachsen e. V. und der Sächsische Flüchtlingsrat e. V. hatten im September zu einer InitiativenKonferenz eingeladen. Neben etwa 40 Aktivistinnen und Aktivisten nahm auch die Europaabgeordnete Cornelia Ernst (DIE LINKE) daran teil. Die Asyldebatte wird in Deutschland unter dem Aspekt der Nützlichkeit geführt. Die Konferenz jedoch widmete sich dem Thema unter dem Aspekt der Menschenrechte. 4300 bis 4500 Flüchtlinge leben derzeit unter uns; es gibt 31 Wohnheime, aber gute gibt es nicht. Denn Wohnheim bleibt immer Wohnheim. Mehrbettzimmer bieten keine Privatsphäre. Von den 1000 jährlich ankommenden neuen Asylsuchenden können 400 bis 500 bleiben. Was sie er-

wartet, sind 8-10 Jahre Aufenthalt im Heim. Das ist so geplant und eine Katastrophe für die Betroffenen, die unter diesen Bedingungen psychisch und physisch krank werden. Die Forderung des Flüchtlingsrates lautet deshalb, neue Asylbewerber nicht länger als ein Jahr in Wohnheimen unterzubringen. Dreizehn Kommunen haben dreizehn verschiedene Arten des Umgangs mit Asylbewerbern, wurde festgestellt. Während in Chemnitz 60-70 % dezentral untergebracht werden, sind es in Mittelsachsen weniger als 10 %. Die Bargeldauszahlung wurde durchgesetzt, nur der Landkreis Leipzig sträubt sich dagegen. SPDregierte Länder handhaben Asylfragen immer fortschrittlicher als CDU-regierte. Wür-

de man alle Länder auf einer Bewertungsskala festhalten, käme für Sachsen Platz 13-14 von 16 heraus. Kein Ruhmesblatt für den Freistaat. Ali Moradi vom Flüchtlingsrat appellierte an die Aktivisten, nicht aufzugeben. Sich für Flüchtlinge stark zu machen, sei mühsam. Aber es lohne sich. In den letzten Jahren habe es riesige Fortschritte gegeben; es sei immer wieder gelungen, Verstöße gegen die Menschenwürde anzuprangern. Es gibt jetzt den HeimTÜV, und mit Martin Gillo als Sächsischem Ausländerbeauftragten habe sich einiges getan. Demnächst wird es auch eine »Orientierungshilfe« für Flüchtlinge geben. »Willkommensbroschüre« darf diese leider nicht heißen, denn willkommen ist hier niemand.


November 2012

Sachsens Linke

Informationen, Meinungen und Berichte vom 7. Parteitag der sächsischen LINKEN und dem Start des Dialog für Sachsen finden sich auf den Seiten 1 und 3. Enrico Stange beschreibt die soziale Dimension des Wohnens auf Seite 4. Julian Nagel berichtet vom Flüchtlingsmarsch, der auch

durch Sachsen ging, auf Seite 7. Caren Lay erläutert wie und warum Strom kein Luxusgut werden darf. Auf Seite 8. Von der Bundesfrauenkonferenz berich-

tet Claudia Jobst auf Seite 6. Und Tilman Loos berichtet vom Landesjugendplenum in Chemnitz, ebenfalls auf Seite 6.

Dialog für Sachsen chuss Der Parteitag war Sta. rts tes jek Pro n ue ne s de

1000 Fragen

Dialog für Sachsen startet In den letzten Ausgaben von Sachsens Linke war schon Grundlegendes darüber zu lesen, was unter dem »Dialog für Sachsen« zu verstehen ist, sowohl von den Inhalten als auch der Methodik in der Öffentlichkeitsarbeit her. Was das in der Praxis bedeuten kann, konnten Gäste und Delegierte des 7. Landesparteitags der LINKEN hautnah miterleben. Wer beispielsweise bezüglich der Leitanträge zu den Sozialpolitischen wie Bildungspolitischen Leitlinien die sonst üblichen Einbringungsstatements erwartet hatte, wurde angenehm enttäuscht. Denn statt dieser boten Podiumsdiskussionen mit zum Teil externen Sachverständigen einen Einstieg in die jeweilige Thematik. Anschließend fanden dann die Generaldebatten statt. Der »Dialog für Sachsen« zeitigt eine Menge Papier, es geht ja darum, jene Inhalte zu erarbeiten, mit der DIE LINKE in den kommenden Jahren den innerparteilichen wie öffentlichen Dialog führen und in den Wahlkampf ziehen will. Seit einigen Monaten gibt es einen Katalog von Fragen zur Qualitätssicherung und Harmonisierung der Leitlinien, der den Autorinnen und Autoren Orientierung geben und die Arbeit an den Papieren erleichtern soll. Voraussetzung aber, um die Inhalte zu qualifizieren, bleibt der Dialog mit den

verschiedenen gesellschaftlichen Kräften, und um diesen effektiv, ansprechend und abwechslungsreich zu gestalten, hat die Steuerungsgruppe einen Methodenkoffer »gepackt«, in Gestalt einer schmalen Broschüre, der überall und zu jeder Zeit einsatzbereit ist. Diese Sammlung verschiedenster dialogischer und auch spielerischer Elemente, die sich oft ohne großen Aufwand in Veranstaltungen integrieren lassen, zeigt Möglichkeiten auf, wie und in welchen Formen der Dialog geführt werden kann. Die Methoden werden kurz und eingängig beschrieben, so ist etwa zu erfahren, wie das »World-Café« oder der »Infomarkt« funktionieren, was sich hinter solch geheimnisvollen Bezeichnungen wie »Fishbowl«, »Texanisches Thesenmassaker« und »Open Space« verbirgt. Diese Veranstaltungsformate und Methoden sind alle nicht neu, doch in die politische Arbeit haben sie zum Teil noch wenig Eingang gefunden. Dabei sind sie besonders geeignet, die Zuhörenden aktiv in das Geschehen einzubeziehen, vorhandene Kompetenzen anzusprechen, statt, wie gehabt, nur frontal zu »unterrichten«. Interessenten können die Broschüre über die Landesgeschäftsstelle beziehen. Jayne-Ann Igel

Wenn ein 87 ähriger die Augen für immer schließt, dann ist es leicht, von einem erfüllten Leben zu schreiben, so wie bei Edgar Külow, und trotzdem ist da diese Trauer und das Wissen: Nun ist Koslowski nicht mehr. Wenn sich wenige Tage später ein mir gut bekannter 58 jähriger Journalist schlafen legt und am nächsten Tag nicht mehr aufwacht, dann steht die Frage: Wieso ist dieses Leben jetzt plötzlich zu Ende? Es gab doch noch so viel zu tun. Man meint, so ungerecht darf es nicht zugehen. Wenn zwei Wochen später eine 22 jährige plötzlich und völlig unerwartet von uns gerissen wird, dann ist jede Frage nach dem Warum eine Frage zu viel. Weil es kein Warum gibt. Es ist so unbegreiflich. So unfair. So verdammt unbegreiflich. LMJ - wie Du dich nanntest Du bist nicht mehr unter uns und doch bleibst Du uns unauslöschlich in Erinnerung. Durch deine Worte, Dein Handeln, durch Deine Musik hast Du uns was hinterlassen, was wir nicht mehr hergeben werden. Die Mutter von Lisa-Marie Jatzke sagte am Sonntag, nachdem sie von dem unfassbaren Tod erfahren hatte: Behaltet sie so in Erinnerung wie sie war, dass hätte sie sich gewünscht. Ich habe dem Landesvorstand der LINKEN empfohlen, den 7. Landesparteitag, der am Sonntag abgebrochen wurde, nicht fortzusetzen, und einen neuen Landesparteitag einzuberufen. Wer wollte einen Parteitag an der Stelle fortsetzen, an der wir von dem Unfassbaren erfuhren? Nicht nur Lisa-Marie hatte 1000 Fragen in ihrem Kopf, wie sie zu Beginn des Parteitages gesungen hat. Auch ich, und es bleibt eine: Warum?


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Meinungen Peter Kohlhaas aus Zittau In der Partei gibt es eine Bundesarbeitsgemeinschaf t Selbstbestimmte Behindertenpolitik, in der auch Landesarbeitsgemeinschaften beinhaltet sind, in Sachsen ist sie nicht vorhanden. Leider lässt die Behindertenpolitik im Land Sachsen zu wünschen übrig. Das hat mehrere Ursachen: Haben Sie sich schon gefragt, wo und wie viele Behindertenbeauftragte auch in den Städten und Gemeinden vertreten sind ? Hier im Kreis Görlitz sind es meines Wissens nach höchstens 3 (!), dazu die Behindertenbeauftragte des Kreises. Ein wahrlich trauriger Stand. Wo ist ein Urlaub ohne Barrieren möglich? Natürlich ist die Kluft zwischen einzelnen Vertretungen von behinderten Menschen groß geworden, leider. Eine Zusammenarbeit lässt sehr zu wünschen übrig. Glauben Sie nicht? Dann überprüfen Sie die einzelnen Organisationen. Die Mobilität und Barrierefreiheit trifft nicht nur die offensichtlich behinderten Bürger, was ist mit Eltern mit Kinderwagen, Senioren, Kurzzeitverletzte (auch jüngere, evtl. Sportverletzte) oder mit Bandscheibenproblemen oder Operationen. So wird ein Schuh draus: Dieses »Klientel« ist weitaus grösser, die also Mobilitätsprobleme haben. Unser Anliegen einiger »Einzelkämpfer/innen« ist also hier in Sachsen eine Landesarbeitsgemeinschaft zu gründen. Uwe Schnabel aus Coswig zu „Ein Angriff auf die heutige Idee der Universität“ (Links! 10/2012, S.4) Im Gegensatz zu den Regierungen handeln viele Studierendenvertretungen nicht im Interesse der wirtschaftlich Mächtigen, sondern der Studierenden. Deshalb wird schon seit Jahrzehnten versucht, den Einfluss der Studierendenvertretungen zu verringern, jetzt eben über eine Verringerung der Studierendenbeiträge. Wie Nick Wagner erwähnte, ist dies Teil der Bestrebungen, Hochschulen vollständig den wirtschaft-

Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der Linken in Sachsen Herausgeber: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

lich Mächtigen zu unterwerfen. Dazu gehört ebenfalls, dass die gewählten Gremien zugunsten von Konzernvertretern entmachtet werden sollen. Das und nicht die Fachschaftsmitgliedschaft ist antidemokratisch. Und nach der Logik des FDP-Jugendverbandes müssten diejenigen, deren Interessen nicht von den Regierungen vertreten werden und die sich deshalb nicht an Wahlen beteiligen, keine Steuern bezahlen. Michael Behringer Linke unterstellen Rechten eine menschenverachtende Weltanschauung, Rechte unterstellen Linken genauso, dass diese menschenverachtend und kriminell seien. Ein sinnentleertes Spiel, eigentlich unpolitisch und entpolitisierend, denn die wichtigen Sach-Themen werden nicht beleuchtet. Seit Jahren wird nicht darüber diskutiert, welche Formen und Inhalte von Globalisierung noch menschengemäß sind und welche nicht. Es wurden in der LINKEN Sachsen keine Begrenzungen und Regulierungen diskutiert, weder bzgl. Finanzmärkte, Geldsystem noch was Arbeitsmärkte und Migration angeht. Es wurde »randgruppenspezifische« Interessenpolitik betrieben. Auf diese Weise findet keine politische oder rationale Auseinandersetzung mit NPD-Positionen statt. Martin Andreas-Bergmann aus Aßmannshardt Auf Seite 4 der Sachsens LINKE ! schreiben Sie über Hartz IV. Auch ich habe bei der ARGEn die Zusicherung beantragt und wurde »aus persönlichen Gründen« abgelehnt. Das verhinderte einen gewünschten Auszug nach einer Trennung und hat meine Rechte schwer verletzt. Ich wollte damit nur sagen, daß selbst die selbstverständlichsten Rechte uns Hartz IV Empfänger vorenthalten werden. Das liegt auch an den falschen Urteilen der Gerichte. Ich habe den starken Verdacht, daß die von »oben« dazu angehalNamentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer Aufla-

Seite 2 ten werden. Oder was macht jemand aus dem Justizministerium beim Leiter des Sozialgerichtes? Dürfen wir Bürger das auch? Leider ist das Fazit der Autorin nicht ganz richtig: Die Beratungsstellen der Sozialverbände und auch bei der LINKEN sind nicht unbedingt fachkundig. Sie haften auch nicht bei Falschberatung. Richtiger muss es heißen: Wenden Sie sich an einen Rechtsanwalt - möglichst an einen Fachanwalt für Sozialrecht. Aber auch diese sind gegen manche betrügerische Urteile der Gerichte oft machtlos. Torsten Steidten zu „Für eine kulturvolle Diskussion“ (Links! 9/2012, Seite 2) Im Interview heißt es etwas verkürzend »Die Klientel der Gewerkschaften sind nach wie vor die Beschäftigten... und die Arbeitssuchenden.« Das ist deshalb verkürzend, weil z.B. die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) auch eine ganze Reihe von Aktivitäten etwa für Studierende entfaltet. Auch für die Seniorinnen und Senioren gibt es viele Angebote. Ich teile nicht die Einschätzung, dass wir künftig (nur) »das von der BAG vorgelegte Modell [eines bedingungslosen Grundeinkommens] als Diskussionsgrundlage nehmen« sollte. Einerseits lässt auch dieses für mich noch eine Reihe von Fragen offen, und es es ist für mich noch überhaupt nicht klar, ob am Ende der Debatte ein Ja der LINKEN zum bedingungslosen Grundeinkommen stehen wird oder ob wir zu ganz anderen Modellen kommen. Manfred Kölbel aus Radeberg Da mir von allen Parteien die Linke noch am sympathischsten ist, habe ich nun in dem Büro in Radeberg vorgesprochen. Nicht um noch Mitglied zu werden, das hat wohl mit 80 keinen Zweck mehr, aber für die Ziele und das Eintreten für die Interessen des Normalbürgers in der Partei kann man ohne Mitglied zu sein immer noch eintreten und werben. Dort habe ich auch die Zeitung »Links« bekommen und ich möchte Ihnen mal meine Meinung zu den Ermittlungen und den laxen Umfang mit den Rechten mitteilen. ge von 16050 Exp. gedruckt. Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Ralf Richter, Stathis Soudias Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio Internet unter www.sachsenslinke.de

Meine Ansicht zu den Ermittlungen um das Neo-Nazi-Trio! Da wird ermittelt und ermittelt und erst so nach und nach tauchen immer neue bisher sorgsam zurückgehaltene Beweise auf. Die Sonderermittler haben wenig Erfolg und hingehalten. Mir kommt es so vor, als wären bei Kripo, Staatsschutz, MAD und anderen Stellen die Behörden von Rechten unterwandert. Eigenartig, da sind plötzlich Akten verschwunden oder gar vernichtet, da haben befragte Leute plötzlich ein Kurzzeitgedächtnis und können sich nicht erinnern. Ulrich Neef aus Plauen Endlich beginnt die Debatte über die unbedingte Notwendigkeit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens aus der Schmuddelecke zu holen Eine rasche Änderung des Grundsatzprogramms, wo die gegenwärtigen Ziele Sozialismus und Vollbeschäftigung durch die Ziele demokratischer Sozialstaat und bedingungsloses Grundeinkommen ausgetauscht werden, kann die Linke als Wahrnehmung einer echten Alternativpartei zu den neoliberalen Parteien (CSU, CDU, FDP, SPD und Grüne) aus dem gegenwärtigen Stimmungstief wieder heraus geholt werden. Torsten Steidten aus Gelenau zu „Wir waren auch Heimat...“ in „Sachsens Linke!“ 10/2012 Ich gebe Rico Gebhardt und Stefan Hartmann Recht, dass die Ost-West-Unterschiede (leider) auch im Jahre 2012 noch immer ein Thema sein müssen. Ob allerdings der »Offene Brief« die passende Form war, dieses Problem zu thematisieren, weiß ich nicht - inhaltlich schießt er mindestens mit der Einbeziehung der Parteitagsmandate der Zusammenschlüsse für mich deutlich über das beschriebene Ziel hinaus. Es werden viele vor den Kopf gestoßen, die sich in den Zusammenschlüssen z.B. auf vielen inhaltlichen Feldern aktiv in die Arbeit unserer Partei einbringen...und wenn die heraufbeschworene Gefahr, dass sich wer zwei Mandate verschafft, wirklich real bestehen sollte (was ich bezweifeln möchte), so reicht hier doch eine einfache Klarstellung. Kontakt: kontakt@dielinkesachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720 Redaktionsschluss 22.10.2012 Die nächste Ausgabe erscheint am 29.11.2012.

So gesehen Von Stathis Soudias

sich schämen... Seit der Gründung der Bundesrepublik wird der 20. Juli gefeiert »als bedeutendster Umsturzversuch des militärischen Widerstandes in der Zeit des Nationalsozialismus«! Dazu kommen Hans und Sophie Scholl, Mitglieder der »Weißen Rose«. Dann wird es schon knapp. Wer will schon wissen, dass die Vorgängerpartei der CDU die Zentrumspartei ist, die Herrn Hitler an die Macht verhalf? Schließlich sind wir längst entnazifiziert« Der letzte sächsische König behauptete gar –das wiederhole ich immer wieder gern–, dass seine Sachsen immun gegen Rechtsextremismus sind. Wer immun ist, kann nicht angesteckt werden. Ergo, gibt es in Sachsen keine Rechtsextremisten. Wenn keine Rechtsextremisten in Sachsen existieren, können sie auch nicht »untertauchen«. Können nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Nicht von der Staatsanwaltschaft belangt werden. Auch hat die NSU–nicht die Motorenwerke, die andere– und deren Helfershelfer nichts verbrochen, nicht in Sachsen, denn auch sie gibt es nicht. Nun stehen zwei deutsche Antifaschisten, die sich dem braunen Dreck entgegen gestellt haben, vor Gericht. Weil sie darauf aufmerksam machen wollten, dass seit 1990 Obdachlose, Sozialhilfeempfänger, Asylsuchende durch sächsische Strassen und Plätze gejagt, erniedrigt, beschimpft, geschlagen, ermordet werden. Der wegen der Funkzellenabfrage stolze Träger des »Big Brother Award«*** Preises, der Herr Innenminister, ist uns einige Antworten schuldig: Warum konnten die NPD und ihre Kameradschaften seit 1990 so sehr gedeihen - im Fahrwasser der CDU? Wie viele Abgeordnetenbüros der CDU wurden seit 1990 demoliert, wurden Scheiben zerschlagen, wurden Mitarbeiterinnen bedroht? Wie viele Linke hat die Staatsanwaltschaft seit 1990 dingfest gemacht, die Flüchtlinge beleidigt, geschlagen, ermordet haben? Liebe Leserin, kennst du den Begriff des »sich fremd schämens«? *** sind Negativpreise, die jährlich in mehreren Ländern an Behörden, Unternehmen, Organisationen und Personen vergeben werden


11/2012  Sachsens Linke!

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Viele Fragen

Meinungen zum Landesparteitag Sachsens Linke fragte nach:

Sächsische LINKE diskutiert auf ihrem Parteitag in Chemnitz und will einen gesellschaftlichen Dialog führen Tragischer Tod junger Delegierter führt zum Abbruch des Parteitages

Mit Bekanntwerden des tragischen Todes von Lisa-Marie Jatzke am Sonntagmorgen entschied Rico Gebhardt, dass der Parteitag abgebrochen wird. Eine richtige Entscheidung. »Wie sollte er auch anders, wo doch gerade diese junge Frau ihn einen Tag zuvor voller Hoffnung für sich und uns eröffnet hatte. Beendet ist die Arbeit aber nicht, und wir werden sie weiterführen als nüchtern geformtes, aber umso mehr jetzt mit Herzblut gestaltetes Denkmal auch der Arbeit von Lisa-Marie« - kommentiert Peter Porsch. In einer ersten Beratung verständigte sich der Vorstand der sächsischen LINKEN inzwischen darauf, die Bildungspolitischen Leitlinien auf einem neuen, dem 8. Landesparteitag, weiter zu beraten. Dieser soll, nach erster Absprache durch Landesvorstand und den SprecherInnen des Landesrates, voraussichtlich Ende April 2013 stattfinden. In seiner Rede nach Konstituierung des Parteitages hatte Partei- und Fraktionsvorsitzender Rico Gebhardt ein rotrot-grünes Regierungsbündnis für einen Politikwechsel in Sachsen gefordert. »Die CDU hat kein zukunftsfähiges Konzept für das Land mehr«, sagte er, und der »marode Tanker CDU« gehöre »endlich in die Werft der Oppositionsbänke«. Erstmals versuchte die sächsische LINKE mit Podiumsdiskussionen neue Wege bei der Vorstellung der Leitlinien. Und das war eine Menge Papier, zu den beiden Leitlinien gab es ca. 50 Änderungsanträge, von denen zahlreiche bereits vor dem Parteitag übernommen wurden, die verbliebenen sollten z.T. für heftige Debatten sorgen. Besonders natürlich beim Thema Grundeinkommen, für das eine begrenzte Debatte vorgesehen war, denn diese Frage ist, obwohl nur bundespolitisch relevant, umstritten. Die Vorsitzende der LINKEN,

Was sind die drei wichtigsten Dinge, die du von diesem Parteitag mit nimmst?

Katja Kipping, bekanntermaßen eine engagierte Befürworterin, argumentierte: »Hinter die Idee, dass ausschließlich Erwerbsarbeit eine Leistung für die Gesellschaft ist, setze ich ein dickes Fragezeichen.« Mit dem BGE würden hingegen auch Menschen ein Einkommen erhalten, die sich nur ehrenamtlich engagieren oder in der Familie »arbeiten«, etwa bei der Kindererziehung oder der Pflege. Dagegen fürchtet Sabine Zimmermann, Abgeordnete im Bundestag und DGB-Chefin in Südwestsachsen, dass die Grundsicherung von Arbeitgebern genutzt werden könnte, um niedrigere Löhne durchzusetzen, denn »BGE ist Aufstockung, und Aufstockung ist nichts anderes als ein Kombilohn, den wir ablehnen.« Katja Kipping sieht das nicht so: »Kombilohn ist, wenn niedrige Stundenlöhne staatlich bezuschusst werden. Ein BGE verhindert aber Niedriglöhne.« Mit Blick auf die Wahlen be-

tonte Katja Kipping, dass DIE LINKE Hartz IV ersetzen, aber nicht zum xsten Mal mit der Forderung »Hartz IV muss weg« antreten will. Vielmehr geht es darum, ein Angebot zu machen, bestehend aus der Trias Mindestlohn, Mindestrente, sanktionsfreies Mindesteinkommen. In der Debatte zum Bedingungslosen Grundeinkommen sprach sich Juliane Nagel für den Kompromissantrag von Mitgliedern der beiden Landesarbeitsgemeinschaften BGE und BuG aus, denn »Arbeit ist mehr als Lohnarbeit«. Klaus Tischendorf ergänzte: »Wir wollen gute Arbeit, wir wollen gute Löhne. Aber wir gehen auch gemeinsam weiter.« Das schlug sich dann auch im Kompromiss nieder: DIE LINKE kämpft mittelfristig für gut entlohnte Arbeit. Das Grundeinkommen soll aber als Projekt zur »Transformation der kapitalistischen Verhältnisse« mit Beteiligung der Partei weiter in der Gesellschaft debattiert werden. Denn die

sächsische LINKE sieht das Bedingungslose Grundeinkommen als ein »Projekt zur emanzipatorischen Transformation der kapitalistischen Verhältnisse«. Die zum Parteitag erschienene Broschüre »Grundeinkommen!? – Reader zur Konferenz Arbeit und Existenzsicherung im demokratischen Sozialstaat« kann für die weitere Debatte genutzt werden. Eine begrenzte Debatte war auch zur sanktionsfreien Mindestsicherung und zur Mindestrente zu erleben, hier ging es u.a. darum, ob es sinnvoll ist, dafür explizit eine Höhe anzugeben. Es existiert ja bekanntermaßen ein entsprechender Beschluss des Göttinger Parteitags, der sich mit einem Betrag von mindestens 1050 Euro an der in internationalen Studien belegten aktuellen Armutsrisikogrenze orientiert. Letztlich einigten sich die Delegierten und die Sozialpolitischen Leitlinien wurden einstimmig beschlossen. Der Sonntagmorgen begann mit der Podiumsdiskussion zu den Bildungspolitischen Leitlinien. Die Vorsitzende der Gewerkschaft GEW, Sabine Gerold, beurteilte die Bildungspolitischen Leitlinien als ein Papier, das lediglich das bestehende Schulsystem beschreibt. Vieles komme zu kurz – viele Fragen seien offen. Sie fragte etwa, warum DIE LINKE für stark verschulte Lehrpläne ist? »Wir sind weiter, sind der Auffassung, dass Rahmenlehrpläne reichen«, entgegnete Cornelia Falken. Einigkeit herrschte darüber, dass es individueller Förderung eines jeden Kindes in der einen Schule für alle bedarf. In der kurzen Debatte forderte Sebastian Scheel: »Wer keine Visionen für die Zukunft hat, wird im Verwalten stecken bleiben.« Rico Schubert

- Diskussionen mit jungen und älteren Genossen muss stärker erfolgen ohne zu eskalieren - Wir haben noch viel zu tun um die Beschlüsse an die Basis zu bringen - Annäherung zwischen Verdi, GDP und Linken – sehr gut - Unsere jugendlichen Genossen sind anders - Unsere Leitliniendiskussion immer den Prozess der Nachhaltigkeit abbildet - Man sollte zwischendurch Arbeitsgruppen zu Themen zulassen - Weniger ist mehr - Denken erfordert Sprache - Podium statt Einbringungsreden – Super! Mehr!!! - Der gemeinsame (!) Tanzabend war ein voller Erfolg! - Etwas zügiger zu arbeiten - Die Zurufe haben mich etwas gestört – Tagungsleitung hat das aber gut gemacht Kannst du aus dem Parteitagsgeschehen Dinge bei dir vor Ort oder in der praktischen Arbeit umsetzen? - Die Gendersprache sollte intensiver beachtet werden - Kommunale Energieversorgung - Pluralismus ≠ Pluralismus - Inhalt und Party genussorientiert stattfinden zu lassen Kritik und Anregungen: Wichtige Wahlgänge wie z.B. Satzungsänderungen nicht am Ende eines Sitzungstages abhandeln Bessere Strukturierung der Anträge und nur eine Änderung pro Antragsnummer Weniger Anträge, die einzig Feststellungen treffen Wenn junge Studenten Initiativanträge einbringen, kann der Landesvorstand diese Person in dieser Diskussion nicht ausgrenzen, in dem er weitergehenden Änderungsanträgen zustimmt, ohne diesen Menschen weiter mitzunehmen (Hochschulantrag) Vielleicht kann man auch noch weitere Methoden auf dem Parteitag nutzen & ausprobieren? Der nächste Parteitag soll stattfinden in - ländlichem Raum - Oberwiesentahl - Einem der ländlichen Räume, vorzugsweise Erzgebirge - Einen inhaltlich bestimmten Konferenzort (Hochschulpolitik) - Ich komme überall hin - Markneukirchen/ Plauen


Soziales

Sachsens Linke!  11/2012

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Die soziale Dimension des Wohnens in Sachsen len Wohnungsbau in Sachsen. In Dresden liegt der Fall auch aufgrund des WOBA-Totalverkaufs und des signifikanten Zuzugs anders. Allenfalls könnte Leipzig in Kürze in eine vergleichbare Mangelsituation kommen. In anderen Städten finden wir teils großen Leerstand. Die soziale Dimension des Wohnens jedoch dürfte sich aus anderen Zusammenhängen ergeben. Mit dem Biedenkopfschen Modell des »Lohnkostenvorteils« in Sachsen und seinem so gearteten Werben um Wirtschaftsansiedlung hat sich eine fatale Einkommensabwärtsspirale eingestellt, die bis heute nicht wirklich gestoppt wurde. Die durchschnittliche Entlohnung in sozialversicherungspflichtiger Arbeit liegt in Sachsen bei 1.955 Euro (brutto/Monat) gegenüber 2.068 Euro in Ostdeutschland und 2.702 Euro im Bundesdurchschnitt. Die oftmals gebrochenen Erwerbsbiografien tun ihr Übriges zum wachsenden Problemfeld der Altersarmut. Die Zahl der Arbeitslosen im SGBII-Regelkreis ist nach wie vor viel zu hoch. Damit ist insgesamt die Leistungsfähigkeit der MieterInnen – um im Bild des Marktes zu bleiben – erreicht. Die sogenannten Mietnebenkosten und die Energiekosten haben für die privaten Haushalte eine tatsächliche »zweite Miete« aufgebaut, die die Gesamtwohnkosten auf gut ein Drittel und mehr der durchschnittlichen Nettoeinkünfte anwachsen lassen.

Die meisten kommunalen Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften sind am Ende der Fahnenstange bei der Mietpreisentwicklung angekommen. Die nunmehr anstehenden Aufgaben bei der energetischen Sanierung und bei der Schaffung von Barrierefreiheit können also kaum noch oder gar nicht mehr durch Mietumlage finanziert

werden. Hier muss es zu einer gesamtstaatlichen Lösung kommen, die vor allem die Förderung dieser Investitionen im Auge hat. Wir müssen zudem als Gesellschaft darüber nachdenken, ob wir finanziell Schwache auf der Grundlage der heutigen und sich verschärfenden KdU-Angemessenheitsgrenzen und Standard-Maßstäbe von sa-

niertem Wohnraum und üblichem Standard wirklich dauerhaft ausschließen wollen und was das für Klimaschutz und soziale Durchmischung bedeutet. Darin, nicht in fehlendem Wohnraum besteht die soziale Dimension und der Handlungsdruck heute und in der Zukunft. Enrico Stange

ten Kammern und Schulen als Kontrollorgane. Erfahrungen mit Gewerkschaften haben Jugendliche kaum. »Jugendliche haben Probleme, aber kein Problembewusstsein«, sagte Isabelle Artus. Wenn es für Azubis besser werden soll, müssen eine angemessene Ausbildungsvergütung, geregelte Arbeitszeiten, Anrechnung der Berufsschulzeiten und BVJ-Zeiten, gesetzliche Übernahmeregelungen her. Warteschleifen und Übergangssysteme gehören abgeschafft. Bundessprecher Gerald Kemski resümierte, in den 70er Jahren hätte es geheißen: »Brauchst du einen billigen Arbeitsmann, schaff dir einen Lehrling an«. Und genau

da seien wir heute wieder. Die problematische Situation der beruflichen Bildung gehört in allen parlamentarischen Vertretungen durch thematisiert. Im Workshop wurde die Frage behandelt, wie Solidarität unter den Azubis entwickelt werden könne. Keine leichte Frage, denn alle Bereiche sind von verstärkter Individualisierung, steigendem Konkurrenzdruck oder Auflösung der traditionellen Milieus betroffen. Kritisch zu sein, sich gegen Bevormundung zu wehren, haben in der Werteskala abgenommen. Es gäbe Probleme, Jugendliche für eine Sache konstant bei der Stange zu halten. Deshalb gewinne Kommunikation an Bedeutung. Anja Oehm

Bild grisei@flickr

Eine kürzlich im Auftrag von Bau- und Baustoffindustrie sowie Mieterbund veröffentlichte Studie fordert einen erheblichen Aufwuchs im sozialen Wohnungsbau. Für Sachsen sollen so 342.000 Sozialwohnungen neu errichtet werden. Andererseits lässt die Pestel-Studie erfahren, dass die Zahl der Sozialwohnungen in Sachsen um knapp Zweidrittel auf gerade mal noch 83.000 gesunken ist. Andererseits spricht die sächsische Staatsregierung von 150.000 nicht mehr benötigten Wohnungen, die vom Wohnungsmarkt des Landes zu nehmen seien. An dieser Stelle muss zum besseren Verständnis einiges sortiert werden. In der Tat ist die Zahl der Wohnungen mit Sozialbindung zurück gegangen. Dabei haben sie zumeist schlicht die gesetzliche Bindungsfrist überschritten und so ihren formalen Status verloren. Oftmals werden diese ehemaligen Sozialwohnungen dennoch von finanziell Schwachen bewohnt. Und die erhebliche Zahl der mit dem Wohnungsbauprogramm der DDR errichteten Wohnungen sorgen in den kommunalen Gesellschaften oder Genossenschaften heute dafür, einen Großteil des Bedarfs an erschwinglichem Wohnraum abzudecken. Nur werden gerade sie nicht in den betreffenden Bestand hinein gerechnet. Im Ergebnis existiert mit Ausnahme Dresdens kein tatsächlich flächendeckendes Problem im sozia-

„Jung, befristet, prekär, arbeitslos?“ Bundestreffen der AG Betrieb & Gewerkschaft Unter diesem Arbeitstitel trafen sich rund 50 Delegierte, darunter drei aus Sachsen, am 8./9. September in Berlin. Es ging um die Situation von Auszubildenden und Perspektiven gewerkschaftlicher Jugendarbeit. 19 Azubis aus Deutschland und der Schweiz berichteten. Ganze Berufsschulklassen mit ALG II Azubis stehen unter Konkurrenzdruck, Leistungsdruck und Flexibilitätsdruck. 40 Prozent werden nach der Ausbildung nicht und nur 23 Prozent

unbefristet übernommen. Ein Drittel landet umgehend in Hartz IV. Alarmierend sind die steigenden Krankheitszahlen. Denn Gesetze werden täglich gebrochen. Die Vergütung ist schlecht und lückenhaft geregelt. 500 Euro reichen zum Leben nicht aus, wenn es denn überhaupt so viel sind. Isabel Artus, Vorsitzende der DGBJugend Hamburg, berichtete, sie erlebe ganze Berufsschulklassen, die gleichzeitig alle ALG II bekommen. Es gäbe Azubis, die nebenbei bis 2 Uhr nachts bei Burger King schufteten. Auto vom Chef waschen oder Tritte unter dem Zahnarztstuhl »Lehrjahre sind keine Her-

renjahre« oder »Das war hier schon immer so« sind gängige Sprüche, die Azubis zu hören bekommen. Etwa, wenn sie gegen Überstunden aufbegehrten, die gang und gäbe seien. Krasse Beispiele wurden aufgezählt: der Azubi, der das Auto vom Chef waschen muss. Die 15jährige mit dem 16-Stunden-Tag. Die Zahnarzthelferin-Azubi, die unter dem Stuhl Tritte erhielt. Der Azubi, dem nach seinem 18. Geburtstag vom Ausbilder mitgeteilt wurde, dass er nun volljährig sei, keiner Berufsschulpflicht mehr unterliege, diese also nicht mehr besuchen müsse. Ein Azubi, dem die Berufsschulzeit als Minusstunden geschrieben wurden – 300 und mehr. Hier versag-


Oktober 2012

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

ParlamentsReport Altenpflege: Keine Frage des Geldes, sondern der Menschlichkeit

Der CDU-Mann Klaus Töpfer, ehemaliger Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen und früherer Bundesumweltminister, hat das Gerede von der notwendigen „Grundlast“ durch Braunkohle längst zutreffend als überholt dargestellt. Es wäre im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung Sachsens, wenn Ministerpräsident Tillich energiepolitisch die Höhe der Zeit erreichte und nicht mehr verjährte Glaubenssätze des letzten Jahrhunderts gegen die Energiewende in Stellung bringen würde. Hier geht es nicht nur um Umwelt-, sondern auch um zentrale Wirtschaftsfragen. Der Arbeitskräftebedarf der Braunkohleindustrie stagniert seit Langem, die Zahl der Arbeitsplätze im Bereich der regenerativen Energieträger wächst rasant. Insofern sollte Thüringen künftig mehr und Sachsen anders Energie produzieren. Dafür sind so schnell wie möglich die Weichen zu stellen – am besten ab 2014 mit Rot-Rot-Grün!

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

© Rainer Sturm / pixelio.de

während Thüringen 80 Prozent seines Energiebedarfs importieren muss, kann Sachsen ein Drittel der produzierten Energie exportieren. Das sieht auf den ersten Blick nach sächsischem Standortvorteil aus. Wenn man jedoch genauer hinschaut, stellt man fest, dass die Bevölkerung dafür einen unverantwortlich hohen Preis zahlt: die Verwüstung ganzer Landschaften, unermessliche langfristige ökologische Folgen – nur ein Stichwort: Grundhochwasser – und eine Blockade der Entwicklung erneuerbarer Energieträger.

© Rike / pixelio.de

Liebe Leserinnen und Leser,


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PARLAMENTSREPORT

Oktober 2012

Polizeibeschwerdestelle: Wer schützt im Falle des Falles vor den Beschützern? © Th

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1 vgl. AMNESTY INTERNATIONAL, Fachkonferenz Polizei und Menschenrechte 2010, Dokumentation, Seite 30

Widerstand gegen Nazis bleibt Ehrensache Zur Immunitätsaufhebung von Falk Neubert

MdL Falk Neubert


Oktober 2012

PARLAMENTSREPORT

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Lage der Frauen in Sachsen: Von der geheuchelten zur wahrhaften Gleichstellung

Besonders schwer haben es die alleinerziehenden Frauen. So sind 58 Prozent von ihnen vollständig bzw. teilweise auf staatliche Hilfsleistungen angewiesen, und eine höhere Armutsgefährdung ist die Konsequenz. Aber auch wenn die Frauen eine Erwerbstätigkeit ausüben reicht diese oftmals nicht zum Leben. Durch den ständigen Ausbau der Niedriglohnbeschäftigung in Sachsen und Deutschland insgesamt sind die Hürden für einen existenzsichernden Lohn stets gewachsen. Die Unsicherheit im befristeten Job bleibt dagegen stabil und es ist klar, dass sich dieser Stress der Mutter auch auf die Entwicklung des Kindes auswirkt. Was die Unterschiede der Einkommen zwischen Männern und Frauen in gleichen Berufsfeldern

Plenarspiegel Sept./Okt. 2012 Am 26./27. September und am 17./ 18. Oktober 2012 fanden die 62./63. und die 64./65. Sitzung des Sächsischen Landtags statt. Nachfolgend eine Auswahl der parlamentarischen Initiativen der Fraktion DIE LINKE:

betrifft, so liegt Sachsen mit neun Prozent deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt von 23 Prozent. Doch wer diese Zahlen als erstes positives Signal sieht, täuscht sich. Denn: „Gerade hierbei wird deutlich, dass Sachsen seinem Ruf als Niedriglohnland immer wieder gerecht wird. Nur weil die Männerberufe deutlich unterbezahlt sind, kommen wir auf diese geringe Geschlechtereinkommenslücke von nur 9 Prozent, worauf die Staatsregierung stolz ist“, erläutert die gleichstellungspolitische Sprecherin der Fraktion Heiderose Gläß. Für beide Geschlechter gilt: Wer Niedriglöhne sät, der erntet Altersarmut. Jedoch trifft die BilliglohnStrategie der schwarz-gelben Koalition die Frauen im Alter noch härter. So erhielten Frauen im Jahr 2011 mit 674,09 Euro durchschnittlicher Rente mindestens 200 Euro weniger als Männer. Dies liegt auch daran, dass Frauen der Weg in die Chefetagen meist versperrt bleibt. So führt Gläß aus: „In den obersten Leitungsfunktionen sind Frauen unterrepräsentiert.

Das betrifft alle Bereiche, die Kommunalverwaltungen wie die Ministerien, die Krankenhäuser wie die Hochschulen und die Polizei.“ Daher fordert die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag eine echte Frauenquote in Spitzenpositionen und keine „FlexiQuote“ à la Kristina Schröder. Nur so kann die geheuchelte Geschlechter-Gerechtigkeit hin zu einer wahrhaften Gleichstellung geführt werden. Will die Staatsregierung ernsthaft die Benachteiligung von Frauen verhindern, muss sie daher den Arbeitsmarkt geschlechtergetrennt untersuchen, anstatt die Lage weiter schön zu reden.

u Große Anfrage: „Zu ausgewählten Lebenslagen von Frauen in Sachsen – Generelle Aspekte; Erwerbs­tätigkeit und Qualifikation; Einkommensverhältnisse; Gesundheit; Wohnverhältnisse –“ (Drs 5/8746)

Aktuelle Debatten: – „Sachsen wehrt sich gegen die Schulpolitik der Kultusministerin und die Diffamierung der Lehrerinnen und Lehrer durch die Regierungskoalition“ – „Gefahren für die sächsischen Mieterinnen und Mieter abwenden – Mieterrechte sichern!“ Gesetzentwürfe: – „Gesetz zur Gewährleistung einer effektiven Untersuchung von Beschwerden gegen polizeiliche Maßnahmen im Freistaat Sachsen“ (Drs 5/10200) – 2. Lesung: „Gesetz zur Einführung öffentlicher Petitionen per Internet beim Sächsischen Landtag“ (Drs 5/3704) Große Anfrage: – „Zu ausgewählten Lebenslagen von Frauen in Sachsen“ (Drs 5/8746) Anträge: – „Zusage der Kultusministerin einhalten – Neueinrichtung einer Eingangsklassenstufe 5 an der Mittelschule Seifhennersdorf zulassen“ (Drs 5/10178) – „Sachseninitiative für ein Sofortprogramm gegen drohende massenhafte Altersarmut“ (Drs 5/10179) – „Einheitliche Anrechnung von drei Jahren Kindererziehungszeit auf die gesetzliche Rente“ (Drs 5/8749) – der Fraktionen SPD, DIE LINKE und GRÜNE: „Pflege braucht Zeit – Reformstau in der Pflegepolitik Sachsen“ (Drs 5/10337) Dringlicher Antrag: – der Fraktionen SPD und DIE LINKE: „Öffentliche Erklärung des Staatsministers des Innern zu den Umständen der bekannt gewordenen Abhörmaßnahmen im Jahre 2000 bis 2010 gegen Mitglieder der Terrorgruppierung „NSU“ und die diesbezügliche Informationspolitik gegenüber dem Landtag und seinen Gremien“ (Drs 5/10375)

© Wilhelmine Wulff_All Silhouettes / pixelio.de

Während die Bundesfamilienministerin Schröder wiederholt versucht, die Gleichstellung der Geschlechter herbei zu fantasieren, zeichnet die Realität in Sachsen ein gänzlich anderes Bild. Dies ergab sich aus der von der Fraktion DIE LINKE gestellten Großen Anfrage und den Antworten der Staatsregierung. Die Mehrheit der „typischen“ Verdienstmöglichkeiten für Frauen bietet immer noch keinerlei Aussicht auf eine steile, gut dotierte Karriere. So arbeiten in klassisch unterbezahlten Berufsgruppierungen wie dem Pflegebereich, dem Gesundheitswesen und der Gastronomie zu über 90 Prozent Frauen. Dass der Frauenanteil sachsenweit seit 1990 um 2,5 Prozent zurückgegangen ist, bleibt bei diesen überwiegend schlecht bezahlten oder fehlenden Berufsperspektiven für Frauen kaum verwunderlich.

Entschließungsantrag: – „Verschlechterungen für Rechtsuchende im Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferecht nicht zulassen“ (Drs 5/10334) Drucksachen (Drs) und Redebeiträge unter www.linksfraktion-sachsen.de


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PARLAMENTSREPORT

Oktober 2012

Bürgerbeteiligung in Sachsen weiter offline? Mit dem Internet ergaben sich völlig neue Möglichkeiten der demokratischen Teilhabe. So lassen sich über Online-Petitionen für alle Menschen politische Initiativen schnell und einfach mit unterzeichnen. So ist dieser Vorgang schon seit 2005 im Bundestag und mittlerweile auch in anderen Landesparlamenten, möglich. In Sachsen gibt es zwar die Möglichkeit, über das Internet eine Petition einzureichen, jedoch kann diese dann nicht online mit unterzeichnet werden. © Stihl024 / pixelio.de

über politische Handlungsmöglichkeiten auf Ebene der Petition auch in sozialen Netzwerken weiter informiert werden“, erklärt Julia Bonk, die Sprecherin der Fraktion für Datenschutz, Verbraucherschutz und neue Medien.

Durch die Offenlegung der Zahl der Unterstützer würde sich auch der Druck auf die jeweilige Regierung erhöhen, auf eine Initiative zu reagieren. Denn je mehr Menschen eine Petition unterzeichnen, desto schwerer kann sich die Öffentlich-

Um zu verhindern das Sachsen weiterhin als Schlusslicht moderner Möglichkeiten für mehr Demokratie agiert, hat die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag ihren Entwurf für das „Gesetz zur Einführung öffentlicher Petitionen per Internet beim Sächsischen Landtag“ (Drs 5/3704) eingereicht. Dieser wäre ohne großen finanziellen oder technischen Aufwand umzusetzen und dennoch nur ein erster Schritt. Denn für Julia Bonk sind die Möglichkeiten, für mehr Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger, keineswegs erschöpft: „Wir wollen zum Beispiel die Quoren für verbindliche direkte politische Beteiligung senken. Wir können uns auch die digitale Unterschrift und Beteiligung vorstellen. Wir haben zum Beispiel die Online-Unterschrift beim Volksbegehren vorgeschlagen. Wir wollen also mehr.“

© Wilson Urlaub / pixelio.de

Wie viele Unterstützer, und damit auch welche politische Bedeutsamkeit eine Online-Petition besitzt, kann somit nicht erfasst werden. Erst wenn die Zahl der Unterstützer direkt verfolgt werden kann, wird Sachsen der neuen Dynamik des Netzes gerecht. Mit dieser Methodik könnten auch schneller mehr neue Unterstützer mobilisiert werden: „Im Schneeballprinzip kann man weitersagen, wo es beteiligungsorientierte Handlungsmöglichkeiten gibt. Nach der Gefällt-mir- oder Das-unterstütze-ich-auch-Methode kann so

keit der Debatte entziehen. So wurden bei Online-Petitionen im Bundestag gegen Netzsperren und für ein bedingungsloses Grundeinkommen bereits über 100.000 Unterstützerinnen und Unterstützer registriert.

EXPLORE IT Fraktionsjugendtag 2012

ANMELDEN?! Der Fraktionsjugendtag findet am 24. November 2012 ab 10 Uhr im Sächsischen Landtag in Dresden statt. Wenn Du Dich anmelden möchtest, geht das am besten via Mail: jugendtag@ linksfraktionsachsen.de u www.linksfraktionsachsen.de/jugendtag

Gegen Frauenarmut, für einen Politikwechsel 6. Armutskonferenz in Chemnitz Die Armutskonferenz der Fraktion DIE LINKE am 6. Oktober in Chemnitz rückte die Probleme von Frauen in den Fokus und besaß dazu ausreichend Anlass. So stellten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer fest, dass Frauen bei der Arbeitssuche immer noch benachteiligt werden und wenn sie berufstätig sind, zunehmend in den Niedriglohnsektor abgedrängt werden. Außerdem

gelten knapp zwei Drittel der alleinerziehenden Frauen in Sachsen als armutsgefährdet bzw. arm, was in der Konsequenz stets Armut der Kinder bedeutet. Daher schloss sich die Mehrheit der Anwesenden den Vorschlägen der Fraktion an, Leiharbeit und Minijobs abzuschaffen und einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Alle Teilnehmerinnen und Teilneh-

Foto: MB

„Politik ist langweilig, anstrengend und bewirkt eh nichts.“ Dieses Gefühl beschleicht immer mehr junge Menschen in Sachsen und die aktuelle Regierung tut ihr übriges, um dieses Bild der Politik zu verstärken. Wie es besser laufen könnte, dafür haben wir einige Vorschläge, aber letztlich lebt die Zukunft natürlich von Dir und Deinen Ideen. Die Fraktion DIE LINKE lädt Dich zum Fraktionsjugendtag 2012 in den Sächsischen Landtag ein. Im World Café erwarten Dich spannende Debatten mit Landtagsabgeordneten, z.B. wie und ob Parlamente im 21. Jahrhundert überhaupt Sinn ergeben und Du erfährst Anekdoten aus dem Landtagsalltag, um Dir einen wirklichen Eindruck von Politik machen zu können.

mer waren überzeugt, dass für dauerhafte Armutsbekämpfung ein Politikwechsel notwendig sei! u Thesen: „Frauenarmut in Sachsen: Situation – Perspektiven – politischer Handlungsbedarf“ Download der Broschüre unter www.linksfraktionsachsen.de/ publikationen

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Fax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de

Beim diesjährigen „Tag der offenen Tür“ im Sächsischen Landtag am 3. Oktober konnte man am Stand der Linken rote Äpfel essen, puzzeln, Politik-Talk erleben und wer Lust hatte, konnte sich unter dem Motto „Wenn ich König von Sachsen wäre ...“ auf einem Thron fotografieren lassen und dabei notieren, was sie/er in diesem Fall tun würde. Für die kulturelle Umrahmung sorgte das Duo „Father & Son".

V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Dave Schmidtke


Kommunal-Info 9-2012 24. Oktober 2012 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Bürgerbegehren Bürgerbegehrensbericht 2012 vom Verein Mehr Demokratie Seite 2

Vergabegesetz

Zur öffentlichen Anhörung über die Entwürfe für ein neues Vergabegesetz in Sachsen Seite 3

Seminare Seminare zu „Baurecht“ und „Kommunale Unternehmen“ im November Seite 4

Strategiepapier Sächsischer Städte- und Gemeindetag legt Strategiepapier vor Seite 4

Die Einnahmen der Kommunen Die Städte und Gemeinden benötigen zur Erfüllung ihrer Aufgaben, die überwiegend keine Kostendeckung bringen, das Recht zur Erhebung öffentlicher Abgaben. Während die Haushalte von Bund und Ländern überwiegend durch Steuern finanziert werden, machen die Steuereinnahmen mit etwa 39 % in den Westkommunen den größten Anteil an den Einnahmen aus. In den Ostkommunen dominieren die Zuweisungen und die Steuern erbringen nur 22% der Einnahmen. Im Freistaat Sachsen beträgt die Steuerdeckung 24,6%. Die Erhebung von Abgaben durch die Kommunen bringt für die Bürger weitreichende Eingriffe in ihr Eigentum mit sich. Nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ist deshalb die Erhebung von Abgaben nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässig. Deshalb gibt § 73 Abs. 1 der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO) den ausdrücklichen Hinweis: „Die Gemeinde erhebt Abgaben nach den gesetzlichen Vorschriften.“ D.h.: Bei der Erhebung von Abgaben muss sich die Gemeinde an die gesetzlichen Vorgaben halten. Abgabenvereinbarungen sind grundsätzlich unzulässig.

pflichtigen besteht ein Über- und Unterordnungsverhältnis. Die Gemeinde setzt die Abgabe einseitig durch Abgabenbescheid fest, der als Verwaltungsakt erlassen wird. Unter den Oberbegriff „Abgaben“ gehören unterschiedliche Arten von Abgaben:  Steuern,  Beiträge,  Gebühren und  sonstige Abgaben.

Begriff der Abgaben

Gebühren

Kommunale Abgaben sind Geldleistungen, die Gemeinden und Landkreise in Ausübung ihrer hoheitlichen Gewalt zur Deckung ihres Finanzbedarfs von den Abgabepflichtigen erheben. Mit diesen Einnahmen erfüllen die Kommunen ihre öffentlichen Aufgaben. Zur Abgabenerhebung ist eine spezielle gesetzliche Ermächtigung erforderlich. Sofern das Gesetz nicht alle Gegebenheiten abschließend regelt, muss die Kommune die Einzelheiten in einer Abgabesatzung festlegen. Zwischen der Kommune und dem Abgabe-

Steuern

Steuern sind einmalige oder laufende Geldleistungen, die die Kommunen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt, bei denen der Besteuerungstatbestand (z.B. Grundsteuer) zutrifft, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft. Besonderes Merkmal der Steuer ist, dass die Kommune dem Steuerzahler keine konkrete Gegenleistung für die Steuerzahlung bietet. Für die Kommunen stellen Steuern allgemeine Deckungsmittel dar, die sie generell zur Erfüllung der verschiedenen Aufgaben einsetzen können, die also nicht zweckgebunden für bestimmte Aufgaben sind. Die Gebühren sind ein öffentlichrechtliches Entgelt für die tatsächliche Inanspruchnahme einer kommunalen Leistung. Diese Leistung kann entweder aus einer Amtshandlung bestehen; dann entfallen dafür Verwaltungsgebühren. Die Gemeinde kann auch für die Bereitstellung einer öffentlichen Einrichtung Benutzungsgebühren erheben. Die Benutzungsgebühr ist nach dem Umfang der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung zu bemessen. Von Steuern unterscheiden sich Gebühren dadurch, dass Gebühren ei-

ne konkrete Gegenleistung für eine Dienstleistung der Verwaltung darstellen. Voraussetzung für das Entstehen der Gebührenpflicht ist, dass der oder die Betreffende die Leistung der Gemeinde (Amtshandlung oder Benutzung einer öffentlichen Einrichtung) tatsächlich beansprucht hat. Die Benutzungsgebühren finanzieren den laufenden Betrieb einer Einrichtung, Verwaltungsgebühren den Aufwand einer Verwaltungshandlung. Beide werden deshalb in der Doppik im Ergebnishaushalt veranschlagt. Sondernutzungsgebühren (z.B. Außengastronomie, Warenauslagen, Verkaufsstände, Märkte) sind keine Benutzungsgebühren, sondern Abgaben nach Kommunalabgabengesetz.

Beiträge

Beiträge stellen ein besonderes Entgelt zum Ausgleich eines Vorteils dar, den ein Grundstück durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen oder aus der Erschließung durch eine Erschließungsanlage erfährt. Dieser Vorteil muss dauerhaft sein. Beiträge sind grundsätzlich einmalige Geldleistungen, während Gebühren normalerweise fortdauernd anfallen, solange bestimmte Leistungen in Anspruch genommen werden. Im Gegensatz zur Gebühr entstehen Beiträge nicht erst bei der tatsächlichen Benutzung; es genügt vielmehr die Anschlussmöglichkeit an eine leitungsgebundene Einrichtung oder die Herstellung einer Erschließungsanlage (Straße), die dem Grundstück einen Vorteil erbringt. Rechtsgrundlage für Beiträge sind das Baugesetzbuch für Erschließungsbeiträge oder das Kommunalabgabengesetz (SächsKAG) z.B. für leitungsgebundene Beiträge und Stra-

ßenbaubeiträge. Beiträge sollen die Herstellungskosten der Anlagen zumindest teilweise decken und werden deshalb in der Doppik im Finanzhaushalt veranschlagt.

Sonstige Abgaben

Nach dem SächsKAG oder besonderen Gesetzen können die Gemeinden neben Steuern, Gebühren und Beiträgen noch sonstige öffentlich-rechtliche Abgaben erheben. Darunter fallen z. B. die Kurtaxe (§ 34 SächsKAG), und die Fremdenverkehrsabgabe (§ 35 SächsKAG) sowie Sondernutzungsgebühren. Die Feuerwehrabgabe als „Ersatzgeld für nicht geleisteten Feuerwehrdienst“ hat der EU-Gerichtshof als unzulässigen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz für verfassungswidrig erklärt.

Rangfolge der Einnahmen

Im Rahmen ihrer Finanzhoheit steht den Kommunen grundsätzlich das Recht zu, über die Art, Zusammensetzung und Höhe ihrer Einnahmen frei zu entscheiden. Damit die Kommunen aber nicht unbegrenzt und beliebig Abgaben erheben, wurden mit dem Gesetzesvorbehalt in § 73 Abs. 1 SächsGemO sowie mit den Grundsätzen der Einnahmenbeschaffung Einschränkungen zum Schutz der Abgabepflichtigen verfügt. Außerdem wird in § 73 Absatz 2 zwingend eine Rangfolge der Einnahmebeschaffung vorgeschrieben. Dabei steht das leistungsbezogene Entgelt, soweit vertretbar und geboten, vor der leistungsunabhängigen Steuer. Damit soll ein ausgewogenes Verhältnis unter den einzelnen Einnahmearten und eine gerechte Lastenverteilung erreich werFortsetzung auf Seite 2


Kommunal-Info 9/2012

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Bürgerbegehrensbericht 2012 Wie entwickelt sich die direkte Demokratie auf der kommunalen Ebene? Diese Frage steht im Mittelpunkt des Bürgerbegehrensbericht 2012 des Vereins Mehr Demokratie. Demnach gab es seit 1956 deutschlandweit fast 6.000 direktdemokratische Verfahren auf Kommunalebene. Allein im letzten Jahr wurden 300 Verfahren eingeleitet. Direkte Demokratie boomt: dieser Schluss liegt nahe, wenn die Zahlen des aktuellen Bürgerbegehrensbericht nicht täuschen. Mehr als die Hälfte der seit 1956 durchgeführten Verfahren fanden nach Angaben von Mehr Demokratie in der letzten Dekade (2002-2011) statt. Direkte Demokratie braucht die Bürgerinnen und Bürger: mehr als 5.000 Bürgerbegehren wurden von unten auf den Weg gebracht, lediglich 810 Verfahren wurden durch Gemeinderäte initiiert. Spitzenreiter der direkten kommunalen Demokratie ist Bayern. Hier bilanziert der Bericht 2.260 Verfahren, das entspricht einem Durchschnitt von 141 Verfahren pro Jahr. Grund für diese Spitzenstellung sind nach Angaben des Vereins die besonders anwendungsfreundlichen Regelungen im südlichsten Bundesland.

Welche Themen bewegen die Bürgerinnen und Bürger? Der Bericht zeigt: Bürgerbegehren zu Wirtschaftsprojekten (18 Prozent), zu öffentlichen Sozial- und Bildungseinrichtungen (17 Prozent) sowie zu Verkehrsprojekten (16 Prozent) liegen fast gleichauf. Bürgerbegehren zu Energiethemen (Privatisierung von Stadtwerken, Solaranlagen, Windkraft) fanden im Berichtszeitraum lediglich 175 Mal statt. Obwohl der Bereich Bauleitplanung viele Bürgerinnen und Bürger umtreibt, sind Bürgerbegehren zu diesem Thema in sieben Bundesländern nicht zugelassen. Hier fordert Mehr Demokratie ein Umdenken von Politik und Verwaltung. Er appelliert an die Verantwortlichen, Themenausschlüsse und andere restriktive gesetzlichen Regelungen bürgerorientiert zu reformieren. Der Bürgerbegehrensbericht 2012 entstand in Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung der Bergischen Universität Wuppertal und der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und Direkte Demokratie an der Universität Marburg. (www.buergergesellschaft.de)

Fortsetzung von Seite 1

 Verkaufserlöse für geringwertige Wirtschaftsgüter;  Einnahmen aus der Vermögensnutzung wie Holzerlöse, aus Obstverkauf u. a.;  Ersatzleistungen für Schadensfälle, Ablieferungen aus Nebentätigkeiten, private Fernsprechersätze u.a. Einnahmen;  Erstattungen;  Zuweisungen und Zuschüsse für laufende Zwecke;  Zinseinnahmen;  Konzessionsabgaben;  Zinszuschüsse;  Ersatz sozialer Leistungen;  Bußgelder;  kalkulatorische Einnahmen (Abschreibung, kalk. Zinsen) sowie die folgenden Einzahlungen im Finanzhaushalt:  Entnahmen aus Rücklagen;  Darlehensrückflüsse;  Erlöse aus der Veräußerung von Sachen des Anlagevermögens und aus Beteiligungen;  Zuweisungen und Zuschüsse für Investitionen. Die sonstigen Einnahmen machen bei den Kommunen in den alten und neuen Bundesländern deutlich mehr als die Hälfte aller Einnahmen aus und stellen damit den größten Einnahmeblock dar. Das ist nun nicht gerade Ausdruck kommunaler Finanzhoheit, ist doch dieser gewichtige Einnahmeblock zu einem erheblichen Teil von den Kommunen nicht maßgeblich beeinflussbar. Das gilt für die Gemeindeanteile an der Einkommensteuer und an der Umsatzsteuer sowie für die Zuweisungen im Finanzausgleich. Auch bei den zweckgebundenen Zuweisungen für einzelne Investitionen sind die Kommunen in starkem Maße vom Staat abhängig. All diese Einnahmemöglichkeiten muss die Gemeinde vorrangig ausschöpfen, denn in dem Maße werden Gemeindeeinwohner und örtliche Steuerzahler weniger herangezogen.

... Einnahmen ... den. Als verbindliche Reihenfolge gilt: 1. Spezielle Entgelte, 2. Steuern, 3. Kredite.

Bevor die Gemeinde hoheitlich ihre Machtstellung ausübt und Abgaben zwangsweise erhebt, muss sie die „sonstigen“ Einnahmen ausschöpfen. Dies regelt zwar die SächsGemO nicht ausdrücklich, geht aber aus der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die wirtschaftlichen Kräfte der Abgabepflichtigen hervor (§ 73 Absatz 3).1 Sonstige Einnahmen Die „sonstigen Einnahmen“ fehlen in der Aufzählung in § 73 Abs. 2 SächsGemO, spielen aber in der kommunalen Finanzwirtschaft keine unbeachtliche Rolle. Sie fließen der Gemeinde teilweise ohne besondere eigene Aktivitäten zu und entlasten die Abgabepflichtigen. Deshalb stehen die sonstigen Einnahmen eigentlich an vorderster Stelle. Die Bezeichnung „sonstige Einnahmen“ könnte vermuten lassen, es handle sich hier um eine unbedeutende Einnahmenart. Im Gegenteil, diese Einnahmengruppe ist mit Abstand die bedeutendste. Zu den sonstigen Einnahmen, die in der Doppik als Erträge des Ergebnishaushalts zu erfassen sind, zählen insbesondere die folgenden:  allgemeine Schlüsselzuweisungen nach dem FAG;  Bedarfszuweisungen nach dem FAG;  Auflösung von Sonderposten aus Investitionszuweisungen (z.B. aus Fachförderung, investive Schlüsselzuweisungen, kommunale Investitionszuweisungen, Kommunale Investitionspauschale);  Gemeindeanteile an der Einkommensteuer und Umsatzsteuer;

Spezielle Entgelte

Die speziellen Entgelte nehmen nach den sonstigen Einnahmen den zweiten Rang ein. Darunter fallen:  Verwaltungsgebühren;  Benutzungsgebühren;  privatrechtliche Benutzungsentgelte;  Beiträge. Der Vorrang der speziellen Entgelte vor den Steuern folgt aus dem Verursacherprinzip und dient dem Vorteilsausgleich. Wer also aus speziellen Leistungen der Verwaltung individuell zurechenbare wirtschaftliche Vorteile erfährt, der soll auch die dafür anfallenden Kosten tragen und nicht anonymen Steuermasse bedient werden. Die speziellen Entgelte sollen grundsätzlich kostendeckend sein. Aus sozialen Gründen und Rücksichtnahme auf die wirtschaftlichen Kräfte der Abgabepflichtigen sind Begrenzungen hinzunehmen. Mit den Begriffen „soweit vertretbar und geboten“ bringt das Gesetz das Spannungsverhältnis zwischen finanzwirtschaftlichen und sozialen Anforderungen zum Ausdruck. „Soweit geboten“ bedeutet die Forderung nach einer vollen Kostendeckung. „Soweit vertretbar“ meint, auf das wirtschaftliche Leistungsvermögen der Zahlungspflichtigen Rücksicht zu nehmen. Eine volle Kostendeckung ist dann anzustreben, wenn das wirtschaftliche Interesse des Leistungsempfängers im Vordergrund steht und dem keine sozialen Aspekte entgegenstehen. Je höher das wirtschaftliche Interesse anzusetzen ist, desto höher sollte der Umfang der Kostendeckung sein. Bei den Begriffen vertretbar und geboten handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die einen weiten Beurteilungsspielraum zulassen. Die kommunalen Entscheidungsgremien können hier beim Umfang der Kostendeckung finanzwirtschaftliche und finanzpolitische Gesichtspunkte in ihre Entscheidung einfließen lassen. In Einzelfällen geben bundes- und länderrechtliche Vorschriften vor allem bei Verwaltungsgebühren die Höhe oder den Rahmen der Gebühren vor. So ist für die Ausstellung von Reisepässen, Personalausweisen, Staatsangehörigkeitsurkunden ein fester Gebührensatz, für Baugenehmigungsgebühren ein an den Kosten des Bauwerkes orientierter Rahmen vorgeschrieben. Für die Benutzungsgebühren legen die §§ 10 bis 14 SächsKAG den materiellen Rahmen fest. Diese bestimmen, welche Kosten angesetzt werden können und dass die Gebühren diese Kosten nicht überschreiten dürfen (Kostenüberschreitungsverbot). Diese Grundsätze gelten auch für die privatrechtlichen Entgelte sinngemäß.

Umfang der Kostendeckung

Der Umfang der Kostendeckung durch spezielle Entgelte ist gesetzlich generell nicht vorgeschrieben; das SächsKAG enthält lediglich Obergrenzen für die Kostendeckung. Eine generelle Festlegung der Kostendeckungsgrade würde der kommunalen Finanzhoheit widersprechen. Beim Anbieten einer Leistung unter dem kostendeckenden Entgelt können verschiedene Aspekte eine Rolle spielen:2  Wirtschaftliche Gründe: Das höhere Entgelt würde infolge drastischen

Rückgangs der Nachfrage zu einer noch geringeren Kostendeckung führen: z.B. Bäder;  soziale Gründe: Kindertagesstättengebühren;  kulturelle Gründe: Theater, Konzerte, Museen;  umweltpolitische u.a. Gründe: ÖPNV.

Dienen Einrichtungen einem eng begrenzten Kreis von Benutzern und vermitteln sie diesem hohe wirtschaftliche Vorteile, sollte eine volle Kostendeckung angestrebt werden. Auch Umweltaspekte können von Bedeutung sein: eine voll kostendeckende Wasser-, Abwasser- und Abfallgebühr motiviert zugleich zu einem sparsamen Verbrauch. Nachfolgend ein Überblick über den Umfang der Kostendeckung bei wichtigen kostenrechnenden Einrichtungen:3 Einrichtungen mit voller Kostendeckung  Abwasserbeseitigung (nach Abzug des Anteils der Straßenentwässerung);  Abfallbeseitigung Wasserversorgung;  Energieversorgung: als wirtschaftliche Betätigung soll diese nach § 97 Abs. 3 SächsGemO einen Ertrag abwerfen;  Krankenhäuser;  Schlachthöfe;  Märkte. Überwiegende Kostendeckung  Altenheime;  Altenpflegeheime;  Bestattungswesen. Kostendeckung unter 50 %  Schullandheime;  Altenwohnheime;  Hallen- und Freibäder;  Kindergärten;  Volkshochschulen;  Musikschulen;  Theater und Konzerthäuser sowie Museen Jugendzentren;  Bürgerhäuser;  Büchereien. AG

1 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, E. Schmidt Verlag, § 73, Rdn. 7. 2 Vgl. Menke/Arens: Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Kommentar, 4. Aufl., S. 180. 3 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar... § 73, Rdn. 25-27.

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de V.i.S.d.P.: A. Grunke Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.


Kommunal-Info 9/2012

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Vergabegesetz wird novelliert Zur öffentlichen Anhörung der drei Gesetzentwürfe für eine Novellierung des Sächsischen Vergabegesetzes am 9. Oktober im Sächsischen Landtag Die Vergabe öffentlicher Aufträge bei Bau-, Liefer- und Dienstleistungen erreicht eine beachtliche volkswirtschaftliche Größe. So wird das Marktvolumen aller öffentlichen Aufträge in Deutschland jährlich auf rund 300 Milliarden Euro geschätzt. Die Kommunen sind hiervon mit knapp 60 Prozent aller Aufträge der mit Abstand größte öffentliche Auftraggeber. Etwa 95% der kommunalen Aufträge liegen unterhalb der EU-Schwellenwerte, also nur 5% der kommunalen Aufträge müssen europaweit ausgeschrieben werden.

Zweck des Vergaberechts

Für die Vergabe öffentlicher Aufträge hat sich seit den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Deutschland das Vergaberecht entwickelt,  um einen transparenten, wirtschaftlichen, sparsamen und auf Recht und Gesetz beruhenden Umgang mit öffentlichen Finanzen zu gewährleisten,  um bei Ausführung der Bau-, Lieferund Dienstleistungen die gewünschte Qualität zu erreichen,  um zwischen den Bietern den Wettbewerb und Gleichbehandlung zu gewährleisten, unlauteren Wettbewerb zu unterbinden.

Drei Gesetzentwürfe

Nachdem der Bundesgesetzgeber das Vergaberecht 2009 erneuert hatte, sieht sich jetzt auch der Freistaat Sachsen vor der Aufgabe, das seit nunmehr 2002 bestehende Sächsische Vergabegesetz zu novellieren. Dazu liegen zur Verhandlung im Sächsischen Landtag gleich drei Gesetzentwürfe vor:  der Entwurf der Regierungskoalition von CDU/FDP,  ein gemeinsamer Entwurf von LINKEN und SPD sowie  ein Entwurf von B’90-Grüne. Am 9. Oktober 2012 fand dazu nun eine öffentliche Anhörung des Innenausschusses statt, zu der 11 Sachverständige ihre Stellungnahme abgaben. Der Sächsische Landkreistag hatte eine schriftliche Stellungnahme eingereicht. Als Ziel des Koalitionsentwurfes wird erklärt, die Regelungen zur Vergabe öffentlicher Aufträge im Freistaat Sachsen fortzuschreiben und insbesondere die Regelungen im Sächsischen Vergabegesetz anzupassen, die sich aus der Novellierung der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) ergeben. Der Entwurf von LINKE und SPD möchte das sächsische Vergaberecht weitergehender reformieren, indem Tariftreue- und Mindestentgeltregelungen eingeführt werden, der sächsische Mittelstand gefördert wird, eine umweltgerechte Beschaffung befördert wird, die Gleichstellung und Behinderte begünstigt werden sollen sowie der Rechtsschutz auch im Bereich unterhalb der gesetzlichen Schwellenwerte

gewährt wird. Im Entwurf von B’90-Grüne wird als Ziel angegeben, die vorhandenen Regelungsspielräume durch Landesgesetzgebung zu nutzen, um Umweltund Sozialstandards im öffentlichen Beschaffungswesen zu verankern und darüber hinaus der Korruption vorzubeugen. In den Stellungnahmen der Sachverständigen traten die unterschiedlichen Interessenlagen zutage: die Interessen der Auftraggeber in Gestalt der kommunalen Spitzenverbände, die Interessen der Auftragnehmer in Gestalt von Handwerk und Bauindustrie und die Interessen von Arbeitnehmern, hier insbesondere repräsentiert durch die gewerkschaftsnahe Hans-BöcklerStiftung und das Entwicklungspolitische Netzwerk Sachsen Kauft Fair. Gleich zu Beginn der Anhörung gab der Vertreter des Sächsischen Baugewerbeverbandes ganz unumwunden zu verstehen, dass er sich in seiner Stellungnahme am Koalitionsentwurf abarbeiten werde, da dieser „nach menschlichem Ermessen die größten Chancen habe, Mehrheiten im Sächsischen Landtag zu finden“, was aber nicht heiße, dass „auch in den Entwürfen der Oppositionsparteien Regelungen enthalten sind, die die Bauwirtschaft befürwortet.“

Ablehnung sozialer und ökologischer Kriterien

Ein ganz zentraler Punkt in der Anhörung waren die kontroversen Standpunkte zu den in den Gesetzentwürfen von LINKE/SPD und B’90-Grüne vorgesehenen sozialen und ökologischen Kriterien bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Von den kommunalen Spitzenverbänden Sächsischer Städte- und Gemeindetag (SSG) und Sächsischer Landkreistag (SLT) wurden solche Aspekte strikt als „vergabefremde“ Kriterien abgelehnt. „Die kommunalen Auftraggeber wären organisatorisch und

finanziell überfordert, wenn sie etwa die Einhaltung von Tariftreueregelungen, Mindestlöhnen, Kriterien, inwieweit Anbieter Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern, zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, fördern, oder auch die ILO-Kernarbeitsnormen kontrollieren müssten“, so die Auffassung des SSG. Auch der SLT sieht darin „vergabefremde“ Kriterien, die er entschieden ablehnen müsse. Vorrangige Ziele der öffentlichen Auftragsvergabe seien „die wirtschaftliche Beschaffung von Waren und Dienstleistungen und die Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Bieters in einem fairen, transparenten Verfahren, das den Wettbewerb zwischen den Bietern fördert und diese gleich behandelt.“ Das Vergaberecht eigne sich nicht „als Vehikel zur Durchsetzung aller möglichen politischen Ziele, auch wenn diese als wünschenswert empfunden werden. Die Berücksichtigung sozialer, ökologischer und innovativer Aspekte bei der öffentlichen Auftragsvergabe sollte „dem Ermessen der Vergabestellen überlassen bleiben und nicht gesetzlich vorgeschrieben werden. Dies entspricht auch der Regelung, die nach § 97 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen oberhalb der EUSchwellenwerte gilt. Voraussetzung für die Berücksichtigung sozialer, umweltbezogener oder innovativer Aspekte ist auch nach dieser Regelung, dass sie im Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen.“ Auch die Vertreter aus Bauhandwerk und –industrie verlangten einen konsequenten Verzicht auf „vergabefremde Aspekte wie Tariftreue, Sozialstandards und Umweltverträglichkeit“. Aus juristischer Sicht sei es sehr fraglich, ob das öffentliche Vergaberecht überhaupt geeignet ist, solche allgemeinpolitischen Zielsetzungen umzusetzen. Vielmehr sei zu befürchten, „dass die Verknüpfung mit vergabefremden Aspekten den Mittelstand benachteiligt

und zu mehr Bürokratie bei den Unternehmen und der Verwaltung führen wird.“ Solche Kriterien würden sowohl „die öffentliche Hand als Auftraggeber wie auch die Auftragnehmer in erheblichem Maße zeitlich und finanziell belasten. Oft ist die Einhaltung der Kriterien nicht oder nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich.“ Statt Bürokratie abzubauen, würden zusätzliche bürokratische Hürden eingeführt. Zudem seien „solche Kriterien aufgrund ihrer Unschärfe besonders anfällig für fehlerhafte Angebotswertungen“ und dienten damit „als Basis für Nachprüfverfahren, also für die Aufblähung der Inanspruchnahme von Rechtsmitteln.“ Jedoch sehe das Handwerk „mit Sorge, dass öffentliche Auftraggeber nicht den wirtschaftlichsten, sondern den billigsten Bieter beauftragen – dies mit stets wachsender Tendenz. Qualität habe ihren Preis – und das auch bei einer öffentlichen Ausschreibung. Hierauf kann man nur angemessen reagieren, wenn die Qualitätskriterien und das damit verbundene Preis-LeistungsVerhältnis wieder in den Mittelpunkt der Vergabeentscheidung gerückt werden.“ Deshalb würden es einzelne Arbeitgeber durchaus begrüßen, wenn bei der Angebotsabgabe die Vorlage der Tarifeinhaltung und der Nachweis der Tarifgebundenheit verlangt werden. Ebenso hätten sich die Vertreter der Arbeitnehmer mehrheitlich dafür ausgesprochen, dass bei einer Auftragsvergabe die Bieter die Zahlung eines Tariflohnes oder eines Mindestlohnes versichern sollten, in Kenntnis, dass in der Baubranche ohnehin ein höherer Lohn als 8,50 Euro gezahlt werde.

Für soziale und ökologische Kriterien

Die Vertreterin vom Netzwerk „Sachsen kauft fair“ hatte ihren Vortrag mit dem Thema „Menschenrechte in Vergabegesetzen?!“ überschrieben. Sie erklärte, dass ihnen von Kommunen immer wieder entgegengehalten werde: sie würden ja gern Sozial- und Umweltkriterien und Menschenrechte in ihren Ausschreibungen einbeziehen, nur gäbe es keine Rechtssicherheit, weil diese Kriterien im Sächsischen Vergabegesetz nicht verankert sind. Für Rechtssicherheit bräuchten die Kommunen die vergabegesetzliche Verankerung von Menschenrechten, was mit dem Gesetzentwurf der Koalition verhindert werde. Um welche Menschenrechte gehe es hier: in erster Linie handelt es sich dabei um die ILO-Kernarbeitsnormen, Fortsetzung auf Seite 4


Kommunal-Info 9/2012

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Veranstaltungen / Seminare

Neu beim KFS:

Seminar Kommunale Unternehmen und die Rechte und

Pflichten von kommunalen Vertretern in Aufsichtsräten vom 16. November, 18 Uhr bis 17. November 15 Uhr in 09669 Frankenberg AKZENT Landhotel, Dammplatz 3 Seminarleiter: Alexander Thomas, Dipl.-Verwaltungswirt, Parlament.-wissenschaftlicher Berater Teilnahmebeitrag: 20 Euro. Teilnehmer ohne eigenes Einkommen, Studenten, AlG II– und SoHi-Empfänger: 5 Euro

Seminar Baurecht und Bauwirtschaft für Gemeinderäte

vom 23. November, 18 Uhr bis 24. November 15 Uhr in Chemnitz pentahotel Chemnitz, Salzstraße 56 Seminarleiter: Tilo Wirtz, Dipl.-Bauingenieur, Stadtrat in Dresden Teilnahmebeitrag: 20 Euro. Teilnehmer ohne eigenes Einkommen, Studenten, AlG II– und SoHi-Empfänger: 5 Euro

Fankulturen im Fußball zwischen Panikmache und notwendiger Konfliktschlichtung

Eine gemeinsame Veranstaltung mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. am 13. November, Dienstag, 18.00 Uhr in Zwickau mit: Gerd Dembowski, Sozialwissenschaftler, Experte der Fußballfanszenen (einführender Vortrag) und Kompetenzgruppe Fankulturen an der Universität Hannover und VertreterInnen aus Sport und Politik (angefragt) am 14. November, Mittwoch, 19.00 Uhr in Dresden mit: Gerd Dembowski, Sozialwissenschaftler (einführender Vortrag), Kompetenzgruppe Fankulturen an der Universität Hannover und Thilo Alexe, Sächsische Zeitung, Mitautor: Das Dresdner Stadion; Adam Bednarsky Geschäftsführer Roter Stern Leipzig; Tilo Kießling, sportpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Stadtrat Dresden; Torsten Rudolph, Fanprojekt Dresden e.V. (angefragt) Moderation: MdL Verena Meiwald am 15. November, Donnerstag, 18.00 Uhr in Leipzig mit: Gerd Dembowski, Sozialwissenschaftler (einführender Vortrag) Adam Bednarsky Geschäftsführer Roter Stern Leipzig; Helmut Loris, Leiter des Ordnungsamtes (angefragt); Sarah Köhler, Fanprojekt Leipzig (angefragt), Klaus Reichenbach, Sächsischer Fußball-Verband (angefragt) Moderation: MdL Verena Meiwald Anmeldung bitte an: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Str. 99, 01127 Dresden Telefon: (0351) 482 79 44 oder 482 79 45; Fax: (0351) 795 24 53 info@kommunalforum-sachsen.de; www.kommunalforum-sachsen.de Fortsetzung von Seite 3

Vergabegesetz ... die in den zwei anderen Gesetzentwürfen auch benannt werden. Darüber hinaus gibt es das in der „Allgemeinen Erklärung der universellen Menschenrechte“ der UN von 1948 festgehaltene Recht auf einen existenzsichernden Lohn, den „Living Wage“, wie er in der internationalen Diskussion bezeichnet wird. Dieses Menschenrecht taucht in Deutschland als Diskussion um den Mindestlohn auf. Auch in Deutschland ist dieses Recht für viele, zum Beispiel für die sog. „Aufstockerinnen“ und „Aufstocker“, eben nicht gewährleistet. In dem Zusammenhang von „vergabefremden Kriterien“ zu reden, sei einfach nicht mehr zeitgemäß. Vielleicht ist Sachsen der letzte Winkel in der EU, wo dieses Wort überhaupt noch benutzt werde.

Sachsen gegen den Trend?

Auch der Vertreter der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung bekräftige, in Europa gäbe es „einen sehr deutlichen Trend hin zu einer stärkeren Berücksichtigung von sozialen und ökologischen Kriterien bei der öf-

fentlichen Auftragsvergabe.“ Ab 2013 werde es in 13 von 16 Bundesländern solche Regelungen geben. Nur Sachsen, Bayern und Hessen blieben die einzigen Länder ohne soziale und ökologische Kriterien in den Vergabegesetzen. Die Entwürfe von LINKE/SPD als auch von B’90-Grüne bewegen sich im Prinzip inhaltlich mehr oder weniger in die Richtung, in der bereits in anderen Bundesländern Vergabegesetze verabschiedet worden sind. Sie folgen dem bundesweiten Trend, während die Koalition mit ihrem Entwurf ganz bewusst diesen Weg nicht gehen will und es bei rein freiwilligen Regelungen der einzelnen Vergabestellen belassen möchte. Sachsen sei scheinbar eines der letzten Refugien, wo soziale und ökologische Aspekte als „vergabefremde Kriterien“ gescholten werden. Die Diskussion in Deutschland insgesamt als auch die europäische Debatte seien hier deutlich weiter. Hier habe sich die Meinung herausgebildet, dass zum Beispiel die Entlohnung derjenigen, die dann die öffentlichen Aufträge tatsächlich durchführen sollen, kein vergabefremdes Kriterium seien, sondern ganz im Gegenteil ein Kriterium, das unmittelbar Auswirkungen auf die Qualität und die Durchführung der Vergabe selbst

hat. Jeder wisse, wenn Beschäftigte schlecht entlohnt werden, führe das eher dazu, dass sie schlechte Qualität leisten, mit all den Folgeproblemen, die allgemein bekannt sind. Der Sinn des Vergaberechts sei es aber, bei Ausführung der Bau-, Lieferund Dienstleistungen eine gewünschte Qualität zu erreichen. A.G.

SSG legt Strategiepapier vor Sächsischer Städte- und Gemeindetag stellt Strategiepapier vor: „Kommune 2020 – Die Zukunft der sächsischen Städte und Gemeinden“ Der Sächsische Städte- und Gemeindetag (SSG) hat mit dem Konzept „Kommune 2020 – Die Zukunft der sächsischen Städte und Gemeinden“ ein eigenes Strategiepapier vorgelegt. „Von Arbeit und Bildung, über Energie und Feuerwehren bis zur Verwaltungsvereinfachung und kommunalen Zusammenarbeit, wir haben jedes kommunale Aufgabengebiet bearbeitet. Wir haben uns Gedanken gemacht, wie sich die Städte und Gemeinden angesichts der Bevölkerungsentwicklung und der Entwicklung der Kommunalfi-

Dokumentation zur Kommunalpolitischen Konferenz vom 30. Juni 2012; 62 S.; ISBN 978-3-89819-385-6 5,00 EUR. nanzen selbst helfen können. Nur dort, wo dies aus eigener Kraft nicht möglich ist, unterbreiten wir dem Land die entsprechenden Vorschläge.“ bemerkte der Präsident des SSG, der Bautzener Oberbürgermeister Christian Schramm, zur Vorstellung des Strategiepapiers. Das Strategiepapier geht in insgesamt zwölf Kapiteln auf alle wichtigen kommunalen Politikfelder ein. So wollen die Städte und Gemeinden gemeinsam mit dem Freistaat einen neuen Anlauf nehmen, die Verwaltung zu vereinfachen. Sie wollen auch im ländlichen Raum die Grundversorgung der Bevölkerung aufrechterhalten und sich im Bereich der Energieversorgung stärker engagieren. Die Städte und Gemeinden wollen für ein wirtschafts- und ansiedlungsfreundliches Klima sorgen, verlangen jedoch auch vom Freistaat eine Strategie zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. Am Bildungsort Kommune wollen die Schulträger bei der Bestellung der Schulleiter mitwirken und in der Schulkonferenz mehr Verantwortung übernehmen. Die Ganztagsangebote an den Schulen sollen ausgebaut werden. Im Brandschutz soll am Dualismus von Freiwilligen Feuerwehren und Berufsfeuerwehren festgehalten werden. Gleichzeitig wollen die Städte und Gemeinden Stützpunktfeuerwehren erproben, um auch im ländlichen Raum den Brandschutz dauerhaft zu gewährleisten. „Wir wollen, dass unsere Städte und der ländliche Raum den Menschen weiter eine lebenswerte Heimat bleiben. Dafür braucht es ein neues Miteinander zwischen dem Land und den Kommunen. Wir wollen der Landespolitik neue Impulse geben, auch über die laufende Legislaturperiode des Landtages hinaus. Wir erwarten nicht, dass jeder unserer Vorschläge umgesetzt wird. Aber wir erwarten, dass über jeden Vorschlag diskutiert und nachgedacht wird“, fasste Schramm seine Erwartungen zusammen. Das Strategiepapier „Kommune 2020 – Die Zukunft der sächsischen Städte und Gemeinden“ wurde vom Landesvorstand des SSG am 07.09.2012 beschlossen und am 11.10.2012 der Öffentlichkeit vorgestellt.


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»Umfairteilen«: Starke Aktion Die LINKE gehörte von Anfang an zu den Unterstützerinnen des Bündnisses »Umfairteilen - Reichtum besteuern«, das sich gegründet hat, um in der Bundesrepublik für eine stärkere Besteuerung des Reichtums einzutreten. Eine dauerhafte Vermögenssteuer und eine einmalige Vermögensabgabe sind das Ziel. Das Bündnis hatte den 29. September 2012 als bundesweiten Aktionstag ausgerufen, genaueres sickerte aber nur nach und nach zu uns in den Dresdner Stadtverband der LINKEN durch. Als klar wurde, dass Dresden keine der Schwerpunktstädte sein wird, haben wir uns entschlossen, mit einer eigenständigen Aktion zum Gelingen des Tages beizutragen. Die erste Herausforderung ist immer, eine angemessene Aktionsform zu finden. Sicherlich - Tisch, Schirm, etwas Papier zum Verteilen und ein paar bereitwillige Genossinnen und Genossen gibt es immer. Aber das sollte uns nicht genügen. Unsere Aktion sollte in einem kommunalen Umfeld, in dem Armut allenfalls ein Randthema ist und die Zeichen von Aufschwung und Wohlstand viel präsenter und zentraler sind, auffallen und, ja, auch provozieren. Armut ist in Dresden ein Randthema. Sie ist, schon durch die klare Aufteilung der Stadtbezirke und Wohnquartiere, an den Stadtrand ge-

drängt, heraus aus der Aufmerksamkeit der übrigen Bewohnerinnen und Bewohner. Manchmal schleicht sie sich Pfandflaschen sammelnd oder bettelnd ins Zentrum, und manchmal auch über die Umwege der Sozial- und Bildungsberichterstattung in die Spalten der Zeitungen. Und viel zu oft noch begegnen einem die Stimmen, die das versteckte Phänomen zynisch vom Tisch wischen, mit Schuldzuweisungen belegen oder ganz offen sagen, dass so etwas eben dazugehört in unserem Land. Armut muss sichtbar gemacht und diskutiert werden, damit sie bekämpft werden kann. Wir haben uns dafür entschie-

den, mit einem mannshohen und ca. 30 Meter breiten Transparent die Touristinnen und Touristen am Neumarkt, einem der reichsten Punkte der Stadt zu begrüßen, in Dresden, der »Stadt der Armut«. Eine Provokation! Natürlich ist Dresden keine arme Stadt. Aber sie beherbergt eben zehntausende arme Menschen. Nur soll man die nicht sehen, nicht am blankgeputzten Vorzeigeplatz rund um die Frauenkirche. Gerade dort aber wollen wir LINKE die Dresdner Armut sichtbar machen, unübersehbar. Das Transparent und die dazugehörenden Tische, der für den Reichtum an der einen Seite und der für die Armut

Kommunalpolitik Arbeitsgemeinschaft gegründet an der anderen, haben wie erwartet viele Diskussionen hervorgerufen. Sogar eine eigene Notiz in der Sächsischen Zeitung ist entstanden. Das gab es für eine politische Aktion des Stadtverbandes lange nicht mehr! Vielen Dank für die aufwendigen Arbeiten zur Vorbereitung und für die gelungene Durchführung geht an die Genossinnen und Genossen von EfA, der Mitmach-AG DIE LINKE. Eine für Alle!, die mit dieser Aktion bewiesen hat, auch größere Projekte in kürzester Zeit umsetzen zu können. Eine wunderbare Werbung für diese AG und eine Aufforderung an viele, hier in Zukunft mitzutun. Tilo Kießling

Sachsen 1832: „Bauernbefreiung“, Sachsen 2012: Sparkassen-Finanzgruppenregelung – zwei Ereignisse, ein Autor?

Fast möchte man meinen, im Sächsischen Landtag säßen ausschließlich studierte Historiker mit Schwerpunkt Landesgeschichte der Frühen Neuzeit, die getreu dem Motto handeln: Was einmal funktioniert hat, kann so verkehrt nicht gewesen sein. So entpuppt sich das »Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die öffentlichrechtlichen Kreditinstitute im Freistaat Sachsen und die Sachsen-Finanzgruppe«, wie es im Sächsischen Gesetzund Verordnungsblatt vom 29. Juni 2012 genannt wird, ebenso als Trojanisches Pferd wie der vermeintlich wohlwollende Akt der so genannten »Bauernbefreiung« von 1832.

Ebenso wie vor fast 200 Jahren, als sich die Bauern nur durch Zahlung von hohen Geldsummen aus ihrer grundherrschaftlichen Bindung freikaufen konnten, gestaltet sich heute die Situation der Anteilseigner der Finanzgruppe: Nur durch Zahlung einer Anteilsumme können sie aus diesem Verbund »austreten«. Beide Ereignisse haben denselben kapitalistischen Haken. Freiheit will erkauft sein, und so bleibt das eine wie das andere Mal vom Traum wenig mehr als heiße Luft. Kaum verwunderlich ist, dass der Vorstandsvorsitzende der Ostsächsischen Sparkasse Dresden, seinerseits ebenso Vorstandsvorsitzender der

Sachsen-Finanzgruppe, wenig geneigt ist, an seinem eigenen Stuhl zu sägen und die völlig in Schulden erstickende Sachsen-Finanzgruppe auflösen zu lassen. Schließlich wäre es dann wahrscheinlich, dass die Schulden je Anteilsgröße auf die Eigner umgelegt werden. Dies würde für die Ostsächsische Sparkasse Dresden, die sich in Onlineauftritten ihrer hervorragenden finanziellen Lage rühmt, die Übernahme des zweitgrößten Anteils der Schuldenlast bedeuten – 14,41 Prozent. Welche Beziehungen besagter Vorstandsvorsitzender daher auffrischen musste, um seine Vorstellungen im Landtag mehrheitsfähig zu machen,

bleibt Spekulation. Vielleicht waren einige CDU- und FDPAbgeordnete, selbst Mitglieder von Finanzausschüssen und Vorständen sächsischer Sparkassen, nicht wenig geneigt, ihm ein offenes Ohr zu schenken. Davon ganz abgesehen zeigt das jedoch erneut, wie in Sachsen Politik betrieben wird: wenig gemeinwohlorientiert, daran ändern auch fast 200 Jahre historische Entwicklung offenbar nichts. Auch sächsische Landespolitiker müssen, entgegen ihrer eigenen heroischen Darstellung, das Rad keineswegs ständig neu erfinden. Julia Zieger

Die Landesarbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik im Landesverband DIE LINKE. Sachsen hat sich am 28. September im Haus der Begegnung in Dresden gegründet. Fast 1000 Kommunalpolitiker/innen mit dem Mandat der LINKEN gestalten und prägen die kommunalpolitische Arbeit im Freistaat Sachsen. Diese ehrenamtliche Arbeit ist vielschichtig, zeitaufwendig und lebt vom Engagement und Ideenreichtum der gewählten Abgeordneten und Fraktionen. Deshalb wird ein landesweiter Zusammenschluss benötigt, eine Art Interessenvertretung der Kommunalpolitiker/ innen und Kommunalpolitiker im Landesverband DIE LINKE. Die Kommunalpolitik als Basis unserer Arbeit in der Bevölkerung, und als Aushängeschild auch für Wahlen auf höherer Ebene, soll koordiniert und Möglichkeiten für effektiveres politisches Handeln müssen diskutiert werden. Eine Zusammenarbeit und Vernetzung mit dem Landesvorstand, dem Kommunalpolitischen Forum Sachsen e.V., der Landtagsfraktion und den Kreisverbänden ist dringend erforderlich. Alle kommunalpolitisch Interessierten, die politisch der Partei DIE LINKE nahestehen und deren kommunalpolitischen Ziele unterstützen, sind herzlich eingeladen, in der LAG Kommunalpolitik mitzuwirken. Lasst uns gemeinsam linke Kommunalpolitik gestalten! Die 2. Sitzung der LAG Kommunalpolitik findet am 12. Januar 2013 von 10 bis ca. 14 Uhr in Dresden statt. Wir wollen uns mit dem Entwurf der Kommunalpolitischen Leitlinien beschäftigen und mögliche Änderungsvorschläge erarbeiten. Zur gemeinsamen Diskussion laden wir alle LAG-Mitglieder/innen und Interessierte recht herzlich ein. Marion Junge, Kommunalpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag und Vorsitzende der LAG Kommunalpolitik


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Landesjugendplenum in Chemnitz Vom 28. bis 30. September fand im AJZ Chemnitz das erste und einzige Landesjugendplenum 2012 der linksjugend [`solid] Sachsen statt. In der Regel finden im Jahr 2 solcher Vollversammlungen der Mitglieder und Sympathisierenden statt, jedoch wurde dieses mal eines der Treffen zu Gunsten eines stärkeren Engagements in den Kreisen, z.B. durch »Kick Off!« genannten Auftaktveranstaltungen, zurückgestellt. Aufgrund dieser Tatsache war die Zeit in Chemnitz von Freitag bis Samstag auch recht knapp bemessen und das Programm gut gefüllt. Es gab keinen programmatischen Leitantrag sondern stattdessen eine Vielzahl von Themen, die inhaltlich bearbeitet worden sind. In 4 Workshops hat sich der Jugendverband zunächst mit den Entwürfen für die Sozialpolitischen, die Bildungspolitischen sowie die Europa- und Drogenpolitischen Leitlinien beschäftigt, von denen die beiden erstgenannten beim Landesparteitag im Oktober 2012 zu Abstimmung standen. Im großen Plenum wurden anschließend die Ergebnisse diskutiert, vor allem die von den jungen Landesparteitagsdelegierten erarbeiteten Änderungsanträge an die Bildungsund Sozialpolitischen Leitlinien modifiziert und abgestimmt. Für den Landesparteitag

2013/2014 wurden weiterhin neue Delegierte gewählt. Auch sonst kamen Wahlen nicht zu knapp: Sachsen als viertgrößter Landesverband im bundesweiten Jugendverband wählte 18 Delegierte für den Bundeskongress (quasi der »Bundesparteitag« des Jugendverbandes), einen Vertreter für den Landesrat der sächsischen LINKEN sowie zwei Vertreter_innen für das föderale Gremium des Bundesjugendverbandes: den Länderrat. Die Beschäftigung mit den Leitlinien war jedoch nur ein Aus-

schnitt aus dem inhaltlichen Programm. So wurden in zwei Workshops ebenfalls erste Ideen für die anstehenden Wahlkämpfe und insbesondere den Landtagswahlkampf gesammelt. Die Liste der zum Teil ausgefallenen Vorschläge umfasst dabei sowohl Slogans, Kampagnenideen, Einzelaktionen und Material. Viel Anklang bekam so zum Beispiel die Idee, »schlafende Verfassungsschützer« vor NPD Büros abzulichten. Die vielen verschiedenen Ideen basieren zum Teil auf bereits gemachten Erfahrungen in

den verschiedenen Ortsgruppen. Um diese Erfahrungen und auch vorhandenes Wissen zu teilen, wurde ein Antrag diskutiert und angenommen, der vorgeschlagen hat, ein Wissensund Referent_innen-Wiki, also eine für alle zugängliche und erweiterbare Datenbank, einzurichten. Leidenschaftlich diskutiert wurden ebenfalls die inhaltlichen Positionen für eine gemeinsame politische Positionierung der sächsischen Landesverbände von linksjugend [‚solid], Jusos und der Grünen Jugend im Bereich der Bildungs-

Wahlergebnisse Delegierte Bundeskongress Nadja Guld, Lisa-Marie Jatzke (†), Nele Werner, Ina Leonhardt, Anna Gorskih, Anne Raasch, Marie Wendland, Marlen Brückner, Francie Hoffmann, Tilman Loos, Steven Braun, Fabian Blunck, Alex Tilch, Heiko Weigel, Steffen Juhran, Martin Bretschneider, Silvio Lang, Maximilian Schneider Delegierte Landesparteitag Marlen Brückner, Anne Raasch, Lisa-Marie Jatzke (†), Marie Wendland, Heiko Weigel, Tilman Loos, Steffen Juhran, Nico Reichenbach Vertreter_in Landesrat Heiko Weigel

Arbeit, Einkommen und Zeit umFAIRteilen Gern zitiere ich Adelheit Biesecker, Mitautorin des Papiers »Wachstum - Wohlstand - Lebensqualität«: »Wir haben so viel zu tun, wir haben gar nicht so viel Zeit für Erwerbsarbeit.« Womöglich ist es wichtig, derart provokant hinsichtlich frauenpolitischer Themen zu diskutieren, um überhaupt wahrgenommen zu werden - und das nicht nur als »Randgruppe«, die sich mal wieder mit Themen beschäftigt, die sonst innerhalb der LINKEN kein Gehör findet. Denn ja, wir wissen es ja selber: außer politisch korrekt geführten Debatten hat sich bisher wenig geändert, wenn es um Feminismus geht. Seit Jahren fordern die Frauenstrukturen der LINKEN wie LISA, dass feministische Perspektiven von Beginn in Wahlprogramme integriert werden, in Landtags- und Bundestagsanträge, in Veranstaltungskonzeptionen, in Leitlinien oder in Strategieberatungen. Wir wissen eigentlich längst: Frauenpolitik nützt nicht viel als extra Politik, weil sie dann extra bleibt!

politik. Dabei wurden mehrere Vorschläge der Grünen Jugend angenommen, aber auch viele mit Änderungswünschen zurückgegeben. Wer selbst nicht kommen konnte, konnte das komplette Landesjugendplenum übrigens im Video-Livestream verfolgen. Zwar kam es in der Übertragung an einigen Stellen zu Verzögerungen, aber grundsätzlich gab es positive Rückmeldungen zum Livestream der in Zukunft ein Standard für das Landesjugendplenum werden soll. Tilman Loos

Wir fordern schließlich Vergleichbares auch in der Gesellschaft. Wir wollen feministische Perspektiven für städtische Investitionsentscheidungen, in der Verkehrsplanung, bei der Vergabe von Forschungsgeldern oder für die städtische Pflege- und Krankenhausplanung, fürs Wohnen und vieles mehr. Doch letztendlich sitzen Feministinnen meist nach den gefallenen Entscheidungen zusammen und überlegen, wie sie sich noch einbringen können. Einbringen können in eine Debatte, die hauptsächlich von Männern dominiert wird - in der Politik, im Erwerbsleben und in der Öffentlichkeit. Die Bundesfrauenkonferenz der LINKEN beschäftigte sich genau mit derartigen Fragen: Wie positioniert sich DIE LINKE gegen Altersarmut - vor allem die der Frauen - und wie soll eine gerechte Mindestrente funktionieren, wie sehen feministische Perspektiven zu Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität aus? Welche Wege und Mittel bedarf es in unseren eigenen Reihen, Femi-

nismus nicht nur als Randthema zu betrachten, sondern als Gesamtaufgabe? Ein Diskussionspunkt, der immer wieder eine Rolle spielte, ist der, was wir unter dem Arbeitsbegriff verstehen. Ist es nur die Erwerbsarbeit oder auch die Arbeit im Haushalt, mit den Kindern, mit der Familie? Arbeit sollte - egal ob bezahlt oder unbezahlt - in ein Konzept guten Lebens eingebettet sein. Zu diesem Konzept gehört selbstverständlich auch ein besonderes Augenmerk auf eine demokratisch kontrollierte öffentliche Daseinsvorsorge zu setzen. Dazu zählen bezahlbare, erneuerbare Energie, Wasser, Mobilität, gute Lebensmittel, Gesundheitsvorsorge, Kultur, Bildung, Information und Wissen in hoher Qualität und diese Güter müssen allen gleichermaßen zugänglich sein. Einhergehend steht eine Debatte rund um eine Arbeitszeitverkürzung an. Inhaltlich wurden viele dieser Themen angerissen und es wurde klar, dass wir mehr Zeit und Raum benötigen, uns nicht nur im kleinen »feministischen«

Termine Kreis darüber auszutauschen. Deutlich wurde weiterhin, dass es in den Wahlkämpfen 2013 eine entscheidende Rolle spielen muss, wie wir vor allem Wählerinnen ansprechen. In Kleingruppen tauschten wir uns darüber aus, mit welchen Themen wir unsere Zielgruppen ansprechen, welche Veranstaltungsformate wir nutzen und mit welchen Materialien wir wie auf uns aufmerksam machen können. Interessante Vorschläge wurden gemacht, welche gesammelt und auf einer Homepage in einer Art »Veranstaltungsbörse« zur Verfügung gestellt werden. Das Rad muss ja nicht immer wieder neu erfunden werden. Konsens herrschte übrigens darin, das es keinen externen Frauenwahlkampf braucht, sondern der gesamte Wahlkampf Frauenwahlkampf sein muss! Alles in allem war die Bundesfrauenkonferenz eine gelungene Sache. Wichtig waren die zahlreichen Gespräche, die am Rande geführt wurden. Wir können gespannt sein auf das nächste Zusammentreffen 2013. Claudia Jobst

2.- 4.November 2012 Verbandwochenende linksjugend [´solid] Treffen von Mitgliedern, Neumitgliedern und den Bundesarbeitskreisen www.linksjugend-solid.de 3. November 2012 Kreisjugendtag in Nordwestsachsen Ab 10:00 Uhr im links.Punkt in Eilenburg 10.November 2012 Stadtjugendtag in Leipzig Alle Infos: www.linksjugendleipzig.de 24.November 2012 Fraktionsjugendtag Im sächsischen Landtag. Alle Infos & Anmeldung: www. linksfraktionsachsen.de


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

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Selbstermächtigung der Flüchtlinge Bundesweit wird derzeit über die deutsche Asylgesetzgebung und den damit einhergehenden Rassismus diskutiert. Dazu beigetragen hat auch der Rückblick auf das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen 1992. Es lieferte damals den Anlass für die faktische Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl, die drastische Senkung der Flüchtlingszahlen und der Asyl-Bewilligungsquote und Sondergesetze wie das Asylbewerberleistungsgesetz. Aber auch gegenwärtige Anschläge und Bürgerbewegungen gegen Unterkünfte von Asylsuchenden, etwa in Gröditz oder Leipzig, lenken die Aufmerksamkeit auf die Lebenssituation der in Deutschland lebenden Geflüchteten. Gleichzeitig sind mit verschiedenen Protestcamps, dem inzwischen beendeten Hungerstreik in Würzburg, dem Boykott von Gutscheinen in drei Heimen im Landkreis Leipzig im Juli und dem Protestmarsch wichtige SelbstermächtigungsBewegungen von Flüchtlingen im Gang. Am 8. September 2012 starteten fast 100 Flüchtlinge in Würzburg ihren Marsch nach Berlin, um gegen die deutsche Asyl- und Flüchtlingspolitik zu protestieren. Zu ihren Forderungen gehören die Schließung aller Sammelunterkünfte, der Stopp von Abschiebungen und

die Abschaffung der Residenzpflicht. Letztere zwingt die Asylsuchenden, sich in einem definierten Territorium – in Sachsen die Landesdirektionsbereiche – aufzuhalten. Der Protestmarsch erreichte Berlin Anfang Oktober. Weder staatliche Instanzen noch Neonazis, die zur Störung der Aktion aufgerufen hatten, hatten den Akt des zivilen Ungehorsams aufhalten können. Als Höhepunkt demonstrierten am 13. Oktober insgesamt 5000 Menschen für einen Wandel der Flüchtlingspolitik. Bereits am 18. Juli 2012 hat das Bundesverfassungsgericht die Kritik an der akuten Benachteiligung von Flüchtlingen mit einem längst überfälligen Urteil bestätigt. Damit wurde festgestellt, dass die Höhe der im Asylbewerberleistungsgesetz vorgesehenen Grundleistungen gegen die grundgesetzliche Maßgabe der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstößt. Bis die Bundesregierung das Gesetz geändert hat, müssen den Betroffenen sofort rückwirkend zum 1. Januar 2011 und bis zur gesetzlichen Neuregelung Geldleistungen nach Hartz IV (SGB II) bzw. Sozialhilfe (SGB XII) ausgezahlt werden. In vielen Kommunen und Landkreisen wurde das allerdings verschleppt. Im Landkreis Leipzig kam es Ende Juli zu Protesten. Die BewohnerInnen von drei Asylunterkünften boykottierten zwei Wochen

lang die Annahme von Gutscheinen. Damit wollten sie nicht nur die zügige Erhöhung der Sätze erwirken, sondern auch die Abschaffung der Gutscheinversorgung zugunsten der Auszahlung von Bargeld. Zahlreiche Menschen und Initiativen solidarisierten sich – auch praktisch in Form von Lebensmittel- und anderen Sachleistungsspenden – mit den Protestierenden, während

der CDU-Landrat unter Druck geriet. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes tastet jedoch die Option der Auszahlung der Sozialsätze in Form von Sach- statt Geldleistungen nicht an. Protest bleibt daher dringend notwendig. Die beiden Beispiele aktueller Bewegungen zeigen, dass es wichtig ist, gegen die inhumanen, ausgrenzenden Son-

derregelungen für Flüchtlinge vorzugehen. Ein zentrales Prinzip emanzipatorischer Politik ist es, sich nicht an der Verwaltung der geflüchteten Menschen zu beteiligen, sondern die Selbstermächtigung der Betroffenen zu unterstützen und ihnen als Leidtragenden der Sondergesetze die Würde zurückzugeben, die ihnen systematisch genommen wird. Juliane Nagel

hörigkeit vorzugehen. In Israel urteilt der Oberste Gerichtshof in vielen Fällen zugunsten der arabischen Israelis, aber sowohl in Israel als auch in der EU ist natürlich entscheidend, wie Gesetze und Rechtssprechung in der Praxis umgesetzt werden. Fragen von Demokratie und Teilhabe wurden auch anhand von konkreten Umfrageergebnissen diskutiert: 83 Prozent der linken Wähler und immerhin 52 Prozent des rechten Wählerspektrums sind aktuell mit der Arbeit der Regierung Nethanjahu unzufrieden. Trotzdem gilt seine Wiederwahl im Januar 2013 unter israelischen Diskussionsteilnehmern als sicher. Vielleicht erklärt sich das durch die Vertrauenswerte, die die Armee in der israelischen Bevölkerung genießt: rechte Wähler vertrauen von allen Institutio-

nen im Staat am meisten dem Militär. Und dies gilt auch für die Mitte-Wähler. Bei linken Wählern genießt das meiste Vertrauen der Oberste Gerichtshof, gleich danach, auf Platz zwei, liegt wieder das Militär. So ist es nicht überraschend, dass der Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis viele Diskussionen der Tagung überlagerte. Allerdings äußerten auch alle israelischen Teilnehmer, dass die langfristige Lösung nur der Frieden sein kann. Cornelia Ernst, Manuela Kropp

Bild Libertinus@flickr

Bewegung für die Menschenwürde

Europäisch-Israelisches Dialogforum Vom 10. bis 14. Oktober fand in Israel das Europäisch-Israelische Dialogforum statt. Gesprächspartner aus der Europäischen Union trafen sich mit israelischen Vertretern der Zivilgesellschaft, um aktuelle Probleme und politische Entwicklungen zu diskutieren. So wurde beispielsweise die Lage von Flüchtlingen und Migranten in der EU und in Israel diskutiert. In Israel leben tausende Flüchtlinge aus Schwarzafrika, viele kommen über den Landweg, die ägyptische Sinai-Halbinsel nach Israel. Eine zentrale Frage, so Asaf Weitzen von der Telefonhotline für Migranten, ist der Status der Flüchtlinge. »Vom Status hängen natürlich die sozialen Rechte ab. Die Statusfrage muss für uns ganz dringend geklärt werden.« Von den europäischen Gesprächspartnern wurde die bedenkliche Praxis

nach der Dublin-II-Verordnung erklärt, wonach Flüchtlinge innerhalb in der EU immer wieder in den Mitgliedstaat abgeschoben werden können, wo sie das erste Mal EU-Boden betreten haben. Dies führt zu großem Druck auf Griechenland und Italien, die in vielen Fällen die »Eintrittsländer« für Migranten sind. Ein weiteres Thema waren die sozialen Proteste in 2011 in Israel, die sich vor Allem gegen die gestiegenen Lebenshaltungskosten und die sich verbreitenden Armut richteten. Für junge Menschen gibt es oft nur noch prekäre Jobs und sie müssen feststellen, dass es ihnen schlechter als der Elterngeneration geht. Die Fragen von Sicherheit, Frieden und Krieg überlagern oft die politische Auseinandersetzung, so dass Themen wie soziale Sicherheit und Armut oft nicht genügend Gehör

in der politischen Elite finden, obwohl ein Drittel der israelischen Kinder und zwei Drittel der palästinensischen Kinder unterhalb der Armutsgrenze leben. Eine weitere Gesprächsrunde behandelte den Status von nationalen Minderheiten in der EU und in Israel. In Israel leben ca. 1,3 Mio. Araber, die israelische Staatsbürger sind und nach den Gesetzen gleichberechtigte Staatsbürger. Trotzdem sind sie in einigen Fällen Ungleichbehandlung und Ausgrenzung ausgesetzt. Es entwickelte sich eine spannende Diskussion unter den Teilnehmern zu Fragen der Identität und Gesetzen gegen Ausgrenzung. In der Europäischen Union gibt es seit 2000 die europäische Antidiskriminierungsrichtlinie, die die Mitgliedstaaten dazu auffordert, gegen Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Zuge-


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DIE LINKE im Bundestag

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Verbraucherinnen und Verbraucher müssen für ihren Strom immer tiefer in die Tasche greifen. Seit dem Jahr 2000 sind die Strompreise um 75 Prozent gestiegen. Ein Ende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Im kommenden Jahr steht eine weitere satte Erhöhung der Stromrechnungen ins Haus. Haushalte mit niedrigen Einkommen sind davon überproportional betroffen. Sie müssen bereits jetzt mehr als 10 Prozent ihres Budgets für ihre Strom einplanen. Zusammen mit den Heizkosten werden die Energiekosten inzwischen zur zweiten Miete. Es wird höchste Zeit, dass die Politik hier gegensteuert! Die Bundesregierung schiebt die Schuld für die hohen Strompreise auf die erneuerbaren Energien und verschweigt die Milliardengewinne der Energiekonzerne. Alleine die drei Energieriesen e.on, RWE und EnBW haben seit 2002 weit über Milliarden Gewinne eingefahren. In sieben Jahren haben sie ihre Gewinne vervierfacht und auf Kosten der Stromkunden. Anstatt nun zu überlegen, wie sie diese Selbstbedienung eindämmt, macht die Bundesregierung milliardenschwere

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Strom darf kein Luxusgut werden

Stromgeschenke an die Industrie bei den Netzentgelten, bei der EEG-Umlage und bei der Ökosteuer. Wir als LINKE wollen eine effektive staatliche Preisaufsicht einführen. Denn seit rotschwarz die Preisaufsicht 2007 abgeschafft hat, sind die Preise immer weiter

gestiegen. Immerhin schlägt Umweltminister Altmaier mehr Energieberatung vor. Gut und schön und in keinem Fall falsch. Jedoch nützt es armen Menschen wenig zu erfahren, dass ihr uralter Kühlschrank Energiefresser ist und sie sich bes-

ser ein modernes, energiesparendes Gerät kaufen sollen. Das wissen sie auch so. Aber ein neues Gerät können sie sich trotzdem nicht leisten. Konkrete Hilfe ist notwendig. DIE LINKE schlägt eine Abwrackprämie für alte Energiefresser vor. Wenn sich also

Schutz vor Piraten oder Privatisierung des Krieges? Im Kampf gegen moderne Piraterie vor dem Horn von Afrika hat sich die politische Auseinandersetzung bislang auf den Einsatz von Bundeswehrschiffen und die Frage, ob man mit Militär dem Problem beikommen kann, konzentriert. Vor kurzem nun hat die Bundesregierung einen eher unscheinbaren Gesetzentwurf zum Schutz von Handelsschiffen vor Piraten eingebracht, der einen nicht weniger wichtigen Aspekt berührt: Die Frage, ob zentrale staatliche Aufgaben von privaten Unternehmen übernommen werden dürfen. Bereits jetzt werden auf manchen unter deutscher Flagge fahrenden Schiffen private Sicherheitsfirmen eingesetzt. Dazu nutzen die Reeder eine Grauzone im deutschen Recht, das auf deutschen Schiffen gilt. Die Sicherheitskräfte müssen lediglich eine Sachkundeprüfung nach der deutschem Gewerbeordnung abgelegt haben, um auf Basis von angeblich anwendbaren Notwehr- und Nothilferechten den bewaffneten Auftrag durchführen zu können. Hier setzt der Gesetzentwurf an und will ein spezielles Zulas-

sungsverfahren für die »Sondersituation« schaffen, in der deutsche »Bewachungsunternehmen« auch fernab staatlicher deutscher Autorität auf Handelsschiffen tätig werden. Schon in seiner eigenen Logik bleibt er unzureichend. Weder die Einhaltung der Menschenrechte, noch des deutschen Waffengesetzes ist ausreichend gewährleistet, Kontrollen vor Ort sind nicht vorgesehen. Doch gravierender ist ein anderer Punkt: Das Gesetz ermöglicht eine Privatisierung staatlicher Aufgaben. Indem die Bundesregierung das Zulassungsverfahren deutscher Sicherheitsfirmen auf Handelsschiffen gesetzlich regelt, schafft sie erstmals eine rechtliche Grundlage für die Übernahme militärischer und polizeilicher Kompetenzen im Ausland durch private Firmen. Der Schutz vor Kriminalität ist auch auf See eine staatliche Aufgabe. Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen ermächtigt alle Staaten, Piraterie zu bekämpfen – Staaten, niemanden sonst! Es handelt sich bei dem Gesetzesvorhaben somit um keine Bagatelle, da es in Deutschland einen Präzedenzfall

schaffen würde. Wohin das führen kann, haben SöldnerUnternehmen wie ‚Blackwater‘ gezeigt, dessen private Soldaten im Irak im Auftrag der US-Verwaltung operierten und zahlreiche Morde an der Zivilbevölkerung begingen. Nein, zentrale staatliche Aufgaben wie der Einsatz von Militär und Polizei im Ausland dürfen nicht privatisiert werden. Sind sie erst mal der Politik entzogen und befinden sich in privater Hand, können sie ungleich schwerer politisch kontrolliert und beeinflusst werden. Als Linksfraktion im Bundestag lehnen wir den Gesetzentwurf ab.

Die Ablehnung privater Sicherheits- und Militärfirmen auf deutschen Handelsschiffen bedeutet keine Zustimmung zum Einsatz von Bundeswehr oder Bundespolizei an gleicher Stelle. Selbst der Befehlshaber der deutschen Flotte, Vizeadmiral Stricker, räumte schon 2009 ein, »militärische Mittel lösen das Piraten-Problem nicht«. Sie könnten der Politik lediglich Zeit verschaffen. Wer die Ursachen moderner Piraterie am Horn von Afrika beseitigen will, muss vor allem Armut, illegale Fischerei und Umweltverschmutzung bekämpfen. Die Zeichen sind günstig: Aus verschiedenen Gründen ist die Piraterie seit 2011 um über 50 Prozent zurückgegangen. Die wichtigste Voraussetzung für eine langfristige Lösung ist nun die Beendigung des Bürgerkriegs in Somalia. Deutschland sollte sich im Rahmen der Europäischen Union weiterhin dafür einsetzen, statt auf militärische Optionen zu setzen und mit einem untauglichen Gesetz der Privatisierung des Krieges Vorschub zu leisten. Michael Leutert, MdB, Mitglied im Haushaltsauschuss

jemand ein neues Gerät kaufen will, lohnt sich das doppelt: Für die Umwelt und für den eigenen Geldbeutel. Stromversorgung wird immer mehr eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Eine direkte Folge der Strompreisexplosion in Zeiten sinkender Reallöhne ist die wachsende Zahl von Stromsperren. Bereits jetzt gehen in 600.000 bis 800.000 Haushalten jährlich die Lichter aus, weil viele Menschen ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen können und ihr Versorger sie deshalb abklemmt. Das ist eine stille soziale Katastrophe! Deswegen fordern wir, dass die Versorgung mit Strom ein Grundrecht wird und Stromsperren endlich verboten werden. Stromversorgung muss ein Grundrecht sein. Sie gehört zum modernen und selbstbestimmten Leben dazu. Keine Bürgerin und kein Bürger darf davon ausgeschlossen werden. Die Energiewende ist wichtig und richtig. Und sie muss sozial und ökologisch gestaltet werden. Caren Lay ist verbraucherpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag und stellvertretende Parteivorsitzende

Transparente Nebeneinkünfte? Gerne, … solange es uns nicht betrifft! Das scheint das Motto der anderen Parteien zu sein, wenn es um die Nebeneinkünfte von Abgeordneten geht. CDU/CSU und FDP greifen den Kanzlerkandidaten der SPD, Peer Steinbrück, wegen seiner immensen Nebenverdienste an. Die SPD wirft Union und FDP Scheinheiligkeit vor, weil diese bislang immer gegen strengere Regeln für Abgeordnete gewesen seien, geht deshalb aber noch lange nicht mit gutem Beispiel voran. Die Grünen sind natürlich für Transparenz, nur nicht im Fall Steinbrück, das sei ja Wahlkampf der Union. Steinbrück selbst meint, totale Transparenz gebe es nur in Diktaturen. Und DIE LINKE? Die findet, dass Transparenz kein Zugeständnis der Abgeordneten, sondern ein berechtigter Anspruch der Wählerinnen und Wähler ist. Und so handelt sie auch. Michael Leutert, Sprecher der Landesgruppe Sachsen


Geschichte

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Ein würdiger Ort des Gedenkens? Am 8. Mai 2015 jährt sich die Befreiung Europas von der faschistischen Barbarei zum 70. Mal. Bei den Gedenkveranstaltungen werden nicht zuletzt auch die zahlreichen Denk- und Ehrenmale eine große Rolle spielen. Es ist auch eine Frage der politischen Kultur, wie eine Gesellschaft mit den Hinterlassenschaften ihrer Vergangenheit umgeht. Sachsen hat dabei durchaus Nachholbedarf. Ein ärgerliches Negativbeispiel findet sich im Ortsteil Nennigmühle der Erzgebirgsgemeinde Pockau. Das 1947 errichtete sowjetische Ehrenmal wurde kurz nach dem 8. Mai 2009 weitgehend zerstört. Diese Gewalttat war zugleich ein Akt der Grabschändung – denn das in Bevölkerung und Kommunalpolitik zum »Russendenkmal« degradierte Monument ist zugleich die letzte Ruhestätte von 96 sowjetischen Kriegsgefangenen, die im Lazarettlager in der nahegelegenen Nennigmühle den Tod fanden. Diese Tatsache ist allerdings nur Wenigen bekannt; umso schlimmer ist es, dass sich am schlechten Zustand des Bauwerks bislang kaum etwas geändert hat. Es ist auch auf das Engagement des Heimatforschers Ludwig Börner zurückzuführen, dass wir heute einiges über die Nennigmühle, das Lazarettlager und die dortigen faschistischen Verbrechen wissen. Das große Fachwerkgebäude nebst Grundstück, ursprünglich »Burschenheim« einer Fürsorge- und Erziehungsanstalt, wurde 1930 vom Christlichen Verein Junger Menschen (CVJM) Chemnitz übernommen. Sechs Jahre später wur-

de es an den Freistaat verkauft und anschließend durch den »Freiwilligen Arbeitsdienst« (später »Reichsarbeitsdienst«) und die ansässige Flussgenossenschaft bei Arbeiten an der Flöha genutzt. Seit 1939 gilt es als Kriegsgefangenenlager; gleichzeitig beginnen die Lücken in der Geschichtsschreibung. Sicher ist, dass es aus Arbeitslager und Lazarettlager bestand; sowjetische Kriegs-

Umbettungen. Warum aber sollte das faschistische Regime, dem auch Sowjetsoldaten als ausrottungswürdige »Untermenschen« galten, ein Lazarett einrichten, um Kriegsgefangene gesundzupflegen? In der Umgebung befand sich zudem keine größere Einsatzstätte für zwangsarbeitende Gefangene. Ludwig Börner kann Grässliches belegen. Seit 1941 erlaubte es

Röntgenuntersuchungen vorgenommen wurden. Der Sanitätsunteroffizier beobachtete lediglich den Krankheitsverlauf und führte Strichlisten über die Toten. Der bereits erwähnte Hang ermöglichte eine einfache »Beseitigung« der Leichen. Das Lager wurde kurz vor Kriegsende aufgelöst; auf dem Massengrab wurden Holzkreuze errichtet. 1947 wurden sie durch einen 4,5 Meter ho-

das Oberkommando der Wehrmacht, Kriegsgefangene für »wissenschaftliche Versuche« zu benutzen. Im etwa 50 km entfernten Niederschlema fanden nachweislich Radon-Versuche am Menschen statt; die Gefangenen wurden gezwungen, radioaktive Flüssigkeit zu trinken. Ziel war es, Schädigungen der Lunge zu erforschen. Die Opfer kamen zur Beobachtung nach Nennigmühle, wo

hen Steinobelisken mit gläsernem roten Stern ersetzt. Eingeschlagen wurden die Namen der Toten und außerdem: »Ewiger Ruhm den Sowjetbürgern, die ihr Leben für die Befreiung der Menschheit von faschistischer Sklaverei hingaben«. Zum Obelisken führte eine schlichte Steintreppe. Zwischen 1959 und 1963 wurde das Mahnmal in stalinistischem Stil ausgebaut und bis

1990 durch die Motorenwerke Zschopau und die Brigade 8. Mai des VEB Messelektronik Pockau betreut. Es wurde jährlich zu Kundgebungen und Kranzniederlegungen genutzt. Die letzte Instandsetzung liegt nunmehr fast zwanzig Jahre zurück. Die denkmalgeschützte Anlage verfällt, die Inschriften sind kaum mehr lesbar. Trauriger Tiefpunkt war die Schändung 2009. Noch ist offen, wann das Ehrenmal endlich saniert wird. 2008 hat das Landratsamt die Denkmalwürdigkeit des Ehrenmals bestätigt. Inzwischen hat die Gemeinde Pockau ein Planungsbüro mit der Umgestaltung der Anlage beauftragt; es sollen nur die zentrale Treppe und der Obelisk erhalten bleiben. Die Kosten werden mit bis zu 350.000 Euro veranschlagt. Die Zustimmung der Russischen Föderation, des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. und des Landesamts für Denkmalpflege liegen bereits vor. Eine Kleine Anfrage des Landtagsabgeordneten Klaus Tischendorf (DIE LINKE) ergab allerdings, dass die Staatsregierung nicht vor 2016 mit dem Baubeginn rechnet. Durch die geplante Neugestaltung verlöre das Mahnmal zudem seinen Denkmalwert. Es muss weiter dafür gekämpft werden, dass das sowjetische Ehrenmal in Pockau-Nennigmühle spätestens zum 70. Jahrestag der Befreiung wiederhergestellt ist und ein würdiger Ort des Gedenkens an die Opfer des großen Weltenbrands sein kann. Nicht zuletzt auch an jene 96 Sowjetsoldaten, die dort begraben liegen. Gerd Glöckner/Kevin Reißig

zur sozialistischen Marktwirtschaft entschieden ab. Der überzeugte Kommunist und Internationalist hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass ohne Zustimmung von Staatspräsident Ludvik Svoboda, Ministerpräsident Oldrich Cernik und Parlamentspräsident Josef Smrkovsky ab dem 21. August 1968 800.000 sowjetische, polnische, ungarische und bulgarische Truppen mit 7.500 Panzern, 2.000 Geschützen und 1.000 Flugzeugen in das Land einfallen und es besetzen würden. Dubcek und fünf führende Reformkommunisten wurden inhaftiert und in die Sowjetunion verschleppt. Erst nach Verhandlungen einer tschechoslowakischen Delegation

unter Leitung von Präsident Svoboda sah sich Kremlchef Breshnew am 24. August 1968 veranlasst, Cernik, Dubcek und weitere Reformkommunisten freizulassen. Auf der Grundlage des unterzeichneten Moskauer Geheimprotokolls erfolgte schrittweise die Restauration des Staatssozialismus sowjetischen Typs. Der populäre Alexander Dubcek wurde 1969als Parteichef abgesetzt und zunächst als Diplomat in die Türkei abgeschoben. Seit seinem Ausschluss aus der Partei arbeitete er als Forstarbeiter. Etwa eine halbe Millionen Kommunisten wurden aus der Partei ausgestoßen. In diesem sogenannten Normalisierungsprozess verloren je-

der zweite Journalist und ein Drittel aller Offiziere ihre Arbeit. 9.000 Hochschullehrer wurden fristlos entlassen. Das Reformprojekt hatte die Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung, es scheiterte durch die militärische Intervention. Erst in der »samtenen Revolution« 1989 kehrte Dubcek auf die politische Bühne zurück. Doch drei Jahrzehnte nach dem »Prager Frühling« waren Tschechen und Slowaken nicht mehr bereit, für einen demokratischen Sozialismus zu kämpfen. Sie entschieden sich in freien Wahlen für den Kapitalismus und auch noch für die Auflösung der CSSR in zwei souveräne Staaten. Karl-Heinz-Gräfe

Der Obelisk im Urzustand (Bild Glöckner)

gefangene schufteten in einem nahegelegenen Sägewerk. Die unweit gelegene Papierfabrik Günther & Richter unterhielt indes ein eigenes Lager. Ludwig Börner hat Totenscheine entdeckt, die belegen, dass es schon 1942 die ersten sowjetischen Opfer gab. Der Hang, auf dem heute das Ehrenmal steht, wurde zum Begräbnisort; nachgewiesen sind 91 Tote aus dem Lazarettlager und fünf

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Erinnerungen an Dubcek Vor zwei Jahrzehnten, am 7. November 1992, kam Alexander Dubcek durch einen Autounfall ums Leben. Er war eine der bedeutsamsten Persönlichkeiten in der Geschichte der Tschechoslowakei. Geboren wurde er am 27. November 1921 im slowakischen Dorf Uhrovec. Er wuchs seit dem vierten Lebensjahr in einer Kolchose in Kirgisien auf, denn seine Eltern wollten als überzeugte Sozialisten beim sozialistischen Aufbau in der UdSSR helfen. Als er mit 17 Jahren in seine Heimat zurückkehrte, war Nazideutschland gerade dabei, die Tschechoslowakei zu zerstören. Als junger Kommunist nahm er am antifaschistischen Widerstand gegen die deut-

schen Okkupanten teil und stieg nach dem Krieg vom 1. Bezirkssekretär (1950) bis zum Parteichef der Slowakei (1963) auf. Er gehörte in dieser Zeit zu den herausragenden Reformkommunisten, die im am weitesten entwickelten osteuropäischen Land den Versuch unternahmen, den Staatssozialismus sowjetischen Typs in einen demokratischen Sozialismus mit menschlichen Antlitz umzubauen. Zunächst mit Zustimmung Moskaus wurde er am 5. Januar 1968 Erster Sekretär der KPC und stand damit an der Spitze der sozialistischen Erneuerung. Doch die sowjetische Führung lehnte seit Frühjahr 1968 den Weg einer Demokratisierung und den Übergang


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Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Termine Leipzig, 6. November, 18 Uhr Buchvorstellung, Lesung »Schlafende Hunde II - politische Lyrik« Es lesen: Roland Erb, Andreas Reimann und Christel Hartinger Eine Veranstaltung der Freitagswerkstatt im Dialog e.V. in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 7. November, 19 Uhr Vortrag und Diskussion VERANSTALTUNGSREIHE : Seitenwechsel „Angriff von Rechtsaußen“ Mit Ronny Blaschke, freier Autor Eine Veranstaltungsreihe der Volkshochschule, der Antifaschistischen Fußball-Fan-Initiative Chemnitz, Different People e.V., des Fanprojekts der AWO und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. tietzCafé, 3. OG, Moritzstraße 20, 09111 Chemnitz Seit vielen Jahren bemüht sich die rechtsradikale Szene, bei den Fußballfans Einfluss zu gewinnen - zuweilen mit Erfolg: NPD-Mitglieder rekrutieren Nachwuchs in der Anhängerschaft des 1. FC Lok Leipzig, oder in Dortmund gibt es Überschneidungen zwischen Autonomen Nationalisten und Fanszene. Dass bei Teilen der Fans rechtsextreme Einstellungen verwurzelt sind, zeigt sich, wenn rassistische, antisemitische oder schwulenfeindliche Parolen angestimmt werden. Ronny Blaschke stellt den »Angriff von Rechtsaußen« dar Dresden, 7. November, 19 Uhr Vortrag und Diskussion Veranstaltungsreihe: Perspektiven des Postkapitalismus. Eine Spurensuche Alternativen zum Kapitalismus. Eine Spurensuche Kommunismus oder Commonismus Mit Stefan Meretz, Dr.-Ing., Dipl.-Inform., u.a. Blogger auf keimform.de., Berlin WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Sind Commons die zeitgemä-

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dres-

ße Form, die Eigentumsfrage zu stellen und im 21. Jahrhundert zu beantworten? Was ist unter Commons zu verstehen? Ist es nur eine neue Form alte Fragen zu stellen oder geht es mit den Commons tatsächlich auch um einen neuen Inhalt? Müssen sich die Linken auf etwas Neues einlassen, oder wissen sie es wie eh und je schon besser? Ist das Commons-Konzept als emanzipatorische Perspektive denkbar, ist es gesellschaftlich verallgemeinerbar? Zwickau, 13. November, 18 Uhr Vortrag und Diskussion Fankulturen im Fußball zwischen Panikmache und notwendiger Konfliktschlichtung Mit Gerd Dembowski, Sozialwissenschaftler, Kompetenzgruppe Fankulturen an der Universität Hannover, Rainer Kallweit, Leiter des Ordnungsamtes der Stadt Zwickau, weitere VertreterInnen aus Sport wie z.B. dem FSV Zwickau und Politik wie z.B. Vertreter der CDU-Stadtratsfraktion sind angefragt Moderation: René Hahn, Stadtrat in Zwickau Kooperationspartner: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Mali - Haus der Begegnungen, Marienthaler Straße 164b, 08060 Zwickau

on, Sven Forkert, Geschäftsführer des Landespräventionsrates Sachsen (angefragt), Tilo Kießling, sportpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Stadtrat Dresden und Torsten Rudolph, Fanprojekt Dresden e.V. Moderation: MdL Verena Meiwald, sportpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Kooperationspartner: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Haus der Kreuzkirche - Rudolf Mauersberger Saal, An der Kreuzkirche 6, Dresden ebenfalls in Leipzig, 15. November, 18 Uhr Aula Alte Nikolaischule, Nikolaikirchhof 2, 04109 Leipzig

Dresden, 14. November, 19 Uhr Vortrag und Diskussion „Fankulturen im Fußball zwischen Panikmache und notwendiger Konfliktschlichtung“ Mit Gerd Dembowski, Sozialwissenschaftler, Kompetenzgruppe Fankulturen an der Universität Hannover, Thilo Alexe, Sächsische Zeitung, Mitautor: Das Dresdner Stadi-

Leipzig, 16. November, 10.00-17.30 Uhr, Seminar, „Die europäische Rechte – aktuelle Befunde und Analysen“ Mit u.a. Prof. Dr. Lothar Bisky, Abgeordneter im Europaparlament; Marika Tändler, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Europaparlament, Brüssel; Friedrich Burschel, Referent für Neonazismus und Strukturen/Ideologien der Ungleichwertigkeit bei der RLS, Berlin, Mirko Fische, INEX, Leipzig; Prof. Dr. Matthew Goodwin, Politikwissenschaftler, Nottingham; Thilo Janssen, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Europaparlament, Brüssel; Volkmar Wölk, Publizist, Grimma; Prof. Dr. Peter Porsch, Germanist, Klinga; Dr. Cornelia Ernst, Abgeordnete im Europaparlament und Juliane Nagel, Mitarbeiterin einer Europaabgeordneten, Leipzig Eine Veranstaltung der Büros von MdEP Prof. Dr. Lothar Bisky und MdEP Dr. Cornelia Ernst in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig In zahlreichen europäischen Ländern sind rechtspopulistische und extrem rechte Akteure auf dem Vormarsch. Dies drückt sich z.B. in Österreich, Frankreich oder Ungarn auch in Wahlergebnissen aus und teilweise in Regierungs-

den Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer

Auflage von 16050 Exemplaren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig, Rico Schubert (V.i.S.d.P.) Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84 38 9773 Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Redaktionschluß: 22.10.2012 Die nächste Ausgabe er-

Dresden, 13. November, 18 Uhr JUNGE ROSA speziell für Jugendliche und junge Erwachsene „Prekäre Arbeitsverhältnisse in Deutschland“ Vortrag und Diskussion Mit Steffen Juhran, Leipzig WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

beteiligungen aus. Bei allen Unterschieden ist die Hetze gegen Minderheiten oder gegen demokratische Prinzipien eine gemeinsame Basis. Auch im Europaparlament sind VertreterInnen extrem rechter oder rechtspopulistischer Parteien mit einer Fraktion und einzelnen Abgeordneten vertreten. Wobei sich diese in der Vergangenheit eher durch Streitigkeiten als konzertierte politische Aktionen exponierten. Im Tagesseminar »Die europäische Rechte – aktuelle Befunde und Analysen« soll sich der Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden der extremen und populistischen Rechten in Europa genähert werden. Dabei wird sowohl ihr Auftreten im Parlament als auch im außerparlamentarischen Raum betrachtet und die Frage Strategien im Umgang demokratischer AkteurInnen mit den rechten ProtagonistInnen gestellt. Leipzig, 26. November, Montag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion „Strenge Methodik: Nietzsches Leipziger Philosophie-Studien“ Mit Dr. Carol Diethe, Ideengeschichte und Germanistik, London In Zusammenarbeit mit der Luise-Otto-Peters-Gesellschaft Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 26. November, 19 Uhr „Wie man Neonazis kritisieren sollte und wie besser nicht. Zum Elend der Kritik am (Neo-)Faschismus“ Vortrag und Diskussion Mit Freerk Huisken TU Chemnitz , 09126 Chemnitz, (Raum wird noch bekannt gegeben unter: http://bildungskollektiv.blogsport.de) Eine Veranstaltungsreihe vom Studentenrat (StuRa) an der TU Chemnitz und dem RosaLuxemburg-Club mit Unterstützung des Regionalbüro Chemnitz der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen Demokraten aus Politik und Öffentlichkeit können Rechtsextremismus und (Neo-)Faschismus nicht kritisieren. scheint am 29.11.2012. Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand. Abo-Service 0351-84389773 Konto: KontoNr. 3491101007, BLZ 85090000, Dresdner Volksbank Internet www.links-sachsen.de

Wie sollten sie auch den Nationalismus deutscher Bürger angreifen, wenn diese patriotische Gesinnung für sie doch eine zentrale Produktivkraft ihrer demokratischen Herrschaft darstellt. Dafür grenzen sie den (Neo-) Faschismus aus, kriminalisieren ihn und erörtern erneut das Parteienverbot. Auch die linke Antifa tut sich schwer mit der Kritik am NeoFaschismus und Rechtsextremismus. Besonders dann, wenn neue Faschisten eine Kritik am Kapitalismus vortragen, fällt vielen Antifaschisten oft nur ein, dass sich hier »Wölfe« mit »Schafspelzen« verkleidet hätten. Leipzig, 27. November, 18 Uhr Buchvorstellung und Diskussion »Das angemessene Fragen nach dem Menschsein. Das Menschenbild der Philosophischen Anthropologie und der Existenzphilosophie im Vergleich.« Nachholtermin für den Ausfall am 26. Juni Mit Prof. Dr. Horst Pickert, Leipzig Moderation: Prof. Dr. KarlHeinz Schwabe Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 27. November, 18 Uhr Buchvorstellung und Lesung »Er war doch nur eine neunjähriger Junge: Hans Richard Levy« und Lesung aus den Aufzeichnungen von Gertrud Sandmann Mit den Autoren Torsten Schleip und Richard Gauch Moderation: MdB Daniela Kolbe, stellvertretende Vorsitzende des Kuratoriums der Bundeszentrale für politische Bildung Audimax, HTWK, GeutebrückBau, Karl-Liebknecht-Straße 132, 04277 Leipzig Dresden, 28. November, 19 Uhr Vortrag und Diskussion Zwischen Skylla und Charybdis - Griechenland in der Krise Mit Efstathios Soudias, Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden In Athen brennen Gebäude. Hunderte, tausend Menschen jeden Alters sind auf der Straße. Die deutsche Kanzlerin wird mit Naziuniform karikiert. Was ist los in Griechenland? Welche Auswirkungen haben Finanz und Wirtschaftskrise auf das Land? Wohin steuert die Europäische Union? Und, was geht das alles uns an?


Essay

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Keine Illusionen Erstmals 1933 erschienen, bleibt der Roman »Miss Lonelyhearts« von Nathanael West ein ziemlich verstörendes Meisterwerk moderner amerikanischer Literatur. Ein namenloser Kolumnist schreibt in einer Zeitungskolumne Hinweise und Ratschläge zum modernen Leben. Doch irgendwann wird es ihm zu viel, er zerbricht förmlich unter der Unzahl an Briefen, die teils unvorstellbares Leid, teils alltägliche Probleme beschreiben. Er findet keine Antworten mehr: Was soll er dem Jungen sagen, dessen Onkel die behinderte Schwester missbraucht? Oder dem Mädchen, das ohne Nase geboren wurde? Der Roman steigt ein, als er bemerkt, dass er es nicht mehr schafft, zu heucheln und zu bluffen. Sein Versuch, mithilfe der Religion Antworten zu finden, misslingt; er stürzt sich in romantische Affären, in die Kunst und in die Gewalt – und schließlich in den Alkohol. Es endet in Wahnsinn und Tod, hervorgerufen durch seine eigene spirituelle Leere. Sein »Christus-Komplex« kos-

tet ihn das Leben. Er macht sich ernsthafte Gedanken, wie man das moralische Dilemma löst, tröstend auf menschliches Leid einzugehen – und scheitert. Scheitert auf der ganzen Linie, denn indem er beispielsweise zunächst in einer Art »Nächstenliebe« mit einer Briefschreiberin schläft, obwohl sie ihn anwidert und er sie entsprechend beim nächsten Mal wegstößt und sogar verprügelt, stürzt er nicht nur sich – der Mann der Briefschreiberin will ihn dann erschießen – sondern auch das Paar noch mehr ins Unglück. Das schwierigste war wohl die Erzählweise, verstirbt doch der namenlose Kolumnist am Ende des Buches, es ist aber aus der Ich-Perspektive geschrieben. Auch deswegen hat West an dem schmalen Buch über vier Jahre geschrieben. Als Hotelmanager soll er angeblich auch Briefe seiner Gäste gelesen haben. Aber insbesondere dass er 1929 einige Briefe an die tatsächliche »Susan Chester«, das Vorbild der »Miss Lonelyheart«, lesen konnte, versorgte ihn mit ausreichend Material für den schmalen Roman. Verschiedene Kapitel erschienen zunächst als Fortsetzungsroman in verschiedenen Zeitschriften, der komplette Roman erschien 1933 bei Horace Liveright, New York. Leider ging der Verlag noch während der Auslieferung der

ersten Exemplare pleite, sodass nach positiven Besprechungen keine Bücher mehr verkauft wurden. Immerhin gelang es West, die Rechte aus der Konkursmasse zu retten, aber die Nachauflage bei Harcourt ein Jahr später kam zu spät, das Interesse war erloschen. Schade, denn es handelt sich um ein klassisches amerikanisches modernes Meisterwerk. »Miss Lonelyhearts« wurde viermal unter verschiedenen Namen verfilmt, am bemerkenswertesten vielleicht in der Version mit Montgomery Clift als »Adam

White« in der Version von 1959. Nathan Wallenstein Weinstein wurde 1903 in New York als Sohn jüdischer Immigranten aus Russland geboren. 1926 änderte er seinen Namen in Nathanael West. In seinem kurzen Leben, er starb 1940 bei einem Verkehrsunfall auf dem Weg zur Beerdigung seines Freundes F. Scott Fitzgerald, schrieb er nur vier Romane, aber eine Unzahl an Drehbüchern für die Traumfabrik Hollywood. Die Romane zeigten, vielleicht genauso wie die seines Freundes Fitzgerald, die düstere, trübe Seite des

sogenannten Amerikanischen Traumes. »Miss Lonelyhearts« und der unvollendet gebliebene »The Last Tycoon” von F. Scott Fitzgerald blieben daher vielleicht die finitiven Romane, die das Amerika der Depression beschrieben. Der ManesseVerlag bringt 50 Jahre nach der letzten deutschen Ausgabe eine Neuübersetzung mit einem großartigen Nachwort von Dieter E. Zimmer heraus – das ist nicht genug zu würdigen. Rico Schubert Nathanael West: Miss Lonelyhearts. Manesse Verlag, 19,95 Euro.

Bild: Montgomery Clift als Adam White, Filmstill

»Miss Lonelyhearts« als Spiegel des Amerikas der Depression

Kaltland: Gelungene Aufhellungen »Alles, was man gemeinhin Vergangenheit nennt, ist im Grunde nur eine leiser und dunkler gewordene Art von Gegenwart.« (Gertrud von Le Fort )

Oder: Vergangenheit ist das, was gestern noch war und vorgestern die Ohren von Zukunftshörern erreichte. Die Wende und Nachwendezeit in Deutschland waren – so suggerieren es Politik und Massenmedien – eine fröhliche, schillernde und revolutionäre Zeit, mit glücklichen Menschen und frei von Diskriminierung, Problemen und nationalistischer Vergangenheit. Jeder kennt die Bilder kurz nach dem Mauerfall: Trabis, die an jubelnden Menschenmassen vorbeifahren, überall nur Freude, Freunde und Zusammengehörigkeit. Dieses Gefühl wurde später durch Sätze wie »Wir sind Papst«, »Wir sind EIN Volk« oder »20 Jahre Mauerfall – Eine Erfolgsgeschichte« ver-

stärkt. Doch inwieweit wird den Menschen etwas vorenthalten? Und inwieweit ist wirklich alles schön, nachdem die Mauer weg ist? Es gibt sehr viele Bücher, die die Wendezeit genau beleuchten, Meinungen wiedergeben, die man so schon gefühlte tausendmal gehört hat. Doch das Buch »Kaltland« von den Herausgebern Karsten Krampitz, Markus Liske und Manja Präkels nimmt hier eine Monopolstellung ein. 42 Autoren – darunter Musiker, Titanic-Politiker, aber auch Unbekannte – setzen die Schreibgeräte an und öffneten verschlossene Wunden, die es für viele nicht gibt, weil es sie nicht geben darf. Die Geschichten, die in »Kaltland« erzählt werden, sind teils erschreckend ergreifend, und an anderen Stellen kann man schmunzeln über Sätze »Guck mal, die haben sogar ihren Trabant an der Bushaltestelle geparkt. Weißt du war-

um? Weil sie denken, dass das Freiheit ist«. Die neugewonnene Freiheit der ehemaligen DDR-Bürger wird aber nicht, wie in anderen Romanen, zum Hauptthema erklärt, sondern die kleinen und großen neuen und alten Probleme stehen im Mittelpunkt der Betrachtung. Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen sind einigen zwar noch ein Begriff, aber auch diese Erinnerungen verblassen, ganz zu schweigen davon, dass weder Opfer noch Täter bisher näher beleuchtet wurden. Diese Lücke schließt unter anderen Jochen Schmidt mit seinen Text »Im Sonnenblumenhaus«, aber auch andere Autoren erzählen die kleinen und großen Geschichten von rechtsradikalen Übergriffen. Andreas Marneros berichtet in seinen Kurzgeschichten, die unter der Überschrift »Neun Mörder in neun Wochen« stehen, über verschiedene »Vollen-

dete und unvollendete Morde«. Diese Erzählungen richten den Blick auf die Täter und ihre Beweggründe. In diese Reihe lässt sich auch »Daniel« einreihen, der »alle Juden vergasen [will]«. Doch wie kommt es, dass »Daniel« so etwas machen will? Genau das beleuchtet Marneros in seinen Geschichten, und Daniel will nicht nur alle Juden töten, sondern auch »alle anderen körchlichen Leute« vergasen. »Aber wer bleibt denn übrig in Deutschland, wenn wir die Juden, die Katholiken und die Protestanten vergasen und die Ausländer rauswerfen?« – »Was weiß ich«, ist Daniels‘ Antwort. »Es soll eben wieder so sein, wie es zu DDRZeiten war«. Diese erschreckenden Worte zeigen eine Denkart, die man nur schwer nachvollziehen kann. Aber Marneros versucht die Täter nicht nur in all ihren Facetten zu erfassen, sondern will sie auch aufklären, wobei Daniel

nur ein Beispiel für rechtsradikales Denken ist. Über diese und andere verklärt wirkende Weltanschauungen gibt es viele Kurzgeschichten in diesen Buch. Wer einen Einblick in die zweite Wahrheit der Nachwendezeit – neben den Freudentaumel der Menschen – erhalten möchte, sollte sich dieses Buch unbedingt vormerken. Der Wechsel zwischen den Autoren, die mit unterschiedlichen Geschichten und Sichtweisen auftrumpfen, ist perfekt gelungen und es ergibt sich trotz differenzierter Betrachtungsweisen ein gelungenes Bild auf diesen Schatten Deutschlands, der noch lange nicht ausreichend mit Licht erhellt wurde. Anja Zendlowski Karsten Krampitz, Markus Liske, Manja Präkels (Hrsg.). Kaltland. Rotbuch Verlag, 1. Aufl., broschiert, 256 Seiten. 14,95 Euro.


Kultur

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Vom Traumtänzer zum Friedensengel Cat Stevens, Jussuf Islam, zwei Namen stehen für die Liebe zum Leben Steven Demetre Georgiou wurde am 21. Juli 1948 in London-Hammersmith geboren. Sein Vater stammte aus dem griechischen Teil Zyperns und seine Mutter aus Schweden. Aufgewachsen ist Cat Stevens – wie er später genannt wurde – in London Westend zwischen vergammelten Hinterhäusern und grellen Leuchtreklamen zwielichtiger Bars. Schon sehr früh versuchte er, seiner widersprüchlich erscheinenden Umwelt zu entkommen, zog sich in sein Kinderzimmer zurück und widmete sich dem Zeichnen von Karikaturen. Dieser Entwicklung war es zu verdanken, dass er im Alter von 16 Jahren des Hammersmith College besuchte, dieses jedoch nach einem Jahr enttäuscht wieder verließ. Zuviel Theorie. Seine Aufmerksamkeit galt immer mehr der Musik. Seine ersten Konzerte als Sänger bestritt er in kleinen Folkclubs in Soho. Er sang die Lieder von Bob Dylan, John Lee Hooker und den Beatles nach und gründete mit Freunden die Gruppe „Jas-Trim“, die er jedoch bald wieder auflöste. Er beschloss solistisch weiterzumachen, die Gitarre beherrschte er schon wie ein Alter.

1965 spielte er in einem Tonstudio zwei eigene Lieder ein, um sie als Demomaterial für Werbezwecke zu verbreiten. Als sein älterer Bruder die hörte, fühlte dieser sich veranlasst, einen Musikverlag aufzusuchen, denn er spürte wohl genau, welches Talent in Steven schlummerte. Es entstanden mehrere Aufnahmen, und ein Liveauftritt im Radio Luxemburg folgte. 1966 schließlich erschien nach langem Hin und Her die erste Single „I love my dog“, die zum Hit werden sollte, und ein Jahr später die Langspielplatte „Matthew and Son“. Sie bestand fast nur aus Liebesliedern, doch auch sozialkritische Aussagen blieben nicht aus, wie etwa im Titelsong, der die fatale Situation der Fabrikarbeit in Großbritannien jener Zeit beschrieb. Die Platte hatte sehr großen kommerziellen Erfolg, und Cat Stevens musste in kürzester Zeit eine zweite einspielen. Rasch wurde ihm jedoch bewusst, dass die Plattenfirma DERAM ihn als schillerndes Popsternchen verhökern wollte und er als kreativer Künstler unter diesen Umständen nicht die geringste Chance mehr bekommen würde, seine eigenen Ideen realisieren zu können. Die Arrangements seiner Lieder waren derart mit lauten Blasinstrumenten und kitschigen Streicheffekten überladen, dass er seine Songs kaum wiedererkannte. Man jagte ihn zudem förmlich von einem Kurzauftritt im TV zum nächs-

ten Promotiongig. Er begann maßlos zutrinken, rauchte viel und aß kaum noch. Der körperliche und psychische Zusammenbruch ließ nicht lange auf sich warten. Er erkrankte im Jahr 1968 schwer an Tuberkulose. Während des folgenden Klinikaufenthaltes wurde ihm klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Im ruhigen Ambiente, umgeben von stiller Natur, begann er neue Texte zu schreiben und komponierte rund dreißig Songs, die nach seiner Genesung bei Island Records auf drei nacheinander folgenden Schallplatten erschienen. Endlich war er wieder er selbst. Die erste Platte „Mona Bone Jakon“ kam 1970 auf den Markt und wurde von den Kritikern und Fans bejubelt. Sie

enthielt wahre Ohrwürmer, „Lady D‘Arbanville“ sei als Beispiel genannt. Diese neuen Songs klangen sehr poetisch, und die Begleitband setzte auf Minimalismus. Auch auf den folgenden Alben „Tea for the Tillerman“ und „Teaser and the Firecat“ verzichtete er auf große Besetzungen. Sein Anliegen war ein tief humanistisches. Er war kein Rebell seiner Zeit wie Bob Dylan, obwohl sich einige Titel gegen die Machtpolitik des Kapitalismus richteten, wie „Peace Train“ oder „Father and Son“, aber seine Lieder erreichten all die, die sich eine gewisse Sensibilität bewahrten. Er wurde zum „King“ der leiseren Töne. Doch dann kam es zu einem neuen Bruch mit der Musik. Er hatte zu Gott gefunden,

konvertierte zum Islam und widmete sich von nun an nur noch karikativen Zwecken (etwa dem Einsatz für Kinder von Kriegsopfern). Er gründete mehrere Schulen und wurde Vorsitzender der Hilfsorganisation „Small Kindness“. Wie groß war dann die Überraschung, als Cat Stevens nach 25 Jahren Abstinenz mit den Namen Yussuf erneut die Bühne betrat. Seine neue CD „An Other Cup“ erschien 2006. 2009 folgte das großartige Album „Roadsinger“, das bewies, dass der Sänger und Musiker nichts an Intensität und Charme verloren hat. Nicht nur ich würde mich freuen, von diesem sensibelsten Chansonnier seiner Zunft noch mehr hören zu können. Jens-Paul Wollenberg

Israelische Soldaten berichten über ihr Tun in den Besatzungsgebieten Es sind Bilder, wie man sie selten im deutschen Fernsehen sieht und Worte, wie man sie sonst kaum hört. »Araber ins Gas« steht da an den Wänden im besetzten Gebiet. Man sieht kleine jüdische Mädchen, die mit Steinen erwachsene Palästinenser angreifen und dabei rufen: »Kein Palästina! Schlagt die Araber tot!«. Junge, intelligente, aufgeklärte israelische Soldaten aus Tel Aviv oder Haifa sind darüber wohl genauso geschockt wie wir, wenn wir das erste Mal davon hören. Es hat lange gedauert, bis eine Ausstellung, die 2004 in Tel Aviv für Furore sorgte, endlich den Weg nach Berlin ins Willy Brandt-Haus fand – und sie ist es wert, nach Leipzig und Dresden geholt zu werden, das sei an dieser Stelle gleich gesagt. Woraus besteht also die Aus-

stellung? Sind es etwa erschütternde Szenen, wie sie der aufmerksame Internetnutzer sieht, der nicht-westliche arabische Homepages besucht und dort ganz andere Bilder bekommt als die, die von Israel aus für gewöhnlich in die westliche Welt geschickt werden? Nein, man sieht keine halbtot gefolterten blutüberströmten Gefangenen – aber man hört die Knochen brechen, wenn die Soldaten davon berichten: Ruhig, inzwischen längst nicht mehr anonym, sondern offen vor der Kamera. Es gibt viele solcher Videos. Soldaten berichten von ihrem normalen Einsatz in den besetzten Gebieten. Das Grauen, das man nicht sieht, aber erzählt bekommt, das Grauen über ein Besatzungsregime, das sich gegen alle Araber wendet, mit dem Ziel, sie durch Alltagsterror zu vertreiben. Es geht eben nicht um Israels Sicherheit. Es geht

schlicht und einfach um Vertreibung durch Gewalt, wie sie dauerhaft seit Jahrzehnten in Nahost stattfindet und offiziell in westlichen Medien totgeschwiegen wird. Jetzt brechen junge Soldaten und Offiziere endgültig das Schweigen mit ihrer Initiative »Breaking the silence«. Es wird das Interesse geweckt, die Lage in Nahost wirklich zu verstehen, und man erfährt Hintergründe – am Beispiel der Geschehnisse an einem Ort: Hebron, mit 180.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Palästinas, in der sich 800 Siedler widerrechtlich im Zentrum niedergelassen haben und von 600 Soldaten geschützt werden. 1994 begann der israelische Besatzungsterror im Anschluss an das so genannte, in Israel gut bekannte »Goldstein-Massaker«. Baruth Goldstein erschoss 29 Palästinenser und verletzte 150, bevor er selbst getötet wurde – da-

raufhin setzten ihm die Siedler von Hebron ein Denkmal mit der Inschrift: »Hier ruht der Heilige Dr. Baruch Kappel Goldstein, gesegnet sei das Andenken dieses aufrichtigen und heiligen Mannes, möge der Herr sein Blut rächen, der seine Seele den Juden, der jüdischen Religion und dem jüdischen Land geweiht hat. Seine Hände sind unschuldig und sein Herz ist rein. Er wurde als Märtyrer Gottes am 14. Adar, Purim, im Jahre 5754 (1994) getötet«. Das Denkmal wurde 1999 von der israelischen Armee zerstört – doch für die Siedler, oft radikale orthodoxe Juden, die überaus rassistisch agieren, bleibt er ein großer Held. Die Ausstellung zeigt auf den Bildern und in den Aussagen der Soldaten, dass immer mehr junge Israelis bereit sind, nachzudenken. Junge Männer wollen sich offenbar nicht länger von radikalen Siedlern in kürzester Zeit zu Verbrechern

machen lassen. 54 Armeeangehörige, die in Hebron stationiert waren, taten sich zusammen und beschlossen 2004, Hebron mit einer Ausstellung nach Tel Aviv zu bringen. Seitdem gab es 350 Touren und Vorträge im In- und Ausland. Während der Berliner Ausstellung waren Gespräche mit israelischen Offizieren möglich, die die Ausstellung begleiten. Außer Videos (einsehbar unter www. videos.medico.de) und Fotos gibt es auch ein Buch, in dem man die Berichte nachlesen kann: »Breaking the silence« erschien beim ECON-Verlag und kostet 20 Euro. Die ehemaligen und aktiven Soldaten wollen nicht über Gut und Böse reden, sondern sie möchten einfach, dass man zuhört und erfährt, was sie im Namen des Staates Israel getan haben. Mehr nicht. Ralf Richter

Cat Stevens in Böblingen, 1976 Bild Wikimedia

Breaking the silence“


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