Europa links denken
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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Dezember 2018
Die kommenden Europawahlen sind entscheidend in der Geschichte der europäischen Linken. Autoritäre Nationalisten und ultrarechte Parteien versuchen, Europa von innen zu sprengen und schlagen ihre Funken aus der institutionellen Krise der Brüsseler Technokratie und dem Verdruss ob der unsozialen Politik der EU. Aber es geht auch um die Möglichkeit, dass Europa eine sozialere und demokratischere Perspektive bekommt. Europa ist mehr als die EU. Die europäische Linke sollte sich daher jenseits ihrer Unterschiede über ihre gemeinsamen Möglichkeiten verständigen. Auch das war für mich ein Grund, im Mai Jeremy Corbyn, den Vorsitzenden der Labour-Partei, im britischen Unterhaus zu treffen. Zudem besuchte ich den LabourParteitag im September in Liverpool und folgte einer Einladung von Pablo Iglesias, dem Vorsitzenden der spanischen Partei Podemos, im Oktober zur Herbstuniversität in Madrid. Jeremy Corbyn ist für viele Linke weiter ein ermutigendes Beispiel – und zeigt, dass SozialdemokratInnen noch gewinnen können. Während die Sozialdemokratie in fast allen europäischen Ländern an Boden verliert, bleibt die Labour Party im Aufwind – gerade weil Corbyn sich klar gegen den Neoliberalismus stellt, gerade weil er Labour auf einen ausdrücklich linken Kurs gebracht hat und die Partei für viele junge Leute öffnen konnte. Auch wenn Labour und DIE LINKE unterschiedlichen Parteienfamilien angehören, drehte sich unser Gespräch um gemeinsame Ziele wie die Notwendigkeit einer Entspannungs- und Friedenspolitik sowie den Kampf gegen die Privatisierung. Jeremy Corbyn und ich waren uns einig, dass die linken fortschrittlichen Kräfte in und außerhalb der EU mehr denn je gemeinsame Allianzen ausbauen müssen – gegen Austerität und Rechtsruck. Der Labour-Parteitag in Liverpool hat mir gezeigt, dass eine
große linke Partei in Europa tatsächlich zweierlei leisten kann: Sie kann in einer kultivierten und zugleich leidenschaftlichen Art nicht nur über den Umgang mit dem Brexit-Referendum diskutieren, sondern sie schafft es auch, gleichzeitig einen kreativen Raum für Initiativen innerhalb und außerhalb der Partei zu organisieren. Denn parallel zum klassischen Parteitag organisierte die „Momentum“-Bewegung das sehr gut besuchte Forum „The World Transformed“. Mit seinen unterschiedlichen Debattenformaten war es mindestens so wichtig wie der Parteitag. Auf dem Parteitag in Liverpool konnte man erleben, dass Labour nicht nur reale Chancen auf einen Regierungswechsel bei Neuwahlen hat, sondern unter Corbyn zu einem dynamischen Zentrum progressiver Politik geworden ist – heftige Kontroversen eingeschlossen. Dazu gehört auch, dass sich Labour jetzt mit einer offensiven Haltung einer möglichen Regierungsübernahme nähern will und zugleich die Tür für ein zweites Referendum über die endgültigen Bedingungen des Brexit auf kluge Weise offen hält. Labour wird an diesen Europawahlen nicht mehr teilnehmen, gibt aber die Idee einer linken europäischen Initiative gegen die neoliberale Spar- und Privatisierungspolitik nicht auf. Die gesamte Linke in Europa sollte Jeremy Corbyn bei seinem Versuch unterstützen, im Herzland des europäischen Neoliberalismus einen linken Politikwechsel zu schaffen. Die nächsten Wahlen zum EU-Parlament werden darüber entscheiden, ob Europa weiter nach rechts driftet, in Richtung eines autoritären Kapitalismus im Sinne eines Kurz, Salvini, Orban oder Gauland. Oder ob es eine fortschrittliche Alternative gibt: Für die LINKE ist dabei auch entscheidend, ob es uns gelingt, eine möglichst breite, starke und plurale Fraktion im kommenden Europäischen Parlament zu haben. • Katja Kipping