OBM-Wahl in Leipzig
Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Dezember 2012
Der Leipziger Oberbürgermeister-Wahlkampf läuft gefühlt schon eine Ewigkeit – auch wenn er eigentlich gerade erst so richtig losgeht. In bestimmten Stadtteilen ist der Ausspruch »Da macht Horst wieder Wahlkampf« beim Anblick einer der häufigen »verdachtsunabhängigen Personenkontrollen« schon so alltäglich, dass sich sein Zynismus abgetragen hat. Tatsächlich herrscht unter Linken in der Zivilgesellschaft ernsthaft Sorge vor dem Tag, an dem Law and Order ins Leipziger Rathaus einziehen könnten. Eigentlich schon seit der ersten Komplexkontrolle im Sommer 2011 kursierten relativ offen Vermutungen, dass die CDU bzw. ihr in Sympathie verbundene Erfüllungsgehilfen hier die Stadtgesellschaft für den Auftritt ihres OBM-Kandidaten sturmreif schießen. Damals galt Bernd Merbitz selbst als der wahrscheinliche Kandidat. Die Chuzpe, selbst anzutreten, hätte Wawrzynski noch niemand zugetraut. Dabei war er längst dafür berüchtigt, sich gerne und auslassend zu »ordnungs- und sicherheitspolitischen« Themen zu äußern, allen voran zur Drogenpolitik der Stadt, die er etliche Male öffentlichkeitswirksam attackieren konnte. Adjutiert wurde er dabei zuverlässig und engagiert durch mehrere, seitenfüllende Interviews in Bild und LVZ. Dort konnte die geneigte Leserschaft etwa von einem »Drogenfall« in Wawrzynskis Verwandtschaft erfahren, davon, wie die Stadt »ihn« (d. h. die Polizei) vom drogenpolitischen Arbeitskreis ausschließe, sowie den Grund für seine chirurgische Gesichtshautstraffung zum Auftakt seiner Kampagne. Wawrzynski war immer da, wenn es darum ging, Dinge zu skandalisieren und die erregte Bürgerseele zu streicheln. Als etwa aufgebrachte Einwohnerinnen und Einwohner gegen die Unterbringung von Geflüchteten in ihrem Stadtteil mobil machten, war der Polizeipräsident der Stadt Leipzig zur Stelle, um sich für runde Tische anzudienen. Ebenso lieferte er wunderbar griffige Parolen,
die die Sorgen und Ängste der Leipziger aufgriffen: Die Kriminalität, die in Leipzig so furchtbar hoch liegt und über die es sich so gut erschauern lässt in der guten Stube bei der Sonntagszeitung – Produkt der laschen Drogenpolitik der Stadt! Diesem Versagen setzte der tatkräftige Polizeipräsident nun endlich etwas entgegen: seine stadtweiten, ungezielten Großeinsätze (»Komplexkontrollen« genannt), die öffentlich Präsenz beweisen wollten und hundertschaftenweise Beamte damit beschäftigten, mangelnde Fahrradbeleuchtung, Verkehrssünden oder Kleinstmengen illegalisierter Substanzen zu ahnden. Drei Tütchen Gras wurden da in polizeilichen Pressekonferenzen schnell zum erfolgreichen Schlag gegen die »Drogenszene« – ungeachtet, ob überhaupt Strafverfahren im Anschluss stattfanden oder aufgrund der geringen Menge eingestellt wurden. Ganze Stadtteile verwandeln sich in polizeiliche Sonderzone, wenn Wawrzynskis Wahlhelfer in grün ausrücken, um ein Wohnhaus im alternativen Kiez Connewitz zu durchsuchen. Erklärtes Ziel war dabei, »das Sicherheitsgefühl der Leipziger Bevölkerung zu stärken« – nicht etwa, die immer gerne angeführte Kriminalstatistik positiv zu beeinflussen. Der Wahlkampf um das Leipziger Rathaus ist seit anderthalb Jahren auf den Straßen von Leipzig und in der Lebensrealität vieler Menschen spürbar, die sich hier gewisse kulturelle Freiräume erstritten haben und das Bild Leipzigs damit prägten. Relativ ungeniert konnte Wawrzynski die Jahre, die er als Angestellter des sächsischen Innenministeriums verbrachte, dafür nutzen, sich als politischer Akteur zu profilieren und »aus Polizeisicht« auf städtische Politik einzuprügeln. Diese gewisse Outsider-Rolle, sein Ruf als »Starker Mann« und seine offene Forderung nach Law and Order machen ihn aus Sicht Vieler gefährlich. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, linke Ansätze offensiv in den Wahlkampf zu tragen und den ressentimentgetragenen Antworten eines Horst Wawrzynski klare Absagen zu erteilen. Steffen Juhran
Links! im Gespräch
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»Die Spielekultur der DDR ist eigentlich völlig unbeleuchtet«
Herr Thiele, Ihre Ausstellung ist noch bis Januar in der Dresdner Johannstadthalle zu sehen. Wie ist die Idee entstanden? Wir hatten anfangs gar nicht gedacht, dass das alles so weit gehen würde – mit Ausstellungen, mit unserem Blog. Das ist während einer Spielerunde aus einer fixen Idee entstanden, als mein Partner und ich überlegt haben, was eigentlich unsere Eltern damals so gespielt haben. Da haben wir beide festgestellt, dass wir nachgebastelte Spiele hatten, als wir noch klein waren, zu DDR-Zeiten. Teilweise waren die auch noch da, und wir haben uns entschlossen, rumzufragen, ob es noch weitere solche Spiele-Unikate gibt, die in der DDR handgemacht wurden. Wir haben kurzerhand einen Blog ins Leben gerufen und dann innerhalb kurzer Zeit tatsächlich viele Zuschriften bekommen. Sie haben dann angefangen, diese Spiele zu sammeln. Wie viele sind es jetzt insgesamt? Zunächst war noch gar nicht daran zu denken, dass daraus eine Forschung zur Alltagskultur der DDR werden würde. Wir wollten mit einer kleinen Sammlung beginnen, vielleicht ein paar Bilder schießen. Innerhalb kürzester Zeit hatten wir dann einige Spiele zusammen, und mit den Presseberichten kamen immer mehr dazu. Momentan haben wir 123 Spiele in unserer Sammlung, dazu eine Menge an dokumentarischem Material – handgeschriebene Aufzeichnungen über Spiele, Fotos, Audiobeiträge, Videos und sogar eine Stasi-Akte zu einem der Spiele. Haben Sie die Menschen, die Spiele zur Verfügung
Foto Kerstin Meißner
Familienleben wird auch von den gesellschaftlichen Umständen geprägt. Ein Bereich, an dem das gut nachvollzogen werden kann, sind Gesellschaftsspiele. Martin Thiele (im Bild links) und Michael Geithner haben es sich zur Aufgabe gemacht, Gesellschaftsspiele aus ihrer Kindheit zu sammeln und zu bewahren. Ihre Ausstellung »Nachgemacht – Spielekopien aus der DDR« zeigt Spiele, die damals nachgefertigt wurden – oft nach westlichem Vorbild. Ihre Premiere erlebte sie im Spielemuseum Chemnitz. »Links!« sprach mit Martin Thiele (27) über das Projekt und die Spielekultur der DDR. gestellt haben, auch getroffen? Es geht ja sicher um ganz persönliche Erfahrungen, wenn sogar die Stasi involviert war. Die Spiele sind der Zugang zu den Leuten gewesen. Wir legen einen großen Fokus auf die einzelnen Personen, und wir würden über die Spiele gern etwas zu ihrer persönlichen Geschichte erfahren. Man trifft so zum Beispiel ein junges Mädchen, das damals ein Spiel gebastelt und damit ihre persönlichen Erfahrungen verarbeitet hat. Ein anderer Spieler hat seine gesamte Heimatstadt auf einem MonopolyBrett aufgearbeitet. Das geht bis hin zu politisch brisanten Themen, dazu, dass jemand unter anderem wegen eines Spieles bespitzelt worden ist. Die Geschichten der Leute interessieren uns in erster Linie, und die versuchen wir auch immer auf unserem Blog zu veröffentlichen. „Monopoly“ scheint ja einer der Favoriten gewesen zu sein. Auf jeden Fall. Wir wurden neulich in einem Interview gefragt, welches Spiel in der DDR am häufigsten gespielt wurde, und wir mussten halbernst antworten: wahrscheinlich Monopoly. Unter den Spielekopien, die wir haben, ist ein überwiegend großer Teil Monopoly-Kopien, vielleicht ein Viertel. Das Interessante ist dabei, dass Monopoly mit den Feldern, den Ereigniskarten eine sehr gute Möglichkeit bietet, ein Spiel auf die eigene Lebensrealität zu münzen. Da haben wir zum Beispiel eine ganz brisante Ereigniskarte, auf der steht: »Du hast einen politischen Witz gerissen. Deswegen musst Du jetzt ins Z3 und den Plan er-
füllen.« Mit Z3 war das lokale Zementwerk gemeint, wo die kurzzeitig Inhaftierten hinkamen. Das Spannende dabei ist, dass das auf wahren Ereignissen beruhte – der Nachbar des Bastlers hatte das selbst erlebt. Monopoly ist ja auch ein sinnbildlich kapitalistisches Spiel. Wie erklären Sie sich, dass gerade das so oft nachgebaut wurde? Zu diesem Thema bin ich selbst noch ein bisschen unentschieden, denn wir wissen bis heute nicht, wie die Rechtslage dazu war. Es ist wohl so gewesen, dass das Spiel in mehreren Fällen weggenommen wurde, wenn es zum Beispiel offen in bestimmten Kreisen kursierte, also zum Beispiel bei der NVA. Wir wissen auch, dass es ein Einfuhrverbot dafür gab. Trotzdem haben es die Leute nachgebaut. Das liegt auch daran, dass Monopoly damals ein sehr gutes Spiel war – man konnte es zum Beispiel mit vielen Leuten spielen. Dass man darin eine Kapitalismus-Sehnsucht erkennen kann, würde ich auf jeden Fall verneinen. Es ist natürlich naheliegend, dass diese Frage auftaucht, weil man mit dem Spiel in eine andere Lebensrealität als den Sozialismus eintritt. Man muss aber auch sagen, dass man spätestens nach dem ersten Monopoly-Spiel erkennen müsste, dass es eigentlich das beste Lehrstück gegen den Kapitalismus ist. Denn am Ende ist es ja ganz so, wie Karl Marx prophezeit hat: Einer, der Monopolist, ist reich, und zwar auf Kosten von allen anderen, die bankrott sind. Warum ist es für junge
Menschen wichtig, sich mit der (Alltags-)Geschichte der DDR zu beschäftigen? Wir bemerken bei diesem Projekt und auch in der Zusammenarbeit immer wieder, dass wir ganz vorsichtig sein müssen. Wir müssen eine Gratwanderung zwischen zwei Polen hinbekommen: Der eine Pol sind Leute, die uns gerne in eine Ostalgie-Schiene drängen würden, die andere Seite sind diejenigen, die DDRBashing betreiben, also immer vom »Unrechtsstaat« reden und sich über den segensreichen Kapitalismus freuen, der Monopoly nicht mehr verbietet. In diesem Spannungsfeld betrachten wir das Projekt inzwischen als ein Stück Aufarbeitung von Alltagskultur. Das Thema Spielekultur in der DDR ist eigentlich völlig unbeleuchtet. Was uns persönlich angeht, so begeben wir uns sehr gerne in die Rolle der Zuhörer, nicht der Erzähler. Dadurch habe ich auch eine ganze Menge über meine DDR-Herkunft entdeckt. Es hat also auch eine private Bedeutung für uns DDR-Kinder, die sich an Weniges erinnern, aber eben an die Spiele. Was kann man allgemein zur Spielekultur in der DDR sagen? Die Produktionsbedingungen waren relativ schlecht, es wurden Spiele produziert, aber mit einer Qualität, an der man schnell den Spaß verloren hat. Darüber hinaus waren die Spiele relativ simpel. In den 80er Jahren wurden die Spiele im Westen komplexer, strategischer, aber die DDR blieb auf diesem Feld zurück. Das ist eigentlich komisch, weil die Spieleindustrie in der DDR subventioniert wurde. Einige Spie-
lebastler gaben ihre eigenen Ideen sogar an die Verlage, an die VEB weiter, und erhielten überwiegend ablehnende Antworten, etwa weil die Herstellung zu kompliziert gewesen wäre. Der Gründer des Deutschen Spielemuseums, Peter Lemcke, hat die These aufgestellt, dass die DDR-Führung die Bürger ganz bewusst vom Querdenken abhalten wollte, weswegen man die Entwicklung von Spielen nicht vorangetrieben habe. Das halte ich für Quatsch, es gibt zumindest keine validen Beweise dafür. Die DDR war sehr gut bei Spielen mit pädagogischem Hintergrund, das war sehr wichtig. Freies Spielen wurde weniger stark gefördert. Das Nachmachen von Spielen war nicht verboten, nicht verpönt, ganz im Gegenteil. Welche Materialien hat man denn zum Nachbauen verwendet, etwa für die Spielfiguren? Das hing davon ab, zu welchen Materialien die Leute überhaupt Zugang hatten. Wir haben zum Beispiel einen Bastler, der alles aus Aluminium hergestellt hat, weil er in einer Aluminiumfabrik gearbeitet hat. Ein anderer hat immer kleine Holzelemente eingebaut, weil er in einer Möbelfabrik tätig war. Ganz interessant ist auch, dass wir zum Teil Materialien entdecken, die wir selbst heute gar nicht mehr kennen, zum Beispiel Suralin. Welche Planungen gibt es für den Fortgang der Ausstellung? Nach Dresden stehen weitere Museen auf dem Plan, genaue Termine stehen aber noch nicht fest. Im nächsten Jahr wird die Ausstellung auf jeden Fall im DDR-Museum in Berlin zu Gast sein, auch im Spielearchiv Nürnberg. Ist eine Publikation zum Thema geplant? Das DDR-Museum in Berlin bringt ein Buch von Michael Geithner und mir heraus, das wird voraussichtlich im März erscheinen. Das ist eher niedrigschwellig, mit vielen Bildern, Anekdoten, Zitaten, aber auch einigen Fachtexten. Nächstes Jahr werde ich auch meine Promotionsarbeit zu diesem Thema beginnen. Die Fragen stellten Anja Eichhorn und Rico Schubert. Infos zur Ausstellung gibt es unter www.nachgemacht.de
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Obama: „Das Beste kommt noch!“
oder: Der Irrtum eines Amtsinhabers
Es hätte (aus linker Sicht) wirklich schlimmer kommen können. Aber er hatte die Mehrheit der Wählenden auf seiner Seite: Die Mehrheit der Afroamerikaner (93 Prozent), der Latinos (71 Prozent), der Asiaten (73 Prozent), der Frauen (55 Prozent), der Jungen (60 Prozent der 18- bis 29-Jährigen) und sogar die Mehrheit der Katholiken (50 Prozent – für Romney stimmten 48 Prozent). Der wichtigste und bedeutendste Stimmenanteil für Obama aber kam von den Liberalen: 86 Prozent. Warum der letzte Anteil, der der Liberalen, am bedeutendsten ist? Ganz einfach: Liberal heißt in den USA: gebildet, reich, gemischtrassig, elitär und städtisch. Auch die Nachfahren der jüdischen Einwanderer aus Ost- und Mitteleuropa gelten als wichtige Pfeiler des liberalen weltoffenen Amerika, das es ja auch gibt. Gott sei Dank! Der Kelch ist also noch einmal vorbei gegangen, könnte man meinen. Dem ist aber nicht so. Wer wählte die Republikaner? Die Weißen (59 Prozent), die Männer (52 Prozent), die Senioren (56 Prozent bei den über 65-Jährigen), die Protestanten (57 Prozent) und die Konservativen (82 Prozent). Nicht schlimm? Wer so denkt, liegt
... da sucht er seine Freude – der Jägersmann. Man mag zu der »Freude« unterschiedlich stehen. »Die Forsten treu zu hegen«, kann man nur loben. »Das Wildbret zu erlegen«, mag bei manchen Widerspruch provozieren. Als einst die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm ihre Zeitschrift »Altdeutsche Wälder« aus der Taufe hoben, dachten sie daran, dass unsere Vorfahren diese Wälder belebten, mit den Tieren teilten und Gefahr wie Lebensquell gleichermaßen von dort kamen. In den Märchen war der Jäger immer dabei. Er schnitt das Rotkäppchen samt Großmutter dem Wolf aus dem Bauch, genauso wie die Geißlein. Der Wolf plumpste dafür in den Brunnen.
entweder weit daneben und hat keine Ahnung von den USA und ihrer Geschichte – oder ignoriert sie ganz bewusst, wie Obama. Denn die Führung des Landes liegt traditionell in den Händen der WASP – White Anglo Saxon Protestant Male (weiße Englisch sprechende protestantische Männer). Es ist exakt diese Gruppe, die massenhaft auf der Strecke bleibt. Zwar können deren Kinder noch studieren, aber sie kriegen danach keinen Job wie den, der ihren Eltern – wenn auch keinen Reichtum – so doch ein überaus auskömmliches Leben in den weißen Vor-
städten ermöglichte. Die Demokraten haben keine großen Ideen, die der Verlierer-Masse eine Zukunft geben könnten. Selbst Obamas Gesundheitsreform entstammt einem alten Programm der Republikaner – woran diese sich freilich genau so wenig erinnern möchten wie die (westdeutsche) CDU an ihr sozialistisches Programm von Ahlen. Als nach 1994 die gleiche Situation in Südafrika eintrat, flohen viele Kinder der ehemaligen weißen Herrscher aus ihrem Heimatland und nahmen so den Druck aus dem Kessel. Das ist bei den Kin-
dern der weißen amerikanischen Protestanten jedoch nicht zu erwarten. In Texas, Georgia, Carolina oder Alabama werden nun die Messer gewetzt. Die Waffenlager der Paramilitärs werden ausgebaut, die Prediger in den Kirchen werden noch mehr auf den Feind einschwören. Die Eltern haben noch das Geld, die Kinder eine Weile durchzufüttern – doch Obama hat in den weißen konservativen protestantischen Vorstädten keine Anhänger. Dort warten Kugeln auf ihn. Man träumt hier von alten Zeiten, doch die USA befinden sich in einem gi-
gantischen Umbruch. Die Zahl der Weißen nimmt langsam, aber sicher ab, und so ist es überhaupt kein Widerspruch, wenn die Mehrheit der Jungen Obama wählte: Die Mehrheit der 18- bis 29-Jährigen ist nicht weiß, nicht protestantisch und (noch) nicht konservativ. Es ist aber nicht anzunehmen, dass die weiße, von Obama sich verraten fühlende konservative Mittelschicht klein beigeben wird. Es wird zu Anschlägen und Rebellionen kommen. Geld und Waffen sind genügend vorhanden. Die Republikaner haben auch ihre eigenen Medien, die das Land spalten: Ihr stärkster Sender ist Fox News, von dort beziehen sie ihre Nachrichten. Umfragen haben ergeben, dass die Zuschauer von Fox News eine niedrigere Allgemeinbildung haben als CNN- oder NBC-Zuschauer. Besonders frappierend: Auch die Personen, die überhaupt keine Nachrichten sehen, wissen mehr von der Welt als die Fox News-Zuschauer. Man wird also dumm und konservativ gesendet und weiß am Ende weniger als vorher. Mit diesen Leuten wird Obama keinen gemeinsamen Nenner finden. Die Spaltung des Landes kommt – das Beste ist längst vorbei. Nach seiner Sieges-Rede herrschte eisiges Schweigen. Keine Hand rührte sich zum Applaus. Es wird kalt in den USA. Ralf Richter
Nicht zuletzt Wälder wie der Hambacher Forst waren den Gebrüdern dafür Vorbild. Neuerdings geht es dort aber anders zu. Da wird plötzlich auf Menschen zur Jagd geblasen. Die Ursache liegt tief unter dem Wald und in zerstörerischer Gier nach Profit. Über Millionen von Jahren, vom Menschen unberührt, immer wieder abgestorben, untergegangen und von neuem Baumbestand überwuchert, schlummert der alte Wald als Braunkohle unter der Oberfläche des neuen. Die Kohle ist das Objekt der Begierde. Der Wald ist im Weg. Er ist deshalb schon auf ein Fünftel geschrumpft. Die Menschen, die dort wohnen, wollen darüber nicht mehr schweigen und es wollen andere nicht mehr zusehen, weil sie erkannt haben, dass damit Schaden angerichtet wird, den nichts sonst aufwiegen könnte. Braunkohlegewinnung zerstört Landschaft und verbrennt Heimat im Kraftwerk. Energiekonzernen wie RWE ist das egal. Willfährige
Politiker unterstützen sie. Mutige Menschen versuchen es zu verhindern. Sie haben sich deshalb Häuschen in den Bäumen gebaut, fünfzehn Meter hoch oben und höher. Sie haben sich in die Erde eingegraben, sechs, sieben, acht Meter und tiefer. Und sie haben sich eingerichtet im Wald. Man lebte ein einfaches, aber schönes Leben – beispielhaft. »Kein´n Heller in der Tasche, ein Schlückchen
sam machen, haben angeblich 200 Straftaten begangen. Der Mensch wurde des Menschen Wolf, und gerade ist kein guter Jägersmann in Sicht, der die direkt aus ihren Betten vom Kapitalismus Gefressenen schnell wieder aus dessen Bauch befreit. Verlassen wir also den Wald. Wir haben ja noch die Heide – z. B. die Colbitz-Letzlinger Heide. Dort werden doch tatsächlich keine Häuser eingerissen und keine Bewohner von den Bäumen geholt. Nein, dort wird gebaut. Es wird gebaut um 100 Millionen Euro. Aber was und wozu wird gebaut? Es wird »Schnöggersburg« gebaut. Das soll ein Ballungsgebiet werden, sagt ein Sprecher der Bundeswehr, denn die Bundeswehr ist Bauherr. Unter ihrer Hoheit entstehen eine Altstadt, eine Vorstadt, eine Neustadt. Es entstehen Industrieanlagen, ein Flugplatz, ein Stück Autobahn, eine U-Bahn, ein Fluss. Von einer Kirche habe ich nichts gehört. Ausdrück-
lich wurde jedoch noch auf ein Elendsviertel hingewiesen, wo Menschen »hausen«, wie der Sprecher am 2.11. im MDR vermeldete. Wozu das Ganze? Bleiben wir bei dem Wort »hausen«. Mit dem Wort bezeichnet man nicht nur die ärmlichste Art zu wohnen, sondern auch die schlimmste Art, selbst dieses Wohnen unmöglich zu machen. »Sie hausten wie die Vandalen«, findet man dafür als Beleg im Wörterbuch. Wie die Vandalen zu hausen in beliebigen Städten der Welt und selbst die Ärmsten noch aus ihren Wohnstätten zu jagen, das soll dort geübt werden. Wem zum Nutzen? Es kann nur zum Nutzen derer sein, denen alles und auch Wald und Heide zur Ware geworden ist, und die zerstören wollen, wer und was sich ihnen in den Weg stellt. Sie behaupten, den Frieden zu sichern, indem sie den Krieg vorbereiten. Das Dümmste, was ich jemals gehört habe, auch wenn es über Jahrtausende überliefert ist! Peter Porsch
»Im Wald und auf der Heide ...« in der Flasche, ein Stückchen schwarzes Brot.« Die Unterstützung der Anwohnerinnen und Anwohner des Forstes kam dazu. Es geht auch ohne Braunkohle. RWE jedoch schickt die Polizei. Die hat die Leute von den Bäumen geholt und aus der Erde gegraben. Die Zerstörer von Natur sind im Recht und die, die sie erhalten wollen und auf den Frevel aufmerk-
Hintergrund
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Doppelzüngigkeit gegenüber Sinti und Roma Am 24. Oktober wurde endlich das Mahnmal für die 500.000 Sinti und Roma, die unter der deutschen NS-Herrschaft in Konzentrationslagern und durch Massenerschießungen ermordet wurden, eingeweiht. Ein Mahnmal 67 Jahre nach dem Völkermord! Wovon waren diese 67 Jahre geprägt? Bezogen auf das bundesdeutsche Establishment – Behörden, Gerichte, Politik – waren es zunächst eine erschütternde Respektlosigkeit gegenüber den überlebenden Opfern und die Leugnung des rassistischen Völkermordes. Sinti und Roma, die aus den KZ zurückkehrten, erhielten weder ihr durch die Nazis geraubtes Eigentum zurück, noch wurde ihren Anträgen auf Entschädigung entsprochen. Die Begründung der Beamten – mitunter dieselben Personen, die an ihrer Verfolgung mitgewirkt hatten – lautete zumeist, Sinti und Roma seien nicht rassisch Verfolgte, sondern wegen »Asozialität« oder »Kriminalität« ins KZ ver-
bracht worden. Auch die bundesdeutsche Justiz versagte in diesem Zusammenhang, denn sie bestätigte in allen Instanzen diese diskriminierenden Behördenentscheidungen. Zwar stellte der BGH 1963 in einem Urteil fest, dass bei verfolgten Sinti und Roma »im Einzelfall rassische Gründe für die Verfolgung ursächlich gewesen sein können«. Auf die Entschädigungspraxis der bundesdeutschen Behörden gegenüber den Sinti und Roma hatte dies zunächst jedoch keine Auswirkungen. Respektvoller – aber gleichfalls nicht ohne Defizite – war der Umgang mit den überlebenden Sinti und Roma in der DDR. Hier erfolgte zumeist unverzüglich die Anerkennung als »Opfer des Faschismus«. Allerdings konnte diese Entscheidung nach den hierfür erlassenen Richtlinien revidiert werden, wenn kein fester Wohnsitz bzw. keine Beschäftigung nachgewiesen werden konnte oder keine »antifaschistisch-demokratische Haltung« bewahrt
wurde. Dem diskriminierungsfreien Zugang der Sinti und Roma zu allen in der DDR existierenden Bildungseinrichtungen und Berufsfeldern standen Fälle der Behinderung bei der freien Pflege ihrer tradierten Lebensform gegenüber. Eine offizielle Anerkennung der ca. 300 bis 400 in der DDR lebenden Sinti und Roma als – neben den Sorben – zweite nationale Minderheit ist gleichfalls nicht erfolgt. Im April 1990 erkannte die Volkskammer die NS-Verbrechen an den europäischen Roma als Völkermord an. Eine Veränderung der Lage in der Bundesrepublik trat erst Anfang der 1980er Jahre durch eine Intensivierung der Bürgerrechtsarbeit durch die Sinti und Roma selbst, insbesondere den Zentralrat der deutschen Sinti und Roma, ein. 1982 erkannte die Bundesregierung unter Helmut Schmidt den Völkermord an den Sinti und Roma an. Daraufhin setzte ab 1985 eine Änderung der Entschädigungspraxis gegen-
über den verfolgten Sinti und Roma ein. Für viele Betroffene kam dies jedoch zu spät, nur in etwa 3200 Fällen erfolgte eine Neuentscheidung der Entschädigungsbehörden. Für das Verhältnis staatlicher Institutionen zu den Sinti und Roma blieben jedoch Tendenzen der Diskriminierung, der Rechtsverweigerung, der Heuchelei und der Doppelzüngigkeit weiterhin prägend. Nach wie vor sind Sinti und Roma hierzulande eine zum Beispiel im Bildungsbereich oder auf dem Arbeitsmarkt benachteiligte Randgruppe. Bis in die jüngste Zeit wurden durch Justiz- und Polizeibehörden, die zum Teil aus dem »Dritten Reich übernommen Methoden der rassistischen Sondererfassung« von Sinti und Roma fortgesetzt. Unter Bundeskanzler Helmut Kohl wurde nicht nur die Aufnahme eines Minderheitenschutzartikels in das Grundgesetz vereitelt, sondern auch versucht, den Sinti und Roma die Anerkennung als autoch-
thone nationale Minderheit zu verweigern, um sie hierzulande aus dem Anwendungsbereich europäischer Minderheitenschutznormen auszuschließen. Dieses hinterhältige Ansinnen scheiterte an dem konsequenten Widerstand der Dänen, Friesen und Sorben. Auf der Fahrt zur Einweihung des Mahnmals für die ermordeten Sinti und Roma hörte ich im Radio Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich über den »Asylmissbrauch« durch Roma aus Serbien und Mazedonien schwadronieren. In Berlin selbst sah ich wenige hundert Meter vom Mahnmal entfernt, wie die Polizei gegen demonstrierende Asylbewerber vorging, darunter auch Roma. Ich hatte das Gefühl, als würde das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma gleich am Tag seiner Einweihung entweiht – durch eine fortdauernde Tendenz staatlicher Heuchelei und Doppelzüngigkeit gegenüber dieser Minderheit. Heiko Kosel
ohne Ersatz. Daraufhin hat die EU interveniert und Mittel bereitgestellt, um Häuser zu bauen. Entstanden sind Container außerhalb Belgrads. Eine solche Containersiedlung besuchten wir mitten im Nichts, ohne Infrastruktur, abgestellt auf einem Feld. Die Container sehen freilich besser aus als die Lager in der Stadt. So wunderten wir uns, dass nahezu alle Roma zurück in die Stadt wollen. Der Grund ist, dass sie abseits der Stadt keinerlei Lebensgrundlage haben. In Belgrad gab es kleinere Arbeiten, und das Besorgen von Nahrung aus den Mülleimern gewährte ihnen, wenigstens nicht zu verhungern.
Ich wusste von meinen Begleitern, dass in der Stadt nicht wenig Leute Essensreste draußen ablegen, wohl wissend, dass diese nachts geholt werden. Mitten in unser Gespräch platzte ein Mann herein und rief: »Schnell raus hier, der Spitzel kommt«. Von den Behörden werden Spitzel gekauft, damit sie Leute im Lager melden, die »verbotene Dinge« tun. Mit uns zu reden sei verboten, erzählte er. Alle hätten Angst, gemeldet und vertrieben zu werden. Zukunftschancen hat in den Lagern, egal ob serbische Roma oder Roma aus anderen Ländern Ex-Jugoslawiens, niemand. Nach Deutschland ge-
hen, um wenigstens den Winter zu überstehen – ist das Asylmissbrauch? Der Kern von Asylbegehren ist es, menschenunwürdigen Lebensbedingungen, die die Existenz des Einzelnen bedrohen, zu entgehen. Gründe dafür sind politische Verfolgung oder existentielle Bedrohung. Letzteres können Roma auf dem Westbalkan für sich reklamieren. Statt wegzuschauen, sollte für den Beitritt dieser Länder in die EU die Roma-Frage eine zentrale sein. Dafür brauchen sie aber Unterstützung statt die Aufforderung zum Bruch von EU-Recht, bevor sie Mitglieder der EU sind. Cornelia Ernst
»Des Friedrichs Lügen« Ich ärgere mich immer wieder, dass Minister wegen erlogener Doktorarbeiten aus dem Amt fliegen, aber nicht wegen ihrer täglichen Lügen. Dabei wäre Bundesinnenminister Friedrich einer, der wegen der Behauptung, aus Serbien oder Mazedonien stammende Roma kämen wegen »Asylmissbrauchs« nach Deutschland, aus dem Amt gejagt werden müsste. Sein Argument, in diesen Ländern seien Roma »sicher«, daher müssten Serbien und Mazedonien »ihre Staatsbürger« davon abhalten, in die EU auszureisen, sonst entzöge man ihnen die Visafreiheit, lässt jeden Nazi neidisch werden. Als ich vor 14 Tagen in Serbien war, konfrontierten mich die Behörden damit, dass sie sich erpresst fühlen. Die Androhung von EU-Mitgliedsstaaten wie Deutschland, Schweden und Österreich, die Visafreiheit zu entziehen, wenn weiterhin Roma in die EU strömen, hat dazu geführt, dass an den serbischen Grenzen absonderlichste Praktiken eingeführt wurden. Da Roma als Minderheit in Serbien nicht anerkannt und im Pass nicht als Ethnie vermerkt sind, schauen serbische Grenzbeamte, wer Roma ähnlich sieht. Wenn »verdächtige« Familien die Grenze überschreiten wollen, werden sie zurückgeschickt – mit dem Argument des Kindeswohles. Obwohl serbische Roma wie alle anderen
in Serbien lebenden Bürger das verbriefte Recht haben, seit der Visaliberalisierung ungehindert in die EU zu reisen, gibt es die Lex Roma. Das verstößt gegen EU-Recht, die mit Serbien geschlossenen Verträge und das Diskriminierungsverbot. Friedrich aber ist Einpeitscher solcher Lösungen. Er verwies auf die steigenden Asylbewerberzahlen in Deutschland aus diesen Ländern. Im September 2012 kamen 1395 Roma aus Serbien und 1040 aus Mazedonien – eine Zahl, die kaum von massenhafter Zuwanderung zeugt. Friedrichs These vom Asylmissbrauch fiel auf fruchtbaren Boden: Den der NPD. Ich habe in Belgrad ein RomaLager besucht. Das Lager, mitten in der Stadt, bestand aus Holzkaten, spärlich mit Pappe bedeckt, ohne Wasser und Strom, ohne soziale Unterstützung. Die Hütten stehen auf einer Müllhalde. Die dort lebende Familie, Flüchtlinge aus Mazedonien, die Frau hochschwanger, lebt von Abfällen. Das Lager wird bewacht von einem Beamten, der uns verbot, mit den Bewohnern zu sprechen. Solche »wilden Lager«, wie sie in Serbien genannt werden, sind überall entstanden, weil Roma aus ihren Wohnungen vertrieben wurden oder als Flüchtlinge nach Serbien kamen. Mit Bulldozern hat die serbische Regierung dann zu räumen begonnen,
Dezember 2012
Sachsens Linke
Mit einem großem Interview mit Dr. Barbara Höll auf Seite 5 gehen wir auf den Oberbürgermeisterwahlkampf in Leipzig am 27. Januar 2013 ein. Bereits am 13. Januar wird in Thalheim gewählt. DIE LINKE in Thalheim nominierte kurz vor Redaktionsschluss als ihren Bürgermeis-
terkandidaten den parteilosen LINKEN Stadtrat Wolfgang Haehnel. »Wichtig ist für mich,« so Haehnel, »ein gutes Miteinander von Stadtrat, Verwaltung und Ge-
werbetreibende, denn nur so können wir etwas in Thalheim bewegen. Ich wohne seit 1980 in Thalheim und kenne das Schöne ,aber auch die Probleme von Thalheim.«
Dialog für Sachsen gonnen.
Die Onlinedebatte hat be
Ein ganz normaler Vorgang
Mach mit, mach’s nach, mach’s besser… …könnte der interne Aufruf und Ansporn für die anstehenden Wahlkämpfe lauten. Dabei sollten alle Genossinnen und Genossen einbezogen werden und nach ihren eigenen Möglichkeiten mitmachen. Wir wollen aber auch Menschen, die uns nahe stehen oder DIE LINKE gut finden, für die Wahlkämpfe gewinnen, denn zu keiner anderen Zeit ist die politische Auseinandersetzung in der Gesellschaft so intensiv und somit auch die Möglichkeit, neue MitstreiterInnen zu gewinnen. Viele Menschen nehmen Parteien als etwas Abstraktes wahr, wo »die da oben« entscheiden und niemand wirklich was verändern kann. Lasst uns das Ganze vom Kopf auf die Füße stellen und ganz offensiv ums MITMACHEN bei Veränderung werben. Lasst uns Menschen gewinnen, die uns helfend zur Hand gehen, und lasst uns Menschen ansprechen, die Partei ergreifen wollen. Innerparteilich sind wir dafür größtenteils so gut vorbereitet, wie noch nie. Nun wird es konkret. Wir suchen in den Kreisverbänden und auf Landesebene
Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die mitmachen wollen: Beim Hängen und Abhängen/Wechseln von Plakaten im ländlichen Raum, bei der Organisation von Veranstaltungen, beim Verteilen von Wahlkampfmaterialien, bei Aktionen im Zuge des Wahlkampfes, bei der Betreuung unserer Websites, beim Finden von MitstreiterInnen, bei der Durchführung von Telefonaktionen, bei der Erstellung unserer Materialien, sowohl inhaltlich als auch technisch, beim Bespielen der neuen Medien (Blogs, facebook, twitter u.a.), beim Begleiten unseres Wahlkampfes durch die Erstellung von Film- und Fotomaterial und Erledigen von ganz viel Organisationskram im Hintergrund. Wenn Ihr selbst Lust habt, Aufgaben zu übernehmen oder Leute kennt, die gern dabei sein wollen, dann redet mit ihnen, gebt ihnen unsere Kontaktdaten oder bringt sie am besten mit. Wenn Ihr nicht aktiv am Wahlkampf teilnehmen könnt, dann würden wir uns über logistische, aber auch finanzielle Unterstützung von Euch freuen.
Habt Ihr im ländlichen Raum eine Datsche, die wir für die Unterbringung von WahlkämpferInnen nutzen können? Könnt Ihr Euch vorstellen, mal für einen Tag Wahlkampftrupps zu versorgen? Kennt Ihr Menschen in unserem Umfeld, die uns mit Wahlkampffahrzeugen weiterhelfen können, die in Tagungsobjekten oder mittelständischen Unternehmen arbeiten? Auch solche Hinweise und Angebote Eurerseits helfen uns weiter. Zumal wir im Gegensatz zu allen anderen Parteien nicht durch Unternehmen und Konzerne finanziell unterstützt werden - das ist auch gut so. Eure Kreisgeschäftsstellen, aber auch die WahlFabrik in Dresden sind dafür AnsprechpartnerInnen. Und nicht nur organisatorisch stehen wir in den Startlöchern. Mit dem »Dialog für Sachsen« versuchen wir neben den klassischen Formen des Wahlkampfs in der unmittelbaren Zeit vor den Landtagswahlen ein beteiligungsorientiertes Angebot für die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen. Dies soll verschie-
dene Möglichkeiten eröffnen, Menschen in die Debatte um die politische Gestaltung Sachsens zeitnah einzubeziehen. Das ist eine Neuerung, denn anders als in der Vergangenheit wollen wir diesmal nicht einfach den Menschen in Sachsen die inhaltlichen Angebote fertig präsentieren, sondern mit ihnen zusammen erarbeiten. Dieses Dialogangebot wird sich auch zentral im Wahlkampf wiederfinden, als Slogan, Angebot und Mitmachmöglichkeit. Schon jetzt könnt ihr beim Dialog für Sachsen (www.dialog-fuersachsen.de) mitdiskutieren und vor allem Freunde und Bekannte dazu einladen. Ab Februar werden wir zu verschiedenen Themen auch Aktionen im Rahmen des Dialogs durchführen. Ab 1. Januar findet ihr auf w w w.dielinke - sachsen.de Mitmachangebote, und ab diesem Zeitpunkt wird auch das Wahlkampfpferd sein Unwesen treiben und vieles noch konkreter werden. Antje Feiks, Landeswahlkampfleiterin, Lars Kleba, Wahlkampfmanager
Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat etwas gegen Armut und Ungerechtigkeit in Deutschland. Sinkende Löhne und schwindenden sozialen Zusammenhalt mag sie gar nicht! Deshalb geht die Regierung Merkel dagegen vor. Das scheint sehr löblich. Aber so ist es nicht ganz. Denn diese Regierung geht die Probleme gar nicht in der Wirklichkeit an. Sondern sie überarbeitet einfach ihren jährlichen Armuts- und Reichtumsbericht. Ein Beispiel gefällig? Im Entwurf hieß es: »Während die Lohnentwicklung im oberen Bereich positiv steigend war, sind die unteren Löhne in den vergangenen zehn Jahren preisbereinigt gesunken. Die Einkommensspreizung hat zugenommen.« Diese verletze »das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung« und könne »den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden«. In der neuen Fassung ist das alles schöner, denn da heißt es stattdessen: sinkende Reallöhne sind »Ausdruck struktureller Verbesserungen« am Arbeitsmarkt. Zwei Sachverhalte werden daran deutlich. Erstens: diese Bundesregierung beurteilt z.B. sinkende Löhne als notwendig und richtig. Sie seien strukturelle Verbesserungen im Standortwettbewerb. Zweitens: dieser Bundesregierung ist klar, dass genau das möglichst wenige bemerken sollen. Daher schönt sie den Bericht. Das neoliberale Perpetuum mo-
Sachsens Linke! 12/2012
Meinungen Anja Oehm Come Together – was für ein linkes Potential in Ost und West! Auch 2012 ist uns im Kreisverband Sächsische SchweizOsterzgebirge wieder eine starke Ost-West-Begegnung gelungen. Im Oktober besuchten uns fünf GenossInnen und SympathiesantInnen der Partner-Linken aus Reutlingen (Baden-Württemberg). Neben gemeinsamer Schulung unserer Kommunalpolitiker und Besichtigungen der Gedenkstätte Sonnenstein sowie der Festung Königstein saßen wir wieder abendelang zusammen und hörten einander zu. Wir stellten fest: Die West-Linke definiert sich über die Bewegungen, die Ost-Linke über Parlamente und Vereine. Was uns alle miteinander verbindet, ist der Wille, gegen diese unsoziale Gesellschaft aufzubegehren, und sie zu verändern. Einige unserer Reutlinger GenossInnen berichteten von ihrem Werdegang über DKP, SPD, Grüne. Sie waren Sozialarbeiter oder Anwalt, einer hatte für seine Gesinnung mit Haft bezahlt. Heute, sozial abgesichert, könnten sie sich zurücklehnen, ihre Altersteilzeit oder Rente genießen. Aber nein, sie sind bei der LINKEN aktiv. Hier ist uns bewusst geworden, welch große Hoffnung diese MitstreiterInnen mit unserer Partei verbinden, und welch Riesen-Verantwortung wir tragen, diese nicht zu enttäuschen. Da hat einer ein Leben lang gekämpft, nie aufgegeben, hat tief enttäuscht wegen der Agenda 2010 oder der Bomben auf Belgrad seiner damaligen Partei den Rücken gekehrt. Er sagte sich: das kann’s noch nicht gewesen sein und kam zu uns. Welch ein großes Potential haben wir in diesen erfahrenen, klugen, kämpferischen Menschen! Wilfried Trompelt aus Dresden Europa ja, aber anders Der ver.di-Ortsverein Dresden hatte Anfang November Heiko Kosel, MdL und Sprecher für Europa-, Friedensund Minderheitenpolitik in der
Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der Linken in Sachsen Herausgeber: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden
Fraktion DIE LINKE, zum Thema »Europa sozial begründen« eingeladen. Wir diskutierten, was Gewerkschaften für die Gestaltung eines sozialen Europas tun müssen. Seine Antwort fußte auf konkreten Erfahrungen im Dreiländereck, wo es auf die grenzüberschreitende Solidarität der Arbeitnehmer ankommt. Mit dem Internationalen Gewerkschaftsrat Elbe-Neiße (IGR) gibt es ein Gremium, in dem sich der DGB Sachsen mit Gewerkschaftern der Solidarnosc aus Niederschlesien und vom CMKOS aus Nordböhmen über die Verbesserung der Arbeitsbedingungen austauscht. Es stehen zahlreiche Fragen auf der Tagesordnung, die nur gemeinsam gelöst werden können. Dazu gehören der Kampf um Mindestlöhne (die es in Polen und Tschechien schon gibt), der Umgang mit Fördermitteln von der EU oder die Schaffung eines europäischen Arbeits- und Sozialrechts. Das Potential der Gewerkschaften im Dreiländereck noch besser auszunutzen erfordert aber dringend, die Kräfte der verschiedenen Strömungen in konkreten Aktionen zu vereinen. Ein gemeinsames Europa braucht gerade hier in einer Kernregion in der Mitte des Kontinents einen starken sozialen Integrationsprozess. Uwe Schnabel aus Coswig zu »10 Jahre Afghanistankrieg - Einblicke und Ausblicke« (Links! 11/2012, S.4) Selbst der damalige Bundespräsident Köhler musste zugeben, dass die Bundesregierung in Afghanistan wirtschaftliche und machtpolitische Ziele verfolgt. Da ist es kein Wunder, wenn die angeblichen Ziele nie angestrebt und somit auch nicht erreicht wurden. Dass die Bundeswehr gegen den Willen der BRD-Bevölkerung in Afghanistan ist, zeigt außerdem, dass auch bei uns keine Demokratie (Herrschaft der Bevölkerung) erreicht ist. Kritische Parlamentsdebatten dienen da nur als Feigenblatt. Alle aufgezeigten Probleme lassen Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer Aufla-
Seite 2 sich nur mit dem vollständigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan lösen. Wenn dies nicht durch einen Parlamentsbeschluss geschieht, müssen die Soldat(inn)en den Einsatz verweigern. Darauf sollte auch bei den Trauerfeiern immer wieder hingewiesen werden. Außerdem ist die Bundesregierung für den Ausgleich der von ihr in Afghanistan verursachten riesigen Schäden, nicht nur für die deutschen Soldat(inn)en, verantwortlich. Rita Kring aus Dresden zu »Ein neues Vergabegesetz« (Links! 11/2012, S.1) und »Vergabegesetz wird novelliert« (Kommunal-Info 9/2012, S.3f.) Ohne breiten öffentlichen Druck haben weder der Entwurf von LINKEN und SPD, noch der Entwurf von Bündnis 90 / Die Grünen eine Chance. Glücklicherweise setzen sich aber viele Menschen schon seit vielen Jahren für eine faire öffentliche Beschaffung ein. Dies geschieht teilweise innerhalb der Kampagne »Sachsen kauft fair!«, teilweise aber auch von anderen Gruppen oder Einzelpersonen in Zusammenarbeit mit dieser Kampagne. Trotz fehlenden Landesgesetzes, aber unter Berufung auf entsprechende Regelungen im EU- (Richtlinien 2004/17/EG (Art. 38) und 2004/18/EG (Art. 26)) und Bundesrecht (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen von 2009), wurden so in vielen Kommunen, z.B. in Leipzig, Chemnitz, Zwickau und Dresden, entsprechende Beschlüsse gefasst und teilweise bereits umgesetzt. Aktuell kann z.B. auf http://www.sachsenkauft-fair.de/ bis zum 15. Dezember 2012 eine Petition für ein neues Vergabegesetz, das Arbeits- und Menschenrechte sowie Umweltstandards beachtet, unterstützt werden.
Fortsetzung von vorheriger Seite bile funktioniert weiter. Wurden Anfang des Jahrtausends Lohnsenkungen (geschönt: »Lohnzurückhaltung«) hierzulande damit begründet, dass die deutsche Wirtschaft ansonsten nicht mehr wettbewerbsfähig sei, wirkt nun genau diese Tatge von 16050 Exp. gedruckt. Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Ralf Richter, Stathis Soudias Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio Internet unter www.sachsenslinke.de
Regina Schulz aus Dresden zu »Umfairteilen«: Starke Aktion, in Sachsens Linke 11/2012 Zum Beitrag von Tilo Kießling möchte ich folgendes ergänzen: Ziel des bundesweiten Bündnisses »Umfairteilen – Reichtum besteuern« sind nicht nur eine dauerhafte Vermögensabgabe und eine einmalige Vermögenssteuer, sondern auch der konsequente Kampf gegen Steuerflucht und Steueroasen sowie eine Steuer auf Finanzmarktgeschäfte. Damit sollen öffentliche und soziale Ausgaben finanziert und die weltweite Armut bekämpft werden. Die reichsten zehn Prozent der Deutschen verfügen über mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens, das ca. 10 Billionen Euro beträgt, der unteren Hälfte der Haushalte bleibt gerade mal ein Prozent. Attac Deutschland als einer der Akteure des Bündnisses hatte seine Regionalgruppen darin bestärkt, vor Ort eigene Aktionsbündnisses zu gründen. Attac Dresden, wo ich mitarbeite, knüpfte daraufhin Kontakte zur örtlichen GEW, zu ver.di sowie zur Montagsdemonstration, und mehrere Mails gingen auch an Tilo Kießling. Leider konnten wir uns nicht auf eine gemeinsame Aktion einigen, was wohl daran lag, dass auch im bundesweiten Bündnis keine einheitliche Position hinsichtlich der Einbindung von Parteien besteht. Da das Bündnis fortgeführt werden soll, besteht die Möglichkeit, bei weiteren Aktionen gemeinsam zu agieren. Attac Dresden und die genannten Partner veranstalteten am 29.09.12 eine Kundgebung am Dr.-Külz-Ring mit etwa 100 Teilnehmern. In mehreren Redebeiträgen und mit einer Bodenzeitung warben wir damit für die Forderungen des Bündnisses.
sache genau so auf die umgebenden europäischen Länder und treibt deren Bevölkerung in den Ruin. Margaret Thatcher sagte einst: »So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht!« Wird der neoliberalen Politik nicht Einhalt geboten, könnte dieser Satz auf furchtbare Weise wahr werden. Kontakt: kontakt@dielinkesachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720 Redaktionsschluss 26.1012012 Die nächste Ausgabe erscheint am 31.1.2013.
Glosse Von Stathis Soudias Die Nachricht platzte während der Beratung der »Geldgeber« von EU und IWF. Nachdem drei vorhergehende Beratungen ohne Beschluss vertagt werden mussten, haben die »Weisen« sich schnell geeinigt. Griechenland soll in Tranchen etwa 44 Milliarden »Hilfe« erhalten, wenn das Land den eingeschlagenen Weg weiterhin konsequent verfolgt. Um das mal zu verstehen: Nach drei Kürzungen der Löhne, Gehälter und Renten; nachdem die Rentnerinnen keine kostenlose Medikamente mehr erhalten; nachdem das Land in den vergangenen zwei Jahren seine Ausgaben um 140 Milliarden gekürzt hat; nachdem die Arbeitslosigkeit die 25 Prozent Marke überschritten hat, wobei die der unter 25Jährigen schon auf 55 Prozent angestiegen ist; nachdem die Wirtschaftsleistung des Landes im vergangen Jahr sich um 16 Prozent verringerte, haben unsere Freunde immer noch keine Lust, den Hellenen zu helfen. Bis gestern. Mitten in der, nunmehr vierten, mitternächtlichen Sitzung, platzte die Nachricht wie eine Bombe: Der größte Bordellbesitzer des Landes hat Konkurs angemeldet. Das hat Finanzminister, IWF und Gefolge alarmiert, das ging zu weit, die Grundsäulen der westlichen Zivilisation waren in akuter Gefahr. Und so kam es, gegen den Willen der Kanzlerin, ... Also jetzt muss ich das erklären: Die Kanzlerin der Bundesrepublik ist ja Physikerin. Und weil sie von Finanzen keine Ahnung hat, hat sie sich eine kompetente Beraterin ins Kanzleramt geholt: Die schwäbische Hausfrau in Gestalt eines als Transvestiten verkleideten Rollstuhlfahrers. Von dessen Qualifikation hat schon der Dichter gesagt: »Jurist und im Übrigen vom mäßigen Verstand«! Die Kanzlerin also verkündet mittels schwäbischer Hausfrau, dass kein Schuldenschnitt möglich ist. Nicht vor den Wahlen. Billigte deswegen widerwillig, dass auch die Bundesrepublik auf ihren Gewinn, den sie für die Kreditvermittlung gen Griechenland verdient, verzichtet; Kredite, die Helles aufgenommen hat, um die Töchter der deutschen Banken zu retten... Ja, ich weiß, es klingt kompliziert, ist es auch. Deswegen wiederhole ich noch mal, was ich vor einem Jahr schon prophezeit habe: Griechenland wird wie eine Zitrone ausgequetscht, Großaktionäre, Banken, Versicherungen werden ihre Dividenden ins Unermessliche steigern und der deutscher Steuerzahler wird doch zur Kasse gebeten. Kommt es anders, ist der Kapitalismus tot.
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Seite 3 Am 27. Januar 2013 wählt Leipzig ein neues Stadtoberhaupt. Für die LINKE geht erneut Barbara Höll, Bundestagsabgeordnete aus Leipzig, ins Rennen. »Links!« sprach mit der promovierten Philosophin über ihre Motivation und darüber, was sie in den kommenden sieben Jahren für ihre Stadt erreichen will. Frau Höll, in drei Sätzen: Warum sollten die Leipzigerinnen und Leipziger Ihnen ihre Stimme geben? Ich bin Leipzigerin mit Herz und Verstand und weiß um die Sorgen und Nöte der Menschen unseres Leipzigs. Seit über dreißig Jahren lebe ich in Leipzig und teile somit viele Erfahrungen, die gesellschaftlichen Umbrüche und bin mir der Probleme der Menschen vor Ort bewusst. Es ist Zeit für einen Wechsel, hin zu einer Politik, die die Bürger und Bürgerinnen mit ihren Sorgen aber auch ihren Vorschlägen endlich wieder ernst nimmt. Mein Stil: zuhören, beraten, entscheiden und handeln. Gemeinsam entscheiden, wohin wir wollen und danach anpacken und umsetzen. Schon Ihrer Kampagne ist sehr Dialog orientiert. Wie geht das weiter? Ein erster Schritt wäre, die Kompetenz der Stadtbezirksbeiräte zu stärken, indem sie mit den Ortschaftsräten rechtlich gleichgestellt werden. Denn hier entscheiden die Bürgerinnen und Bürger über jene Anliegen, die sie selbst betreffen. Zweitens werde ich als Oberbürgermeisterin gemeinsam mit dem Stadtrat Bürgerentscheide zu strategischen Fragen initiieren. Der Bürgerentscheid vor knapp fünf Jahren gegen die Privatisierung der Stadtwerke hat gezeigt, dass die Menschen sich für die Belange ihrer Stadt interessieren und mitbestimmen wollen. Als Oberbürgermeisterin werde ich mehrmals im Jahr in jedem Stadtbezirk präsent sein, um Projekte und Unzulänglichkeiten im Stadtteil selbst in Augenschein zu nehmen. Leipzig ist eine klamme Kommune, das schränkt den Handlungsspielraum ein. Wie wollen Sie Akzente setzen, die über die Verwaltung des Mangels hinausgehen? Leipzig ist einerseits eine Stadt mit einem hohen Schuldenstand – mehr als 700 Millionen Euro –, anderseits eine Stadt mit einem Vermögen von etwa 3,4 Milliarden Euro. Wir hatten und haben seit 2011 eine recht gute Einnahmesituation, das schafft Handlungsspielräume. Einige Probleme werden wir jedoch nicht aus eigener Kraft lösen können. Deswegen sind neue und frische Ideen gefor-
dert, die es mit den Menschen vor Ort zu entwickeln gilt. Die Rede von einer Neuordnung der kommunalen Ausgleichssysteme durch den Bund ist mittlerweile ein Allgemeinplatz, sie ist jedoch notwendiger denn je. Verweigert sich die Bundesregierung hier weiter, handelt sie grob fahr-
belegt zudem eindeutig, dass Arbeit keine Garantie dafür ist, frei von Armut zu leben. Deswegen geht kein Weg an Mindestlöhnen vorbei. Das Thema KiTa-Plätze steht ziemlich hoch auf der Agenda vieler Leipziger Familien. Hier steuern wir auf
»Nicht Entschuldung ist der zentrale Wert, sondern gute Bildung« lässig und gefährdet die Handlungsfähigkeit der Kommunen – auch die von Leipzig. Vor kurzem hat die Böckler-Stiftung eine Studie über die ärmsten Großstädte Deutschlands veröffentlicht, und Leipzig hat erneut einen unrühmlichen Spitzenplatz eingenommen. Ein Viertel der Bevölkerung lebt am oder unter dem Existenzminimum. Ist man als Oberbürgermeisterin nicht relativ hilflos? Das ist ein Problem, für das wir als Stadt nicht allein verantwortlich sind. Aber in jeder Kommune bestehen Möglichkeiten, gegenzusteuern. Ich werde eine verlässliche Richtlinie zur Berechnung der Kosten der Unterkunft [für Hartz-IV-Betroffene, d. Red.] vorlegen. Die LeipzigPassMobilCard sichert Mobilität auch für einkommensarme Menschen. Darüber hinaus werde ich jedoch neue Modelle der Preisgestaltung mit den Leipziger Verkehrsbetrieben und mit dem Mitteldeutschen Verkehrsverbund diskutieren. Die Ticketpreise in Leipzig sind derzeit eindeutig zu hoch. Drittens brauchen Arbeitslose die Chance auf einen Job, und zwar zu vernünftigen Löhnen. Die von Ihnen genannte Studie
Lasten für zukünftige Generationen. Nicht die Entschuldung darf der zentrale Wert sein, sondern gute Bildung für Kinder und Jugendliche sowie eine vernünftige Infrastruktur. Auch finanzpolitisch ist es unerlässlich, Leipzigs mittelständige Wirtschaft zu stärken. Es muss gelingen, Leipzig finanziell weitestgehend auf eigene Füße zu stellen. Die Menschen müssen von ihrer Arbeit leben können. Dann fließen auch Einnahmen in den städtischen Haushalt, von denen wir dann die öffentlichen Aufgaben finanzieren können. Sie sind Steuerexpertin der Bundestagsfraktion. Kann Ihre parlamentarische Tätigkeit Ihre Arbeit als Oberbürgermeisterin bereichern? Natürlich. Ich bin im Bundestag im Finanz- und im Haushaltsausschuss tätig, kein Kämmerer wird mich vor sich hertreiben. Als Oberbürgermeisterin werde ich nicht mehr hinnehmen, dass Mittel, die vom Bund für die kommunale Aufgabenerfüllung bereitgestellt werden, von der sächsischen Regierung nicht in voller Höhe an die Städte und Gemeinden durchgereicht werden.
ein Problem zu, zumal es ab August 2013 einen Rechtsanspruch auf einen KiTaPlatz geben wird. Leipzig hat eine niedrige Betreuungsquote bei bis zu 3-Jährigen. Die Bauvorhaben für Kitas werde ich als Oberbürgermeisterin so schnell als möglich umsetzen. Die derzeitige Planung reicht da nicht aus. Daher muss dringend eine Sonderarbeitsgruppe »Kita« gebildet werden, um den Missstand zu beseitigen. Darüber hinaus sollte der Anteil der Plätze in kommunaler Trägerschaft, bei dem Leipzig weit hinter anderen sächsischen Großstädten liegt, wieder beträchtlich erhöht werden. Es sind aber auch Mittel nötig, um vorhandene Kitas zu sanieren. Das darf nicht unter den Tisch fallen, sonst droht der nächste Investitionsstau.
Das liegt vielleicht auch daran, dass Leipzig einen SPD-Oberbürgermeister hat und die CDU hier weniger Einfluss ausüben kann. Deren Kandidat für das Amt, Ex-Polizeipräsident Horst Wawrzynski, ist bisher vor allem mit seinem Versuch aufgefallen, die Anti-Drogen-Politik der Stadt zu beeinflussen. Sicherheit ist wichtig, aber nur ein Teil der Gesamtaufgabe eines Oberbürgermeisters bzw. einer Oberbürgermeisterin. Die städtischen Angebote der Suchthilfe sind fachlich überregional geachtet. Die Instrumentalisierung von Ängsten, wie sie die CDU diesbezüglich mit ihrer Law- and Order-Politik zuweilen betreibt, lehne ich ab. Es war im Übrigen der Polizeipräsident Horst Wawrzynski, der den Stellenabbau bei der Leipziger Polizei befürwortet und umgesetzt hat. Derzeit fehlen etwa 170 Polizistinnen und Polizisten auf Leipzigs Straßen. Ab nächstem Jahr werden es noch weniger sein.
Letztlich hängt also wieder vieles am Geld. Momentan schiebt Leipzig mehr als 700 Millionen Euro Schulden vor sich her. Wo und wie soll man da anfangen? Selbstverständlich brauchen wir ein Entschuldungskonzept. Aber Schuldenfreiheit ist kein Wert an sich. Wir brauchen ebenso Spielraum für notwendige Investitionen. Unterbleiben diese, entstehen neue
Rechnen Sie im Januar mit einem zweiten Wahlgang? Ich gehe fest davon aus, dass keiner der Kandidierenden im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichen wird. Ich werde in Kenntnis des Ausgangs der ersten Runde und in Abstimmung mit der LINKEN entscheiden, wie ich dann agieren werde. Die Fragen stellten Rico Schubert und Kevin Reißig.
Höll stellt Wahlprogramm vor Die Leipziger OBM-Kandidatin der Partei DIE LINKE hat am 26. November ihr Wahlprogramm vorgestellt. Dr. Barbara Höll unterstrich ihren Anspruch: »Ich möchte die erste Oberbürgermeisterin in der Geschichte Leipzigs werden.« In öffentlichen Stadtteilforen und Diskussionsrunden hat die Kandidatin mit den Bürgerinnen und Bürgern den Entwurf des Wahlprogramms diskutiert. »Das Ergebnis dieser Dialogphase ist ein alternatives Programm für die Politik unserer Stadt. Der enorme Rücklauf hat mich in meiner Kandidatur gestärkt,« so Höll. Im Programm fordert sie unter anderem Schluss mit Niedriglöhnen, Armut bei Kindern und Rentnerinnen und Rentnern. »Die Zeit der Großansiedlungen ist vorbei, jetzt ist Kärrnerarbeit bei der Stärkung der regionalen Wirtschaft gefragt.« Dazu hatte bereits am 17. November die Leipziger LINKE auf einem Stadtparteitag nach einem fast zweijährigen Diskussionsprozess das Positionspapier »Linke Mittelstandspolitik in Leipzig« verabschiedet. Das Wahlprogramm listet zahlreiche konkrete Maßnahmen zu den vier Themenbereichen Solidarstadt, Wirtschaftsstadt, Bürgerstadt und Kulturstadt auf. Einen Vorschlag stellt Dr. Barbara Höll besonders heraus. »Die Stadt schlägt aktuell vor, Kinder und Jugendliche bis zum 19. Lebensjahr freien Eintritt in die Museen zu gewähren. Wir sind eine Kulturstadt, daran gibt es keinen Zweifel. Aber gehört nicht auch der Sport dazu? Als Oberbürgermeisterin werde ich allen Kindern und Jugendlichen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr eine kostenlose Mitgliedschaft in Sportvereinen ermöglichen.« Zudem stellte Dr. Barbara Höll die Wahlkampfplakate vor, die die OBM-Kandidatin als dialogbereite Bürgerin auf Augenhöhe zeigen. Stadtverbandsvorsitzender Dr. Volker Külow erläuterte den Finanzplan des OBM-Wahlkampfs seiner Partei einschließlich der Spendeneinnahmen und der Unterstützung durch Bundes- und Landespartei. www.obm2013.de Skadi Jennicke
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Soziales
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Zahlen oder nicht zahlen – das ist keine Frage mehr Mit kollektiver Klugheit gegen Kriminalisierung von Anti-NaziProtest in Dresden Die europaweit größten Naziaufmärsche in Dresden scheinen zurzeit Geschichte zu sein. Dazu hat zivilgesellschaftlicher Widerstand geführt, der die Justiz auf den Plan rief. Dieses Kapitel ist noch nicht abgeschlossen, auch wenn das Amtsgericht das Verfahren gegen André Hahn wegen der Blockade 2010 ohne Auflagen und auf Kosten der Staatskasse eingestellt hat. 2010 war die Lage überschaubar: Es standen 12.000 Menschen rund um den Bahnhof Dresden-Neustadt, mit dem Effekt, dass die Nazis keinen Meter marschieren konnten. Die Polizei forderte die NaziGegner nicht auf, die Straßen freizugeben, und die Staatsanwaltschaft dachte sich zwecks Eingrenzung von Strafverfolgung scheinbar Schlaues aus: Man griff die vier Fraktionsvorsitzenden der LINKEN heraus, den Sachsen, den Thüringer und die beiden aus Hessen, schließlich gab es die »öffentliche Fraktionssitzung unter
freiem Himmel« auf der Hansastraße … Das »Angebot«: Ihr lasst euch als verantwortlich für die rechtswidrige Verhinderung einer angemeldeten Versammlung erklären, und wir stellen gegen Zahlung von 500 Euro das Verfahren ein. Das »Angebot« wurde nicht angenommen, weil im Schreiben der Staatsanwaltschaft teilweise Unrichtiges stand (die Polizei habe zum Gehen aufgefordert) und weil es eine Anmaßung gewesen wäre, so zu tun, als hät-
ten vier LINKE zwölftausend Leute dirigiert. Im Jahr 2011 war die Ausgangslage vertrackter. Mittlerweile hatte das Verwaltungsgericht den, salopp gesagt, blockadefreundlichen Polizeieinsatz für unzulässig erklärt. Das sächsische Innenministerium kam seiner Fürsorgepflicht für die Polizei nicht nach und ging nicht in Berufung. Stattdessen wurde von den Sicherheitsbehörden eine härtere Gangart gegen Gegendemonstranten für den 19. Februar 2011 an-
gekündigt. Die Polizei konzentrierte sich darauf, Nazigegner vom Erreichen der geplanten Nazi-Marschroute abzuhalten. Diejenigen, die trotz Polizeisperren ihren Protest gegen die Nazis in Sicht- und Hörweite zum Ausdruck brachten, wurden von der Polizei aufgefordert zu verschwinden, andernfalls begingen sie eine »Ordnungswidrigkeit«. Im Nachgang wurden Hunderte Menschen mit Verfahren überzogen. Das »Angebot« zur Einstellung des Verfahrens gegen
Zahlung einer Geldauflage nahmen die einen an, die anderen wiesen es zurück. In wechselseitiger Abstimmung und im Einvernehmen. Denn es nicht sinnvoll, sich in Hunderten von Verfahren zu verstricken; die Klugheit gebietet, sich auf Musterprozesse zu beschränken. Diese führen – mit solidarischer Unterstützung nicht nur der Landtagsbzw. Bundestagsfraktion – z.B. Falk Neubert, Klaus Bartl, Caren Lay und Michael Leutert. Zweitens ist festzuhalten, dass die Polizei von einer Ordnungswidrigkeit sprach, die Staatsanwaltschaft nun aber eine Straftat sieht, das passt nicht zusammen. Aber auch eine Ordnungswidrigkeit würde etwas kosten, was jeder Falschparker aus eigener Erfahrung weiß. So haben u. a. Annekatrin Klepsch und Rico Gebhardt ihre Geldauflage bezahlt. Nicht ohne darauf hinzuweisen, was sie von diesen Verfahren der Staatsanwaltschaft halten: nämlich nichts. 2012 kamen die Nazis wieder nicht zum Zug, diesmal von LINKEN bis CDU gemeinsam in die Schranken gewiesen. Ohne Ärger mit Polizei und Staatsanwaltschaft. Deshalb sollte die juristische Farce aus den Vorjahren möglichst bald unaufgeregt zu Grabe getragen werden. Marcel Braumann
Dem großen Engagement tausender Antifaschist_innen steht bis heute staatliche Repression entgegen. Immer noch laufen Ermittlungs- und Gerichtsverfahren, noch immer werden neue Strafbefehle erstellt. Diese Kriminalisierung erwächst aus der Extremismusdoktrin, welche antifaschistisches Engagement mit Naziaktivitäten gleichsetzt. Diese Ideologie ist umso skandalöser vor dem Hintergrund des Versagens des sogenannten Verfassungsschutzes und weiterer staatlicher Institutionen. Antifaschismus dürfen wir nicht dem Staat überlassen! Wir [das Bündnis] stehen weiterhin zusammen gegen jeden Versuch autoritärer Einschüchterung. Sagen, was man tut und tun, was man sagt – dadurch war das Handeln des Bündnisses »Nazifrei! – Dresden stellt sich quer« die letzten Jahre geprägt. Dabei bleibt es! Wir wol-
len auch im Februar 2013 jeden Aufmarschversuch der Nazis blockieren. Von uns wird dabei keine Eskalation ausgehen. Wir sind solidarisch mit allen, die das Ziel teilen, den Naziaufmarsch zu verhindern. »Unsere Vielfalt ist unsere Stärke« – das war unser Credo der letzten Jahre. Dabei bleibt es! Und es bleibt auch dabei: Ziviler Ungehorsam ist unser Recht, Blockaden sind legitim. Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!« Erfolgreiche Blockaden und staatliche Repressionen kosten Geld. Daher die Bitte an alle, die das Anliegen und die Arbeit des Bündnis »Nazifrei! - Dresden stellt sich quer« finanziell unterstützen wollen und können, spendet an: Bund der Antifaschisten e.V. / Konto: 7431721010 / BLZ: 85095004 / Volksbank-Raiffeisenbank Meißen / Kennwort: Dresden Nazifrei Jens Thöricht
Nicht lange fackeln – Nazis blockieren! So lautet der Titel des Aufrufs, den das Bündnis »Nazifrei! Dresden stellt sich quer« veröffentlicht hat, um für die Beteiligung an den Vorhaben des Bündnisses am 13. Februar 2013 in Dresden zu werben. Denn es gilt, wie in den Jahren zuvor, sich dem sogenannten »Trauermarsch« der Vertreter der Ideologie der Ungleichwertigkeit, der alten und neuen Nazis, Geschichtsrevisionisten und Revanchisten in Dresden mit möglichst vielen Menschen entgegen zu stellen. Dabei dürfte dem Bündnis auch der Aufwind zugute kommen, den es durch die Auszeichnung mit dem Sächsischen Förderpreis für Demokratie Anfang November erfahren hat. Mit einer Aktivierungskonferenz startete das nun verstärkt regional aufgestellte Bündnis »Nazifrei! - Dresden stellt sich quer« am 12. Oktober 2012 die Mobilisierungskampagne für den Februar 2013. Der Presse-
sprecher des überparteilichen Bündnisses Silvio Lang fasst die Konferenz mit den Worten zusammen: »Wir betrachten die Aktivierungskonferenz als Auftakt für die Kampagne 2013 und bereiten uns bereits jetzt auf alle möglichen Szenarien vor. Wir laden besonders die Menschen in und um Dresden ein, bei dem geplanten Naziaufmarsch im Februar 2013 mit uns gemeinsam auf die Straße zu gehen und diesen zu blockieren«. Im Aufruf heißt es: Auch nach den erfolgreichen Blockaden der letzten Jahre gilt es weiterhin, aufmerksam zu bleiben. Das Bündnis »Nazifrei! - Dresden stellt sich quer«, wird wieder einschreiten, falls Nazis am 13. Februar 2013 erneut versuchen, die NS-Geschichte zu verklären. Bisher wurden die Kampagnen umfassend europaweit unterstützt. 2013 liegt die Verantwortung mehr denn je in Dresden. Unsere Strate-
gie bleibt dabei das Erfolgskonzept der Blockade. Umfragen (DNN, 19.6.12) zeigen: Die große Mehrheit der Stadtbevölkerung befürwortet es, wenn wir Nazis in Dresden blockieren. Fasst Mut: Stellen wir uns gegen Rassismus und Geschichtsrevisionismus! Stoppen wir die Nazis in dieser Stadt weiterhin gemeinsam!
Kommunal-Info 10-2012 28. November 2012 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de
KFS
Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. ÖPNV in Sachsen Kommunale Spitzenverbände kritisieren Wirtschaftsministerium Seite 3
Wasserwirtschaft Energiepotenziale der Wasserwirtschaft besser nutzen Seite 3
Spekulative SWAPs Zwischenbericht zu Schadenersatzprozessen Seite 4
Publikationen KFS Neuauflagen und Neuerscheinungen Seite 4
Änderungen im Baurecht 2013 Bereits mit dem am 30. Juli 2011 in der Folge der „Fukushima-Katastrophe“ in Kraft getretenen „Gesetz zur Förderung des Klimaschutzes bei der Entwicklung in den Städten und Gemeinden“ wurde das Baugesetzbuch (BauGB) in einer ersten Stufe novelliert. Nunmehr befindet sich mit dem „Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und zur weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts“ eine zweite BauGBNovelle mit Anpassungen der Baunutzungsverordnung (BauNVO) in Vorbereitung und soll spätestens am 1. Juli 2013 in Kraft treten.
Welche Ziele?
Mit der zweiten BauGB-Novelle sollen folgende Zielstellungen verbunden werden: Die Innenstädte und Ortskerne sind als Schlüsselfaktoren für die Stadtentwicklung anzusehen, da sie für die Identifikation der Bürger mit ihren Städten und Gemeinden unverzichtbar seien. Die Vernutzung von Flächen auf der „Grünen Wiese“ und eine damit einhergehende Zersiedlung sind weitestgehend zu vermeiden. Die Attraktivität von Städten und Gemeinden ist durch den Erhalt der Baukultur zu wahren und zu stärken. Im Einzelfall seien „auch Kultur-, Bau- und Bodendenkmäler sowie historische Kulturlandschaften und –landschaftsteile von besonders charakteristischer Eigenart, insbesondere die auf der Grundlage des Übereinkommens vom 16. November 1972 zum Schutz des Kultur und Naturerbes der Welt als Weltkulturerbe geschützten Stätten, zu erhalten.“
Zur Umsetzung dieser Ziele sind eine Reihe von Veränderungen in der Gesetzgebung vorgesehen wie die Verstärkung des Bodenschutzes, Stärkung von Mediationsverfahren bei der Bürgerbeteiligung, Darstellung zentraler Versorgungsbereiche im Flächennutzungsplan, Einschränkungen bei der Intensivtierhaltung im Außenbereich, erleichterte Abbruchmöglichkeiten für verwahrloste Gebäude, verbesserte Steuerung von Vergnügungsstätten, Kindertagesstätten in den reinen Wohngebieten, die Zulässigkeit von Solaranlagen sowie die Flexibilisierung der baulichen Nutzung.
Bodenschutz
Die bisher schon seit dem BauGB von 1987 geltende Bodenschutzklausel „Mit Grund und Boden soll sparsam und schonend umgegangen werden“ und in späteren Gesetzesnovellen weiter inhaltlich ausgestaltet wurde, erhält nun eine zusätzliche Bedingung Die bisher bereits geltende Fassung lautet: „Dabei sind zur Verringerung der zusätzlichen Inanspruchnahme von Flächen für bauliche Nutzungen die Möglichkeiten der Entwicklung der Gemeinde insbesondere durch Wiedernutzbarmachung von Flächen, Nachverdichtung und andere Maßnahmen zur Innenentwicklung zu nutzen sowie Bodenversiegelungen auf das notwendige Maß zu begrenzen. Landwirtschaftlich, als Wald oder für Wohnzwecke genutzte Flächen sollen nur im notwendigen Umfang umgenutzt werden.“
In der BauGB-Novelle für 2013 soll hinzugefügt werden: „Die Notwendigkeit der Umwandlung landwirtschaftlich oder als Wald genutzter Flächen soll begründet werden; dabei sollen Ermittlungen zu den Möglichkeiten der Innenentwicklung zugrunde gelegt werden, zu denen insbesondere Brachflächen, Gebäudeleerstand, Baulücken und andere Nachverdichtungsmöglichkeiten zählen können.“ Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hält von einer derartig verschärften Begründung wenig, da sie effektiv „keinen Gewinn für eine richtige Reduzierung der Flächeninanspruchnahme“ bringen werde, aber „durch die vorgesehene und von der Gemeinde vorzunehmende Ermittlung zu den Möglichkeiten der Innenentwicklung, zu denen insbesondere Brachflächen, Gebäudeleerstand, Baulücken und andere Nachverdichtungsmöglichkeiten zählen können, ein kaum leistbarer finanzieller und personeller Aufwand zulasten der Kommunen ausgelöst“ werde.1
Bürgerbeteiligung
Mit der BauGB-Novelle soll das Mediationsverfahren2 aufgewertet werden, dass bereits bisher in der kommunalen Bauleitplanung fakultativ als außergerichtliches Verfahren zur Konfliktbeilegung genutzt wurde. Dabei geht es darum, mit Hilfe eines unparteiischen Vermittlers (Mediators) unterschiedliche Konfliktparteien (Medianten) an einen Tisch zu bekommen und im Rahmen eines Diskussionsprozesses eine einvernehmliche Lösung zu erreichen. Der Grundgedanke ist, die Sichtweisen, Hintergründe und Handlungszwänge des jeweils anderen zu verstehen und diese in einem Lö-
sungsvorschlag zu berücksichtigen. Die Mediation zielt darauf ab, eine für jede Konfliktpartei vertretbare und interessengerechte Übereinkunft zu treffen, ohne weitere (gerichtliche) und unter Umständen sehr kostspielige Wege der Streitbeilegung gehen zu müssen. Gerade eine professionelle und frühzeitige Mediation kann zu einer „Win-Win-Situation“ beitragen, die den Interessen aller Parteien gerecht werden kann. Die Kontroversen um „Stuttgart 21“ haben mit dazu beigetragen, um über eine verstärkte Nutzung von Konfliktlösungsverfahren in der Praxis nachzudenken. Dem trägt auch das vom Bundestag im Juli 2012 verabschiedete Mediationsgesetz Rechnung, in dem das Mediationsverfahren bestimmt wird als ein „vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben.“ Im Mediationsgesetz werden förmliche Regeln für das Mediationsverfahren vorgeschrieben. Danach müssen die Mediatoren unabhängig und neutral sein und sind grundsätzlich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Eine Person scheidet zum Beispiel als förmlicher Mediator im Sinne dieses Gesetzes aus, wenn sie als Bauplaner im Zusammenhang mit dem Bauleitplanverfahren oder einem nachfolgenden Bauvorhaben bereits für eine Partei tätig gewesen ist oder beabsichtigt, nach der Mediation für eine Partei in diesem Sinne tätig zu werden. Fortsetzung auf Seite 2
Kommunal-Info 10/2012 Fortsetzung von Seite 1
... Baurecht 2013 Zentrale Versorgungsbereiche
Die geplante Neuregelung im BauGB sieht zur Stärkung des Innenbereichs vor, dass im Flächennutzungsplan künftig „zentrale Versorgungsbereiche“ dargestellt werden können. Dadurch könnten die von vielen Städten und Gemeinden aufgestellten Einzelhandels- und Zentrenkonzepte bereits auf der Ebene des Flächennutzungsplans klarer rechtlich abgesichert werden. Damit könnten die Gemeinden für die Steuerung ihres gesamten Gemeindegebiets bereits auf der Ebene des Flächennutzungsplans eine legitimierte Basis für Standortentscheidungen der Einzelhandelsunternehmen schaffen können. Die Erhaltung und die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in den Städten und Gemeinden hat herausragende Bedeutung für die Stärkung der Innenentwicklung und Urbanität der Städte, aber besonders auch für die Sicherstellung einer wohnortnahen Versorgung, die angesichts der demografischen Entwicklung besonderer Beachtung bedarf, vor allem auch wegen der geringeren Mobilität älterer Menschen.
Intensivtierhaltung
Gegenwärtig gehören Großanlagen der Intensivtierhaltung zu „privilegierten Bauvorhaben“ im Außenbereich, für die kein qualifizierter Bebauungsplan erforderlich ist und die zulässig sind, sofern sie außerhalb zusammenhängt bebauter Ortsteile liegen. Ihre Zulässigkeit steht lediglich unter dem Vorbehalt des Entgegenstehens öffentlicher Belange und einer ausreichenden Erschließung. Diese Privilegierung führt insbesondere bei Großanlagen der Geflügelhaltung und der Schweinemast, die nicht landwirtschaftlich, sondern gewerblich beziehungsweise industriell betrieben werden, zu einer Zersiedelung des Außenbereichs und zu weiteren Problemen (Geruchsbelästigung). Deshalb will die Neuregelung in der BauGB-Novelle diese Privilegierung künftig begrenzen. Diese sollen künftig nur noch dann privilegiert zulässig sein, wenn sie unter einer bestimmten Größe liegen und nicht der Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegen, was von der Dimension eines Betriebes abhängt. Damit werden den Kommunen mehr Möglichkeiten an die Hand gegeben, die Ansiedlung großer gewerblicher Tierhaltungsbetriebe zu steuern. Unberührt bleibt davon die bäuerliche Landwirtschaft.
Verwahrloste Gebäude
Verwahrloste, nicht mehr wirtschaftlich nutzbare Gebäude („Schrottimmobilien“) sind aufgrund ihrer negativen Ausstrahlung auf die Umgebung ein ernstes stadtentwicklungspolitisches Problem, das dem Ziel einer qualitätsvollen Innenentwicklung der Städte und Gemeinden zuwiderläuft. Betroffen davon sind insbesondere Kommunen in strukturschwachen Regionen. Eine Modernisierung oder Instandsetzung der Gebäude wäre zumeist unrentabel. Einem solchen städtebaulichen
Seite 2 Missstand kann dann, wenn sonstige Belange (z. B. Denkmalschutz) nicht entgegenstehen, ggf. nur durch seine Beseitigung abgeholfen werden. Deshalb soll nach der künftigen Neuregelung im BauGB das „Rückbaugebot“ nach § 179 BauGB auch im nicht beplanten Innenbereich möglich sein, wo sich die „Schrottimmobilien“ zumeist befinden. Die betroffenen Städte und Gemeinden sind oftmals finanziell selbst nicht zur Beseitigung derartiger Immobilien in der Lage, andererseits besteht hierzu eine primäre Pflicht des Eigentümers. Daher bestehe eine weitere kommunale Forderung darin, den Eigentümer einer verwahrlosten Immobilie bei einem von der Gemeinde angeordneten Rückbau zur eigenverantwortlichen Übernahme der Kosten (Ersatzvornahme) heranzuziehen.3
gesehen, dass Kindertagesstätten in reinen Wohngebieten nicht mehr wie derzeit noch nur ausnahmsweise zugelassen werden können, sondern Anlagen zur Kinderbetreuung, die den Bewohnern des Gebiets dienen, allgemein zulässig sein sollen. Endlich wird nunmehr nach über 20 Jahren deutscher Einheit ein anachronistischer Zustand westdeutscher Provenienz auch im Baurecht überwunden. Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund begrüßt diese längst überfällige Entscheidung: „Dies ist aus kommunaler Sicht zu begrüßen. Kinderlärm ist der Ausfluss natürlicher und sozial adäquater Äußerungen, deren Gleichstellung mit anderen Arten von Lärm (etwa Bau oder
Vergnügungsstätten
In manchen Städten und Gemeinden schossen in den vergangenen Jahren Vergnügungsstätten zum Teil wie Pilze aus dem Boden. Mit der BauGB-Novelle sollen die Kommunen nunmehr ein Instrument erhalten, um einem weiteren Wildwuchs an Vergnügungsstätten Einhalt zu gebieten. Durch eine neue Regelung sollen die Möglichkeiten der Gemeinden erweitert werden, die Ansiedlung von Vergnügungsstätten, insbesondere von Spielhallen zu verhindern. Danach kann die Gemeinde für zusammenhängend bebaute Ortsteile in einem Bebauungsplan im „vereinfachten Verfahren“ auch für Teile des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans festsetzen, dass Vergnügungsstätten oder bestimmte Arten von Vergnügungsstätten zulässig oder nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise zugelassen werden können. Aus städtebaulicher Sicht wird das damit begründet, eine Beeinträchtigung von Wohnnutzungen oder anderen schutzbedürftigen Anlagen wie Schulen, Kindertagesstätten oder Kirchen oder eine Beeinträchtigung der sich aus der vorhandenen Nutzung insgesamt ergebenen städtebaulichen Funktion des Gebiets nicht zumuten zu können. Vergnügungsstätten sind Gewerbebetriebe besonderer Art, bei denen die kommerzielle Unterhaltung des Besuchers im Vordergrund steht und bei denen in unterschiedlicher Ausprägung der Spiel und/oder der Geselligkeitstrieb für eine gewinnbringende Freizeitunterhaltung angesprochen oder auch ausgenutzt wird. Beispiele für Vergnügungsstätten sind u.a. Spielhallen und ähnliche Unternehmen, Diskotheken, größere Tanzlokale, Nachtlokale jeglicher Art, Varietés, Swingerclubs. Nicht hierzu zählen jedoch u.a. kulturelle Einrichtungen wie Theater, Konzerthallen und Museen, Anlagen für sportliche Zwecke (z. B. Tennishallen, Kegel- und Bowlingbahnen, Fitnessstudios, aber auch Paintballanlagen), Schank- und Speisewirtschaften (soweit diese nicht durch einen damit verbundenen Vergnügungsbetrieb geprägt sind).
Kindertagesstätten
Im jetzigen Entwurf der Baunutzungsverordnung (BauNVO) wird vor-
Verkehrslärm) sowie deren Orientierung an der TA Lärm sich verbietet. Auch darf die BauNVO mit ihrer gegenwärtig nicht geregelten allgemeinen Zulassung von Kindertagesstätten für reine Wohngebiete nicht Anlass für (Gerichts-) Streitigkeiten sein. Hinzu kommt, dass es auch bereits heute der gängigen Praxis in den Städten und Gemeinden entspricht, Kindertagesstätten, die überwiegend den Bewohnern des Gebietes dienen, auch im reinen Wohngebiet im Wege der Ausnahme
zuzulassen.“4
eine Ausnahmeregelung nach 31 Abs. 2 BauGB zulässig war. Die Neuregelung hat den Vorteil, dass zum Zwecke der verstärkten Nutzung der erneuerbaren Energien - anders als bei sonstigen Nebenanlagen auf das Merkmal der funktionalen Unterordnung verzichtet wird. Nicht erfasst von der Neuregelung sind jedoch Anlagen, deren Fläche über die Größe der Dachfläche beziehungsweise die Wandfläche des Gebäudes hinausgeht.
Flexibilisierung der baulichen Nutzung.
Eine kompakte Stadt und Gemeinde, die schon aus Gründen einer Reduzierung der Flächeninanspruchnahme anzustreben ist, lässt sich besser verwirklichen, wenn auch im Innenbereich eine größere Verdichtung ermöglicht wird. Die gegenwärtige Vorschrift in der BauNVO schreibt vor, dass die festgelegten Obergrenzen für das Maß der baulichen Nutzung in den verschiedenen Baugebietstypen (Zahl der Geschosse, Geschossflächenzahl) nur aus besonderen städtebaulichen Gründen überschritten werden dürfen. Nach der künftigen Neuregelung in der BauNVO soll es ausreichend sein, dass die Obergrenzen schon aus städtebaulichen Gründen überschritten werden dürfen, wenn die zusätzlichen Voraussetzungen in des § 17 Abs. 2 BauNVO eingehalten werden. Hierzu gehören der Ausgleich und die Sicherstellung, dass die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht beeinträchtigt und nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt vermieden werden. Eine unter diesen Voraussetzungen erfolgte angemessene Ausweitung beim Maß der baulichen Nutzung, die stets aus städtebaulichen Gründen gerechtfertigt sein muss, kann deshalb zukünftig in hochverdichteten Siedlungsbereichen zu einer Flexibilisierung der baulichen Nutzung beitragen. AG 1
Vgl. Norbert Porz, Zweite Stufe der Städtebaurechtsnovelle, in: Stadt und Gemeinde, Nr. 11/2012, S.483. 2 Mehr zum Mediationsverfahren in: Zur Bürgerbeteiligung in der kommunalen Politik. Ein Leitfaden, hrsg. Vom Kommunalpolitischen Forum Sachsen e.V., 2009, S. 27 ff. 3 Vgl. Norbert Porz, Zweite Stufe der Städtebaurechtsnovelle, ebenda, S. 485. 4 Ebenda, S. 485f.
Zulässigkeit von Solaranlagen
Mit dem bereits in Kraft getretenen „Gesetz zur Förderung des Klimaschutzes bei der Entwicklung in den Städten und Gemeinden“ vom 22. Juli 2011 ist eine Privilegierung von Solaranlagen in, an und auf Dach- und Außenwandflächen von zulässig genutzten Gebäuden im Außenbereich eingeführt worden. In Konsequenz wurde nun im Entwurf der zweiten BauGB-Novelle die Zulässigkeit von Solaranlagen auch an oder auf Gebäuden in bestehenden Baugebieten (also im Innenbereich) erleichtert, ebenso wie auch die Zulässigkeit von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen innerhalb von Gebäuden. Bisher waren diese Anlagen wegen der Einspeisung in das öffentliche Netz nur als gewerbliche Anlagen zu behandeln, so dass eine Befreiung nur über
Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de V.i.S.d.P.: A. Grunke Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.
Kommunal-Info 10/2012
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ÖPNV-Finanzierung auf der Kippe
Städte, Gemeinden und Landkreise kritisieren die Vorstellungen des Wirtschaftsministeriums zur künftigen Finanzierung des ÖPNV Der Sächsische Städte- und Gemeindetag (SSG) sowie der Sächsische Landkreistag (SLKT) sprechen sich gegen den Entwurf einer Verordnung des SMWA zur Änderung der Verordnung zur Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNVFinVO) aus. Dies haben die kommunalen Spitzenverbände anlässlich der Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr des Sächsischen Landtages am 9. November deutlich gemacht. Mischa Woitscheck, Geschäftsführer des SSG, sagte dazu: „Mit dem vorliegenden Entwurf inszeniert das Wirtschaftsministerium einmal mehr Potemkinsche Dörfer. Es verteilt an die ÖPNV-Zweckverbände angeblich steigende Regionalisierungsmittel des Bundes, die der Freistaat noch gar nicht hat, weil der Bund diese Mittel 2014 einer Überprüfung unterziehen wird. Mit eigenen Mitteln will sich das Land dagegen nicht mehr am ÖPNV beteiligen.
Bleiben die Bundesmittel aus oder werden geringer als vom SMWA prognostiziert, fällt die ÖPNV-Finanzierung wie ein Kartenhaus zusammen. Die von den Landkreisen und Kreisfreien Städten getragenen ÖPNV-Zweckverbände werden jedenfalls das alleinige finanzielle Risiko nicht übernehmen können.“ Der SSG fordert mindestens eine Revisionsklausel, die Zuschüsse des Landes vorsieht, wenn die vom Land erhofften Bundesmittel ausbleiben oder niedriger als vom SMWA prognostiziert ausfallen. Ähnlich äußerte sich auch der SLKT. André Jacob, Geschäftsführer des SLKT, sagte: „Der Freistaat verschiebt jegliche Finanzierungsrisiken auf die Zweckverbände und stellt sich selbst von jeglichem Risiko frei. Man könnte auch sagen, der Freistaat steigt heute noch schnell aus dem bisher gemeinsam von kommunaler und staatlicher Seite gesteuertem Boot aus, da nicht sicher ist, ob es im Jahr 2015 in schwieriges Fahrwasser gerät“. Auch er machte deutlich, dass die Landkreise nicht
bereit sein werden, die finanziellen Risiken allein zu tragen, wo doch die Entscheidungen über Infrastrukturmaßnahmen bzw. Verkehrsangebote bisher in gemeinsamer Verantwortung von Freistaat und Kommunen getroffen wurden. Ein weiterer Kritikpunkt steht im Zusammenhang mit der Annahme des Landes, dass mittelfristig alle Zweckverbände besonders nachfrageschwache Schienen-Personen-NahverkehrsLeistungen in Busverkehre umwandeln müssen, um die nachfragestarken Verkehre absichern zu können. Während der Freistaat den Aufgabenträgern in der Verordnung Vorgaben für Bestellleistungen bei nachfragestarken Strecken insbesondere in den Ballungsräumen macht, lässt er den ländlichen Raum bei der Problematik der Umwandlung von Angeboten sprichwörtlich im Regen stehen. Der Geschäftsführer des Sächsischen Landkreistages sagte dazu: „Damit wird der ländliche Raum von der Entwicklung abgehängt.“ In diesem Zusammenhang kritisierten beide Verbände außerdem, dass sich der Freistaat trotz dieser Annahmen zugleich aus der Busförderung zurückzieht. Zurzeit stehen dafür jährlich nur noch 5 Mio. Euro zur Verfügung, die Hälfte dessen, was in der Vergangenheit für neue Busse ausgereicht wurde. Zudem ist das Antragsverfahren sehr komplex, die Fördersätze sind niedriger als bisher. „Die Kürzung der Busförderung ist inakzeptabel, das Land lässt die Zweckverbände auf alten Bussen sitzen. Das Verhalten des Wirtschaftsministeriums steht im krassen Widerspruch zu den schönen Konzepten der Staatsregierung, die der Mobilität im Freistaat Sachsen hohe Priorität einräumen.“, kritisierte Woitscheck. Pressemitteilung SSG, Nr. 28/2012, Dresden, 09.11.2012
Energiepotenziale der Wasserwirtschaft nutzen Die Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft e.V. (AöW) fordert von der Bundesregierung und den Bundesländern die Einbindung in die Energiepolitik und mehr Unterstützung für die Wasserwirtschaft zur Nutzung der Energiepotenziale in der Wasserwirtschaft. Die dafür vorhandenen Beschränkungen müssen endlich wegfallen. Die AöW weist auf die Vorteile dieser regenerativen dezentralen Energiegewinnung für die Bürger, die Umwelt und den Klimaschutz hin. Anlässlich der Sitzung des Präsidiums der AöW im Oktober 2012 in Berlin forderte Dr. Jochen Stemplewski, Präsident der AöW und Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft/ Lippeverband, dass in der Diskussion über die Energiewende und die Kosten der Nutzung erneuerbarer Energie endlich die Energiepotenziale der Wasserwirtschaft stärker beachtet werden. „Die Wasserwirtschaft betreibt schon lange Eigenenergieerzeugung aus klimafreundlichen, regenerativen Energieträgern und trägt zur Energieversorgung in Form von Strom und Wärme bei. Abwasserbetriebe nutzen die in den Kläranlagen anfallenden Klärschlämme und das Klärgas ener-
getisch zur Strom- und Wärmeerzeugung. Damit werden nennenswerte Anteile des eigenen Eigenenergiebedarfs bei der Abwasserreinigung gedeckt, die Ressourcen geschont und der CO2Ausstoss reduziert. Zudem sichern wir damit stabile Gebühren“, so Dr. Stemplewski. Die AöW hatte bereits vor zwei Jahren auf die energiewirtschaftliche Bedeutung der Wasserwirtschaft hingewiesen. Zwar seien nun weitere Forschungsprogramme zur Hebung der Potenziale angelaufen und auch verschiedene Projekte in Angriff genommen worden, dies reiche aber bei Weitem nicht aus, konstatierte das AöW-Präsidium.
Dabei liegen die Vorteile auf der Hand. Die Wasserwirtschaft ist ein wesentlicher Faktor der kommunalen Daseinsvorsorge, dezentral angesiedelt und langfristig angelegt. Wo Menschen leben, wird beständig Wasser gebraucht und Abwasser entsorgt werden müssen. So kann ein Teil der Grundlast allein in der Eigenenergienutzung mit den Energiepotenzialen der Wasserwirtschaft abgedeckt werden. Durch die Ortsnähe bestehen zudem Chancen, die Kläranlagen für die Speicherung der zeitweiligen Überschüsse aus den Schwankungen in der aus Wind- und Photovoltaikanlagen erzeugten Energie zu nutzen und bei Bedarf schnell regional zu verteilen. Da
die Anlagen bereits an die örtlichen Stromnetze angebunden sind, können sie auch leicht in Verteilnetze integriert werden. Überschüssige Wärme aus Kläranlagen und Kanälen kann durch direkte Anbindung für die Heizung von Wohnungen, Schulen, Museen und Verwaltungen genutzt werden. In Pilotanlagen wird sogar aus der Abwasserreinigung Wasserstoff als Energierohstoff gewonnen. Verfahren zur Covergärung von unterschiedlicher Biomasse und Abfällen in Kläranlagen können durch Beschränkungen jedoch derzeit nicht voll ausgenutzt werden, obwohl dies für die Umwelt mehr bringen würde. Der Betrieb von Kläranlagen und die Entsorgung von Restklärschlamm erfüllen sehr hohe Umweltauflagen, die sogar weit über die Standards für Biogasanlagen hinausgehen. Trotzdem wird die Klärgasnutzung nach dem EEG geringer vergütet als Biogas. Dies bedeutet für die Wasserwirtschaft eine strukturelle Benachteiligung und Ungleichbehandlung. Die AöW betrachtet es daher als Fehlentwicklung, dass der Bau von Biogasanlagen auf der grünen Wiese gefördert wurde, die Energiepotenziale in der Wasserwirtschaft aber übersehen werden. Auch in der Wasserversorgung schlummern noch weitere Potenziale. „Es war schon immer unser Bestreben, die Energiequellen, die in Wasser und Abwasser liegen, zu nutzen. Wir stehen bereit, unsere Möglichkeiten noch weiter auszuschöpfen. Bisher werden wir dabei aber durch die Ungleichbehandlung gegenüber anderen erneuerbaren Energien gebremst. Statt über die EEG-Umlage und den Netzausbau zu streiten und die Energiewende immer wieder in Frage zu stellen, fordern wir die Einbeziehung in die energiewirtschaftlichen Entscheidungen“, war die einhellige Feststellung des AöWPräsidiums.
Deshalb fordert die AöW:
Rechtliche Gleichstellung der Energie aus der Wasserwirtschaft mit anderen Erneuerbaren Energien und adäquate Erhöhung der Einspeisevergütungen für Strom aus der Wasserwirtschaft, insbesondere aus Klärgas und Wasserkraft, Gleichstellung der Klärgasnutzung mit Biogas, Förderung der Erstellung von Energiekarten für die Erschließung der Energiepotenziale in der Wasserwirtschaft, Einbeziehung der öffentlichen Wasserwirtschaft in ein regionales Energiemanagement und Energienetze. Informationen über Beispiele sind zu finden unter: www.allianz-wasserwirtschaft.de/ pages/themen/energie-und-wasserwirtschaft/beispiele-von-mitgliedern. php oder auch vor Ort bei den Abwasserbetrieben oder Wasserversorgern. (Pressemitteilung AöW 10/31/2012)
Kommunal-Info 10/2012
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Spekulative Swapgeschäfte
Schäden aus spekulativen Swapgeschäften. Zwischenbericht zu den von Schadensersatzprozessen betroffenen Kommunen Die Schadensersatzprozesse „Swapgeschädigter“ Kommunen sind nach wie vor in aller Munde. Kommunen und Kommunalunternehmen stehen immer noch vor der Herausforderung des richtigen Umgangs mit toxischen Derivaten. Dabei schwindet die Hoffnung, dass sich die verlustreichen Folgen des Abschlusses solcher Geschäfte schon irgendwie „regeln“ lassen, immer mehr. Die Schäden werden größer und können auch nicht mehr „ausgesessen“ werden. Nach den Erhebungen des Zentralen Kreditausschusses sind möglicherweise 2 660 Kommunen oder kommunale Unternehmen betroffen. Das Nominalvolumen der Geschäfte betrug allein im Jahr 2011 63 Milliarden Euro. Kämmerer und Geschäftsführer kommunaler Unternehmen sehen sich in Entscheidungszwang.
Vergleichen oder verklagen?
Auseinandersetzungen um spekulative Finanzderivate im Zusammenhang mit den in der Vergangenheit abgeschlossenen sogenannten „Spread Ladder Swaps“ wurden mittlerweile verglichen. Dabei hat die Bank, nicht zuletzt gezwungen durch das erste Swap-Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) (Urteil vom 22. März 2011; Az.: XI ZR 33/10), Entgegenkommen gezeigt. Häufig allerdings erst im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung. Laut Presseberichten sahen die Vergleiche mit der Deutschen Bank hinsichtlich der „Spread Ladder Swaps“ eine überwiegende Kompensation der mit diesen Swaps erlittenen Schäden und Kosten vor. Aktuell laufen zahlreiche Verfahren, insbesondere gegen die LBBW und die ehemalige WestLB (jetzt Portigon AG). Nachdem zunächst überwiegend mittelständische Unternehmen erfolgreich gegen Banken geklagt hatten, folgen nun die Klagen der Kommunen oder der kommunalen Versorgungsunternehmen. Wer klagen will, braucht einen langen Atem und muss sich über das Prozesskostenrisiko im Klaren sein. Denn trotz der BGH-Rechtspre-
chung gibt es keine Garantie. Wenngleich die Entscheidung des BGH zu Swaps auch für die Kommunen enorme Auswirkungen hat. Ein Kurzleitfaden zu der Bedeutung des Urteils ist bei Rössner Rechtsanwälte, München, abzufragen (info@roessner.de).
Ausgangspunkt des BGH-Urteils
Ausgangspunkt für viele Kommunen zur Beschreitung des Rechtswegs war die Entscheidung des BGH vom 22. März 2011. In diesem Verfahren war die Deutsche Bank vollumfänglich zum Schadensersatz verurteilt worden. Der BGH sah es als eine Pflichtverletzung an, dass die Deutsche Bank das mittelständische Unternehmen nicht über den sogenannten anfänglich negativen Marktwert aufgeklärt hatte. Dies ist ein von der Bank berechneter Betrag, vergleichbar mit einem Börsenkurs, mit dem das Produkt zum Abschlusszeitpunkt bereits im Minus war. Da die originären Kenntnisse über die Funktionsweise und die Bepreisung derartiger Swaps ausschließlich auf Seiten der Bank liegen, war für die Kunden selbst dieses Minus nicht erkennbar. Insbesondere bemängelte der BGH, dass die Bank als Berater des Kunden durch die Strukturierung zulasten des Kunden in einen schwerwiegenden Interessenkonflikt gerät. Bei den aktuell geschädigten Kommunen und kommunalen Versorgungsunternehmen sind die abgeschlossenen Swaps zwar anders bezeichnet. Von ihrer Struktur her sind sie allerdings vergleichbar. Auch die im kommunalen Bereich von den Banken angebotenen Swaps sind – allerdings für Kunden nicht erkennbar – hoch spekulativ. Sie haben überwiegend einen anfänglichen negativen Marktwert, der von den Banken bewusst im eigenen Interesse – und damit zulasten der Kommunen – einstrukturiert wurde. Mittlerweile liegt ein erstes Urteil des Landgerichts Düsseldorf vor, durch das die WestLB zum Schadensersatz gegenüber der klagenden Stadt Ennepetal verurteilt wurde. Hier ging das LG Düsseldorf ebenfalls von einem Beratungsverschulden aus. Allerdings ist dieses Urteil noch nicht rechtskräftig. Die Landgerichte Dortmund und
Köln gingen in den ersten mündlichen Verhandlungen noch einen Schritt weiter. Die Produkte, die von der ehemaligen WestLB an die Städte Hückeswagen und Bergkamen verkauft wurden, wurden als so spekulativ eingestuft, dass deren Abschluss als ein Handeln außerhalb des kommunalen Wirkungskreises angesehen wurde. Dies hätte deren Unwirksamkeit und damit die Rückabwicklung zur Folge. Ein Urteil in diese Richtung würde einen „Meilenstein“ in der deutschen Rechtsprechung darstellen. Der Vorteil einer derartigen Rechtsprechung liegt auf der Hand. Bei einer Rückabwicklung wegen Unwirksamkeit der abgeschlossenen Geschäfte kommt es auf die tatsächliche Beratungssituation vor Abschluss der Geschäfte nicht mehr an. Dies stellt insofern einen prozessualen Vorteil dar, weil die Banken regelmäßig im Nachhinein eine sehr umfassende, zutreffende und unmissverständliche Beratung geltend machen und den kommunalen Kunden „auf Augenhöhe“ mit den Spezialisten der Bank haben wollen. Hierfür werden regelmäßig die Berater als Zeugen angeboten, die wiederum ein eigenes Interesse daran haben, nicht als schlechte Berater dazustehen. Die Tendenz in der Rechtsprechung ist im kommunalen Bereich daher positiv. Bereits nach dem Urteil des BGH vom 22. März 2011 ist die Vergleichsbereitschaft in den anhängigen Verfahren gestiegen, um eine weitere Verurteilung zu vermeiden. Aktuell ist allerdings davon auszugehen, dass insbesondere die Frage nach der Unwirksamkeit der abgeschlossenen Swapgeschäfte durch die Instanzen gehen und schließlich den BGH beschäftigen wird. Die Auswirkungen bei einem höchstrichterlichen Urteil in diese Richtung wären sowohl für die Kommunen als auch für die Banken immens. Die Kommunen würden von drohenden Schäden in Milliardenhöhe freigestellt, sofern sie sich gegenüber der beratenden Bank auf die Nichtigkeit berufen. Die Banken müssten diese Produkte auf eigene Kosten auflösen. Aber selbst bei einer Wirksamkeit der Verträge bestehen Schadensersatzansprüche. Hier kommt den Kommunen oder den kommunalen Unternehmen nicht nur die genannte Swap-Rechtsprechung entgegen, sondern auch die bisherige Rechtsprechung des BGH, nach der einem risikoscheuen Kunden riskante Produkte gar nicht erst angeboten werden dürfen. Da sämtlichen Banken das risikoaverse Kundenprofil einer Kommune oder eines kommunalen Unternehmens positiv bekannt ist, liegt bereits im Angebot eines spekulativen Produktes ein Pflichtverstoß der Bank. Bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ist hier allerdings die Verjährungsproblematik zu beachten. Eine dreijährige Verjährungsfrist beginnt am Ende des Jahres
zu laufen, in dem die Kommune oder das kommunale Unternehmen Kenntnis von der Falschberatung erhalten hat. Teilweise findet noch die mittlerweile aufgehobene Sondervorschrift des § 37 a WpHG Anwendung, nach der Schadensersatzansprüche (allerdings aus fahrlässiger Falschberatung) stichtagsbezogen drei Jahre nach Abschluss des Geschäfts verjähren. Hier ist eine sorgfältige Prüfung zwingend erforderlich, um nicht selbst Vorwürfen wegen unterlassener Geltendmachung von möglichen Schadensersatzansprüchen ausgesetzt zu sein. Von Jochen Weck, Dr. Jochen Weck ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Rössner Rechtsanwälte in München, die auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisiert ist (aus: Stadt und Gemeinde, Ausgabe 10/12)
Publikationen des KFS
Rechte und Pflichten kommunaler Vertreter in Aufsichtsräten privatrechtlicher Unternehmen. Ein Leitfaden; April 2012; 57 S.; 4,50 Euro.
Kinder und Jugendliche in die Stadtplanung einbeziehen; Dezember 2011; 58 S.; 4 Euro.
Unseren Leserinnen und Lesern wünschen wir ein frohes Weihnachtsfest und alles Gute für das neue Jahr 2013 !
November 2012
Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag
ParlamentsReport Politik macht Sinn – und muss sich ändern!
Leider steht beim Thema gesetzlicher flächendeckender Mindestlohn, der heute die Existenz und morgen eine auskömmliche Rente sichert, die sächsische CDU ebenso auf der Bremse wie bei der seit Jahrzehnten überfälligen Ost-/West-Angleichung der Renten. Nun hat Tillich auf dem jüngsten CDU-Landesparteitag eine Reihe von Wünschen an Bundeskanzlerin Merkel, seine Parteifreundin, gerichtet. Doch Merkel war für Tillichs Wünsche taub. Deshalb wird Sachsen auch zur besseren Anerkennung der Lebensleistung der Menschen im Osten bei der Rente so lange nichts Wirksames beitragen, bis die CDU/ FDP-Koalition durch eine LandtagsMehrheit abgelöst worden ist, die in Wort und Tat gegen Armut von Jung und Alt vorgeht.
Nach einer Ausstellungseröffnung begann alles mit den World Cafés, die für mich ein Novum darstellten. Hierbei wanderten die Teilnehmer/ innen in kleinen Gruppen an die über die Gänge verteilten Tische der Abgeordneten, die dort sich und ihr jeweiliges Fachgebiet vorstellten. Das kurze Beackern aller Politikfelder schien mehr als praktisch, da ich mich nach dem Mittagessen ja für einen Intensiv-Workshop entscheiden musste. Nach kurzer „Abtastphase“, in der die Jugendlichen herausfanden, wer da mit ihnen sprach, folgten der Verhaltenheit meist kritische Nachfragen, was den Politikerinnen und Poli tikern die Möglichkeit zur blanken Selbstdarstellung nahm. Doch dazu sollte es auch im restlichen Tages-
Platzhirsche keine Chance haben!“. Beim Für und Wider, ob Parlamente Sinn machen, waren sich alle einig, dass es so, wie es ist, nicht weiter gehen kann und dass Parlamente erst dann Sinn ergeben, wenn sie alle Menschen an ihren Entscheidungen teilhaben lassen. Dafür jedoch muss insgesamt mehr für politische Bildung und mehr für direkte Demokratie getan werden.
Auch und vor allem in der FishbowlDiskussion kurz vor Ende der Veranstaltung wurde deutlich, dass alle Teilnehmenden auf Augenhöhe waren und ein gemeinsames Ziel haben: Die Parlamentsarbeit wieder für die Bevölkerung und nicht an ihr vorbei zu gestalten. Selbst der frühere langjährige Fraktionsvorsitzende der LINKEN, Prof. Peter Porsch, bemerkte deshalb: „Endlich mal eine Diskussionsform, in der
Persönlich nehme ich von diesem Fraktionsjugendtag die Erkenntnis mit, dass es Menschen in der Politik gibt, die Jugendlichen wirklich zuhören und ihren Problemen eine Plattform geben. Und mir wurde klar, dass es für einen wirklichen Wandel einen Regierungswechsel braucht. Hierfür ist DIE LINKE gut beraten, besonders auf junge Menschen weiter einzugehen. Dave Schmidtke (23)
Foto: efa
Mit MdL Enrico Stange, dem Fraktionssprecher für Infrastruktur und Landesentwicklung, wurden beispielsweise Möglichkeiten für einen bezahlbaren und für jeden erreichbaren Öffentlichen Nahverkehr entwickelt. FreyaMaria Klinger erklärte kreative Möglichkeiten, wie aktiv gegen Neonazis vorgegangen werden kann oder wo „mensch“ ansetzt, um Migrantinnen und Migranten in Sachsen zu helfen, in der neuen Umgebung klarzukommen. In den Workshops ging es freundlich, aber konstruktiv zu. Ich empfand es angenehm, dass darauf verzichtet wurde, uns als Gäste „zu verhätscheln“ und dass wir allesamt als Dialogpartner ernst genommen wurden.
Foto: efa
wer nichts für einen Existenz sichernden Mindestlohn tut, sollte über Altersarmut schweigen. Das gilt auch für Sachsens Ministerpräsident Tillich. Zwar verweist dieser zutreffend darauf, dass viele Menschen im Osten Deutschlands „unverschuldete“ Lücken bei der Rentenbeitragszahlung haben, weil sie nach 1990 durch das Verschwinden ihrer Betriebe oft langfristig in die Erwerbslosigkeit gedrängt wurden – und dass eben dieser Umstand bei der Berechnung der Rente berücksichtigt werden müsse. Was Tillich jedoch nicht sagt: Künftig werden immer mehr Menschen gerade in der NiedriglohnHochburg Sachsen im Alter trotz ununterbrochener Erwerbstätigkeit den Gang zum Amt antreten müssen, weil ihre Rente nicht zum Leben reichen wird.
verlauf nicht kommen. Kon struktives Miteinander stand im Vordergrund, das änderte sich zum Glück auch in den IntensivWorkshops nicht.
Foto: DAK
Liebe Leserinnen und Leser,
Am Samstag, einem grauen Novembervormittag, Jugendlichen einen Einblick ins politische Alltagsgeschäft zu gewähren und am Ende Begeisterung auszulösen, scheint ein Ding der Unmöglichkeit. Dass es dennoch geht, bewies der 2012er Jahrgang des Fraktionsjugendtages der LINKEN im Sächsischen Landtag. An den zufriedenen Gesichtern der fast 50 Teilnehmer/innen konnten die neun gastgebenden Landtagsabgeordneten ablesen: Sie hatten diese Mammutaufgabe geschafft. Ich war dabei, ich muss es wissen – und will hier davon berichten:
Foto: Dave Schmidtke
Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender
Sorgte beim Fraktionsjugendtag für berührende Momente: Musiker Esteban Orellana aus Ecuador
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PARLAMENTSREPORT
November 2012
Für Fairness bei der Auftragsvergabe – LINKE, SPD und Gewerkschaft üben Schulterschluss
Gewerkschafter und LINKE (MdL Marion Junge, 3.v.li.) kämpfen gemeinsam für Fairness bei der Vergabe öffentlicher Aufträge
und soziale Kriterien anzusetzen. Die Entscheidung über den Zuschlag eines Angebots würde auch davon beeinflusst, ob und inwieweit der Bieter Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern und zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie durchführt. Die Frage der Kontrolle und Sanktionsfähigkeit im Vergabeverfahren löst immer wieder Diskussionen in den Kommunalvertretungen aus. In unserem Gesetzentwurf haben wir deshalb Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten festgeschrieben. Neben einem anspruchsvollen Vergabebericht muss es Nachprüfungen des Vergabeverfahrens unabhängig von Schwellenwerten sowie Kontrollen der öffentlichen Auftraggeber geben. Paragraf 22 legt zudem verbindliche Vertrags-
strafen fest. Die Verantwortung für die Umsetzung des Vergabeverfahrens liegt beim Gemeinderat oder
Vor Ort sind öffentliche Veranstaltungen zum Vergabegesetz sicher ein gutes Mittel, um direkt mit Unternehmen, Verwaltung und Kommunalpolitiker/innen ins Gespräch zu kommen. Dazu sollten Sachverständige und Politiker/innen zur Diskussion eingeladen werden, um zum neuen Vergabegesetz zu informieren oder auch Streitgespräche zu führen. Immerhin gibt es unterdessen insgesamt drei Entwürfe zur Reformierung des Vergaberechts in Sachsen: von LINKE/SPD/DGB, von B90/Grüne und der CDU/FDP-Koalition. Also: Vergleichen lohnt sich! MdL Marion Junge, Kommunalpolitische Sprecherin
Foto: efa
Mit unserem „Gesetz zur Neufassung des Vergaberechts“ wollen wir den Weg frei machen für einen fairen Wettbewerb um das wirtschaftlichste Angebot unter gleichzeitiger Berücksichtigung von Sozialverträglichkeit, Umweltschutz und Energieeffizienz. Dazu gehört vor allem die Tariftreue und die Garantie eines Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde – wobei wir diese Summe als ersten Schritt verstehen und an der 10-Euro-Zielmarke festhalten. Nach unserem Gesetz würden öffentliche Auftraggeber verpflichtet, kleine und mittlere Unternehmen angemessen am Bieterwettbewerb zu beteiligen sowie bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ökologische
Kreistag, weshalb das Thema „Vergabe“ in den Gemeindevertretungen zunehmend hinterfragt wird. Darauf wollen wir reagieren und bereiten einen Antrag für die Kommunalebene vor.
Foto: Bernd Goldammer
Die Landtagsfraktionen von LINKE und SPD haben einen gemeinsamen Gesetzentwurf zur Neufassung des Vergaberechts im Freistaat Sachsen erarbeitet und in den Landtag eingebracht. Der Deutsche Gewerkschaftsbund unterstützt das Anliegen unserer Gesetzesinitiative mit seiner Kampagne „Billig: Kommt teurer – Öffentliche Aufträge gesetzlich fair regeln!“ Vor diesem Hintergrund fand kürzlich in Dresden auf Einladung der Linksfraktion das 4. Kommunalpolitische Gespräch statt. Als kompetente Ansprechpartner standen mein Fraktionskollege Karl-Friedrich Zais als wirtschaftspolitischer Sprecher, Markus Schlimbach, Vize-DGB-Vorsitzender und ich als Fraktionssprecherin für Kommunalpolitik Rede und Antwort. Gemeinsam informierten wir über die Ziele und den aktuellen Stand der Gesetzesinitiative und beantworteten zahlreiche Fragen der Kommunalpolitikerinnen und -politiker.
Kompetente Ansprechpartner in Sachen Vergaberecht (v.li.): MdL Karl-Friedrich Zais, MdL Marion Junge (beide DIE LINKE) und Gewerkschafter Markus Schlimbach
Raus aus dem Landtag und rein in die Kita – LINKE beim Bundesvorlesetag „Danke für Ihre schöne Lesung. Durch Sie wurde das Buch bei unseren Kindern besonders beliebt.“ Diese Worte nebst Bild flatterten der Löbauer Landtagsabgeordneten der LINKEN Heiderose Gläß kürzlich ins Haus. Absender war der Kindergarten „Krümelkiste“ in Berthelsdorf, wo die Sprecherin für Gleichstellungspolitik Mitte November zur Freude der anwesenden Knirpse aus dem Kinderbuch „Antonella und ihr Weihnachtsmann“ vorlas. So wie Gläß nutzten zahlreiche weitere Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE den 9. bundesweiten Vorlesetag, um in verschiedenen Kindereinrichtungen Sachsens reinzuschauen und Kinderbücher vorzustellen. Fraktionsvorsitzender Rico Gebhardt z.B. las für Vorschulkinder im „Kinder-
land“ in Aue aus dem Buch „Erzähl mir vom kleinen Angsthasen“, Landtagsvizepräsident Horst Wehner war im Kindergarten „Wirbelwind“ in Werdau
zu Gast und präsentierte: „Oma und Frieder“. Jana Pinka (Foto) las in der Freiberger Mittelschule „Clara Zetkin“ aus der Kinderkrimi-Buchreihe
„1000 Gefahren“, Heike Werner war bei der Tagesgruppe der Kinderarche in Großdalzig zu Gast, Sebastian Scheel las im Kinderhaus Naundorf aus „Der kleine Ritter Trenk“, Heiko Kosel besuchte die Grundschule in Guttau, Falk Neubert stellte in der Johann-Gottlieb-Fichte-Mittelschule in Mittweida das Kästner-Buch „Konferenz der Tiere“ vor, Kerstin Lauterbach überraschte die Kinder im Kalkreuther „Zwergenland“ mit „Der kleine Drache Kokosnuss“ und Volker Külow präsentierte „Alarm im Kasperletheater“ in der Kita von Outlaw in Leipzig. Vom Vorlesetag profitier(t)en beide Seiten: Kinder und Politiker/innen. Ganz sicher sind die LINKEN Vorleserinnen und Vorleser auch im kommenden Jahr wieder mit dabei.
November 2012
PARLAMENTSREPORT
Etat 2013/2014: „Generation billig mit Tillich“ – Proteste gegen CDU/FDP-Koalition
Sicherheit und Schutz gibt’s nicht umsonst – Sachsens Landesbedienstete machen ihrem Frust Luft
Im Rahmen der Kampagne „Weil Kinder Zeit brauchen“ wurden große „WunschUhren“ an die Landtagsfraktionen überreicht.
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PARLAMENTSREPORT
November 2012
Seelische Erkrankungen werden Massenphänomen – Was macht die Politik?
In Sachsen arbeiteten Ende 2011 insgesamt 901 Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. Während die Einwohner-Arzt-Relation in den Großstädten weit unter 3.000 lag, betrug sie in den ländlichen Kreisen das über Drei- bis Vierfache. Die Kassenärztliche Vereinigung konstatiert für Sachsen dennoch eine Überversorgung im ambulantenpsychotherapeutischen Bereich. Dabei ist bekannt, dass psychische Erkrankungen sehr vielfältig sind, die Behandlung individuell erfolgen muss und zudem meist langwierig ist. Wichtig für den Behandlungserfolg ist, dass es ortsnahe Beratungsstellen und schnelle Termine gibt.
Foto: efa
Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens psychisch zu erkranken, liegt zwischen 16 und 20 Prozent. Seelische Erkrankungen sind auf dem Weg, zum Hauptgrund für vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsleben zu werden. Trägt die medizinische Versorgung dem Rechnung? Gibt es die niederschwelligen Angebote, die diese Erkrankungsform braucht? Und wie steht es um die Zusammenarbeit von Patient, Psychologe, Psychotherapeut, Beratungsstelle, Krankenkasse usw.? Um Fragen wie diese ging es beim gesundheitspolitischen Fachgespräch, zu dem die Fraktion DIE LINKE Ende Oktober in den Sächsischen Landtag eingeladen hatte.
Auf dem Podium beim gesundheitspolitischen Gespräch (v. li.): Landtagsvizepräsident Horst Wehner, MdL Kerstin Lauterbach, Andrea Mrazek, Präsidentin der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer
Bei beidem liegt in Sachsen einiges im Argen. Wir müssen hier auch auf parlamentarischem Weg mehr Druck machen. Mit meinen Kleinen Anfragen zur Versorgung mit Psychotherapeuten (Drs 5/9686) und zur Nachwuchsgewinnung im Bereich der Psychotherapie (Drs 5/9685) ist der Anfang gemacht. Betrachtet man die vielfältigen Problemlagen der Menschen, ist man
freilich versucht, zuerst die Gesellschaft umzukrempeln. Nun gut, das wird von heute auf morgen nicht gehen, also müssen wir die Gesellschaft so umgestalten, dass leben weniger krank macht. Fangen wir in der Arbeitswelt an! Der LINKE Slogan „Gute Arbeit, gute Löhne, gutes Leben“ gibt die Richtung vor. Auch der medizinische Bereich braucht Veränderung. Bei den derzeitigen Bestellzeiten kann kein Mensch
gesund werden. Abhilfe könnten Vernetzungen der Verantwortungsträger und eine Stärkung des Gemeindepsychiatrischen Dienstes schaffen. Das ließe sich mit der anstehenden Haushaltplanung durchaus lösen. Und: Mit nur einer (!) Krankenkasse hätten es Netzwerke leichter, würde Bürokratie abgebaut. MdL Kerstin Lauterbach, Sprecherin für Gesundheitspolitik
Werben für LINKE Kooperation in Mitteldeutschland Fraktionspressesprecherin Diana Glöckner und Fachberater Andreas Schuster begrüßt. Die LINKS-Politikerinnen und -Politiker vereinbarten u.a., bei der Aufklärung des Behördenversagens im Komplex „Nationalsozialistischer Untergrund“ weiter eng zusammenzuarbeiten. Soweit rechtlich möglich, soll der Informationsaustausch auf der Arbeitsebene fortgesetzt und erweitert werden. In
Foto: Diana Glöckner
Der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Rico Gebhardt reiste Ende Oktober gemeinsam mit MdL Enrico Stange, Fraktionspressesprecher Marcel Braumann und Mitarbeiter Stefan Hartmann zum „Antrittsbesuch“ zur Linksfraktion im Thüringer Landtag. In Erfurt wurde die kleine sächsische Abordnung vom Fraktionsvorsitzenden Bodo Ramelow, dem Landesvorsitzenden der Thüringer LINKEN Knut Korschewsky,
dem Zusammenhang kündigten die Thüringer an, im Mai 2013 ihr Buchprojekt zu Nazi-Terror und Verfassungsschutzskandal fortsetzen zu wollen. Beim zweiten länderübergreifenden Themenkomplex der Arbeitsberatung ging es um Landesentwicklung und Raumordnung. Beide Landtagsfraktionen waren sich darin einig, bei Fragen zur Landesentwicklungs- und Raumordnungspolitik künftig enger zusammenzuarbeiten. Als Bereiche für eine vertiefte Länderkooperation wurden u.a. Wirtschaft, Staat und öffentliche Verwaltung benannt. Angeregt wurde hierbei auch, die Verbindung zu den LINKEN in Sachsen-Anhalt enger zu gestalten, um den gesamten mitteldeutschen Raum mit einzubeziehen. Geplant ist, auf Arbeitskreisebene Konzeptionen für bi- und trilaterale Staatsverträge zum Abbau rechtlicher und verwaltungsrechtlicher sowie -technischer „Schranken“ zu erarbeiten. Im weiteren Gesprächsverlauf wurden Möglichkeiten und Strategien zur Weiterentwicklung einer mitteldeutschen Metropolregion disku-
tiert und für 2013 die Konzipierung einer länderübergreifenden Metropolregionen-Konferenz angeregt. Zudem sollen Eckpunkte für ein mitteldeutsches Verkehrskonzept für die drei Länder erarbeitet werden. Als kulinarischer Gruß aus Sachsen wechselten übrigens – passend zum bevorstehenden Fest – ein original Dresdner Stollen und eine Flasche Meißner Wein die Besitzer (Foto).
Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Fax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Elke Fahr
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Schluß mit der Preistreiberei bei den Stromkosten Die Energiepreise steigen seit Jahren, während die Realeinkommen vieler Haushalte zurückgehen und der Stromkostenanteil im Hartz IV-Regelsatz stagniert. Vorläufiger Höhepunkt sind die zum 1. Januar 2013 wirksam werdenden Preissteigerungen der Energieversorger. Die Stadtwerke Leipzig beispielsweise heben für ihre 280.000 Privatkunden den Preis pro Kilowattstunde von derzeit rund 20 Cent auf etwa 24 Cent an. Zu den gut 3 Cent kommt natürlich noch die Mehrwertsteuer hinzu. Für einen durchschnittlichen Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 3.500 Kilowattstunden macht das im Jahr zusätzlich rund 140 Euro aus. Als Grund der Verteuerung wird von den Stromanbietern immer wieder der politisch gewollte Ausstieg aus der Atomenergie nach dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima und die gestiegene Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien angegeben. In Wahrheit resultieren die steigenden Strompreise jedoch aus einem komplexen Zusammenwirken verschiedener Faktoren. Ein etwas genauerer Blick auf die Zusammensetzung des Strompreises zeigt, daß nicht einmal die Hälfte der Preissteigerung den Kosten der Energiewende geschuldet ist. Die Stadtwerke Leipzig geben an, daß nur ca. 29 Prozent
des Strompreises auf Kosten für Strombeschaffung, Vertrieb und Service entfallen. Die Netzentgelte schlagen mit ca. 24 Prozent zu Buche, Steuern, Abgaben und Umlagen sind mit ca. 47 Prozent beteiligt. Dazu zählen im Detail: Umsatzsteuer – auch Mehrwertsteuer genannt, der aktuelle Steuersatz liegt bei 19 Prozent. Stromsteuer – Steuer auf die Entnahme bzw. den Verbrauch elektrischer Energie. Konzessionsabgabe – Abgabe an Gemeinden für das Recht des Netzbetreibers, öffentliche Verkehrswege für Stromleitungen zu nutzen. KKW-Umlage – Aufschlag zur
Förderung von Kraft-WärmeKopplungsanlagen. §19 StromNEV-Umlage – Unternehmen mit sehr hohem Stromverbrauch werden von Netzentgelten vollständig befreit. Diese Kosten müssen von allen anderen Verbrauchern getragen werden. Erneuerbare Energien(EEG)Umlage – Umlage zur Förderung der erneuerbaren Energien. Offshore-Umlage – Entschädigung von Betreibern von Offshore-Anlagen, wenn Übertragungsnetzbetreiber betriebsbereite Anlagen nicht rechtzeitig an das Netz anschließen können. Der größte Skandal ist die Be-
freiung energieintensiver Unternehmen sowohl von den Netzentgelten als auch von der EEG-Umlage, zumal die Bundesnetzagentur dabei offenbar ausgesprochen großzügig verfährt. Kann man die Befreiung eines kommunalen ÖPNV-Unternehmens noch nachvollziehen, hört bei der Allianz-Versicherung, dem Erzbischöflichen Ordinariat Erfurt oder diversen Golfklubs jegliches Verständnis auf. In der Energierechnung eines Privathaushaltes schlagen neben dem Anstieg der Strompreise aber in noch viel größerem Umfang die höheren Preise für Wärme und Treibstoff zu Buche. Dies hängt ins-
sierung wird das Pseudo-Problem Mietnomadentum auf Kosten von Mieterinnen und Mietern »gelöst«. Was heißt Mietnomadentum eigentlich? Dass von Anfang an, also mit Unterzeichnung des Mietvertrages, jemand die Absicht (!) hat, niemals Miete zu zahlen – ein Problem, das es in einer relevanten Größenordnung überhaupt nicht gibt. Und das könnte die Regierung sogar wissen. Die FDP hat in der 16. Legislaturperiode in einer Kleinen Anfrage von den »drängendsten wohnungswirtschaftlichen und mietrechtlichen Problemen« gesprochen und mal bei der Bundesregierung nachgefragt, was zu tun sei. Und was sagte die Bundesregierung (damals CDU/CSU und SPD)? »Die der Bundesregierung vorliegenden Zahlen bestätigen
diesen Eindruck nicht«. Im Rahmen einer Studie der Universität Bielefeld hat der Hausbesitzerverband seine Mitglieder, die 24 Millionen Mietwohnungen besitzen, gebeten, über Fälle von Mietnomadentum zu berichten. Rückmeldung: 400 Fälle von echtem Mietnomadentum. Damit liegt die Zahl im Promillebereich.
besondere mit dem gestiegenen Ölpreis zusammen. Die »wahren Kosten« der fossil-nuklearen Energieversorgung sind dabei noch wesentlicher höher. So profitieren Atomenergie, Steinkohle und Braunkohle seit Jahrzehnten in erheblichem Umfang von direkter und indirekter staatlichen Förderungen im dreistelligen Milliardenbereich. Würde man diese Kosten als eine »Konventionelle Energien-Umlage« auf den Strompreis umlegen, wäre diese heute mit etwa zehn Cent pro Kilowattstunde fast dreimal so hoch wie die gegenwärtige EEG-Umlage. Dies macht deutlich: Die größte Kostenfalle für die Zukunft wäre ein Festhalten an der fossilnuklearen Energieversorgung. Das Fazit kann also nur lauten: Das Problem ist nicht die Energiewende, sondern das durch die schwarz-gelbe Bundesregierung noch zusätzlich geförderte Profitstreben der Energiekonzerne! Wer die Energiewende will, muß die soziale Frage als integralen Teil des ökologischen Umbaus der Energieversorgung begreifen und die Energiewirtschaft demokratisch umbauen. Die Willkür der Stromwirtschaft bei der Preisgestaltung und unberechtigte Privilegien der Industrie zu Lasten der Privathaushalte müssen beendet, die Stromversorgung auch für Menschen mit geringem Einkommen garantiert werden. Angela Müller, ADELE
Angriff auf Mieterrechte »Mietrechtsänderungsgesetz« - das hört sich neutral an, ist es aber nicht. Der Titel des Gesetzentwurfs heißt korrekt: »Entwurf eines Gesetzes über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und« – darauf kommt es an – »über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln«. Die energetische Modernisierung ist wichtig und richtig. Nur leistet der Gesetzentwurf der Regierung dazu keinen Beitrag. Bei der energetischen Sanierung wird das Recht auf Mietminderung in den ersten drei Monaten ausgeschlossen. Der Einwand gegen die Modernisierung, dass die zu erwartende Mieterhöhung eine Härte darstellen würde, kann nicht mehr sofort geltend gemacht werden, sondern erst im Mieterhöhungs-
verfahren, und das dann auch nur noch einen Monat lang. Mieterinnen und Mieter haben keine Chance mehr, im Vorfeld Einspruch zu erheben, sondern müssen sich nachträglich in kürzester Zeit ihr Recht verschaffen. Neu dazu kommt jetzt noch die Sicherungsanordnung. Damit sollen die Vermieter vor Mieterinnen und Mietern geschützt werden, die ihre Mietzahlungen nicht mehr leisten können. Diese können jetzt noch einfacher auf die Straße gesetzt werden. Mietnomadentum – ein Problem, das man lösen muss? Der Gesetzentwurf ist eine einzige Mogelpackung: Unter dem Deckmantel der notwendigen energetischen Moderni-
LINKE Lösungen Wir finden, bei bestehenden Mietverhältnissen soll ohne wohnwertverbessernde Maßnahmen eine Mietsteigerung nur im Rahmen des Inflationsausgleichs möglich sein. Und wir wollen eine Umlage der Modernisierungskosten von höchstens 5 Prozent. Auch das rechnet sich, denn die Modernisierungskosten
sind im Rahmen der Abschreibungsfristen zu refinanzieren. Mieterhaushalte, deren Einkünfte unterhalb des bundesdurchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommens liegen, sollen maximal 30 Prozent ihres Nettoeinkommens für alle anfallenden Wohnkosten aufwenden müssen. Wir fordern, dass das Wohngeld an die tatsächliche Miet- und Einkommensentwicklung angepasst wird, dass Sanierungen nur duldungspflichtig sind, wenn sie keine unzumutbare Härte bedeuten. Und wir fordern, dass gesetzlich sichergestellt wird, dass die ersatzlose Räumung von Wohnungen unzulässig ist. Wohnungen sind ein Zuhause für Mieterinnen und Mieter und nicht dafür da, Reibach zu machen. Halina Wawzyniak
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Das war die Herbstakademie der linksjugend
Die Herbstakademie ist neben dem Pfingstcamp, der Provinzparade und anderen Projekten der linksjugend [‘solid] Sachsen eines der großes Events des Landesverbandes. Vom 24. bis 31. Oktober haben wir täglich bis zu 5 verschiedene Seminare, Workshops und Vorträge anbieten können. Ermöglicht wird das ganze als Kooperationsprojekt mit dem Ring politischer Jugend Sachsen e.V.. Das inhaltliche Angebot reichte von Workshops über die Themen Krise, Faschismustheorie, Sexis-
mus, Datenschutz bis zu Vorträgen über die Kritik an Verschwörungstheorien, Ökofaschismus und der Extremismustheorie/Streitbarer Demokratie und vielen weiteren. Neben den inhaltlichen Workshops konnten auch Fähigkeiten vermittelt werden. So haben wir einen zweitägigen RhetorikWorkshop angeboten bei dem die Teilnehmer_innen im Argumentieren geschult wurden und Tipps zu Redetechniken und -strategien erhielten. Außerdem wurde ein Moderationswork-
shop angeboten, in dem die Kunst des Zuhörens und Vi-
sualisierens von Inhalten praktisch angewendet wurde. Neben diesen methodischinhaltlichen Angeboten haben wir auch Skills (Kunstfertigkeiten) vermittelt. So gab es Workshops zum Nähen, Drucken & Stencil und auch zur Erstellung einer kleinen Radioshow. Während dem nächtlichen Tanzbein schwingen, tollen Spieleabenden konnten wir uns kennen lernen und Freundschaften stärken. Aber wir haben auch zusammen getrauert und geweint. Lisa-Marie Jatzke, die auch mit uns feiern und singen sollte, konnte nicht bei uns sein. Sie verstarb am 21. Oktober 2012 auf dem Landesparteitag. Marco Böhme
ren mit großer Leidenschaft in verschiedene politische Projekte gesteckt. Sie war über Dresden und Sachsen hinaus eine beliebte und bekannte Ansprechperson. Seit 2011
war Lisa gewähltes Mitglied im Beauftragtenrat der linksjugend [‚solid] Sachsen und hat sich in dieser Funktion an ungezählten Projekten des Jugendverbandes beteiligt.
Ihr alle kennt ihn und wir alle lieben ihn: Roy - unser Jugendbus. Tausende Kilometer hat er auf dem Buckel, hat hunderte Dörfer mit uns besucht und auf unzähligen Demos die Stimmung angeheizt. Doch Roy ist in die Jahre gekommen und wird von uns 2013 in Rente geschickt. Deswegen suchen wir einen würdigen
Nachfolger, der uns auf Demos, unseren Jugendtouren und Veranstaltungen begleitet. Dazu brauchen wir Eure Hilfe! Beteiligt Euch an der Suche - im Internet, im Freundeskreis oder auf der Straße - und schickt uns Eure Empfehlung! Der/Dem Finder_in drohen verlockende Preise, zusammengestellt in einem dicken Präsentkorb! Folgende Anforderungen sollte die NachfolgerIn von Roy haben: Anhängerkupplung Euro 4 / Grüne Plakate mindestens 6 Sitzplätze mit PKW-Führerschein fahrbar mindestens eine seitliche Schiebetür mit Fenster Flügeltüren hinten mit Fenster viel Laderaum, min. 2,5 m Tiefe Schickt uns die Angebote an unserem Jugendkoordinator Rico Knorr unter rico.knorr@ dielinke-sachsen.de
Viel zu kurzer Nachruf für Lisa-Marie Am Sonntag, dem 21. Oktober 2012, ist unsere Freundin, Mitstreiterin und Genossin Lisa-Marie Jatzke, vielen auch unter ihrem Künstlernamen LMJ bekannt, verstorben. Lisa starb in Folge eines epileptischen Anfalls auf dem Landesparteitag der sächsischen LINKEN, den sie selbst noch am Samstagmorgen mit einem eigenen Song und einer Rede eröffnet hat. Wir sind fassungslos über den plötzlichen Tod von Lisa, die im gesamten sächsischen Jugendverband bekannt war. Lisa hatte als LMJ ihr eigenes Solo-Musikprojekt, und hatte, neben ihren anderen Auftritten, auch viele Vorstellungen im Jugendverband gegeben. So bleibt Lisas Neuinterpretation von alten Arbeiterliedern auf dem diesjährigen Pfingstcamp sicherlich nicht nur für uns unvergessen. Beruflich hat Lisa als Sozialassistentin gearbeitet und ihre freie Zeit seit mehreren Jah-
Wir suchen Roy 2
Sie war für uns und viele andere in erster Linie nicht nur Mitstreiterin und Genossin sondern eine Freundin, die mit ihrer Lebensfreude und Energie auch immer andere Menschen begeistert hat. Lisa hatte einen ansteckenden Humor, war eine sympathische Polemikerin, begabte Sängerin, engagierte Antifaschistin und überzeugte und aufrichtige Streiterin gegen Ungerechtigkeit und Widerwärtigkeiten, insbesondere gegen Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie: »Mich widern Sexismus, Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und dergleichen einfach nur an und mein Ziel ist es, gegen diese gesellschaftlich immer noch stark verankerten Themen vorzugehen – auf einer angemessenen, verständlichen und jugendbezogenen Ebene.« - LMJ Im Jugendverband hat Li-
Termine sa neben inhaltlicher und organisatorischer Arbeit auf Stadt- und Landesebene auch Materialien gelayoutet und Veranstaltungen moderiert. Gemeinsam mit Lisa zusammenzuarbeiten war für alle von uns schön und motivierend, denn Lisa hat ihre Ideen nicht aus abstrakter Pflichterfüllung umgesetzt, sondern weil sie aus sich selbst heraus dafür gebrannt hat. Von Lisa bleiben uns zahlreiche schöne Erinnerungen, Bilder, Töne, Werke, Sprüche und Witze, an die wir uns gern erinnern und erinnern werden, auch wenn es sehr schmerzlich ist. Wir drücken allen anderen Menschen, die LMJ – so war sie den meisten von uns bekannt – nahe standen unser tiefes Mitgefühl und Beileid aus und hoffen, alle können LMJ in guter Erinnerung behalten. linksjugend [‚solid] Sachsen
4.Dezember 19:00 Dresden: »Umgang mit politischen Denkmalen aus der DDR-Zeit« 14.Dezember 14:30 - Dresden: Dialogkonferenz »Neonazismus in Sachsen« 18. Dezember 19:00 Pfingstcamp-Ideentreffen Region Dresden in der WIR AG, Martin-Luther-Straße 21, Dresden 19. Dezember 2012 19:00 Pfingstcamp-Ideentreffen für Region Leipzig im linXXnet, Bornaische Straße 3 d, Leipzig 20. Dezember 2012 20:00 Pfingstcamp-Ideentreffen für Region Chemnitz im Rothaus, Lohstraße 2, Chemnitz
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DIE LINKE im Europäischen Parlament
12/2012 Sachsens Linke!
Die Wirtschaftskrise in Griechenland Die von der Troika und der griechischen Regierung getroffenen Maßnahmen zur Bewältigung der Wirtschaftskrise in Griechenland zielten und zielen auch weiterhin auf die Finanzkraft der europäischen BürgerInnen, die letztlich für die Krise zahlen sollen. Nach dieser Logik sehen wir uns mit einer generellen Attacke auf die Rechte der Arbeitenden sowie einem Angriff auf die sozialen Rechte im Allgemeinen konfrontiert. Alle griechischen Regierungen setzten und setzen im Sinne der Umsetzung des Memorandums und in Zusammenarbeit mit der Troika auf eine Politik der »kontrollierten Standards« und einer »gewalttätigen internen Abwertung«. Die Wirtschaftskrise geht einher mit einer grundlegenden Legitimationskrise des politischen Systems. Aufgrund des öffentlichen Druckes war die PASOK-Regierung nach der Umsetzung der strengen Sparmaßnahmen gezwungen, mit der rechten Nea Dimokratia und der extrem rechten LAOS, mit Ex-Banker Papademos als Premierminister, eine Regierung zu bilden. An diesem Punkt ging in Griechenland eine politische Ära zu Ende. Dennoch setzte die neue Regierung auf eine Fortführung der Vorgängerpolitik und zwang letztlich tausende Menschen in die Arbeitslosigkeit, beschnitt immer weiter soziale Rechte und Freiheiten. Flankiert vom Beharren der EU auf einer harten neoliberalen Politik auf wirtschaftlicher wie politischer Ebene, führte dies zur zunehmenden Radikalisierung weiter Bevölkerungskreise sowie einer starken sozialen Mobilisierung. Unglücklicherweise führte das auch dazu, dass sich wichtige Teile der Bevölkerung, darunter Angehörige unterprivilegierter Schichten und junge Menschen, der neofaschistischen wie rassistischen Partei des Golden Dawn zuwendeten. Diese weiß, wie man die Ängste der Menschen, den Glaubwürdigkeitsverlust des politischen Systems, die akute wirtschaftliche Bedrohung und die Frage nach der Einwanderung zum eigenen Vorteil nutzen kann. Trotzdem
Bild: Oneiros@flicr
Sozio-Politische Entwicklungen und die Rolle von SYRIZA
wurde der Vorschlag von SYRIZA, mit allen Kräften, die sich gegen das Memorandum stellen, eine neue kraftvolle Koalition zu gründen, letztlich von den Menschen positiv aufgenommen, ungeachtet aller Schwierigkeiten und trotz der Ablehnung dieses Vorschlages seitens einiger anderer linken Strömungen. So stellt das Resultat der Wahlen im Mai einen wichtigen Schlag gegen die Pro-MemorandumKräfte und die des Establishments dar. Die Nea Dimokratia stand mit 18,85% an erster Stelle, SYRIZA folgte mit 16,78 % und PASOK fiel auf 13,18%. Die Unabhängigen Griechen standen mit 10,60% an vierter Stelle, die Kommunistische Partei erreichte 8,48%, Golden Dawn 6,97% und die Demokratische Linke wurde mit 6,11% gewählt. SYRIZA ist damit die wichtigste Widerstandskraft innerhalb der griechischen Gesellschaft. Das Fortbestehen des politischen und wirtschaftlichen Establishements und dessen imposanter «Lösungen” steht im Widerspruch
zum Willen der Menschen, und das Versagen dieses Systems, eine wirkliche Lösung zu finden, führte zu Neuwahlen. Der Bedeutungsgewinn von SYRIZA und deren offensichtlich zunehmende Durchsetzungskraft provozierte geradezu eine systemische Reaktion. Diese äußerte sich in Form von Lügen, Verzerrungen, Desinformation und einer groß angelegten Erpressung der Wählerinnen und Wähler. Bei der zweiten Wahl im Juni war es das Ziel der SYRIZA, stärkste Kraft zu werden, um eine starke Regierungskoalition bilden zu können, in deren Zentrum die linken Kräfte stehen. Auf der anderen Seite instrumentalisierten die das Memorandum unterstützenden Aktivisten die Spekulationen um einen möglichen Ausstieg aus dem Euro, um ihren Einfluß auszuweiten. Letztlich gelang es SYRIZA unter extrem schwierigen Bedingungen, ein für griechische Verhältnisse erstaunlich gutes Ergebnis zu erlangen*. Die Regierung konstituierte sich schlussendlich aus Nea Dimokratia,
PASOK und der Demokratischen Linken. Als wäre nichts geschehen und entgegen des vor den Wahlen abgegebenen Versprechens, die Memorandum-Politik einer kritischen Prüfung zu unterziehen, führt die Regierung den politischen Kurs fort, der Griechenland zerstört. Dies verstößt deutlich gegen die Würde der Griechen. Doch ungeachtet davon werden die Wahlen nicht der letzte Versuch der Menschen in Griechenland gewesen sein, das Memorandum zu überwinden, vielmehr sind sie als erste große Schritte in Richtung eines politischen Wandels zu betrachten. Der Kampf der Linken richtete sich nicht ausschließlich gegen Nea Dimokratia und PASOK. Vielmehr gab es enorme und ungedeckte externe Interventionen, eine riesige »TerrorKampagne«, gestützt von den größten Akteuren der Massenmedien mit der Absicht, den möglichen Wahlsieg SYRIZAS zu boykottieren. Kurz vor den Wahlen »flüchteten« zwei Milliarden Euro von den griechischen Banken. Trotz der festen
Vereinbarungen wurden eine Milliarde Euro Hilfsgelder von der Troika vorenthalten. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass gezielte Anstrengungen unternommen wurden, die Mitarbeiter großer Banken und Firmen vor den Wahlen unter Druck zu setzen, um potenzielle SYRIZA Wähler einzuschüchtern. Die im Juni gebildete Regierung hat einen Vorteil und zwei Nachtteile. Der Vorteil ist, dass sie durch die letzten Wahlen legitimiert ist. Nachteilig jedoch wirkt sich die eigene Politik aus, die alle linken Ansätze auf dem Gebiet der Arbeits- und sozialen Rechte und im öffentlichen Dienst und Sozialstaat zerstört. Nachteilig ist zudem, dass nicht nur die Geduld der Menschen ein Ende gefunden hat, sondern auch ihre Bereitschaft, die ungeheuren existenziellen Belastungen weiter zu ertragen. Die Geschehnisse der letzten Monate haben nicht nur die politischen Kräfteverhältnisse Griechenlands verändert, sondern das gesamte Land. Die harte Realität des Memorandums hat das Bewusstsein der Menschen radikal verändert, ihre Ansichten und auch ihre Bedürfnisse. SYRIZA wird jetzt als Kraft des sozialen Widerstandes und des Wandels, sowie als Kraft des politischen Ausweges wahrgenommen. Linke Ideen sind wieder in das Zentrum des politischen und sozialen Lebens gerückt. Jetzt ist Zeit für die Formierung der großen Linken, nach welcher die griechischen BürgerInnen gefragt haben, was man nicht zuletzt an den Ergebnissen der letzten Wahlen sehen kann. Die Schritte zur Einheit müssen vollendet werden. Dazu braucht es vor allem eine Zusammenführung aller linker Tendenzen und Kräfte zur Schaffung einer geeinten linken Identität, mit der Fähigkeit und dem Ziel, eine alternative Wirklichkeit, zugunsten der griechischen Gesellschaft, zu gestalten. Nikos Chountis, MEP of SYRIZA in the GUE/NGL (MdEP)
Sachsens Linke! 12/2012
DIE LINKE im Bundestag
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Das Beispiel Hoyerswerda
Bild: Jonathan Göpfert_pixelio.de
Seit die Bundesregierung im Jahr 2002 das Programm Stadtumbau Ost aufgelegt hat, ist eine Evaluation nach zehn Jahren Laufzeit vorgesehen. Die Stadt Hoyerswerda bietet sich dazu in besonderem Maße an, da die Neustadt eines der ersten Wohnungsbauprojekte in der DDR war. Die Wohngebiete sind parallel zur Industrialisierung der Region gewachsen und boten Tausenden von Arbeiterinnen beliebten Wohnraum. Nach dem Mauerfall geriet die Großwohnsiedlung aufgrund von Abwanderung stark unter Druck. In den vergangenen Jahren wurden hier rund 8.500 Wohnungen abgerissen. Mit einer Fachexkursion von Mitgliedern der Bundestags-, Landtags- und Kommunalfraktionen sollten nun aktuelle Fragen der zukunftsfähigen Stadtentwicklung und Wohnungspolitik im regionalen Kontext einer strukturschwachen Region bearbeitet werden. Eingangs der vierstündigen Exkursion erläuterte Frau Bau-
Deutsches Bundesarchiv R_K_by_Manfred Bild 183 Jahreis_pixelio.de
Wohnungspolitik unter Stadtumbaubedingungen
meister, engagierte Architektin in Hoyerswerda, zum Verständnis die städtebauliche Idee dieser Siedlungen, um die aktuellen Prozesse nachzuvollziehen. Dabei stechen die ältesten Siedlungsbereiche aus den 1960er Jahren durch stabile Nachbarschaf-
ten, wenig Wohnungsleerstände und ein gepflegtes Wohnumfeld heraus. Der Abriss von Wohnungen spielte dort zwar bislang eine untergeordnete Rolle, allerdings stellt das durchschnittliche Alter der Bewohner von rund 58 Jahren diese Quartiere vor große He-
rausforderungen. Die Exkursion führte weiter zu den Wohnkomplexen VIII und X aus den 1980er Jahren. Dort ist durch flächenhaften Abriss von mehreren tausend Wohnungen die städtebauliche Struktur völlig aufgelöst. In der Folge sind weitläufige Brachflächen zu-
Bei der Praxisgebühr …
Wenig Geld, kaum Kompetenzen – das Auswärtige Amt auf dem Abstellgleis Wenn man nach seinen Aufgaben geht, stellt das Auswärtige Amt das Kraftfeld ziviler deutscher Außenpolitik dar: So ist in den Vorbemerkungen seines Etats definiert, dass es der »dauerhaften, friedlichen und gerechten Ordnung in Europa und der Welt«, der »Wahrung der Menschenrechte« sowie dem »Aufbau eines vereinten Europas« dienen soll. Schauen wir in den Haushalt des Außenministeriums als Grundlage für dessen Politik, ist dieser Anspruch nicht aufrechtzuerhalten. Kurz gesagt: Weder hat das Auswärtige Amt die finanziellen Mittel noch die inhaltlichen Zuständigkeiten, um die deutsche Außenpolitik zu prägen. Dies lässt sich an den Relationen zwischen den drei Ministerien verdeutlichen, die im wesentlichen die internationale Politik Deutschlands abdecken: dem Auswärtigen Amt, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und dem Verteidigungsministerium (BMVg). Das Auswärtige Amt wird 2013 über insgesamt 3,5 Milliarden Euro, gerade einmal ein Prozent des
Gesamtetats, verfügen. Das BMZ dagegen – das die FDP an sich auflösen und dem Außenministerium angliedern wollte, bis sie für Herrn Niebel 2009 einen Ministerposten brauchte – hat mit 6,4 Milliarden Euro fast das Doppelte zur Verfügung. Dass der Etat des Verteidigungsministeriums 2013 mit 33 Milliarden Euro wesentlich höher ist, mag angesichts einer teuren Armee niemanden erstaunen. Doch wenn man sich vor Augen hält, dass das BMVg in den letzten vier Jahren noch zwei Milliarden Euro zusätzlich bekommen hat, während der gesamte Etat des Westerwelle-Ministeriums bei nur 3,5 Milliarden Euro liegt, wird schnell sichtbar, dass in der politischen Schwerpunktsetzung ein Missverhältnis vorliegt. Noch deutlicher wird die Unterfinanzierung, wenn man weiß, dass die Hälfte des Budgets des Außenministers durch Personal- und Betriebskosten und durch Pflichtbeiträge an internationale Organisationen gebunden ist. Große zivile Vorhaben und außenpolitische Strategien sind so nicht zu finanzieren. Beinah sarkastisch muss man
anfügen: Dazu fehlen dem Auswärtigen Amt unter dieser Bundesregierung auch die Kompetenzen. In der Europapolitik haben spätestens seit Beginn der Krise allein Merkel und Finanzminister Schäuble das Sagen. Überall dort, wo die Bundesrepublik in Kriegseinsätze und militärische Konflikte verstrickt ist, hat das Verteidigungsministerium den Hut auf. Und mit dem BMZ von Minister Niebel befindet sich das Auswärtige Amt in einer Art Dauerauseinandersetzung um Projekte und Personal, also um Zuständigkeiten und Geld.
Schwacher Außenminister ohne Geld
rückgeblieben. Im Wohnkomplex X konnten die Teilnehmerinnen nur erahnen, welche Verluste und Emotionen aus den massiven Wirkungen des Stadtumbau Ost für die Bewohnerinnen resultieren. Mit zahlreichen kulturellen Projekten wie bspw. einem »Wohngebietsfest ohne Wohngebiet« haben engagierte Hoyerswerdsche versucht, gemeinsam mit den Bewohnerinnen diesen schwierigen Prozess zu gestalten. Am Abend lud Caren Lay zur Podiumsdiskussion »Wohnungspolitik unter Stadtumbaubedingungen« in die Kulturfabrik Hoyerswerda. Als Gesprächsteilnehmerinnen stellten sich Heidrun Bluhm und Enrico Stange als Vertreter der LINKEN, Frau Baumeister und Herr Arne Myckert (Wohnungsgesellschaft Görlitz) einer lebhaften Diskussion mit gut 30 Gästen. Im Ergebnis verdeutlichte sich, dass für die zukünftige Entwicklung weitere Mittel aus dem Programm Stadtumbau Ost sowie eine Regelung zur Altschuldenentlastung benötigt werden. Nico Grunz, Enrico Stange
Ein Außenministerium, das kaum finanzielle Mittel zur Verfügung hat und dessen Kompetenzen von anderen Ministerien beschnitten werden, kann weder dem Frieden dienen, noch den Menschenrechten, noch der Einigung Europas. Die Schwächung des Auswärtigen Amts ist eine Seite der Medaille, auf deren anderen Seite die zunehmende Bereitschaft Deutschlands zur Beteiligung an Militäreinsätzen steht. Unabhängig von unserer inhaltlichen Kritik als LINKE an dem schwachen Außenminister Westerwelle kann uns das nicht egal sein. DIE LINKE will ein starkes Auswärtiges Amt als tragende Säule der zivilen Außenpolitik. Aus diesem Grund haben wir in den Haushaltsverhandlungen Mehrausgaben in den Bereichen humanitäre Hilfe, Förderung der Menschenrechte, Abrüstung und Rüstungskontrolle in Höhe von insgesamt 215 Millionen Euro vorgeschlagen. Mit der Regierungskoalition war jedoch selbst diese maßvolle Erhöhung nicht zu machen. Michael Leutert, MdB, Mitglied des Haushaltsauschusses
hat es noch gedauert. Seit ihrer Einführung durch Rot-Grün haben wir uns als PDS und LINKE für ihre Abschaffung eingesetzt und zahlreiche Anträge dazu im Bundestag gestellt. Nach über acht Jahren haben die anderen Parteien nun endlich unsere Forderung übernommen. Dass es auch schneller geht, zeigt unser Vorschlag eine ‚Abwrackprämie‘ für alte Stromfresser einzuführen, die vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen zugute kommen soll. Katja Kipping hatte dies zuerst im August gefordert. In der abschließenden Beratung des Bundeshaushalts Ende November habe ich in meiner Rede noch einmal auf den vorliegenden Antrag der LINKEN hingewiesen. Dem wurde zwar nicht zugestimmt. Doch schon zwei Tage später hieß es, dass es „konkrete Überlegungen“ der Bundesregierung dazu gebe. Also wenn die Übernahme LINKER Vorschläge jetzt immer so schnell geht… Michael Leutert
Geschichte
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12/2012 Links!
Vor 90 Jahren: Gründung der UdSSR Am Vormittag des 30. Dezember 1922 strömten viele Menschen in das Bolschoi-Theater. Die meisten von ihnen hatten bereits einen Sitzungsmarathon seit dem 23. Dezember hinter sich (X. Gesamtrussischer Sowjetkongress). Nun sollte das seit längerem angedachte und angestrebte Werk, das mit dem Sieg der Revolutionäre im Bürgerkrieg auf die Tagesordnung gerückt war, vollendet werden – die Gründung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Die meisten Delegierten waren gewiss in freudiger Erwartung, wenn sie auch bedauerten, dass Lenin wegen eines erneuten Schlaganfalls nicht an der Versammlung teilnehmen konnte. Es war Stalin, der gerade ernannte Generalsekretär der KPR(B) und Volkskommissar für Nationalitätenfragen, der das Referat hielt. In den theoretischen und poli-
tischen Aussagen sagte Stalin manches Richtige: Jetzt könne das Fundament für die brüderliche Zusammenarbeit der im ehemaligen zaristischen Reich lebenden Völker gelegt werden. Der einheitliche Bundesstaat werde den wirtschaftlichen Aufschwung, die freie Entwicklung der Völker und die Sicherheit des Landes gewährleisten. Vier Vorsitzende des Zentralexekutivkomitees wurden als nominelle Staatsoberhäupter gewählt: Kalinin, Petrowski, Tscherwjakow und der Aserbaidshaner Narimow. Während Narimow bereits 1925 verstarb, konnten die anderen drei die Entartung des „Sozialismus“ in den folgenden Jahren zumindest teilweise erleben. Der Weißrusse Tscherwjakow bis 1937, als er sich das Leben nahm, der Ukrainer Petrowski bis 1938, als er von der politischen Bühne abtrat, so sein Leben rette-
te und als Museumsdirektor eine Beschäftigung fand und der Russe Kalinin, der 1946 eines natürlichen Todes starb. Er war bis zur Selbstaufgabe über all die Jahre ein willfähriger Gehilfe des Diktators gewesen. Mit der Gründung der UdSSR erfüllten sich im Wesentlichen nur die Hoffnungen, die Stalin und seine Führungsclique mit ihr verbunden hatten: Mit dem Herunterbeten der „Leninschen Nationalitätenpolitik“ und deren scheinbaren Anwendung wurde die Installation eines brutalen Regimes der Gewalt bis in den hintersten Winkel des Riesenreiches vollzogen. Die vollständige Darstellung der Repressalien, Vertreibungen und Erschießungen – für Stalin die Garantie der Macht – von nationalen Minderheiten steht noch aus. Den „Säuberungen“ in der Partei seit Mitte der 30er Jahre fielen
unzählige nationale Kader, Partei- und Staatsfunktionäre zum Opfer. Ethnische Säuberungen begannen 1933 mit der Deportation der Kubankosaken und setzten sich bis 1944 fort. Während des Krieges wurden mehr als drei Millionen Menschen aus ihrer angestammten Heimat vertrieben, darunter mehr als eine Million Deutsche. Autonome Republiken – Tschetschenien, Inguschetien, die Republiken der Krimtataren und der Wolgadeutschen verschwanden von der Landkarte. Nach dem Krieg wurden im Namen der „Leninschen Nationalitätenpolitik“ eine große Verfolgung der Juden und eine antisemitische Welle durch die KPdSU(B) inszeniert. Der von den Völkern widerstandslos hingenommene Zerfall der UdSSR 1991 macht deutlich, dass sich eine tiefgehende Identifikation der Menschen mit der UdSSR nicht he-
rausgebildet hatte, dass vom Erbe der Oktoberrevolution und damit von der Gründung der UdSSR nicht viel übrig geblieben war. Die UdSSR stellte die Form dar, in der sich die Herrschaft des Stalinismus über ein Sechstel der Erde ausbreiten konnte. Zugleich war sie der Rahmen, in dem sich Ansätze eines gedeihlichen Zusammenwirkens der Völker und Nationalitäten auf lokaler Ebene partiell entwickelten. Die UdSSR mit ihren gewaltigen Ressourcen war die entscheidende Kraft bei der Zerschlagung der faschistischen Weltherrschaftspläne. Ihre Rolle im Nachkriegseuropa ist widersprüchlich. Sie war aber keinesfalls „das schönste Land auf Erden, wo das Herz so frei dem Menschen schlägt“, wie es in einem Lied aus den Enddreißiger Jahren hieß. Hartmut Kästner
»Die Bewegung ist alles, das Ziel ist nichts.« Zu denjenigen, die mit einem einzigen Satz in die Geschichte eingegangen sind, gehört auch der Autor des im Titel verkürzt wiedergegebenen Ausspruchs. Er stammt in seiner originalen Form von Eduard Bernstein (1850 – 1932). Bernstein gehört neben August Bebel, Wilhelm Liebknecht, Paul Singer, Karl Kautsky u. a. zu den Repräsentanten der klassischen Sozialdemokratie. Seine Rolle in der SPD war aber umstritten. Auch sein persönliches Leben war nicht ohne Dramatik. Eduard Bernstein stammt aus der kinderreichen Familie eines Lokomotivführers, konnte ein Gymnasium besuchen und wurde Angestellter im Bankhaus Rothschild. In der Hauptstadt des neuen deutschen Kaiserreiches kam er in Kontakt mit der erstarkenden Arbeiterbewegung und schloss sich ihr aus Überzeugung an. Nach Erlass des Sozialistengesetzes 1878 emigrierte er zunächst in die Schweiz. Von dort aus redigierte er das illegale Zentralorgan der SPD „Der Sozialdemokrat“. Er wurde auf Betreiben der deutschen Regierung ausgewiesen und ging nach London. Dort hatte er engen Kontakt mit Friedrich Engels, der ihn als Betreuer seines und Marxens literarischen Nachlasses einsetzte. Gegen Ende der 1890er Jahre wagte es Bernstein in einer Artikelserie, einige überkommene Thesen, die auf Marx zurückgingen, anzuzweifeln:
die Gewissheit vom bevorstehenden Zusammenbruch der kapitalistischen Gesellschaft; die ständige Verelendung des Proletariats; die Polarisierung der Gesellschaft in zwei gegensätzliche Klassen (Kapitalisten – Proletarier) und damit zusammenhängend das Verschwinden der Mittelschichten. Zusammengefasst hat er seine Ansichten im Hauptwerk „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie“. Bernstein sah die o. g. Thesen, selbst wenn sie einmal richtig gewesen waren, als von der Entwicklung überholt und zu Dogmen erstarrt. Er belegte das mit einer Fülle von Fakten. Zugleich entwickelte er seine Position. Die Umwandlung der kapitalistischen Gesellschaft in eine sozialistische könne nicht durch einen revolutionären Gewaltakt, sondern nur schrittweise erfolgen. Dazu gehörten der ständige Kampf um die umfassende Demokratisierung der Gesellschaft und gesellschaftliche Kontrolle der Produktion. Vergesellschaftung müsse nicht allein durch Verstaatlichung erfolgen. Als Konsequenz aus seinen Ansichten formulierte er den provokanten und in der Verkürzung berühmt gewordenen Satz: „Ich gestehe es offen, ich habe für das, was man gemeinhin unter ‚Endziel des Sozialismus’ versteht, außerordentlich wenig Sinn und Interesse, dieses Ziel, was immer es sei, ist mir gar nichts, die Bewegung alles“.
Er stieß auf den heftigen Widerstand der Partei, besonders Bebel, Kautsky, am heftigsten Rosa Luxemburg in ihrer Schrift „Sozialreform oder Revolution ?“. Sie sahen in Bernsteins Thesen den Verlust der revolutionären Perspektive. Auf mehren Parteitagen wurden Bernsteins Ansichten diskutiert
und mehrheitlich verworfen, ein Ausschluss aus der Partei aber abgelehnt. Die umfangreiche und erbittert geführte Diskussion ist als sog. Revisionismus-Streit in die Parteigeschichte eingegangen. Er ist die geistige Vorgeschichte der späteren Spaltung der SPD. Trotz der zunächst erfolg-
ten Ablehnung hat die weitere Entwicklung Bernstein zu großen Teilen Recht gegeben. Nach dem Scheitern des Staatssozialismus schien der Triumph Bernsteins umfassend. Aber in der neoliberalen Rück-Wende hat die SchröderSPD in Jahrzehnten erkämpfte soziale Errungenschaften fallengelassen. Der Widerstand der damaligen PDS war zu schwach. Paradoxerweise hat die Agenda 2010 über die WASG zur LINKEN geführt. Erneut steht die Frage: Wie weiter? Heute muss die Linke eine Antwort unter den heutigen Bedingungen finden. Bernstein und Luxemburg sind dabei nicht Maßstab, aber Beispiel und lehrreich. Nach 1900 durfte Bernstein nach Deutschland zurückkehren. Er war Lehrer an der Gewerkschaftsschule, publizistisch tätig und wurde für die SPD in den Reichstag gewählt. 1914 schloss er sich nach anfänglicher Kriegsbegeisterung schnell den Kriegsgegnern an und trat für einen Verständigungsfrieden ohne Annexionen ein. Kurzzeitig gehörte er der USPD an. Bemerkenswert seine Mitarbeit am eindeutig revisionistischen Görlitzer Programm der SPD von 1921. Eduard Bernstein war als Jude geboren und als Erwachsener aus der Religionsgemeinschaft ausgetreten. Sein Tod 1932 bewahrte in davor, in die faschistische Vernichtungsmaschinerie zu geraten. Manfred Hötzel
Links! 12/2012
Rosa-Luxemburg-Stiftung
Termine Leipzig, 5. Dezember, 18 Uhr Vortrag und Diskussion Deutsche und Russen, Russen und Deutsche. Wahrnehmungen aus fünf Jahrhunderten - Leipzigs ‚russische Welt’ von den Anfängen bis 1914 Mit Prof. Dr. Erhard Hexelschneider, Leipzig Moderation: Prof. Dr. Wolfgang Geier Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig In dieser Veranstaltungsreihe werden anhand geschichtlicher Quellen, auf der Grundlage von Veröffentlichungen und persönlichen Erfahrungen der Vortragenden historiound biogra-fische wechselseitige Wahrnehmungen zwischen Deutschen und Russen, Russen und Deut-schen aus fünf Jahrhunderten behandelt. Chemnitz, 5. Dezember, 19 Uhr Vortrag und Diskussion „Weder links noch rechts?“ – Zeev Sternhells Analyse der faschistischen Ideologie*** Mit Jörg Sundermeier Eine Veranstaltungsreihe vom Studentenrat (StuRa) an der TU Chemnitz und dem RosaLuxemburg-Club mit Unterstützung des Regionalbüro Chemnitz der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen TU Chemnitz, Raum wird noch bekannt geben unter: http:// bildungskollektiv.blogsport.de »Es gibt in unserem politischen Vokabular nur wenige Begriffe, die sich einer solch umfassenden Beliebtheit wie das Wort Faschismus erfreuen, ebenso aber gibt es nicht viele Konzepte im politischen Vokabular der Gegenwart, die gleichzeitig derart verschwommen und unpräzise umrissen sind.« Mit diesem Satz leitete der bedeutende israelische Historiker Zeev Sternhell 1976 seinen Aufsatz »Faschistische Ideologie« ein. Dieser Satz gilt bis heute – insbesondere für Deutschland. Sternhell nimmt in die-
Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dres-
ser Einführung, die der kleine Berliner Verbrecherverlag 2002 erstmals als Übersetzung vorlegte, eine genaue Bestimmung des Begriffes Faschismus aus seiner historischen und ideologischen Entwicklung heraus vor. Für 2013 plant der Verbrecherverlag eine Neuausgabe des vergriffenen Buches. Der Verleger Jörg Sundermeier wird zu dem Text und seine Editionsgeschichte referieren. Dresden, 5. Dezember, 19 Uhr Dokumentarfilm Catastroika – privatization goes public Ausverkauf der Demokratie Eine griechische Tragödie. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Ostrawa, 7.-9. Dezember, Seminar Rassismus und Antiziganismus in Zentralund Osteuropa - Racism and Anti Roma resentments in Central and Eastern Europe Mit Kumar Vishwanathan, Andreas Koob, Fritz Burschel¸ Guillermo Ruiz, Amaro Foro, Pedro, Aguilera Cortés, Vladan Jeremic, Dejan Markovic und Marika Tändler Die Behandlung von Roma im heutigen Europa ist mehr als Roma-Diskriminierung. Das Seminar möchte Informationen über die aktuelle Situation austauschen, dabei den Fokus auf Osteuropa richten und darüber hinaus Netzwerke ermöglichen und gemeinsame Wege eruieren, um europaweit gegen Fremdenfeindlichkeit und die Vertreibung und Marginalisierung der Roma zu kämpfen.
Eine Veranstaltungsreihe der Volkshochschule, der Antifaschistischen Fussball-Fan-Initiative Chemnitz, Different People e.V., des Fanprojekts der AWO und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. tietzCafé, 3. OG, Moritzstraße 20, 09111 Chemnitz Stadien und Public-ViewingPlätze sind nicht nur Stätten der Sportbegeisterung, sondern auch Orte, an denen Fans ihren Aggressionen freien Lauf lassen und häufig in ein sexistisches und homophobes Vokabular verfallen. Zeigt sich hier der entgrenzte Fan, frei von unnötigen Rücksichtnahmen, ganz dem Ressentiment verfallen? In einer Gesprächsrunde mit engagierten Fußballfans wollen wir dem Thema auf den Grund gehen. Dresden, 11. Dezember, 18 Uhr Vortrag und Diskussion JUNGE ROSA speziell für Jugendliche und junge Erwachsene Copyright or copyleft? - Die Sache mit dem Urheberrecht Mit Gregor Henker, Leipzig WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Dresden, 12. Dezember19 Uhr Vortrag und Diskussion Veranstaltungsreihe: Alternativen zum Kapitalismus. Spurensuche. Solidarisches Wirtschaften Mit Dr. Judith Dellheim, Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden
Chemnitz, 12. Dezember, 19 Uhr Diskussion VERANSTALTUNGSREIHE: Seitenwechsel - Sexismus und Fußball*** Mit Nicole Selmer, Marcus Urban, Different People Chemnitz und dem Fanprojekt
In den letzten Jahren ist »Solidarische Ökonomie« wieder neu oder erstmals ein Thema für viele Linke geworden. Sie verweisen gerne auf Lateinamerika oder alternative Lebensweisen, werben für »WIR-AG statt ICH-AG« und für »das Andere, Stabile nach der Demo«. Warum und wieso und was tun, um »Solidarische Ökonomie« als Weg zur solidarischen Gesellschaft zu betreiben?
den Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer
Auflage von 16050 Exemplaren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig, Rico Schubert (V.i.S.d.P.) Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84 38 9773 Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Redaktionschluß: 25.11.2012 Die nächste Ausgabe er-
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Die europäische Rechte – aktuelle Analysen und Befunde ….war das Thema eines Seminars, das im November in der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Leipzig stattfand. Auf Einladung der Europaabgeordneten Lothar Bisky und Cornelia Ernst referierten ExpertInnen über den Zustand und die Vernetzung rechter und neonazistischer Akteure in der EU. Was die Begriffe »Populismus« und »Extremismus« taugen, hinterfragten Fritz Burschel von der Akademie für politische Bildung der RLS und Mirko Fischer (Initiative gegen jeden Extremismusbegriff). Während der Populismusbegriff zur subsummierenden Beschreibung von Ideologien der Ungleichwertigkeit oder autoritären Strategien eher untauglich ist, dient der Extremismusbegriff zur gezielten Herstellung einer Ordnung, aus der unliebsame politische Akteure ausgeschlossen werden, so die Referenten. Der britische Wissenschaftler Matthew Goodwin stellte seinen »Chatham House Report« über rechte und neonazistische Akteure in Europa vor. Ihm zufolge ist nicht die krisenhafte wirtschaftliche Situation, sondern die Angst vor dem Verlust der kulturellen Identität das zentrale rechte Erfolgsthema. So muss es darum gehen, die jüngeren, toleranzerfahrenen Generationen zu stärken. Thilo Janssen, Mitarbeiter der Vorsitzenden der linken Fraktion im Europäischen Parlament, Gabi Zimmer, stellte, basierend auf seiner Studie »Was macht die politische Rechte im Europäischen Parlament«, dar, wie rechte und neonazistische Akteure auf EU- Ebene organisiert sind. Prof. Peter Porsch gab Einblick in das Wirken der wohl erfolgreichsten rechtspopulistischen Partei in Europa, der FPÖ. Mit ihrem Lavieren zwischen Nazitum und Bürgerlichkeit wurde die FPÖ 1999 durch die konservative ÖVP mit der Beteiligung an der Regierung belohnt und kommt derzeit auf ca. 20 Prozent. Der Islam ist das Top-Thema der politischen Rechten in ganz Europa. Dies arbeitete auch der Publizist Volkmar Wölk am Beischeint am 31.1.2013. Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand. Abo-Service 0351-84389773 Konto: KontoNr. 3491101007, BLZ 85090000, Dresdner Volksbank Internet www.links-sachsen.de
spiel Frankreichs heraus. Obwohl die Kandidatin der Front national, Marine Le Pen, mit fast 18 Prozent ein gutes Ergebnis einfahren konnte, befindet sich die führende rechte Partei Frankreichs in der Krise. Sie wird von Gruppen wie dem Bloc Identitaire herausgefordert, die den traditionellen Nationalismus als überholt klassifizieren und einen Kulturkampf gegen Multikulturalismus, insbesondere den Islam propagieren. Die »Identitären« sind Teil der so genannten neuen Rechten, die sich für ein starkes Europa einsetzt, das sich gegen »Islamisierung«, »außereuropäische Einwanderung« wehrt. Ihre Mittel sind unkonventionell, aktionistisch und räumen dem Internet einen hohen Stellenwert ein. Das Seminar wurde mit einem Beitrag von Uli Jentsch vom antifaschistischen pressearchiv und bildungszentrum berlin (apabiz) abgerundet. Er stellte aktuelle Kampagnen von Neonazis vor, die sowohl im als auch außerhalb des Parlamentes zum Tragen kommen. Mit Blick auf die griechische Nazipartei Chrysi Avgi stellte er heraus, dass die politische Rechte es versteht krisenhafte Situationen für sich zu nutzen. Die griechische Partei ist sowohl auf der Straße als auch im Parlament mit rassistischer Agitation und Praxis präsent und kann wachsenden Zuspruch für sich verbuchen. Am Ende bleiben folgende Befunde: Die politische Rechte ist in den meisten Ländern Europas gut aufgestellt. Dies kann auch bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 zur Verstärkung der eher zersplitterten Akteure auf dieser Ebene führen. Hauptthema der (Neo) FaschistInnen bleibt der Rassismus, der verstärkt kulturalistisch aufgeladen wird und sich gegen die vermeintliche Islamisierung Europas wendet. Dabei gelingt es sowohl bei der wachsenden ökonomischen Unsicherheit wie auch der Angst um den Verlust der eigenen kulturellen Identität anzusetzen. Das Seminar hat einen umfassenden Überblick über Themen und Strategien der politischen Rechten in Europa geliefert. Es gilt hier anzuknüpfen und sich in die Diskussion um konzertierte linke Antworten zu begeben. Einen konkreten Vorschlag brachte Uli Jentsch mit dem Plädoyer für grenzüberschreitende, praktische Solidarität mit Flüchtlingen oder sozial Deklassierten zum Beispiel in Griechenland. Cornelia Ernst, Juliane Nagel
Kultur
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Bitte nehmen Sie Platz – eine neue kulturelle Bewegung Sie heißen KulturLoge, KulturTafel oder KulturRaum und werben mit Slogans wie »Ihr Schlüssel zur Kultur« oder »Werden Sie unser KulturGast«. Gemeinsam ist all diesen Initiativen, dass Sie kostenlos von den Veranstaltern gespendete Plätze an Gäste vermitteln, deren Finanzbudget für Live-Kultur zu klein ist. Nur 8 Prozent der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands besuchen regelmäßig Kulturveranstaltungen. 42 Prozent wollen oder können sich größere Kulturveranstaltungen nicht leisten. Jene zu erreichen, deren Geldbeuel für Theater, Konzert oder Sportveranstaltung zu klein ist, und ihnen Kultur zu ermöglichen, ist Ziel dieser Initiativen. Auch in Dresden gibt es seit Mitte Oktober eine Kulturloge. Die Idee der Kulturloge lernte ich in Berlin kennen. Und ich fand, dass solch ein Projekt einer Kulturstadt wie Dresden gut zu Gesicht stehen würde. Deshalb lud ich im Sommer 2011 Kulturschaffende sowie Vertreterinnen und Vertreter verschiedener sozialer Einrichtungen zu einem runden Tisch »Eine Kulturloge für Dresden« ins Umweltzentrum ein. Unterstützt wurde die Idee durch Angela Meyenburg, die Gründerin der Berliner Kulturloge, die das Projekt plastisch und vor allem mitreißend schilderte. Den besonderen Charme der Kultur-
loge machen vor allem zwei Dinge aus. Erstens: Die Plätze werden persönlich am Telefon vermittelt. Zweitens: Jeder Gast erhält nach Möglichkeit zwei Karten, denn wer geht schon gerne alleine aus? Am Ende der Veranstaltung waren sich alle einig – Dresden bekommt auch eine Kulturloge! Mittlerweile ist das erste Stück des Weges geschafft. Am 17. Oktober ging die Kulturloge Dresden mit einer durch den musikalischen Botschafter der Jazztage umrahmten Pressekonferenz an den Start. Schon drei Tage später konnten die ersten Gäste mit KulturLogen-Tickets in Theater gehen. Dieser erfreuliche Start war das Ergebnis von einem Jahr intensiver Arbeit. Vier Organisationen haben dazu ihre Kompetenzen gebündelt und die Trägerschaft für dieses Projekt übernommen. Die Bürgerstiftung Dresden, das Kulturbüro Dresden, das Umweltzentrum und der WIR e.V. bilden den Trägerkreis, der das Projekt »Kulturloge Dresden« belebt, befördert und auch weiterhin begleiten wird. Vom Konzept bis zum Internetauftritt, vom Workshop mit den Kulturpartnern bis zum Einführungskurs in das Datenbanksystem – viel Vorarbeit war zu leisten. Parallel wurde die Werbetrommel gerührt und das Projekt auf den verschiedensten Ebenen vorge-
stellt. Das öffnete Ohren und Herzen, so dass momentan mehr freie Plätze in Kultur- und Sportveranstaltungen zu vergeben sind als die Dresdner-
gen. In Chemnitz gibt es auch eine Gruppe, die am Aufbau eines solchen Projektes arbeitet. Nun schon zum dritten Mal traf sich die bundesweite
Projekt »Kultur für Alle« und funktioniert etwas anders als die Kulturlogen. Die kostenlosen Kulturangebote sind dort an den Sozialausweis, die so-
Kulturloge Gäste hat. Doch das wird sich sicher schnell ändern, denn gute Ideen sind bekanntlich ansteckend. Das alles passiert derzeit nicht nur in Dresden. Auch in Leipzig ist vor wenigen Wochen eine Kulturloge an den Start gegan-
Arbeitsgemeinschaft der Kulturlogen zum Erfahrungsaustausch. Bei diesem Treffen im Oktober in Leipzig wurden auch andere gute Ideen zur niedrigschwelligen Kulturvermittlung vorgestellt. In Stuttgart zum Beispiel heißt das
genannte Bonuscard+Kultur, gekoppelt. Diesen Sozialausweis erhalten alle von der Stadt erfassten berechtigten Personen automatisch zugeschickt. Wieder eine gute Idee – auch für Dresden. Katja Kipping
des Hanser-Verlages investieren, dann erwerben sie damit nicht nur den wertvollen Stoff für eine gemeinsame Diskussionsgrundlage, sondern zugleich eine Handlungsanleitung für die kommenden Umbrüche, die allerdings weder in diesem Land beginnen noch hier enden werden. Nur gemeinsam lässt sich hierzulande der Ruf »Wir sind das Volk« aus dem Deutschen Historischen Museum befreien. Er gehört zu den künftigen unvermeidlichen Montagsdemos auf die Pflaster- und Asphaltstraßen von Dresden, Leipzig und Chemnitz ebenso wie nach Berlin, Frankfurt und Stuttgart. Die Kanzlerin der »marktkonformen Demokratie« gehört aus dem Amt gefegt, von denen, die demokratiekonforme Märkte zum Leben brauchen. Noch gibt
es weltweit wenige Inseln mit Klartext-Sendungen oder Seiten. Aber nur, wenn daraus ein Netz der Wahrheit gegen die privaten wie staatlichen medialen Nebelkanonen geknüpft wird, werden die Völker erkennen, dass ihre Kaiserinnen und Kaiser in Wahrheit nackt sind. Ralf Richter
Hart, aber wahr »Es geht darum, sich selbst wieder ernst zu nehmen, wieder zu lernen, die Interessen unseres Gemeinwesens zu formulieren und einzufordern und nach Gleichgesinnten zu suchen. Wir müssen über die Geste und die symbolische Handlung hinaus unseren Willen gewaltlos kundtun, und dies – wenn nötig – auch gegen den Widerstand der demokratisch gewählten Vertreter.« Autor des Klappentextes: Der in Dresden geborene Berliner Ingo Schulze. Was in Dresden bei der Dresdner Rede am 26. Februar 2012 vor Hunderten gesprochen und mit Beifall quittiert sowie in der Süddeutschen von Tausenden aufmerksam und wohlwollend registriert wurde, sollte jetzt in der Buchform von Hunderttausenden
gelesen werden. Ingo Schulzes kleine, starke Schrift – nur 80 Taschenbuch-Seiten lang – ist notwendiger Text-Baustein für den »Europäischen Frühling an Elbe und Rhein« 2013 – ganz gleich, ob dieser im Sommer, Herbst oder Winter kommt. Dass er kommen muss, steht in diesen KrisenZeiten außer Frage. Die Aufklärungsschrift ist gut für denjenigen, der den Inhalt noch nicht kennt, ebenso wie für diejenigen, die sie noch einmal zum Nachlesen haben möchten, weil man sich an einen der stärksten Texte des Jahres 2012 von einem deutschen Schriftsteller wieder erinnern will. Als Aufklärungstext ist die Schrift notwendig für die 99 Prozent der Bevölkerung dieses Landes, die als Arbeiter, Landwirte, Studen-
ten, Angestellte oder Erwerbslose täglich eingelullt werden von einer Propaganda, die aus TV, Internet, Radio und Presse auf uns einprasselt und mit falschen Begriffen unsere Sinne vernebelt. Das Klartext-Buch ist nicht an das enge Zeit-Korsett der unglaublich starken »Dresdner Rede« gebunden und demzufolge noch inhaltsreicher. Noch ein Zitat gefällig? »Kapitalismus braucht keine Demokratie, sondern stabile Verhältnisse. Das gilt nicht nur für Länder wie China, sondern auch für Europa.« Wenn diese Wahrheiten die Massen ergreifen, werden gesellschaftliche Veränderungen möglich! Da das Büchlein mit 10 Euro für viele zu teuer ist, lohnt sich ein »solidarischer Buchkauf«: Wenn drei Leute jeweils 3,50 Euro für das Produkt
Kultur
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Kulturpolitik nach dem Wahlkalender Mit großem Tamtam posaunte die schwarz-gelbe Koalition kurz vor Ultimo der Haushaltsberatungen die Erhöhung des Kulturbudgets um insgesamt 9,5 Millionen Euro für die Jahre 2013/2014 in die sächsische Öffentlichkeit. Darüber hinaus stehen für den Wiederaufbau des Dresdner Schlosses zusätzlich 4,4 Millionen Euro zur Verfügung. Natürlich ist die Rücknahme der ursprünglich geplanten Kürzungen im Kulturhaushalt zu begrüßen, vor allem die Zuschusserhöhung für die jahrelang stiefmütterlich behandelte Industriekultur und für die Musikschulen waren dringend notwendig. Allein bei den Musikschulen warten derzeit knapp 5.000 Kinder auf einen Platz. Überhaupt offenbart ein genauerer Blick auf die Zahlen sofort die Schattenseiten dieses unverhofften Geldsegens. Nachdem CDU und FDP im letzten Doppelhaushalt in unzulässiger Weise in die Hoheit der Kulturräume eingegriffen und ihnen die Teilfinanzierung der Landesbühnen Sachsen in Höhe von 3,3 Millionen Euro aufgebürdet hatten, sehen sie sich nunmehr zu einer substanziellen Korrektur veranlasst. Zur Kompensation der Landesbühnenfinanzierung
sollen die Kulturräume zusätzliche investive Mittel in Höhe von 2,5 Millionen jährlich erhalten. Ob die Kulturräume damit aber die Kürzungen auffangen und ihren eigentlichen Aufgaben im gewohnten Umfang nachkommen können, bleibt abzuwarten, zumal diese Quasi-Umschichtung ohne eine Änderung des Kulturraumgesetzes ablaufen soll. Auch die anderen Zahlen offenbaren gewisse Tücken. Die Musikschulen werden lediglich wieder auf den Stand von 2011 gebracht. Die kulturelle Bildung wird sogar gekürzt. Von besonderer Pikanterie ist der Umgang der Koalitionäre mit dem Lern- und Gedenkort Gefängnis Kaßberg in Chemnitz. Sie hatten es bislang strikt abgelehnt, den Kaßberg in das gerade erst vom Landtag verabschiedete Gesetz über die Stiftung Sächsische Gedenkstätten aufzunehmen, obwohl immerhin sechs weitere Gedenkstätten in die Förderung neu aufgenommen werden sollen. SPD und Grüne hatten die Aufnahme des Kaßberg in diese Erweiterung vehement gefordert. Nun stellen CDU und FDP völlig überraschend Fördermittel für den Kaßberg im Haushalt bereit. Offensichtlich richtet sich die
4,4 Mio Euro bekommt allein das Dresdner Stadtschloß, der Rest Sachsens darf sich in die 9,5 Mio Euro Erhöhung reinteilen.
Gedenkpolitik im Freistaat nach dem Wahlkalender: In Chemnitz stehen im Juni 2013 die Oberbürgermeisterwahlen an. Schaut man insgesamt auf die Entwicklung der Kulturausgaben im Freistaat Sachsen, bleibt trotz des Dauerselbstlobes der Regierungskoalition ein schaler Beigeschmack. Kein geringerer als der Präsident des Sächsischen Kultursenats, Dr. Jürgen Uwe Ohlau, hat diese bedenkliche Ten-
denz dieser Tage sehr präzise auf den Punkt gebracht. Im Vorwort des unlängst erschienenen Fünften Kulturberichts des Kultursenats unter dem programmatischen Titel »Was PISA nicht gemessen hat« stellt er glasklar fest, dass die Kultur »von der Expansion des Staatshaushaltes… nicht profitiert hat« und setzt dann unmissverständlich fort: »In vielen Bereichen sind erneut nicht einmal die seit Jahren geforderten Inflationsausglei-
che erfolgt. Parlament und Regierung müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Gefahr immer größer wird, dass dem gelungenen Aufbau einer breit aufgestellten, flächendeckenden kulturellen Versorgung de Landes ein schleichender Abbau und eine Verarmung des Angebots in der Fläche folgen«. Dieser kritischen Einschätzung ist nichts hinzuzufügen. Volker Külow
Nachwuchsprobleme? Keine Spur! Es ist ein unter jungen Linken gern verbreitetes Video: Am 13. April 2008 betritt einer die große Bühne bei »Volker Pispers und Gäste«, den man bis dato vor allem aus Kneipen und Bars kannte – Marc-Uwe Kling. Mit seiner grünen Gitarre schreitet der 26-Jährige zum Mikrofon. Er wirkt etwas unsicher, als er seine Erfahrungen mit der Praxisgebühr schildert, die ihn dazu gebracht haben, »mein Lied über die SPD zu schreiben«. Der Refrain kulminiert, auf den ersten Blick untypisch für einen jungen Künstler, im alten, wohlbekannten Slogan des Roten Frontkämpferbundes: »Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!« Erstaunen im Publikum. Skeptische Blicke, verdrehte Augen, gelegentlich ein Lächeln – Begeisterung sieht anders aus. Kling besingt die Niederlage der SPD bei der Bundestagswahl 2005: »Und die Neuwahlen, die haben die ja verloren, damit muss man sich ja befassen/Jetzt kann man endlich aus vollstem Herzen die Regierung wieder hassen/Ja das Schiff, das ist am sinken und die Ratten, die flohen sofort/Doch sie wieder
kamen zurück und brachten die schwarze Pest an Bord«. Seine drastischen Worte versieht er schelmisch mit dem Hinweis, dass diese Strophe »regional ganz unterschiedlich ankommt«. Spätestens jetzt hat er die Meisten auf seiner Seite. Zum Schluss viel Applaus, Feuertaufe bestanden. Kling ist kein Mann schlichter Parolen, sondern einer, der sich selbst und die Gesellschaft reflektieren kann. Den Anfang machte der studierte Philosoph und Theaterwissenschaftler 2003 vor allem mit Poetry Slams, kleineren Kulturveranstaltungen in Cafés, Bars und Restaurants, bei denen sich junge Künstler im Wettstreit dem Urteil des Publikums stellen. Inzwischen gehört der Autor, Kabarettist und Musiker fest zur deutschen Kabarettszene und verpasst auch dem zeitgenössischen politischen Liedgut interessante Impulse. Jung, frech, unkonventionell – Kling, der bei seinen Auftritten oft introvertiert und schüchtern wirkt, vermag Worte wie Nadelstiche zu gebrauchen, was gutes politisches Kabarett, ob in Liedform
oder nicht, letztendlich ausmacht. Kernsätze aus »Zug der Opportunisten«, gerichtet an die Grünen: »Früher, da gab‘s noch keine grün-gelbe Mitte/ Da verteilte Professor Fischer noch persönlich Tritte./Doch die Blumenkinder, wer konnt‘ das ahnen/Gingen den Weg aller Bananen./ Heute grün und morgen gelb, und übermorgen schwarz/Ein Castor fährt nach Kosovo, am Steuer Peter Hartz«. Den bislang wohl größten Wirbel verdien te er sich aber mit »Hörst D u mich, J o sef?«. Darin stellt er Josef und den anderen Acker-
männern in Aussicht, dass sie ihre Taten eines Tages mit dem Leben bezahlen müssen: »Hörst du mich Josef, Josef Ackermann?/Einer muss als erstes sterben, du bietest dich da an./ Kommt Z e i t , kommt R a t , kommt Attentat«. Für die B.Z. Berlin avancier te er so zum »geistigen Te r r o rBrandstifter«, der »eiskalte Polit-Pamphlete« ver fas se. Dabei will Kling keineswegs zu Gewalt auf zur u fen, wie er im In-
terview mit FOCUS Online betont: »Es geht mir in diesem Lied darum, die Mordfantasien wegen Ackermann oder ähnlichen Buhmännern in der Öffentlichkeit, über die man vielerorts stolpert, so auf die Spitze zu treiben, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Ich will die verkürzte Kapitalismuskritik, die einzelne Personen – exemplarisch Josef Ackermann – verantwortlich macht, brechen und aufzeigen, dass die Probleme vielmehr systembedingt sind. Im Übrigen distanziere ich mich schon mal vorsorglich von dem Lied, von mir selbst und vom ganzen Weltgeschehen«. Kling steht für eine neue Generation im politischen Kabarett, die ganz und gar nicht verstaubt daherkommt, sondern überrascht, hinterfragt und unkonventionell denkt – ganz wie der Titel seines ersten Hörbuchs: »Wenn alle Stricke reißen, kann man sich nicht mal mehr aufhängen«. Fünf Jahre nach seinem Schritt auf die Fernsehbühne hat Kling also durchaus das Potential, eines Tages ein ganz Großer zu werden.