LINKS! Ausgabe 12/2016

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Die USA auf einem falschen Weg

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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Dezember 2016

Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern frohe Festtage und ein friedliches neues Jahr!

Es tatsächlich Realität geworden: Donald Trump wird im Januar als 45. Präsident der USA vereidigt. Trump ist eine schlechte Wahl, doch die USA ernten mit ihm, was sie mit der Tea-Party-Bewegung gesät haben. Die Republikaner haben die Populisten jahrelang umworben, das rächt sich jetzt. Marco Rubio, ausgeschiedener Kandidat, hat noch im Februar gesagt, dass es nicht sein könne, dass ein Mann ins Rennen geschickt wird, der sich weder vom Ku-Klux-Klan noch von der Ideologie einer angeblichen „Weißen Vorherrschaft“ distanziert. Ein Mann, der wegen sexueller Belästigung angeklagt ist, der alle Muslime ausweisen will und für den Mexikaner Kriminelle sind, die mit einer Mauer aus den USA herausgehalten werden müssen. Jetzt wird dieser Mann Präsident. Es ist eine politische Zeitenwende. Was die Folgen dieser Wahl sind, werden wir in den nächsten Jahren zu spüren bekommen. Es ist nicht egal, wer im Weißen Haus regiert. Obamacare, Rechte von Lesben und Schwulen, Cannabislegalisierungen – mit der Wahl von Trump wird alles auf den Prüfstand gestellt, was es an Fortschritt in den USA in den letzten acht Jahren gab. Die Hoffnungen, dass er seine im Wahlkampf herausposaunten Parolen als Präsident nicht würde umsetzen wollen, scheinen sich nicht zu bestätigen. Die bisherige Liste derer, die er in sein Kabinett berufen will, liest sich nicht gut. Jeff Sessions als Justizminister, Mike Pompeo als CIA-Direktor und Ex-General Michael Flynn als Nationaler Sicherheitsberater – alle drei sind Vertreter eines extrem strammen Rechtskurses. So hatte Pompeo 2014 die Abschaffung des Waterboardings als Verhörmethode kritisiert und erklärt, Mitarbeiter, die auf diese Weise das Ertränken von Gefangenen vortäuschten, seien keine Folterknechte, sondern Patrioten. Flynn hatte unlängst die Angst vor Muslimen ganz allgemein als „rational begründet“ und den Islam als „Krebsgeschwür“ bezeichnet. Jeff Sessions, designierter Justizminister, sitzt bisher im Vorstand der

„Breitbart News“, einer Nachrichten-Seite, die ihrerseits Schlagzeilen macht mit Überschriften wie „Hätten Sie lieber ein Kind mit Krebs oder mit Feminismus?“ oder auch „Verhütungsmittel machen Frauen unattraktiv und verrückt!“. Zudem tat er sich schon in den 1980er Jahren mit Aussagen wie „Den Ku-Klux-Klan fand ich in Ordnung, bis ich hörte, dass sie dort Cannabis rauchen“ hervor. Trump würde sicherlich von Beratern eingehegt werden, hieß es nach der Wahl auch von Politikern in unseren Reihen. Bewahrheiten wird sich dies nicht. Ganz im Gegenteil. Aber nicht nur in den Vereinigten Staaten muss jetzt offensiv auf die einfachen, plumpen Lösungen der Populisten reagiert werden. Auch in Europa werden die rechten Kräfte mit ihren rückschrittlichen Forderungen nach einer Welt, die es so nie gab, lauter. Geert Wilders in den Niederlanden, Marine LePen in Frankreich, Victor Orbán in Ungarn, die FPÖ in Österreich, die rechtsgerichtete polnische Regierung, die dänischen Rechtspopulisten, die dort die Regierung stützen und auch die jüngsten Wahlerfolge der AfD in deutschen Bundesländern: Wir müssen nicht über den Atlantik schauen, um Menschen zu finden, die anfällig sind für einfache Formeln, die ihr Leben vermeintlich besser machen werden. Die Demokraten in den USA werden umsteuern müssen. Es ist nun an der Zeit, dass sie sich auf einen neuen, progressiven Weg begeben und für die Ideen kämpfen, die Sanders aufgezeigt hat. Jetzt, da Trump Präsident ist, darf sich dieses Amerika nicht verstecken, sondern muss wirksam gegen die rückwärtsgewandte Politik der Republikaner kämpfen. Und es ist an der Zeit, dass wir umsteuern. Wir müssen jetzt mehr denn je unsere Konzepte für eine friedliche, fortschrittliche und gerechtere Welt in den Vordergrund rücken. Wir dürfen nicht aufhören, für ein sozialeres System zu streiten, das niemanden zurücklässt oder auf Grund von Herkunft, Hautfarbe, Religion oder sexueller Orientierung ausgrenzt. Rechte Parolen sind die falsche Antwort auf die Probleme, vor denen wir stehen. Wir treten stattdessen für Umverteilung von Oben nach Unten, für eine gerechtere Wirtschaftsordnung und Solidarität ein. Auf einen populistischen Wettstreit um Stimmen am rechten Wählerrand dürfen und werden wir uns nicht einlassen, denn das stärkt letztlich die rechten Parteien. Auch das ist eine Lehre aus dem Wahlsieg von Donald Trump. Stefan Liebich


Vermischtes

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Familien im Kosovo zu Weihnachten Hoffnung geben Jährlich werden weit über 800 Roma aus Deutschland in den Kosovo abgeschoben, darunter zahlreiche hilflose Kinder. Dort warten häufig Obdachlosigkeit, Diskriminierung und ein kaum vorstellbares Massenelend auf sie. Insbesondere Kinder leiden unter diesen Zuständen, oft sind sie von Unterernährung betroffen. Es gibt auch Fälle, bei denen Kinder im Winter erfrieren. Die meisten Bewohner leben durchschnittlich mit 0,60 € pro Tag. Es gibt keine Krankenversicherung, die Lebenshaltungskosten sind jedoch mit denen in Deutschland vergleichbar. Der größte Roma-Slum im Kosovo befindet sich in Fushe Kosove nahe der Hauptstadt Prishtina. Viele Bewohner haben kein Dach über dem Kopf, andere wiederum keinen Wasser- und Stromzugang sowie keine Möglichkeit, zu heizen. Die Winter im Kosovo sind sehr kalt, weshalb die abgeschobenen Roma und ihre Familien auf Decken und Brennholz angewiesen sind. Der Verein „Verantwortung für Flüchtlinge e.V.“ engagiert sich seit vielen Jahren in Fushe Kosove. Im Rahmen einer Balkantour Ende Dezember in Fushe Kosove möchte der Verein Brennholz hauptsächlich an notleidende Familien mit Kindern ausgeben. Deshalb bieten wir potentiellen Spenderinnen und Spendern eine Patenschaft in Höhe von 95 € an. Dieses Geld reicht für Holz für eine Familie in Fushe Kosove aus, um durch den Winter zu kommen.

Das Brennholz werden wir vor Ort kaufen und in Fushe Kosove den Familien überreichen. Ebenso verteilen wir vor Ort Decken und Winterkleidung für die Roma. Wenn es die Spenderinnen und Spender wünschen, können diese auch den Kontakt zu ihrer Patenschaftsfamilie bekommen. Die prekäre Lage dieser Menschen ist nicht nur im Kosovo aufzufinden, sondern in zahlreichen Regionen des Westbalkans, u.a. in Mazedonien. Im Sommer 2016 besuchten wir als Verein „Verantwortung für Flüchtlinge e.V.“ zusammen mit einem Vertreter von „Romano Jekipe Ano Hamburg – Vereinigte Roma Hamburg“ den Ort Kumanove nahe der mazedonischen Hauptstadt Skopje. Dort wurde vor zwei Jahren in einer Roma-Siedlung mit katastrophalen Zuständen ein Vorschulprogramm eingestellt, durch das Kinder von Romafamilien die mazedonische Sprache erlernt hatten, um im regulären Schulunterricht teilnehmen zu können. Wir trafen dort sowohl ehemalige Lehrer_innen als auch betroffene Eltern und Schüler_innen. In den Gesprächen wurde sehr rasch deutlich, dass es neben der institutionellen Förderung selbst an „Kleinigkeiten“ wie Heften und Stiften fehlt. In diesem Jahr möchte der Verein im Rahmen der Westbalkantour Ende Dezember der Schule in Kumanove Schreibblöcke, Stifte, Hefte, Hefter, Lineale und andere wichtige Schulsachen

vor Ort überreichen. Wir nehmen deshalb direkte Spenden dieser Sachen an (zur Übergabe bitte den Vereinsvorsitzenden Ricky Burzlaff kontaktieren: ricky.burzlaff@web.de) oder ermöglichen für 50 € eine Patenschaft für ein Grundschulkind. Dieser Betrag reicht für eine schulische Komplettausstattung eines Grundschülers für ein Schuljahr. Das Geld der Patenschaften geht zu 100 Prozent in die Schulutensilien. Für uns steht fest: Nach wie vor ist die konkrete Hilfe zur Selbsthilfe vor Ort ein unverzichtbarer Teil humanitären Engagements. Da sich in vielen Fällen die lokalen Entscheider_innen in der Politik aus ihrer Verantwortung stehlen, ist es für uns eine moralische Verpflichtung, denen, die durch die unmenschliche deutsche Abschiebepolitik betroffen sind, wenn schon keine zufriedenstellende Lebensperspektive, so doch zumindest ein wenig Hoffnung auf Verbesserung ihrer Situation zu ermöglichen. Wer eine solche Patenschaft übernehmen möchte, kann den Betrag bis zum 16. Dezember 2016 auf folgendes Konto überweisen: Verantwortung für Flüchtlinge e.V.; Sparkasse Leipzig DE26860555921090088457 Verwendungszweck: Schulpatenschaft Mazedonien. Wer für das Brennholz im Kosovo spenden möchte, kann dies unter gleicher Kontonummer mit dem Verwendungszweck „Brennholz“ tun.

Na, noch auch der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk? Wir haben da eine Empfehlung: Peter Porsch: Linke Dispute. Anregungen, Polemiken und Kopfnüsse aus linker APO-Zeit. 162 S., 12,99 Euro, ISBN 978-3-94518762-3.

Das Büchlein erschien Ende Juni 2016 im verlag am park. Sämtliche Verkaufserlöse fließen auf unser Spendenkonto und helfen somit unserem Verein, diese Zeitung zu erhalten. Gönnen Sie sich und uns etwas Gutes!


Aktuell

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Mähliche Transformation in den Sozialismus? Die Linke sucht jenseits gescheiterter „Jakobiner“-Modelle eine tragfähige Konzeption für einen Weg aus entfesseltem Kapitalismus mit allen seinen unseligen Facetten in eine friedliche, freiheitlich-demokratische, solidarisch-ökologische Gesellschaft. Transformation heißt für einen Teil ihrer akademischen Vordenker der für Systembruch wie für Reformbestrebungen innerhalb des Kapitalismus verwendete Zentralbegriff. Marxistische Kategorien wie Revolution, Kapital und Arbeit, Klassenkampf, Produktionsverhältnisse, Ausbeutung, Profit haben für die „kleine Transformation“ erst einmal ausgedient. Mainstream, Masterplan, Umverteilung, Nachhaltigkeit, Akteure in der Aktion, Einstiegsprojekte stehen stattdessen für neues Denken. In diesem Kontext heißt eines von Michael Bries Hauptworten beim 19. Jour fixe im November: Richtungswechsel. Vor großem Publikum in der Leipziger Adresse der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen denkt er laut über das schön formulierte Thema nach: „Revolutionäre Realpolitik oder die Kunst, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen“. Von Luxemburg und Marx entlehnte Versatzstücke sind zu synonymer Überschrift komponiert, unter der der langjährige Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung dort erdachte „Elemente sozialistischer Transformationsforschung“ zur Diskussion stellt. Peter Porsch, Ex-

Was im August und September noch niemand glauben wollte, wird zur Gewissheit: Schon wieder Weihnachten! Das ist die Zeit des größten Stresses im Jahr. Schneller die Menschen nie hasten. Süßer die Kassen nie klingeln? Die letzten vier Wochen vor Weihnachten nahen mit Riesenschritten. Man nennt sie „Advent“ und kann das mit „Ankunft“, „Herankommen“ übersetzen. Lassen wir die Dinge also erwartungsvoll an uns herankommen? Am Ende ist ja doch alles so schön, wenn die Familie im trauten Schein des Lichterbaumes, die funkelnden Augen der Kinder rührselig betrachtend die Geschenke auspackt, um danach

Spitzenpolitiker der Linkspartei, der diesen Abend moderiert, steigert die Erwartung, indem er mit seinen Eingangsfragen eine gewisse Beliebigkeit des so eindeutig-dialektisch scheinenden Begriffspaars „revolutionäre Realpolitik“ diagnostiziert: Solle das Idiom für Revolution stehen? Sei es ein Zeichen „unserer theoretischen Schwäche“? Oder eher ein „zaghafter praktischer Ansatz“, in der realen gesellschaftlichen Bewegung wieder Fuß zu fassen? Michael Brie müht sich, darauf mit einer Melange theoretischabstrakter Denkzeugnisse und praktisch-politischer Beweismittel Antworten zu geben. In seinen Transformationsüberlegungen stellt der Berliner

Philosoph so Bezüge zu Hannah Arendt, Walter Benjamin, Marx, Luxemburg und Lenin wie zur brandaktuellen Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA her. Aus der Fülle seiner komplexen Ausführungen greift der Autor dieser Zeilen einige wenige Kernsätze heraus, die ihm für eine Tendenzaussage wichtig scheinen. Mit Blick auf Trump macht sich Brie Hannah Arendts Diktum zu eigen, wonach sich die Elemente von Barbarei häuften und zum totalitären System drängten. Doch verstärkten sich seines Erachtens auch die Bedingungen für eine „revolutionäre Realpolitik“, wie Rosa Luxemburg 1903 in der Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie artiku-

liert hatte. Allerdings fehle der Linken in der „heutigen fundamentalen inneren und äußeren Zivilisationskrise“ die von Lenin praktizierte Fähigkeit, den „Gegner zu formulieren“, ihm ein Nein entgegenzusetzen und dafür ein „historisches Subjekt zu formieren“. Der Linken gebräche es, um handlungsfähig zu sein, an philosophischen Grundlagen, an Beherrschung der Widerspruchsdialektik, um, nochmals mit Lenin, die Bruchstellen, die schwächsten Kettenglieder der Kapitalherrschaft zu erfassen. Lernen, so Brie, könne die Linke auch von Walter Benjamins Dialektik-Auffassung, wie sie gegen den Wind der vom Kapitalismus erzeugten Vielfachkrise angehen kön-

ne. Dialektik begreife dieser Philosoph als die Kunst, gegen den Wind anzusegeln. Die Begriffe seien die Segel. Die Kunst, sie setzen zu können, sei das Entscheidende. Doch schiene ihm, Brie: „Wir wollen mehr mit dem Wind segeln.“ So seien nur marginale Kurskorrekturen des gesellschaftspolitischen Status quo zu erreichen. Der Richtungswechsel begänne mit der klaren Artikulation der strategischen und taktischen Ziele und Methoden der Linken. Mit der ehrlichen Bilanz, dass die Voraussetzungen und Bedingungen eines Systembruchs erst noch zu schaffen seien; dass dafür die Mobilisierung der Massen unabdingbar sei, indem deren Erwartungen, Hoffnungen, Sehnsüchte aufgegriffen würden, wie es der Reaktionär Trump demonstriert habe. Michael Brie entwickelt im Einzelnen die Szenarien der Transformationsforschung, welche Alternativen für einen Richtungswechsel denkbar seien und dass nur linke Politik die Transformation von pragmatisch-realistischem Reformismus der kapitalistischen Gesellschaft zu demokratischsozialistischen Verhältnissen, „zu einem solidarischen Miteinander der Kräfte der Emanzipation“ bewerkstelligen könne. In der Diskussion halten sich Hoffnung und Skepsis die Waage. Peter Porschs Fragen bleiben relativ offen. Klar scheint nur, eine Revolution von unten droht nicht. Wulf Skaun

oder am nächsten Tag der Gans den Garaus zu machen. Vielleicht schaffen wir aber auch Weihnachten und damit die ganze Hektik endlich ab? Nein, das geht auf keinen Fall! Und doch wollen es – angeblich – einige versuchen. Es schleicht sich der Verdacht durch die sozialen Netze. Manche wollen es schon ganz genau wissen, dass es so geplant ist. Weihnachten fällt aus, zumindest in der Öffentlichkeit und auch in Kindergärten oder Schulen. Stadtverwaltungen hätten entsprechende Beschlüsse gefasst. Aber warum nur um alles in der Welt? Der Islam ist schuld bzw. die wachsende Zahl von Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland. Ihnen will man dieses tiefreligiöse christliche Fest einfach nicht zumuten. Da geht aber ein Aufschrei durch das Land. Patrioten Europas stellen sich gegen die Islamisierung des Abendlandes. Vorauseilende Opferung des über 2000 Jahre bestehenden innersten Kerns christlichabendländischer Kultur im Feu-

er der lodernden Islamisierung der Jetztzeit wird so genannten „Gutmenschen“ unterstellt. Der Kulturkampf tobt und man macht den Weihnachtsmann zum Feldherren, das Christkind zum Märtyrer. Apropos aber „christlichabendländisch“, „Weihnachtsmann“ und „Christkind“. Kommt das Christentum nicht aus dem Morgenland? Und was

hatte eine Volkszählung veranlasst und sich mit abendländischer Gewalt in den morgenländischen Alltag eingemischt. Aber lassen wir das und fragen wir lieber nach dem Weihnachtsmann. Wie kommt denn der auf Weihnachten? Dass die christianisierten Abendländer und Abendländerinnen die Feier der Geburt des Messias auf die Zeit der Wintersonnwende gelegt hatten, ist verständlich. Feierten sie doch schon lange davor zur gleichen Zeit das Fest „sol invictus“, das Fest der unbesiegbaren Sonne, die sich im Dezember wieder aufraffte, länger zu scheinen. Das Jesuskind war den neuen Christen gleichsam die wachsende Sonne. Solches ist gut für Besinnlichkeit und erwartungsvolle Freude, nicht zu vergessen auch für süßlichen Kitsch. Fürs Geschäft taugt es freilich nicht so sehr. Dafür fand man im Heiligen Nikolaus eine tauglichere Figur. Er beschenkte ja nach der Legende arme Schwestern, um ihnen die Heirat möglich zu machen. Nikolaus transferierte man also vom 6. Dezember

etwas verwandelt in die gesamte Weihnachtszeit. Coca-Cola war da nicht unbeteiligt. So ein lieber Alter mit Bart kann doch gut in den Kaufhäusern herumgehen und zu Kauf und Erwartung von teuren Geschenken animieren. Die Weihnachtsgeschichte gab es auch noch her, dass zumindest Kinder zu beschenken sind. Ließ doch Herodes alle unschuldigen Kinder bis zu zwei Jahren ermorden, um damit auch den neugeborenen König der Juden zu treffen. Reichliche Gaben gleichen das heute mildtätig aus. Kommerz hatte also das – wie man neuerdings sagt – geeignete christliche Narrativ. Weihnachten ist abgeschafft, ist zum blanken Geschäft geworden und kann dennoch, nein endlich, abendländisch christlich zelebriert werden. Mit arabischen Flüchtlingen hat dieser Verlust von Weihnachten allerdings nichts zu tun, wenn auch die Ersten, die dem Christkind Gold, Weihrauch und Myrrhe als wertvolle Geschenke brachten, Sterndeuter aus dem Morgenland waren.

Wie schaffen wir Weihnachten ab? hat der Weihnachtsmann damit zu tun? Aufklärung tut Not. Es begab sich doch, dass Jesus in Bethlehem geboren wurde und in Windeln gewickelt in eine Krippe gelegt wurde. Der christliche Anlass des Weihnachtsfestes ist also wahrlich nicht abendländisch. Obwohl, man könnte ja den Römern, namentlich Kaiser Augustus, die Schuld an der ärmlichen Geburt in der Krippe geben. Der Kaiser


Hintergrund

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Sozial-Skandal des Monats

Zu den wohl zwischen den verschiedenen Parteien umstrittensten Fragen gehört das gesetzlich festzulegende Renteneintrittsalter. Nach dem Prinzip „immer höher“ ist ein regelrechter Überbietungskampf entbrannt. Während bislang relativ unverbindliche Äußerungen zu vernehmen waren, findet sich im Anfang November der Bundesregierung übergebenen Jahresgutachten der sogenannten Wirtschaftsweisen erstmalig eine klare Ansage in einem offiziellen Dokument. So soll das Renteneintrittsalter an den zu erwartenden Anstieg der Lebenserwartung gekoppelt werden, was im Jahr 2080 die Rente mit 71 bedeuten würde. Diese Steilvorlage rief Bundesfinanzminister Schäuble, der schon in der Vergangenheit den Vorreiter sozialer Konfliktanheizung gegeben hat, umgehend auf den Plan. Er stellte sich voll und ganz hinter das Ansinnen

der „Wirtschaftsweisen“. Insbesondere die CDU verweigert sich seit Jahr und Tag einer wirklichen Rentenreform und setzt neben einer generellen Absenkung des Rentenniveaus auf die Anhebung des Renteneintrittsalters. Es bleibt abzuwarten, wie sich die SPD als Juniorpartner der Regierungskoalition verhalten wird, ob sie sich endlich für die Interessen der Arbeitnehmerschaft einsetzt oder am Kurs der Agenda 2010 festhält, der bekanntlich den Reformstau bei der Rente erheblich beschleunigt hat. Zu den Fakten Nach wie vor gilt als gesetzliche Regelung die schrittweise Anhe-

Rente mit 71 – nicht mit uns! bung des Renteneintrittsalters bis 2029 von bislang 65 auf dann 67 Jahre. Dies wird auch grundsätzlich nicht durch die mittlerweile bestehende Möglichkeit der Rente mit 63 ausgehebelt, weil dafür 45 Beitragsjahre notwendig sind, auf die immer weniger Menschen verweisen können. So haben Neurentner in Sachsen im Durchschnitt nur noch 38 Anrechnungsjahre. Wer also früher in Rente gehen will, muss nach wie vor dauerhafte Abschläge in Kauf nehmen. Schon jetzt ist deshalb die Rente mit 67 für die Mehrheit glatter Rentenraub. So sank der Zahlbetrag bei Neurentnern in Sachsen im Vergleich zum Jahr 2000 um monatlich ca. 200 Euro. Und nach wie vor geht die

Bild: superscheeli / flickr.com / CC BY-SA 2.0

Kinderarmut, Rentenalter-Erhöhung, Pflegenotstand, Zuzahlungen für Medikamente: Ständig lesen wir von „sozialpolitischen“ Schandtaten, von „Experten“ vorgeschlagen oder bereits in Umsetzung befindlich. In der Rubrik „Sozial-Skandal des Monats“ beschreibt Dr. Dietmar Pellmann, vormals Sprecher der Linksfraktion im Landtag für Sozialpolitik, ab sofort LINKE Standpunkte zu aktuellen Aufreger-Themen. Er wird sich als Autor mit seiner Nachfolgerin Susanne Schaper abwechseln.

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Mehrheit der Älteren auch heute noch vor der ursprünglichen Grenze von 65 Jahren in den Altersruhestand. Langzeitarbeitslose mit Hartz-IV-Bezug werden sogar mit Vollendung des 63. Lebensjahres in Zwangsrente geschickt und müssen entsprechende Abschläge in Kauf nehmen. Eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters würde diesen Trend nicht nur erheblich verstärken, sondern zu mehr Altersarmut führen, zumal künftige Rentnerinnen und Rentner gerade in den neuen Bundesländern erhebliche Lücken in ihrer Erwerbsbiografie durch Arbeitslosigkeit aufweisen werden. Was will DIE LINKE? Für uns ist eine weitere Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters nicht verhandelbar. Mehr noch: Wir fordern nach wie vor die Rücknahme der geltenden Bestimmungen zur Rente mit 67 und eine Rückkehr zur Rente mit 65. Dabei sei in Erinnerung gerufen, dass das gesetzliche Renteneintrittsalter für Frauen in der DDR bei 60 Jahren lag. Dies sollte gegenüber den Männern ein Ausgleich für erheblich höhere Belastungen in Beruf und Familie sein. Wir halten eine absolute Ausrichtung des menschlichen Daseins auf das Arbeitsleben, wie es die Befürworter eines immer höheren Renteneintrittsalters letztlich vertreten, für unmenschlich – im Übrigen auch mit christlichen Grundwerten

unvereinbar. Altersruhestand ist ein Menschenrecht, das nicht weiter ausgehöhlt werden darf. Viele erreichen aus unterschiedlichen Gründen nicht einmal die Rente. Und bestimmte Berufsgruppen, beileibe nicht nur Bauschaffende, sind einfach nicht in der Lage, noch länger zu arbeiten. Wer darauf setzt, Ältere möglichst noch über den eigentlichen Renteneintritt im Arbeitsprozess zu halten, sollte nicht vergessen, dass damit auch Arbeitsplätze blockiert werden, die Jüngeren nicht zur Verfügung stehen. Unsere Forderung ist daher zugleich ein Beitrag, um die skandalöse Jugendarbeitslosigkeit schrittweise zu überwinden. Die Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung auf der Basis des Umlageprinzips ist auch für DIE LINKE eine gewaltige Herausforderung, aber ohne vernünftige Alternative. Die dauerhafte Sicherung der Einnahmesituation lässt sich eben nicht durch eine Ausdehnung des Arbeitslebens, sondern vor allem durch die schrittweise Einführung einer solidarischen Erwerbstätigenversicherung, in die alle einzahlen, erreichen. Dabei bedeutet Solidarität die Entrichtung eines entsprechenden Prozentsatzes vom Einkommen für alle, was freilich die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze zur Folge hat. Und solidarisch ist es dann auch, dass die Rentenhöhe nach oben hin gedeckelt wird. Dr. Dietmar Pellmann

Ein Lebensweg, der im Kriegsgefangenenlager begann Gegenstand des Buches „Ich und die Russen“ sind die persönlichen Erfahrungen und Einsichten von Alfons Lehnert, geprägt in Jahrzehnten. Lehnert, geboren 1928 in einer schlesischen Arbeiterfamilie, hatte das Glück, nicht durch unmittelbare Erinnerungen an Kriegskampfhandlungen mit all ihren Grausamkeiten belastet gewesen zu sein. Dennoch wurde er nach lediglich dreiwöchiger Zugehörigkeit zum Arbeitsdienst – und ohne einen einzigen Schuss abgefeuert zu haben – wenige Tage nach Kriegsende gefangengenommen. Der Ernst seiner Lage als Kriegsgefangener wurde ihm erst bewusst, als er in Sagan als einer von 2.000 Gefangenen den Sibirien-Express bestieg und hinter dem Ural tatsächlich in einem sibirischen Kriegsgefangenenlager ankam. In 15 Kapiteln schildert Lehnert seine nunmehr knapp vierjährige Gefangenschaft. Es sind dies das Gefangenenlager, die Arbeitsstätte, das Verhältnis zu den Menschen, die menschli-

chen Beziehungen im Arbeitsprozess, die Verpflegung, die Freizeitgestaltung, die sibirische Kälte und anderes. In einer Aluminiumfabrik leistete er einen Beitrag zum Ausgleich der den Völkern der Sowjetunion zugefügten Opfer und Verluste. Er gelangte zu der Einsicht, dass jeder deutsche Kriegsgefangene nach seiner Entlassung in die zivile Freiheit diese Gefangenschaft einordnen und bewerten musste. „Von der Art und Weise der Bewältigung dieser Zeit in den Gefangenenlagern hing es ab, ob er sich sein weiteres Leben lang nur noch als ein schuldloses Opfer ansah, oder aber diese Zeit in die Geschehnisse des Krieges einordnete ... Für das Geschehene gibt es keine Entschuldigung, aber eine Erklärung, die jeder suchen sollte.“ Das 15-seitige Kapitel „Zur Mentalität und Identität der Russen“ bereichert die Darstellung. Im Sommer 1948 nutzte Lehnert die Chance, einen Lehrgang der „Antifa-Zentralschule“, eine Einrichtung des

„Komitees Freies Deutschland“, zu besuchen. Sie wurde von Offizieren des Komitees geleitet, und auch die Seminarleiter waren dessen Mitglieder. Die Vorträge hielten deutsche Antifaschisten, die während der Nazizeit in der Sowjetunion im Exil lebten, oder sowjetische Lehrkräfte. Die Teilnehmer rekrutierten sich aus verschiedenen Gefangenlagern. Am 31. Januar 1949 wurden er und weitere Gefangene an das Lager Nr. 69 in Frankfurt/Oder zur Entlassung übergeben. Lehnert, der sich für die Entlassung in die sowjetische Besatzungszone entschieden hatte, kam mit einigen Hindernissen als Lehrkraft an die vor kurzem erst gegründete Landessportschule von Sachsen/Anhalt in Freyburg an der Unstrut. Als im Mai 1950 dem Leiter der Schule eine andere Funktion übertragen worden war, wurde Lehnert mit der Leitung der Landessportsschule beauftragt. Ende 1951 verließ er Freyburg, delegiert zu einem Sportstudium in Moskau. Er gehörte damit

zu dem ersten Schub von DDRStudenten, die sechs Jahre nach Kriegsende zu einem Studium in der Sowjetunion aufbrachen. Das „Staatliche Zentrale Institut für Körperkultur“ war nunmehr für vier Jahre sein zentraler Aufenthaltsort in Moskau. Lehnert berichtet anschaulich über den Studienablauf am Institut, die sportpraktische Ausbildung, die Aufnahme in die Gemeinschaft und die Teilnahme an öffentlichen Ereignissen. Nicht vergessen werden auch Freundschaften, die Liebeleien und ernsten Liebesbeziehungen. Lehnert selbst trat in Moskau mit G. Enke, einer DHfK-Turnerin aus Leipzig, in den Stand der Ehe ein. Nach seinem Studienabschluss als Diplomlehrer für Körpererziehung übte er zunächst verschiedene Tätigkeiten aus, darunter zwei Jahre lang als 2. Trainer der Fußballmannschaft Lokomotive Leipzig, bevor er 1958 an die DHfK (Deutsche Hochschule für Körperkultur) berufen wurde, um ein Jahr lang einen Sonderlehrgang für die

Ausbildung von Fußballtrainern zu leiten. Danach wechselte er an die Forschungsstelle der DHfK und mit Gründung des eigenständigen Forschungsinstitutes für Körperkultur und Sport 1969 an dieses Institut. Nach der Promotion erfolgte seine Berufung zum Dozenten und dann zum Ordentlichen Professor für Theorie und Methodik des sportlichen Trainings. Er gehörte vielen Gremien an, so der „Gemeinsamen Sportkommission DDR-UdSSR“. 1990 erfolgte seine Emeritierung. Heute ist er infolge schwerer Erkrankung vollinvalidisiert. Lehnert hat sein Buch, dem ein besseres Layout gut getan hätte, mit einem gesunden Schuss Humor, Witz und Ironie sowie mit Gegenwartsbeziehungen geschrieben. Es seien ihm viele interessierte Leser gewünscht! Prof. Dr. Kurt Schneider Alfons Lehnert: Ich und die Russen. Eigenverlag, Leipzig 2016. 270 Seiten. reich bebildert, 19,90 Euro, ISBN: 978-3-00051837-9


Geschichte

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Genosse Sokrates und Don Manfredo An der Wiege ist ihnen eine akademische Karriere nicht gesungen worden. Der eine, Jahrgang 1929, kommt als Sohn eines Zimmerers über die Lehre als Verwaltungsangestellter und die Vorstudienanstalt ABF in die Gelehrtenwelt. Der andere, ein Jahr jünger, Sprössling eines Hilfsmaschinisten, erlernt das Schuhmacherhandwerk, ehe er als Student in die Scientific community eintaucht. Beide, der Philosoph Helmut Seidel († 2007) und der Historiker Manfred Kossok († 1993), reifen zu einzigartigen Größen ihres Faches. Zu streitbaren Geistesriesen, die weiter sehen als die meisten Zunftgenossen. Beide besitzen aber auch den sokratischen Mut, ihren wissenschaftlichen Überzeugungen treu zu bleiben und mancherlei politisch-ideologischem Gegenwind, insbesondere jedwedem opportunistischen Ansturm, die Stirn zu bieten. Seidel und Kossok, mit Walter Markow als internationale Autoritäten auch wirkmächtige Gründungsväter der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, stehen im Oktober-Jour fixe 2016 in deren Leipziger Dependance im Fokus des 18. unkonventionellen Gesprächskreises. Unter dem Motto „Genosse Sokrates und Don Manfredo“ gedenken Schüler und Mitstreiter ihrer Vorbilder. Wie sehr der beiden Leipziger Gelehrten Nachruhm lebt, lässt sich an Zahl und Rang der Gäste ermessen: Mehr als 50 einstige Studenten und Wissenschaftlerkollegen verschiedener Fakultäten der Karl-Marx-Universität mit verdienstvollen Emeriti und ihrem Altrektor Horst Hennig an der Spitze geben ihnen im Beisein

ihrer Lebens- und Weggefährtinnen, Jutta Seidel und Irmgard Kossok, die Ehre. Der Erinnerung an ihr Leben und Wirken dienen den Jour fixe-Vorstehern Klaus Kinner und Manfred Neuhaus zwei publizistische Anlässe: Vor 50 Jahren veröffentlichte die Deutsche Zeitschrift für Philosophie Helmut Seidels berühmten Essay „Vom praktischen und theoretischen Verhältnis der Menschen zur Wirklichkeit“. Im Sommer 2016 erschienen im Berliner Karl Dietz Verlag Manfred Kossoks späte Schriften, betitelt „Sozialismus an der Peripherie“. Der Berliner Philosophiehistoriker Steffen Dietzsch eröffnet den Diskurs mit persönlichen Reminiszenzen an seinen Lehrer Helmut Seidel. Moderatorin Monika Runge hat ihn zuvor auch als Kant-Biografen und Essayisten gewürdigt. Dietzsch erinnert sich geradezu schwärmerisch, dass Seidels von Spinoza ererbtes und fortentwickeltes Postulat von der Gedankenfreiheit und später dessen praxisphilosophische Innovation seine Studentengeneration Mitte der 1960er Jahre fasziniert und „aus dogmatischem Schlaf“ gerissen habe. Helmut Seidel, dessen Praxisphilosophie nichts weniger als einen konzeptionell begründeten Paradigmenwechsel im Katechismus des orthodoxen Marxismus-Leninismus bedeutete, habe er auch als charakterfesten Menschen schätzen gelernt, der, allen unsachlichen und unverschämten Anwürfen zum Trotz, seiner wissenschaftlichen Erkenntnis nicht abschwor. Die politischideologisch geprägte Desavouierung aus den eigenen Reihen als „neuer Revisionist“ habe sei-

nen Lehrer zwar tief getroffen, aber nicht zu einem Renegaten seiner selbst gemacht. Seidel war und blieb der, der der Idee vom freiheitlich-demokratischen Sozialismus unerschütterlich zu adäquater Praxis verhelfen wollte. Steffen Dietzsch: „Seinem Vorbild folgten wir, indem wir seine Maxime auch zu unserer machten: ,Wir wollen jenseits von Dogmatik und Dissidenz arbeiten und leben.‘“

an der Universität Leipzig am 26. September 1992, nachdem ihm die Alma Mater durch verfügten Exitus seines Lehrstuhls das akademische Amt genommen hat. Caysa hält eine dichte Rede, die den Denker Seidel und den Menschen Seidel gleichermaßen würdigt. „Im Anschluss an Spinoza und Bloch suchte Seidel in seiner Philosophie der Lebenspraxis den Menschen vor allem

Helmut Seidel. Bild: Hartwig Runge

Volker Caysa, den die Moderatorin des Abends als Leipziger Philosophen der Gefühle und des Körpers vorstellt, komme das Verdienst zu, mit der erstmaligen Veröffentlichung von Seidels Habilitationsschrift 2011 den streitbaren Gelehrten vor dem Vergessen zu bewahren. Sein eigenes neues Werk „Empraktische Vernunft“ atme den Seidel-Geist par excellence. Caysa outet sich denn auch als letzter und jüngster Schüler des Großphilosophen. Sein Vortrag knüpft sich an Helmut Seidels unfreiwilligen letzten Auftritt

als sinnliches Wesen zu erfassen, dessen Praxis, dessen Vernunft und Unvernunft wesentlich durch Affekte bestimmt werden, weshalb deren Analyse“ so wichtig sei. „Als marxistischer Sokratiker forderte er das philosophische Gespräch über das, was uns alle angeht“. Zwei Erkenntnisse, deren Umsetzung für die demokratische Linke nie wichtiger war als heute. Aus sehr persönlicher Perspektive näherte sich der Historiker Manfred Neuhaus seinem Zunftkollegen Manfred Kossok. „Obwohl ich kein Kossok-Schüler

im engeren Sinne bin, verdanke ich ihm und seinem großen Lehrer Walter Markov außerordentlich viel. Sie bestärkten mich in einer Auffassung von menschlicher Würde, die über die Opportunität des Alltags hinausweist. Uns imponierte die Weltläufigkeit beider ungemein. Ihr wissenschaftlicher Arbeitsethos und akademischer Stil ließen die Tristesse und Provinzialität der DDR vergessen und gelten mir und vielen Freunden noch heute als Maßstab.“ Kossok, Souverän der vergleichenden Revolutionsgeschichte, habe ihm beispielsweise Marxens iberisches Erbe nahegebracht und mit seiner erfrischend respektlosen Art zu entschlüsseln gelehrt. Davon, so Neuhaus, habe er bei seiner Arbeit an der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) immer wieder profitieren können. Die von Jörn Schütrumpf unlängst herausgegebene Anthologie mit den späten Schriften Kossoks bezeuge aufs Neue die außergewöhnliche wissenschaftliche und publizistische Produktivität des Leipziger Gelehrten. In den Essays „Requiem auf die schöne Revolution?“, „Klio – die Muse mit dem Januskopf“, „1917 – eine periphere Revolution?“, „DDR ’89 – über die Revolution. Gedanken aus historischer Sicht“, „Im Gehäuse der selbstverschuldeten Unmündigkeit oder Umgang mit der Geschichte“ (1993) und „Das 20. Jahrhundert – eine Epoche der ,peripheren‘ Revolutionen?“ seziere Kossok den Epochenwandel der Jahre 1989 und 1990 mit dem heuristischen Instrumentarium der vergleichenden Revolutionsgeschichte. Wulf Skaun

Gestorben vor fünfzig Jahren: Walter Fisch Aufgaben für die Hilfe der RHD in Deutschland und die Solidaritätsbewegung in der CSR beauftragt worden war. 1935 aus der Schweiz ausgewiesen, ging er nach Prag, wo er vor allem für die RHD tätig wurde. Der Einmarsch der Wehrmacht in die CSR 1938 zwang ihn, erneut zu flüchten. Die einzige ChanBild: Deutsche Fotothek / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0 DE

Geboren am 16. Februar 1910 in Heidelberg, war das Leben von Walter Fisch eng mit der Entwicklung der KPD verbunden. 17-jährig wurde er Mitglied der Roten Hilfe Deutschlands (RHD) und danach des Kommunistischen Jugendverbandes Deutschland (KJVD,). 1930 trat er in die KPD ein. 1931 wurde er politischer Mitarbeiter und Ende 1932 Mitglied der KPD-Bezirksleitung Hessen-Frankfurt. Wie Tausende seiner Genossen wurde Fisch kurze Zeit nach der Errichtung der faschistischen Diktatur verhaftet und schwer misshandelt. Nach neun Monaten Haft im Dezember 1933 vor Gericht gestellt, musste er jedoch aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden. Im Auftrag seiner Partei emigrierte er nach Zürich, wo er in der Emigrationsleitung der KPD mit

ce sah Fisch in einer illegalen Rückkehr in die Schweiz, in der er wieder der dortigen Emigrationsleitung der KPD angehörte. 1939 interniert, wurde er im Frühjahr 1941 in das Arbeitslager für Emigranten in Vouvry eingeliefert, danach überführt in weitere Internierungslager, darunter in das Sonderlager für „Links-Extremisten“ in Gordola. 1944 kam er frei. Nach dem militärischen Sieg der Alliierten über den Faschismus konnte Fisch bereits im Juni 1945 nach Frankfurt/Main zurückkehren und wurde Landesvorsitzender der KPD in Hessen sowie Mitglied des Frankfurter Bürgerschaftsrats und des Beratenden Landesausschusses von Hessen. Als Mitglied der Zonenleitung der KPD und der Arbeitsgemeinschaft SED/ KPD wirkte er für die Aktions-

einheit von KPD und SPD auch in den westlichen Besatzungszonen. Im Juli 1946 wurde Fisch Mitglied der Landesversammlung Hessen und war wesentlich an der Ausarbeitung der Hessischen Landesverfassung beteiligt. Er gehörte von 1946 bis 1949 dem Landtag und von 1949 bis 1953 dem Bundestag an. Zuvor war er Mitglied des Parlamentarischen Rates der amerikanischen Besatzungszone und des Parlamentarischen Rates in Bonn. 1948 war seine Wahl in das Sekretariat des Parteivorstandes der KPD erfolgt. Im Januar 1952 wurde er vom Parteivorstand zu einem ihrer Bevollmächtigten vor dem Bundesverfassungsgericht benannt, um die demokratischen Rechte der Partei gegen das von der Bundesregierung geplante Verbot der

KPD zu vertreten. Am 17. August 1956 erklärte jedoch das Bundesverfassungsgericht das Verbot der KPD. In der Erklärung des Parteivorstandes hieß es dazu: „Das Verbot der KPD als einer deutschen und demokratischen Partei und der Raub der Mandate ihrer Abgeordneten zeigen, wie in der Bundesrepublik die Demokratie mit Füßen getreten wird“. 1958 wurde Walter Fisch wegen „illegalen Wirkens für die KPD“ verhaftet und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Proteste im In- und Ausland trugen dazu bei, ihn wegen seines schlechten Gesundheitszustandes im Juni 1959 freizulassen. Am 21. Dezember 1966 verstarb Fisch in Frankfurt/Main. Prof. Dr. Kurt Schneider Verfasst nach Angaben der KPD bzw. DKP


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Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Termine Leipzig, 8. Dezember, Donnerstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Das bauliche Erbe der DDR – eine Altlast? Jour fixe – ein ungewöhnlicher Gesprächskreis. Mit Thomas Topfstedt (Kunsthistoriker, Leipzig). Moderation: Klaus Kinner und Manfred Neuhaus. RLS, Harkortstr. 10, 04107 Leipzig An der DDR-Architektur scheiden sich die Geister: Einige sehen in ihr ein Kulturerbe, andere eine Altlast. 25 Jahre nach dem Mauerfall ist sie weiter fester Bestandteil vieler Stadtbilder. DDR-Bauten haben oft einen schweren Stand, sich zwischen jahrhundertealtem Erbe und neuer Architektur zu behaupten. Der Blick darauf schwankt zwischen Begeisterung und notwendigem Übel. Dabei bietet ostdeutsche Architektur häufig mehr als eintönige Neubaugebiete - vielfach überrascht sie mit gewagten Lösungen. Leipzig, 10. Dezember, Samstag, 19.30 Uhr Vortrag und Diskussion: Geschichte des Islamismus anhand der Beispiele Türkei, Syrien und Irak. Mit Attila Steinberger (Autor). Eine Kooperation der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen mit der Rojava Soli Leipzig. RLS, Harkortstr. 10, 04107 Leipzig Auch wenn sich Islamisten gerne als die zeitlosen Vertreter des Islams aufspielen, sind ihre Bewegungen in den wenigsten Fällen älter als 100 Jahre und ihre größten Erfolge konnten sie – bis auf Ausnahmen wie Saudi-Arabien – auch erst ab den 70er Jahren erzielen. In Unabhängigkeits- und Antikolonialbewegungen waren sie überhaupt nicht involviert oder sogar auf der Gegenseite aktiv. Das Mo der nisier ungspar adig ma der Nachkriegszeit sah sie verschwinden, ihrem Gegenentwurf von „islamischer Moderne“ hatten aber die nationalistischen und sozialisti-

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e. V.,

schen Parteien auf lange Sicht nichts entgegenzusetzen, vor allem, da die herrschenden Regime keinen allgemeinen Entwurf mehr formulierten, sondern sich in Korruption und Vetternwirtschaft ergingen. So ergaben sich erste Erfolge in den 70er Jahren als Juniorpartner von Militärdiktatoren und eine massive Expansion ab den 80er Jahren. Entgegen pauschaler Betrachtungen sind in jedem Land die Faktoren für Aufstieg oder Versagen islamistischer Bewegungen und Parteien unterschiedlich und sollten nicht vernachlässigt werden. Deshalb wird Attila Steinberger anhand der Beispiele Türkei, Syrien und Irak die jeweils unterschiedlichen Verläufe und politischen Rahmenbedingungen darstellen, aus denen sich einflussreiche islamistische Bewegungen und Strukturen entwickelt haben, die in allen drei Ländern zum Bürgerkrieg geführt haben oder ihn auf eine neue Ebene hoben. Leipzig, 11. Dezember, Sonntag, 19.30 Uhr Vortrag und Diskussion: Die Syrienpolitik der AKP. Mit Attila Steinberger (Autor). Eine Kooperation der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen mit der Rojava Soli Leipzig. RLS, Harkortstr. 10, 04107 Leipzig

werden. Hierbei handelt die AKP nicht autonom, sondern stimmt sich mit den „Freunden Syriens“ ab und koordiniert sich mit anderen Kleinund Mittelmächten der Region (z.B. Barzani im Irak). Insbesondere hat sich die Schaffung der Autonomie in Nordsyrien/Rojava für die AKP als Problem erwiesen. Zum einen werden damit Föderalismus, Pluralismus und Gleichberechtigung in Politik und Gesellschaft eingefordert und transportiert, zum anderen erlitten die Verbündeten der AKP, wie ISIS und Al Qaida, empfindliche Niederlagen. Mit der Intervention in Nordsyrien im Juli 2016 eskaliert die AKP die Situation. Leipzig, 28. Januar, Sonnabend, ab 14 Uhr Neujahrsempfang. Rosa - Lu xemburg - Stif tung Sachsen, Harkortstr. 10, 04107 Leipzig Leipzig, 18. März, Sonnabend, ab 11 Uhr Mitgliederversammlung, Arbeit und Leben, Löhrstr. 17, 04105 Leipzig

NEUERSCHEINUNGEN

Die AKP-Regierung betreibt eine für die Türkei neue Außenpolitik und wendet sich zunehmend dem Nahen Osten und Zentralasien zu. Unterfüttert von der „soft power“ aus türkischem Nationalismus, religiöser Identität, wird der politische und ökonomische Einfluss ausgedehnt. Insbesondere islamistische und salafistische Gruppen sowie Regierungen erfreuen sich Sympathien und Unterstützung. Mit Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges hat sich eine militärische Komponente beigesellt. Es soll Assad gestürzt, eine mit der AKP sympathisierende Regierung in Damaskus etabliert und Einflusszonen im Norden Syriens geschaffen

Patrick Pritscha: NS-Verfolgung als „Ereignis“ der Familiengeschichte. Texte zur politischen Bildung Heft 41, Leipzig 2016, 143 Seiten.

Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus gedruckt.

Aus dem Fazit: „Die NS-Zeit ist ein gesellschaftlich präsentes Thema sowohl durch aktuelle Erscheinungen als auch durch den historischen Diskurs. Durch die Verfolgungspraxis der Nationalsozialisten wurden unterschiedliche Menschen und Bevölkerungsgruppen aus einer Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund stellte sich die Frage, ob dies nur für die direkt betroffene [...G] eneration eine Relevanz besitzt oder ob die Verfolgung als ein Ereignis aufgefasst werden kann, welches auch für die nachfolgenden Generationen als einer wahrnehmbaren Gruppe bedeutsam ist oder auf spezielle Ausnahmefälle beschränkt bleibt.“ 143 Seiten inklusive Dokumentenanhang. Kostenbeitrag: 3,00 Euro, für Mitglieder 2,50 Euro.

Gerhard Hoffmann: Orient und Okzident - Von einer Symbiose zum Kampf der Kulturen? Sozio-kulturelle Wahrnehmungen und Deutungen. Texte zur Politischen Bildung Heft 42, Leipzig 2016, 57 Seiten.

Inhalt:

Klaus Werner: Abschied von einem gelehrten Freund (S. 5-15) Peter Porsch: Roland Opitz Widerspruch, Schönheit, Lie-

Redaktionschluss: 23.11.2016 Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 02.02.2017.

Kostenbeitrag: 2,50 Euro, für Mitglieder 2,00 Euro.

Manfred Neuhaus, Peter Porsch (Hrsg.): In memoriam Roland Opitz. Im Auftrag von Freund*innen, Kolleg*innen und der Rosa-LuxemburgStiftung Sachsen, Leipzig 2016, 62 Seiten.

Inhalt:

Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773

be und Kunst - gesehen durch schwarze Augen (S. 17-21) Manfred Neuhaus: Abschiedworte für einen sächsischen Orlando Furioso (S. 23-26) Wolfgang Geier: Für Roland (S. 27-29) In memoriam Prof. Dr. sc. phil. Roland Opitz (S. 31-32) Peter Gosse: Opitz´ Jewgeni (S. 33-38) Wissenschaftliche Arbeiten von Roland Opitz (S. 39-51) Abbildungen (S. 55-62)

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Die Antike: Licht aus dem Orient (S. 7) Kontaktzonen und kulturelle Einflüsse im Mittelalter (S. 12) Dynamik des Okzidents in der Neuzeit (S. 23) Koloniale Expansion im 19. Jahrhundert: Dimensionen und Wirkungen (S. 31) Neue Polaritäten im 20. Jahrhundert (S. 42) Ausblick (S. 46) Weiterführende Literatur (S. 51) Zum Autor (S. 57) Kostenbeitrag: 2,50 Euro, für Mitglieder 2,00 Euro. Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07 BIC: GENODEF1DRS Bank: Dresdner Volksbank Raiffeisenbank Aboservice: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder 0351-84 38 9773


Rezensionen

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12/2016  Links!

Zwei CDs von und mit Uwe Steimle Bodenständig, „interkulturell“ und lehrreich, so lässt sich die CD „Mir san mir“ von Uwe Steimle und Helmut Schleich charakterisieren. Die Unterzeile „Ein Bayerisch-sächsischer Freundschaftsabend“ zeigt, dass es den beiden Vollblutka-

Elbflorenz dermaßen, dass den Dresdnern danach die „echte“ französische Besetzung fast wie eine Wohltat erschien und die Sachsen daraufhin bis fünf nach zwölf frankreichtreu blieben – und selbst in der Völkerschlacht zunächst auf Napoleons Seiten

barettisten um das Verbindende zwischen Bayern und Sachsen geht – wobei es ja darum nicht immer gut bestellt war. Bevor Napoleons Franzosen Dresden besetzten, ließ der Korse die Württemberger und Bayern von der Leine. Diese wüteten in

kämpften. Das war das finstere Kapitel, das die beiden beim Freundschaftsabend außen vor lassen. Stattdessen lässt man zum Beispiel „unseren“ Meißner Bischof Benno hochleben – den Schutzpatron Münchens, dessen Gebeine in der

dortigen Frauenkirche liegen. Auch mit den Namen Semper und Wagner lassen sich goldene Brücken bauen zwischen den Freistaaten, ganz zu schweigen von Franz Josef Strauß, der mit seinem Milliardenkredit 1986 der DDR und damit auch den drei sächsischen Bezirken noch ein drei Jahre längeres Leben schenkte. Unvergesslich Honeckers (alias Uwe Steimle) Geburtstagsständchen zum 100. des legendären CSU-Mannes. Was Helmut Schleich – der Bayer – bietet, steht aber „unserem“ Uwe Steimle in nichts nach. Gerade die Weihnachtszeit ist ja in christlichen geprägten Gefilden – und in solchen, die so tun, als ob sie solche wären – Almosenzeit. Selbst manche Linke glauben, Tafeln unterstützen zu müssen, und werben Tafelgeschäftsführer, um sie mit Landtagsposten zu mandatieren. Dem hält der Bayer das klare Bekenntnis Tucholskys entgegen, dass sich die Almosenfreunde hinter den Spiegel klemmen sollten: „Wohltätigkeit ist das Ersäufen des Rechts im Mistloch der Gnade!“ Für solche Sätze allein lohnt es sich, die CD zu besorgen. Einziges Manko ist die Akustik. Der bayerisch-sächsische Freundschaftsabend wurde

„Jetzt mehr als je kühl denken und handeln“ Es ist bekannt, dass die aus dem sächsischen Wiederau stammende Sozialistin Clara Zetkin (1857-1933) jahrzehntelang eine treibende Kraft in der Sozialdemokratie, auf der europäischen Bühne und nicht zuletzt als Sekretärin der 1907 gegründeten Fraueninternationale war. Von ihrer württembergischen Wahlheimat Stuttgart aus redigierte sie „Die Gleichheit“ und machte sie vor dem Ersten Weltkrieg zur international führenden Frauenzeitschrift. Seit dem frühen Tod ihres ersten Mannes Ossip Zetkin im Jahr 1889, mit dem sie die Söhne Kostja und Maxim hatte, empfanden ihre Weggefährten Clara Zetkin als eine Kerze, die von zwei Seiten brannte und sich trotzdem nicht zu verzehren schien. Im Sommer 1914 flackerte aber dieses Feuer bedenklich, denn durch den Kriegsausbruch lag auch ihr Lebenswerk in Trümmern; darüber hinaus zeigte die zweite Ehe mit Kunstmaler Friedrich Zundel Risse und die Sorge um die beiden an der Front eingesetzten Söhne zehrte merklich an ihr. Insbesondere der Verrat der SPD-Spitze ließ sie nach eigenen Worten fast wahnsinnig werden und zunächst an Selbstmord denken. Trotz dieser scheinbar ausweglosen Situation gewann sie

sehr schnell ihren gewohnten Kampfesmut zurück: „Wenn ich meinem Empfinden folgen wollte, so hätte ich mit tausend Freuden ein Ja telegraphiert. Aber wir müssen jetzt mehr als je kühl denken und handeln.“ Mit diesen ehrlichen und zugleich nüchternen Zeilen antwortete sie am 5. August 1914 als einzige (!) auf ein Telegramm, das nach einer Besprechung in Rosa Luxemburgs Wohnung am Vorabend an mehr als 300 SPDMitglieder verschickt worden war. Im Verlauf des Treffens, an dem neben der Gastgeberin u.a. Hermann Duncker, Hugo Eberlein, Julian Marchlewski, Franz Mehring, Ernst Meyer und Wilhelm Pieck teilgenommen hatten, war die Idee entstanden, als sichtbaren Protest gegen die Bewilligung der Kriegskredite durch die SPD-Reichstagsfraktion aus der Partei auszutreten. Betrachtet man die Fülle der Literatur zum Ersten Weltkrieg, darauf macht die verdienstvolle Herausgeberin Marga Voigt in ihren editorischen Bemerkungen aufmerksam, nehmen Briefsammlungen und andere Originaldokumente über den Kampf der Linken gegen den Krieg einen eher kleinen Raum, zum Kampf der Frauen einen noch kleineren Raum und zum Kampf der Sozialistinnen einen

verschwindend kleinen Raum ein. Der überlieferte ZetkinBriefnachlass ist insofern ein Glücksfall, denn er umfasst mehr als tausend Briefe aus der Zeit zwischen 1914 und ihrem Tod 1933. Der vorliegende Band umfasst den Zeitraum August 1914 bis November 1918 und enthält – chronologisch geordnet – 172 Briefe, 27 Postkarten, Telegramme bzw. deren Entwürfe; immerhin 152 Dokumente werden hier erstmals publiziert. In dieser geschlossenen Edition, deren Herausgabe finanziell von der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt wurde, spiegelt sich Clara Zetkins mutiges Wirken gegen den Krieg und für den Frieden wider. Waren im Inland Luxemburg, Mehring und Liebknecht ihre engsten Verbündeten, so international Heleen Ankersmit, Inès Armand, Angelica Balabanoff und Alexandra Kollontai. Diese Zusammenarbeit erleichterte Clara Zetkin auch später den Weg an die Seite der Bolschewiki, den Jörn Schütrumpf in seinem Nachwort kenntnisreich nachzeichnet. Dr. Volker Külow Clara Zetkin: Die Briefe 1914 bis 1933. Band I: Die Kriegsbriefe (1914-1918). Herausgegeben von Marga Voigt. 559 S., 49,90 €, Karl Dietz Verlag Berlin 2016.

sowohl in München als auch in Leipzig mitgeschnitten. Die Idee, beide Abende akustisch zusammen zu bringen, ist sicher gut gemeint, aber in der Umsetzung verwirrend. Es wird in den 20 Nummern hin und her gesprungen zwischen Leipzig und München. Das stört schon ein wenig, denn jeder Raum hat eine andere Atmosphäre. Ist „Mir san mir“ witzig-lehrreich, so kann man die von Uwe Steimle herausgegebene CD „Walter Niklaus liest Stefan Zweig: Die schlaflose Welt“ als ein klares Statement für den Frieden und gegen die Opportunisten aller Parteien betrachten. Zweig weist in seinem klugen Text darauf hin, wie austauschbar Meinungen sind, die auf „Informationen“ beruhen und dass auch gerade in der Politik der jeweiligen Meinung hinterhergehechelt wird, während die wenigen Politiker, die so etwas wie eine auf solidem Wissen gründende Haltung besitzen – in der Linkspartei kann man an Sahra Wagenknecht denken –, eine Ausnahmeerscheinung sind. Ein wahres Lehrstück in

Sachen Opportunismus boten vor Jahren Stadträte der Linken in Dresden nach der Abstimmung über die Privatisierung des kommunalen Wohnraumes. Nachdem sie mehrheitlich für die Privatisierung gestimmt hatten, verließen sie die Partei und vertraten die Politik der CDU, unter anderem als parteiloser Sozialbürgermeister. Schlimmer noch als die Opportunisten sind Menschen, die offen oder verbrämt für Kriegspolitik eintreten. Steimles Texte sind ein intellektuell anspruchsvolles Bekenntnis zu einer Friedenspolitik. Natürlich sind schon Sprache und Duktus von Walter Niklaus ein besonderer Genuss – von der grandiosen Qualität des Textes einmal abgesehen. Als Sahnehäubchen gibt es gediegene Klänge. Texte aus dem vorigen Jahrhundert zu präsentieren, die aktueller sind denn je – das ist schon eine großartige Idee, für die man Uwe Steimle dankbar sein muss. Die CD „Mir san mir“ kostet 14,95 Euro, das Hörbuch mit dem Zweig-Text gibt es für 12,95 Euro. Ralf Richter

Silly auf „Wutfänger-Tour“ Im Rahmen ihrer „Wutfänger“Tour machte die Rockgruppe Silly auch Station in der Lausitzmetropole Cottbus. Ein tolles Erlebnis! Altersbedingt krochen Erinnerungen hoch, suchten ihren Ausgang und fanden ihn in Emotionen. So ging es mir, der Silly auch schon in der Besetzung mit der fulminanten Tamara Danz erlebt hat, die 1996 starb – und der ich damals unter anderem nachrief: „Auf dem Klangteppich ihrer Lieder, der vollgepackt ist mit ihren Emotionen, Träumen, Widersprüchen, Fragen, gekleidet in geschliffener Sprache, ist sie gegangen. An meinem Geburtstag ...“ Es war eine gelungene Mischung aus neuen Songs und älteren Liedern aus der Schatzkiste Sillys, wie Anna Loos es ausdrückte – die Sängern, die schon vor etwa

zehn Jahren gesanglich das Danz-Erbe angetreten hat. Sie hat es gut gemacht, mit ihrem Musikerkollektiv um Uwe Hassbecker, Rüdiger Barton und Hans-Jürgen Reznicek. Natürlich war die Show ganz eindrucksvoll, die Lichtspiele, beeindruckende Instrumenten-Soli, das ausgeflippte lebensfrohe Tanzen von Anna Loos, aber auch immer wieder tolle Texte, wie man sie seit jeher von dieser Band kennt. Aber bei allem war es auch eine Show, die Raum für besinnliche Töne bereithielt. Musikalisch spannte sich der Bogen von der Vergangenheit bis in die Gegenwart. So waren „Verlorene Kinder“ (alt) und „Wutfänger“ (neu) zu hören. „Das haben wir erlebt“ (weiterer Silly-Titel) – und ich war dabei. Schön war´s! René Lindenau (Text & Bild)


Die letzte Seite

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Seine letzte Reise

Ein großer Teil seiner bis dahin geschriebenen Gedichte fand sich, von ihm selbst vertont, auf seinem Debütalbum aus dem Jahr 1968 „Songs of Leo-

mehr denn je den spirituellen Themen dieser Welt widmete, zutiefst anwiderten. Doch die Charakterzüge eines bissigen Protestsängers – wie

nard Cohen“ wieder, auch auf der Nachfolgeplatte „Songs From A Room“ 1969. 1970 wurde er in Europa bekannt, nachdem er vor einem über eine Million Menschen zählenden Publikum beim „Isle of Wight Festival“ gastierte und dort ebenfalls bejubelt wurde. 1971 produzierte er die Platte „Songs of Love and Hate“, die bis dahin als seine Beste galt. 1972 kam es zu einer zweiten Tournee durch Europa, aus der sein erstes Live-Album „Live Songs“ entstand. Aus Protest gegen den israelischen Invasionskrieg 1973 gegen die arabischen Nachbarländer trat er in mehreren israelischen Kasernen auf, um seinen Unmut gegen die Aggressoren kundzutun. Es bestätigte sich abermals, dass politische Ungerechtigkeiten Cohen, der sich im Grunde genommen

des frühen Bob Dylan – trug er nicht. Eine Ausnahme bildet vielleicht sein Song „The Partisan“. Der handelt vom Schicksal eine französischen Mannes, dem die deutschen Besatzer die Familie nahmen und der sich daraufhin den Partisanen anschloss. Diesen Titel umweht ein Hauch von Rebellenromantik. 1974 folgte ein musikalischer Wendepunkt. Das Album „New Skin for an old Ceremonie“ war diesmal von abwechslungsreicher Virtuosität in der Instrumentation geprägt und klang zum Teil auch rockiger. Der Song „Lover Lover Lover“ wurde zum Riesenhit in den Charts, ebenso wie „There is A War“, in dem er den Krieg zwischen „Arm und Reich, Mann und Frau, Linken und Rechten, Schwarz und Weiß, Ungerade und Gerade“ metaphorisch thematisiert. Der Titel ließ international aufhorchen. Cohen wurde mittlerweile tatsächlich als Weltstar bejubelt, obwohl er nicht jene glitzernden Klischees bediente, die üblicherweise eine Rock-Größe ausmachen. Das 1977 folgende Album war für viele Cohen-Fans eine große Enttäuschung. Die Platte wirkte überarrangiert, viel zu viel Elektronik schien den einsamen Chanteur zu erschlagen. Trotzdem oder gerade deshalb verkaufte sich das Album „Death of a Ladies Man“ sehr gut, was gewiss auch dem Umstand zu verdanken war, dass dieser Sound dem damaligen Zeitgeist entsprach. Mit dem Album „Recent Songs“ aus dem Jahr 1979 vollzog sich ein neuer Wandel. Es wirkt

Bild: Takahiro Kyono / Wikimedia Commons / CC BY 2.0

Worin liegt das Geheimnis, ein gutes Gedicht mit passender Musik zu vereinen? Zugegeben, nicht jedem Songwriter gelingt dieser Spagat so exzellent, wie es Leonard Cohen mit seinen Songs vermochte. Es gab für ihn keine Spaltung zwischen Text und Komposition. Schon während er eine poetische Idee niederschrieb, schwebte ihm eine geeignete Melodie vor, doch fühlte er sich hauptsächlich als Dichter. Seine feinsinnige Lyrik, oft von tiefer Melancholie geprägt, beherbergt mitunter sozialkritische Sichtweisen, intelligent gespickt mit einem typisch selbstironischen jiddischen Augenzwinkern wie etwa im Song „I‘m your Man“ – in dem er inbrünstig verspricht, einer von ihm begehrten Lady sämtliche Wunschvorstellungen zu erfüllen. Seine Songs, die er anfänglich noch mit zerbrechlich klingender Stimme und einer beinahe öden Lässigkeit vortrug, bekamen dadurch einen ganz besonderen Reiz und eine eigenwillige Dynamik, deren hypnotisierender Kraft sich kaum jemand entziehen konnte. Verkörperte er einen einsamen Reiter, dessen Weg in eine unendliche Savanne seiner Gefühle führte, oder war in seiner Interpretation gar ein verzweifelter Aufschrei aus der Stille einer sich breit machenden Lethargie zu vernehmen? In jeder Hinsicht kann man ihn als einen leidenschaftlichen Soulsänger bezeichnen, dem es allem Anschein nach gelang, sich mit Hilfe seines sonoren Gesangs auf eine Reise in seine eigene Seele zu begeben. Leonard Norman Cohen erblickte das grelle Licht dieser Welt am 21. September 1934 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie im kanadischen Montréal. Sein strenger Vater wollte ihm eine kaufmännische Ausbildung ermöglichen, damit er später die Geschäftsleitung übernehmen könne, wogegen sich der Sohn sträubte. Der Vater starb früh und Leonard, der schon damals seinen musischen Begabungen frönte, sich mit Literatur befasste und bereits erste Gedichte verfasste, beschloss, einen eigenen kreativen Weg einzuschlagen. Schon früh lernte er das Klavierspiel und alsbald wuchs auch sein Interesse an der Gitarre. So dauerte es nicht lange, bis er mit einer kleinen Amateurband („The Bucksin Boys“) erste

kleinere Auftritte absolvierte. Zu dieser Zeit war er bereits Student an der McGill University in Montréal. Anfang der fünfziger Jahre begeisterte er sich für die Folkmusik, den Blues, Blue Grass, Jazz, sogar die klassische Musik und den aufkommenden Rock’n‘Roll. Sein Hauptinteresse jedoch galt der Literatur, besonders die Verse eines Federico Garcia Lorca ließen ihn nicht mehr los. 1956 war es dann soweit: sein erster Gedichtband mit dem Titel „Let us compare Mythologies“ erschien. 1960 reiste Cohen nach Griechenland, um sich auf der Insel Hydra einer Künstlerkommune anzuschließen. Dort ließ er sich zu seinem zweiten Gedichtband „The Spice-Box of Earth“ inspirieren, die 1961 in Toronto auf den Markt kam und 1976 unter dem Titel „Die Gewürzdose der Erde“ auf Deutsch erschien. Ein Jahr später zog es ihn nach Kuba, wo er sich sehr wohl fühlte, weil eine tiefe Sehnsucht nach Revolution in ihm geweckt wurde. Doch wegen des drohenden Konfliktes mit den USA verließ er die Karibikinsel. Er flog wieder nach Hydra, wohin es ihn auch später oft zog. Dort begann er, an seinem ersten Roman zu arbeiten, der 1963 als „The Favourite Game“ in die Buchläden kam. In dieser Zeit studierte er erstmals Lieder ein, die er jedoch nur im engsten Freundeskreis vorstellte. In den drei folgenden Jahren erschienen drei weitere Gedichtbände und 1966 schließlich ein Roman unter der Überschrift „Beautiful Losers“, der auch international Beachtung fand. 1967 kehrte Leonard Cohen in die USA zurück. Im selben Jahr trat er erstmalig beim „New York Folk Festival“ auf, wo ihn ein dankbares Publikum euphorisch feierte.

Bild: Exile on Ontario St from Montreal, Canada / Wikimedia Commons / CC BY-SA 2.0

In memoriam Leonard Cohen: 21. September 1934 – 7. November 2016

abwechslungsreicher und ist enorm von Folkmusik durchwachsen. Die arabische Laute Oud wird eingesetzt, Violinen und weibliche Backgroundgesangspassagen umgarnen die diesmal sehr sonor klingende Stimme des Meisters, unterstützt von einem jazzigen, kräftigen Kontrabass. Hier bot er Stille statt Aufruhr, seine Lieder schienen durchflutet von tiefster Einsamkeit, Sehnsüchten und zukunftsweisender Träumerei. Dem radikalen Pazifisten gelang hier ein großartiges Werk voller Harmonie, das Mut zur Verzweiflung stiftet, um daraus doch wieder Empörung wachsen zu lassen, um Veränderung zu bewirken. Nach dem Erscheinen der Platte zog sich Cohen für mehrere Jahre zurück, bis 1984 die Platte „Various Positions“ auf den Markt kam. Der Song „Dance me to the end of Love“ wurde ebenfalls ein Welterfolg, und drei Jahre später gelang ihm mit „I’m your man“ das nächste Meisterwerk. Die Scheibe „The Future“ von 1992 ist geprägt von den Wendeereignissen in Europa und wirkt sehr nachdenklich, beinahe pessimistisch. Für die folgenden neun Jahre lebte Cohen in einem buddhistischen Zen-Kloster, bis er 2001 mit der CD „Ten new songs“ wieder auf sich aufmerksam machte. Im Titel „Land of Plenty“ prangert er die Missstände der sogenannten heilen Welt an: „Es muss irgendwann im Land des Überflusses die Wahrheit an das Licht geraten“. Er bedauert es, nicht die nötige Energie zu besitzen, um helfen zu können. Neben weiteren Alben, die er bis zu seinem Lebensende herausgab, bestritt er trotz seines hohen Alters noch weitere Tourneen. 2011 erhielt Cohen den „Prinzessin-von-Asturien-Preis“ für Geisteswissenschaft und Literatur. 2015 wurde ihm der kanadische „Juno Award“ für sein Spätwerk „Popular Problems“ überreicht. Kurz vor seinem Tod im Alter von 82 Jahren veröffentlichte er seine vierzehnte Studioproduktion „You Want It Darker“. Zahlreiche internationale Interpreten coverten seine Lieder zum Teil sehr erfolgreich: Judy Collins, Bon Jovi, „Fairport Convention“, John Cale, Richard Thompson, Joe Cocker, R.E.M. und – in deutscher Übersetzung –: Hermann van Veen, Wolfgang Niedecken, Dunja Rajter, Manfred Wagenbreth, Gunther Emmerlich, um nur einige aufzuzählen. Mit Leonard Cohen ging an großer Humanist von uns. Jens-Paul Wollenberg


12/2016 Sachsens Linke!

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Dezember 2016

Sachsens Linke

Diesmal gibt es wieder zwei Seiten von den Kreisverbänden - das Erzgebirge und der KV Zwickau haben sich dafür entschieden, ab 2017 dauerhaft in diesem Blatt präsent zu sein. Wir hoffen, dass weitere Kreisverbände diesem Beispiel folgen möchten.

Außerdem geht es um Rüstungspolitik, den Bundeshaushalt, eine soziale Perspektive für Europa, die Debatte um die Autobahn-Pri-

vatisierung und viele andere Themen. Auch werfen wir wieder einen Blick ins Innere des Versandunternehmens Amazon.

Aktuelle Infos stets auch

unter

e www.dielinke -sachsen.d Zeit für den sozialen Wechsel

Demo für ein besseres Bundesteilhabegesetz Trotz nass-kalten Wetters fanden sich am 7. November 2016 viele Menschen zusammen. Überall vor dem Brandenburger Tor standen sie, hielten Luftballons und Schilder mit Protestworten in der Hand. Ein riesiges Plakat schmückt das Wahrzeichen Berlins mit den Worten „Dem ganzen Volk, Teilhabe statt Ausgrenzung!“ Viele Menschen mit Handicap haben sich auf den Weg gemacht, um ihren Unmut und ihre Sorgen zum neuen Bundesteilhabegesetz, das zum neuen Jahr erstmals angewendet werden soll, auszudrücken. Angereist aus Leipzig in einer Gruppe aus chronisch psychisch kranken Menschen und Sozialarbeitern vom Sozialpsychiatrischen Zentrum „Das Boot gGmbH“, lauschen wir gespannt den Reden von Politikern, Interessenvertretern und Angehörigen schwerbehinderter Menschen. „Über uns, nicht ohne uns!“, so die Schrift auf vielen Plakaten. Uns allen ist klar, wie prekär die Lage für Menschen mit Hilfebedarf durch das neue Gesetz werden kann, wenn der aktuelle Gesetzesentwurf so, wie er jetzt verfasst ist, Anwendung findet, und quasi an den echten Bedürfnis-

sen schwerbehinderter Menschen vorbei entschieden wird. Auf dem fast 400 Seiten langen Entwurf, der nicht in leichter Sprache verfügbar ist und in dem nicht einmal das Recht auf Beratung verankert ist, kommt 132 mal das Wort „wirtschaftlich“ vor – die Leistungsträger sind dazu angehalten, abzuwägen, ob eine angemessene Hilfeleistung nicht durch eine billigere Unterstützung ersetzt werden kann. Dieser Grundtenor, ganz im Sinne „der schwarzen Null“ von Minister Schäuble, wird für viele betroffene Menschen bedeuten, dass sie – anstatt mit Alltagsassistenten in den eigenen vier Wänden möglichst selbstbestimmt zu leben – ins Heim abgeschoben werden. Damit wird die bisherige Regelung bei der Bedarfsprüfung „ambulant vor stationär“ aufgehoben! Es ist zu erwarten, dass man sich als Betroffener mit dem neuen Gesetz glücklich schätzen kann, wenn man „eingeschränkt genug“ ist, um Unterstützung zu erfahren. Der Entwurf sieht vor, dass man in fünf von neun Lebensbereichen erheblichen Unterstützungsbedarf haben muss, um Hilfeleistungen zu er-

halten. Damit wird der Anspruchskreis der Eingliederungshilfeberechtigten stark eingegrenzt. Weiterhin ist zu befürchten, dass vielen Menschen, die einfach nicht krank genug sind, Unterstützung versagt wird. Die Befürworter des neuen Bundesteilhabegesetzes betonen gerne die höheren Freibeträge bei der Heranziehung von Einkommen und Vermögen der Betroffenen für die Deckung von Teilhabekosten. In der Tat profitiert davon nur ein Bruchteil der Betroffenen, denn das Einkommen und das Vermögen werden weiterhin zur Kostendeckung herangezogen. Und wenn man Pflegebedarf hat, ist sogar das Einkommen und Vermögen des Partners in Gefahr. Ein weiterer Kritikpunkt ist das sogenannte „Poolen“ von Leistungen. Beispielsweise müssten sich dann, der Wirtschaftlichkeit halber, mehrere Betroffene einen Assistenten teilen oder in einer WG zusammen wohnen. Alleine ins Kino oder zum Fußballspiel zu gehen wird dann eher schwierig für behinderte Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf. Dieses neue „Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbst-

bestimmung von Menschen mit Behinderungen“ hat seinen Namen bis jetzt nicht verdient. Denn eine bessere Teilhabe geht mit einem größeren Angebot an Wahlmöglichkeiten einher. Die sind aber durch den Zwang nach Wirtschaftlichkeit automatisch beschnitten. Und es gibt noch wesentlich mehr zu kritisieren, darüber könnte man Bücher schreiben. Aber es gibt auch Lichtblicke: Es ist angedacht, eine Elternassistenz einzuführen. Auch das Budget für Arbeit, gepaart mit der Stärkung des Mitwirkungsrechts in Behindertenwerkstätten der Betroffenen, sind unterstützenswert. Es ist beeindruckend, wie leidenschaftlich sich Interessenverbände, zum Beispiel der Verein Lebenshilfe, der die Demonstration in Berlin organisierte, für eine bessere Teilhabe von Menschen mit Handicap einsetzen. Weiterhin danken wir Frau Juliane Nagel von der Partei „Die Linke“ für ihre Spende, die unsere Fahrt erst möglich gemacht hat. Philipp Drescher, selbst schwerbehindert und Gründer von „IhrPB“, die zum Persönlichen Budget begleitet – www. ihrpb.de

„Den Menschen in Deutschland ging es noch nie so gut!“, hat Angela Merkel im Bundestag gesagt – nachdem sie erklärt hatte, ein viertes Mal antreten zu wollen. Ich frage mich: Wen meint sie? Die acht Millionen NiedriglöhnerInnen? Jene Hälfte der Bevölkerung, der eine Armutsrente droht? Die eine Million Beschäftigten in Leiharbeitsverhältnissen? Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Merkels Satz dokumentiert ihre Realitätsentrückung. Deutschland ist sozial zutiefst gespalten. Die oberen zehn Prozent besitzen mehr als die Hälfte des Vermögens, während sieben Millionen Menschen überschuldet sind. Viele wissen nicht, wie sie mit dem wenigen Geld auskommen sollen, egal, ob sie ohne Arbeit sind oder auf Mindestlohnniveau jobben. Wenn wir nicht wollen, dass die Schere weiter auseinandergeht, brauchen wir den sozialen Wechsel im Land. Dafür stehen wir, DIE LINKE. Wir können die soziale Spaltung niemals akzeptieren. Es gehnt uns nicht um Gleichmacherei, sondern darum, dass Menschen gleichberechtigt am Leben, am gesellschaftlichen Reichtum, teilhaben können. SPD und Grüne sind nicht per se sozial und schon gar nicht links, aber sie sind es mehr als CDU/ CSU, AfD oder FDP. Sie lavieren gerne, wollen nicht klar Farbe bekennen für ein wirkliches soziales Veränderungsprojekt. Wenn das so bleibt, bleibt Merkel alternativlos. Das will ich nicht. Deswegen müssen wir DIE LINKE stärken, weil sie die einzige Partei ist, die im Bundestag garantiert weder Merkel noch Seehofer wählen wird.


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Meinungen

Wer lässt sich schon gern verdreschen? Die Semperoper erstrahlt, aber nicht, um im MDR für goldschimmerndes Bier zu werben – sondern um, in Umkehrung der Lichtfülle, einen Stern-Artikel über das „dunkelste Bundesland“ einzuleiten. Beängstigende Bilder regen einen Vergleich an: „Sachsen, ein Trauerspiel“. Nicht ganz geglückt ist dieser Vergleich und auch nicht völlig daneben, da unter „Trauerspiel“ eine schlimme wie auch beklagenswerte Angelegenheit verstanden wird. Deutschlandweit sei Sachsen durch den jüngsten Justizskandal zum Gespött geworden, empört sich unser Landesvorsitzender im Parlamentsreport und sieht den Regierungschef Tillich in der Gesamtverantwortung. Ja, zum Gespött ist Sachsen geworden. Das ist schlimm und schmerzt alle, die gern in das Lied vom schönen Sachsenland einstimmen und nun nach der Berechtigung und Zielstellung dieser Sachsen-Dresche

fragen. Die Zielstellung ist wohl ersichtlich. Wenn Sachsen das dunkelste Bundesland ist, dann sind die anderen, dann sind Bayern oder Hessen heller, dann fällt Sachsen aus der Norm und Deutschland darf sich abwenden. Stern und Spiegel wollen nicht helfen, sie sind weit weg von einer verantwortlichen Berichterstattung. Helfen können wir uns nur allein. Aber nicht nur indem wir wie so oft zuvor den Herrn Tillich und seine in Sachsen im besonderen Maße verstockte CDU mit verbalen Getöse angreifen. Mag der Justizminister überfordert und das Personal durch unsinnige Sparmaßnahmen verschlissen sein, sich darauf einzuschießen bringt wenig. Die CDU regiert mit sicheren Mehrheiten seit 26 Jahren. Dass sie dies vermag, liegt wohl auch an der Opposition. Grün-weißer Dünkel kommt an, vermischt sich bei Pegida mit Fremdenhass, durchdringt die unverantwortliche Nachlässigkeit der sächsischen Landesregierung und

Seite 2 macht auch vor der LINKEN nicht Halt. Waldemar Peine, Dresden Zu „Zwischen devoter Haltung und aktiver Unterstützung“ (Links! 11/2016, S. 1) Schon lange unterstützt die Bundesregierung den Kampf der türkischen Regierung gegen Linke und die kurdische Bevölkerung. Nach der NVAAuflösung wurden ausrangierte Panzer geliefert. Die PKK ist in der BRD immer noch verboten. Das wird genutzt, um gegen demokratische kurdische Vereine vorzugehen. U. a. laut Roter Hilfe gibt es in der BRD mehrere linke türkische und kurdische politische Gefangene, die nie eine Straftat begangen haben. Überhaupt sind sich die BRD- und die türkische Regierung bei der Unterdrückung linker Andersdenkender wie auch bei der Bekämpfung der gewählten syrischen Regierung und der damit verbundenen Unterstützung von Terroristen und der Bekämpfung der so verursachten Geflüchteten einig. Somit sollten nicht nur der Bundeswehreinsatz von der Türkei aus und die Waffenexporte, sondern auch das PKK-Verbot und die damit ver-

Zu „Schluss mit der Selbstbescheidung!“ (Sachsens Linke! 11/2016, S. 4) Wie Harald Pätzolt bin ich der Meinung, dass die LINKE auch darstellen sollte, „wie sie ans Ziel zu kommen gedenkt“, und es „solle Zuversicht vermittelt werden“. Wir können unsere Dinge selbst in die Hand nehmen und sollten nicht auf Parlamente und Regierungen warten. Es gibt schon viele Initiativen für eine alternative Wirtschafts- und Lebensweise: Umsonstläden, LebensmittelretterInnen und -teilerInnen, Kleidungstauschbörsen, soziale Zentren, Gemeingüterökonomien (Commons), z. B. solidarische Landwirtschaft, das Mietshäusersyndikat und ähnliche Wohnprojekte, Leihlastenräder usw. Es gibt viele Initiativen, die gegenseitige

Unterstützung mit politischer Tätigkeit für eine solidarische und bedürfnisorientierte Gesellschaft gegen Profitorientierung verbinden. Z. B. beim Umundu-Festival in Dresden gibt es auch Vernetzungen zwischen ihnen. Protestbewegungen gegen Atomkraftwerke und die Verbrennung fossiler Energieträger kümmern sich auch um Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen (Sonne, Wind, Wasser, Erdwärme, Biomasse). So kann auch die Bundespolitik geändert werden (z. B. AKW-Abschaltung nach Bevölkerungsprotesten nach dem Fukushima-GAU). Überhaupt brauchen all diese Initiativen bei aller ehrenamtlichen Tätigkeit und gegenseitiger Unterstützung entsprechende Rahmenbedingungen wie Räume, sonstige Ressourcen und keinen Ärger mit staatlichen Organen. Bei entsprechender Förderung können auch mehr Personen zum Mitmachen ermutigt werden. Umgekehrt ist ohne diese soziale Bewegung mit noch so breiten parlamentarischen Mehrheiten keine Politikänderung möglich, wie z.B. Griechenland gezeigt hat. Uwe Schnabel, Coswig

Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 02.02.2017.

bundene Unterdrückung von Demokratiebewegungen, die Aggressionspolitik und die Geflüchtetenbekämpfung kritisiert werden. Auch gegenüber der Bundesregierung gilt, wie Michael Leutert betonte, dass „Herrscher, die so undemokratisch und inhuman handeln“, scharf kritisiert werden sollten. Rita Kring, Dresden

Dürer, Zeitgenosse der Reformation – „Die vier apokalyptischen Reiter“ In einem Kunstband über den berühmten Maler Albrecht Dürer (1471 – 1528) schockierte mich dessen 1498 entstandener Holzschnitt „Die vier apokalyptischen Reiter“. Der Bezug auf die Gegenwart ist beklemmend. Ich stelle mir vor, wie diese Reiter auf ihren Schlachtrossen und Schindergäulen durch die moderne Welt galoppieren. Sie bringen Tod, Vernichtung, Rassismus und Terrorismus unter die Völker. Jede Menschlichkeit wird für Macht und maximalen Profit des Kapitals unter ihren Hufen und Panzerketten zerstampft. Der Bogenschütze trägt eine schwarze Gesichtsmaske, eine modernste Handfeuerwaffe westlichen Importes, mindestens eine neue Kalaschnikow in der Ausrüstung. Er ist für die Kriegsgewinnler, Kriegsbefürworter und Religionsfanatiker in einem mörderischen Dauer-

gemetzel unterwegs. Mit Völkermord, Bombardierungen, Folter, Brandschatzung und den gern verschwiegenen Kollateralschäden ist der stolze abendländische Ritter und Militär im Staats- und Privatdienst mit modernster Waffentechnik weltweit befasst. Er bedient Raketen, Drohnen, Atomwaffen, Chemiewaffen und bakteriologische Systeme – für die westliche „Demokratie“, versteht sich. Der Reiter mit der Waage verkörpert das internationale Kapital, das Monopoly der Märkte spielt, zockt und global ganze Volkswirtschaften und Staaten ruiniert, Vermögen vernichtet, die Umwelt zerstört und den Krieg um die Köpfe führt. Millionen machen Meinungen von Millionen. Als vierter Reiter galoppiert der Tod mit Seuchen wie SARS, AIDS und Ebola im Gepäck. Eine Bedrohung der Menschheit

und besonders der Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Wie bewundernswert Albrecht Dürer seine Gegenwart in diesem Holzschnitt darstellte und seine Mitmenschen warnte! Als Vertreter der „frühbürgerlichen Revolution“ wusste er, auf welcher Seite der Barrikade sein Kampfplatz war. 1528 entwarf er ein Bauernkriegsdenkmal für die von Feudaladel und Klerus dahin gemetzelten Bauern, Bürger, Intellektuellen. Ich höre in den modernen Medien den Klang der Kriegsberichterstattung, Kriegshetze und Rüstungspropaganda. Die Ursachen der Kriege werden verschleiert, die Anlässe werden aufgebauscht, gefunden und manipuliert. Die apokalyptischen Reiter sind schon sehr laut zu hören. Stoppen wir mit Solidarität ihren Todesritt. Heinrich Ruynat

Impressum

Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.

Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus gedruckt.

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Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V.,


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Anmerkungen zum Schwarzbuch 2016 Das Weißbuch zur Sicherheitsund Verteidigungspolitik legte die Bundesregierung im Juli vor. Darauf antworteten die Linksfraktion im Bundestag und die Rosa-Luxemburg-Stiftung mit dem „Kritischen Handbuch zur Aufrüstung und Einsatzorientierung der Bundeswehr“, verbunden mit friedenspolitischen Ratschlägen. Schon die Einleitung bringt manches ans Licht, was das Weißbuch im Dunkeln lässt. So musste der Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, 2016 einräumen: „Krisenprävention hat in den letzten Jahren nicht so funktioniert, wie man sich das nach Lehrbuch gerne vorstellen möchte“. Tatsächlich entglitt den Groß-und Regionalmächten zunehmend die Kontrolle in den Ländern, wo sie zwischen 2013 und 2016 militärisch intervenierten. Demgegenüber beklagt der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Admiral Dieter Wellershof, die zunehmenden Proteste gegen eine aktive Rolle der Bundeswehr im Ausland, die auch zu vermehrten Kriegsdienstverweigerungen selbst aktiver Soldaten führte. Auf einer Kommandeurstagung führte er aus: „Es ist zu fragen, ob wir nicht den Gedanken an Krieg, Tod und Verwundung zu weit in den Hintergrund geschoben haben“. Geht es noch zynischer? Aufschlussreich ist der Fall Bosnien, an den im Schwarzbuch erinnert wird. Daran wird deutlich, wie falsche Entscheidungen der Diplomatie in einen militärischen Konflikt hinüberwachsen können. Blutige Ironie der Geschichte: Mit der vorschnellen Anerkennung Bosniens durch die Regierung Kohl fing die Zersplitterung Jugoslawiens an, die in einen Bürgerkrieg münden sollte. Besondere Bedeutung unter den deutschen Auslandsein-

sätzen misst man dem „Endloskrieg der Bundeswehr in Afghanistan“ bei. Ein Krieg, in dem längst nicht nur 3.409 Soldaten von ISAF und OEF, 15.000 afghanische Sicherheitskräfte und 20 Journalisten umkamen (Stand 2013). Auch die Wahr-

Brigadegeneral mit Stellung als Abteilungsleiter im Bundesamt für Personalmanagement, während die Hinterbliebenen des Bombardements per Entscheid des Bundesgerichtshofes erfahren mussten, dass sie keine Entschädigung bekommen.

Bild: René Lindenau

gen. Ein weiteres Teilstück der rüstungspolitischen Pannenstrecke ist der Mehrzweckhubschrauber NH 90. Den Kämmerern blutet angesichts dessen das Herz. Wäre es nicht besser, umzusteuern, hin zu einer Friedensdividende, von der man nach dem Kalten Krieg gemeinsam leben wollte? Dazu muss man erst mal im Kopf abrüsten. Eine „familienfreundliche Bundeswehr“, wie sie dagegen Ministerin von der Leyen anstrebt, ist absurd. Auch die Aufrüstung ihrer weiblichen Angehörigen mit Handtaschen, Sport-BHs und Pumps ändert das nicht. Kritisch werden Kooperationsabkommen von Bundeswehr und Bundesagentur für Arbeit gesehen. Aus Kitas und Schulen sollte jede Werbung für Bundeswehr-Nachwuchs verbannt werden, ebenso von Ausbildungsmessen. Bekräftigt wird die Forderung nach dem Verbot von Rüstungsexporten. René Lindenau

Jahrestagung der LAG FiP heit über die Kriegsgründe mühte man sich unter Panzerketten, Bombentrichtern und Granatenhagel zu verbergen. Denn weder ging es um Frauenbefreiung und Menschenrechte, sondern vielmehr um Geopolitik sowie um die Verteidigung der eigenen, auch deutschen, Interessen. Dazu äußerte Ministerin von der Leyen: Die deutschen Interessen sind grenzenlos. In dieses menschenverachtende Bild passt auch der Umgang mit Oberst Georg Klein, der jenen Luftschlag in Kundus (2009) zu verantworten hat, bei dem mehr als 100 Zivilisten starben. Aus dem Oberst wurde 2013 ein

Um eine Armee kriegstüchtig zu halten und für Interventionen auszurüsten, bedarf es enormer Anstrengungen. Hierzu meinte der Heeresinspekteur, Jörg Vollmer: Das Heer verfüge „über modernes Gerät, welches uns angesichts sehr unterschiedlicher Bedrohungslagen in den verschiedenen Einsatzgebieten flexibel, reaktionsfähig und durchsetzungsstark macht“. Jedenfalls werden auf einigen Seiten des Schwarzbuches die Rüstungspolitik und einige Rüstungsvorhaben beleuchtet. Klar wird, dass es in diesem Sektor verschwenderisch und lobbygesteuert zugeht. Denn wenn man

Hier spricht die Amazon-Belegschaft Die Auseinandersetzung zwischen ver.di und dem Versandhändler Amazon dauert schon Jahre. In dieser Zeit nahm Amazon immer wieder zu Vorwürfen Stellung, die aus der Belegschaft oder von der Gewerkschaft kamen. Dabei nutzte der Konzern seine Rechtfertigungsversuche für Eigen-PR. So offenbarte sich immer wieder die Denkweise der Führungsetage. Die wurde der Belegschaft in Betriebsversammlungen und All-Hands nähergebracht. Dort musste die Geschäftsleitung auch auf Themen eingehen, die in der Belegschaft diskutiert werden und bei denen die Gewerkschaft Druck macht. Eines ist die Be-

schon rüsten will, warum legt man sich auf die Einführung des weit teureren bayerischen Luftverteidigungssystems MEADS (veranschlagte Kosten 4 Milliarden Euro) fest, anstatt auf das preisgünstigere Angebot der US-Firma Raytheon einzuge-

zahlung. Die Frage, die sich die Führung gefallen lassen muss, ist: Warum geht Amazon nicht auf Forderungen der Gewerkschaft ein? Die Antwort ist erschreckend. Es wurde gesagt, dass es für die Mitarbeiter nicht unbedingt von Vorteil sei, wenn sie mehr verdienen würden. Diese Aussage lässt stark vermuten, dass die Führungsebene es den Beschäftigten nicht zutraut, selbstverantwortlich zu handeln. Dieser Art von Misstrauen begegnet man immer wieder im Arbeitsalltag. So zum Beispiel, wenn man zum Vorgesetzten geht und dabei eine Treppe passieren muss. Da kann es passieren, dass man eine Standpauke erhält, weil man

hen, die auf die Modernisierung ihrer PATRIOT-Raketen setzt? Man hatte eben „starke industriepolitische Fürsprecher im Regierungsapparat und im Bundestag“. Nicht nur Bomben und Granaten explodieren, auch die Kosten. Manches Rüstungsprojekt stürzt auch ab, wie der Lufttransporter Airbus A400M bei seinem Jungfernflug bei Sevilla. Dennoch hält man an der Maschine fest, 53 Stück sind bestellt, ursprünglich waren 60 geplant. Trotzdem lagen 2016 die geschätzten Gesamtkosten mit 9,5 Milliarden Euro bereits um 18 Prozent über den Planun-

Am 16.12. trifft sich um 15 Uhr die LAG Frieden/internationale Politik im Liebknecht-Haus Leipzig (Braustraße 15) zum Jahrestreffen. Heike Hänsel, stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, referiert zum Thema „Fluchtursache EU?“. Außerdem werden der Jahresplan und die Veranstaltungen 2017 beschlossen. Auch um unser Großprojekt, den sächsischen Rüstungsatlas, wird es gehen. Zudem werden wir Sprecher und Delegierte für Landesparteitag und Landesrat wählen.

Entmündigung

den Handlauf nicht benutzt hat. Solche Beispiele sind zahlreich. Oft handelt es sich um Kleinigkeiten, die aufgebauscht werden. So fragen sich viele Mitarbeiter, ob sie sich in einem Kindergarten befinden. In den für die Beschäftigten obligatorischen Meetings wurde etwa darauf hingewiesen, dass man darauf achten solle, seine Schnürsenkel ordentlich verschnürt zu halten. Oder dass man nur bei Grün die Straße überqueren solle. Da nimmt es nicht Wunder, dass viele Angestellte das Gefühl haben, dass ihre Chefs auf sie herabschauen. Immer wieder wird von fehlender Wertschätzung gesprochen. Die Geschäftslei-

tung ist dann stets der Meinung, dass sich die Angestellten Respekt und Wertschätzung erst erarbeiten müssten. Angestellte und Geschäftsleitung begegnen sich nicht auf Augenhöhe. Viele Manager schauen auf ihre Mitarbeiter herab. In den Meetings werden die Mitarbeiter beispielsweise darauf hingewiesen, dass man sich nach dem Toilettengang die Hände zu waschen hat. Es kam auch schon vor, dass die Mitarbeiter zu einer ordentlichen Körperhygiene angehalten wurden. Doch damit nicht genug. In den Toiletten im Lagerbereich hängen Hinweisschilder. Abgebildet sind Strichmännchen in verschiedenen Posen. So wird man darauf

hingewiesen, dass man nicht mit einer Angel in der Toilette fischen solle. Ein anderes Bild zeigt, in welcher Richtung man zu sitzen hat. Solche Hinweisschilder finden sich nicht in den Toilettenräumen der Chefetage. Diese Beispiele aus dem Arbeitsalltag zeigen, wie man bei Amazon als Mensch eingeschätzt wird. Gesunder Menschenverstand und normales Verhalten werden dem einfachen Angestellten offenbar nicht zugetraut. Mit einer Begegnung auf Augenhöhe hat das alles wenig zu tun. Dieses Verhalten dient einzig der Erhöhung der eigenen Position und der Herabwürdigung des Gegenübers. Christian Rother


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DIE LINKE im Erzgebirge

Nicht wieder so lange warten! Standpunkt der Verwaltung informiert wurden. Wir LINKEN Fraktionen im Zweckverband vernetzten uns und konnten abgestimmt argumentieren. Das Vorhaben, unserem Vertreter in der Zweckverbandsversammlung – also dem Landrat – Weisungen zu seinem Abstimmungsverhalten zu geben – das darf der Kreistag gemäß Art. 52 Abs. 4 SächsKomZG – konnte allerdings nicht umgesetzt werden. Eine Mehrheit gegen uns verhinderte das. Die Diskussion zum Entwurf des 3. Nahverkehrsplanes hat jedenfalls drastisch verdeutlicht, dass der Kreistag nicht erst tätig werden darf, wenn der Entwurf des 4. Nahverkehrsplans vorliegt, also etwa 2019. Es ist unbestritten, dass eine breite öffentliche Diskussion über die Weiterentwicklung eines effizienten und modernen Nahverkehrs notwendig ist. Unter diesem Gesichtspunkt haben wir Bestrebungen unterstützt, einen Beirat zu bilden, der sich sehr detailliert mit der weiteren Ausgestaltung des Nahverkehrs beschäftigen soll-

Bild: Tomáš Diviak /flickr.com/ CC BY-NC-ND 2.0

Der Nahverkehrsplan des Zweckverbandes Verkehrsverbund Mittelsachsen für 2016 bis 2020 steht nun im Netz. Wohl kaum ein Nahverkehrsplan hat so die Gemüter bewegt. Ursächlich dafür waren vor allem die schlechte Perspektive des schienengebundenen Nahverkehrs, sprich der Hauptadern vom Oberzentrum Chemnitz ins Gebirge sowie die Diskrepanz zwischen den Wünschen an den Nahverkehr und der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung. Wir LINKEN haben uns in diesen Diskurs eingebracht, vielleicht nicht spektakulär genug. Auf jeden Fall hat eine breite Bewegung von Bürger*innen mit uns erreicht, dass die Bahnlinien gegenwärtig nicht in Frage gestellt werden. Ein wesentliches Problem sehen wir aber auch darin, dass die Kreistage kaum in die Vorbereitung des Nahverkehrsplanes einbezogen wurden. In unterschiedlicher Weise versuchten wir auf den Inhalt der Endfassung Einfluss zu nehmen. So haben wir erfolgreich beantragt, dass der Kreistag und die Öffentlichkeit über den

te. Leider wurde deutlich, dass dafür keine Mehrheiten zu erreichen sind. Für die 10. Kreistagssitzung am 7. Dezember 2016 steht nun ein Antrag unserer Fraktion zur Abstimmung, der folgende Punkte zum Inhalt hat: 1. Die Abarbeitung/Umsetzung des nunmehr bestätigten 3. Nahverkehrsplanes wird durch den Technischen Ausschuss des Kreistages begleitet. 2. Die Landkreisverwaltung schlägt dafür dem Ausschuss einen Arbeitsplan/Themenplan entsprechend der Schwerpunkte des Nahverkehrsplanes für die verbleibende Wahlperiode vor. 3. Die Themen sind für zwei Sitzungen des Ausschusses je Jahr zu planen; oder bei komplexen Themen als Sondersitzung vorzubereiten. 4. Die Einbeziehung von Sachverständigen (u.a. ZVMS, RVE, Erzgebirgsbahn) ist vorzusehen. Uns stehen zukunftsweisende Sitzungen bevor, denn die Anforderungen an die Mobilität werden sich grundlegend verändern. Öffentlicher Nahverkehr muss auch weiterhin ein viel diskutiertes Thema zur öffentlichen Daseinsvorsorge bleiben. Die unterschiedlichen Interessengruppen definieren ihre Ansprüche oft unterschiedlich. Wir als LINKE im Erzgebirge haben aus den Diskussionen das Vorhaben entwickelt, Interessierte zusammenzuführen. Wer also gern weiter zum Thema diskutieren, Vorschläge unterbreiten und Änderungen anschieben möchte, der melde sich gern bei der Kreistagsfraktion – unter 03733/429456 oder kreistagsfraktion@dielinke-erzgebirge.de. Wir beabsichtigen, eine Interessengruppe aufzubauen. Dr. Barbara Drechsel, Kreisrätin

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AG Zukunft: Was war und was wird sein? Wolfram Dittmann sprach für „SachsensLinke“ mit dem Vorsitzenden der AG Zukunft im Kreisverband Erzgebirge, Holger Zimmer.

Was war der Anlass, eine AG Zukunft zu gründen? Unser Ziel war es von Anfang an, sich nicht mehr nur mit eigenen organisatorischen Fragen zu befassen. Die Aufgabe bestand und besteht darin, die inhaltliche Arbeit unseres Vorstandes für die Öffentlichkeit durchschaubarer zu machen. Wie erfolgt die Umsetzung? Seit 2015 wird regelmäßig beraten, was in der folgenden Zeit an Aufgaben und Aktionen notwendig ist. Unsere bildungspolitischen Stammtische wurden im Jahr 2016 in allen Regionen des Kreises durchgeführt. Kannst Du etwas als Ergebnis nennen? Ja, die Teilnahme von NichtPartei-Mitgliedern an allen Veranstaltungen. Dabei

wurde der direkte Kontakt zu unserer Landtagsfraktion gesucht und gefunden. Interessant ist für alle Beteiligten die Sicht auf anstehende Probleme nicht nur aus parlamentarischer Sicht. Daraus kann ein gegenseitiges Nehmen und Geben erwachsen. Angenehm wäre es, wenn mehr Kommunalpolitiker den Weg zu unseren Veranstaltungen finden könnten. Die Sorgen sind ja unterschiedlicher regionaler Natur. Zum bedingungslosen Grundeinkommen gab es tolle Reaktionen und die Diskussionen waren gut. Wie geht es weiter? Die medizinische Versorgung im Kreis erscheint mir als ein Problem, wozu wir uns als Partei äußern müssen. Es gibt dazu viel Unverständnis unter der Bevölkerung, die Wartezeiten sind nicht mehr nachvollziehbar. Die „großen“ Parteithemen sind nicht immer von aktuellem Interesse, Otto Normalverbraucher hat andere Sorgen. Dabei ist den Mitgliedern unserer AG Zukunft das Regionale wichtig. Zum Beispiel wird die Kandidatenfindung für kommende Wahlen eine wichtige Rolle in unseren Aufgaben einnehmen. Die Beratung durch Landtagsabgeordnete zu unterschiedlichsten Inhalten ist weiterzuführen. Es gilt, das theoretische Fundament für unsere Arbeit zu schaffen und auszubauen.

Lehrer-Paket der Staatsregierung: Am Ziel vorbei Mit der Veranstaltung am 2. November 2016 fand im Kulturbahnhof in Stollberg bereits die zweite Stammtischrunde zum Thema Bildung statt. Eingeladen hatten Klaus Tischendorf und die Mitglieder des Schulausschusses Cornelia Falken und Verena Meiwald. Als weiterer Gast war der Wahlkreisabgeordnete der CDU, Rico Anton, dabei. Die Veranstaltung war gut besucht, es waren Schulleiter, Lehrer, Eltern und auch Schüler anwesend. Cornelia Falken stellte drei Themen vor, die diskutiert werden sollten – Änderungen am Schulgesetz, das Maßnahmenpaket der Staatsregierung zur Lehrerversorgung und Vorhaben zur Inklusion. Auf Wunsch eines Schullei-

ters wurde das Maßnahmenpaket besprochen. Es soll dem Lehrermangel in Sachsen begegnen und sorgt unter anderem für höhere Einstiegsgehälter an den Oberschulen. Das wurde kontrovers diskutiert, denn dadurch verdient ein neuer Lehrer genauso viel wie ein Lehrer mit vielen Jahren Berufserfahrung. Letztere könnten sich also benachteiligt fühlen. An dieser Stelle wurde außerdem kritisiert, dass ein Lehrer an einer Grundschule genauso wertvoll ist wie ein Lehrer an einer Oberschule oder einem Gymnasium. Daher solle es keine Gehaltsunterschiede zwischen den Schularten geben. Ein weiterer Punkt des Pakets sieht vor, die Quote der vorzei-

tigen Renteneintritte von Lehrern zu senken, indem das Regelstundenmaß im Alter nicht mehr nur um zwei, sondern um drei Wochenstunden ermäßigt wird. Des Weiteren kann Lehrern ab dem 63. Lebensjahr ein Zuschlag von bis zu 780 € gewährt werden. Dieser Maßnahme bescheinigten die Anwesenden nur eine geringe Wirksamkeit. Sie bezweifelten, dass ein höheres Gehalt Lehrkräfte, die ihren Beruf altersbedingt nicht mehr ausüben wollen, davon abhält, vorzeitig in Rente zu gehen. Es wurde weiterhin kritisiert, dass die hohe Zahl an Frührentnern durchaus absehbar gewesen wäre, das Ministerium davor aber die Augen verschlossen hat. Am stärksten wurde allerdings

das Thema Quereinsteiger diskutiert. Im Maßnahmenpaket wird festgestellt, dass der Freistaat in den nächsten Jahren nicht auf sie verzichten kann. Daher sollen die Quereinsteiger besser vorbereitet werden, indem sie ein Qualifizierungsprogramm durchlaufen müssen. Die anwesenden Gäste äußerten sich, wie bereits beim letzten Stammtisch, gegen Quereinsteiger. Die Kinder zu unterrichten sollten nur Spezialisten, die diesen Beruf erlernt haben, und keine Akademiker, denen die pädagogische Ausbildung fehlt. Außerdem wurde festgestellt, dass die gesellschaftliche Anerkennung der Lehrer in den letzten Jahren weiter gesunken ist und die Gefahr besteht, dass

dies durch die Seiteneinsteiger noch verschlimmert wird. Aufgrund der langen Diskussionen konnten die anderen beiden Themen nicht mehr besprochen werden. Es hat sich aber gezeigt, dass Diskussionsbedarf besteht und dass die Maßnahmen der Staatsregierung aus Sicht der Betroffenen in einigen Punkten am Ziel vorbei gehen. Tobias Wetzel Der nächste Bildungsstammtisch findet am 23. Januar 2017 um 18 Uhr im Hotel Waldesruh, Obervorwerk Nr. 1, 09514 Pockau-Lengefeld/Erzgebirge statt. Mit dabei sind die Landtagsabgeordneten Cornelia Falken, Verena Meiwald und Klaus Tischendorf.


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DIE LINKE. Kreisverband Zwickau

12/2016 Sachsens Linke!

Wohin fließt unser Geld? Michael Leutert MdB (DIE LINKE) in Wilkau-Haßlau Immer wieder, wenn wir im Zwickauer Oberland Infostände machen, werden wir gefragt: Was passiert denn eigentlich mit dem ganzen Geld, das die Bundesrepublik im Jahr einnimmt? Zu diesem Thema hatten wir den Bundestagsabgeordneten Michael Leutert eingeladen. Das meiste Geld – 100 Milliarden Euro – fließt in die Rentenkasse. Der zweitgrößte Ausgabenposten sind die Militärausgaben mit 36 Milliarden Euro. Mehr als die Hälfte dieses Geldes wird für Personal ausgegeben und knapp elf Milliarden für Rüstungsgüter. Michael führte aus, dass wir die Menschen, die derzeit in der Rüstungsindustrie arbeiten, nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Es geht um 70.000 Arbeitsplätze. Die Rüstungsindustrie muss schrittweise transformiert werden, hin zur

Produktion von zivilen Gütern. Als Beispiel nannte er die Firma MTU. War sie vorher führend in der Produktion militärischer Güter, so macht dieses Geschäftsfeld heute nur noch knapp 25 Prozent ihres Umsatzes aus. Beim Thema Rüstungsexporte wies Michael darauf hin, dass die Bundesrepublik vor allem im Geschäft mit großem militärischen Gerät wie U-Booten oder Panzern aktiv ist. Für rund acht Milliarden Euro exportiert die Bundesrepublik Rüstungsgüter vor allem in den arabischen Raum. Regelungen, die Exporte verhindern könnten, sind leider zu schwammig. Dies führt auch dazu, dass die Bundesregierung den NATO-Partner Türkei mit Waffen beliefert, ebenso die kurdischen Kämpfer gegen den IS. Im Kampf der Türkei gegen die Kurden kommen sicher deutsche Waffen zum Einsatz und die Kurden werden sich sicher mit deutschen Waffen zur Wehr setzen.

Die Diskussion mit Michael verlief rege und alle anwesenden Genossinnen und Genossen dankten ihm für sein Kommen. Wir haben alle etwas von

seinen Ausführungen mitgenommen. Dies hilft uns in der politischen Arbeit vor Ort im Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern.

Rückblick & Ausblick Liebe Genossinnen und Genossen, das Jahr 2016 geht zu Ende. Die Tage sind kürzer, es ist kalt geworden. Nicht nur im meteorologischen Sinne. Immer mehr Menschen frösteln, wenn sie an die gesellschaftliche Entwicklung denken. Menschenfreundlichkeit und menschenfreundliche Politik werden als „Gutmenschentum“ verspottet. Menschen zu helfen und sich für andere einzusetzen, kommt immer mehr aus der Mode. Immer seltener hört man die Frage: Wie kann ich helfen? Dafür umso öfter die Frage: Was nützt mir das? Gleichzeitig beschleicht

Kurz gemeldet

zahlreiche ehrenamtlich aktive Menschen immer stärker das Gefühl, dass sie mit ihrem Engagement „Lückenbüßer“ für fehlendes staatliches Engagement in vielen Bereichen sind. Die zentrale Frage lautet: Wie soll unsere Gesellschaft aussehen? Eine gute Gelegenheit für eine solche Diskussion ist der Bundestagswahlkampf. Der von 2013 war ein Tiefpunkt: Im Gedächtnis geblieben sind nur die „Debatten“ über die Halskette, welche die Bundeskanzlerin im TV-Duell getragen hatte und der Stinkefinger von Peer Steinbrück auf dem Cover des „SZMagazins“.

Es ist Zeit, intensiv über gesellschaftliche Probleme zu diskutieren und um Lösungen zu ringen. Unsere Partei hat etwas zu sagen und wird sich kräftig einbringen. Aber es muss allen klar sein, dass wir das, was wir zu Recht von anderen erhoffen, selbst leben müssen. Stärkeren Zusammenhalt und Solidarität einzufordern, ohne beides selbst zu leben, ist unglaubwürdig. Und das wichtigste Gut in der heutigen politischen Landschaft ist Glaubwürdigkeit. Leider fehlt an dieser Stelle der Platz, an all das zu erinnern, was wir alle gemeinsam im jetzt bald zu Ende gehenden Jahr in den

Ortsverbänden und im Kreis geleistet haben. Gedankt sei allen Genossinnen und Genossen, die durch Ihr Engagement unsere Partei vor Ort lebendig halten und so dafür sorgen, dass wir unserer Rolle als zweitstärkste politische Kraft im Landkreis und in Sachsen gerecht werden. Ich wünsche allen Genossinnen und Genossen, allen Leserinnen und Lesern ein frohes Fest und einen guten Rutsch ins Jahr 2017. Gehen wir mit Optimismus, Mut und gesundem Kampfgeist die vor uns liegenden Aufgaben an. Sandro Tröger, Kreisvorsitzender

ßer Aufwand. Als unsere Mitglieder in der Freien Presse lasen, dass nun doch Obst in Sachsens Schulen angeboten wird, war der Tenor: „Es war nicht umsonst, auch wenn der Prozess zwei Jahre gedauert hat. Es geht doch!“ Ute Hoch, OV Lichtenstein

lung wahrnahmen, nicht der Drang zu einer ausschweifenden Selbstdarstellung. Besonders wohltuend war der Auftritt des Gastes Ute Lukasch aus Altenburg (Kreisvorsitzende in Altenburg und MdL im Landtag Thüringen). Sie schilderte, wie Rot-Rot-Grün gehen kann und geht, insbesondere anhand der geplanten Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform – auch angesichts der Widerstände, die sich selbstverständlich auftun. Pfründeund Besitzstandswahrung sind dabei maßgebliche Hemmschuhe. Mit dem Thema verband sich eine interessante Diskussion zu Positionen unserer Partei, wie soziale Ge-

rechtigkeit, Antimilitarismus, Solidarität mit Flüchtlingen, zum „Alleinstellungsmerkmal“ Friedenspartei, das ein Nein zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr und die Senkung der Zahl der Rüstungsexporte als unverzichtbar einschließt. Sehr belebend war auch die in die Nachmittagsdebatte eingebaute Lesung von Texten vom Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts durch MdL Franz Sodann. Rundum gesagt: Es war eine gelungene Veranstaltung, die uns sicher gestärkt in das kommende, nicht leicht werdende Wahljahr 2017 führt. Hans-Günther Wilhelm, WilkauHaßlau

Meinungen LINKE schieben an, CDU heftet es auf ihre Fahne! „Sachsen gönnt Schulkindern jetzt doch eine Extraportion Obst“. Das Warten hat sich gelohnt. Im Juni 2014 übergab der Vorstand des Vereins Kinderhilfe Lichtenstein/Sachsen e.V. der Vorsitzenden des Petitionsausschusses des Sächsischen Landtages, Anja Jonas, eine Petition mit 1.032 Unterschriften von Eltern und Vereinsmitgliedern. Die Forderung war, das von der EU geförderte Schulobstprogramm in Sachsens Schulen einzuführen. Ein Jahr später, im Mai 2015, erhielten wir die Ablehnung, kein Obst in Sachsens Schulen. Begründung: zu gro-

Zum Kreisparteitag Es war ein langer, aber konzentriert verlaufender Wahlparteitag der Linken. Im Wesentlichen wurde der Zeitplan bewältigt. Wohltuend war, dass keine zähe Diskussion zum Prozedere der Wahlabläufe stattfand. Auch bestand bei den Kandidaten, die das Recht der Vorstel-

An dieser Stelle sei herzlich Simone Hock gedankt für die Organisation der Veranstaltung, die sehr gut angekommen ist. Steffi Müller, Wilkau-Haßlau

Sabine Zimmermann gab im politiKKontor einen Überblick zum Rechtsvereinfachungsgesetz SGB II. Mehr: www.gleft.de/1wz Katja Kipping war mit ihrem Buch „Wer flüchtet schon freiwillig“ zu Gast in Hohenstein-Ernstthal. Mehr: www.gleft.de/1wA Jörn Wunderlich streitet seit vielen Jahren im Bundestag für Verbesserungen zum Unterhaltsvorschuss, um Kinderarmut zu verhindern. Nun sind Fortschritte erreicht, obgleich diese gerade Hartz IV-Familien nicht zu Gute kommen. Da gilt es, dranzubleiben. Mehr: www.gleft.de/1wB

Termine 12. Januar, 16 Uhr, politiKKontor (Bahnhofstraße 5, Kirchberg): Jahresauftakt mit Aus- und Rückblick auf 2016 und 2017. 14. Januar, 9.30 Uhr, Parkschänke Limbach-Oberfrohna: Nominierung im Wahlkreis 163/Chemnitzer Umland – Erzgebirgskreis II 28. Januar, 9.30 Uhr, Sachsenlandhalle Glauchau: Nominierung im Wahlkreis 165/Zwickau


Sachsens Linke! 12/2016

Jugend

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So much Action again! Grundschul-Gefühle kamen bei so mancher Person hoch, die mit uns gemeinsam das letzte Aktionswochenende im nordsächsischen Dahlen bestritten hat, das vom 11. Bis 13. November 2016 stattfand. In der Jugendherberge angekommen, abgeschnitten von Internet und Zivilisation und

mer nur konsumieren?“, lautet die folgerichtige Frage. Einfach mal machen! Zur Unterstützung unseres illustren Satiregrüppchens gab es zunächst einen Workshop zu den Grundlagen des humoristischen Schreibens. Bei Humor mögen sich die Geister zwar scheiden, aber dennoch sollte

Da es keine Zeit zu verlieren gab, ging es alsbald an die Themenfindung und das Verfassen der Skripte, sodass schon am Samstagabend mit den Dreharbeiten begonnen werden konnte, die am Sonntag erfolgreich beendet wurden. Da das Filmchen früher oder später der Öffentlichkeit zu-

versorgt mit dem obligatorisch viel zu stark gesüßten Jugendherbergs-Früchtetee, waren wir uns schnell einig darüber, dass hier der richtige Ort für unsere Vorhaben sein würde. Und wir hatten schließlich so einiges vor! Nachdem das letzte Aktionswochenende im September in Oberau unter dem Banner der (Hoch-) Schulpolitik und der Vernetzung unserer Landesarbeitskreise stand, hieß es diesmal: „Mach´s dir selbst! Satire von Links“. Unsere Regionalkoordinator_innen Max und Fine hatten was Dolles vorbereitet. Das Ziel war, an diesem Wochenende eine eigene Satiresendung zu produzieren. Schließlich ist es ein offenes Geheimnis, dass Sendungen wie das „Neo Magazin Royale“ oder die „Heute Show“ oftmals richtig linke Inhalte verbreiten – in einer Form, die für viele junge Menschen äußerst ansprechend ist. „Wieso also im-

bei einer Satiresendung für die Zuschauer_innen erkennbar sein, dass die Macher_innen zumindest irgendwie versucht haben, lustig zu sein. Nachdem ein erfahrener Poetry-Slammer den Workshop dazu gehalten hatte, gab es noch einen Input von einem Filmemacher über die Grundlagen des Umgangs mit Kamera und Mikrofon.

gänglich gemacht werden soll, wäre es natürlich töricht, an dieser Stelle zu viel vorwegzunehmen. Nur so viel: Die Themenpalette reicht vom Verhalten sächsischer Behörden gegenüber Geflüchteten über die sächsische Anwendung des Bundesteilhabegesetzes bis hin zum Umgang sächsischer Jugendlicher mit sich selbst

und noch viel weiter. Wir sind selbst darauf gespannt, was am Ende daraus geworden ist. Unabhängig vom Ergebnis sind wir jedoch erstmal mächtig stolz darauf, gemeinsam dieses Do-it-yourself-Projekt in der Kürze der Zeit auf die Beine gestellt und so viele neue Erkenntnisse erlangt zu haben. Großen Dank an Max und Fine und die anderen Unterstützer_ innen, es war wirklich grandios! ABER HALT! War an diesem Wochenende nicht noch etwas? Richtig, das Auftakttreffen für die sächsische Linksjugend-Kampagne zur Bundestagswahl! Nachdem wir zwei Wochen zuvor auf dem Landesjugendplenum in Leipzig die Weichen stellten, indem wir die inhaltlichen Schwer-

martig, sie zu beantworten. Auch unsere erfolgreiche „Regierung Stürzen!“-Kampagne aus dem Landtagswalkampf 2014 knöpften wir uns noch einmal vor, um zu schauen, was wir anders (und besser) machen oder was wir beibehalten möchten. Im Laufe der nächsten Wochen werden sicherlich und hoffentlich noch viele junge Menschen zum Wahlkombinat stoßen und ihre eigenen Ideen mit einbringen – wenn Du magst, also auch DU! (Genau, DU! DU, der_ die du unter 27 bist und riiichtig Bock auf Kampagnenorga hast, Whoohoo!) Wenn Du Dich angesprochen fühlst, dann melde Dich doch einfach mal unter kontakt@linksjugend-sachsen. de.

punkte unserer Kampagne festlegten (Europa, Energiewende, Recht auf Stadt, Prekarität, Laizismus, Demokratie für alle, Drogenpolitik) und Tilman Loos als unseren Jugendkandidaten nominierten, sollte es nun schon so langsam in die Vorbereitungsphase gehen. Denn: Wer eine dicke Kampagne auf die Beine stellen will, nimmt sich dafür bestenfalls richtig viel Zeit. So fanden sich also zehn Monate vor dem Wahltermin zwölf Leute zusammen, um schon mal zu schauen, was so alles gehen könnte – was genau wir eigentlich mit der Kampagne bezwecken möchten, wen genau wir erreichen wollen und wie wir das am besten anstellen. Diese und viele weitere Fragen warfen wir auf und begannen brainstor-

Zu gern würden wir jetzt ja einige unserer schon jetzt revolutionären Wahlkampfideen aufzählen – doch da wir keiner Person die Überraschung verderben wollen, belassen wir es einfach bei einem winzigen Hinweis: Unser Wahlkampf wird weder inhaltsloos, ideenloos oder humorloos – dafür wird er reich an kompromissloosen Wortspielen. ;) Achtung – Fertig – Loos! Florian Paulig & Daniel Peisker

Auf, auf in eine neue Runde Pfingstcamp-Vorbereitung Das erste Vorbereitungstreffen für das Pfingstcamp 2017 hat im November stattgefunden und die grundsätzliche Gestaltung der Arbeitsweise geklärt. Das Vorbereitungsteam wird in verschiedenen AG-Strukturen arbeiten und freut sich darauf, wenn sich noch mehr Menschen einbringen. Es wird eine AG Infrastruktur, eine AG Inhalte (also Seminare und inhaltliche Parts) und eine AG

Musik und Kultur geben. Diese Gruppen dürfen in ihrem Gebiet frei entscheiden, wie das Pfingstcamp gestaltet werden soll. Getreu dem letztjährigen Motto „Mach mit, mach‘s nach, mach‘s besser“ sind die AGs für alle Menschen offen – wer also möchte, dass ihr/sein Lieblingsgenre in der Musikplanung berücksichtigt wird, darf sich gerne vertrauensvoll an das Vorbereitungsteam wen-

den und in der AG mitarbeiten. Neben diesen AG-Strukturen wird es einmal monatlich noch ein großes Plenum geben, auf dem themenspezifische und allgemeingültige Entscheidungen getroffen werden. Wenn Du keine Lust hast, Dich stark in die Vorbereitung einzubinden, aber ein Oberthema und/oder ein Motto für das kommende Camp hast, an dem sich die inhaltliche Gestaltung

entlang hangeln soll, dann freuen wir uns über Deine Zusendungen bis zum 4. Januar 2017. Wenn Du Lust hast, beim Plenum vorbeizukommen, in einer AG mitzuarbeiten oder einfach mit auf den Orga-Verteiler möchtest – oder aber einen Oberthema/Motto Vorschlag für das Camp hast –, dann schick eine Mail an pf ingstcamp@ linksjugend sachsen.de

Termine 6. Dezember, 19-22 Uhr: Extremismus in Sachsen – eine kritische Bestandaufnahme. Buchvorstellung und Diskussion Grassimuseum, Johannisplatz 5-11, Leipzig. Infos: www. gleft.de/1wF 15. Dezember, 19-22 Uhr: Hegemoniale Männlichkeit & völkischer Nationalismus. Institut für Zukunft, An den Tierkliniken 38, Kohlrabizirkus, Leipzig. Infos: www.gleft. de/1wG 16. Dezember, Abend: Jahresabschlussparty der Linksjugend Sachsen. Wir-AG, Martin-Luther-Str. 21, Dresden. Infos: www.gleft.de/1e


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

12/2016 Sachsens Linke!

Flucht aus der Ungerechtigkeit Rohstoffen missbraucht, die unter menschenverachtenden und umweltzerstörenden Bedingungen abgebaut werden, Menschenrechte und ILO-Kernarbeitsnormen werden in den Handels- und Wirtschaftsbeziehungen ebenso ignoriert wie der Aufbau regionaler Kooperationsstrukturen, zugleich wird der Markt der Entwicklungsländer mit subventionierten Waren überschwemmt. Schaut man sich die Entwicklung im Welthandel an, soll sich nach Meinung der wirtschaftlich starken Blöcke und Staaten an dieser „Arbeitsteilung“ nichts ändern. Nehmen wir dafür nur ein Beispiel: die sogenannten Freihandelsabkommen. Treibende Kräfte dabei sind die alten Wirtschaftsmächte EU und USA. Diese schließen zunehmend bilaterale Handels- und Investitionsabkommen mit verschiedenen Partnern ab, die weit über den WTO-Rahmen hinausgehen und eine „Liberalisierung“ des Handels vorsehen. Sie zielen auf den Marktzugang bei Waren und Dienstleistungen, auf die öffentlichen Beschaffungsmärkte und die Regulierungen von Qualitätsnormen wie auch auf den Schutz von geistigen Eigentumsrechten. Seit Inkrafttreten des Lissabonner EU-Vertrages ist der Abschluss solcher Abkommen alleinige EU-Kompetenz. Die Folgen solcher Abkommen

sind nicht nur für die Menschen in den beteiligten Vertragsseiten, sondern auch für die Entwicklungsländer immens. Allein für das derzeit verhandelte Freihandelsabkommens TTIP lassen mikroökonomische Analysen (u.a. ifo Institut) zunächst

rer, also weniger konkurrenzfähig machen. Damit werden sie auf dem EU- oder US-Markt dramatisch an Marktanteilen verlieren. Gerade die Länder in Nord- und Westafrika, die traditionell intensiv mit Europa handeln, wären betroffen.

ihre Profiterwartungen, beispielsweise durch Bestimmungen zum Umwelt- und Arbeitsschutz, nicht gesichert sehen. Was dies für die Staatskassen in der „Dritten Welt“ bedeutet, ist absehbar. Zudem ist ein Protokoll über gemeinsames Vor-

negative Realeinkommensverluste für 42 bis 80 Prozent der „Drittländer“ erwarten. Die angestrebte Senkung von Zöllen für den Handel zwischen USA und EU würde die Produkte aus dem Globalen Süden teu-

Dies sind genau jene Staaten, aus denen bereits heute ein Großteil der Migrantinnen und Migranten kommen, die sich ein Leben in Europa aufbauen wollen. Alternativen, um die drohenden Verluste auf dem europäischen Markt zu kompensieren, gibt es kaum. Betroffen wären aber auch wieder einmal die Ärmsten der Armen: Laut einem Gutachten der Österreichischen Forschungsstiftung für internationale Entwicklung (Wien) werden die Exporte der am wenigsten entwickelten Länder (LDC) in die EU durch TTIP wahrscheinlich zurückgehen, ihr reales Bruttoinlandsprodukt würde um bis zu 3 % verringert. Dabei hat sich die EU doch offiziell verpflichtet, die Armut in diesen Ländern abzuschaffen! Solche „nackten Zahlen“ sind jedoch nur eine negative Konsequenz für die Entwicklungsländer. Denn TTIP soll als Vorlage für den weiteren Umbau der globalen Handelsbeziehungen dienen. So soll mit TTIP und den analogen Abkommen ein Klageverfahren für Unternehmen gegen Staaten eingeführt werden, wenn die Konzerne

gehen bei der Sicherstellung des Zugangs zu Rohstoffreserven in aller Welt geplant. Manche sprechen deshalb auch von einer „Wirtschafts-NATO“. Angesichts der Versuche, ungerechte Weltwirtschafts- und Handelsbeziehungen zu erhalten und sogar noch stärker zu Gunsten der „Großen“ umzubauen, sind insbesondere wir als Linke gefordert, alternative Konzepte anzuschieben. Wir brauchen internationale Bedingungen, die den Rahmen für zeitgemäße Freihandelsverträge geben müssen. Wir brauchen ein neues Koordinatensystem, das das Bestehende einer kritischen Analyse unterzieht, es weiterentwickelt und neue Inhalte hinzufügt. Nur so lassen sich die globalen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen so verändern, dass sie den Menschen nutzen – und nicht Konzernen und Banken. Helmut Scholz MdEP, Delegation DIE LINKE im Europaparlament. Mitglied im Ausschuss für Internationalen Handel (INTA).

Bild: www.flickr.com/guengl

Die Architektur der Weltwirtschaft und des Welthandels ist einer der Hauptgründe für die gegenwärtigen Migrationsbewegungen Zu wichtigen, ja zentralen Ursachen der sogenannten Flüchtlingskrise gehören zweifelsohne die katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in jenen Staaten, aus denen sich Frauen, Männer und Kinder nach wie vor auf den oft lebensgefährlichen Weg nach Europa machen. Fragt man Geflüchtete nach den Gründen, weshalb sie ihre Heimat verlassen, stehen neben Krieg und Vertreibung die Not und die Unmöglichkeit, das eigene Überleben und das der Angehörigen zu sichern, mit an vorderster Stelle. Armut und daraus resultierende Verteilungskämpfe sind wiederum selbst Quellen gewaltsamer Konflikte – ein verheerender Kreislauf. Es gehört zu den Perversionen, dass sich die westlichen Staaten – nicht zuletzt die Mitgliedsstaaten der EU – durch den Ausbau der „Festung Europa“ aus ihrer Verantwortung für die Situation in einem Großteil der Entwicklungsländer stehlen. Denn es sind gerade die Länder des Nordens und des Westens sowie die dort angesiedelten Konzerne, die von der existierenden Weltwirtschafts- und Welthandelsarchitektur profitieren: Die „Dritte Welt“ wird als Lieferant von

Neue Studie: „An den Grenzen– Europäische Migrationspolitik auf dem Prüfstand“ Liebe Genoss*innen! Endlich ist es soweit: Unsere neue Studie zur Migrationspolitik ist fertig. Unterschiedliche Autor*innen und Expert*innen aus EU, Bund und Ländern kommen darin zu Wort und behandeln aktuelle Fragen und Herausforderungen im Bereich Asyl und Migration. Mit dabei sind u.a. die sächsische Staatsministerin Petra Köpping, Dimitrios Papadimoulis, Thomas Schmidinger, Sabine Berninger, Juliane Nagel, Margot Gaitzsch, Annette Groth, Josu Juaristi Abaunz u.v.m. An dieser Stelle möchten wir uns nochmal herzlich bei allen Mitstreiter*innen für die Unterstützung und Mitwirkung bedanken. Bei Interesse senden wir euch gern Exemplare zu. Wendet euch einfach an unser Dresdner Büro unter: europa@cornelia-ernst.de / Anja Eichhorn.

Text aus der Studie „An den Grenzen - Europäische Migrationspolitik auf dem Prüfstand“


Sachsens Linke! 12/2016

DIE LINKE im Bundestag

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Totalschaden für Versicherte vereinbart. Die Vergangenheit lehrt, dass ÖPP letztlich oft deutlich teurer werden als eine Direktfinanzierung durch die öffentliche Hand – ganz zu schweigen davon, dass die demokratische Kontrolle und die kommunale Selbstverwaltung bei öffentlichen Projekten eher gewährleistet bleiben. Die Rendite, die an private Investoren gezahlt werden muss, ist weit höher als der Zins, zu dem der Staat sich selbst verschulden kann. Wenn ÖPP-Projekte im Schnitt fast doppelt so teuer sind wie „herkömmlich“ finanzierte Infrastrukturprojekte, kann der Bund nur noch halb so viele Projekte finanzieren. Die Folge: Verfall der Infrastruktur. Damit zudem eine ansehnliche Rendite zustande kommt, wird es Spardruck geben. Dann wird Personal schlechter bezahlt und Baumaterial von geringerer Qualität genutzt. Durch ÖPP 2.0 würden „Schattenhaushalte“ entstehen, die dazu geeignet sind, dass der Bund nach außen hin die „schwarze Null“ hält. ÖPP 2.0 ist versteckte staatliche Kreditaufnahme. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft setzt sich seit langem dafür ein, Autobahnen zu einem profitträchtigen Anlageobjekt für Banken und Versicherungen zu machen. Versicherungen könnten in Niedrigzinszeiten angeblich bald schon nicht mehr die den Kunden zugesicherten

Garantien erfüllen. Daher hat die mächtige Versicherungslobby in Sachen Infrastrukturinvestitionen schon frühzeitig die Weichen gestellt: Die schwarz-rote Bundesregierung hat bereitwillig am 25.02.2015 die „Anlageverordnung für Versicherungsunternehmen“ und

somit eine niedrigere Risikogewichtung (geringerer Eigenkapitalaufwand), so dass sich Versicherer mehr davon ins Portfolio legen können. Das Perfide dabei ist: Bei diesen ÖPP 2.0 werden die Risiken bzw. Verluste sozialisiert und die Gewinne privatisiert. Laufen

die „Pensionsfonds-Kapitalanlagenverordnung“ geändert. Dadurch erweitern Versicherungsunternehmen ihre Möglichkeiten, sich im Bereich Infrastruktur und Energiewende zu engagieren. Im Rahmen der Reform des Versicherungsaufsichtsrechts in Europa, Solvency II, konnte die Versicherungslobby erreichen, dass Versicherungen zur Wahrung ihrer Eigenmittelausstattung für Investitionen in Infrastrukturprojekte nur noch 30 statt der ursprünglich geplanten 49 % Eigenkapital hinterlegen müssen. Derartige Investitionen erhalten

die Investitionen in Autobahnen für die Versicherungen gut, erzielen sie eine höhere Rendite als z.B. mit AAA-Staatsanleihen. Diese Renditen werden primär mit Geldern der Versicherungskunden erwirtschaftet. Wie viel dann für sie abfällt, ist mehr als fraglich, weil ein hoher Anteil von Kundengeldern in intransparente Überschusstöpfe wandert und es ein reines Glücksspiel für Kunden ist, wie viel sie davon irgendwann mal ausgezahlt bekommen. Sollte hingegen ein Infrastrukturprojekt scheitern oder weniger Profit abwerfen als erwartet,

Bild: Dominik Kowanda/ flickr.com / CC BY-ND 2.0

Die Debatte um Privat-Autobahnen nimmt Fahrt auf. Finanzminister Schäuble will private Investoren wie Banken und Versicherungen stärker an Bau und Unterhalt von Fernstraßen beteiligen. Grüne und Gewerkschaften stehen auf der Bremse. Wirtschaftsminister Gabriel hat in der Ressortabstimmung sein Veto eingelegt. Wir als LINKE müssen dafür sorgen, dass dies auch so bleibt. Denn hinter den Kulissen befindet sich die Versicherungslobby bereits auf der Überholspur. Stärkere Investitionen in Infrastruktur sind angesichts des bundesweiten Investitionsstaus notwendig. Öffentliche Infrastruktur an private, renditeorientierte Geldgeber auszulagern, ist aber eine Geisterfahrt. Freilich eine, die von langer Hand vorbereitet wurde: Im April 2015 sprach sich die von Gabriel eingesetzte Fratzscher-Kommission u.a. für die Einrichtung einer Infrastrukturgesellschaft für Bundesfernstraßen aus. Danach wurde es etwas stiller. Doch nun folgt ein erneuter Vorstoß, um den Weg zu mehr öffentlich-privaten Partnerschaften, zum ÖPP 2.0 freizumachen. Schäuble erwägt, bis zu 49,9 % der Anteile an einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft an private Investoren zu geben. Bei Gesprächen zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen, Mitte Oktober 2016, wurde u.a. eine solche Gesellschaftsgründung

sind zunächst die Steuerzahlenden die Gelackmeierten, wenn der Staat einspringen muss, der 50,1 % der Anteile an der Gesellschaft halten soll. Werden die Versicherungen schließlich sogar Geld verlieren, haben die Versicherten erst recht den Schaden. Verluste bei Infrastrukturinvestments bedeuten rasante Einschnitte in die Zinsgewinne und Überschüsse, die an die Kunden ausgekehrt werden. Nicht die Versicherungen verlieren also Geld, denn sie haben das Geld ihrer Kunden verzockt. Völlig skandalös ist, dass ein Versicherungskunde, dessen Geld z.B. in einem gescheiterten Infrastrukturprojekt steckt, sich als Steuerzahlender im Härtefall „selbst retten“ muss und schlussendlich doppelt zur Kasse gebeten wird. Oder gar dreifach, wenn er als Autofahrer eine Maut-Gebühr entrichten muss. Für Versicherungsunternehmen ist dies alles in allem eine komfortable Win-Win-Situation. Was Schäuble hier propagiert, ist in Wirklichkeit ein Subventionsprogramm für Banken und Versicherungen. Investitionen in Infrastruktur und die Altersvorsorge von Jung und Alt dürfen nicht Spielbälle der Finanz- und Versicherungsindustrie werden. Diese Geisterfahrt muss schleunigst beendet werden. Susanna Karawanskij, Ralph Kummer

Europa geht auch solidarisch! Die EU steckt in einer existenziellen Krise. Die Wirtschaftskreisläufe sind seit Jahren gestört. Ganz Südeuropa leidet an Verarmung und hoher Arbeitslosigkeit. Die Europäische Zentralbank reiht eine Notfallmaßnahme an die nächste. In der Flüchtlingspolitik wurden die tiefen Gräben zwischen den EU-Staaten nur durch eine inhumane Abschottungsstrategie überbrückt. Und zuletzt hat der geplante Ausstieg der Briten die EU erneut schwer erschüttert. Vielerorts in Europa erstarken Kräfte, die eine nationalistische Politik unbehelligt von europäischen Institutionen durchsetzen wollen. Auch in der LINKEN finden sich Stimmen, die den Euro auflösen oder aus der EU austreten wollen. Doch so verständlich der Unmut ist, tragen solche Ausstiegsszenarien wenig dazu bei, einer fortschrittlichen linken Politik Konturen zu verleihen und eine positive Botschaft zu vermitteln. Die vielen Probleme aus der Zeit vor dem Euro (Dominanz der DM, über- und unterbewertete Währungen, spekulative Währungsattacken) zeigen,

dass eine Rückkehr zu nationalen Währungen oder zum alten europäischen Währungssystem (EWS) nicht erstrebenswert ist. Denn dazu kämen noch die schweren Schäden, die der Übergang zu einem neuen Währungssystem hervorrufen würde – ein Schock für die immer enger gewordenen wirtschaftlichen Beziehungen. Besonders hart wären Staaten mit hoher Verschuldung und schwacher Wirtschaft betroffen: Sie wären zur harter Sparpolitik gezwungen, gleichgültig, ob sie links oder rechts regiert würden. Die Auflösung des Euros ist ein Szenario, auf das man sich wohl oder übel vorbereiten muss, aber keine Lösung, die vorangetrieben werden sollte. Dies gilt auch für die Auflösung der EU. Denn der Nationalstaat ist nicht in der Lage, die globalen Probleme der Wirtschafts- und Finanzkrisen, des Klimawandels, der Migrationsbewegungen und des Terrorismus zu bewältigen. Die Welt braucht weniger Nationalstaat und mehr internationale Kooperation sowie internationale Organisationen wie die EU. Allerdings: Weder EU noch Eu-

ro haben in ihrer jetzigen Form eine Zukunft. Wenn sie Bestand haben wollen, müssen beide radikal umgebaut werden. Seit die Wechselkurse als Korrekturfaktoren wegfallen sind, braucht gerade die Währungsunion neue Instrumente des Ausgleichs. Erstens muss dazu die staatliche Ausgabenpolitik viel stärker an den Erfordernissen des gesamten Euroraums ausgerichtet werden. Um die schwächelnde Wirtschaft zu stimulieren, muss die Austeritätspolitik durch ein europäisches Investitionsprogramm abgelöst werden. Es wäre die Aufgabe einer demokratisch gewählten europäischen Wirtschaftsregierung, über Eckpunkte für die nationalen Haushalte entsprechende Vorgaben zu machen. Der Wirtschaftsregierung würde auch die Kontrolle der Maßnahmen obliegen. Die zweite Reformsäule müsste bei den außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten ansetzen. Bisher tragen wirtschaftlich schwache Staaten die Bürde der Anpassung praktisch allein, was soziale Härten zur Folge hat. Zukünftig müssten auch Staaten mit hohen Überschüssen im Au-

ßenhandel verpflichtet werden, auf eine ausgeglichene Leistungsbilanz hinzuarbeiten. Im Zweifelsfall drohten hohe Geldstrafen. Für Deutschland hätte diese Regelung ein besonderes Gewicht. Maßnahmen zur Steigerung des Lohnniveaus und öffentliche Investitionen wären angesichts der jahrelangen Fehlentwicklungen quasi unvermeidlich. Drittens müssten Beschäftigung, Lohn- und Einkommenspolitik sowie soziale Sicherung in der Union einen größeren Stellenwert erhalten. Es wäre ein Leichtes, mit Hilfe von klar definierten Indikatoren die Entwicklungen zu beobachten (sei es bei Arbeitslosenquoten, bei der Entwicklung von Lohnstückkosten oder in der Höhe der Gesamtausgaben für soziale Sicherung) und korrigierende Maßnahmen zu erzwingen. Um sich nicht durch die Finanzmärkte erpressen zu lassen und die Zinsunterschiede zwischen den Eurostaaten zu reduzieren, sollten sich diese zudem zukünftig über gemeinschaftlich aufgelegte Euro-Anleihen finanzieren. Dazu kämen neue Spiel-

regeln für die Finanzmärkte und eine gemeinsame Steuerpolitik, die gegen Steuerdumping und legale und illegale Formen der Steuervermeidung vorginge. Zudem kommt die EU nicht umhin, legale Zugangswege für Flüchtlinge zu schaffen und Mittel für die Aufnahme von Flüchtlingen und die Beseitigung von Fluchtursachen zu mobilisieren. Jede einzelne dieser Maßnahmen wäre schon ein kleiner Erfolg. In ihrer Gesamtheit zeigen sie einen Weg auf, die EU und den Euro in Richtung eines solidarischen Europas zu transformieren. Dr. Axel Troost Klaus Busch/Axel Troost/Gesine Schwan/Frank Bsirske/ Joachim Bischoff/Mechthild Schrooten/Harald Wolf: „Europa geht auch solidarisch. Streitschrift für eine andere EU“ VSAVerlag, Hamburg. www.gleft. de/1wK


Kommunal-Info 10-2016 01. Dezember 2016 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V.

Öffentlichkeit Ein Fachbuch zum kommunalen Öffentlichkeitsgrundsatz Seite 2

Sitzungsunterlagen Unterliegen Sitzungsunterlagen für öffentliche Sitzungen der Geheimhaltung Seite 3

Seminare 2017 Eine Vorschau auf Seminare für 2017

Der Kommunalwald Deutschland zählt zu den waldreichsten Ländern Europas. Sachsen hingegen gehört mit einem Waldanteil von 28,4 % zu den eher waldarmen Ländern in der Bundesrepublik Deutschland. Den Besitz am Wald teilen sich in Sachsen private Personen, Körperschaften, der Staat und treuhänderische staatliche Einrichtungen. Von den insgesamt über 523 Tausend Hektar Gesamtwaldfläche befindet sich die knappe Hälfte mit 45,7% in privatem Eigentum von rund 85 Tausend Waldbesitzern, gefolgt vom sächsischen Landeswald mit 38,6%, dem Kommunalwald mit 7,6%, dem Bundeswald mit 6,0% und dem Kirchenwald mit 2,1%. In der gesamten Bundesrepublik Deutschland beträgt der Anteil des Kommunalwalds etwa 20% an der Gesamtwaldfläche. Über die größten Stadtwälder in Sachsen verfügen die Städte Zittau seit dem Jahr 1365 (fast ununterbrochen) mit 4.155 Hektar, Plauen mit 2.300 Hektar, Löbau mit 1.767 Hektar und Leipzig, wo 1.163 Hektar des ca. 2.500 Hektar umfassenden Auwalds zur Stadt Leipzig gehören.

Historische Entwicklung

Die historische Entwicklung des Kommunalwaldes geht dort, wo es sich um Stadtwald handelt, vielfach bis in die Zeit der Stadtgründung zurück. Schon früh begannen die wachsenden Städte zusätzlich umliegende Waldflächen anzukaufen, um auf diese Weise die Brenn- und Bauholzversorgung ihrer Bürger zu sichern. Wesentlich jünger ist meist der Waldbesitz der kleineren Städte und Gemeinden. Er ist häufig das Ergebnis der eigentumsrechtlichen Umwandlung der Mark- oder Allmendwälder, die bis

dahin gemeinschaftlich von allen Ansässigen für die Holzgewinnung, den Weidebetrieb, die Imkerei u. a. genutzt wurden. In den heute kommunalwaldreichen Gebieten Deutschlands wurde der Markwald meist ungeteilt an die politische Gemeinde überführt, während die berechtigten Bürger in den anderen Gebieten den gemeinschaftlichen Waldbesitz unter sich aufteilten. In vielen Gebieten Deutschlands ist erst auf diese Art der heute bestehende Kleinprivatwaldbesitz entstanden. Da die Aufteilung der Markwälder oft nach einem sehr starren Schema (sozusagen mit dem Lineal auf der Landkarte) vorgenommen wurde, erklären sich die in den meisten Privatwaldgebieten noch immer vorherrschenden kleinen Parzellenformen, welche für eine Bewirtschaftung sehr ungünstig sind.1

Bedeutung für die Bürger

Dem Kommunalwald kommt eine einzigartige Bedeutung zu, denn er gehört den Bürgerinnen und Bürgern einer Stadt oder Gemeinde. Sein Wert für sie ist ganz vielfältig. Die Waldbewirtschaftung sichert lokale Arbeitsplätze und versorgt die regionale Holzindustrie mit Rohstoffen. Die Einnahmen aus seiner Nutzung fließen direkt in den kommunalen Haushalt. Für die Bevölkerung ist ihr Stadtwald die „Wellness-Oase“ um die Ecke, dort können sie sportlich aktiv sein oder einfach nur entspannen. Immer mehr Menschen nutzen den kommunalen Wald auch, um Brennholz zu gewinnen und damit den hauseigenen Energiebedarf oder zumindest einen Teil davon zu decken. Doch er bietet nicht nur von materiellen Wert, viele Menschen sind auch emotional eng mit dem Wald vor ihrer

Haustür verbunden. Sein stets unverwechselbares „Gesicht“ prägt ihr Heimatgefühl und nicht zuletzt hängen oft wertvolle Kindheitserinnerungen mit dem „eigenen“ Wald zusammen.2

Interessenvertretung

Der Gemeinsame Forstausschuss der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände „Deutscher Kommunalwald“ vertritt den Kommunalwald in der Bundesrepublik Deutschland. Er ist damit auf Bundesebene die repräsentative Interessenvertretung Wald besitzender Städte und Gemeinden und setzt sich aus Vertretern des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, des Deutschen Städtetages und des Deutschen Landkreistages zusammen. Ziele des Ausschusses sind die Förderung der forstwirtschaftlichen, vermögensrechtlichen und wirtschaftlichen Belange der rund 12 Tausend Wald besitzenden Kommunen. Der Gemeinsame Forstausschuss „Deutscher Kommunalwald“ ist außerdem ständiger Gesprächspartner der Ministerien auf Bundesebene, soweit es um forstliche und naturschutzrechtliche Fragen, z. B. im Gesetzgebungsverfahren, geht und ist weiterhin Ansprechpartner für Presse und Rundfunk in forstlichen Fragen der Kommunen. Zudem ist er zuständig für die Bestellung von Sachverständigen für Anhörungen in den Gremien des Deutschen Bundestages und für die Entsendung von Vertretern in forstliche und forstpolitische Zusammenschlüsse sowie entsprechende Organisationen auf Bundesebene.

Zukunft sichern

Damit der Spagat zwischen den verschiedenen Ansprüchen an den Kommunalwald gelingen kann, fordern der

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Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V. und der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) sichere Rahmenbedingungen für Kommunen und Waldgebiete und warnen davor, in Zukunft am Schutz des Waldes zu sparen. Der NABU ist sich der großen Herausforderungen, vor denen die Kommunalwälder stehen, bewusst. Ebenso klar ist jedoch, dass der Lebensraum vieler Tiere und Pflanzen gesichert werden muss. Der NABU hat sich deshalb im Rahmen mehrerer Fachgespräche gemeinsam mit kommunalen Waldbesitzern und Bürgermeistern, mit Akteuren aus der Politik, forstlichen Verbänden auf Landes- und Bundesebene, kommunalen Waldbewirtschaftern und Naturschutzexperten intensiv mit den aktuellen Entwicklungen auseinandergesetzt und gemeinsam mit den Akteuren nach Lösungswegen gesucht. Als Ergebnis hat der NABU gemeinsam mit dem Forstausschuss der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände „Deutscher Kommunalwald“ 8 Thesen zur Zukunft des Kommunalwaldes formuliert. Zunächst muss es darum gehen, aktiv Projekte anzustoßen und umzusetzen. In der vorliegenden Broschüre möchten wir Ihnen, als Politiker, Förster oder Bürger, ausgewählte Projekte vorstellen, die wir als besonders innovativ und zukunftsfähig ansehen. Sie sollen Ihnen Anregungen geben, wie auch Sie die Zukunft Ihres Waldes positiv gestalten können. Der Gewinn liegt nicht nur auf der ökologischen Seite, auch wirtschaftlich und sozial stellen die Projekte einen Mehrwert dar. Sie zeigen die große Bandbreite der Möglichkeiten von der Entwicklung von Bürgerbeteiligungskonzepten über ein neues Waldbesitzermodell bis hin zur gewinnbringenden Umweltbildung in einem Schulwaldprojekt. Sie alle eint das Ziel, mit neuen Ideen ihren KommuFortsetzung auf Seite 4


Kommunal-Info 10/2016

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Der kommunale Öffentlichkeitsgrundsatz Eine Buchbesprechung Klaus Thomas Krebs: Der kommunale Öffentlichkeitsgrundsatz, R. Boorberg Verlag 2016. Bei der vorliegenden Monographie handelt es sich um eine von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwig-Universität Freiburg im Sommersemester 2015 angenommene Dissertation, die in den „Schriften zum deutschen und europäischen Kommunalrecht“ Band 48 mit Unterstützung des Deutschen Landkreistages erschienen ist.

Plädoyer für Transparenz

Der Autor geht davon aus, dass das Öffentlichkeitsprinzip das wichtigste Rechtsinstitut zur Herstellung von Transparenz in der kommunalen Gremienarbeit ist. In Literatur und Rechtsprechung wird das Öffentlichkeitsprinzip wiederholend als Grundlage kommunaler Selbstverwaltung, als tragender Grundsatz des Kommunalrechts und als einer der wesentlichen Grundsätze der Gemeindeverwaltung angesehen. (S. 13) Allerdings werde das Öffentlichkeitsprinzip, wie der Autor bemerkt, in der kommunalen Praxis häufig nur unvollkommen umgesetzt. Die Sitzungsöffentlichkeit scheine praktisch oftmals zu einer „Pro-Forma-Öffentlichkeit“ zu denaturieren. (S. 14) Dass sich Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse im Wesentlichen auf der politischen Hinterbühne abspielen, sei aber keine kommunale Besonderheit. Kommunale Selbstverwaltung ziele aber auf die Aktivierung der Bürgerschaft ab. Dieses Grundanliegen werde jedoch konterkariert, wenn wesentliche Angelegenheiten dem kontrollierenden und auf Information angewiesenen Blick der kommunalen Öffentlichkeit entzogen werden. (S. 15) Das Buch von Herrn Klaus Thomas Krebs liest sich wie ein Plädoyer für Transparenz in der kommunalen Selbstverwaltung. Um das auf über 270 Seiten zu begründen, holt er weit aus, wie es heutzutage für Dissertationen üblich ist. Aber das tut dem Anliegen des Buches keinen Abbruch, denn für interessierte Leser wird ein weites Umfeld zum eigentlichen Thema mit ausgebreitet. Nachdem der Autor zunächst Anlass, Ziel und Gang seiner Untersuchung begründet, folgen darauf zunächst Begriffserklärungen und Darlegungen zu verfassungstheoretischen Funktionen zum Öffentlichkeitsprinzip und Betrachtungen zum Öffentlichkeitsprinzip im parlamentarischen, gerichtlichen und nicht-kommunalen Selbstverwaltungsbereich. Der Hauptteil der Arbeit widmet sich dann dem Öffentlichkeitsprinzip im Kommunalrecht. Der Autor stützt sich dabei auf eine breite Auswertung der vorliegenden Fachliteratur und der Rechtsprechung zum Thema. Der Schwerpunkt der Darstellung bezieht sich auf das Gemeinderecht und die Rechtsprechung in Baden-Württemberg. Soweit möglich und angezeigt, werden aber

auch die Kommunalgesetze anderer Bundesländer in die Untersuchung mit einbezogen. Das Inhaltsverzeichnis zum Buch kann unter www.boorberg. de eingesehen werden.

Das kommunale Öffentlichkeitsprinzip

In seiner Untersuchung stellt der Autor dem parlamentarischen und dem gerichtlichen Öffentlichkeitsprinzip das kommunale Öffentlichkeitsprinzip „als eigenständige, dritte Ausprägung“ gegenüber. Obgleich das kommunale Öffentlichkeitsprinzip gegenüber den beiden anderen diverse Parallelen aufweise, unterscheide es sich dadurch, „da die kommunale Vertretungskörperschaft … grundsätzlich dem Exekutivbereich zuzuordnen ist.“ (S. 31) [Gemeint ist hier wohl, dass nach Kommunalrecht die kommunale Vertretungskörperschaft ein Teil der Kommunalverwaltung ist]. Nach Ansicht des Autors unterliege nach herrschender Meinung dieser Bereich trotz zunehmender Öffentlichkeitstendenzen noch immer keinem allgemeinem Öffentlichkeitsprinzip. Der Gehalt des kommunalen Öffentlichkeitsprinzips wird bisher mit 5 Elementen umschrieben: der ortsüblichen Bekanntgabe der Sitzungen, dem öffentlichen Zugang zu diesen Sitzungen, der Öffentlichkeit der Sitzung selbst, der Einsicht in die Niederschriften der Sitzungen und der öffentlichen Bekanntmachung der in nicht öffentlicher Sitzung gefassten Beschlüsse. (S. 32) Für die Sitzungsöffentlichkeit geht der Autor auf zwei Funktionen zurück, die der Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg besonders hervorhebt: „Die allgemeine Kontrollfunktion soll einerseits der Einwirkung persönlicher Beziehungen und Interessen auf die Beschlussfassung vorbeugen und andererseits bereits den Anschein vermeiden, dass ,hinter verschlossenen Türen’ unsachliche Motive für die Entscheidungen maßgebend gewesen sein könnten. Die Einsichtsmöglichkeit der Bürger in die Tätigkeit des Rates soll sicherstellen, dass sich die Gemeindeeinwohner einen unmittelbaren Eindruck von der Ratsarbeit ihrer kommunalen Repräsentanten machen und so ihren Willen für künftige Wahlen reflektieren können.“ (S. 43)

Vom Demokratieprinzip abgeleitet

Für die verfassungsrechtliche Ableitung verweist der Autor auf die wiederholt in Literatur und Rechtsprechung getroffene Aussage, dass der kommunale Öffentlichkeitsgrundsatz vornehmlich ein „Ausfluss des Demokratieprinzips“ sei. Mitunter werde gar eine im Vergleich zu Bund und Ländern erhöhte normative Wirkung des Demokratieprinzips für Kommunen mit der Begründung angenommen, da die Öffentlichkeit hier besonders wichtig und

wirksam ist, weil Bürger die örtlichen Probleme eher aus eigener Anschauung kennen als im Land oder Bund und deshalb im Allgemeinen auch größeres politisches Interesse und größere Anteilnahme vorausgesetzt werden können. Deshalb verlange das Demokratieprinzip, „dass die wesentlichen Entscheidungen in der Zuständigkeit des gesamten Rates unter Beteiligung der Öffentlichkeit getroffen werden, da anders eine demokratische Kontrolle und Teilhabe der Bürger nicht gewährleistet werden kann.“ (S. 45f) In seinem Fazit fasst der Autor zusammen: „Der über die Sitzungsöffentlichkeit hergestellte Informationsfluss ist Voraussetzung für die Beteiligung der Bürger am öffentlichen Geschehen. Die Ermöglichung von Bürgerbeteiligung begründet zusammen mit der Pflicht zur demokratischen Rückkopplung zumindest bei wesentlichen kommunalen Entscheidungen einen Zwang zur öffentlichen Darstellung. Öffentliche Sitzungen könnten ihren Zweck nicht erfüllen, wenn die darin zur Abstimmung stehenden Tagesordnungspunkte aufgrund nicht öffentlicher Vorbesprechungen stets diskussionslos beschlossen würden. Die Vertretungskörperschaft verkümmerte sonst zu einem ,Ratifikationsorgan’, wodurch die Funktionen der Öffentlichkeit unterminiert würden. Die Öffentlichkeit kann ihre gesetzlich zugewiesene Beobachterrolle und Kontrollfunktion kaum wahrnehmen, wenn ihr allein die Entscheidungen mitgeteilt werden, ohne auch den Entscheidungskontext und die Entscheidungsmotive der Mandatsträger zumindest in groben Zügen darzustellen. Die Entscheidungen blieben sonst zumeist unverständlich.“ (S. 47f)

Öffentlichkeitsprinzip im Kommunalrecht

Die Vorschriften über die Sitzungsöffentlichkeit liegen nicht nur im Gemeinwohlinteresse, sondern auch im Interesse der kommunalen Vertretungskörperschaft mit ihren Räten und Fraktionen. Insbesondere seien die Minderheiten auf Öffentlichkeit angewiesen, um wirksam Kritik üben zu können. Öffentlichkeit dient ihnen im Willensbildungsprozess des Rates als Medium, das bei unterschiedlicher Interessenverfolgung machtausgleichendes Potenzial besitze. Werden et-

wa brisante Themen aus verwaltungspolitischem Kalkül nicht öffentlich beraten und beschlossen, werde jede öffentlichkeitswirksame Kritik und Überzeugungsbildung für den eigenen politischen Standpunkt durch die mit der nichtöffentlichen Sitzung einhergehende Verschwiegenheitspflicht unmöglich gemacht. Dadurch werde auch das freie Mandat beeinträchtigt. (S. 202) Nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Niedersachsen umfasse das Recht auf freie Mandatsausübung auch die Befugnis des Ratsmitglieds, außerhalb von Ratssitzungen als Mittler zwischen den Bürgern und den kommunalen Selbstverwaltungsorganen aufzutreten. Dazu gehöre nicht nur, außerhalb der Gemeindevertretung bei aktuellen Themen an der öffentlichen Diskussion und politischen Meinungsbildung mitzuwirken, sondern auch in der Öffentlichkeit zu getroffenen Entscheidungen Rede und Antwort zu stehen sowie abgeschlossene Entscheidungsprozesse transparent und nachvollziehbar darzustellen. (S. 202f) Jedoch bestehe für ein Gemeinderatsmitglied kein „Recht zur Flucht in die Öffentlichkeit“, sollten unzulässig Angelegenheiten in eine nichtöffentliche Sitzung verschoben werden. In einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 19.6.1995 wurde einem Ratsmitglied ein Recht zur Durchbrechung der Schweigepflicht nur dann zugestanden, wenn die Flucht in die Öffentlichkeit als Ultima Ratio zur Wahrung der demokratischen Teilhabe erforderlich sei. Bevor sich ein Ratsmitglied über die Verschwiegenheitspflicht hinwegsetzen dürfe, müsse es in diesem Sinne zunächst auf anderweitige Abhilfe drängen, insbesondere dem Rat Gelegenheit zur Wahrung des Öffentlichkeitsgrundsatzes geben und sofern dies nicht weiterhelfe die Aufsichtsbehörde einschalten. (S. 186f) Zur konsequenten Anwendung des Öffentlichkeitsprinzips gehöre nach Ansicht des Autors, die von der Verwaltung für die Gemeinderäte ausgearbeiteten Beschlussvorlagen für öffentliche Sitzungen auch öffentlich zu machen. „Der interessierte Zuhörer sollte soweit wie möglich in die Lage versetzt werFortsetzung auf Seite 3

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.


Kommunal-Info 10/2016

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Sitzungsunterlagen geheim? Nach § 36 Abs. 3 der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO) werden zur Einberufung der Gemeinderatssitzung durch den Bürgermeister bei der Einladung der Gemeinderäte die für die Beratung erforderlichen Unterlagen beigefügt, soweit nicht das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner entgegenstehen. Im Rechtsstreit zwischen der Stadt F. und der Gemeinderätin N. hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht Bautzen (OVG Bautzen) mit seinem Beschluss vom 08.07.2016 (Az. 4 B 366/15) eine einstweilige Anordnung erlassen, in der die Stadträtin N. verpflichtet wird, es zu unterlassen, Unterlagen des Stadtrats vor Eintritt in die jeweilige öffentliche Sitzung des Stadtrats auf der Homepage des Kreisverbandes der Partei oder auf sonstige Weise zu veröffentlichen. Es geht hier also darum, Sitzungsunterlagen, die eindeutig für ein öffentliche Stadtratssitzung bestimmt sind, für eine Veröffentlichung vor der Sitzung nicht zuzulassen. Das OVG Bautzen schließt sich der Auffassung der Stadt F. an und begründet das damit, „dass es sich bei den Sitzungsunterlagen (für öffentliche Sitzungen!-AG) um rein interne Papiere der Verwaltung handelt und die Befugnis eines Stadtrats zur Überzeugungsbildung nicht so weit reicht, dass die Antragsgegnerin (Stadträtin F.) sämtliche verwaltungsinternen Schriftstücke und damit die Sitzungsunterlagen komplett veröffentlichen kann. Der

Zweck der Sitzungsunterlagen besteht allein in der Verwendung innerhalb des Stadtrats ... Die Unterlagen dienen der Unterrichtung innerhalb des Stadtrats und der Vorbereitung von Abstimmungen im Stadtrat.“ Mit dem Verweis auf § 19 Abs. 2 SächsGemO stellt das OVG Bautzen darauf ab, dass Beratungsunterlagen auch für öffentliche Sitzungen der Geheimhaltung unterliegen. Danach ist der ehrenamtlich Tätige (Stadt- und Gemeinderäte gehören dazu) „zur Verschwiegenheit u. a. über die Angelegenheiten verpflichtet, deren Geheimhaltung ihrer Natur nach erforderlich ist. Darunter fallen zunächst alle Angelegenheiten, deren Mitteilung an andere dem Gemeinwohl oder den schutzwürdigen Interessen einzelner Personen

zuwider laufen würde. Darüber hinaus besteht eine Amtsverschwiegenheit aus der Natur der Sache bei internen Angelegenheiten der Gemeindeverwaltung.“ Bei Befürwortern der Geheimhaltung wurde in der öffentlichen Debatte außerdem die Meinung vertreten, dass durch Öffentlichmachung der Sitzungsunterlagen die öffentliche Meinung bereits in hohem Maße festgelegt und angeblich eine freie, ungezwungene Beratung und Beschlussfassung in den Gremien zu sehr vorgeprägt und damit erschwert wäre. Würde die Entscheidung des OVG Bautzen in die Praxis des sächsischen Kommunalrechts umgesetzt werden, hieße das streng genommen, dass Kreis-, Stadt- und Gemeinderäte nach Erhalt der Unterlagen für die öffent-

liche Sitzung in der verbleibenden Zeit bis zur Sitzung mit diesen Unterlagen nicht öffentlich hantieren oder diese an Dritte weitergeben dürften. Da nach Auffassung des OVG die Unterlagen der Geheimhaltung unterlägen, dürften nach dieser Logik auch der Bürgermeister und die Verwaltung aus den Unterlagen nichts durch Presseerklärungen, Interviews etc. der Öffentlichkeit preisgeben. Außer der gesetzlich vorgeschriebenen ortsüblichen Bekanntgabe von Zeit, Ort und Tagesordnung der öffentlichen Sitzung dürfte darüber hinaus nichts über die kommende Sitzung an die Öffentlichkeit dringen. Vor dem Hintergrund des Kommunalrechts und der gängigen kommunalen Praxis erweisen sich weder die juristisch begründete Argumentation des OVG noch die politische Argumentation der Befürworter der Geheimhaltung als überzeugend und stichhaltig. Um es aus § 36 Abs. 3 SächsGemO zu wiederholen: mit der Einladung für die Gemeinderatssitzung dürfen ausschließlich Unterlagen beigefügt werden, die nicht dem öffentliche Wohl oder berechtigten Interessen Einzelner entgegenstehen. Unterlägen alle Sitzungsunterlagen der Geheimhaltung, dürften sie nach der Vorschrift des § 36 Abs. 3 gar nicht erst zugestellt werden. Es stände dann die Frage im Raum, ob dann dazu überhaupt eine öffentliche stattfinden könnte. An dieser Stelle wird wohl das Groteske an der Logik des OVG sichtbar. Wie es scheint, werden vom OVG die Maßstäbe, die für

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Personalangelegenheiten gelten gemeinhin als Beratungs- und Beschlussgegenstände, die wegen berechtigter Interessen Einzelner grundsätzlich nicht öffentlich zu behandeln sind, da regelmäßig persönliche Belange, etwa die Fähigkeiten und Leistungen von Stellenbewerben oder Bediensteten, zur Sprache kommen. Aber Personalangelegenheiten sind „dann öffentlich zu verhandeln, wenn Personalsituationen allgemein thematisiert werden sollen, oder es um eine ganze Gruppe von Bediensteten geht, deren individuelle Verhältnisse nicht zum Verhandlungsgegenstand gemacht werden sollen. Ebenso können Vorstellungen und Wahlen von Beigeordneten, Dezernenten und ähnlich herausgehobenen Positionen innerhalb der Kommune grundsätzlich in öffentlicher Sitzung erfolgen; eine vertiefte Aussprache über die Persönlichkeit des Bewerbers mit seinen Stärken und Schwächen müsste hingegen nicht öffentlich geführt werden.“ (S. 163) Prozesstaktische Überlegungen bei Rechtsstreitigkeiten der Kommune verlangen regelmäßig aus Gründen des öffentlichen Wohls eine nichtöffentliche Beratung und Beschlussfassung. (S. 163) Grundstücksangelegenheiten unterliegen nicht generell dem Vorbehalt der Nichtöffentlichkeit. Eine vertrauliche Behandlung in nichtöffentlicher Sitzung ist dann geboten, wenn in der Debatte die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Käufers bzw. Verkäufers zur Sprache kommen.

Dann wäre es sinnvoll, den betreffenden Tagesordnungspunkt in zwei Sitzungsteile, einem nichtöffentlichen und einen öffentlichen, aufzuspalten. Der Beschluss durch den Rat ist dann öffentlich zu fassen, denn für die Öffentlichkeit besteht das Interesse „an der transparenten Behandlung von Liegenschaftssachen, die häufig erhebliche Finanzvolumen erreichen und damit für die Kommune und deren Einwohner von herausragendem Interesse sind.“ (S. 164) Ausübung eines gemeindlichen Vorkaufsrechts: Hier besteht nach Meinung des Autors grundsätzlich kein Gebot, nichtöffentlich zu verhandeln, da die Vertragsbedingungen aufgrund des Vorkaufsfalls nach §§ 27a, 28 Baugesetzbuch bereits feststehen. Sollten in der Debatte aus besonderen Gründen persönliche oder wirtschaftliche Einzelangaben von Käufern wie etwa die Kreditwürdigkeit zur Sprache kommen, kann vorübergehend in eine nicht öffentliche Sitzung übergegangen werden. (S. 167) Bei Vergabeentscheidungen ist in der Regel insofern nichtöffentlich zu verhandeln, „wenn betriebsinterne Fragen, Kalkulationsgrundlagen oder Fragen der Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit erörtert werden“. Jedoch ist der Beschluss über die Vergabe mit der Angebotssumme für den Zuschlag in öffentlicher Sitzung zu fassen. (S. 168) Bebauungspläne sind grundsätzlich öffentlich zu diskutieren und zu beschließen. Bauanträge und Bauvor-

anfragen müssen nach herrschender Auffassung regelmäßig in öffentlicher Sitzung behandelt werden. Teilweise wird Letzteres mit dem Argument in Zweifel gezogen, dass Bauanträge und Bauvoranfragen Rückschlüsse auf die Vermögensverhältnisse von Bauwilligen zuließen. Eine anonymisierte Behandlung des Baugesuchs sollte daher in aller Regel problemlos möglich sein. (S. 169) In der zusammenfassenden Wertung kommt der Autor zu dem Schluss, dass die einzelnen Fallgruppen pauschal weder als öffentliche noch als nichtöffentliche kategorisiert werden können. Deshalb sei schließlich in jedem Einzelfall zu prüfen, ob nichtöffentlich verhandelt werden muss und „ob die Ausschlussgründe neben der vertraulichen Beratung auch eine nichtöffentliche Beschlussfassung erfordern.“ (S. 169f) In einem gesonderten Kapitel befasst sich der Autor mit dem Öffentlichkeitsprinzip in kommunalen Unternehmen. Im letzten Kapitel folgen dann „Vorschläge zur rechtspraktischen Ertüchtigung des Öffentlichkeitsprinzips“ und ganz zum Schluss eine Zusammenfassung mit abschließenden Thesen. AG

...Öffentlichkeitsgrundsatz den, den öffentlichen Ratssitzungen nicht nur beizuwohnen, sondern ihnen auch folgen zu können. Ohne Kenntnis der Beratungsvorlagen fällt das zumeist besonders schwer. Durch eine frühzeitige Zurverfügungstellung der Beratungsunterlagen des öffentlichen Sitzungsteils könnte der Informationsrückstand, den die Zuhörer gegenüber den Räten und der Verwaltung haben, reduziert werden. Technisch lassen sich Beratungsunterlagen heute leicht und kostenneutral über das Internet zur Verfügung stellen. Teilweise wird hiervon auch bereits Gebrauch gemacht. Der verstärkte Einsatz dieses Mittels zur frühzeitigen Information könnte dazu beitragen, die öffentlichen Beratungen und Entscheidungen für den interessierten Bürger leichter verständlich zu machen.“ (S. 261) Als Regelvoraussetzungen für den Ausschluss der Öffentlichkeit gelten als unbestimmte Rechtsbegriffe „das öffentliche Wohl“ und „berechtigte Interessen Einzelner“. Um zu einem rechtsicheren Umgang mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit zu kommen, rät der Autor, die Ausschlussgründe durch Regelbeispiele zu konkretisieren, warnt aber gleichzeitig, „dass Regelbeispiele für den Ausschluss der Öffentlichkeit in der Kommunalpraxis eine allzu schematische Anwendung erfahren könnten.“ (S. 259) In seiner Untersuchung geht der Autor auf einzelne Fallgruppen ein:


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Vorschau auf Seminare 2017 24.-26. Februar 2017

Kommunikation in der Kommunalpolitik I Konstruktive Kommunikation

In diesem Seminar lernen wir, angespannte Situationen zu entschärfen, schwierige Gespräche zu führen und auch mit politischen Gegnern offen und konstruktiv umzugehen. 24.-26. März 2017

Kommunikation in der Kommunalpolitik II Argumente in Texten und Reden

Mittelpunkt des Workshops sind Argumentationen, die wir als roten Faden für Texte oder Reden verwenden können. Wir werden uns dafür mit der Logik von Argumenten und mit dem sinnvollen Aufbau von Texten und Reden beschäftigen. 5.-7. Mai 2017

Kommunikation in der Kommunalpolitik III Freies Reden und sicheres Auftreten

Wir wollen üben, aus dem Stegreif kleine Reden zu halten. Dabei liegen die Übungsschwerpunkte auf Unbefangenheit, Spontaneität und spielerischem Umgang mit ernsthaften Themen. Für alle Seminare gilt: Beginn am Freitag 19:00 Uhr bis Sonntag ca. 14:00 Uhr Referent: Dr. Christian Wirrwitz (Dozent, Trainer, Coach)

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Kommunalwald

nalwald dauerhaft zu erhalten und als wertvollen Lebens-, Wirtschafts-, Erholungs- und Bildungsraum zu schützen. These 1: Der Kommunalwald ist als wertvoller Vermögensbestandteil zu erhalten. Er ist bürgernah und ein Beispiel für Anteilnahme und stetige Beteiligung der lokalen Bevölkerung. Seine nachhaltige, naturnahe Bewirtschaftung kann ein Modell für den verantwortungsbewussten Umgang mit natürlichen Ressourcen, auch im Sinne der Generationengerechtigkeit, sein. These 2: Im Kommunalwald gelten die Grundprinzipien der Selbstverwaltung und der Selbstverantwortung. Der Gemeinderat bestimmt die Ziele für den Kommunalwald. An diesen Zielen richtet sich auch die Bewertung des betrieblichen Erfolgs aus. These 3: Der Kommunalwald ist dem Gemeinwohl verpflichtet. Dieses Gemeinwohl hat eine ökologische, eine soziale und eine ökonomische Dimension. Es bleibt die zentrale Aufgabe

der kommunalen Entscheidungsträger auch in schwierigen Zeiten einen ausgewogenen Ausgleich zwischen diesen drei Dimensionen herzustellen. These 4: Der naturnahe Waldbau ist derzeit die geeignetste Strategie, die unterschiedlichen Anforderungen an den Kommunalwald zu erfüllen. Der Umbau der Wälder hin zu strukturreichen Laubmischwäldern muss deshalb, auch als Risikovorsorge im Klimawandel, weiter vorangetrieben werden. Die Ziele des Waldnaturschutzes lassen sich überwiegend in die naturnahe Waldbewirtschaftung integrieren. Zum Schutz und zur Erhaltung von Lebensräumen und Arten, die an die natürliche Zerfallsphase von Wäldern gebunden sind, bedarf es auch ungenutzter Waldflächen. Es ist die Herausforderung der nächsten Jahre, den notwendigen Umfang und die Verteilung dieser Waldflächen genau zu bestimmen. These 5: Die wachsenden gesellschaftlichen Anforderungen an die Gemeinwohlleistungen des Kommunalwaldes erfordern die konsequente

Anwendung des Konnexitätsprinzips. Im Bereich des Natur- und Artenschutzes gilt dies insbesondere für die Umsetzung von Natura 2000. Gerade kleine, ländliche Gemeinden sind hierbei auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Deshalb muss der Kommunalwald zukünftig bei der EU-Mitfinanzierung des Managements von Natura 2000 als Förderpartner im EU-Budget 2014-2020 berücksichtigt werden. Zusätzliche Leistungen, welche die Kommunen über die gesetzlichen Verpflichtungen hinausgehend erbringen, sollen auch verstärkt über Instrumente wie Vertragsnaturschutz und Ökokonto honoriert werden. These 6: Gravierende und fortwährende Wildschäden gefährden unvermindert die nachhaltige, naturnahe Bewirtschaftung des Waldes und führen bei kommunalen Waldbesitzern zu erheblichen finanziellen Mehraufwendungen und Mindererträgen. Darüber hinaus stehen sie auch im Widerspruch zu jagdgesetzlichen Vorgaben. Defizite im Vollzug bestehender gesetzlicher Vorgaben sind abzubauen, aber auch Weiterentwicklungen im Jagdrecht sind erforderlich. These 7: Kommunalwälder leisten einen wichtigen Beitrag zur Holzversorgung und zur Energiewende. Der Ausbau erneuerbarer Energien in und aus

dem Wald muss jedoch umsichtig erfolgen, um negative Nebeneffekte zu vermeiden. These 8: Im Zuge der naturnahen Waldbewirtschaftung werden die Laubholzanteile im Kommunalwald erheblich steigen. Die Absatzmöglichkeit für diese Hölzer ist aber im Vergleich zum Nadelholz derzeit noch deutlich eingeschränkt. Zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit heimischer Forstbetriebe müssen daher die Verwendungsmöglichkeiten von Laubholz weiterentwickelt werden. 1 Karl Reinhard Volz: Wem gehört eigentlich der Wald? Waldeigentum im Spannungsfeld von privatem und allgemeinem Interesse, in: Der deutsche Wald, Schriftenreihe „Der Bürger im Staat“, Heft 1/2001, Hrsg. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, S. 52. 2 Vgl. Zukunft gestalten im Kommunalwald. Hrsg. Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., (www.NABU.de) in Verbindung mit dem Deutschen Städteund Gemeindebund 2013.

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Sitzungsunterlagen ... nichtöffentliche Sitzungen gelten, unter der Hand auf die Praxis der öffentlichen Sitzungen übertragen. Aber auch das politische Argument, dass eine freie, ungezwungene Beratung und Beschlussfassung in den Gremien zu sehr vorgeprägt würde und damit erschwert würde, kann nicht zählen. Hier wird eine Begründung herangezogen, die üblicherweise für die nichtöffentlichen Vorberatungen in den Ausschüssen reklamiert wird, wo ja wirklich eine unbeeinträchtigte, die verschiedenen Tatsachen abwägende Meinungsbildung stattfinden soll. Das Bedürfnis nach einer „freien, ungezwungenen Beratung und Beschlussfassung“ ist weder eine ausreichende Begründung noch eine kommunalrechtliche Kategorie, um Unterlagen, die für öffentliche Sitzungen bestimmt sind, für eine Veröffentlichung vor der Sitzung nicht zuzulassen. Nur wenn begründet werden kann, dass das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner entgegenstehen, unterliegen Sitzungsunterlagen der Verschwiegenheitspflicht. Zum Wesen kommunaler Demokratie gehört aber, dass sich Kreis-, Stadtund Gemeinderäte in Vorbereitung auf die öffentliche Sitzung für ihre Meinungsbildung bei der Durcharbeitung der Sitzungsunterlagen mit den Bürgerinnen und Bürgern beraten können. Hierzu gehört normalerweise auch ein Informationsaustausch über die Inhalte der bevorstehenden Sitzung und damit auch über die Sitzungsunterlagen. Aber wie soll das geschehen, wenn sämtliche Sitzungsunterlagen (so z.B. eine zu beschließende Hundesteuer-Satzung) vor der stattfindenden Sitzung der Geheimhaltung unterlägen? Zwar haben nach vorherrschender Rechtsmeinung interessierte Bürger keinen Rechtsanspruch auf Überlassung von Beratungs- und Beschlussvorlagen. Dennoch wird es als zulässig angesehen, Sitzungsunterlagen der öffentlichen Sitzungen z.B. an die Presse oder an örtliche Parteigliederungen auszuhändigen.1 Zur konsequenten Umsetzung des kommunalen Öffentlichkeitsgrundsatzes gehöre auch die öffentliche Bereitstellung von Sitzungsunterlagen im zeitlichen Vorfeld der Sitzung, damit „interessierte Zuhörer … soweit wie möglich in die Lage versetzt werden, den öffentlichen Ratssitzungen nicht nur beizuwohnen, sondern ihnen auch folgen zu können.“2 (siehe hierzu auch den Beitrag „Der kommunale Öffentlichkeitsgrundsatz. Eine Buchbesprechung“ in dieser Ausgabe). Eine überzogene Geheimnistuerei beschädigt die kommunale Demokratie und trägt dazu bei, Demokratie- und Politikverdrossenheit zu fördern und dem Wutbürgertum weiteren Auftrieb zu geben. Deshalb mehr Transparenz in der kommunalen Demokratie und keine übersteigerte Geheimhaltung. AG 1

Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, G § 37, Randnummer 14. 2 Krebs: Der kommunale Öffentlichkeitsgrundsatz, R. Boorberg Verlag 2016, S. 261.


November 2016

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

ParlamentsReport

Staatsgeld an Kirchen: In alle Ewigkeit?

bald ist Weihnachten, und viele sind schon auf der Jagd nach Geschenken. Kurz vor dem Fest haben sich auch CDU und SPD ein schönes Präsent ausgedacht: die Renteneinheit! Nur 26 Jahre haben sie gebraucht, um es anzukündigen, überreicht werden soll es nach 35 Jahren. Auch wer 1990 mit 65 Jahren in Rente ging, darf es entgegennehmen – zum 100. Geburtstag. Bei so viel Großzügigkeit wird einem warm ums Herz! Ironie beiseite: Erst 2025 wird es in Ost und West für einen Rentenpunkt denselben Rentenwert geben. Die Einheit wird dann schon dreieinhalb Jahrzehnte alt sein. Der Fall der Rentenmauer wurde oft versprochen, er sollte ursprünglich schon 2013 stattfinden. Nun schieben CDU und SPD ihn wieder auf die lange Bank – ein glatter Rentenraub! Eine ganze Generation wird um eine gerechte Lösung gebracht. Die sächsische Staatsregierung muss in Berlin dafür kämpfen, dass die Renteneinheit schnell kommt, damit die Betroffenen sie noch erleben! Das wäre bezahlbar, wenn politisch entschieden wird, die Kosten von etwa fünf Milliarden Euro pro Jahr aus Steuermitteln zu finanzieren. Wenn die aktuellen Regierungspläne so umgesetzt werden, wie sie beschlossen wurden, geschieht das aber voll und ganz auf Kosten der Ost-Rentnerinnen und Rentner. Viele derzeitige Ruheständler werden dann belastet, weil sie die Angleichung nicht mehr erleben, und viele künftige auch, weil im Zuge dieser Reform die Hochwertung der OstEinkommen bei der Rentenberechnung entfallen soll. Dabei liegen die Löhne im Osten immer noch um durchschnittlich ein Viertel unter dem West-Niveau, künftige Ost-Renten werden dementsprechend geringer ausfallen. Der Staat muss also für Gerechtigkeit sorgen. Das ist kein Geschenk, sondern nichts anderes als seine Aufgabe!

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

Im Raum selbst prägten sich im Verlaufe des Abends drei „Lager“ aus: erstens die Hardcore-Laizisten, die den Vorwurf erhoben, die PDS habe in den neunziger Jahren selbst nicht gegen die Verträge mit den Kirchen gestimmt. Wer jene Zeit miterlebt hat, weiß noch, dass die PDS – öffentlich gern mit dem Zusatz „SED-Nachfolgerin“ markiert – damals mitten in der Aufarbeitung von Unrecht war, das der Staat DDR auch Christen angetan hatte. Da wäre ein „Nein“ als zumindest missverständlich empfunden worden. Die zweite Gruppe in der Zuhörerschaft – gefühlt die größte – fand die Zielstellung der Veranstaltung gut und wollte wissen, wie’s weitergeht. André Schollbach, fleißiger Verfasser von Kleinen Anfragen bei weitem nicht nur zu Kirchenfinanzfragen, stellte eine Große Anfrage der Fraktion in Aussicht und weitere Aktivitäten, „die überbordende staatliche Kirchenfinanzierung einer Revision zu unterziehen“. Eine dritte Gruppe, dem Beifall und den Wortmeldungen folgend eine starke Minderheit im Raum, sah die laizistische Stoßrichtung des Abends

Bilder: Robert Wünsche

Liebe Leserinnen und Leser,

Die Räumlichkeiten im Dresdner Kulturrathaus waren mit mehr als 250 Menschen überfüllt, als Linksfraktionschef Rico Gebhardt den Abend zum Thema „Die Kirche und die Kassen. Wie der Staat die Kirchen finanziert“ eröffnete. Ich hatte neben einem älteren Herrn Platz gefunden, der sogleich bedauernd mitteilte, dass er wegen einer Bibelstunde vorzeitig gehen müsse. Meiner Erwartung, dass er die Veranstaltung heftig kritisieren werde, entsprach er aber nicht, im Gegenteil: Luther habe schon gesagt, es gehe um den Glauben und nicht ums Geld, deshalb sei unser Engagement für die Trennung von Staat und Kirche in Ordnung.

kritisch. Der Staat subventioniere in der Sportförderung schließlich auch die Bemühungen um gesunde Körper, argumentierte eine Frau, da könne man doch auch die Sorge um die Seelen subventionieren. Andere rückten das diakonische beziehungsweise karitative Engagement der Kirchen in den Vordergrund. Das stellt auch André Schollbach nicht in Abrede, verweist allerdings darauf, dass es zu über 98 Prozent von allen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern finanziert werde. Und generell: Die Kirchen haben einen

mel und Erde geben, als unser Verstand nachvollziehen kann – sie liegen außerhalb praktisch-politischer-Kompetenz.“

Jahresumsatz wie die Autoindustrie, es gehe nicht um Peanuts. Fraktionschef Rico Gebhardt hatte zu Beginn klargestellt: „Die Trennung von Staat und Religion, die wir als LINKE konsequent vertreten, hat nichts mit einer Meinung zur Religion zu tun. Das unterscheidet uns von anderen Parteien. Die CDU findet das Christentum toll, die AfD den Islam missraten.“ Dagegen werde man in programmatischen Dokumenten der LINKEN „kein einziges wertendes Wort zu welcher Form von Religiosität auch immer finden.“ Der Grund sei einfach: „Mag es auch mehr Dinge zwischen Him-

enteignet, und im Gegenzug übernahm der Staat die Bezahlung des kirchlichen Personals. Faktisch aber „bis in alle Ewigkeit“, so Schollbach, denn weder der Aufforderung der Weimarer Reichsverfassung von 1919 noch der des Grundgesetzes, diese Zahlungen geregelt zu beenden, wurde bis heute Rechnung getragen. Und so flossen allein seit 1993 in Sachsen eine knappe halbe Milliarde Euro an Staatsleistungen an die Kirchen, während „für viele andere wichtige Dinge kein Geld da ist“, sagte Schollbach. Diese Zuwendungen sind auch völlig unabhängig vom Organisationsgrad der Kirchen: Im Zeitraum von 1995 bis 2015 sind in Sachsen insgesamt rund 150.000 Menschen aus den Evangelischen Kirchen ausgetreten, aus der katholischen Kirche gut 20.000.

Was allerdings im politischen Handlungsrahmen liegt, ist das verfassungsrechtliche Gebot der Trennung von Staat und Kirchen, auch in der sächsischen Landesverfassung. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es den Reichsdeputationshauptschluss, auf ihn gehen die Staatsleistungen zurück. Kirchliche Immobilien wurden

Hauptredner war Dr. Carsten Frerk, ein renommierter Publizist, der u.a. das „Violettbuch Kirchenfinanzen“ veröffentlicht hat und aus verschiedenen Fernsehsendungen bekannt ist (Foto). Frerk ist promovierter Politologe, sein jüngstes großes Rechercheprojekt als freier Autor ist dem christlichen Lobbyismus in Deutschland gewidmet. Der stand auch im Mittelpunkt seiner Rede. Alle Vorträge im Rahmen der Veranstaltung können auf der Homepage der Landtags-Linksfraktion – www.linksfraktionsachsen.de – nachgehört werden. Marcel Braumann


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PARLAMENTSREPORT

November 2016

Reiche Eltern für alle!

Es stimmt nicht, dass unser Bildungssystem allen Kindern gleiche Chancen verschafft, also Nachteile ausgleicht, unter denen Kinder aus armen Elternhäusern leiden. Die Armutsquote steigt nach dem Ende der Schulzeit. In Städten und Landkreisen mit großer Kinderarmut verlassen mehr Schülerinnen und Schüler als anderswo die Schule ohne oder mit niedrigem Abschluss. Die Linksfraktion wollte mittels einer Großen Anfrage (Drs 6/5077) herausfinden, wie CDU und SPD gegen das Problem vorgehen. Die Antworten sind ernüchternd: Die Staatsregierung ist nur lückenhaft informiert und deshalb kaum in der Lage, Kinderar-

mut zu bekämpfen. Bisher sind keine Bemühungen erkennbar, die Datenlage zu verbessern. Auch fehlt weiter ein Konzept zur Bekämpfung der Kinderarmut. Ein solches sollte die Regierung erarbeiten und dabei allgemeine und besondere Maßnahmen vereinen

Foto: Bernd Kasper / pixelio.de

Reiche Eltern für alle – das ist eine schöne Forderung. Leider hat sie nichts mit der Wirklichkeit zu tun, wie jedes fünfte Kind in Sachsen schmerzlich bestätigen kann. 22,3 Prozent der Kinder im Freistaat gelten nach EU-Definition als arm, weil ihre Eltern mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen müssen. Sachsen ist in puncto Kinderarmut überdurchschnittlich – bundesweit liegt die Kinderarmutsquote bei 19 Prozent. In großstädtischen Ballungsgebieten ist die Situation meist schlimmer als in Flächenkreisen. In der Region Leipzig etwa lag die Quote 2014 bei 27 Prozent. Vor allem kinderreiche Familien und Alleinerziehende sind betroffen.

– zum Beispiel für Kinder und Jugendliche in Ein-Eltern-Familien und kinderreichen Familien, aber auch, um Kinderarmut gezielt dort zu bekämpfen, wo sie besonders groß ist. Schwierige Lebensphasen wie die Übergänge von

der Schule in die Ausbildung oder das Studium brauchen dabei besondere Aufmerksamkeit. Zudem muss endlich eine Sozialberichterstattung eingeführt werden, um die Situation der betroffenen Kinder und Jugendlichen vollständig zu erfassen. „Lebenslagenreport“ heißt das in der Fachsprache. Nötig sind Daten zu Einkommen, Sozialleistungen, Bildung, Wohnverhältnissen, Gesundheit, Freizeit, zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, die zu einem Bild zusammengefügt werden. Nicht zuletzt muss sich die Staatsregierung im Bund für eine Kindergrundsicherung einsetzen, die verhindert, dass Kinder ein Armutsrisiko bleiben. Für Susanne Schaper, in der Linksfraktion zuständig für Sozialpolitik, ist es „ein Skandal, dass in unserem Land Kinder aus wirtschaftlich benachteiligten Haushalten nicht dieselben Chancen auf höhere Bildung und somit auf freie Berufswahl vorfinden wie Kinder aus besser situierten Elternhäusern“. Kinderarmut zeuge von der ungleichen Verteilung der Einkommen und Vermögen. Den Regierenden fehle der Wille, daran etwas zu ändern. „Statt sich dem Problem zu stellen, wird es schöngeredet, ignoriert oder weggelächelt“. Das zeige sich auch in den Antworten auf die Große Anfrage. Die Regierung habe auf kreative Weise versucht, „sich um das Thema herum zu mogeln“. So behaupte sie etwa,

dass lediglich 12,4 Prozent der Kinder in Sachsen armutsgefährdet seien und das ein historischer Tiefstand sei. Dahinter steckt nur ein statistischer Trick: Als Vergleichsmaß werden die sächsischen Durchschnittseinkommen gewählt, die deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegen. „Dann kommt man selbstverständlich auf solche ,traumhaften‘ Zahlen. Sie verkennen aber, dass in Sachsen viele Menschen trotz Arbeit arm sind“, so Schaper. Weil die offizielle Datenlage schlecht ist, müssen Überschlagsrechnungen helfen. 2015 lebten in Sachsen über 80.000 Kinder unter 15 Jahren in HartzIV-Bedarfsgemeinschaften, rund 6.000 in Sozialhilfe-Haushalten. Hinzuzurechnen sind die Sprösslinge der 16.000 Wohngeldhaushalte und jene von rund 55.000 Eltern, die aufgrund ihrer sozialen Lage keine Kita-Beiträge zahlen müssen. In der Gesamtschau erscheint eine Kinderarmutsquote von nur 12,4 Prozent unrealistisch. Immerhin, ein kleiner Fortschritt deutet sich an: Die Sozialberichterstattung, im Koalitionsvertrag großspurig für 2016 versprochen, wird endlich auf den Weg gebracht. Zumindest wurde eine Kommission „Sozialberichterstattung“ gebildet. Was herauskommt, wird sich zeigen. Mindestens 150.000 Kinder leben derweil weiter unterhalb der Armutsgrenze. Sie sollten Motivation genug sein, endlich zu handeln!

Entwaffnet Reichsbürger!

Die Szene der „Reichsbürger“ ist diffus. Diese Menschen eint eines: Sie erkennen den Staat nicht an, unterwerfen sich nicht dem Gewaltmonopol, das er im Rahmen des Rechts ausübt. Stattdessen versuchen sie, Behörden lahmzulegen, Bedienstete einzuschüchtern. Das beginnt mit einer Papierflut ohne rechtliche Grundlage – unberechtigte Geldforderungen, alberne Rechtsstreite, gefälschte Dokumente. In den USA gibt es dafür ein eigenes Wort: „paper terrorism“, Papier-Terrorismus. Das Handeln von „Reichsbürgern“ setzt sich fort in Drohungen, Stalking, und es endet mitunter gewaltsam. In Georgensgmünd erschoss ein „Reichsbürger“ einen Polizeibeamten.

„Der Gefahr wird man nicht gerecht, wenn man verharmlosend von Spinnern und Durchgeballerten redet“, ist sich Kerstin Köditz, AntifaschismusExpertin der Linksfraktion, sicher. Die LINKE beantragte eine Debatte mit dem Titel „Harmlose Spinner? Bewaffnete Staatsfeinde? – Die lange verkannte Gefahr ‚Reichsbürger‘“. Der Freistaat sei eine Hochburg, sagt Köditz, es gebe vermutlich hunderte Anhänger und unzählige Sympathisierende. Sie verfügten über Waffen, arbeiteten in Behörden. „Es muss uns beunruhigen, dass es der Innenminister versäumt hat, gegen all dies rechtzeitig vorzugehen“. Köditz erinnerte an das „Deutsche Polizeihilfswerk“, deren Mitglieder vor Jahren eigenmächtig einen Gerichtsvollzieher verhafteten. Erst jetzt aber will Innenminister Markus Ulbig (CDU) das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) beauftragen, ihm einen Überblick über die „Reichsbürger“-Szene zu verschaffen. Das kann nur als Beleg dafür gelten, dass er keinen Überblick hat. Köditz glaubt allerdings, dass es dem LfV genauso geht. „Seit Jahren stelle ich regelmäßig Anfragen. Der Antworttenor ist seit Jahren der gleiche: Eine einheitliche Reichsbürgerbewegung existiert nicht. Das hat nie jemand behauptet; aber dies ist die einzige Antwort“. Ja, die Behörde versteige sich sogar zur Einschätzung, dass die Reichsbürgerideologie nicht rechts-

extremistisch sei. Dabei entstammten deren Elemente – etwa der Begriff „Reich“, die Ablehnung der Demokratie oder die revisionistische Idee, die Existenz der BRD zu leugnen – dem Neonazismus. „Das LfV ist auch bei diesem Thema kein Frühwarnsystem, sondern ein defektes Rücklicht“, so Köditz. Die meisten Reichsbürger führen keinen bewaffneten Kampf, aber einen Kampf gegen diesen Staat ohne Waffen. Insofern ist die Forderung, ihnen

die Waffenscheine zu entziehen, nur ein Teil der Lösung. Auf der Basis des Beamtenrechts muss zudem dafür gesorgt werden, dass sie aus dem Staatsdienst ausscheiden. Die Landtagsabgeordneten waren sich weitgehend einig, was die Gefährlichkeit der „Reichsbürger“ angeht – die AfD ausgenommen. Nun muss die CDU-SPD-Koalition handeln. Nur so lässt sich mit „Reichsbürgern“ umgehen, ohne Lebenszeit zu vergeuden.

Karte: NordNordWest, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de

Wer bereits das zweifelhafte Vergnügen hatte, mit „Reichsbürgern“ zu diskutieren, wird wahrscheinlich der verlorenen Lebenszeit nachtrauern. Gründer fiktiver Monarchien und Fantasierepubliken, „Selbstverwalter“ und Ex-Territoriale, ominöse Reichsregierungen, die an die Fortexistenz des Deutschen Reiches glauben, etwa in den Grenzen von 1937 (Karte), Verschwörungstheoretiker – das alles sind Menschen, die sich in ihren Weltbildern eingemauert haben, die kein Argument erreicht. Oft wirken ihre Aussagen geradezu komisch – etwa jene, die BRD sei ein Unternehmen und wir alle seien ihr „Personal“, weil wir „Personalausweise“ besitzen. Sind alle Deutschen mit Führerschein demnach „Führer“?


November 2016

PARLAMENTSREPORT

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Nächste Kontrolle: Erst in 30 Jahren Vorsorgen, kontrollieren, sanktionieren: Die Arbeitsschutzverwaltung soll die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Sachsen schützen. In der Praxis kann sie diese Aufgabe kaum noch erfüllen. Ihr Personal wurde in den vergangenen 15 Jahren um rund zwei Drittel gekürzt, die Zahl der Betriebskontrollen sank um rund drei Viertel. Statistisch gesehen werden die sächsischen Unternehmen nur noch in Intervallen von über 30 Jahren begutachtet. Indes wächst die Zahl der schweren Arbeitsunfälle – 2015 lag sie in Sachsen bei 212. Hinzu kommen 14 tödliche Unfälle. Zu 87 Prozent sind diese Fälle auf mangelhaften Arbeitsschutz zurückzuführen.

nal aufzustocken und die Beschäftigten weiter zu qualifizieren? Bis 2017 soll die Regierung dem Parlament außerdem Maßnahmen vorschlagen, um die Arbeitsschutzverwaltung wieder arbeitsfähig zu machen. Die Behörde soll wieder viel stärker beraten, kontrollieren und die

erlassen aufrechterhalten kann“. Es sei zwar grundsätzlich nicht falsch, Schwerpunkte für die Kontrolltätigkeit zu definieren. In der Praxis bedeute das aber lediglich, dass sich das Personal auf bestimmte Problemfelder konzentrieren und andere Bereiche hintanstellen muss. Das verringert den Kontrolldruck deutlich.

Bild: king of monks / flickr.com / CC BY-NC 2.0

Hinzu komme das hohe Durchschnittsalter, ein Problem, das den gesamten öffentlichen Dienst betrifft. In der Gewerbeaufsicht liegt der Wert inzwischen bei 58 Jahren. „Durch planmäßigen Übergang in den Ruhestand wird in den nächsten Jahren nahezu die komplette untere Führungsebene abhandenkommen, wenn nicht gegengesteuert wird. Dabei handelt es sich nicht um Verwaltungsbeamte, sondern zu 88 Prozent um hoch spezialisierte Fachkräfte, Naturwissenschaftler und Mediziner, die nicht ohne weiteres ersetzt werden können“.

Das zeigt, wie wichtig es ist, das Sicherheitsbewusstsein in den Unternehmen zu stärken. Betriebsintern muss eine produktive Sicherheitsstruktur geschaffen, müssen alle am Arbeitsprozess Beteiligten sensibilisiert werden. Das funktioniert aber nur, wenn die Behörde in der Lage ist, ihre Aufgaben zu erfüllen. Die Linksfraktion fordert: Leistungsfähigkeit der Arbeitsschutzverwaltung wahren – Gesundheit der Beschäftigten im Freistaat Sachsen sichern (Drucksache 6/6885)! Zunächst soll die Staatsregierung dem Landtag darlegen, vor welchen Problemen die Arbeitsschutzverwaltung steht. Welche Rolle spielen steigende psychische Belastungen in der Arbeitswelt? Welche neuen Aufgaben in Sachen Arbeitsschutz ergeben sich aus der Digitalisierung der Arbeitswelt? In welchen Bereichen der Arbeitsschutzverwaltung hält es die Staatsregierung für besonders erforderlich, das Perso-

so Brünler. Weil das Kerngeschäft der Arbeitsschutzverwaltung kaum mehr funktioniere, könnten auch zusätzliche Aufgaben, die sich etwa aus der Digitalisierung ergeben, gleich gar nicht berücksichtigt werden. Das gelte auch für Fragen des Strahlenschutzes, der Gefahrenabwehr bei Schadstoffen oder des Brandschutzes. Diese Bereiche sind in der ILO-Verordnung noch gar nicht berücksichtigt – die tatsächliche Situation sei also noch gravierender.

Beschäftigten schützen können – und zwar nicht nur punktuell. Nico Brünler, Sprecher der Fraktion DIE LINKE für Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, kennt den Ernst der Lage. „Die Arbeitsschutzverwaltung ist inzwischen so ausgedünnt, dass sie ihre Tätigkeit nur noch mit Mühe und mithilfe von Priorisierungs-

Die Arbeitsaufsicht in Gewerbe und Handel ist ausreichend ausgestattet, wenn ein Mitarbeiter für 10.000 Beschäftigte tätig ist. Diese Norm definiert das Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). „Wenn man das mit den Zahlen im Freistaat vergleicht, wird deutlich, dass schon heute mindestens ein Viertel des nötigen Personals fehlt“,

Es gehe beileibe nicht darum, Unternehmen zu schikanieren oder mit Auflagen zu traktieren, stellt Brünler klar. Es sei aber unumgänglich, schnell mehr Personal zu suchen. Die Linksfraktion hat deshalb in der Haushaltsberatung beantragt, zehn zusätzliche Arbeitsschutzinspektoren einzustellen. Auch mit Blick auf die Altersstruktur des Behördenpersonals wäre es gefährlich, wenn die Regierung das Problem weiter aussitzen würde. Die momentane Situation ist eine ernste Gefahr für die Gesundheit der Beschäftigten!

Clara Zetkin besiegt (vorerst) Georg Unland Mehr als 20 Millionen Euro hat der Freistaat in den neuen FinanzamtStandort in Pirna investiert. Bei Finanzminister Georg Unland (CDU) sorgt das offensichtlich nicht für Freude – denn die Einrichtung liegt an der Clara-Zetkin-Straße. Das ist dem Kassenwart schon seit Monaten ein Dorn im Auge. Seine absurde Begründung: Der Name der kommunistischen Frauenrechtskämpferin (1857 – 1933) motiviere nicht zum Steuerzahlen. Stattdessen solle die Straße in „Waisenhausstraße“ umbenannt werden, zumal früher ein Waisenhaus auf dem Grundstück gestanden habe. Diese Forderung vertrat Unland in Gutsherrenart gegenüber dem Stadtrat. Erfolg war ihm nicht beschieden. Inzwischen ist ein reichliches Jahr vergangen, und das sächsische Finanzministerium hat sich zwischenzeitlich etwas einfallen lassen: Nun forderte man nicht mehr die Umbenennung der Straße, sondern die eines „Platzes“ vor dem Gebäude. Das umzäunte Flurstück von der Größe einer geräumigen Mietwohnung sollte fortan „Waisenhausplatz“ heißen. Auch das hat der Pirnaer Stadtrat nun abgebügelt – zum Glück.

Den Wahlkreisabgeordneten und demokratiepolitischen Sprecher der Linksfraktion, Lutz Richter, erinnert Unlands Verhalten an das eines „vordemokratischen Provinzgouverneurs“. „Wer glaubt, in demokratisch gewählten Vertretungen Beschlüsse ,bestellen‘ zu können, offenbart ein merkwürdiges Demokratieverständnis“. Auch seine Fraktionskollegin Sarah Buddeberg, zuständig für Gleichstellungs- und Queerpolitik, kritisierte den Finanzminister. Unland wolle eine bedeutende Frau unsichtbar machen, weil sie politisch nicht genehm sei. „Zetkins Verdienste insbesondere für das Frauenwahlrecht gehen aber weit über die Grenzen der politischen Lager hinaus“. Außerdem seien Frauennamen im Stadtbild weiter unterrepräsentiert, weshalb der Landesfrauenrat mit dem Projekt „Frauenorte Sachsen“ an bewegte und bewegende Frauengeschichte erinnern will. Dieses Engagement zerstöre Unland mit seiner Uneinsichtigkeit. Unland

solle stattdessen konsequent sein. „Wenn der Minister fürchtet, dass Clara Zetkin im Briefkopf seine Steuereinnahmen verringert, sollte er es mit der Adresse ,An den CaymanInseln‘ oder ,PanamaPlatz‘ versuchen“.


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PARLAMENTSREPORT

November 2016

Doppelsieg in Leipzig Die Abgeordneten der Linksfraktion haben vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof (Foto) erneut Siege davongetragen. In zwei Verfahren urteilten die höchsten Richterinnen und Richter zu ihren Gunsten.

Plenarspiegel November 2016 Die 43. und 44. Sitzung fanden am 9. und 10.11.2016 statt. Die Linksfraktion war mit diesen Initiativen vertreten: Aktuelle Debatte „Harmlose Spinner? Bewaffnete Staatsfeinde? – Die lange verkannte Gefahr ,Reichsbürger‘ in Sachsen“

Zum einen ging es um eine Kleine Anfrage von Juliane Nagel. Im April 2015 hatte Pegida in Dresden einen Auftritt des niederländischen Rechtsextremisten Geert Wilders organisiert – der Gast wurde von der Polizei in die Stadt eskortiert. Nagel hatte vom Innenministerium wissen wollen, wie viele Beamte und Fahrzeuge dabei eingesetzt worden waren. Ulbigs Haus verweigerte jedoch eine inhaltliche Antwort. Damit hat sie Nagel in ihrem Recht aus Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung verletzt. Das Gericht hat auch in diesem Fall klar gestellt, dass die Regierung Fragen einzelner Abgeordneter oder parlamentarische Anfragen nach bestem Wissen unverzüglich

und vollständig zu beantworten hat. Für Rechtsanwalt André Schollbach, der Juliane Nagel vertreten hat, ist es in dieser Wahlperiode schon der fünfte Erfolg dieser Art. „Die CDUgeführte Staatsregierung missbraucht immer wieder ihre Macht, indem sie die Beantwortung missliebiger Fragen willkürlich verweigert“. Der zweite Fall lag komplizierter. Bei boulevardesker Betrachtung hat dabei der LINKEN-Fraktionschef Rico Gebhardt sein Fraktionsmitglied Klaus Tischendorf verklagt, und zwar erfolgreich. Das allerdings zeugt nicht von Zwist innerhalb der LINKEN-Fraktion, denn Tischendorf wurde in seiner anderen Rolle verklagt – als Vorsitzender des Haushaltsausschusses. Der hat Minderheitenrechte der Linksfraktion verletzt, wie das Gericht nun bestätigt hat. Der stellvertretende Ausschusschef Jens Michel (CDU), den Tischendorf mit der Vertretung

Große Anfrage „Kinderarmut in Sachsen: Situation – Herausforderungen – Initiativen“ (Drs 6/5077), dazu Entschließungsantrag Drs 6/7056 Anträge „Kein Abducken mehr, Herr Tillich. Erklärung des Ministerpräsidenten zu bisherigen Konsequenzen des Staatsversagens im Fall al-Bakr“ (Drs 6/6886) „Leistungsfähigkeit der Arbeitsschutzverwaltung wahren – Gesundheit der Beschäftigten im Freistaat Sachsen sichern“ (Drs 6/6885) In der Sammeldrucksache 6/6895 waren folgende Anträge der Fraktion DIE LINKE enthalten: „25 Jahre nach dem Tode Jorge Gomondais: Gerechtigkeit den Opfern rechter Gewalt!“ (Drs 6/4057) „Personal- und Arbeitssituation in den sächsischen Justizvollzugsanstalten“ (Drs 6/4058) „,Bessere Rechtsetzung‘ im Interesse Sachsens – Sächsische Erfahrungen und Vorschläge zur Vereinfachung von EU-Recht im politischen Dialog mit der EU vermitteln, z. B. das sächsische ELER-Vereinfachungsprogramm“ (Drs 6/4579) Drucksachen (Drs) unter www.edas.slt.sachsen.de

Bild: L.E.rewi-sor / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0

des Gremiums vor Gericht betraut hatte, reagierte zerknirscht. Worum ging es? Bevor der letzte Landeshaushalt beschlossen wurde, hatte die Koalition aus CDU und SPD in diesem Gremium handstreichartig viele Themen im Haushaltsbegleitgesetz untergebracht, die damit eigentlich nichts zu tun hatten. Das betraf zum Beispiel die kräftige Erhöhung der steuerfreien Aufwandspauschale für Abgeordnete oder die Gemeindeordnung. Die Linksfraktion verlangte damals ein sauberes Verfahren mit Sachverständigenanhörung, um eine fundierte Entscheidung zu ermöglichen. Das wurde von der CDU-SPD-Mehrheit arrogant abgebügelt. Das war nicht rechtens – das Gericht hat klargestellt, dass alle Fraktionen zu jeder Zeit das Recht auf Chancengleichheit haben, ob sie nun in der Mehrheit oder in der Minderheit sind. Sebastian Scheel, parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, betont den hohen Stellenwert des Urteils. „Das höchste Gericht im Freistaat Sachsen hat sich schützend vor die parlamentarische Demokratie gestellt und der Diktatur der Mehrheit Einhalt geboten. Willkürhandlungen der parlamentarischen Mehrheit von CDU und SPD sind in die Schranken gewiesen worden. Damit ist das Urteil richtungweisend über Ländergrenzen hinaus“. Klaus Bartl, rechtspolitischer Sprecher, pflichtet ihm bei: „Die kultivierte Überheblichkeit der parlamentarischen Mehrheit hat eine empfindliche Niederlage erlitten. Sieger ist die Demokratie“.

Affäre al-Bakr: Tillich kneift weiter Der Fall al-Bakr ist zur Krise für den gesamten Freistaat geworden. „Was über Sachsen an Schimpf, Schande und Schmähkritik hereingebrochen ist, sucht in der 25-jährigen Geschichte seit der Wiedereinrichtung unseres Bundeslandes seinesgleichen“, meint der Rechtsexperte der LINKEN, Klaus Bartl. Es sei dahingestellt, ob alles berechtigt war, was Medien zum Fall al-Bakr debattierten. „Jedenfalls ist das Ansehen des Freistaates bundesweit und vielleicht über die Republikgrenzen hinaus ,auf den Hund gekommen‘“, von Staatsversagen ist die Rede. Und der Ministerpräsident? Er taucht ab, wie so oft, wenn es Probleme gibt. Während die ominöse Regierungskommission ermittelt und bis zum Jahresende ihre Ergebnisse vorlegen will – wir sind gespannt –, dringt die Linksfraktion darauf, dass Landtag und Öffentlichkeit ständig informiert werden. Das betrifft nicht nur die Ergebnisse der Aufarbeitung. Nein, das betrifft vor allem die Konsequenzen, die der Regierungschef ziehen will. Deshalb hat die Linksfraktion im Landtag beantragt (Drucksache 6/6886), den Ministerpräsidenten zur Abgabe einer Regierungserklärung aufzufordern. Er soll ausführen, wie er – in Wahrnehmung seiner Richtlinienkompetenz – dafür sorgen will, dass bereits bekannte Versäumnisse in Polizei, Justiz und Strafvollzug künftig ausbleiben. „Wir wollen wissen,

wie Sie, Herr Ministerpräsident, zum Vorwurf stehen, in Sachsen hätten sich Selbstgefälligkeit, Dilettantismus und Naivität verselbstständigt. Wir wollen wissen, wie Sie gewährleisten, dass die Untersuchungskommission ihre Arbeit erledigen kann. Wir wollen wissen, welchen Auftrag, welche Kompetenzen die Kommissionsmitglieder haben, wie sie durch die zuständigen Behörden unterstützt werden und dass jede Behinderung der Aufklärung ausgeschlossen ist. Wir wollen Ihr Wort, dass der Landtag über die Erkenntnisse zu Abläufen, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sowie notwendige Schlussfolgerungen unverzüglich, unverkürzt und auf gleicher Augenhöhe mit der Staatsregierung ins Bild gesetzt wird“, forderte Bartl. Er erinnerte an den „Sachsensumpf“-Komplex und die NSU-Affäre, denen ebenfalls Untersuchungskommissionen und -ausschüsse folgten. Erkenntnisse seien damals verspätet, unvollständig, geschwärzt oder nicht zur Verfügung gestellt worden. Der Fall al-Bakr muss Konsequenzen haben, auch für die Ausstattung von Polizei, Justiz und Strafvollzug. Über sie wird mit dem Landeshaushalt entschieden. Deshalb, so die zweite Forderung, sollte die Regierung noch im November eine sogenannte Ergänzungsvorlage erarbeiten. Damit könnte der Regierungsentwurf für den Landeshaushalt 2017/18 angepasst werden, bevor ihn

der Landtag im Dezember beschließt. Zur Eile drängt nicht nur der Innenpolitiker der Linksfraktion, Enrico Stange: „Außergewöhnliche Ereignisse verlangen außergewöhnliche Maßnahmen, und es wird ja wohl niemand bestreiten, dass es sich bei dieser Angelegenheit um eine außergewöhnliche Situation gehandelt hat!“ Dieser Schritt unterblieb allerdings, und Tillich schweigt weiter – mit Rückendeckung von CDU und SPD, die den Antrag als „Bambule“ abtaten. Sachsen braucht einen Regierungschef, der Verantwortung übernimmt!

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig


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