LINKS! Ausgabe 06/2015

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Immer wieder Sachsen

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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Juni 2015

Die Old Skool Hooligans vertreiben T-Shirts. Nein, keine THemden. Das wäre Sache der ewig deutschtümelnden Nazis. Sondern solche mit dem Konterfei von Frank Zappa oder des Avantgarde-Jazzers Sun Ra. Beide völlig inkompatibel mit der Gedankenwelt und den kulturellen Idealen der Neonazis. Oldschool Records dagegen zeigen bereits in ihrer Eigenwerbung deutlich, was bei ihnen zu erwarten ist: „Der Versand für RAC, Rechtsrock, Hatecore, Rac n Roll, Punkrock, NSBM, usw...“. Man muss eigentlich nur noch wissen, dass „RAC“ für „Rock Against Communism“ steht und „NSBM“ für „National Socialist Black Metal“. Das ist der Gegensatz zu den „Old Skool Hooligans“, das ist Neonazi-Ideologie pur. Auch im Fußball spricht man heute von den Oldschool-Hooligans. Das sind jene gewaltbereiten Hools, für die der Tatort noch das Stadion war, die in jener Zeit aktiv waren, als man zum Spiel nicht in einen faktischen Hochsicherheitstrakt musste. Zu den OldschoolHools gehörten oft der Kriegermythos und ein dumpfer Rassismus, auch das Weltbild der Neonazis. Und natürlich waren sie nie verschwunden. Inzwischen haben sich viele der Gruppen selbst aufgelöst, nachdem die einschlägigen „Hooligans Elbflorenz“ aus Dresden als kriminelle Vereinigung verurteilt worden waren. Heute finden wir sie wieder, die alte und die neue Schule, Seite an Seite bei den Demonstrationen von PEGIDA und LEGIDA und CEGIDA. Selbst die Staatsregierung gesteht inzwischen ein, dass mehr als zehn Prozent der Hooligans Neonazis sind. Dieses Problem ist nicht neu. Wir leben schließlich in Sachsen. In Sachsen, wo nur als „Rechter“ gilt, wer sich selbst als Neonazi bezeichnet, als knallharter Rassist Gewalt befürwortet. Bei der „Oldschool Society“ (OSS) war all dies so. Der Bundesinnenminister schwärmte nach der Razzia gegen die Gruppe, es seien geplante Terrorakte verhindert worden, die

nach NSU verbesserte Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sowie Polizei und Geheimdienst habe sich bewährt. Schwerpunkt des bundesweiten Einsatzes war Sachsen. Zwei Festnahmen in Borna, Hausdurchsuchungen auch in Chemnitz und anderen Orten. Und selbst bei dem betroffenen Neonazi in MecklenburgVorpommern führte die Spur nach Sachsen: Marcel L. war vor seinem Umzug für die NPD im Kreis Zwickau aktiv. Trotzdem funktionierte der übliche Reflex. Die CDU im Landtag verwies darauf, dass der „führende Kopf aus Augsburg stammt“. Schnell den Schwarzen Peter nach Bayern schieben. So wie man es auch beim NSU gemacht hatte: Was im Rest der Republik „Zwickauer Zelle“ hieß, wurde in Sachsen von den Verantwortlichen „Thüringer Terrortrio“ genannt. Dumm nur, dass gelernte DDRBürger geübt sind, zwischen den Zeilen zu lesen. Wenn die CDU schreibt, dass „die sächsischen Stellen im Rahmen der Amtshilfe ihrer Verantwortung gerecht geworden sind“, dann übersetzen wir das und lesen: „Sie haben nur das gemacht, was andere gesagt haben und dabei nicht allzu viele Fehler begangen“. Das war diesmal einfach. Es war die wohl dämlichste Terrorgruppe der BRDGeschichte. Eine, die sich offen auf Facebook präsentiert und mit Waffen prahlt. Selbst vom sächsischen Geheimdienst sollte man erwarten, dass er darüber stolpert. Doch auch dämliche Terrorgruppen können gefährlich sein. Es bedarf keiner sonderlichen Intelligenz, mit den gefundenen Sprengmitteln erheblichen Schaden anzurichten. Als LINKE haben wir immer gesagt, dass mit der Selbstenttarnung des NSU die Terrorgefahr keineswegs gebannt ist. Wir haben stets darauf verwiesen, dass man besonders die Vernetzungen genau untersuchen muss. Wir beharren darauf, dass Sachsen das Kernland des NSU gewesen ist, in dem das Trio zahlreiche Kontakte unterhielt. Aufklärung ist weiterhin nötig. Des Terrors des NSU wie auch anderer Gruppen. Deshalb haben wir – gemeinsam mit den Grünen – darauf gedrungen, dass der Untersuchungsausschuss „Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen“ wieder eingerichtet wird. Das haben wir erreicht. Jetzt fängt die eigentliche Arbeit an.


Aktuelles

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„Es wird irgendwie akzeptiert, dass Reiche so etwas tun dürfen“ Die Sonne scheint, die Elbe fließt gemächlich, Radler strampeln. Plötzlich brechen Bagger aus dem Gebüsch und reißen, ohne jede Absicherung, den Asphalt auf – und das auch noch an falscher Stelle. Dresden diskutiert über die Zerstörung eines Teils des Elberadwegs auf städtischem Grund, mit der sich die Architektin Regine Töberich, die einen Komplex von Luxuswohnungen „Marina Garden“ am Elbufer errichten will, lächerlich und strafbar gemacht hat. Eine Provinzposse – oder mehr? Kevin Reißig sprach für „Links!“ mit dem Bauingenieur Tilo Wirtz, der für die LINKE im Stadtrat der Landeshauptstadt sitzt, über das Verhältnis von Investoreninteressen, Hochwasserschutz und Verwaltungshandeln. Herr Wirtz, Regine Töberich hatte jüngst einen Gesprächstermin bei der SPD-Fraktion im Stadtrat. Ist neue Bewegung in die Causa Marina Garden gekommen? Nein, weil der Ball durch die Beschlusslage des Stadtrates jetzt beim Stadtplanungsamt und beim Umweltamt liegt. Die Bauträgerin spielt „alles oder nichts“ – da ist kein Verhandlungsspielraum. Zumal sie manche Stadträte öffentlich beschimpft hat – als „kriminelles rot-grün-rotes Gesocks“ … Deswegen hätte ich jetzt so ein Gesprächsangebot auch nicht gemacht, weil das unterhalb jeder Diskussionsebene liegt. Was sie getan hat, sind Straftaten. Das Gesprächsangebot seitens der Stadt nimmt sie übrigens nicht wahr – das sogenannte Werkstattverfahren, in dem moderiert durch das Stadtplanungsamt eine Lösung entwickelt wird, die als stadtplanerischer Entwurf dem Rat zur Bestätigung vorgelegt werden würde. Töberich wirft der Stadt Rechtsbruch und Verzögerungen vor. Hängt es nicht vielmehr an der Landestalsperrenverwaltung, die noch keine aktualisierte Hochwasserprognose vorgelegt hat? Die Stadt hat sich, soweit ich das überblicke, regelkonform verhalten. Es ist außerhalb meiner Kenntnis als Stadtrat, ob die Ämter sie bei Bauvoranfragen falsch beraten oder Fristen überschritten haben. Denn die Bearbeitung von Bauanträgen und Bauvoranfragen ist das Geschäft der laufenden Verwaltung, da ist der Stadtrat außen vor. Es gibt einen Rahmenplan – den Masterplan Leipziger Vorstadt/Hafencity –, der 2010 mit den Stimmen aller Fraktionen beschlossen

wurde und gleichzeitig den Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan. Die Verwaltung hat die Bauvoranfrage deshalb gemäß den Bestimmungen des Baugesetzbuches zurückgestellt und gesagt: Es gibt ein Bebauungsplanverfahren, das hat Vorrang, und wir schlagen eine Veränderungssperre vor. Die hat der Stadtrat beschlossen, das ist alles meines Erachtens rechtmäßig. Was die Hochwassersituation betrifft, hat das weitere gravierende Flutereignis 2013 alles verschärft. Da wurde festgestellt, dass das Wasser zwar insgesamt niedriger stand als 2002, aber am Elbufer im Bereich Hafencity/Marina Garden höher, als die alten Flutlinien erwarten ließen. Das kann an Flutschutzmaßnahmen elbabwärts gelegen haben, die zu einem Rückstau führen, oder auch an der Form des Hochwasserscheitels. Wir messen ja nicht Wasser in der Badewanne. Sondern wir haben es mit einem dynamischen Fließgewässer zu tun. Also hat die Landestalsperrenverwaltung gesagt: Wir müssen neue Pegel berechnen. Diese Veränderung betrifft nur das Töberich-Grundstück. Das Zwangsgeld für die Zerstörung des Radweges muss sie nicht zahlen, weil sie fälschlicherweise auf städtischem Grund gebaggert hat. Sie muss weniger bezahlen, aber dafür kann es strafrechtlich relevanter werden. Diese beiden Dinge sollte man strikt trennen, das Bauantragsverfahren und die – nennen wir es – Sponti-Protestform, die sie wählt. Mit der Aktion wurde zweifellos die Sicherheit von Menschen gefährdet. Man hat dennoch scheinbar keine Personalien aufgenommen, weder von den Baggerfahrern noch von den beiden Security-Männern, die Töberich beschützt und wahrscheinlich Passanten genötigt haben, die den öffentlichen Weg einfach nutzen wollten. Es wird von der Obrigkeit also irgendwie akzeptiert, dass Reiche so etwas tun dürfen. Die Polizei wurde zeitig angerufen und kam, als das Zerstörungswerk vollendet war. Dieses Vorgehen wirft Fragen auf. Die Wohngebäude, die Töberich plant, stehen quer zur Fließrichtung der Elbe. Ist das für den Hochwasserschutz nicht nachteilig, weil dadurch zusätzliche Hindernisse entstehen? Zurzeit haben wir auf dem Grundstück eine Buchtsituation, die bildet sich im Gelände ab. Das liegt tiefer als seine Umgebung. Dort will sie hineinbauen. Das bewirkt zunächst eine gewisse Wasserverdrän-

gung. Das soll durch eine überflutbare Tiefgarage kompensiert werden. Die sichert zwar nach dem Wassergesetz die sogenannten Retentionsräume, das Volumen kann sich also mit Wasser füllen. Aber bei mehr als 250 Wohnungen, die sie plant, gibt es immer Fahrzeuge, die absaufen, weil am Ende niemals alle rechtzeitig räumen. Das ist also auch ein Umweltproblem, und in meinen Augen als Flutschutz nicht praktikabel. Um den geht es für den gesamten Stadtteil Pieschen. Wäre das Töberich-Grundstück bei unzureichendem Hochwasserschutz ein Einfallstor, durch das der gesamte Stadtteil überflutet werden könnte? Das ist schon jetzt so. Das Umweltamt hat eine neue Bewertung vorgenommen und gesagt, dass sich ein Gebietsschutz – also die Abschirmung des gesamten Viertels – jetzt rechnet, weil die Bebauung insgesamt hochwertiger geworden ist. Wenn sie aber jetzt wie geplant bauen würde mit ihrem sogenannten Objektschutz, dann würden ihre Wohnungen zu einer Insel. Man käme an das Gelände trockenen Fußes nicht mehr ran. Wenn es also dort brennt, brennt es. Die Anlage würde zum Evakuierungsfall, womit die Stadt auf einmal den schwarzen Peter hätte. Wir müssten dann dort sichern, Leute hinschicken. Die Bewohner rufen dann die Stadt an und nicht Frau Töberich, die sitzt dann irgendwo und freut sich über ihren Gewinn. Sie behauptet auch, dass sich die Stadt auf Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe einstellen müsse, weil sie ihr Baurecht nicht bekommt. Die Zurückstellung eines Bauantrages ist nach Baugesetzbuch frei von einem Schadenersatzanspruch. Die sogenannte Veränderungssperre, die der

Stadtrat beschlossen hat, wird erst nach vier Jahren entschädigungspflichtig. Wofür ich nicht Hand ins Feuer legen kann, ist die Frage, ob die Verwaltung an irgendeiner Stelle einen Verfahrensfehler gemacht hat. Dafür müsste sich dann Baubürgermeister Marx (CDU) verantworten, das liegt außerhalb des Zugriffsbereiches des Stadtrates. Die Zerstörung des Radwegs mit vorab organisierter Medienpräsenz war sicherlich auch ein Beitrag zum Oberbürgermeisterwahlkampf. Könnte das Thema zum einflussreichen Faktor werden? Das kann ich bisher noch nicht so richtig erkennen. Die Frage ist: Zu wessen Gunsten läuft die ganze Sache ab? Ulbig hat sich blamiert, hat gesagt, er würde eine Lösung für den Radweg finden, dennoch kamen die Bagger. Für Hilbert ist das alles eher heikel, denn es gibt öffentliche Akten, in denen er vor einem Jahr dem Stadtrat empfahl, sich genau so zu verhalten, wie wir es nun getan haben. Zudem ist seitens der alten Mächte sicherlich viel Unmut gegenüber Rot-Rot-Grün-Orange im Spiel und gegenüber dem, was sich jetzt geändert hat. Es geht darum, wie die Konservativen in Dresden ihren Machtverlust, den sie vor einem Jahr erlitten haben, verkraften. Die Oppositionsarbeit hat bisher noch nicht richtig gefruchtet, Stichwort gescheiterte Bürgerbegehren zu Sonntagöffnungszeiten und Königsbrücker Straße. Sie werden im Sommer Dezernenten verlieren, da ist die FDP nun angefressen, weil sich die CDU mit Rot-RotGrün-Orange geeinigt hat. Hinzu kommen neue Arbeitsstrukturen im Rathaus – alles Dinge, bei denen sie sich nicht durchsetzen konnten.

Es wird inzwischen argumentiert, der Umgang der Stadt mit Töberich würde Investoren abschrecken. Besteht wirklich Gefahr für die Dresdner Wirtschaft? Wenn wir hier von Investoren reden, dann blicken wir vor allem auf diejenigen, die nicht als Bauträger das schnelle Geld ziehen und sich dann vom Acker machen. Sondern auf jene, die sich als Erwerber verschulden oder Vermögen langfristig in die Wohnungen stecken, diese entweder selbst nutzen oder etwa Kredite über die Mieteinnahmen abstottern. Wir sehen vor allem deren Sicherheitsinteressen. Im Fall Marina Garden entwickelt ein Bauträger ein Projekt und sagt: Ich akzeptiere die überflutbare Tiefgarage, ich akzeptiere die Insellage. Den Leuten wird dann irgendetwas eingeredet, dass alles bedacht worden sei. Mit den Folgen, auch den Folgekosten eines Flutereignisses werden sie aber alleine gelassen. Wer eine Wohnung erwirbt, kann als baulicher Laie oft gar nicht beurteilen, worauf er sich einlässt. Wir denken Investorenschutz also vom Ende her und nicht Richtung schneller Verwertung. Zurzeit ist das die einzige Baustelle, bei der wir Probleme haben. Wir haben im letzten Bauausschuss ungefähr 1.000 Wohnungen durchgewunken. Bei Projekten, mit denen von der stadtplanerischen Seite her keine Probleme bestehen, sagen wir sofort, bitte, los geht’s! Man muss die Investoren aber teilweise auch vor sich selbst schützen. Da wird im oberen Preissegment zu viel gebaut, obwohl es dort keinen so großen Bedarf gibt. Da ist dann der Luxus – relativ – billig. Wir haben in Dresden aber Ostgehälter, es wird also oft gar nicht möglich sein, die gewünschten Mieten zu erzielen. Schon jetzt gibt es Notlagen bis in mittlere Einkommen hinein, da durch die Mieterhöhungen im Bestand einst bezahlbare Mieten unerschwinglich werden. Im sozialen Wohnungsbau haben wir Lücken, da müssen wir ran. Was soll konkret passieren? Rot-Rot-Grün-Piraten plant die Neugründung einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft. Wir wollen das Kapital der kommunalen TWD, das ist die Mutter der Drewag, und das KnowHow der Stadtentwicklungsgesellschaft Stesad nutzen. Die baut und verwaltet noch eine geringe Zahl von Wohnungen, hat also Erfahrungen mit Wohnungsbau und -bewirtschaftung. Die neue Wohnungsbaugesellschaft soll dann auf städtischen Grundstücken preiswerte Wohnungen bauen.


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#Freital #Frigida #Sachsen² Nach 25 Jahren CDU-Herrschaft mangelt es in Sachsen an demokratischer Kultur, Weltgewandtheit und Solidarität. Für mich eine vernichtende Bilanz, die ihren Ausdruck unter anderem in PEGIDA findet. Setzt man dies in Quadrat, bekommt man einen ungefähren Eindruck von der aktuellen Situation in Freital. Freital ist eine durchaus interessante Stadt, mit einer sozialdemokratischen Tradition, die allerdings unter dem Eindruck von 14 Jahren Oberbürgermeisterschaft von Klaus Mättig (CDU) mächtig Federn gelassen hat. Als Stahlarbeiterstadt war Freital in der Zeit der Weimarer Republik die einzige Stadt in Sachsen mit einem SPD-Oberbürgermeister, was auch der Schwäche der KPD geschuldet war. Und auch nach der Wende ging Freital wieder an die SPD. Erst 2001 setzte sich Klaus Mättig (CDU) mit 53 % knapp durch. Seitdem findet man dort Zustände, die sich am besten irgendwo zwischen „gelenkter Demokratie“ und „konstitutioneller Monarchie“ einordnen lassen. Die/der geneigte Leser_in wird es mir vielleicht nicht glauben. Aber selbst als jemand, der seit vielen Jahren in Pirna lebt, empfinde ich die Situation in Freital als ziemlich krass. Mit dem Aufkommen von PEGIDA Ende letzten Jahres kam es in ganz Sachsen zu unzähligen asylfeindlichen Demonstrationen. Dabei gab es im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge eine interessante Entwicklung. Auf dem Gebiet der ehemaligen Sächsischen Schweiz wur-

Gegenfrage: Muss es denn überhaupt christlich sein? Wenn man die Bezeichnung Abendland nur aus dem westlichen Sonnenuntergang herleitet und ihm das Morgenland einzig als die östliche Gegend des Sonnenaufgangs gegenüberstellt, ist diese Frage leicht zu beantworten. Das Abendland muss nicht christlich sein! Morgenland und Abendland sind jedoch mehr – sie sind kulturelle Konzepte. Deshalb findet man in fast allen Ausführungen zum Abendland das Attribut „christlich“. Es ist nicht das einzige. Ergänzt wird es verschiedentlich durch „germanisch“, „römisch“, „jüdisch“ oder „christlich-jüdisch“. Als herausgehobene

den und werden die Anti-AsylDemos vorwiegend von der NPD organisiert – mit mäßigem Erfolg. Im ehemaligen Weißeritzkreis finden sich Leute unter dem Label angeblicher Bürgerbewegungen zusammen und können wesentlich mehr Menschen mobilisieren. In Freital kamen bei einer Demonstration fast 1.500 Personen zusammen, und die Stimmung ist besonders aggressiv. Ziel der als „Abendspaziergänge“ bezeichneten Aufzüge ist eine Gemeinschaftsunterkunft in einem ehemaligen Hotel. Zuvor hatte die städtische Wohnungsgesellschaft die Unterbringung der geflüchteten Menschen in Wohnungen abgelehnt. Chef der Wohnungsgesellschaft ist der CDU-Kandidat Uwe Rum-

berg, der bei den anstehenden Oberbürgermeisterwahlen die Nachfolge von Mättig anstrebt. Auch Mättig hatte öffentlich mehrfach gegen den Landkreis polemisiert, was letztlich zu Verhandlungen mit dem Hotelbetreiber, vorbei am Stadtoberhaupt, führte. Seitdem lässt sich Mättig regelmäßig bei den „Abendspaziergängen“ sehen, natürlich nur als „Beobachter“. Noch bevor Sachsen im Jahr 2014 die Stadt- und Gemeinderäte wählte, hatte Freital eine eigene AfD-Fraktion. Drei Mitglieder der CDU hatten sie gegründet. Natürlich kandidiert die AfD auch um den Chefposten im Rathaus. Die Fraktion „Bürger für Freital“ (vergleichbar mit Freie Wähler) verbreiteten Ende letzten Jahres

Thesen, die de facto eine Kopie der PEGIDA Thesen waren, und eine Stadträtin der „Bürger für Freital“ prahlt damit, eine Vertraute von Lutz Bachmann zu sein. Die Friseurin ist übrigens sowohl für das bekannte „Erist-wieder-da-Bild“ zuständig als auch für den dazugehörigen Look. Die „Bürger für Freital“ haben zudem einen Kandidaten für das Oberbürgermeisteramt nominiert. Ja, und als ob das nicht reichen würde, hat die Bürgerinitiative „Freital steht auf!“ auch einen eigenen Oberbürgermeisterkandidaten aufgestellt. Ach so, und eine Bürgerwehr. Die „Bürgerwehr FTL / 360“ (nach der gleichnamigen Linie) begleitet Busse, um Busfahrer und Fahrgäste vor Asylsuchenden „zu schützen“.

All diese Leute kommen freitags zusammen, weil sie finden, dass Geflüchtete in Freital nichts zu suchen haben. An den Ortseingängen fanden sich in der Vergangenheit Schilder mit der Aufschrift: „Hier gibt es nichts zu Wohnen, flüchten Sie weiter!“. Bei den Demos werden Rufe wie „Grillen, grillen, grillen, ...“ oder „Kriminelle Ausländer: raus! Alle anderen: auch!“ gegrölt. Die Geschehnisse in Freital finden übrigens etwas abseits von Dresden statt. Die Stadt liegt so nahe, dass man Freital für einen Teil davon halten könnte. Freital ist nicht groß und auch nicht klein, und es ist auch nicht besonders schön. Mag sein, dass dies der Grund ist, warum so wenig Gegenprotest möglich ist. Immerhin: Der LINKE OB-Kandidat Michael Richter meldet seit Wochen konsequent Soli-Kundgebungen für die Geflüchteten an. Kann sein, dass das von Wählerinnen und Wählern nicht honoriert wird. Dafür ist er aber der einzige Kandidat in Freital, der in dieser Frage Haltung bewahrt hat. Auf Twitter kann man die wenigen Tweets zu #Frigida (wie Antifaschist_innen diese Rassisten nennen) mitverfolgen. Aber wunderbar ist auch die Dankbarkeit der Geflüchteten, für das kleine bisschen Unterstützung vor ihrer Unterkunft. Hier stehen nicht die großen Fernsehkameras, stimmt. Aber hier gibt’s trotzdem ein ganz paar nette Menschen, die sich über Deine Unterstützung freuen würden, an einem Freitag in Freital ... Lutz Richter

Charakteristik bleibt aber immer das „Christliche“ dieses Abendlandes. Dadurch erscheint es so manchem und mancher offensichtlich kulturell überlegen. Das treibt Leute um, sich auf der Grundlage eines sich selbst zugeschriebenen, wachsamen „europäischen Patriotismus“ gegen die angeblich drohende „Islamisierung“ ihres Abendlandes zu wenden. Also bleiben wir bei der Frage des Titels! Die Antwort werden wir nicht in Statistiken der Religionszugehörigkeit finden. Das christliche Abendland definiert sich nicht über die verschiedenen christlichen Kirchen und die Anzahl der Gläubigen. Es verstehen sich seine Apologeten vielmehr als kulturelle Gemeinschaft, die durch Werte begründet ist, die dem Christentum und seinen Traditionen entspringen, unabhängig von Bekenntnissen und Glaube. Ich will jetzt nicht beckmesserisch fragen, ob ein großer Teil dieser Werte nicht allgemein-menschlich sind. Die Weltliches betreffenden Gebote der bekannten zehn

jüdisch-christlichen findet man wohl in fast allen Kulturen und Bekenntnissen. Da geht es um den Respekt der Nachkommen vor den Vorfahren, um Schutz des Lebens vor Gewalt, um kontrollierte Sexualität, um Eigentum und Wahrheit. Schön wäre es, wenigstens das christliche Abendland hätte sich daran ge-

kraft. Menschenwürde, jeder Mensch als Gottes Ebenbild, wie es das Christentum versteht, galt nichts. Noch zu Beginn des vorigen Jahrhunderts wurden afrikanische Familien in abendländischen Zoos als Attraktion ausgestellt. Aber das gibt es heute alles nicht mehr – sagt man. Die klassische Sklaverei ist längst abgeschafft. Die Würde des Menschen ist unantastbar, legen europäische Verfassungen fest. Vor dem Gesetz sind alle gleich, wie im Christentum vor Gott. Das alles sind Fortschritte. Ich bin kein Pastor, ich will hier keine Bibellehre veranstalten. Dennoch, es treibt auch mich ungläubigen, aber zwangsläufigen Abendländer etwas um: Das sind Sätze aus dem Evangelium von Matthäus; dort nachzulesen im Kapitel 25, Verse 31 - 46. Matthäus spricht vom Weltgericht, bei dem endgültig die „Schafe von den Böcken“ geschieden werden. Den Schafen wird der Himmel zu Besitz gegeben. Die Böcke aber fallen der ewigen Verderbnis anheim. Wa-

rum? Von den Schafen behauptet der richtende „Menschensohn“, sie hätten ihm zu essen gegeben, als er hungrig war, zu trinken, als er durstig war, ihn aufgenommen, als er fremd und ohne Obdach war usw. Alles erdenklich Barmherzige war ihm, dem Göttlichen durch die Schafe, durch die Gerechten zuteil geworden. Die wundern sich jedoch und erwidern, sie könnten sich nicht erinnern, den Menschensohn je so gut behandelt zu haben. Dieser räumt das auch ein. Er selbst war nicht der Nutznießer der Barmherzigkeit, aber sie hätten andere so gut behandelt. Der Schlüsselsatz: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Das gilt natürlich auch für die Schwestern). Die Antwort auf die Frage, wie dieses „christliche Abendland“ mit den Hungrigen, Fremden, Nackten, Durstigen, Kranken, Gefangenen dieser Welt umgeht, ob es solche gar selbst zu verantworten hat oder nicht, ist die Antwort auf die Frage, wie christlich das Abendland wirklich ist.

Wie christlich ist das Abendland? halten. Es hat mit seinen Kriegen das Tötungsverbot oder das Verbot, sich fremdes Eigentum anzueignen, stets ignoriert. Man hat sich nicht nur fremden Besitz angeeignet, sondern auch fremde Menschen. Das ist sehr römisch, aber wenig christlich. Es gab Zeiten, da überquerten Schiffe von Afrika kommend die Weltmeere, mit menschlicher Ware in den Laderäumen, und die Fracht war willkommen als billigste und rechtlose Arbeits-


Hintergrund

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Schlag nach bei Rosa „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.“ Rosa Luxemburgs Demokratieverständnis, pointiert in dieser Sentenz, hat weder Lenin, dessen Revolutionstheorie sie kritisch beurteilte, noch seinen realsozialistischen Erben in der DDR geschmeckt. Allgemeiner: Zu allen Zeiten bemächtigten sich Freund und Feind dieses Zitats, wenn sie glaubten, daraus Kapital für ihre Zwecke schlagen zu können. Doch erschöpft sich die ganze Luxemburg in dem berühmt gewordenen Freiheitsdiktum? Eine rhetorische Frage, natürlich. Und Aufforderung an Linke von heute, ihr Werk auf aktuelle Opportunität zu hinterfragen. Im Leipziger Domizil der Stiftung, die den Namen der Revolutionärin trägt, hat Klaus Kinner Ende April das Ständige Rosa-Luxemburg-Seminar eröffnet, das sich genau dieser Aufforderung annehmen will. Der Leipziger Historiker hatte sich schon länger mit der Absicht getragen, Leben und Werk der demokratischen Sozialistin auf noch unabgegoltenen Feldern zu untersuchen und auf produktive Erkenntnisse für heutige Linke abzuklopfen. Seine Grundidee für das Seminar formulierte er so: „Leben und Werk Rosa Luxemburgs sind intensiv erforscht.

Gleiches gilt nicht für deren Wirkungsgeschichte. Zwar liegen Einzelstudien und Überblicksdarstellungen vor, eine Gesamtdarstellung ist jedoch noch ein Desiderat.“ Die Wirkungsgeschichte zu erhellen, heiße auch herauszufinden, inwieweit Luxemburgs umstrittene Theorieansätze und ihr Politikverständnis, aktuell auch im Widerstreit der Erben, „für strategische Orientierungen der Linken in der Gegenwart tragfähig“ seien. Auf der Grundlage fachkompetenter Einführung und tiefgründiger Diskussion im Stile kleiner Kolloquien könnten Forschungsund Diskursergebnisse in den Rosa-Luxemburg-Forschungsberichten veröffentlicht werden. „Unsere Stiftung kann so unser international einzigartiges Periodikum mit neuem Impetus fortführen.“ Dass das Seminar mit dieser Aufgabe nicht bei null beginnt, ließ Kinner an Publikationen und Konferenzen der Stiftung seit 1990 aufscheinen. So habe sich der 2002 von ihm und Helmut Seidel herausgegebene Sammelband „RosaLuxemburg. Historische und aktuelle Dimensionen ihres theoretischen Werkes“ einen festen Platz in der internationalen Luxemburg-Forschung erworben. Kinner erläuterte den Premieren-Seminaristen seine Themen-Vorschläge. Deren inhaltliche Spannweite erstreckt

sich von der Rolle Rosa Luxemburgs als Märtyrerin der Revolution über die Auseinanderset-

genen Auftakt des Ständigen Seminars. Übereinstimmender Tenor: Keine Musealisie-

zung mit dem Stalinismus bis zur Luxemburg-Forschung und -Edition in Deutschland und der Welt. 14 engagierte Wortmeldungen bekundeten den gelun-

rung, keine Romantisierung von Leben und Werk der „roten Rosa“. Hans Piazza sann über die Bedeutung der KPDMitbegründerin für die deutsche und internationale Arbei-

terbewegung nach. Willi Beitz skizzierte deren Wirkung nach Russland. Volker Caysa sprach von „moderner Reformulierung“. Das heiße für ihn, zunächst das unabgegoltene Potential Luxemburgischer Ideen zu definieren, um es dann für heute zu bewerten. Dabei gelte es, das geschichtliche Vorwissen, insbesondere der Jugend, zu berücksichtigen. Manfred Neuhaus, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der Stiftung, bezeichnete Kinners Überlegungen als „durchdachte Konzeption“. Sie zu realisieren, brauche es „viel Kraft“. Mit einer sensationell anmutenden Petitesse überraschte Volker Külow die Runde. Er habe bei Alexander Kluge, dem anerkannten Autor, Regisseur und Sozialphilosophen, den Terminus „negativer Imperialismus“ gefunden, den Rosa Luxemburg in ihrem Tagebuch von 1917 verwendet hätte. Für den einschlägig versierten Historiker ein Phänomen. Sollte der internationalen LuxemburgForschung dieses einzigartige Theorem entgangen sein? Külow forschte bei Kluge nach. Der bekannte freimütig, das Zitat fingiert zu haben. Dass es Nachfragen auslöse, beweise: Auf der Suche nach Antworten für die Herausforderungen der Gegenwart erhoffe man sich immer noch Rat auch von der großen Revolutionärin. Wulf Skaun

das Kriegsende und die Befreiung vom Faschismus, im Mittelpunkt des kollektiven Gedächtnisses, sondern der Systemwandel von 1989. Der Sturz der Diktaturen in Mittel- und Osteuropa beendet dieser geschichtspolitischen Erzählung zufolge die Epoche eines „europäischen Bürgerkrieges“, die 1917 mit der Oktoberrevolution in Russland begonnen hatte. Im Kampf der Ideologien und politischen Systeme trägt schließlich die liberale Demokratie den Sieg über ihre totalitären Gegenspieler – Faschismus und Kommunismus – davon und steht seitdem weltweit beispiellos da. Die Deutschen, die zu Beginn des europäischen Bürgerkrieges auf der falschen, der nationalsozialistischen Seite gestanden hatten, haben mit der Überwindung der Teilung und der „Wiederherstellung der Einheit“ ihren Teil zum Sieg der liberalen Demokratie in dem Bürgerkrieg zwischen Demokratie und Totalitarismus beigetragen. Gegenüber dieser historischen Leistung verblasst die NS-Vergangenheit.

Der Nationalsozialismus gilt nicht mehr als Zeitgeschichte, die in die Gegenwart hineinreicht, sondern als eine abgeschlossene Geschichtsperiode. Mit der Historisierung der NS-Zeit gehört auch Auschwitz, das Symbol für den von Deutschen begangenen Zivilisationsbruch, der Geschichte an. Die zu nationalstaatlicher Normalität zurückgekehrte Berliner Republik kann die neu gewonnene Souveränität nunmehr unbefangen von der NSVergangenheit ausagieren. Geschichte gerät der „selbstbewussten Mittelmacht“ (Herfried Münkler) wieder zu einer Legitimationsquelle. Zufrieden registriert der Richter am Bundesverfassungsgericht, Udo di Fabio, den erinnerungspolitischen Paradigmenwechsel mit den Worten: „Die Seele der Deutschen muss endlich wieder den Kern und nicht die Verirrung seiner Nationalgeschichte in den Mittelpunkt einer optimistischen Selbstgewissheit rücken“ (ders.: Die Kultur der Freiheit. München 2005, S. 220). Jochen Mattern

Bundesarchiv, Bild 183-14077-006 / Unknown / CC-BY-SA

Ständiges Rosa-Luxemburg-Seminar in Leipzig eröffnet

Von neuer deutscher Selbstgefälligkeit Nachbetrachtung zum 8. Mai Die sächsische Landespolitik weigert sich seit Jahren, den 8. Mai in einer würdigen Form zu begehen. So jüngst erst wieder geschehen. Eine Gesetzesinitiative der LINKEN, aus Anlass der siebzigjährigen Widerkehr des Endes von Krieg und Faschismus in Europa den 8. Mai zu einem offiziellen, landesweiten Gedenktag zu erklären, lehnt der Sächsische Landtag in großer Einigkeit ab. Die gemeinsam mit der CDU regierende SPD kritisiert die Verwendung des Wortes „Faschismus“ im Titel des Gesetzentwurfs. Dies sei ein politischer Kampfbegriff, so der Einwand, der in der DDR dazu gedient habe, sich von der Bundesrepublik abzugrenzen und Antifaschisten, die nicht ins Bild vom kommunistisch dominierten Widerstand gegen das NS-Regime passten, auszugrenzen. Außerdem werde der Begriff nicht der Dimension der von den Nazis begangenen Verbrechen gerecht. Die Grünen werden noch deutlicher. Sie brandmarken das

Reden vom Faschismus als einen „stalinistisch verordneten Sprachgebrauch“ und als Verharmlosung des Holocaust. Für die Landesregierung verweist deren Innenmister auf die bereits bestehenden offiziellen Gedenktage, an denen der Opfer von Krieg und nationalsozialistischer Gewaltherrschaft gedacht werde: den 27. Januar, den Tag der Befreiung des Vernichtungslagers von Auschwitz, und den Volkstrauertag, der seit 1952 staatlicher Gedenktag ist. Ein zusätzlicher Gedenktag, heißt das, sei nicht erforderlich, die vorhandenen reichten aus. Dass sich angesichts dieser Geisteslage das Landesparlament nicht einmal zu einer eigenen Veranstaltung durchringen kann, um den 70. Jahrestag der Befreiung angemessen zu würdigen, überrascht wohl kaum. Stattdessen beteiligt sich der Landtag an einer Veranstaltung in der Gedenkstätte Ehrenhain-Zeithain, einem einstigen Kriegsgefangenlager, das im April 1945 befreit worden war. Sachsens Ministerpräsident, Stanislaw Tillich, nutzt

die Gelegenheit für ein „Grußwort“ (Was für eine unangemessene Bezeichnung.). Darin nennt Tillich den eigentlichen Grund, weshalb die sächsische Landespolitik nicht den 8. Mai als Tag der Befreiung begehen will: „Für den Westen Deutschlands war das Kriegsende 1945 eine Befreiung. Für den Osten war es der Beginn neuen Unrechts. Erst als sich die Völker Mittel- und Osteuropas 1989 erhoben, hatten sie für uns alle die Freiheit erkämpft und sich selbst zur Demokratie befreit.“ In Osteuropa, einschließlich der sowjetischen Besatzungszone, so erklärt der oberste politische Repräsentant des Freistaates vor den anwesenden Gästen aus dem In- und Ausland, darunter Angehörige von Kriegsgefangenen und Vertreter Russlands, stehe der 8. Mai 1945 nicht für Befreiung, sondern für neues Unrecht und kommunistische Diktatur. Aus Tillichs Perspektive, der sich hier die Sichtweise vor allem Polens und der baltischen Länder zu eigen macht, steht nicht die historische Zäsur des Jahres 1945,


Geschichte

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Krieg zu Ende und doch noch weitere Tote? Eine etwas andere Geschichte zum Jubiläum der Befreiung vom Faschismus Wenige Tage nach der Befreiung vom Faschismus, am frühen Nachmittag des 13. Mai 1945, zerbarst ein gewaltiger Detonationsknall unvermittelt die durch Anwesenheit von US-Truppen ohnehin ungewöhnlich geschäftige und laute Szenerie im sonst eher beschaulichen obervogtländischen Dorf Muldenberg. Kurz zuvor, am 6. Mai, waren Truppenteile der 3. US-Armee von Plauen und Oelsnitz her kämpfend vorgerückt, hatten den Widerstand der letzten im Ort und seiner Umgebung befindlichen SS-Einheiten gebrochen und in Muldenberg ein großes Gefangenen-Sammellager für Wehrmachtsangehörige eingerichtet. Nach der Kapitulation der faschistischen Wehrmacht am 8. Mai begannen die Amerikaner, Kommandos aus Kriegsgefangenen zusammenzustellen, um Munition aus Wehrmachtsbeständen zu entsorgen. Als „Endlager“ dafür schien ihnen die nahegelegene Talsperre, die die Städte und Gemeinden im Göltzschtal einschließlich der Stadt Reichenbach mit Trinkwasser versorgt, der geeignete Ort zu sein. So fuhren in unregelmäßigen Abständen kleinere Militär-Transportfahrzeuge mit ihrer gefährlichen Fracht auf die Sperrmauer, um die Munition im Stausee zu versenken. Dies war Aufgabe der Gefangenen. Bei einer solchen Entsorgungsaktion kam es dann am erwähnten 13. Mai zum vorhersehbaren tragischen Ereignis: Die versenkte Munition explodierte unter ohrenbetäubendem Lärm. Ein Block von etwa 70 Metern Länge der aus Bruchsteinmauerwerk bestehenden, 476 Meter langen Sperrmauer wurde um bis zu 80 cm nach der Luftseite hin verschoben sowie die Mauerkrone in diesem Abschnitt abgesprengt. Zum Glück für die Bewohner der Ortschaften des Tales der Zwickauer Mulde bis hinunter nach Aue und weiter verharrte das betreffende Mauerstück in dieser kritischen Lage, und auch der Rest der Mauer hielt, so dass rund fünf Millionen Kubikmeter Wasser kontinuierlich zunächst über die Mauerkrone, im weiteren über einen längeren Zeitraum aus den Mauerrissen abfließen konnten und so zumindest eine Überschwemmungskatastrophe ausblieb. Allerdings wurden die US-Posten und die deutschen Kriegsgefangenen auf der Stelle getötet: Die vermutlich einzigen

beiden Augenzeugen der Katastrophe sahen von ihrem nahen Wohnhaus aus, wie mehrere menschliche Körper neben Fahrzeugteilen in die Höhe geschleudert wurden, während kurz darauf alles hinter einer riesigen Wand aus Staub und einer Wasserfontäne verschwand. Die Leichen der amerikanischen Toten wurden nach kurzer Zwischenlagerung in Muldenberg abtransportiert und in die USA überführt. Für

derzeit vorhandenen Gedenkstein keinen Aufschluss über die tatsächliche Ursache und den Charakter des Ereignisses. Es ist nur noch von einer imaginären „Munitionsexplosion“ die Rede. Auch die übrigen Angaben auf dem Stein – entsprechend dem Textvorschlag des „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ (!) an den örtlichen Bürgermeister – entsprechen nicht der Wahrheit. Und obwohl zum Beispiel

ben kamen: In verschiedenen Veröffentlichungen kursieren Zahlen zwischen acht und 12. Diese Angaben können von den Augenzeugen nicht bestätigt werden. Bezeichnenderweise wird heute auf besagtem Gedenkstein in der Abteilung 4 des Reviers Muldenberg des Sächsischen Staatsforstes die Zahl 12 angegeben, und auf einer Schautafel der Landestalsperrenverwaltung am anderen, westlichen Ende der

Bild: Reinhold Gläß

die sterblichen Überreste der deutschen Kriegsgefangenen dagegen begann eine Odyssee, die in gewisser Weise bis in unsere Tage andauert: Die Toten wurden nach ihrer Bergung in einem Waldstück unweit des östlichen Endes

der „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ nach 1989 große Anstrengungen unternommen hat, um in Osteuropa und vor allem auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion Kriegstote zu identifizieren, angemessen zu bestatten

Sperrmauer, die Zahl 8! Das fachlich zuständige Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat sich prinzipiell mit den Vorschlägen von Siegfried Gläß (Feststellung der Anzahl und der Identität der Toten,

Staumauer der Talsperre Muldenberg, Zustand 2014. Luftbild: Siegfried Gläß.

der Sperrmauer vergraben. Der nahe der Sperrmauer wohnende Co-Autor Siegfried Gläß bemüht sich seit Jahrzehnten um eine wahrheitsgetreue geschichtliche Aufarbeitung, u. a. auch durch Einbeziehung von US-Dienststellen. Zunächst gibt die Inschrift im

und entsprechende Friedhöfe/ Gedenkstätten einzurichten, will das im hier beschriebenen Fall im eigenen Land nicht gelingen. So weiß man bis heute nicht einmal, wie viele deutsche Kriegsgefangene bei der verhängnisvollen Aktion am 13. Mai 1945 wirklich ums Le-

Überführung in eine würdige Gräberstätte) einverstanden erklärt. Es hat sich in diesem Sinne an die Sächsische Staatsregierung und die Landestalsperrenverwaltung Sachsen gewandt. Siegfried Gläß seinerseits hat durch mehrere Schreiben an den Sächsischen

Ministerpräsidenten und die Landesdirektion Sachsen dem Anliegen Nachdruck zu verleihen versucht, jedoch geschah von sächsischer Seite bisher absolut nichts zur Veränderung des unwürdigen Zustandes vor Ort. Eine solche Veränderung sollte neben der Realisierung o. g. Vorschläge auch die sachlich korrekte Einordnung des geschichtlichen Ereignisses beinhalten, u. a. durch Anbringen einer Gedenktafel an der Unglücksstelle. Das einzige konkrete Ergebnis – die inzwischen erfolgte Identifizierung von 4 Toten – geht offensichtlich auf die Initiative des Bundesministeriums zurück. Allerdings wurde dazu keine Exhumierung durchgeführt, so dass die Frage offen bleibt, auf welchem Wege die Informationen erlangt worden sind und warum nicht im gleichen Verfahren die endgültige genaue Anzahl der Toten festgestellt werden konnte. Übrigens: Das Bundesministerium geht von sechs deutschen Toten aus. So bleiben also vor allem Fragen: Warum opferte die USArmee noch nach Beendigung des Krieges eigene Soldaten in einem offenkundig sinnlosen Unternehmen? Wie konnte ein Militärangehöriger (zumal nach Beendigung der Kampfhandlungen) auf die Idee kommen, eine Trinkwassertalsperre als Ort für die (ohnehin unsachgemäße) Entsorgung von Munition zu bestimmen? Warum tun sich 70 Jahre nach Kriegsende die deutschen, namentlich sächsischen, Behörden so schwer, die historischen Tatsachen konkret zu benennen, die genaue Anzahl der Toten festzustellen, alle zu identifizieren und würdig zu bestatten? Abschließend sei angemerkt, dass angesichts der großen Bedeutung der Talsperre für die Trinkwasserversorgung des östlichen Vogtlandes in für die äußerst schwierigen Nachkriegsbedingungen vergleichsweise kurzer Zeit das beschädigte Mauersegment abgetragen und das Bauwerk wiederhergestellt wurde (1946-1950). Auch bis dahin war es gelungen, die Versorgung mittels eines hinter einem provisorischen Damm gestauten Minimums an Wasserreserve und mit viel Improvisation aufrechtzuerhalten. Siegfried Gläß, Dr. Reinhold Gläß Die Ausführungen stützen sich – neben allgemein zugänglichem Material – hauptsächlich auf Berichte der beiden vermutlich einzigen lebenden Augenzeugen Ruth und Siegfried Gläß.


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Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Termine Leipzig, 8. Juni, Montag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion. Das Kapital und die Verteilung im 21. Jahrhundert. Hat Piketty Recht? Mit Stephan Kaufmann, Wirtschaftsjournalist und Mitautor des Buches „Kapitalismus: Die ersten 200 Jahre: Thomas Pikettys ,Das Kapital im 21. Jahrhundert‘ - Einführung, Debatte, Kritik“ RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Der französische Ökonom Thomas Piketty hat 2014 eine in der Weltöffentlichkeit als Sensation wahrgenommene langfristige Analyse der Entwicklung von Einkommens- und Vermögensverteilung vorgenommen. Bis weit in konservative Kreise hinein hat der akribische Nachweis einer wachsenden Verteilungskluft Aufmerksamkeit gefunden. Stephan Kaufmann, Wirtschaftsredakteur der Berliner Zeitung, hat untersucht, was am „Piketty“ dran ist und was es mit seiner berühmten Formel r > g auf sich hat. Chemnitz, 9. Juni, Dienstag, 13 Uhr Intensivseminar. Aktuelle Fragen materialistischer Staatstheorie II. Mit Prof. Dr. Alex Demirovic, Frankfurt (Main). Eine Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen und des Studentenrates der Technischen Universität Chemnitz. Seminarraum NK004, Zentrales Hörsaalgebäude (Orangerie), TU Chemnitz, Reichenhainer Straße 90, 09126 Chemnitz Chemnitz, 9. Juni, Dienstag, 19 Uhr Vortrag und Diskussion. Wirtschaftsdemokratie, Rätedemokratie und freie Kooperationen. Mit Prof. Dr. Alex Demirovic, Berlin. Eine Veranstaltung der Rosa-LuxemburgStiftung Sachsen in Kooperation mit der Volkshochschule Chemnitz. Veranstaltungssaal, dasTIETZ, Moritzstraße 20, 09111 Chemnitz Schneeberg, 9. Juni, Dienstag, 19.00 Uhr

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e. V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Veranstaltungsreihe „Kreatives Sachsen - Potentiale der Kultur- und Kreativwirtschaft im Freistaat”. Kreatives Gebirge – Kultur- und Kreativwirtschaft im ländlichen Raum. Mit Dr. Sönke Friedreich, wiss. Mitarbeiter Bereich Volkskunde des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V. (Dresden), Dr. Peggy Kreller, Initiative Kreatives Erzgebirge (Annaberg-Buchholz) (angefragt). Eine gemeinsame Veranstaltung des Abgeordnetenbüro MdL Annekatrin Klepsch und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. Kulturzentrum „Goldne Sonne“, Fürstenplatz 5, 08289 Schneeberg Dresden, 10. Juni, Mittwoch, 16:40-18:10 Uhr Ringvorlesung: „Wir sind nicht rassistisch, aber ...“. Wessen Wissen ist Wissen? Koloniale Wissensarchive und -Hierarchien in Schule und Hochschule. Mit Noah Sow. TU Dresden, Zeunerbau, George-Bähr-Str. 3c ZEU/160/H, 01069 Dresden Dresden, 10. Juni, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion. Die Polizei, Dein Feind und Helfer? PolizistInnen unter Druck. Mit Charles von Denkowski, Crime Prevention Solutions, Silvio Lang, Bündnis Dresden Nazifrei; Moderation: Uwe Ewald. Eine gemeinsame Veranstaltung des Europabüro der MdEP Dr. Cornelia Ernst und der RLS Sachsen. „Wir AG“, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 11. Juni, Donnerstag, 20.00 Uhr Vortrag und Diskussion. REIHE: Absolute Gegenwart. Nichts ist aufgehoben. Gedrängte Gegenwart. Mit Kerstin Stakemeier, freie Autorin und Juniorprofessorin (Akademie der Bildenden Künste München). Eine Reihe von EnWi mit Unterstützung der RLS Sachsen. Institut für Zukunft, An den Tierklinken 38-40, 04103 Leipzig

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 15.150 Exemplaren gedruckt.

Dresden, 16. Juni, Dienstag, 18.00 Uhr JUNGE ROSA. Dresden im Nationalsozialismus. Mit Gunnar Schubert, freier Journalist und Autor (Dresden). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Riecht es hier nach Mieterhöhung? - Was bringt die Mietpreisbremse? Mit MdB Caren Lay, Verbraucherpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Chemnitz, 16. Juni, Dienstag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion. Der schmale Grat - Widerstand im KZ Buchenwald. Mit Bernd Langer, KuK (Berlin). Eine gemeinsame Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und des Rothaus e.V. Chemnitz. Veranstaltungssaal Rothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz

Leipzig, 25. Juni, Donnerstag, 18.30 Uhr REIHE: ROSA L. IN GRÜNAU. Lenin als Philosoph. Mit Steffen Juhran, Leipzig. Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04207 Leipzig

Dresden, 18. Juni, Donnerstag, 16:40-18:10 Uhr Ringvorlesung: „Wir sind nicht rassistisch, aber ...“. Antiziganismuskritik und Kritik des „Antiziganismus“. Zur Analyse des Phänomens und zur Diskussion um den Begriff. Mit Markus End (Universität Hildesheim). TU Dresden, WEB/KLEM, Victor-Klemperer-Saal, Weberplatz 5, 01217 Dresden Leipzig, 18. Juni, Donnerstag, 18.00 Uhr Offener Gesprächskreis Jour Fixe. Ein unkonventioneller Gesprächskreis. Moderation: Prof. Dr. Klaus Kinner, Historiker (Leipzig) und Prof. Dr. Manfred Neuhaus, Historiker, Vorsitzender des Wissenschaftsbeirates der RLS Sachsen (Leipzig). RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 20. Juni, Sonnabend, 11.00 Uhr Junge akademische Reihe. Die Wiederkehr der Sozialfaschismusthese in maoistischen K-Gruppen. Mit Benjamin Schumann (Chemnitz). Eine Veranstaltung der RosaLuxemburg-Stiftung Sachsen mit dem Rothaus e.V. Veranstaltungssaal Rothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz Dresden, 24. Juni, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion.

Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter. Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773 Redaktionschluss: 27.05.2015 Die nächste Ausgabe erscheint am 02.07.2015.

Dresden, 25. Juni, Donnerstag, 16:40-18:10 Uhr Ringvorlesung: „Wir sind nicht rassistisch, aber ...“ Rassistische, rechtsmotivierte Gewalt in Dresden/Sachsen. Mit Andrea Hübler, RAA Sachsen - Opferberatung (Dresden). TU Dresden, WEB/KLEM, Victor-Klemperer-Saal, Weberplatz 5, 01217 Dresden Dresden, 25. Juni, Donnerstag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion. Nach der Befreiung: Zwischenstationen von „Displaced Persons“ in Mitteldeutschland. Mit René Bienert, M.A. Kulturhistoriker (Weimar). Eine gemeinsame Veranstaltung des HATiKVA e.V. und der RLS Sachsen. HATiKVA e.V. - Die Hoffnung, Bildungs- und Begegnungsstätte für Jüdische Geschichte und Kultur Sachsen, Pulsnitzer Straße 10, 01099 Dresden Leipzig, 25. Juni, Donnerstag, 20.00 Uhr Vortrag und Diskussion. REIHE: Absolute Gegenwart. The Absolute Present (some things about you, us, the future and death) Mit friendly fire, Theater- und Performancegruppe (Leipzig). Institut für Zukunft, An den Tierklinken 38-40, 04103 Leipzig Leipzig, 30. Juni, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion. Fragen der Selbstbestimmung am Ende des Lebens***. Mit PD Dr. Peter Fischer, Philosoph (Universität Leipzig). Modera-

Die Zeitung „Links!“ kann kostenfrei abonniert werden. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Erscheinen unserer Zeitung unterstützen. Kostendeckend für ein Jahresabo ist eine Spende in Höhe von 12 Euro. Sollten Sie an uns spenden wollen, verwenden Sie bitte folgende Kontodaten:

tion: Dr. Jürgen Stahl. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 5. Juli, Sonntag, 11.00 Uhr Exkursion. Steine und Namen Kulturhistorische Führung auf den Spuren der Familien von Stephan Hermlin in Chemnitz. Mit Dr. Jürgen Nitsche, Historiker (Chemnitz). Treffpunkt: Ecke HeinrichBeck- Straße/Ulmenstraße, 09112 Chemnitz Dresden, 9. Juli, Donnerstag, 16:40-18:10 Uhr Ringvorlesung: „Wir sind nicht rassistisch, aber ...“ Subjektivierung unter den Bedingungen von Alltagsrassismus - Implikationen für die pädagogische Praxis. Mit Astride Velho, u.a. wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Landshut/Fakultät. TU Dresden, WEB/KLEM, Victor-Klemperer-Saal, Weberplatz 5, 01217 Dresden Leipzig, 9. Juli, Donnerstag, 20.00 Uhr Vortrag und Diskussion. REIHE: Absolute Gegenwart. Das demokratische Subjekt und die Korruption der Zeit. Mit Jan Völker, wissenschaftlicher Mitarbeiter (Institut für Kunstwissenschaft und Ästhetik an der Universität der Künste Berlin) Visiting Lecturer (Bard College Berlin) Gastdozent (Institute of Philosophy, Scientific Research Centre in Ljubljana). Institut für Zukunft, An den Tierklinken 38-40, 04103 Leipzig Dresden, 23. Juli, Donnerstag, 16:40-18:10 Uhr Ringvorlesung: „Wir sind nicht rassistisch, aber ...“ Rassismus und die Frage nach sozialer Gerechtigkeit. Mit Prof. Dr. María do Mar Castro Varela, Professorin für Soziale Arbeit und Allgemeine Pädagogik an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Forschungsschwerpunkte: Dekolonisierungsprozesse, Resistance and Desire und Critical Education. TU Dresden, WEB/KLEM, Victor-Klemperer-Saal, Weberplatz 5, 01217 Dresden

Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07 BIC: GENODEF1DRS Bank: Dresdner Volksbank Raiffeisenbank Aboservice: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder 0351-84 38 9773


Rezensionen

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Kreativer „Störenfried“ rechnet ab Erich Mehlhorn ist es gewohnt, als „Störenfried“ zu gelten: Das war schon in der DDR so, wo er dem ZK der SED einen Brief schrieb, der den Parteisekretär der Schule, an der Mehlhorn u.a. als Schulleitungsmitglied für Musik und Schulbeauftragter für die FDJ-Arbeit wirkte, zu diesem Urteil veranlasste. Und das ist auch heute so, da Erich Mehlhorn das Buch „Wenn der Wind sich dreht. Die Macht der Scheinheiligen. Ein regionales Geschichtsbuch“ herausgebracht hat. Sein selbst erklärter Inhalt laut Exposé: „Das Buch schildert das feine Zusammenspiel von Erzgebirgsverein, Kirche, Stadtverordneten, Kreis-, Landes- und Bundespolitikern im Bemühen, die Koordinaten dieser Republik hin zu schwarzbraun zu verschieben.“ Wer das tut, hat nicht zu viele Freunde – aber ein „Einzelkämpfer“, wie ihn besagter Parteisekretär 1975 feindselig nannte, ist Erich Mehlhorn auch 2015 nicht. Seine scharfe Zunge findet off- wie online Fans und thematisiert sehr oft die Frage der Deutung der Vergangenheit für Handeln in der Gegenwart. Insbesondere die für Sachsens Zukunft bedeutende Frage, ob aus dem achthundertjährigen Erbe der Bergmannstradition eher die streitbar emanzipatorischen oder demütig-unterwürfigen Aspekte Beachtung finden. Die Leidenschaft und Empörung, die aus den Zeilen im Exposé spricht, durchzieht auch die eng bedruckten und reich bebilderten 322 Seiten des Buches. Ich lernte Erich Mehl-

horn kennen, als er gegen die Wiederauferstehung des braunen Horlemann-Spiels („So kröne auch den Führer unseres Reiches! Auch er ruht wurzelfest in seiner deutschen Erde in schwerstem Sturm. Er hält das

mäß“. Wer in Serie solche Unglaublichkeiten erlebt, dem sei auch seine bisweilen brachiale Sprache verziehen, die berechtigten Zorn zum Ausdruck bringt. Den Reigen der Ungeheuerlich-

führend übrigens zwei ehemalige SED-Genossen, was Mehlhorn – passend zum Titel des Buches – nicht verschweigt. In einem Protestschreiben der seinerzeitigen Fraktions- und Kreisvorsitzenden der PDS

1994. Bild: CDU Sachsen / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0

Auge hoch zu deinem Himmel und ist getreu. – Gemeinde: Den Führer segne, Herr, unser Gott“) anlässlich des 8. Deutschen Bergmannstages stritt. 1936 unter einem den „Deutschen Christen“ verbundenen Pfarrer auf die Bühne gebracht, wurde es 1995 vom nunmehrigen Schneeberger Pfarrer Meinel persönlich überarbeitet erneut präsentiert, denn sein Inhalt sei „äußerst dringend“ und „außerordentlich zeitge-

keiten beschließt das glücklicherweise nun doch einmal vereitelte ehrende Gedenken an „Friedrich Emil Krauß als Förderer der erzgebirgischen Volkskultur“, den Waschmaschinenproduzenten und NSDAP-Kulturwart Sachsens, die das Auer Erzgebirgsensemble 2007 in Kooperation mit dem Kultur-Eigenbetrieb des damaligen Landkreises AueSchwarzenberg in Szene zu setzen beabsichtigte. Feder-

wird das „Argument“, Krauß habe auch schöne Liedtexte verfasst, unüberbietbar gekontert: „Vergessen wir nicht: Hitler hat auch schöne Landschaften gemalt.“ Was eben kein Grund ist, eine Hitler-Gala zu veranstalten … Erich Mehlhorn ist in die jüngere Geschichte seiner Region nicht nur mit politischem Engagement, sondern auch mit professionellem Kulturmanagement eingegangen. Die Berg-

männischen Musiktage waren sein Markenzeichen, 1994 sogar mit Schirmherrschaft und Grußwort von Bundeskanzler Helmut Kohl bedacht. Wie dem Linken Mehlhorn Jahre später diese Veranstaltung faktisch entrissen wurde, ist eine kleine „Kriminalgeschichte“ für sich, ohne Verbrechen, aber doch reich an Untaten der politischen Kultur. Mehlhorn wollte mit seiner Bergmännischen Kulturagentur „dem sich schnell ausbreitenden Kulturprovinzialismus in Schneeberg“ und anderswo etwas entgegensetzen. All dies wird akribisch dokumentiert, wie auch jene himmelschreiende Doppelmoral beim politischen Umgang mit zwei Menschen mit gleicher MfS-Vergangenheit: Die berufliche Existenz des einen wurde vernichtet, der andere konnte sich im lokalen EntscheiderKreis ganz oben etablieren. Wie in einem lokalen Brennglas sächsische Verhältnisse: Die schwarzen BerufsverbotsListen gegen ehemals „staatsnahe“ Wissenschaftler Anfang der neunziger Jahre und nun ein Ministerpräsident aus vormaliger Führungsriege eines Rates des Kreises. Marcel Braumann Erich Mehlhorn, „Wenn der Wind sich dreht. Die Macht der Scheinheiligen. Ein regionales Geschichtsbuch“, 2015,18 Euro. Zu beziehen über den Autor: Erich Mehlhorn, MatthesEnderlein-Straße 6, 08297 Zwönitz. Mail: e-mehlhorn@t-online. de

Statt sozialem Klassenkampf tobt der nationale Existenzkampf Selten in der Geschichte der Europäischen Union haben die Mitgliedsstaaten ihre Ressentiments offener gezeigt, als dies derzeit im Wettstreit um Staatsfinanzierung, Flüchtlingsquoten und Wirtschaftswachstum geschieht. Und seltener hat der nationale Konkurrenzkampf das fehlende emanzipatorische Potenzial Europas so offengelegt. Dabei war die Emanzipation das Ideal, der Gründungsmythos der EU – ist die Geschichte Europas nunmehr nur noch als Verfallsgeschichte zu erzählen? Der Soziologe Hauke Brunkhorst zeigt sich in seinem neusten Essay „Das doppelte Gesicht Europas“ „hilflos, aber nicht ohne Hoffnung“, dass der offene Prozess des europäischen Projekts „erneut in eine emanzipatorische Richtung gelenkt werden kann“. Dabei habe die Vereinigung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg hoffnungsvoll begonnen,

doch von Anfang an zeigte sich der Einigungsprozess doppelgesichtig. Zur Unterscheidung der beiden – die europäische Verfassungsgeschichte bestimmenden – Denkweisen verwendet Brunkhorst die von Martti Koskenniemi und Kaarlo Tuori eingeführten Begriffe Kantian mindset und managerial mindset. Während Ersterer die politische Selbstbestimmung und demokratische Repräsentation des Rechts umfasst, bezeichnet Letzterer eine Instrumentalisierung und Technokratisierung des Rechts. Beide Logiken sind in dialektischer Weise aufeinander bezogen, sie bilden die widersprüchlichen Seiten der gleichen Medaille. Demnach resultiert das Geschick Europas aus einer Dynamik, in der das evolutionäre managerial mindset an das revolutionäre Kantian mindset angepasst wird, womit die emanzipatorischen Errungenschaften wie durch einen „Sperrklinkenef-

fekt“ geschützt werden. Im Zentrum dieses Aufsatzes wird der Wettkampf dieser beiden Denkweisen um die Entwicklung der Europäischen Union aus verfassungsrechtlicher Perspektive nachgezeichnet. In einem funktionalistischen Schema zeigt Brunkhorst die Umkämpftheit der europäischen Verfassungsentwicklung aus wirtschaftlicher, rechtlicher, politischer und sozialer Perspektive und konstatiert, dass die Technokratisierung gegen die Selbstregierung und politische Repräsentation nach Punkten und Toren vorn liegt. Es gilt die „Herrschaft der Verträge“ und seit Ausbruch der Krise 2008 die Verfassung des deutschen Großraums, die „riesige Exportüberschüsse erwirtschaftet, die Inflationsrate neurotisch flach hält und die Peripherie auf unabsehbare Zeit in die Flaute einer Deflation treibt“. Und auch die politische Verfasstheit ist

nicht besonders ermutigend. So steht das Europaparlament gleich von zwei Seiten unter Druck: durch das Kapital und die Mitgliedsstaaten. Und es bleibt ohnmächtig ohne den permanenten Druck und die massive Rückendeckung einer politisch aktiven und im Zweifelsfall kampfbereiten Öffentlichkeit, die nicht nur etwas zu reden, sondern auch etwas zu entscheiden hat. Und das europäische Sozialmodell? Auch hier, die soziale Differenzierung und Ungleichheit wächst, die Demokratie bleibt auf der Strecke. Die unteren Schichten der Bevölkerung gehen nicht wählen und versinken in Apathie, weil sie sowieso nichts ändern können. Nach der Analyse ruft Brunkhorst in konsequenter Weise zu einer Repolitisierung Europas auf und plädiert für die „Transnationalisierung des demokratischen Klassenkampfes“ mit all seinen Notwendigkeiten,

wie europäischer Öffentlichkeit, starkem Europaparlament und transnationalen Gewerkschaften mit der Möglichkeit europäischer Streiks. Erste politisch aktive Öffentlichkeiten haben sich ja schon auf den Straßen von Lissabon, Madrid und Athen gezeigt. Sie, die vielen gut ausgebildeten, aber arbeitslosen jungen Leute in den Ländern Europas, sind es auch, die die Hoffnung verbreiten, dass aus der heutigen Investorenverfassung doch noch eine wirksame Sozialstaatsverfassung Europas werde könnte. Ein sehr lehrreiches Buch, das eine gelungene politisch-historische Aufklärung leistet. Es ist anregend und fordernd und empfehlenswert! Andreas Haupt Hauke Brunkhorst: „Das doppelte Gesicht Europas“ – Zwischen Kapitalismus und Demokratie. Suhrkamp Verlag, Berlin, 216 S., 16 Euro


Die letzte Seite

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„Der singende Tresen“ trotzt „Kaltland“ 2002 stieß auch der Potsdamer Klarinettist Thorsten Müller dazu. Es folgten erste Auftritte in Clubs, Kneipen und auf Kleinkunstbühnen auch außerhalb Berlins. Und weil die Musiker al-

sich das Ensemble nicht ernähren, deshalb jobbten Matthias und Manja in einer Berliner Kneipe. Wenn sie sich eine Pause gönnten, musizierten sie hinter dem Tresen. Weil das fast jeden Abend so war, hatte das Stamm-

lesamt große Verehrer des von den Nazis ermordeten Dichters Erich Mühsam waren, organisierten sie in Eigeninitiative das erste „Mühsamfest“ mit Gastkünstlern in Spandau und über zweihundert Zuschauern. Von den geringen Gagen konnte

publikum alsbald einen Kosenamen gefunden: „Sieh mal da, der singende Tresen!“ Jetzt hatten sie einen passenden Bandnamen. 2002 kam es zur Zusammenarbeit mit dem in Berlin lebenden Satiriker und Buchautor Markus Liske, der durch

Bild: Andremallius / www.myspace.com/dersingendetresen

Sie spielen für ein Publikum, das Zuhören und Nachdenken nicht verlernt hat. Sie kreieren eine eigene Stilistik in musikalischer Vielfalt mit oft politischem Hintergrund, bewegen sich virtuos zwischen Chanson, Punk, Klezmer, Folk, Rock oder Freejazz. So weben sie mit der charismatischen Frontfrau und sensiblen Lyrikern Manja Präkels einen schwebenden Teppich, der ihrer Bühnenpräsenz, Interpretation und Performance eine geniale Plattform bietet. Die Band, die inzwischen aus fünf bzw. sechs Individualisten besteht, erfand sich bereits vor fünfzehn Jahren in Berlin, voller Idealismus, unabhängig vom Zeitgeist des Mainstreams. Die Mitglieder erarbeiteten ihre musikalisch-literarischen Programme stets in eigener Regie, oft bezugnehmend auf sozialpolitische Missstände. Begonnen hat das Abenteuer „Der singende Tresen“ 1995, als die junge, aus dem brandenburgischen Zehdenick kommende Sängerin und Poetin Manja Präkels Besuch von ihrem Schulkameraden und Freund Matthias Rolf bekam, der ihr ziemlich schüchtern gestand, dass er sich die Freiheit genommen habe, ihre Texte zu vertonen. Nach einigen Diskussionen am Biertisch begann eine fruchtbare Zusammenarbeit, die jedoch zur Erkenntnis führte, dass das Duo allein den Ansprüchen nicht genügte. So wuchs der Wunsch nach einem erweiterten Ensemble. Zum Glück war es in der Prenzlauer Berg-Szene nicht schwer, ein paar interessierte Mitstreiter aufzustöbern. Ein Akkordeonspieler sowie ein Bassist waren schnell gefunden,

seine Bühnenerfahrung dramaturgische Konzepte schuf. Das erste Konzeptprogramm nannte sich „Der etwas andere Heimatabend“ und beinhaltete brisante Themen wie Neofaschismus, Obdachlosigkeit und kleinbürgerlichen Opportunismus. Auch ihr zweites Programm – „Freier Fall für freie Bürger“ – widmete sich diesen Aspekten. Aufgeführt wurde es unter anderem beim „Festival Musik und Politik“ (Nachfolger des „Festivals des politischen Liedes“). Mit ihrer Kleinkunstrevue „Land unter“ gastierte die Gruppe beim „Brechtfestival“ in Augsburg, das auch auf CD unter dem Titel „Clowns im Regen“ erschien. Zwei Jahre zuvor produzierten sie beim gleichen Label ihr Debütalbum „Sperrstundenmusik“, dessen Liedtexte bereits im Buchformat vorlagen. Die Record Release fand am 8. März 2007 im ausverkaufen Roten Salon in der Volksbühne statt. Immer wieder suchten sie die Nähe zum Publikum, indem sie auch auf den Straßen spielte, wie zur „Grimmaer Liederflut“ oder beim „Nürnberger Bardentreffen“. Selbstverständlich waren sie bei politischen Aktivitäten präsent, bei Festivals und Kundgebungen wie „Sangerhausen bleibt bunt“ oder bei einer Sitzblockade gegen Nazis. Ihre dritte CD „Kein Teil von Etwas“ ist eine bitterböse Hommage an Berlin. Eröffnet wird das Konzeptalbum mit einer Eröffnungsrede von Markus Liske: „Sehr verehrte Damen und Herren, wir begrüßen Sie recht herzlich in unserer schönen Weltmetropole. Legen Sie jetzt bitte saubere Kleidung an, entsorgen

Sie ihre schlechten Angewohnheiten in die dafür vorgesehenen Behälter ...“ 2009 riefen Manja Präkels und ihr (inzwischen angeheirateter) Begleiter Markus Präkels die „Gedankenmanufaktur Wort und Ton“, in der ihre künstlerischen Projekte zusammenfinden, ins Leben: Die Tresenmusik, ihre Bücher und Bühnenprojekte. Ihr viertes Album erschien 2012, in Meisterwerk voll finsterem Hohn und Sarkasmus, eine sehr anspruchsvolle Platte mit rockjazzigem Flair in guter Punktradition. Das Album trägt den Titel „Ernste Musik“. Parallel zu ihren Tonträgern erschienen immer wieder Lyrikund Prosabände beider Autoren. Sehr zu empfehlen ist der Sammelband „Kaltland“ (2011, Rotbuch Verlag, Berlin), der sich den bis dahin kaum beachteten Opfern rechter Gewalt während und nach der Wende widmet. Anlässlich des Mühsam-Festes 2014 gaben Manja und Markus das Erich-Mühsam-Buch „Das seid ihr Hunde wert!“ heraus. Zeitgleich kam die CD „Der singende Tresen – Mühsamblues“ mit Neuvertonungen der Band auf den Markt. Am 26. September 2015 ist ein neues Festival angekündigt: „Vorsicht Volk“, mit Lesungen, Diskussionen, Konzerten und Film. Die Veranstaltung will kurz vor den offiziellen Feiern zum 25 Jahrestag der deutschen Einheit die dunklen Seiten dieses Jubiläums an den Tag bringen. Zum fünfzehnjährigen Bestehen von „Der singende Tresen“ ist ein Sonderkonzert geplant. Wir gratulieren im Voraus! Jens-Paul Wollenberg

haltserlaubnis“. „Wir glaubten genug zu tun, wenn wir europäisch dachten und international uns verbrüderten, wenn wir in unserer ... Sphäre uns zum Ideal friedlicher Verständigung und geistiger Verbrüderung über die Sprachen und Länder hinweg bekannten. Und gerade die neue Generation war es, die am stärksten dieser europäischen Idee anhing“. Hallo ERASMUS-Jugend!, denkt man, wenn man 2015 diese Beschreibung des Jugendlebens von vor 1914 liest. Auch heute gibt es diese jungen Menschen, die wie damals allzu oft vergessen, dass sie einer kleinen elitären Schicht angehören, während die Masse kaum über den Gartenzaun hinausblickt, sich die Ketten in Abwehr des/der Fremden enger schließen, eine kleine Gruppe die große Weltoffenheit fordert. Die Zerschlagung des österreichischen Großreiches gebar viele kleine

aggressive Nationalismen. Das ist das gefährliche Substrat, das übrig bleibt, wenn man ein Jugoslawien, eine Sowjetunion, ein Syrien oder Libyen zerschlägt. Es ist falsch, Zweig in die pazifistische Ecke zu stellen – in England erkannte er durchaus, dass Chamberlains Haltung „Frieden unter jeder Bedingung“ den Kriegstreibern freie Hand gab. Es genügt heute nicht, den Flüchtlingen zu helfen, nachdem ihnen die Möglichkeit zur Existenz in der eigenen Heimat genommen wurde. Eine Stabilität in allen Ländern ist unabdingbar, soll die Welt nicht zum dritten Mal in eine Katastrophe abgleiten. Dieser Krieg wäre viel verheerender als der Erste und der Zweite Weltkrieg zusammen. Günter Grass hat bei seinem letzten Interview davor gewarnt. Stefan Zweig hätte ihm wohl zugestimmt. Ralf Richter

Stefan Zweig: Die Welt von gestern Die „Erinnerungen eines Europäers“ erschienen beim Fischer Taschenbuchverlag 2014 in der 41. Auflage – die Erstausgabe kam 1942 posthum im Bermann-Fischer-Verlag zu Stockholm heraus. Seinen am 22. Februar 1942 im brasilianischen Petropolis geschriebenen Abschiedsbrief findet man heute im Internet. Er endet mit dem Absatz: „Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus“. Das ist Zweig, wie ich ihn in „Die Welt von gestern“ kennen und schätzen gelernt habe: Auch im Allerletzten noch kritisch sich selbst reflektierend. Ich suchte nach der Lektüre des Buches erst die Biographie und stieß dann auf den Brief, seinen letzten. Inzwischen ist man weiter gekommen in Brasilien: Sein letztes Haus ist Museum geworden.

Müsste es nicht, habe ich bei der Lektüre gefragt, einen Preis für Autoren geben, die sich im Sinne Stefan Zweigs für die Einheit Europas stark gemacht haben? Für Menschen, die sich für ein friedliches gemeinsames „Haus Europa“ eingesetzt haben? Zweig beschreibt, wie die Welt aus einer langen Phase der Stabilität ins Chaos abgleitet. Zweimal hintereinander! Was hatte man vor 1914 an wirklich großen Kriegen erlebt? Aber es gab – und da kommen Erinnerungen an die Zeit vor 1989 in Europa hoch – eine Phase sehr großer Stabilität, in der jeder seinen Platz hatte, im Prinzip sicher wusste, was in den nächsten Jahren geschehen würde. Eine sichere Währung, ein sicheres Auskommen auf der Basis einer (scheinbar) sicheren Weltlage – und dann erlebt diese Zweig-Generation, die sich so wohlfühlt, sofern sie in der gutbürgerlichen Welt verankert

ist, zwei Weltkriege ungeahnten Ausmaßes. Wirklich alles, woran man geglaubt, worauf man vertraut hat, zerbricht. Zweig war Österreicher – und nicht irgendein „Randösterreicher“, sondern Wiener. Wer dort bis 1914 lebte, konnte – von Paris abgesehen – das Gefühl haben, im Zentrum der europäischen Welt zu sein. Denn dieses Österreich-Ungarn war ein riesiger Staat mit vielen Völkern. Mit einer Währung, einer Armee – und einem Kaiser an der Spitze. Ein tausendjähriges Land, in dem seit 700 Jahren die Habsburger herrschten. Was konnte da schief gehen? Es ist erschütternd, zu lesen, mit welch unbedingtem Glauben an Europa viele junge Menschen vor 1914 durch die Welt zogen. Damals, als es keine Pässe gab, Staatsangehörigkeiten beinahe unbekannt waren, niemand wusste, was ein Visum ist oder eine „Aufent-


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Juni 2015

Sachsens Linke

Michael Leutert beleuchtet im Interview die Hintergründe des G36-Skandals. Cornelia Falken beschreibt jene des sächsischen Lehrermangels, den die Staatsregierung bestenfalls halbherzig angeht.

Martin Bretschneider liefert einen Eindruck vom diesjährigen Pfingstcamp des Jugendverbands im tschechischen Doksy.

Cornelia Ernst analysiert das Sterben im Mittelmeer, André Hahn die Aufklärung im NSA-Untersuchungsausschuss.

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Ein Angebot mit Zukunft

Milieus verstehen, Wahrnehmungsfilter durchdringen! DIE LINKE hat die Zukunft wiederentdeckt – mit Sorge um sie. Das ist auf fruchtbaren Boden gefallen. Die Debatten wuchern, Konferenzen jagen sich. Offensichtlich steht es nicht so gut um die Gegenwart – nicht in der Gesellschaft und nicht in der LINKEN. Wer über die Zukunft bestimmen will, muss in der Gegenwart anfangen! Wir brauchen einen „genauen Plan“, eine Strategie für unseren Weg in die Zukunft. Die bisherigen Beiträge zur Strategiedebatte zeigen: Ausgangspunkt, Ziel, Weg, Bedingungen und Möglichkeiten sind sehr verschieden beschrieben und bestimmt. Es ist die Frage zu beantworten, warum das so ist. Die Kategorien „wahr“ und „falsch“ an den Anfang gesetzt bringen uns da nicht weiter. Sehr wohl geht es aber um „eine Koordinierung der verschiedenen Wege in ein Allgemeines der Emanzipation“ (Alex Demirovic). Die gegenwärtige Debatte zeigt, dass hierbei das Konzept der Milieus recht nützlich sein kann. Es ist das Milieu im allgemeinen Verständnis (vgl. DUDEN, Deutsches Universalwörterbuch) das soziale Umfeld, die Umgebung, in der ein Mensch

lebt und die ihn prägt. Simpel gesagt, sind Milieus jene „Umgebungen“, in denen man sich wohl fühlt, wenn es das eigene Milieu ist, und in denen man sich nicht wohl fühlt, wenn es fremde sind. Jedes Milieu hat seine eigenen Wahrnehmungsfilter und seine eigene Sprache. Solche verschiedene Milieus finden wir in der Gesellschaft und wir finden sie natürlich auch in unserer Partei. Sie verantworten nicht unwesentlich die Unterschiede. Wir wissen vom Hauptwiderspruch kapitalistischer Gesellschaftsordnung, wir wissen vom Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit. Wir wissen aber auch, dass die Arbeit nicht automatisch auf unserer Seite ist, wenn wir uns auf ihre Seite schlagen. Die Gesellschaft ist über ihre Tiefenstruktur hinweg sehr komplex und kompliziert gestaltet, differenziert, zerrissen, in gegenseitiger Durchdringung und Abhängigkeit zugleich sozial zerklüftet. Sie ist herrlich bunt! Das ist kein Nachteil! Es kann eine Chance sein für Demokratie, sich von der Grundstruktur kapitalistischer Produktionsweise zu emanzipieren. Der bunten Welt entspricht ein buntes Volk.

Natürlich gibt es in der Gesellschaft Milieus, die nicht die unseren sind. Neurechte, Antisemiten, TrägerInnen völkischen Gedankenguts gehören Milieus an, die wir auflösen wollen. Es gibt aber Milieus, die sich deutlich unterscheiden und dennoch für uns gleichermaßen bedeutsam sind. Wir sollten sie nicht gegeneinander ausspielen! Es ist und bleibt also eine strategische Frage, welche Milieus wir ansprechen wollen und wie wir sie jeweils ansprechen können. Unsere Attraktivität, unser Gebrauchswert, unsere politischen Zielstellungen usw. müssen durch die jeweiligen Wahrnehmungsfilter hindurch bei den Menschen ankommen. Diese Wahrnehmungsfilter müssen wir akzeptieren und analysieren, dürfen sie nicht von vornherein denunzieren; gerade dann nicht, wenn wir sie auf Dauer verändern wollen. So viel in aller Kürze zur Gegenwart. Strategie braucht aber auch Ziele, Utopien. Linke Utopien dürfen keine Utopien widerspruchsfreier gesellschaftlicher Zustände sein. Gesellschaft wird, ja soll sich immer verändern. Dazu braucht sie die Widersprüche. Ohne Ver-

änderung wäre jede Gesellschaft nur mehr langweilig, tod-langweilig. Unsere Utopien, linke Utopien sollen voller Widersprüche sein, aber ohne Unmenschlichkeit, friedlich, ohne Herrschaft, ohne Ausbeutung, wohl aber voller gegenseitiger Verantwortung und Solidarität. Der produktive Grundwiderspruch soll der sein, „worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“ (Marx/ Engels). Durch seine permanente Reproduktion soll sich Geschichte fortsetzen. Unsere Utopien sollen niemals ein Finale der Geschichte anstreben, sondern den Anfang markieren, auf neue Art Geschichte zu machen. Sie sollen ermutigen, den Weg dahin zu gehen. Erich Kästner hat einmal gesagt: „Es gibt nicht nur die ewig Gestrigen, es gibt auch die ewig Morgigen“. So wenig wie wir unsere strategischen Ziele in der Vergangenheit finden werden, so wenig taugt politisch ein ewiges Vertrösten auf die Zukunft. Der Weg zum noch so entfernten Ziel beginnt bekanntlich immer mit dem ersten Schritt. Peter Porsch

Wenn am 7. Juni die WählerInnen zum ersten Wahlgang der Landrats- und Bürgermeisterwahlen gerufen werden, erwartet sie meist eine Premiere: In einigen Kreisen und in Dresden treten wir diesmal mit parteiübergreifenden Kandidierenden an. Gemeinsam mit den Grünen, etwas seltener mit der SPD und mancherorts mit den Piraten unterstützen wir Kandidaturen, um die CDU-Landräte herauszufordern und in Dresden eine Oberbürgermeisterin zu stellen. Werden wir erfolgreich sein? Ich behaupte: Wir waren es schon – indem es vor Ort gelungen ist, solche Bündnisse gemeinsam zu schmieden. Und das ganz ohne Hilfe der Landesebene. Wollen wir Bündnisse für eine andere Politik entwickeln, müssen diese von unten wachsen. Ich freue mich, dass es bei diesen Wahlen erstmalig in dieser Größenordnung gelungen ist. Was mich jedoch besonders freut, ist das Portfolio der LINKEN Kandidierenden: Es straft all diejenigen Lügen, die für unsere Partei das Bild einer überalterten Organisation mit Verfallsdatum zeichnen. Wie oft hat man uns eigentlich schon totgesagt? Pustekuchen. Ja, man kann von einem Generationswechsel sprechen: Das Bild unserer Kandidierenden ist eines mit Zukunft. Ob mit Parteibuch oder ohne, sie eint die Überzeugung, mit und für DIE LINKE engagiert in den Wahlkampf zu ziehen und Perspektiven für den ländlichen Raum aufzuzeigen. Alle Kandidierende sind ein Angebot mit Zukunft, nicht nur für diese, sondern auch für kommende Wahlen.


Sachsens Linke! 06/2015

Meinungen Zu „Akademisierungswahn – Nida-Rümelin rechnet ab“, Links! April 2015, Seite 7 Heute ist Hochschulbildung durch staatliche Restriktionen zu einer Ware für Reiche geworden. BAföG gibt es, wenn überhaupt, nur noch für das Erststudium, und es reicht oft nicht für den Lebensunterhalt. Langzeitarbeitslosen werden bei der Aufnahme eines Direktstudiums von den Jobcentem bei Hartz 4 einschließlich der Kosten für die Unterkunft auf null sanktioniert. Für das Zweit-, Dritt- und Viertstudium gibt es kein BAföG mehr. In der Regel können nur Reiche auf ein Vermögen zurückgreifen, von dem sie fünf Jahre lang leben können. Um bei der umfassenden Akademisierung der Gesellschaft vorwärts zu kommen, brauchen wir einen grundlegenden Kurswechsel in der Bildungspolitik. An die Stelle des gegliederten und selektierenden Schulsystems muss eine Gemeinschaftsschule treten, in der alle Kinder von der 1. bis zur 14. Klasse gemeinsam lernen und in der die Schwerpunkte auf die MINTFächer einschließlich höherer Mathematik gelegt werden. Bis zur 14. Klasse soll der Bildungsstand des heutigen Vordiploms bzw. Bachelors auf der Basis einer breit angelegten Allgemeinbildung erreicht werden. In der Schule mit Klassenstärken von 20 bis 25 Schülern sind die Bedingungen für die Aneignung grundlegender Fähigkeiten und Fertigkeiten ungleich günstiger als an einer Hochschule, wo schon mal ein Kinosaal mit 700 Sitzplätzen zum Klassenzimmer wird. Mit den in der Schule erworbenen grundlegenden Fähigkeiten dürfte das eigentliche Hochschulstudium dann leichter fallen, da im Prinzip die in der Schule erlernten Kenntnisse nur noch auf die gewählte Studienrichtung angewendet werden. Damit könnte die Zahl der Studienabbrecher aufgrund von Überforderung auf null zurückgefahren werden. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen und einem kostenlosen Zugang auch zur Hochschule müsste auch niemand mehr ein Studium aus finanziellen Gründen abbrechen. Auch wenn Nida-Rümelin einräumt, dass heute auch ein Hochschulab-

solvent, idealerweise mit Doktorabschluss, auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr garantiert eine hochqualifizierte Arbeit bekommen kann, darf daraus nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass diese Menschen von vornherein von der Hochschulbildung ausgeschlossen werden sollen. Sie dürfen auch nicht stattdessen in eine sinnlose „Bildungskarriere“ aus von den Jobcentern angebotenen, wirkungslosen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen werden. Eine gute Hochschulbildung steigert auch das Selbstwertgefühl der Menschen, und mit einem bedingungslosen Grundeinkommen kann das an der Hochschule Erlernte im Fall von Arbeitslosigkeit nach dem Studium auch sinnvoll im eigenen Hobby verwertet werden. Das ist allemal besser als eine Trinkerkarriere an der Tankstelle! Ulrich Neef, Plauen

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Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.

Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V.,

Zu „Methoden politischer Kommunikation entwickeln“, Sachsens Linke! 05/2015, S. 2) Ich kenne mindestens drei Gruppen, die nicht die LINKE wählen, obwohl sie mit ihren politischen Zielen übereinstimmen. Das sind zum einen Linke, denen die LINKE zu angepasst ist (z. B. Aufgabe von Haltelinien zugunsten von Regierungsbeteiligung, teilweise Befürwortung von Bundeswehreinsätzen im Ausland) bzw. die sogar der Meinung sind, ohne starke soziale Bewegungen könnte die LINKE auch keine prinzipiell andere Politik als die Regierungsparteien machen. Ähnlich denkt die zweite Gruppe. Das sind diejenigen sozial Benachteiligten, die davon ausgehen, dass die Systemparteien sowieso über ihre Köpfe hinweg entscheiden. Zu diesen Parteien zählen sie auch die LINKE. Deshalb bringt es für sie nichts, zur Wahl zu gehen. Egal, wie sie wählen, für sie ändert sich subjektiv sowieso nichts. Es gibt eine teilweise Überschneidung mit der dritten Gruppe. Sie beschäftigt sich aus verschiedenen Gründen, z. B. wegen existenzieller Nöte und geringer Einflussmöglichkeiten, eher nicht mit Politik. Für Informationen ist sie auf die systemtragenden Mainstreammedien angewiesen. Von der dort verbreiteten Hetze gegen

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Hände weg vom AJZ Chemnitz! In der letzten Stadtratssitzung in Chemnitz kam es zu einem mittleren Skandal. Anlass war ein Antrag von Pro Chemnitz (ehemals Republikaner, Anmelder

von mehreren Nazidemonstrationen), dem Alternativen Jugendzentrum alle städtischen Fördermittel zu streichen, weil „ein Hort des Linksextremismus“ sei und dort Punkbands verfassungsfeindliche Texte verbreiteten. Nun ist von der hinteren rechten Ecke des Stadtrates nichts anderes zu erwarten. Doch dass die CDU auf diesen Antrag mit „draufhüpft“ und einen Ersetzungsantrag stellt, kam für viele doch überraschend. Nach Meinung der CDU müssten die Vorwürfe geprüft werden. Dazu sollen auch „Informationen seitens des Verfassungsschutzes“ eingeholt werden. Also von der Institution, die dass AJZ in die linksextreme Ecke stellt, ohne Quellen benennen zu können. Von der Institution, die es gleichzeitig nicht schafft, rechtsextreme Organisationen zu beobachten. Katrin Pritscha hat im Namen der Fraktion DIE LINKE deutlich gemacht, dass das AJZ eine wichtige Einrichtung ist, die mehr für das demokratische Verständnis von jungen Menschen getan hat als andere Vereine. Auch anderes spricht klar und deutlich gegen die Anträge von Pro Chemnitz und der CDU: die Kunstfreiheit; die Tatsache, dass keine der genannten Punkbands auf dem Index stehen oder vom Verfassungsschutz beobachtet werden; die Tatsache, dass das AJZ im Bereich der Jugendarbeit und Stadtentwicklung eine wertvolle Arbeit leistet, die wir nicht leichtsinnig aufgeben dürfen. Auch die Oberbürgermeisterin hatte die CDU darum gebeten, noch einmal zu überlegen, ob sie diesen Antrag aufrechterhält. Vor allem auch, weil zwei Tage später der 70. Jahrestag der Befreiung begangen wurde. Die CDU hielt aber an ihrem Antrag fest, der dann wie jener Antrag von Pro Chemnitz mit großer Mehrheit abgelehnt wurde. Die CDU hat eine Grenze überschritten, die fraktionsübergreifend galt: dass niemals Anträgen von Nazis zugestimmt wird oder Änderungsanträge dazu gestellt werden. Wie auf Landesebene merkt man immer stärker auch auf kommunaler Ebene, dass die CDU nach rechts driftet. Ob das Vorgehen im Chemnitzer Stadtrat einmalig war oder es eine Zusammenarbeit mit Pro Chemnitz geben wird, muss sich zeigen. Ich hoffe, dass sich die CDU wieder auf ihre „demokratischen Werte“ besinnt. Sabine Pester, Chemnitz

Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­lage von 15.150 Exp. gedruckt.

Ralf Richter, Stathis Soudias.

Redaktionsschluss 27.05.2015

Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio.

Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 02.07.2015.

Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt,

Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720

Linke ist sie nicht unbeeinflusst. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, diese drei Gruppen davon zu überzeugen, links zu wählen. Uwe Schnabel, Coswig Keine Konzentration der Macht (Doppelt hält besser) Mit dem Betreten politischen Neulandes in Thüringen durch DIE LINKE, aber auch dem missglückten Start in eine Definitionsdebatte zur DDR, folgten mehr oder weniger unaufgeregte 100 Tage des roten Ministerpräsidenten. Die notorischen Anfeindungen nicht bewertet, zeichnen sich erste substantielle Erfolge der rot-rot-grünen Landesregierung ab. Gute Ergebnisse verleiten leider zu Realitätsverlusten und zur Unterschätzung von Garanten des Erfolges. Dazu zählt eine breite sowie engagierte Mitwirkung von Mitgliedern und Sympathisanten in Führungspositionen. Die Fraktionsvorsitzende Susanne Henning-Wellsow begibt sich mit ihrer Ankündigung, Fraktionsvorsitzende und Vorsitzende des Landesverbandes werden zu wollen, auf einen Irrweg, der sich fernab von der sinnvollen Nutzung einer demokratischen Vielfalt sowie der effektiven Nutzung personeller sowie geistiger Ressourcen der Partei befindet. Sicher ist es oft einfacher, wenn eine(r) alle Fäden in der Hand behalten will. Ob es aber auf die Dauer erfolgreicher ist, darf stark bezweifelt werden. Mal abgesehen, dass bewährte Grundsätze der Partei ausgehebelt werden sollen, bleibt auch der moralisch sehr bedenkliche Beigeschmack der Konzentration der Macht auf eine Person. Wir werden dann den anderen Parteien in ihrer Machtausübung und Machtmissbrauch immer ähnlicher. Raimon Brete, Chemnitz Zu „Bei Friedensfragen klare Kante zeigen!“ (Sachsens Linke! 05/2015, S. 1) In Dresden haben wir es bei der Montagsfriedensmahnwache allein durch Diskussionen am offenen Mikrofon geschafft, dass sich Reichsbürger, RechtsNicht-von-Links-Unterscheider und sonstige Rechte seit Monaten nicht mehr zu Wort gemeldet haben. Antideutsche konnten über die Lehren von Marx aufklären. Aber als sie Kriegshetze betrieben, ernteten auch sie Widerspruch. Sie rächten sich dadurch, dass sie beim fol-

genden Mal zu stören versuchten und die übrigen Anwesenden verleumdeten. Als sie auch damit nicht durchkamen, blieben sie fern und warfen nur von fern der Montagsmahnwache Antisemitismus vor. Sie weigerten sich aber im Regelfall, trotz mehrfacher Angebote, zu diskutieren oder ihre Behauptungen zu belegen. Lediglich Einzelpersonen aus dem Antifa-Spektrum versuchten, eine Verständigung zu erreichen. Dafür kamen andere Linke, die die übrigen Anwesenden über Kapitalismus und Klassenkampf immer wieder aufklären. Somit ist die Montagsfriedensmahnwache in Dresden eindeutig links dominiert. Eine generelle Abgrenzung von Linken von allen Montagsfriedensmahnwachen ist deshalb sachlich nicht gerechtfertigt. Rita Kring, Dresden Zu „Wo wir stehen und was getan werden sollte“ (SachsensLinke! 05/2015, S. 4) Die Verfasser weisen auf sieben Themen hin, denen DIE LINKE ihre Kraft zuwenden soll, und stellen in elf Thesen die Herangehensweise dar, mit der zu den Zielen zu gelangen ist. Sicher ließe sich weiter streiten um Rangordnungen in den Zukunftsaufgaben oder um weitere bedeutende Gebiete. Täglich werden wir sowieso vor neue bzw. sich verändernde Herausforderungen gestellt. Meiner Ansicht nach fehlte bisher in allen diesen Diskussionen der Zentralpunkt, sozusagen der vereinende Pol, von dem aus alle Zukunftsaufgaben anzugehen sind, und zu dem alle Anstrengungn immer wieder zurückgehen. Dieser Pol sollte das Grundgesetz sein: Es gilt, seine schon lange währenden Verletzungen und Missachtungen im Rahmen von Neoliberalismus und Turbokapitalismus anzuprangern und zu stoppen, schrittweise seinen vollen Inhalt wieder wirksam werden zu lassen, es von den meisten seiner Einschübe wieder zu befreien und zu dem vorgesehenen Ziel zu führen, dass sich das Volk selbst in Ausübung direkter Demokratie seine Verfassung gibt. Klaus Fiedler, Radeberg


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„Das G36 ist kein Einzelfall“ Nikolas Tosse sprach für „SachsensLinke!“ mit dem Bundestagsabgeordneten der LINKEN, Michael Leutert, über die Sturmgewehr-Affäre der Bundeswehr. Seit Wochen steht die Bezeichnung „G36“ nicht mehr nur für ein Gewehr. Sie steht für einen weiteren politischen Skandal im Bundesverteidigungsministerium. Worum geht es dabei? Es geht um das Standardgewehr der Bundeswehr. Die Treffgenauigkeit des G36 sinkt bei Erwärmung ganz erheblich. Von dieser Waffe hat das Verteidigungsministerium seit Mitte der neunziger Jahre rund 170.000 Stück bei der Rüstungsfirma Heckler & Koch gekauft. Knapp 200 Millionen Euro hat dies die öffentliche Hand gekostet. Der Skandal daran ist, dass das Ministerium bereits vor Jahren Bescheid gewusst, die Informationen aber lange verheimlicht hat. Welche Hinweise hat es gegeben, dass das G36 Mängel hat, und seit wann? Zahlreiche. Bereits 1993, als das Anforderungsprofil für das G36 festgelegt wurde, gab es interne Warnungen, dass aufgrund der geplanten schnellen Anschaf-

fung die Zeit zur Erprobung nicht ausreiche. Passiert ist daraufhin nichts. In den Jahren ab 2010 häuften sich die Hinweise, dass das G36 bei Erwärmung erhebliche Probleme macht. Das wurde mehrfach in Untersuchungen von Dienststellen des Verteidigungsministeriums bestätigt, doch passiert ist wieder nichts. Mehr noch: Mittlerweile wird immer deutlicher, dass von Heckler & Koch und aus dem Ministeriums-Apparat versucht worden ist, die negativen Testergebnisse nicht nach außen dringen zu lassen und kritische Medienberichte zu verhindern.

ins Rollen brachte, in Auftrag gegeben und uns zuständigen Abgeordneten auch hunderte Dokumente zum G36 zukommen lassen. Wir müssen die sonsti-

machen. Vor allem aber lenkt die Kritik an von der Leyen vom eigentlichen Problem ab: den Verbindungen zwischen Rüstungsindustrie und Politik, in diesem

Wenn es bereits so früh deutliche Hinweise gegeben hat, dass das G36 schwerwiegende Mängel hat, kann das aber kaum allein der heutigen Verteidigungsministerin von der Leyen angelastet werden, oder? 1993 hieß der verantwortliche Minister Volker Rühe von der CDU. Ab 2010 waren es KarlTheodor zu Guttenberg und Thomas de Maiziere, beide CDU/ CSU. Gerade während der Amtszeit der letzten beiden waren die Mängel des G36 im Ministerium bekannt. Von der Leyen dagegen trifft wenig Schuld an der Misere. Im Gegenteil: Sie hat den Prüfbericht, der im April alles

ge Politik der Ministerin nicht mögen, um zu erkennen, dass es hier nicht zuletzt darum geht, eine potentielle Kanzlerkandidatin im internen Machtspiel der Regierungskoalition zu beschädigen. Da müssen wir nicht mit-

Fall dem in Jahrzehnten gewachsenen Filz zwischen Heckler & Koch und dem Apparat im Verteidigungsministerium. Linke Politik muss zum Ziel haben, hier aufzuklären und zu einer dauerhaften Veränderung jener Struk-

turen beizutragen, die den Skandal um das G36 erst möglich gemacht haben. Wie soll das geschehen? Plädierst Du für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses? Nein, dafür ist ein Untersuchungsausschuss mit seinem begrenzten Auftrag nicht geeignet. Wir müssen uns vor Augen halten, dass das G36 kein Einzelfall ist. Sämtliche Rüstungsgroßvorhaben der letzten Jahrzehnte sind völlig aus dem Ruder gelaufen. Keines ist rechtzeitig fertig geworden, fast alle weisen zum Teil erhebliche Mängel auf, und alle sind teurer geworden als geplant. Und das alles, ohne dass die Hersteller dafür haftbar gemacht werden können, weil sie meist eine Monopolstellung innehaben und diese ausnutzen. Mein Vorschlag ist deshalb die Einrichtung einer Enquetekommission. Sie hat vor allem zwei Vorteile: Sie tagt öffentlich, und sie kann unabhängige Experten als vollwertige Mitglieder umfassen. Dort sollen Vorschläge für die dauerhafte Beseitigung der Seilschaften von Rüstungsindustrie und Politik sowie für eine wirkungsvolle Kontrolle von Rüstungsprojekten erarbeitet werden. Das Problem muss grundsätzlich angegangen werden.

Politische Tätigkeit und Bildung gehören zusammen Die Frühlingsakademie der LINKEN ist eine feste Institution. In diesem Jahr fand sie vom 13.-17. Mai im TagungsCampus Bauhausdenkmal in Bernau-Waldfrieden bei Berlin statt. Sie stand unter dem Thema „Die große Unsicherheit bekämpfen! Prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse und Krise des politischen Systems – Linke Gegenstrategien“. Selbstredend beschäftigte sie sich dabei mit dem Themenkreis unserer Kampagne „Das muss drin sein“ und der Zukunftsund Strategiedebatte. Mehr als 100 Teilnehmer aus 14 Landesverbänden arbeiteten und diskutierten in 15 Veranstaltungen und vier ganztägigen Workshops die Ursachen der gesellschaftlichen Verunsicherung und mögliche politische Reaktionen der LINKEN. Prof. Klaus Dörre von der Uni Jena gab den Einstieg mit detaillierten Ausführungen zur Prekarität als sozialer Grundfrage des 21. Jahrhunderts. Die Erscheinungen sind bekannt: Zunahme der Arbeitsintensität und Verlängerung der Arbeitszeit bei immer mehr außertariflicher Beschäftigung und unwürdiger Arbeit, Dum-

ping-Entgelte. Das hat auf die Lebens- und Familienplanung gravierende Folgen – es gibt sie für die Betroffenen nicht! Prekäre Beschäftigungsarten dringen bereits weit in Kernbereiche traditioneller Beschäftigung ein. Hartz IV wirkt sehr effektiv als Droh-Kulisse für die Noch-Beschäftigten. Verrohung und Konkurrenz auch unter abhängig Beschäftigten nehmen zu – Entsolidarisierung als Bedingung des neoliberalen Modells erfolgreich. Und es gibt z. B. unter Führungskräften und Sachbearbeitern eine über 50 % gehende Zustimmung zu einer solchen sozialen „Auslese“ (Sozialdarwinismus), bei der immer viele auf der Strecke bleiben, weil nicht alle existenzsichernd in gute Jobs kommen können. Das ist höchst bedenklich. Hier braucht es eine neue Solidarität, die nur über (politische, gewerkschaftliche etc.) Bildung und Aktivität geschaffen werden kann. Gegenwärtig erfüllen die ALG II-Empfänger innenpolitisch die gleiche Funktion wie die „faulen Griechen“ in der Krisendebatte auf europäischer Ebene. Tatsachen helfen wenig, die neoliberale Verunglimpfung wirkt.

Besonders wichtig aber ist die Erkenntnis, dass das repräsentative politische System diese Betroffenen-Gruppen nicht hinreichend repräsentiere. Aber die Krise der politischen Repräsentation, so auch der Titel einer Veranstaltung und eines ganztägigen Workshops, reicht viel weiter: Seit den 70er Jahren gibt es eine klare, abnehmende Tendenz bei der Wahlbeteiligung, die Widersprüche zwischen Volk (Befragungen, Studien) und Regierung (politische Entscheidungen, Gesetze) nehmen zu, der Politikbetrieb verselbständigt sich, eine wirkliche Volksvertretung sind die Parlamente nicht. Das verhindert der berufspolitische Betrieb. Damit sinkt die demokratische Legitimation politischer und gesetzgeberischer Entscheidungen. Denn Menschen, die nie anders als in der Politik beruflich gearbeitet haben, können keine Vertreter der verschiedenen und sich über die Jahrzehnte in Zusammensetzung und Interessen ändernden gesellschaftlichen Gruppierungen sein, denn sie repräsentieren keine von diesen. Vielmehr schließt Berufspolitik gerade die echte Repräsentanz der ver-

schiedenen gesellschaftlichen Gruppen durch eigene Vertreter aus. Nichtsdestoweniger besteht die gesetzlich abgesicherte Legalität dieses Politikbetriebes jenseits eines wirklichen Volkswillens. In diesem Spannungsfeld muss DIE LINKE Wege finden für ihr Demokratieverständnis von der Basis der Gesellschaft her. Selbstermächtigende Mitbestimmung ist unter den gegebenen Voraussetzungen nur zu entwickeln, wenn es gelingt, diesen Gruppen eine eigene Repräsentation in den Parlamenten zu verschaffen. Dazu müssen sie politisch aktiviert und gebildet werden. Ihre Abwendung vom politischen System ist für DIE LINKE kein hinnehmbarer Zustand. Es gibt niemanden für diese Aufgabe, wenn es nicht DIE LINKE tut. Und DIE LINKE kann nur hierdurch ihre politische Rolle verstärken. Dabei hat sie in ihren Binnenstrukturen alle Probleme, die die systemkonformen Parteien des bürgerlichen Lagers auch haben, wie es schon 2010 Prof. Roland Roth in einer internen Veranstaltung feststellte. DIE LINKE muss eine neue innere Beteiligungskultur entwickeln,

die „Repräsentation“ wieder authentischer macht. Dafür ist „Berufspolitik“ keine Lösung, sie widerspricht der Selbstermächtigung Betroffener! Dazu gehört unbedingt ein breiteres System der politischen Bildung der Mitglieder, so waren sich die Teilnehmer der Frühlingsakademie mit dem Vorsitzenden Bernd Rixinger einig. Wenn in einer mehrheitlich von Rentnern zusammengesetzten Basisgruppe gefragt wird, was „Prekarität“ ist und (wegen dieses Begriffes) ob man nicht deutsch reden könne, dann zeigt das zum einen, dass trotz souveräner Zeitverfügung nicht unbedingt die Politik und Standpunkte der eigenen Partei ausreichend zur Kenntnis genommen werden, und zum zweiten die Größe der innerparteilichen Bildungsaufgabe. Fünf Jahre sind vergangen seit Prof. Roths Mahnung, nicht viel ist hier geschehen. Vielleicht ist die Zukunfts- und Strategiedebatte der lang notwendige Aufbruch. DIE LINKE hat noch sehr viel zu tun, bis sie eventuell eine Trendwende für sich schafft. Ralf Becker, Grundsatzkommission DIE LINKE Landesverband Sachsen


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Nach 25 Jahren ist alles besser Neulich traf ich mich mit meiner Tochter Hannah zum 25. Jahrestag des Aufbruchs in eine neue Gesellschaft. Nachdem wir ausgelassen über alte Zeiten gesprochen hatten, fragte sie mich: „Aber sag mal, Papa, wie war das damals mit der Grenze? Wieso habt ihr … wieso hast du zugelassen, dass so viele Menschen an den Grenzen umgekommen sind?“ – „Was hätte ich denn dagegen machen sollen? Wahlen haben doch auch nichts verändert“, fragte ich mit einer Mischung aus Empörung und Scham zurück. „Ich hätte ja schlecht die zuständigen Behörden besetzen können.“ – „Wieso nicht?“, fuhr mich Hannah provokant an. „Weil das illegal gewesen wäre“, lachte ich im süffisanten Ton, als wäre meine Tochter ein naives Dummchen. Doch sie ließ sich davon nicht beirren. Vorwurfsvoll antwortete sie mir ebenso süffisant: „Ach, wenn alles nach Recht und Gesetz abläuft, ist wohl jedes Unrecht Recht, oder wie?“ – „Hättest du deine Gesundheit und deine berufliche Stellung riskiert, nur um dir den Staat deswegen zum Feind zu machen?“, fragte ich ungläubig. „Gerade, weil es der Staat ist und weil wir alle die Verantwortung dafür tragen“, sagte Hannah kämpferisch. „Vor 25 Jahren haben wir

es ja aber dann doch geschafft, oder zählt das nicht?“, blickte ich sie hoffend an. Hannah allerdings blieb erbarmungslos: „War alles ein bisschen spät. Mehr Widerstand wäre auf jeden Fall möglich gewesen, auch wenn man selber darunter gelitten hätte. Willst du den Flüchtenden vorwerfen, dass sie politisch ver-

folgt oder n u r ihr Leben verbessern wollten?“ Einige Sekunden schwiegen wir uns an. Dann versuchte ich mich zu erklären: „Du weißt doch selbst, wie schwer die Zeiten damals waren. Die Geheimdienste hatten ihre Finger überall, das war beängstigend. Und rückblickend muss ich auch sagen, dass die Grenzen ja auch ihren historischen Sinn hatten.“ – „Womit willst du

dich jetzt wieder rausreden?“, sagte Hannah und ihre Augen wurden immer größer. „Du weißt doch aus dem Geschichtsunterricht“, gab ich zurück, „die Welt war gespalten, die wirt-

schaftl i c h e L a g e prekär.

Hätten wir die Grenzen geöffnet, wäre unser aller Sicherheit und Wohlstand bedroht gewesen. Du tust ja so, als wär das alles irrational gewesen, was wir taten.“ Ich war froh, das mal offen gesagt zu haben. „Es war irrational“, erwiderte sie, „es war die Irrationalität dieser Zeit. Du kannst dich ja immer damit herausreden, dass ihr nur das Beste wolltet und keine andere Wahl hattet, aber das entschuldigt nichts. Ihr ward gefangen in eurem System tendenziell totalitärer Herrschaft und den ökonomischen Widersprüchen, die ihr nicht bewältigen konntet und die ihr ideologisch zu bemänteln versucht habt.“ – „Typisch!“, platzte es aus mir heraus, „was soll ich mit dieser abstrakten Kritik anfangen? Hätte sich damit irgendwas geändert? Außerdem kannst du so nicht über unser Leben reden. Wir wollten den erreichten Wohlstand in Europa unter schwierigen Bedingungen erhalten und deshalb waren die EU-Grenzen eben so wie sie waren. Deinen Quatsch über totalitäre Herrschaft kannst du über das Dritte Reich oder die DDR erzählen. Klar gab es im Kapitalismus damals Probleme. Aber es war ja auch nicht alles schlecht. Sei doch lieber dankbar, dass wir heute keinen Kapitalismus mehr ha-

ben.“ Als ob Hannah auf meine Erklärung gewartet hätte, rief sie triumphierend: „Genau das habt ihr damals nicht verstanden. Ihr habt euch, statt fundamentale Selbstkritik zu üben, mit eurer Kritik lieber auf die Vergangenheit gestürzt, nur um selber besser dazustehen.“ – „Wir waren doch auch besser als das Dritte Reich und die DDR“, versuchte ich mich zu rechtfertigen. Hannah wurde jetzt ernster:„Das ist nicht der Punkt. Eure Kritik an der Vergangenheit entschuldigt euch nicht von der Gegenwart, wenn eure Kritik denn überhaupt die wesentlichen Aspekte berührt und sich nicht an der Psychologisierung von Führerpersönlichkeiten oder einzelnen Menschengruppen erschöpft oder alles wie einen sehr tragischen Unfall der Geschichte aussehen lässt. Und solange du das gesellschaftlich Erreichte immer nur an der Vergangenheit bemisst, entgeht dir die drohende oder bestehende Barbarei der Gegenwart.“ Hannah stand plötzlich auf und wandte sich zur Tür: „Ich muss jetzt los. Gibt wie immer Probleme bei der Verteilung notwendiger Arbeit.“ Sprach‘s und verschwand mit einem verständnisvollen Lächeln. Ich hätte gerne noch mit ihr darüber gesprochen, was sie damit meint. Enrico Pfau

Hatten sich vergangenes Jahr noch 2.500 Lehrer in Sachsen

schluss. Offenkundig empfinden viele Referendare nach ihrer Ausbildung den Werbespruch der Staatsministerin Kurth „Lehrer werden. Aus Überzeugung“ eher als Hohn denn als Versprechen. Zahlreiche Bewerber werden auch nicht in jener Schulart eingesetzt werden können, für die sie ausgebildet wurden. Vor allem vielen Gymnasiallehrern wird eine Stelle an einer Mittel-, Förder- oder Grundschule angeboten werden. In der Praxis sieht das Einstellungsverfahren für sächsische Referendare so aus: Die Bewerber/-innen bekommen eine konkrete Schule angeboten (im Zweifelsfall am anderen Ende von Sachsen) und haben drei Tage Zeit, den Vertrag zu unterschreiben. Lehnen Sie ab, ist das Verfahren beendet. Verhandlungsspielraum über den Einsatzort gibt es auch bei Referendaren mit Familienbindung nicht. Wen wundert es dann, dass sich viele Referendare gleich nach dem Abschluss in anderen Bundesländern – und sei es im nahe gelegenen Halle –, bewerben und dem sächsischen Schulsystem den Rücken kehren? Aus Überzeugung! Cornelia Falken

Lehrer-Reserve? Fehlanzeige! schaffen, etwa für zusätzliche 5.000 Schüler/-innen, die ab dem Schuljahr 2015/16 in Sachsens Schulen lernen werden (das entspricht etwa 200 Lehrkräften), für die Umsetzung von Integration und Inklusion gemäß UN-Behindertenrechtskonvention, für die Integration von Schüler/-innen mit Migrationshintergrund und den zahlreichen Flüchtlingskindern sowie für die Absicherung der fachlichen Betreuung von Referendar/-innen an den Schulen. Allein für diese vier Schwerpunkte sollte es 600 zusätzliche Stellen geben. Wir als LINKE gehen noch weiter und sagen: Wir brauchen zusätzliches Personal, um endlich kleinere Klassen bilden zu können sowie den massiven Unterrichtsausfall einzudämmen. Gemäß der jüngsten Umfrage des Landesschülerrates fällt jede zehnte Unterrichtsstunde in Sachsen aus, in Leipzig sogar jede siebente. Und seit Jahr(-zehnten) können Lehrer kaum mit innerer Ruhe und strategischer Weitsicht innovative pädagogische Konzepte in staatlichen Schulen entwickeln oder gar umsetzen. Dabei ist das ein wesentlicher Kern des pädago-

gischen Selbstverständnisses. Aber selbst für die 1.000 Stellen,

Bild: Annett B. / pixelio.de

Der Streit um die Einstellung von Lehrkräften reißt nicht ab. Anfang Mai verkündete die Kultusministerin, dass zum 1. August 2015 1.000 neue Lehrkräfte eingestellt werden. Das ist gut und richtig. Es reicht aber nicht. Nun wird mancher sagen: So viele Einstellungen gibt es anderswo kaum und schon gar nicht im öffentlichen Dienst. Die Polizisten hätten allen Grund, neidisch zu werden. Doch der relativ große Umfang resultiert aus den massiven Versäumnissen der letzten Jahre und den enorm gestiegenen Anforderungen, aus denen der Bedarf erwächst. Wie immer, wenn die Staatsregierung Erfolge verkündet, ist die Opposition gehalten, genau zu hinterfragen. Dann wird schnell klar, was man ahnt: Die 1.000 geplanten Einstellungen reichen nicht aus. Sie ersetzen noch nicht einmal jene Lehrkräfte, die im kommenden Schuljahr regulär ausscheiden oder Altersteilzeit-Regelungen in Anspruch nehmen. Dabei hat sich die Koalition aus CDU und SPD darauf verständigt, über diesen „normalen“ Bedarf hinaus in Qualität zu investieren und zusätzliche Stellen zu

die das Kultusministerium besetzen möchte, gibt es nicht genug qualifizierte Bewerber/-innen.

beworben, so sind es in diesem Jahr nur noch 1.500, davon nicht wenige ohne pädagogischen Ab-


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Stellungnahme zum „Offenen Brief der Courage-Preisträger“ in LINKS 5/2015 Richtig festgestellt wurde im Vorspann, dass es in der Partei zum Thema Montagsmahnwachen kontroverse Diskussionen gibt. Wir haben zeitnah zu diesem Brief bereits eine Erklärung abgegeben. Das Friedenszentrum Leipzig im Bündnis – Leipzig gegen Krieg – möchte hiermit seine Sicht auf die „Friedensmahnwachen“ darlegen: Ab April 2014 fanden in Leipzig wie in vielen anderen Städten spontan organisierte Mahnwachen statt. Es begann wieder Krieg in Europa, eine friedenspolitisch hochbrisante Zeit. Wir haben in Leipzig an den Montagsmahnwachen teilgenommen und dort eine große Anzahl von Menschen getroffen, die wie wir über die zunehmende Kriegsgefahr beunruhigt waren und nach Antworten suchten. Mit welcher Absicht wir dies taten, steht in der Erklärung „Für eine solidarische Auseinandersetzung mit den Montagsmahnwachen“ vom Mai 2014. Einige Mitglieder unseres Zusammenhangs hielten Redebeiträge, andere thematisierten die zweifellos notwendige Abgrenzung nach rechts auf den Vorbereitungstreffen der Mahnwachen. Leider wurden wir in unseren Bemühungen, diese Bewegung entsprechend den Ansprüchen der

Friedensbewegung zu gestalten, allein gelassen. Denn was sich aus spontanen Protesten entwickelt, entscheiden auch die Teilnehmer. Die Partei DIE LINKE wurde in dieser Zeit aus unserer Sicht ihrer programmatischen Verpflichtung als Friedenspartei nicht gerecht, wenn auch prominente Vertreter der LINKEN sich vehement gegen die Kriegspolitik von Nato und EU wendeten. Seit Juni 2014 wurde die Friedensmahnwache auf dem Augustusplatz in Leipzig maß-

geblich von „Leipzig gegen Krieg“ und

dem Friedenszentrum Leipzig im Bündnis mit organisiert. Zu diesem Zeitpunkt war eine klare Abgrenzung nach rechts und Trennung der Mahnwachen erfolgt. Wir waren der von Berlin ausgehenden Ve r netzung

nicht a n g e schlossen. Diese Mahnwache wurde bis Dezember 2014 durchgeführt. Seit Januar beteiligte sich das Bündnis an den Protestaktionen gegen Legida. Bekannte und langjährig in der Leipziger Friedensbewegung tätige Aktivisten

wie Dr. Christel Hartinger, Torsten Schleip und Mike Nagler waren in der Gestaltung der Mahnwachen aktiv, engagierten sich entsprechend den Zielen der (etablierten) Friedensbewegung und entlarvten die kriegstreiberische Politik der USA, Nato und EU. Diese Tatsachen sollten den Unterzeichnern der Erklärung bekannt sein, werden aber völlig negiert. Stattdes-

sen stellen wir fest, dass in einer Form gegen uns Front gemacht wird, die auf die Zerschlagung eines Teils der Friedensbewegung in der Stadt hinaus läuft. Erklärungen und mehrfach abgegebene eindeutige Abgrenzungen sowie das bisherige Wirken der Kritisierten werden nicht zur Kenntnis genommen. Gleich einer Gesinnungspolizei wurde und wird reglementiert, wann, mit wem und zu welchen Themen Friedensarbeit möglich sei. Wir sehen darin den Versuch, verdienstvolle Friedensaktivisten auszuschalten und persönlich

zu diffamieren, indem man ihnen gemeinsame Sache mit rechten und antisemitischen Kräften unterstellt. Dagegen verwahren wir uns entschieden. Es stellt sich die Frage: Warum wird die Kritik erst nach fast einem Jahr und nach Abstellung der Kritikpunkte laut? Wem nützt die Diskreditierung einer gewachsenen Friedensbewegung in Leipzig? Es gab für jeden die Möglichkeit, sich damals vor Ort zu äußern und nicht nur im Geheimen zu beobachten. Wir sind für eine Diskussion über die Gestaltung von praktischer Friedensarbeit und den Umgang mit neu entstehenden spontanen politischen Bewegungen jederzeit offen. Wenn kontroverse Auseinandersetzungen aber in „ Mundtotmachaktionen“ langjähriger und bekannter Friedensaktivisten münden, indem man gebetsmühlenartig wiederholt, dass keine Abgrenzung von Verschwörungstheorien, Antisemitismus und rechter Ideologie erfolgt, obwohl sie stattgefunden hat, können wir darin nur eine Schädigung der Friedensbewegung in Leipzig und anderswo sehen. Dr. Hans-Joachim Wienhold, Dr. Helga Lemme Friedenszentrum Leipzig e.V., im Bündnis Leipzig gegen Krieg

„Für Frieden und Deeskalation in der Ukraine“ Bereits auf seiner Sitzung vom 26./27. Mai 2014 hat der Parteivorstand der LINKEN Position zur Frage der Verbindung der bundesweiten Montagsmahnwachen mit der neurechten und verschwörungstheoretischen Szene bezogen. Dieser Beschluss soll hier dokumentiert werden. Dem Offenen Brief der CouragepreisträgerInnen haben sich mittlerweile auch das Netzwerk „Leipzig nimmt Platz“ und die frühere Bundespräsidentschaftskandidatin der LINKEN Beate Klarsfeld angeschlossen. In Anbetracht dieser Situation hat der Landesvorsitzende der LINKEN, Rico Gebhardt, seine Vermittlung zwischen den Gruppen angeboten. Ziel ist es, auch öffentlich zu unterstreichen, dass die Mitglieder der LINKEN, egal aus welcher Organisation, auf der Grundlage des Beschlusses des Parteivorstandes handeln und dort, wo nötig, auf Distanz zu neurechten und verschwörungstheore-

tischen und neurechten Akteuren gegangen sind und stets gehen werden. Die Partei DIE LINKE war ist und bleibt eine antifaschistische Friedenspartei. Ihre Mitglieder stehen für eine wie auch immer geartete Querfront nicht zur Verfügung. Beschluss des Parteivorstandes 2014/215 vom 25./26. Mai 2014: Heraus zum 31. Mai - keine Unterstützung von rechtsextrem, verschwörungstheoretisch und antisemitisch durchsetzten Veranstaltungen der sogenannten Friedensbewegung 2014 1. DIE LINKE unterstützt mit allem Engagement die Aktivitäten der Friedensbewegung und der antimilitaristischen Initiativen gegen Krieg und jede weitere Eskalation des Konflikts in der Ukraine. DIE LINKE steht an der Seite aller Menschen, die sich aus Sorge um eine weitere Eskalation

im Ukraine-Konflikt friedenspolitisch engagieren und ihren Protest auf die Straße tragen. Deshalb unterstützen wir jeden Ansatz für Antikriegsbündnisse und Zusammenarbeit mit Basisinitiativen, Friedensgruppen und anderen demokratischen Kräften, um dem Friedenswillen öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Gemeinsam mit der Friedensbewegung rufen wir dazu auf, am 31. Mai auf die Straße zu gehen und für eine friedliche Lösung in der Ukraine zu demonstrieren. Grundlage unserer Aktivitäten ist unser Beschluss vom letzten Bundesparteitag. Die Auseinandersetzung um die Zukunft der Ukraine wird noch lange anhalten und damit auch die Kriegsgefahr. Der Parteivorstand berät mit den Landesund Kreisverbänden bundesweite Aktionstage für eine friedliche Lösung der Ukraine-Krise, gegen Rüstungsexporte und für die Demilitarisierung der deutschen und

EU-Außenpolitik. Ein Schwerpunkt dabei soll auf dem 1. September, dem Anti-Kriegstag liegen. 2. DIE LINKE distanziert sich unmissverständlich von Aktivitäten von Rechtspopulisten, Nationalisten, Vers c h w ö r u ng s t h e o r e t i ke r n und Antisemiten, die die Sorge vor Krieg und Eskalation zum Anlass nehmen, um auf „Montagsmahnwachen“ oder „Montagsdemonstrationen“ rechtspopulistische Welterklärungsmuster und „Querfront“-Strategien salonfähig zu machen. Waren viele Redebeiträge zwar ob ihrer kruden Rhetorik und Thematik verstörend, so sind wir doch nicht der Meinung, alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diesen Demonstrationen aufgrund einzelner Stimmen verurteilen zu können. DIE LINKE wird mit diesen Kräften ganz grundsätzlich nicht zusammenarbeiten. Was als „überparteilich“ dargestellt

wird, ist am Ende nicht selten die Propagierung von Nationalismus, Antisemitismus, Rassismus und Homo-/Transfeindlichkeit. Das lehnen wir ohne Wenn und Aber ab. 3. DIE LINKE wird alles unternehmen, um durch Aufklärung und Informationsarbeit auf den rechtspopulistischen Charakter dieser Veranstaltungen und der Rhetorik der Organisatoren der „Montagsdemonstrationen“ hinzuweisen. Anstatt der Verklärung und Verwischung der existierenden Widersprüche in unserer Gesellschaft den Boden zu bereiten, setzen wir auf einen klaren Trennungsstrich gegenüber den unter „Kapitalismuskritik“ firmierenden rechten und neurechten Ideologien. Diese sind letztlich nichts anderes als die Konstituierung von „Sündenböcken“ in der Rhetorik der Kapitalistenkritik, die auch im rechten und nationalistischen Diskurs eine lange Tradition hat.


Sachsens Linke! 06/2015

Jugend

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Pfingstcamp 2015 – Wo leben wir denn? In der Tschechischen Republik, genauer in Doksy, fand vom 22. bis zum 25. Mai 2015 zum 17. Mal das Pfingstcamp der linksjugend [´solid] Sachsen statt. Über 600 Teilnehmer hat es an diesen Tagen wieder auf das Camp verschlagen, um alte Freunde wiederzutreffen, politische Diskussionen zu führen und sich gehörig zu erholen. Nachdem in der Woche zuvor vielen schon ein wenig bange war, weil der Streik der GDL

die Anreise zu erschweren schien, haben sich am Donnerstagabend auch die letzten Sorgen zerstreut. Da Bodo Ramelow als Schlichter gegen den ehemaligen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Brandenburgs, Matthias Platzeck, die Interessen der GDL vertreten wird, wurde der Streik beendet. Kleine Höhepunkte des diesjährigen Camps waren neben dem eigenen Radioprogramm „Hitradio Rehschanze“, das

unter anderem Beiträge zu Prekarität und dem Bruch der LINKEN mit dem Stalinismus gesendet hat, die Live-Zuschaltung Martin Sonneborns und der Auftritt des mysteriösen Djs Pfeffi Hawaii. Der Versuch, das Camp in seiner Gänze wiederzugeben muss zwangsläufig unzulänglich bleiben. Deswegen belassen wir es an dieser Stelle hierbei. „Wo leben wir denn?“ Das war das Motto des diesjährigen Pfingstcamps und eine Fra-

ge, die vielen politisch-aktiven jungen Menschen bekannt sein dürfte. In einem vielfältigen Seminarangebot wurde sich mit Inhalten linker Politik auseinandergesetzt, nicht zuletzt um sich der Ansprüche, die man selbst an gesellschaftliche Veränderung hat, zu vergewissern und zu vergegenwärtigen, wie es um sie bestellt ist. Vier Tage im Jahr sind dafür jedoch viel zu kurz, und so warten wir schon ungeduldig darauf, in einem Jahr wie-

der zusammenzutreffen. Martin Bretschneider für den Beauftragtenrat der linksjugend [´solid] Sachsen

Termine 06.06.2015, Dresden: Demo & Straßenfest des Christopher Street Day 10.06.2015 – 19 Uhr, Leipzig: Conne Island, Vortrag „Wo die Morgenröte golden ist – Willkommen in der Krise“ 13.06.2015 – 14 Uhr, Dresden, Albertplatz: Freiheit statt Angst Tour 17.06.2015 – 08:00 Uhr: Gedenkstättenfahrt nach Krakau und Oswiecim 19.06.2015 – 21.06.2015, Dresden: Bunte Republik Neustadt 23.06.2015 – 11-16 Uhr, Dresden, Wir AG: Blutspendeaktion zugunsten des DAMF (Deutschkurse für Asyl Migration Flucht) 26.06.2015 – 18:00 Uhr, Dresden: gemeinsame Sitzung des Beauftragtenrates mit dem geschäftsführenden Landesvorstand 27.06.2015 – 12:00 Uhr, Dresden: Sitzung des Beauftragtenrates in der Wahlfabrik 03.07.2015-05.07.2015, Marburg: Antirassistisches Bildungswochenende 04.07.2015, Pirna: Christopher Street Day 07.07.2015-08.07.2015, mau: Stop G7

El-

18.07.2015, Leipzig: Demo & Straßenfest des Christopher Street Day 25.07.2015 – 12:00 Uhr, Leipzig: Sitzung des Beauftragtenrates 01.0 8 . 2015 - 09.0 8 . 2015 , Lärz: Sommercamp der Linksjugend 14 .0 8 . 2015 -16 .0 8 . 2015 , Rheinland: Anti-Braunkohleaktion 22.08.2015 – 12:00 Uhr, Chemnitz: Sitzung des Beauftragtenrates im Büro der Linksjugend Chemnitz, Rosenplatz 4 Mehr Infos unter linksjugendsachsen.de.


DIE LINKE im Europäischen Parlament

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06/2015 Sachsens Linke!

Kein Ende in Sicht Nur ein gutes halbes Jahr ist es her, dass sich Minister und Regierungschefs gemeinsam mit hochrangigen Vertretern des Europaparlaments auf Lampedusa einfanden, um des Schiffsunglücks vom vorigen Oktober zu gedenken. Damals war ein Boot vor der Küste Lampedusas gesunken, nur sehr wenige konnten gerettet werden. Zur selben Zeit verkündete die italienische Regierung das Ende der Rettungsaktion Mare Nostrum, durch die die Opferzahlen zwischen Oktober 2013 und 2014 relativ niedrig blieben, indem die italienische Marine intensiv in die Seenotrettung eingebunden wurde. Vor diesem Hintergrund wurden an Bord von Schiffen der italienischen Küstenwache am 3. Oktober 2014 staatstragende Trauerreden gehalten und ein paar Maßnahmen versprochen, damit sich solch eine Katastrophe nicht wiederhole. Auch damals hieß es schon „Nicht noch einmal“. Praktisch zur selben Zeit sank wieder ein Boot in unmittelbarer Nähe der Insel. Der FRONTEX-Einsatz Triton wurde als Ersatz für Mare Nostrum verkauft, allerdings umfasst das Einsatzgebiet nur die italienischen Küstengewässer und reicht nicht bis zur libyschen Küste. Zudem ist das Ziel des Einsatzes gar nicht die Rettung von Menschen in Seenot, son-

dern Grenzschutz. FRONTEX soll verhindern, dass Menschen die europäischen Grenzen überqueren. Genau deshalb sind sie für Rettung auf See vollkommen ungeeignet: Die Geretteten müssen auf jeden Fall nach Europa gebracht werden. Abgesehen davon wurde Triton von Anfang an mit viel zu wenigen Schiffen, Hubschraubern und Beamten ausgestattet, um ernsthaft als flächendeckende Rettungsoperation gelten zu können. Damit war für viele schon die nächste

nicht schleunigst Abhilfe geschaffen wird. Danach sieht es jedoch nicht aus, wenn man sich die jüngsten Beschlüsse der europäischen Regierungen dazu anschaut. Alles weitere Geld, das in FRONTEX gepumpt wird, wird nicht in die Seenotrettung fließen. Selbst wenn FRONTEX das wollte, dürften sie nicht, weil es nicht ihre Aufgabe ist. Verbindliche Aussagen zur Aufnahme von Flüchtlingen werden nicht gemacht. Stattdessen sollen Verbindungsbeamte in Dritt-

Lampedusa.

Katastrophe vorprogrammiert. Eingetreten ist sie diesmal nicht an einem Tag, sondern in Form gleich einer ganzen Reihe an Unglücken innerhalb von wenig mehr als einer Woche, mit mehr als 2000 Opfern. Da die meisten Überfahrten im Sommer stattfinden, kann davon ausgegangen werden, dass noch viele weitere folgen werden, wenn

staaten, darunter Ägypten, Sudan, Eritrea, mehr Information über die „Migrationsströme“ sammeln. Dahinter verbirgt sich aber das Ziel, kurz- bis mittelfristig so viel zu wissen, dass die Flüchtlinge bereits in Nordafrika am Ablegen gehindert werden können, damit sie – und das ist der wichtigste Punkt – bleiben, wo sie sind. Zu diesem Zweck

haben Beamte der Kommission bereits den „Krieg gegen Schmuggler“ ausgerufen. Seit einiger Zeit schon werden in offiziellen Verlautbarungen der Europäischen Kommission oder der Regierungen Schlepper als Schuldige an der heutigen Misere dargestellt. Der Ton hat sich weiter verschärft und man geht nun soweit, selbst Boote konfiszieren oder zerstören zu wollen, die möglicherweise später von Schleppern genutzt werden könnten. Dafür versucht die Kommissarin für Außenbeziehungen, Mogherini, sogar ein UN-Mandat zu bekommen. „Kollateralschäden“ werden in Kauf genommen. Damit ist klar: Das, was Kommission und Rat als „Krieg gegen Schmuggler“ verkaufen, ist in Wirklichkeit ein Krieg gegen Flüchtlinge. Die Grenze zwischen einer menschenverachtenden Grenzpolitik und einem Verbrechen wird nun endgültig überschritten. Dabei kann man die Probleme im Mittelmeer gar nicht lösen, indem man den Schleppern den Kampf ansagt. Erstens sind es eben nicht die Schlepper, die die Flüchtlinge von einer Überfahrt überzeugen, sondern Hunger, Elend, Folter und Unterdrückung direkt vor europäischen Grenzen. Zweitens sind gut abgedichtete Grenzen praktisch die Geschäftsgrundlage von Schleppern. Sie sind eine Be-

gleiterscheinung der Abschottung Europas, nicht der Grund, aus dem Flüchtlinge nach Europa wollen. Um das Sterben auf dem Mittelmeer zu beenden, müsste zuerst die Seenotrettung ausgebaut werden, mit der Hilfe aller EUStaaten. Das kostet Geld, worauf sich die Mitgliedstaaten der EU einigen müssten. Zweitens müssen dringend legale Alternativen zur Überfahrt auf dem Mittelmeer geschaffen werden. Nur wenn normale Transportmittel in die EU genutzt werden können, wird den Schleppern das Geschäft entzogen. Drittens müssen die Fluchtursachen bekämpft werden. Das allerdings ist leichter gesagt als getan, schaut man sich die Herkunftsländer einmal an, aus denen die Mehrzahl der Flüchtlinge in Europa heute herkommen. Man müsste den Bürgerkrieg in Syrien beenden, in Libyen wieder einen Staat errichten und die Diktatur in Eritrea beenden. Bis dahin bleiben uns nur die Seenotrettung und die legalen Wege für Flüchtlinge, wenn wir das Sterben beenden wollen. Cornelia Ernst

„Zur Aktualität von Revolutionen im 21. Jahrhundert“ MARX IS MUSS-Kongress 2015 Dass alles alternativlos sei, behauptet immer wieder die aus den „Ostgebieten“ einverleibte Kanzlerin. Solch alternativloses Denken mag der Frau noch aus ihrer FDJ-Zeit bekannt sein. Demgegenüber behauptete der im Westen sozialisierte einstige Ministerkollege Norbert Blüm: „Marx ist tot“. Beide irren sich. Denn die neoliberalen Herrschaftsverhältnisse und die damit einhergehende Misere für Mensch, Gesellschaft, Umwelt, Kultur schreien nach alternativen Entwicklungswegen. Wie lebendig dieser Marx heute tatsächlich ist, zeigte sich auf dem MARX IS MUSS-Kongress (Berlin, 14.05.17.05.2015). In einer Veranstaltung wurde über die „Aktualität von Revolutionen im 21. Jahrhundert“ debattiert. Auf dem Podium: Janine Wissler, Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Hessischen Landtag; Alex Demirovic, Redaktion Prokla; Stathis Kouvelakis, SYRIZA. Zunächst meinte Wissler, es würde der LINKEN gut zu Gesicht stehen, wenn sie den Ka-

pitalismus offensiver in Frage stellen würde. Deutlicher sollte die Partei machen, dass die Krise nicht das Versagen einzelner Manager war, sondern die des Systems. Dieses sei unfähig, den gesellschaftlichen Reichtum gerecht zu verteilen. Geradezu zwangsläufig entbrennt bei Linken der Streit über das Pro oder Contra von Revolution oder von Reform. Neuerdings wurde auch noch der Begriff der Transformation in den Diskurs eingeführt. Wissler erinnerte daran, dass Bernstein im Gegensatz zu Luxemburg mehr für Reformen stand. Wohl beide taten das vor ihrem jeweiligen historischen-politischen Hintergrund. Dabei zitierte sie den berühmten Ausspruch von Rosa Luxemburg: „Die Revolution ist großartig, alles andere ist Quark“. Sicher, aber Revolution muss gut gemacht und bekömmlich sein. Die Geschichte ist leider reich an Beispielen, wo dem nicht so war. Für Luxemburg bedarf es revolutionärer Veränderungen, dennoch war sie nicht völlig gegen Reformen. Heute ginge es auch um kleinste Verbesserungen

im Leben der Menschen. Ferner sprach sich die hessische Landespolitikerin dafür aus, die Reform nicht von der Vision zu trennen, jener von einer völlig neuen Gesellschaft, die eine über den Kapitalismus hinausweisende Perspektive hat. Danach Alex Demirovic. Der philosophierende Redakteur schrieb dem gegenwärtigen Kapitalismus ungeheuren Reichtum, aber auch eine immense Kapital- und eine riesige Landvernichtung zu. In den multiplen Krisen, wie Demirovic die jetzigen Krisenerscheinungen nennt, gelang es nicht, Widerstand zu organisieren. Dann ein Zitat von Karl Korsch: „Die Linke muss selbst darauf achten, was sie denkt“. Schließlich die Erkenntnis: Emanzipation muss von den Menschen getragen werden. Die Ausführungen von Demirovic eröffneten so einen vielleicht recht theoretischen Blick auf die alltäglichen Dinge, was sicherlich den Moderator zur spitzen Überleitung kommen ließ, als er dem Genossen von SYRIZA das Mikrofon übergab und ihn bat, nun über den praktischen Teil zu reden. Dem

kam Kouvelakis nach, indem er über das komplizierte, teils auch widersprüchliche Regierungshandeln referierte. Kontrovers ging es in der Diskussion zu. So erhielten das zuvor als revolutionär eingestufte Frauenwahlrecht und der im Vergleich zu früheren Jahrzehnten gestiegene Anteil weiblicher Hochschulmitarbeiter nicht dieses Prädikat. Möglicherweise unterliegen, eingebettet in die Zeit, jedwede gesellschaftliche Veränderungen einem Wertewandel: Was vor 20-30 Jahren als revolutionär erschien, gilt danach nur als reformistisch. Ob beides zunächst mal ein Fortschritt ist, ist gleichgültig? Georg Lukács schrieb: „ (…) jede Arbeitslohnerhöhung, jede Arbeitszeitverkürzung u.s.w. ist eine revolutionäre Tat (...)“. Doch was macht man nun in diesen Zeiten? Sie sind aufgeregt, man selbst ist es auch. Man ist unzufrieden mit der Welt und mit sich selbst. Aber niemanden scheint es zu kümmern, die üblichen Verdächtigen ausgeschlossen. Man hat die größte Weltwirtschaftskrise seit den Dreißigern des 20. Jahrhunderts

erlebt, aber ein eingreifender Widerstand, wie gefordert, gelang nicht. Frei nach Rosa Luxemburg: Der Sand, auf dem die kapitalistische Ordnung gebaut ist, ist offenbar standfester und nicht zuletzt grob(!)körniger als gedacht. Auf solch einem Boden lassen sich schwerlich die Verhältnisse zum Tanzen bringen, wie der „Gesellschaftstänzer“ Marx meinte. Selbst weiß man zwar, Veränderungen sind nötig, ob sie nun auf den Vornamen Revolution, Reform oder Transformation hören. Perspektivisch steht ein Systemwechsel mit einem ausgeprägten demokratischen, sozialen, ökologischen, kulturvollen Antlitz auf der Agenda. Aber will eine derartige Wandlung seiner Lebensumwelt überhaupt jemand? Anfänglich stellte auch Janine Wissler fest: In Deutschland glaubt man eher, dass das der Weltuntergang eintrete, als dass es zu einer Revolution kommt. Man kauft sich eine Bahnsteigkarte (Lenin) und fährt nach Hause. Doch die Konterrevolution war wieder schneller: Zughalt auf unbestimmte Zeit. René Lindenau


Sachsens Linke! 06/2015

DIE LINKE im Bundestag

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Spionieren unter Freunden geht offenbar doch! Ein Jahr NSA-Untersuchungsausschuss – eine Zwischenbilanz „Die Abgeordneten haben ihre Arbeit erst begonnen und haben doch schon erstaunlich viel über die Praktiken des weltweiten Abhörens herausgefunden. Kein anderes Parlament der Welt geht der wichtigen Frage gründlicher nach, wie viel Überwachung eine freie Gesellschaft ertragen kann, um sich vor Terroristen und anderen Verbrechern zu schützen“, so das erste Fazit der Süddeutschen Zeitung – online vom 2. März 2015. Der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages wurde am 20. März 2014 durch einen einstimmigen Beschluss aller Fraktionen eingesetzt. Hintergrund waren die Enthüllungen von Edward Snowden über die Arbeit der US-Geheimdienste. Auftrag des Ausschusses ist es, zu klären, ob und wie eine Überwachung von Kommunikation in Deutschland stattfand und inwieweit Stellen des Bundes davon wussten oder gar daran beteiligt waren. Nicht zuletzt geht es um die Frage: Haben die USA von deutschem Staatsgebiet aus todbringende Drohnenangriffe gesteuert und waren deutsche Stellen daran beteiligt oder haben dies gebilligt? Gleich zu Beginn der Beweisaufnahme wurde bei der Anhörung von Sachverständigen wie des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Prof. Papier deutlich, dass es für die Tätigkeit des BND in zentralen Bereichen keine oder keine eindeutigen Rechtsgrundlagen gibt. Streit gibt es nach wie vor um die Zeugenvernehmung von Edward Snowden. Da sich die Koalition weigert, ihn vor den Ausschuss zu laden, blieb der Opposition nur eine Klage beim Bundesverfassungsgericht. Das wies dieselbe im Dezember 2014 mit der Begründung ab, es sei nicht zuständig, weil die Weigerung der Ausschussmehrheit, den Zeugen zu laden, nicht gegen das Minderheitenrecht verstoße. Die empfohlene Klage beim BGH wird derzeit geprüft. Der Ausschuss hat schon jetzt vieles offengelegt: Es wurde deutlich, dass das Ausmaß rechtlich und politisch höchst fragwürdiger Aktivitäten des BND weit größer ist als vermutet. Zeugenaussagen belegen, dass für die Dienstaufsicht im Kanzleramt wie für den BND selbst wohl das Motto galt: „Was nicht explizit verboten ist, wird gemacht“. Für

die Erhebung und Verarbeitung von Daten gilt nach deutschem Recht jedoch, dass nur das gemacht werden darf, was explizit erlaubt ist. Insofern gibt es inzwischen kaum noch Zweifel, dass die von Edward Snowden behauptete massenhafte und anlasslose Überwachung durch US-Dienste auch in Deutschland tatsächlich stattfindet. Die Datenschutzbeauftragte des BND hat uns die so genannte „Weltraumtheorie“ beschrieben: Wenn der Geheimdienst an Satelliten Daten erfasst, so findet dies nach Auffassung des BND im

Firmen, Presse oder Institutionen im Ausland arbeiten und in dieser Funktion kommunizieren. Das Grundrecht gelte für Deutsche im Ausland nur für private Kommunikation. Was für absurde Positionen, zumal die allermeisten Aktivitäten mit Terrorabwehr nicht das Geringste zu tun haben! Neben den Erkenntnissen aus den Zeugen-Anhörungen ist der Ausschuss ständig mit Versuchen der Bundesregierung konfrontiert, die Aufklärung zu behindern. Novum in der Geschichte deutscher Untersuchungsausschüsse war die Einstu-

gen kann. Das mediale Interesse ist ungebrochen, und das ist auch kaum verwunderlich. Die ganze Dimension der Vorgänge im BND/NSA-Skandal ist noch immer nicht absehbar. Bundesregierung und Koalition betonen seit Wochen, wie nötig Aufklärung sei. Was wir stattdessen erleben, ist Mauern, Hinhalten, die Schwärzung von Akten, das Verhindern von Sondersitzungen des NSA-Untersuchungsausschusses zur Vernehmung der verantwortlichen Kanzleramtsminister und zuletzt sogar die komplette Verweigerung der Herausgabe ganz

Antennen der Bundeswehr-Fernmeldeaufklärung in Gablingen. Bild: Chaddy / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0

All und damit nicht auf deutschem Boden statt. Das bedeute, dass weder das Grundgesetz noch das BND-Gesetz und die Datenschutzvorschriften für die erfassten Daten gelten. Im November erklärte ein BND-Jurist dem Ausschuss die „Funktionsträgertheorie“: Deutsche seien zwar durch den Artikel 10 des Grundge-

fung einer Sitzung als streng geheim. Das ist nach den geltenden Richtlinien nur dann zulässig, wenn der Bestand der Bundesrepublik Deutschland akut gefährdet ist. Wovor hat die Bundesregierung eigentlich Angst, wenn die Opposition energisch Aufklärung verlangt? Die Medien verfolgen die Ar-

zentraler Beweismittel für Rechts- und Vertragsbrüche der US-Geheimdienste. Der im Raum stehende Vorwurf ist im Kern wohl zutreffend: Der BND hat dem amerikanischen Geheimdienst Zugang zu deutschen Satelliten wie auch Telekommunikations-Kabeln verschafft, dabei offenkundig die G 10-Kommis-

Radar-Dome-Antennen der ehemaligen Abhörstation Field Station 81 in Bad Aibling, Bayern

setzes vor Überwachung ihrer Kommunikation geschützt. Diesen Schutz verlören sie in der Praxis des BND aber dann, wenn sie für nicht-deutsche

beit des Ausschusses von Anfang an mit großem Interesse, es gibt auch live-blogs wie bei netzpolitik.org, wo man den Verlauf der Sitzungen verfol-

sion des Bundestages, die Abhörmaßnahmen genehmigen muss, bewusst getäuscht, und dann auch noch von den Amerikanern gewünschte Suchkri-

terien, die sogenannten Selektoren, über Jahre hinweg ohne wirkungsvolle Kontrolle in die Überwachungsmaschinerie eingespeist. Das führte dazu, dass Monat für Monat millionenfach Telefonate, SMS- und Mail-Verkehre ausgeforscht und auch sogenannte Metadaten über erfolgte Kommunikationskontakte gesammelt und ohne genaue Prüfung an die NSA weitergeleitet wurden. Dabei geht es nicht nur um Grundrechtsträger, sondern wohl auch um europäische Politiker, Regierungen, Institutionen sowie Wirtschaftsunternehmen, die über Jahre hinweg ausgespäht worden sind. Irgendwann ist dann doch jemandem beim BND aufgefallen, dass bei dieser angeblich unverzichtbaren Kooperation etwas schiefläuft. Man hat festgestellt, dass viele illegale Selektoren eingespeist wurden, und sogar eine Ablehnungsdatei mit knapp 40.000 Suchbegriffen eingerichtet. Genau diese Listen wollen wir sehen. Es handeltEsich dabei um Unterlagen des BND, und deshalb gibt es nicht den geringsten Grund dafür, die Amerikaner um Erlaubnis zu fragen. Zuletzt wurde immer wieder der Einsatz eines Ermittlungsbeauftragten ins Spiel gebracht, der die Akten anstelle der Abgeordneten einsehen und ihnen dann berichten solle. Wir meinen: Ein Ermittlungsbeauftragter kann die Arbeit des Untersuchungsausschusses nicht ersetzen, sondern kann bestenfalls ergänzend bzw. unterstützend tätig werden. Er darf aber nicht die Rechte der Abgeordneten aushebeln. Denn es ist ihre Aufgabe, am Ende eine politische Bewertung vorzunehmen. Das kann unmöglich an einen Ermittler, der mit den Stimmen der die Regierung tragenden Fraktionen gewählt wird, übertragen werden. DIE LINKE wird im Ausschuss durch Martina Renner und André Hahn vertreten. Uns unterstützen zwei Fraktionsreferenten und unsere drei persönlichen Mitarbeiter. Dagegen hat allein die zuständige Arbeitsgruppe im BND mehr als 100 Beamte im Einsatz. Ungeachtet dessen werden wir weiter alles tun, um die Aufklärung voranzutreiben. André Hahn, Anneke Halbroth


Mai 2015

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

PARLAMENTSREPORT Der 8. Mai wird erneut nicht Gedenktag – obwohl die Zeit drängt Liebe Leserinnen und Leser, Frieden mit Russland! Daran sollte uns allen, ob jung oder alt, liegen. Antrei­ ben sollten uns weder Ideologie noch Nostalgie – die Politik der russischen Regierung ist an vielen Stellen verur­ teilenswert. Dennoch darf der Konflikt zwischen dem größten Staat der Erde und der „westlichen Welt“ nicht in eine neue, lange Eiszeit münden. Auch wir können Signale der Versöhnung beitragen. Das beginnt mit der Aufarbeitung histo­ rischer Schuld. Die Regierungsfrakti­ onen haben unseren erneuten Vorstoß, den 8. Mai in Sachsen zu einem gesetz­ lichen Gedenktag zu erklären, dennoch abgewiesen. Es gab auch keine regie­ rungsoffizielle Veranstaltung zu diesem wichtigen Datum. Vielmehr blamierte sich der Ministerpräsident im ehema­ ligen Kriegsgefangenenlager Zeithain. Dort wies er nicht nur jovial darauf hin, dass er die Gedenkstätte zum ersten Mal besuche. Er schwadronierte – vor Zeitzeugen! – auch noch davon, dass Sachsen erst am 9. November 1989 befreit worden sei. Welch dreiste Rela­ tivierung der faschistischen Gewalt­ herrschaft! Apropos: Während die Landesregie­ rung ein Projekt zur Schicksalsklärung sowjetischer Kriegsgefangener beinahe sterben ließ, will der Bundestag nach langem Drängen von LINKEN und Grü­ nen eine Stiftung gründen, um die noch lebenden Mitglieder dieser Gruppe zu entschädigen. Eine gute Nachricht, immerhin. Denn wer Frieden mit der Vergangenheit fördert, ermöglicht Frieden in der Zukunft. Wer die Notwendigkeit einer Aussöh­ nung mit Russland dennoch bezweifelt, sei auf die sanktionsbedingten Export­ einbrüche hingewiesen, unter denen auch sächsische Unternehmen leiden. Es ist Zeit, die Fronten aufzuweichen.

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

Über die sächsische Gedenkkultur wird häufig diskutiert. Meist beschränkt sich das auf Zeiten und Orte, wie die Stadt Dresden zum Jahrestag ihrer Zerstörung. Die liegt 70 Jahre zurück, ebenso wie die wohl bedeutendste Zäsur des 20. Jahrhunderts: unsere Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft. Dieses Jubiläum nahm die Fraktion DIE LINKE zum Anlass, um landesweit erneut zu fordern, dass der 8. Mai in den Reigen sächsischer Gedenktage aufgenommen wird. Danach erlebten wir teilweise absurde Debatten. So argumentierte etwa der CDU-Oberbürgermeister der Stadt Aue, die Alliierten hätten Deutschland nicht befreien, sondern besetzen wollen; der 8. Mai sei folglich kein Teil der Gedenkkultur. Tatsächlich aber beendeten ihre Truppen – unter riesigen Opfern – das millionenfache Sterben in Europa. Wir hofften, dass sich die demokratischen Parteien über die Bedeutung der Befreiung im Prinzip einig sein würden. Als der Landtag unseren Entwurf „Gesetz zur Einführung eines Gedenktages zum Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus am 8. Mai 1945“ (Drucksache 6/1094) Ende April abschließend beriet, mussten wir uns aber vom Gegenteil überzeugen lassen. Franz Sodann, kulturpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, verwies auf die Vorbildrolle vieler europäischer Staaten und deutscher Bundesländer, in denen der 8. Mai ein gesetzlicher Gedenk- oder Feiertag ist. „Alle alliierten Partner erinnern sich des Tages. Die UNO bittet ausdrücklich darum. Warum sperren wir uns? Gerade wir hätten alle Gründe, das Kriegsende mit ungeheurer Erleichterung, überwältigender Freude, und ja, auch mit Scham, zu ehren – um unserer selbst willen, für die Zukunft als Mahnung und auch als Zeichen an diejenigen, die der Hölle entkommen sind und an die, die sie und uns davon befreit haben“. In absehbarer Zeit wird niemand mehr leben, der den Faschismus erlebt hat. „Spätestens dann werden die Erinnerungen verblassen, entfallen, verschwinden. Damit wird es wieder möglich, der leider immer noch fruchtbaren Saat wieder Nahrung zu geben. Der Geist ist schon wieder da, es ist nicht nur der Schoß, aus dem das kroch. Rassismus, Chauvinismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit – alle möglichen Ideologien zur Begründung sozialer Ungerechtigkeit und gesellschaftlicher Ausgrenzung haben Konjunktur“, so Sodann. Dennoch waren die Regierungsfraktionen nicht bereit, Opfern und Befreiern mittels eines Gedenktages Respekt zu erweisen. Das änderte sich auch nicht,

nachdem wir auf SPD, Grüne und Teile der CDU inhaltlich zugingen. Mit eher ideologischen Argumenten hatten sich diese Fraktionen in der Ausschussberatung gegen die Bezeichnung „Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus“ gewehrt. Unter anderem wurde behauptet, das Reden vom Begriff „deutscher Faschismus“ – der neben anderen europäischen Faschismus-Typen, etwa dem italienischen, spanischen oder ungarischen steht – könne dazu führen, dass die Einzigartigkeit des Holocaust bezweifelt wird. Wir waren kompromissbereit und beantragten fortan, dass der 8. Mai zum „Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des 2. Weltkrieges in Europa“ erklärt werde. Damit erreichten wir allerdings nur, dass die Koalitionsfraktionen ihre Argumente an noch längeren Haaren herbeizogen. Nun hieß es etwa, es habe nicht genug Zeit zur Verfügung gestanden, um das Vorhaben koalitionsintern zu besprechen. Jedenfalls ließen CDU und SPD unseren Gesetzesentwurf durchfallen. So scheiterte ein wichtiges Anliegen erneut an kleinkariertem parteipolitischem Gezänk. Besonders bitter: Es bleibt nicht mehr viel Zeit, um es umzusetzen; zumindest dann nicht, wenn die letzten Zeitzeugen diese späte, viel zu späte Anerkennung noch erleben sollen. Am 8. Mai schließlich, knapp zwei Wochen nach dem ablehnenden Votum der Landtagsmehrheit, versandte die SPDAbgeordnete Hanka Kliese eine Pressemitteilung. Darin heißt es vollkommen zu Recht: „Die Befreiung vom Krieg ist ein historisches Verdienst, das es auf vielfältige Weise zu würdigen gilt“. Dann das überraschende Bekenntnis:

Den 8. Mai als Gedenktag zur Befreiung vom Nationalsozialismus offiziell einzuführen, sei für die SPD-Fraktion „nicht abwegig“. „Möglicherweise ist das eine sinnvolle Art des Gedenkens, wenn es entsprechend ausgestaltet wird. Dazu sollten wir Zeitzeugen und Experten aus der Gedenkstätten-Arbeit befragen“, so Kliese. Franz Sodann begrüßte das – wies aber darauf hin, dass auch Kliese nicht für unseren Entwurf gestimmt hatte und sich damit der Möglichkeit beraubte, ihrem Denken Taten folgen zu lassen. Gleichwohl sei ihre Äußerung ein „Schritt in die richtige Richtung“, wenn auch „die Verantwortung für den Inhalt der Gestaltung dieses Tages nicht an die wenigen noch lebenden Zeitzeugen und auch nicht an Gedenkstätten-Experten delegiert werden“ dürfe. Praktische Folgen dieser kleinen Rückwärtsrolle: keine. Auch künftig besteht also wenig Hoffnung, dass der 8. Mai hierzulande ein gesetzlicher Gedenktag werden könnte. Schuld ist auch die Verweigerungshaltung der CDU. Das ist alles andere als ein Ruhmesblatt, nicht nur für die sächsische Gedenkpolitik. Es ist eine Niederlage der Menschlichkeit. Doch wir bleiben dran!


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PARLAMENTSREPORT

Mai 2015

Aufklärung im NSU-Kernland geht weiter „Na Klasse! Beschäftigungstherapie geht weiter: Linke und Grüne #saxlt beantragen neuen NSU-Untersuchungsausschuss“. Mit dieser „geistreichen“ Äußerung per Kurznachrichtendienst twitter teilte der sächsische CDU-Abgeordnete Sebastian Fischer den Angehörigen der NSU-Opfer mit, was er von Bestrebungen hält, das Behördenversagen beim Rechtsterrorismus aufzuklären. Er echauffierte sich, weil die Fraktionen DIE LINKE und Bündnis90/DIE GRÜNEN erfolgreich beantragten, erneut einen Untersuchungsausschuss „Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen“ einzusetzen. Ein solches Gremium gab es bereits vor der Wahl, es konnte seine Arbeit allerdings aus Zeitgründen nicht beenden. Die Schlussfolgerungen von damals begannen mit der Empfehlung an den neuen Landtag, den Ausschuss wieder aufleben zu lassen. Denn noch immer sind viele Fragen offen: Woher hatten Verfassungsschutz, Polizei und Landeskriminalamt zutreffende Hinweise über einen möglichen Aufenthalt des geflüchteten TerrorTrios in Chemnitz, und warum führten diese nicht zu dessen Ergreifung? Warum gab es keine Sonderkommission zur Aufklärung der zahlreichen

Wir tun es im Gedenken“, so Köditz. Sie rief erneut die Namen der NSU-Opfer ins Gedächtnis: Enver Şimşek, getötet am 9. September 2000 in Nürnberg. Abdurrahim Özüdoğru, getötet am 13. Juni 2001 in Nürnberg. Süleyman Taşköprü, getötet am 27. Juni 2001 in Hamburg. Habil Kılıç, getötet am 29. August 2001 in München. Mehmet Turgut, getötet am 25. Februar 2004 in Rostock. Ismail Yaşar, getötet am 9. Juni 2005 in Nürnberg. Theodoros Boulgarides, getötet am 15. Juni 2005 in München. Mehmet Kubaşık, getötet am 4. April 2006 in Dortmund. Halit Yozgat, getötet am 6. April 2006 in Kassel. Michèle Kiesewetter, getötet am 25. April 2007 in Heilbronn. Banküberfälle, die der NSU beging? Warum fassten die Behörden wichtige NSU-Unterstützer nicht, obwohl sie militante Neonazi-Strukturen wie das „Blood and Honour“-Netzwerk im Visier hatten? Fragen über Fragen, die auch und gerade in Sachsen zu klären sind. Denn wenn vom NSU die Rede ist, geht es stets auch um den Freistaat. Hier tauchten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos Anfang 1998 unter. Hier fanden sie Unterstützer und konspirative Wohnungen, horteten Waffen und planten schwerste Straftaten. Hier blieben sie bis November 2011

unentdeckt. Sachsen war das Kernland des NSU. „Wir sind es den Opfern des NSU und den Hinterbliebenen schuldig, so präzise wie möglich herauszuarbeiten, unter welchen – auch politischen – Bedingungen der NSU in Sachsen entstehen und im ganzen Bundesgebiet morden konnte“, mahnte die Antifaschismus-Expertin der LINKEN, Kerstin Köditz. Diese Bedingungen müssten geändert werden, um eine Wiederholung auszuschließen. „Das betreiben wir nicht als Selbstzweck.

Zwischenzeitlich arbeiten auch NSUUntersuchungsausschüsse in BadenWürttemberg, Hessen, NordrheinWestfalen, Thüringen und demnächst wohl auch wieder im Bundestag. Für die sächsische Linksfraktion werden die Abgeordneten Kerstin Köditz, Lutz Richter, André Schollbach und Mirko Schultze die Arbeit im Untersuchungsausschuss aufnehmen. Das wird sie stark beschäftigen – allerdings nicht zum Zweck irgendeiner Therapie, sondern im Dienst der Demokratie. Und damit rechter Terror künftig keine Chance mehr hat.

Sachsen verliert historisches Forschungsprojekt – mehr als ein Imageschaden! Erika Steinbach polarisiert. Die langjährige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, die einst die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die BRD ablehnte, hat schon oft für Empörung gesorgt. Das wäre nicht weiter von Belang, würde sie nicht ein Paradebeispiel für eine perfide Logik abgeben. So bekannte sie, sie könne Formulierungen wie „Tag der Befreiung“ nicht ertragen, weil alliierte Truppen in Deutschland Verbrechen begangen haben. Sie könne auch nicht befürworten, dass die Bundesregierung ehemalige sowjetische Kriegsgefangene

entschädige, da diese nach ihrer Heimkehr in die Stalin‘sche Sowjetunion weiter gelitten hätten und folglich Putin für Wiedergutmachung zuständig sei. Dabei war das hitlerfaschistische Deutschland für den Eroberungsund Vernichtungskrieg verantwortlich! Dessen Folgen schlugen zwangsläufig zurück. Unermessliches Leid auf den verschiedenen Seiten ist nicht aufrechenbar.

nichts, bis es im Frühjahr Meldungen gab, dass die Forschungsarbeit ruhe. Die Kulturstaatsministerin der Bundesregierung, Monika Grütters, hatte die Mittel gestrichen – ausgehend von einer Entscheidung der schwarz-gelben Koalition im Jahr 2012. Zwar stellte das sächsische Wissenschaftsministerium Überbrückungsgelder bereit, diese wurden allerdings nicht zweckgemäß verwendet.

Wir wollen der sächsischen Staatsregierung nicht unterstellen, dass sie derlei relativierenden Geschichtsbildern anhängt. Allerdings müsste sie erklären, was stattdessen zu einer der größten geschichtspolitischen Blamagen in der Geschichte des Freistaates geführt hat. Damit ist nicht gemeint, dass der Ministerpräsident kürzlich und mithin erst nach sieben Amtsjahren die Gedenkstätte des Kriegsgefangenenlagers Zeithain besuchte – und auch noch die Stirn besaß, diese Schmach bei seiner Gedenkrede zuzugeben. Nein, vielmehr geht es um eine noch größere Instinktlosigkeit. Der Freistaat ließ das Forschungsprojekt der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Klärung des Schicksals sowjetischer Kriegsgefangener beinahe sterben – obwohl noch hunderttausende Akten aufgearbeitet werden müssen. Dabei hatte die LINKE schon 2013 darauf hingewiesen, dass dessen Finanzierung Ende 2014 ausläuft. Geschehen ist

So brachte die Linksfraktion erneut einen Antrag ein (Drucksache 6/1218). Damit wurde die Staatsregierung aufgefordert, die Auskunftserteilung zu sichern und mit der Bundesregierung über die finanzielle Zukunft der Forschungsarbeit zu verhandeln. Der Kulturpolitiker der LINKEN, Franz Sodann, verwies auf den Beitrag zur Versöhnung, den das Projekt leistet: „Der Krieg vernichtete 25 Millionen sowjetische Menschen. Von den Kriegsgefangenen wurden Tausende erschossen, die meisten starben durch Hunger, Kälte, Krankheiten und Seuchen. Dieses sprachlos machende Verhältnis ist nur ein Hinweis darauf, wie wichtig die Aufarbeitung ist“. Inzwischen konnten rund eine Million Schicksale geklärt werden. Teilweise erhielten Kinder und Enkelkinder zum ersten Mal ein Foto ihres Vaters oder Großvaters. „Erst mit der Gewissheit entsteht die Möglichkeit, mit der eigenen Geschichte und mit dem Verursa-

cher dieses Vernichtungskrieges Frieden zu schließen, um gemeinsam in eine Zukunft schauen zu können“, so Franz Sodann. Unbeirrt lehnten die Koalitionsfraktionen auch diesen Antrag ab. Inzwischen hat die Auskunftsstelle zwar ihre Arbeit wieder aufgenommen – Druck von links hat offenbar gewirkt. Doch wie sieht die Zukunft des Projektes aus? Zwar erklärten Staatsregierung und Koalitionsfraktionen, über Forschungsprojekt und Auskunftsstelle bereits erfolgreich mit dem Bund zu verhandeln. Mittlerweile wissen wir aber, dass die Bundesregierung und das Auswärtige Amt bereits am 24. April der Russischen Botschaft mitteilten, dass beides nicht in Sachsen verbleiben soll. Ab 2016 will die Bundesregierung die Auskunftsstelle und das Forschungsprojekt beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und der Wehrmachtsauskunftsstelle ansiedeln. Sodanns Fazit: „Der Sächsische Landtag hat eine Chance verspielt, vor der Öffentlichkeit siebzig Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus und dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa seine Empathie für die Opfer und Hinterbliebenen unter Beweis zu stellen“. Das ist nicht nur peinlich, sondern gefährlich, weil es die Versöhnung behindert – womit wir wieder bei Erika Steinbach wären …


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PARLAMENTSREPORT

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Solidarität heißt Entbehrung – ist aber ungeheuer wichtig Susanne Schaper, gelernte Krankenschwester und Gesundheitsexpertin der Fraktion DIE LINKE, hat wieder für mehrere Wochen den Schreibtisch gegen den OP-Tisch getauscht. Bei einem Hilfseinsatz im Krankenhaus der vietnamesischen Stadt Đà Nẵng operierte sie als Teil eines Ärzteteams kostenlos einheimische Kinder. „Parlamentsreport“ sprach mit ihr über diesen Perspektivwechsel. Susanne, zum wievielten Mal warst Du inzwischen im Einsatz? Seit 2009 war ich, mit Ausnahme meiner Babypause 2013, in jedem Frühjahr dort. Wer organisiert die Fahrten? Das ist eine Hilfsorganisation namens Deviemed in Würzburg. Die stellt zweimal im Jahr ein Ärzteteam zusammen. Die Arbeit wird aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen finanziert.

zum anderen ist das eine Spätfolge des krebserregenden Herbizids „Agent Orange“, mit dem die amerikanischen Truppen während des Krieges ganze Landstriche entlaubten, um den vietnamesischen Soldaten die Deckung zu nehmen. Die Pestizide sind in den nicht aufgeforsteten Gebieten bis heute in der Nahrungskette nachweisbar. Dadurch kommt es zu Erbgutschäden. Gibt es in Vietnam einen speziellen Mangel an qualifiziertem Personal für dieses Problem? Ja. Das ist ein ganz spezielles OP-Verfahren, in dem man geschult und geübt sein muss. Wir leisten auch Hilfe zur Selbsthilfe, qualifizieren hiesiges Personal. Gibt es noch andere Zeichen, an denen man den Krieg bis heute spüren kann? Sicher ist die Gesellschaft dort immer noch traumatisiert. Der Altersdurch-

schnitt liegt bei knapp über 20 Jahren. Dort ist eine komplette Generation ausgelöscht worden. Wie groß ist euer Team? Es sind immer zehn bis zwölf Ärzte, Pfleger, Schwestern oder Kieferorthopäden. Die kommen aus dem ganzen Bundesgebiet. Ich betreue als Anästhesieschwester den Aufwachraum und übernehme die Narkosebegleitung. Wie viele Operationen schafft ihr im Schnitt täglich? Wir versuchen auf zwei, manchmal auf drei Tischen parallel zu operieren. Das heißt, dass wir etwa sieben Operationen pro Tag schaffen. Operiert ihr ausschließlich Kinder oder auch Erwachsene? Ausschließlich Kinder. Zum Teil stehen dort Hunderte nach einer Operation an, und wir müssen uns überlegen, wie

Bist Du über Deine Tätigkeit als Krankenschwester dazu gekommen? Ich hatte damals kein Geld, um zu spenden, und habe mir gedacht: Wie kannst Du helfen? Das Handwerk, das ich kann, bot sich an, also habe ich mich beworben. Ein Oberarzt hatte gefragt, ob ich ihn begleite. Beim ersten Mal wurden wir abgelehnt, aber beim zweiten Mal konnten wir mitfahren. Seitdem bin ich „gebucht“.

wir die Leute auswählen. Wir operieren vornehmlich Kinder bis drei Jahre, und bearbeiten keine ästhetischen Korrekturen, sondern nur Fälle, in denen wir die Lebensqualität deutlich steigern. Und die kleinen Mäuse haben erstens die besten Chancen auf Wiederherstellung, zweitens noch die meiste Zeit vor sich. Wie sind allgemein die hygienischen Bedingungen? Die kann man mit unseren nicht vergleichen. Die Menschen dort haben auch ein anderes Immunsystem als wir. Erschwerend kommt die Hitze dazu, die ist nicht förderlich für die Wundheilung. Wir essen und wohnen dort auch nicht in Hotels, sondern wie die Einheimischen. Krank sind wir da meistens alle ein bisschen. Wir versuchen die hygienischen Bedingungen trotzdem so optimal wie möglich zu gestalten und richten den OP-Saal komplett selbst ein. Gibt es trotz der stressigen Arbeit auch etwas Freizeit? Wir sind immer abrufbereit, weil auch mal eine Wunde nachbluten kann. Wir machen jeden Tag eine Frühvisite. An Samstagnachmittagen oder an Sonntagen unternehmen wir aber auch mal einen kleinen Ausflug mit dem Moped. Was nimmst Du für die politische Arbeit mit? Man kann Solidarität predigen. Meine Maxime ist aber, gerade auch gegenüber meinen Kindern, dass Solidarität auch Entbehrung bedeuten kann. Die Menschen, die helfen können, die eine Profession oder das Geld haben, sollten das tun.

Welche Erkrankungen operiert ihr vornehmlich? Wir behandeln Kinder mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten. Dieses Phänomen tritt in Vietnam vermehrt auf. Zum einen liegt das an der Fehlernährung,

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Die Hosen der Kanzlerin Die Vorratsdatenspeicherung kommt. Was die schwarz-gelbe Bundesregierung nicht vermochte, schafft eine Koalition aus CDU und SPD: das anlasslose Erfassen jeglicher elektronischer Kommunikation. Der Aufschrei ob dieser Ausspähung ist kaum wahrnehmbar. Haben wir uns damit abgefunden, dass unsere Kommunikation nicht mehr vertraulich ist? Es ist merkwürdig still in diesem Land, in dem Kommunikation immer mehr in Kanälen stattfindet, die für Dritte leicht zugänglich sind. Schuld ist auch die Politik des Sich-NichtEmpören-Wollens, die von der Bundeskanzlerin vorgelebt wird. Als sich der Bundestag mit der Ausspähung von Merkels Handy durch amerikanische Nachrichtendienste befasste, rang sich die Abgehörte lediglich ein schüchternes „Das geht unter Freunden gar nicht“ ab. Nur unter Freunden nicht? Ernsthaftes Handeln entfiel dementsprechend. „Man ahnt: Wenn die Hose der Kanzlerin Feuer finge, sie würde die Flammen entschieden zurückweisen“, kommentierte Parlamentsbeobachter und Buchautor Roger Willemsen lakonisch.

Datensammlungen müssen begrenzt werden, Schnüffelei unterbleiben – bei Geheimdiensten, sonstigen staatlichen Stellen oder anderen Akteuren. Deshalb setzte die Linksfraktion die Vorratsdatenspeicherung auf die Tagesordnung – mit einer Aktuellen Debatte. Juliane Nagel, Sprecherin für Datenschutz, erinnerte an das Urteil des Europäischen Gerichtshofes von 2014. Demnach berührt die Vorratsdatenspeicherung das Grundrecht auf Schutz der Privatheit und den Schutz der privaten Daten. Sie ist unverhältnismäßig. „Das bedeutet, dass nicht allein der Zugang zu den gespeicherten Daten und deren Weiterverarbeitung grundrechtsrelevant sind, sondern schon der Akt der Speicherung“, so Nagel. Es gebe keine Belege für die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung als Ermittlungsmethode. Mit diesem Urteil ist die EU-Richtlinie, mit der die Mitgliedsstaaten zur Einführung des Schnüffelprojekts angehalten werden, vom Tisch. Ob eine neue kommt, ist unklar. Noch im März verkündete Bundesjustizminister Heiko

Maas (SPD), dass es ohne ein Signal aus Brüssel keinen nationalen Alleingang bei der Vorratsdatenspeicherung geben werde. Dennoch legte er bald darauf Eckpunkte vor. Statt für sechs Monate sollen Telefon- und InternetVerbindungsdaten nun maximal zehn Wochen, Handystandortdaten vier Wochen lang gespeichert werden. Das wird als neue „grundrechtsschonende“ Variante der Vorratsdatenspeicherung präsentiert. „Das ist alter Wein in neuen Schläuchen. Übrigens ist ,grundrechtsschonend‘ ein Euphemismus. Entweder ein Vorgang ist konform mit Grundrechten oder nicht!“, so Nagel. „Lassen sie uns dem Weg in die Totalüberwachung das Wasser abgraben. Senden wir aus Sachsen ein NEIN zur neuen Vorratsdatenspeicherung!“, forderte Nagel. Von den Regierungsfraktionen waren die üblichen Beschwichtigungsformeln zu hören – alles nicht so schlimm, so der Tenor. Der Rechtsexperte der Linksfraktion, Klaus Bartl, widersprach: „Die Telefonverbindungsdaten von 80 Millionen Menschen werden monatelang gespeichert, weil die

Polizei sie einmal brauchen könnte. Das ist die Denke nicht eines Rechts-, sondern eine Überwachungsstaats“. Auch das Argument, man werde die gespeicherten Daten vor Missbrauch schützen, überzeuge nicht. „Es gibt in Deutschland derzeit 3600 Anbieter von Telekommunikation. Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff hat bereits bekundet, dass sie mit den jetzigen Mitteln statistisch gesehen jedes der beteiligten Unternehmen alle 360 Jahre kontrollieren könnte“. Der Entwurf des Gesetzes ist bewusst so angelegt, dass es den Bundesrat nicht passieren muss. DIE LINKE fordert von der Staatsregierung, dass sie solche Lumpereien in Berlin verhindert. Dann wäre es auch auf Landesebene möglich, sich zu wehren. Ernsthaftes Handeln für den Datenschutz ist von der sächsischen aber ebenso wenig zu erwarten wie von der Bundesregierung – obwohl mit der SPD eine bekennende Gegnerin der Vorratsdatenspeicherung am Tisch sitzt. Finden wir uns damit nicht ab. Begehren wir auf, für sichere Kommunikation!

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PARLAMENTSREPORT

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„Die Barrieren in den Köpfen sind die Steine auf dem Weg …“ Viele kleine Dinge werden von den meisten Menschen nicht weiter beachtet. Für einen erklecklichen Teil der Bevölkerung stellen sie aber oft große Hindernisse dar. Hohe Bordsteinkanten, zu enge Parkplätze, zu kleine Schrift auf Schildern, „tonlose“ Ampeln – knapp 700.000 Menschen in Sachsen, die mit einer körperlichen, geistigen, seelischen oder/und Sinnesbeeinträchtigung leben, treffen im Alltag noch immer auf Barrieren. Diese existieren nicht zufällig, sondern sie sind Ergebnis menschlichen Handelns. Dahinter steht ein noch immer recht schwaches Bewusstsein für Fragen von Barrierefreiheit und Inklusion. Die Gruppe Blind Foundation hat es

in einem ihrer Songtexte so formuliert: „Die Barrieren in den Köpfen sind die Steine auf dem Weg“. Und weiter: „Habt ein bisschen Mut und die Zweifel sind ganz schnell weggefegt!“ Die Beseitigung dieser Barrieren, innerhalb und außerhalb der Köpfe, ist vielerorts noch Zukunftsmusik. Sachsen ist neben Baden-Württemberg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein eines von wenigen Bundesländern, das nicht über einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verfügt. Eine Schlusslichtposition – auch sechs Jahre nach der Unterzeichnung des auch für Deutschland verbindlichen Übereinkommens. Noch einmal Blind Foundation: „Es ist

in andern Ländern doch schon längst Realität: / alle zusammen vom Kindergarten bis hin zur Universität! / Um dies in Deutschland zu erreichen, muss man erst mal vor Gericht / und trotz viel Mühe, Zeit und Geld ist Inklusion hier nicht in Sicht. / Die Selbstverständlichkeit, mit andern Menschen umzugehn, / fehlt bei vielen heute noch, ja, das kann man täglich sehn“. Dabei ist längst verbrieft: Menschen mit Beeinträchtigungen haben dieselben Rechte wie Menschen ohne dieselben. Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD sieht vor, einen Plan zur Umsetzung der UN-BRK zu entwickeln. Geschehen ist bislang nichts. Per Antrag (Drucksache 6/1384) hat die Linksfraktion deshalb erneut entschlossene Schritte in Richtung Inklusion gefordert. Ein „Sächsischer Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)“ soll auf Daten zur Lebenswirklichkeit von Menschen mit Beeinträchtigung und auf den völker- und menschenrechtlichen Verpflichtungen, die sich aus der UN-BRK ergeben, fußen. Er soll Umsetzungsmaßnahmen und Anforderungen an staatliches Handeln formulieren, um Diskriminierungen gezielt entgegenzutreten. Interessenvertretungen und Verbände der Menschen mit Behinderungen müssen

ständig einbezogen werden. Eine zentrale und weisungsunabhängige Koordinationsinstanz soll die Erarbeitung organisieren. Horst Wehner, Sprecher für Inklusion der Fraktion DIE LINKE, erinnerte die Staatsregierung in der Debatte zum Antrag an ihre Hausaufgaben: „Politik und Staat müssen ihr Handeln konsequent an den Menschenrechten ausrichten. In der Rede des Ministerpräsidenten zum Haushalt war kein einziges Mal von Inklusion die Rede. Das ist nicht hinnehmbar!“ Erst wenn die Verpflichtungen angenommen und daraus ein staatliches Arbeitsprogramm entwickelt würde, handle Sachsen im Sinne der UN-BRK. Doch Pläne seien in jedem Fall zunächst nur Pläne. „Zeigen Sie eine klare Handlungsorientierung! Barrierefreiheit ist elementar für eine inklusive Gesellschaft, in der alle Menschen gleichberechtigt am Leben teilhaben können“, so Wehner. Dennoch fand der Antrag der LINKEN keine Mehrheit – für Wehner nicht nachvollziehbar. „Dabei ist es gar nicht schwer, alle Menschen im Blick zu haben. Von ebenerdigen Zugängen, Schrägen, deutlichen Ausschilderungen profitieren schließlich alle“. Manchmal sind es schließlich auch „kleine Dinge“, mit denen sich Großes schaffen ließe.

So geht „So geht sächsisch“ nicht! Peanuts sind etwas anderes: Insgesamt 16 Millionen Euro will die Staatsregierung allein 2015 und 2016 für die Imagekampagne „So geht sächsisch“ ausgeben. Mit der Umsetzung hat sie die Düsseldorfer Kommunikationsagentur KetchumPleon beauftragt. Vorgebliche Ziele: die Bekanntheit des Freistaates erhöhen, ihm zu einem positiven Image verhelfen. Daran ist nichts auszusetzen. Allerdings haften der Kampagne diverse Geschmäckle an. Das beginnt bei ihrem Start: Seit Januar 2011 stand Geld für die Vorbereitung der Ausschreibung bereit, ausgeschrieben wurde aber erst elf Monate später. Bis zum Kampagnenstart vergingen weitere anderthalb Jahre – bis die Landtagswahl 2014 näher gerückt war. Ein Schelm, wer Böses denkt! Offensichtlich sollte ein großer Teil der regierungsfreundlichen Charme-Offensive zur Wahlkampfhilfe auf Steuerzahlerkosten umfunktioniert werden. Auch die Fortsetzung des Programms, die mit dem Doppelhaushalt für 2015/16 gegen unser Votum beschlossen wurde, kostet Millionen. Klar, dass wir genau hinschauen, ob die Mittel ordnungsgemäß eingesetzt werden. Mit einer Großen Anfrage (Drucksache 6/762) haben wir der Staatsregierung Aufklärung abverlangt. Die Antworten dokumentieren vor allem eines: mangelnde Professionalität und Unkenntnis. So ist bis heute unklar, ob bei der Präsentation der Angebote Fachleute

der Regierung anwesend waren, oder auch, ob das Leistungsverzeichnis von Sachverständigen erstellt wurde. Dass die Regierung diese Fragen nicht beantwortete, kann wohl nur als verschämtes „Nein“ gelten. Hinzu kommt, dass die Staatskanzlei selbst einfachste statistische Auswertungen der facebook-Aktivitäten in Form farbiger Diagramme nicht liefern konnte, obwohl sie mit wenigen Mausklicks sekundenschnell abrufbar sind. Für den LINKE-Abgeordneten Klaus Tischendorf war das nicht nachvollziehbar: „Aber vielleicht sind ihre Bildschirme ja noch im Schwarz-WeißModus eingestellt“. So verfestigt sich der Eindruck, dass die Staatskanzlei seit jeher mit der Steuerung der Kampagne überfordert ist. Mit externen Kommunikationsexperten kann nur auf Augenhöhe zusammenarbeiten, wer selbst über Expertise verfügt! Sonst droht die Gefahr, dass Leistungen ohne Sinn oder zu teuer eingekauft werden – die Agentur als privatwirtschaftliches Unternehmen muss schließlich Geld verdienen. Klaus Tischendorf erkannte zumindest Anzeichen dafür: So hat man für Konzeption und Layout eines 24-seitigen Wirtschaftsmagazins insgesamt 263.000 Euro ausgegeben, 250.000 davon allein für die Konzeption! Hinzu kamen weitere 468.000 Euro für Druck und Vertrieb. Das sei, so Tischendorf, „aber wirklich schon ein Fall für den Rechnungshof“.

Insgesamt bleibt unklar, ob der Umgang der Staatskanzlei mit der Kampagne und dem Landtag – den sie nur lückenhaft informiert – auf Unvermögen oder Absicht beruht. „Beides wäre nicht zu akzeptieren“, so Tischendorf. Überhaupt müsse Sachsen zunächst in seine Substanz investieren, anstatt sich einen schönen, aber letztlich durchsichtigen Anstrich zu verpassen. Wer beispielsweise Fachkräfte halten oder anwerben wolle, müsse attraktive Arbeitsplätze anbieten. Sonst nütze auch die beste Kommunikation nichts. Wir behalten weiterhin einen kritischen Blick auf die Kampagne. Das ist keine Erbsenzählerei – sondern parlamentarische Kontrolle, und ein Gebot der Vernunft.

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig


Kommunal-Info 5-2015 3. Juni 2015 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Kita-Streik Unterschiedliche Standpunkte zur Gebührenrückzahlung Seite 2

Asylrecht Aufenthaltstitel und Unterschiede zur freiwilligen Migration Seite 3

Lärmschutzwände Unterhalt und Kosten im Vergleich

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Seminar Am 3./4. Juli in Siebenlehn zum Thema „Kommunale Einnahmen“ Seite 4

Finanzierung freiwilliger und Pflichtaufgaben Im Rahmen ihrer Finanzhoheit, einem der verfassungsrechtlich verbürgten Hoheitsrechte der Gemeinden, realisieren sie eine eigenverantwortliche Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft. In Artikel 28 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) heißt es dazu: „Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Heberecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.“ In Artikel 106 Abs. 6 GG wird die Steuerhoheit der Gemeinden weiter bestimmt: „Das Aufkommen der Grundsteuer und Gewerbesteuer steht den Gemeinden, das Aufkommen der örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern steht den Gemeinden oder nach Maßgabe der Landesgesetzgebung den Gemeindeverbänden zu. Den Gemeinden ist das Recht einzuräumen, die Hebesätze der Grundsteuer und Gewerbesteuer im Rahmen der Gesetze festzusetzen.“ Das bedeutet aber nicht, dass die Gemeinden die Erfüllung ihrer Aufgaben allein aus den eigenen Einnahmequellen bestreiten müssen. Laut Artikel 87 Abs. 1 seiner Verfassung (SächsVerf) sorgt der Freistaat Sachsen dafür, „dass die kommunalen Träger der Selbstverwaltung ihre Aufgaben erfüllen können.“ Wenn hier von „ihre Aufgaben“ die Rede ist, dann sind damit nicht nur die Pflichtaufgaben gemeint, sondern ebenso die freiwilligen Aufgaben. Die Verfassung des Freistaates Sachsen sieht zwei jeweils eigenständige, inhaltlich unterschiedlich ausgestaltete und voneinander unabhängige Finanz-

garantien vor: den allgemeinen Finanzausgleich (Artikel 87 Abs. 1 und 3 SächsVerf) als die Grundnorm und den Mehrbelastungsausgleich (Artikel 85 Abs. 1 und Abs. 2 SächsVerf) als einen Sondertatbestand.1

ergänzen. Für den Freistaat besteht „eine Einstandspflicht für eine ausreichende Finanzausstattung, soweit die Gemeinden nicht durch eigene Einnahmen und Mittel des Bundes eine aufgabenadäquate Finanzausstattung haben.“3

Angemessene Finanzausstattung

Wahrnehmung von Pflichtaufgaben

Nach Artikel 87 Abs. 1 SächsVerf haben die Gemeinden „gegen den Freistaat einen Anspruch auf eine ausreichende, d.h. angemessene Finanzausstattung. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, den Gemeinden durch eine angemessene Finanzausstattung die Grundlage für eine eigenverantwortliche Selbstverwaltungstätigkeit zu erhalten. Inhalt und Umfang sowie die Grenzen einer angemessenen Finanzausstattung sind dabei nicht allein aus der Sicht der kommunalen Erfordernisse, sondern auch unter Berücksichtigung der Belange von Bund und Ländern zu bestimmen, mit denen die Gemeinden (und Landkreise) in einem gemeinsamen Finanzverbund zusammengeschlossen sind… Der Ausstattungsanspruch ist verletzt, wenn es den Gemeinden unmöglich ist, neben ihren Pflichtaufgaben auch freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben in einem Umfang wahrzunehmen, der der Bedeutung des Selbstverwaltungsrechts entspricht.“2 Um eine angemessene Finanzausstattung der kommunalen Träger der Selbstverwaltung zu gewährleisten, sind die nicht ausreichenden kommunalen Einnahmequellen durch staatliche Finanzzuweisungen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs zu

Werden den Gemeinden und Landkreisen Pflichtaufgaben oder Weisungsaufgaben auferlegt, „sind Bestimmungen über die Deckung der Kosten zu treffen.“ (Artikel 85 Abs. 1 SächsVerf) Führt die Wahrnehmung dieser Aufgaben zu einer Mehrbelastung, „so ist ein entsprechender finanzieller Ausgleich zu schaffen. Dies gilt auch, wenn freiwillige Aufgaben in Pflichtaufgaben umgewandelt werden oder wenn der Freistaat Sachsen durch ein Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes nachträglich eine finanzielle Mehrbelastung bei der Erledigung übertragener oder bestehender Aufgaben unmittelbar verursacht.“(Artikel 85 Abs. 2 SächsVerf) Im Unterschied zum allgemeinen Finanzausgleich geht es hier im Sinne des strikten Konnexitätsprinzips um einen nicht nur angemessenen, sondern vollständigen, von der Finanzkraft der Gemeinden unabhängigen Mehrbelastungsausgleich. Denn nur auf diese Weise könne verhindert werden, „dass die Gemeinden infolge einer Überlastung mit Pflichtaufgaben ihre eigentlichen Selbstverwaltungsaufgaben vernachlässigen oder nicht mehr wirksam erfüllen können.“4 Dieser Mehrbelastungsausgleich wer-

de nur für die durch Landesgesetz übertragenen, neuen Aufgaben gewährt. Offen gelassen werde dabei, ob dies auch für vorkonstitutionelle, „alte“, vor dem Inkrafttreten der Sächsischen Verfassung (6. Juni 1992) übertragene Aufgaben gelte.5 In der bis dahin geltenden DDR-Kommunalverfassung hatte es in § 3 Abs. 3 geheißen: „Führen diese Aufgaben zu einer Mehrbelastung der Gemeinden, sind dementsprechend die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen.“ Deshalb sei daran gedacht, vorkonstitutionell auferlegte Pflichtaufgaben in die Abwägung zum jeweiligen kommunalen Finanzausgleich einzubeziehen.6 Eine Kostendeckungsregelung muss bereits zum Zeitpunkt der gesetzlichen Aufgabenübertragung vorhanden sein oder hat in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dieser zu geschehen. Der sachliche und zeitliche Zusammenhang zur Aufgabenübertragung ist zwar zu wahren, jedoch gelte keine strikte Verbindung, sodass die Gemeinden nicht berechtigt seien, die Ausführung eines Gesetzes wegen ausbleibender Kostenerstattung zu verweigern. Die Kostendeckungsregelung habe nicht zwingend in demselben Gesetz zu erfolgen, das neue Pflichtaufgaben auferlegt. Die Formen der Kostendeckung können vielgestaltig sein: eine mögliche Ermächtigung zu Gebührenoder anderen Abgaberegelungen, die gleichzeitige Entlastung durch Entziehung anderer Aufgaben, besondere Zuweisungen oder eine Ergänzung zu den Fortsetzung auf Seite 2


Kommunal-Info 5/2015

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Gebührenrückzahlung bei Kita-Streik? Bundesweit werden Kitas bestreikt. Einige Kommunen haben den Eltern Gebührenrückzahlungen für den Streikzeitraum versprochen, andere schließen dies aus. Kämmerer sollten beachten: Nicht jede Kommune darf die Gebühren überhaupt zurückerstatten. Eine Besonderheit dieses Streiks ist, dass die Kommunen als Arbeitgeber finanziell – wenn auch nur leicht – von jedem Streiktag profitieren, denn die Gebührenzahlungen der Eltern fließen weiter, während die Kommunen die Gehälter nicht zahlen müssen. Stattdessen springt die Streikkasse der Gewerkschaft ein. Laut Recherchen des Regionalfernsehsenders WDR könnten allein die NRW-Kommunen pro Streiktag insgesamt 1,5 Millionen Euro sparen. Davon entfielen 500.000 Euro allein auf die Stadt Köln. Nun hat der Kölner Stadtrat aller-

dings beschlossen, den Eltern die gezahlten Gebühren für den Streikzeitraum zurückzuerstatten. Auch die Stadt Dortmund will das Geld zurückzahlen. In Hessen haben sich dazu laut einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur die Gemeinde Kaufungen und die Stadt Hanau bereiterklärt. Allerdings ziehen die meisten Kommunen bei der Rückerstattung nicht mit. Die Städte Frankfurt, Offenbach, Fulda, Gießen, Wiesbaden, Kassel, Düsseldorf, Gütersloh, Ahlen und Münster lehnen beispielsweise eine Auszahlung der entsprechenden Gebühren explizit ab. Sie begründen dies damit, dass die Eltern keinen Rechtsanspruch auf die Zahlung hätten. Diese Position teilen die genannten Städte mit den kommunalen Spitzenverbänden. Ein Rechtsanspruch auf Gebührenrückzahlungen bestehe

nicht, sagte eine Sprecherin des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. Zwar könnten keine pauschalen Aussagen gemacht werden, da die konkreten Gebührenregelungen Sache der jeweiligen Kommune seien. Es sei aber nicht davon auszugehen, dass in den kommunalen Satzungen ein Anspruch auf Rückerstattung von Elternbeiträgen aufgrund von Streiks enthalten sei. Vielmehr sei davon auszugehen, dass aufgrund höherer Gewalt bzw. Betriebsstörungen die Zahlungspflicht der Eltern weiterhin bestehe. Und Streiks würden in der Rechtsprechung in der Regel als höhere Gewalt bewertet. Ein Anspruch auf Rückerstattung könne lediglich für die Essensgebühren gelten. Der Deutsche Städtetag teile diese Auffassungen im Wesentlichen. Diejenigen Kommunen, die sich zu einer Rückerstattung bereiterklärt haben, tun dies also offenbar freiwillig. Gut möglich, dass nun einige weitere

Fortsetzung:

Kreistag festgelegt.“ Ursprünglich als subsidiäres Deckungsmittel gedacht, ist die Kreisumlage inzwischen zu einer gewichtigen und festen Einnahmequelle der Landkreise geworden. Zusammen mit den Zuweisungen des Landes ist sie nach Aussage des Deutschen Landkreistags (DLT) eine Haupteinnahmequelle der Landkreise. Nach Angaben des DLT, dem kommunalen Spitzenverband der Landkreise auf Bundesebene, betrug dieser Anteil im Jahr 2013 an den Gesamteinnahmen der Landkreise in den Bundesländern (in Klammern dazu der Durchschnitt der Hebesätze der Kreisumlage) 8 : Sachsen 25,9 % (31,70), Meckl.-Vorpommern 24,8 % (46,68), Thüringen 26,5 % (41,62), Sachsen-Anhalt 28,1 % (44,73), Brandenburg 30,3 % (45,62), Saarland 59,0 % (55,30), NRW 56,7 % (48,74), Hessen 54,1 % (56,71), Bayern 54,0 % (48,68), Baden-Württemberg 41,0 % (33,04), Rheinland-Pfalz 35,8 % (43,25), Niedersachsen 35,0 % (50,89), Schleswig-Holstein 30,9 % (37,37). Die hier dargestellten Vergleichszahlen sind aber mit Vorsicht zu interpretieren, können sie doch bestenfalls eine Tendenz aufzeigen. Ein direkter Vergleich zwischen den Ländern ist aufgrund der Unterschiedlichkeit der Landesgesetzgebungen nur sehr eingeschränkt möglich. Insbesondere ist zu beachten, dass die Finanzzuweisungen aus den Finanzausgleichsgesetzen an die Landkreise und Gemeinden in den einzelnen Ländern unterschiedlich aufgeschlüsselt sind. Weiterhin stellt sich der Kommunalisierungsgrad (als Aufgabenverteilungsmaßstab zwischen Land und seinen Kommunen) in den Bundesländern als sehr heterogen dar. Die Verfassungsmäßigkeit der Kreisumlage gilt grundsätzlich als unbestritten. Sie darf allerdings den Kernbereich der gemeindlichen Finanzhoheit nicht antasten. Das sei allerdings nicht schon dann gegeben, wenn die Wahrnehmung freiwilliger Aufgaben der Gemeinden durch die finanzielle Belastung der Kreisumlage eingeschränkt wird. Ein Verstoß gegen die durch Art. 28

Abs. 2 GG garantierte gemeindliche Finanzhoheit sei dann gegeben, wenn die Gemeinden durch Abgaben und Umlagen derart ihrer Mittel beraubt werden, dass ihre Finanzverantwortlichkeit beeinträchtigt und ihre Finanzausstattung in Frage gestellt wird. In der Literatur wurde zwar ein Verstoß gegen die gemeindliche Selbstverwaltung z.B. dann angenommen, wenn die Selbstverwaltungseinnahmen (Schlüsselzuweisungen und Steuern) mit mehr als 50 % durch die Kreisumlage aufgezehrt werden (Schmidt-Jortzig, „Zur Verfassungsmäßigkeit von Kreisumlagen“, Schriftenreihe des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Heft 27).9 Aber Verwaltungsgerichte haben es bislang hingegen vermieden, einen bestimmten Prozentsatz festzustellen, bei dessen Überschreiten ein Kreisumlagehebesatz verfassungswidrig sei. Die Finanzbeziehungen zwischen Landkreis und Gemeinden werden von den Verwaltungsgerichten eher mit grundsätzlichen Feststellungen beschieden. So geht das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in seinem Urteil vom 31.01.2013 davon aus, dass sich innerhalb des kreiskommunalen Raumes weder für den Finanzbedarf des Kreises noch für denjenigen der kreisangehörigen Gemeinden von Verfassung wegen ein Vorrang behaupten lässt. Ein Landkreis dürfe die Kreisumlage jedoch nicht einseitig und beliebig festsetzen, „vielmehr muss er die grundsätzlich gleichrangigen Interessen der kreisangehörigen Gemeinden in Rechnung stellen“, er darf „seine eigenen Aufgaben und Interessen nicht einseitig und rücksichtslos gegenüber den Aufgaben und Interessen der kreisangehörigen Gemeinden durchsetzen“. Unter Bezugnahme auf Entscheidungen verschiedener Oberverwaltungsgerichte spricht das BVerwG von Mindestgarantien für die Gemeinden. Danach müssen die Gemeinden „mindestens über so große Finanzmittel verfügen, dass sie ihre pflichtigen (Fremd- wie Selbstverwaltungs-)Aufgaben ohne (nicht nur vorübergehende) Kreditaufnahme erfüllen können und darüber hinaus noch über eine „freie Spitze“ verfügen, um zusätzlich freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben in einem bescheidenen, aber doch merk-

Finanzierung ... Finanzausgleichszuweisungen.7 Kein Mehrbelastungsausgleich besteht für solche Aufgaben, die den Kommunen durch Bundesgesetz übertragen worden sind. Hier gilt die allgemeine Einstandspflicht des Freistaates Sachsen für seine Kommunen nach Artikel 87 Abs. 1 SächsVerf, was durch den Finanzausgleich sichergestellt wird. Im Übrigen wird die Frage der finanziellen Folgen bundesgesetzlicher Aufgabenübertragung an die Gemeinden zunehmend an praktischer Bedeutung verlieren, da seit dem 1.9.2006 nach Artikel 84 Abs. 1 und Artikel 85 Abs. 1 GG folgende Bestimmung gilt: „Durch Bundesgesetz dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden.“

Kreisumlage

Die Landkreise erfüllen alle überörtlichen und alle die Leistungsfähigkeit der einzelnen kreisangehörigen Gemeinde übersteigenden Aufgaben. Zur Deckung ihres Finanzbedarfs können Landkreise dafür eine Kreisumlage von den kreisangehörigen Gemeinden erheben. Bemessungsgrundlage sind die gemeindlichen Steuereinnahmen (Grundsteuern, Gewerbesteuer und Gemeindeanteile an der Einkommensteuer und Umsatzsteuer) und die allgemeinen Schlüsselzuweisungen aus dem Sächsischen Finanzausgleichsgesetz (SächsFAG). Von dieser Umlagegrundlage wird ein bestimmter Prozent-Satz als Kreisumlagesatz definiert. Die Kreisumlage ist eine auf die verfassungsrechtliche Garantie des Selbstverwaltungsrechts der Kreise sowie auf Art. 106 Abs. 6 GG gestützte, von der gemeindlichen Finanzmasse abgeleitete Einnahmequelle der Kreise, deren Erhebung allein der verantwortlichen Entscheidung des Kreistages obliegt. Mit § 26 Abs. 1 SächsFAG werden die Landkreise zur Erhebung der Kreisumlage ermächtigt: „Die Landkreise erheben, soweit ihre sonstigen Erträge nicht ausreichen, um ihren Finanzbedarf zu decken, von den kreisangehörigen Gemeinden eine Kreisumlage. Die Höhe der Kreisumlage wird vom

Kommunen folgen werden. Allerdings sollten Kämmerer, deren Kommune sich in einer finanziell schwierigen Lage befindet, prüfen, ob eine Rückerstattung für sie überhaupt in Frage kommt. Beispielsweise heißt es in einem Schreiben des NRW-Innenministerium aus dem Jahr 2009, dass eine „Erstattung geleisteter Elternbeiträge bei Nothaushaltskommunen und solchen Kommunen kommunalaufsichtsrechtlich nicht geduldet werden kann, die überschuldet sind oder denen die Überschuldung im Finanzplanungszeitraum droht.“ Der Grund: Das Ministerium geht davon aus, dass eine rechtliche Verpflichtung zur Rückerstattung nicht vorliegt. Demnach würde es sich bei der Rückzahlung um eine freiwillige Leistung handeln, die wiederum mit einer „dauerhaft vorläufigen Haushaltsführung“ nicht vereinbar sei.

lichen Umfang wahrzunehmen.“ Abschließend stellt das BVerwG fest, dass ein Landkreis seine Finanznot nicht einfach auf die kreisangehörigen Gemeinden abwälzen darf, sondern sich hier an das Land zu halten habe.10 AG —

(Quelle: www.derneuekaemmerer.de)

1

Vgl. Menke/Arens, Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Kommentar, 4. Aufl. 1994, Kohlhammer, S. 11, Rn. 17. 2 Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, Erich Schmidt Verlag, Kommentar zu § 2, Rn. 45. 3 Menke/Arens, Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Kommentar, a.a.O., S. 11, Rn. 16. 4 Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar …, a.a.O., Rn. 64. 5 Vgl. Menke/Arens, Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Kommentar, a.a.O., S. 12, Rn. 18. 6 Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar …, a.a.O., Rn. 68. 7 Vgl. ebenda, Rn. 65. 8 www.landkreistag.de/themen/kreisfinanzen/1501-kreisfinanzen-editorial-2013-2014.html 9 Vgl. Vogelsang/Lübking/Ulbrich, Kommunale Selbstverwaltung, 3. überarb. Aufl., E. Schmidt Verlag 2005, S. 293ff. 10 BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 8 C 1.12

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.


Kommunal-Info 5/2015

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Aufenthaltstitel im Asylrecht Unterschiede zur freiwilligen Migration Von Konrad Heinze, Chemnitz Im Jahr 2013 waren laut Angaben des UNHCR, des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, insgesamt 51,2 Mio. Menschen auf der Flucht – so viele, wie seit dem Ende des 2. Weltkrieges nicht mehr. Von diesen 51,2 Mio. sind 33,3 Mio. sogenannte Internal Displaced Persons, Binnenvertriebene, die während der Flucht keine Staatsgrenzen überschreiten, sondern Schutz in einem anderen Teil ihres Herkunftslandes suchen. Wiederum von der Gesamtmenge ausgehend, gelten 16,7 Mio. als „Flüchtlinge“ im völkerrechtlichen Sinne und nur 1,2 Mio. als Asylsuchende.1 Allen gemein ist jedoch, dass sie vor Zuständen und Ereignissen fliehen, die einzeln wie in ihrer Gesamtheit die eigene Existenz selbst bedrohen. Kriege, bewaffnete Konflikte, Hunger, Natur- und Umweltkatastrophen, Verfolgung aufgrund der politischen, sexuellen/geschlechtlichen oder religiösen Identität, massive Menschenrechtsverletzungen oder auch der fehlende Zugang zu grundlegenden Institutionen des sozialen Lebens wie Bildung und Gesundheit – die Gründe und Ursachen für Fluchtbewegungen sind mannigfaltig und nicht hier erschöpfend darstellbar. Dennoch wird eines ersichtlich: Flucht ist zwar eine Form von Migration, aber sie ist von äußeren Umständen erzwungen und somit deutlich von der freiwilligen Aus- und Einwanderung, etwa zu Zwecken der Arbeitsaufnahme oder des Studiums, abzugrenzen. Zur Veranschaulichung dessen dient der Umstand, dass für die legale Einreise in einen EU-Staat, damit auch nach Deutschland, zwingend ein gültiger Nationalpass als auch ein Visum nötig sind. Im Rahmen der freiwilligen Einwanderung, etwa um der genannten Gründe Arbeit oder Studium halber, gibt es etliche Wege, Visa zu beantragen. Ein Visum zum Zwecke der Antragstellung auf Asyl gibt es hingegen nicht.2 Womit die Flucht in einen Staat der EU von vornherein zunächst als illegal gilt. Jedoch ist es widersinnig anzunehmen, ein Mensch nähme die Gefahren einer ungewissen Flucht aus der Heimat auf sich, ohne dafür existenzielle Gründe zu haben. Doch fällt im öffentlichen Diskurs immer wieder auf, dass eben Begriffe wie Migration, Flucht und Einwanderung auf eine inhaltlich unzutreffende Weise miteinander vermengt werden. Im Bereich des Asyls in Deutschland ist wiederum eine Binnendifferenzierung vorzunehmen, die sich aus den rechtlichen Bedingungen des erteilten Schutzstatus am Ende eines Asylverfahrens ergibt. Während des laufenden Asylverfahrens, welches in der Verantwortung des Bundesamts für Migration und Flucht (BAMF) liegt, wird die asylsuchende Person auch als Asylbewerber_in bezeichnet. Hierfür wird eine Aufenthaltsgestat-

tung erteilt3, welche kein Aufenthaltstitel ist, sondern lediglich der antragstellenden Person den Aufenthalt zum Zwecke des Asylverfahrens gestattet. Wichtig ist anzumerken, dass vor der inhaltlichen Prüfung des Asylantrages geprüft wird, ob Deutschland im Rahmen der Dublin-III-Verordnung überhaupt zuständig ist. Diese besagt, dass der EU-Staat für das Asylverfahren verantwortlich ist, über welchen die schutzsuchende Person in die EU eingereist ist. Das Asylverfahren selbst dauerte 2014 im Schnitt 7,1 Monate. Dies ist allerdings ein statistischer Mittelwert, gruppen- wie einzelfallbezogen kann die Bearbeitung der Anträge wesent-

ge den gleichen Status. Ihnen wird eine Aufenthaltserlaubnis über drei Jahre sowie ein Flüchtlingspass erteilt, sie haben einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt, Anspruch auf einen Integrationskurs und es können Leistungen nach SGB II und der Ausbildungsförderung sowie Kinder-, Eltern- und Wohngeld bezogen werden. Liegt keine Asylberechtigung oder Flüchtlingseigenschaft vor, aber es drohe bei der Rückkehr ins Herkunftsland ein ernsthafter Schaden8, kann „subsidiärer Schutz“ erteilt werden. Dieser basiert auf der Umsetzung der EU-Qualifikationsrichtlinie in nationales Recht im Dezember 2013. Die europarechtlich angestrebte Gleich-

lich länger dauern.4 Bundesweit von Bedeutung für die Kommunen und auch in Sachsen deutlich spürbar ist der 2012 einsetzende Trend, dass die Asylsuchenden immer früher aus den zentralen Aufnahmeeinrichtungen auf die aufnehmenden Kommunen verteilt werden. Hierüber kann es zu den erwähnten Verzögerungen im Ablauf des Asylverfahrens kommen, gerade wenn die Asylsuchenden mitunter monatelang auf die für das Verfahren zentrale Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flucht warten müssen. Zugleich verlagert sich die nötige Beratungsarbeit mehr und mehr in die Kommunen.5 Am Ende des Verfahrens steht die Entscheidung des BAMF über den Asylantrag. Die „Asylberechtigung“ aufgrund politischer Verfolgung gemäß Art. 16a GG ist eher selten. Die Begründung hierfür liegt in den Einschränkungen im Grundgesetz selbst, insbesondere der „sicheren Drittstaatenregelung“.6 Zahlenmäßig relevanter als die „Asylberechtigung“ nach dem Grundgesetz ist die Zuerkennung der „Flüchtlingseigenschaft“. Grundlage hierfür ist die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) von 1951, die als Herzstück des internationalen Flüchtlingsschutzes gilt. Die völkerrechtliche Bestimmung des „Flüchtlings“ gemäß der GFK wurde 2013 wortwörtlich ins nationale Recht übernommen.7 „Asylberechtigte“ und „Flüchtlinge“ nach der GFK erhalten in der Rechtsfol-

stellung des subsidiären Schutzes mit der GFK wurde allerdings nicht umgesetzt. Zwar haben subsidiär Geschützte den gleichen Anspruch auf soziale Leistungen wie Asylberechtigte oder Flüchtlinge nach der GFK, jedoch gilt ihre Aufenthaltserlaubnis erst einmal nur für ein Jahr. Sie erhalten auch keinen Flüchtlingspass und sind insbesondere im Bereich des Familiennachzuges schlechter gestellt. Die „nationalen Abschiebeverbote“, auch „nationaler subsidiärer Schutz“ genannt, nach § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz haben einen nochmals eingeschränkten Status zur Folge. So gilt auch hier die Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr. Vor dessen Erteilung wird jedoch geprüft, ob die Ausreise in einen anderen Staat möglich ist. Personen mit diesem Status haben keinen Anspruch auf einen Integrationskurs. Wird der Antrag abgelehnt, geht zusammen mit dem Negativbescheid eine Ausreiseaufforderung mit Frist und der Androhung auf Abschiebung einher. Stehen aber der „vollziehbaren Ausreisepflicht“ nach Ablauf der Frist rechtliche oder tatsächliche Gründe entgegen, wird eine Duldung erlassen.9 Diese stellt keinen Aufenthaltstitel dar, sondern ist vielmehr eine Bescheinigung, dass sich die Person vorerst nicht illegal in Deutschland aufhält. Eine Duldung beinhaltet nur sehr begrenzte Rechte. So ist der Zugang zu Sozialleistungen und Arbeitsmarkt, Integrationsangeboten und einer medizinischen

Versorgung stark eingeschränkt.10 Bezogen auf das Erhebungsjahr 2013, lebten in Sachsen insgesamt 4,05 Mio. Menschen. Den Bereich der Einwanderung betreffend, waren davon 99.325 Ausländer_innen – sie haben ihren Lebensmittelpunkt im Freistaat, aber keine deutsche Staatsbürgerschaft. Angaben zur Anzahl der Menschen mit „Migrationshintergrund“ in Sachsen beruhen mangels Statistik auf Schätzungen. Eine Studie ging für das Jahr 2011 von 219.000 Menschen aus.11 Der Begriff des „Migrationshintergrundes“ selbst ist wenig trennscharf und die darunter zusammengefasste Gruppe ist in sich sehr verschieden. Zum Verständnis sei jedoch angemerkt, dass hierunter auch die in Deutschland geborenen Kinder einer eingewanderten Elterngeneration fallen. Mehr als 40% der Eingewanderten stammen aus der EU, mehr als die Hälfte kommt zum Zwecke der Arbeit nach Sachsen. Überdies studierten 2013 ca. 13.000 internationale Studierende an den sächsischen Hochschulen.12 Aktuellere Zahlen sind für den Bereich von Flucht und Asyl verfügbar. Zum 31.03.2015 lebten 13.112 Asylbewerber_innen im laufenden Verfahren in Sachsen. Von Januar bis März wurde über 1.820 Asylanträge entschieden: davon 19 als „asylberechtigt“, 388 als „Flüchtlinge nach GFK“, einer als „subsidiärer Schutz, in 12 Fällen „nationale Abschiebeverbote“.13 — 1 Vgl. UNHCR (Hrsg.): Global Trends 2013, S.2. 2 Vgl. Hügel, Volker Maria/Eichel, Kirsten: Grundlagen des Asylverfahren, Dezember 2014, S. 3. 3 Vgl. §55 AsylVFG i.V.m. §63 AsylVFG 4 Vgl. Thränhardt, Dietrich: Die Arbeitsintegration von Flüchtlingen in Deutschland, 2015, S. 16. 5 Vgl. Hügel, Volker Maria/Eichel, Kirsten: Grundlagen des Asylverfahren, Dezember 2014, S. 5. 6 Vgl. Art. 16a Abs. 2 GG. 7 Vgl. Art. 3 AsylVFG. 8 Vgl. Art. 4 AsylVFG. 9 Vgl. Art. 60a Abs. 2 AufenthG. 10 Gleiches gilt für die Aufenthaltsgestattung während des laufenden Verfahrens, gesetzliche Grundlage ist hier das Asylbewerberleistungsgesetz. 11 Vgl. Risch, Wolfram/Christian Vogel: Migrantinnen und Migranten als selbstständige Wirtschaftsakteure in Sachsen, Chemnitz 2011, S. 8. 12 Vgl. Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen (Hrsg.): Ausländische Mitbürger in Sachsen, Stand November 2014. 13 Sächsisches Ministerium des Innern (Hrsg.): Asyl in Sachsen, Mai 2015.


Kommunal-Info 5/2015

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Unterhalt von Lärmschutzwänden Kosten im Vergleich

Bei der Entscheidung, eine Lärmschutzwand zu bauen, spielen viele Faktoren eine wesentliche Rolle. Dazu zählen Platzbedarf, Bauhöhe, Gestaltung, Systemart und Werkstoff sowie die Anschaffungskosten. Dieser Beitrag beleuchtet den Aspekt der Unterhaltungskosten. Lärmschutzvorrichtungen werden nach der Bauweise unterschieden: Wall, Steilwall (erdbefüllte Systeme), Wand. Die Schutzwände wiederum kennzeichnet eine vertikale, schmale Bauweise und die Tiefengründung. Meistens kommen Element-Fertigteilsysteme zum Einsatz. Es gibt Lärmschutzwände aus Holz, Aluminium, Beton, (Recycling-)Kunststoff sowie transparente Systeme und begrünbare Wände. In wirtschaftlicher Hinsicht sind nicht nur die Anschaffungskosten, sondern auch die Kosten für die Unterhaltung zu berücksichtigen. Viele Bauprojekte werden von einem Investor realisiert einschließlich der Erschließungsmaßnahmen und Umset-

sofort zu entfernen. Bei der Planung einer Lärmschutzwand können jedoch Anti-Graffiti-Beschichtungssysteme berücksichtigt werden. Diese halten zwar die Sprayer nicht fern, erleichtern aber die Reinigung. Grüne Systeme sind durch die unebene Fläche und die Pflanzen für Sprayer nicht interessant. Sollte in der Bauphase dennoch gesprüht werden, so werden diese durch Kletterpflanzen überwachsen. Im Folgenden werden die Unterhaltungsmaßnahmen für Schallschutzwände aus unterschiedlichen Baustoffen dargestellt, die hauptsächlichen Kostentreiber aufgezeigt sowie Hinweise zur Instandhaltung gegeben.

Lärmschutzwände aus Holz

Jährliche Kontrolle der Frontleisten (Halbrundlattung) und Rückseite (Anlieger) inklusive sofortiger Ersatzeinbau und Prüfung der Horizontalrahmen/Riegel;

Einladung zum Seminar

Wo kommen die kommunalen Einnahmen her? Grundlagen der kommunalen Steuern der Gebühren- und Beitragskalkulation sowie des Sächsischen Finanzausgleiches (SächsFAG)

am 3./4. Juli 2015 in 09603 Siebenlehn (Großschirma) Hotel „Schwarzes Roß“, Freiberger Straße 9 Neben den allgemeinen Themen der Finanz-und Einnahmesituation der Kommunen werden im Seminar die Grundlagen der gemeindlichen Steuern (Grundsteuer, Gewerbesteuer, Hundesteuer, Umsatzsteuer, Einkommensteuer) betrachtet. Darüber hinaus stehen insbesondere zwei Schwerpunkte im Fokus der Veranstaltung: Gebühren- (und Beitrags)kalkulation Wie werden Gebühren kalkuliert? Einführung in die rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Grundlagen der Gebühren- und Entgeltkalkulation an Hand von Beispielen. Welchen Zweck erfüllt die Gebührenkalkulation? (Kostendeckende Gebühren, Kalkulationszeitraum, Kostenüberschreitungsverbot, Vorkalkulation, Nachkalkulation,…) Der kommunale Finanzausgleich im Freistaat Sachsen Auf welcher Basis steht der sächsische Finanzausgleich? Wie wirkt der Gleichmäßigkeitsgrundsatz? Was ist eine abundante Gemeinde? Was machen andere Bundesländer (besser)? Welche Änderungen zeichnen sich ab/ sind notwendig? Das Seminar bietet daneben auch Raum für einen intensiven Meinungsaustausch sowie für die Diskussion zu von den Teilnehmern ganz speziell „mitgebrachten“ Problemlagen. Gemeinsam kann beispielsweise den Fragen nachgegangen werden: Wie viel einer Gewerbesteuermehreinnahme bleibt in meiner Kasse? Welche finanziellen Auswirkungen hat der Wegzug eines Einwohners? Referent: Alexander Thomas (Dipl.-Verwaltungswirt, Parlamentarisch-wissenschaftlicher Berater)

Weitere Informationen:

Teilnehmerbeitrag: 20,00 Euro 5,00 Euro für ALG II , Sohi-Empfänger, Studenten Übernachtung und alkoholfreie Tagungsgetränke sind im Beitrag enthalten Einchecken im Hotel: Freitag, 3. Juli, ab 17 Uhr Beginn des Seminars: Freitag, 3. Juli, 18 Uhr Ende des Seminars: Sonnabend, 4. Juli, gegen 15.30 Uhr zung der Lärmschutzvorgaben. Nach dem Endausbau des Baugebietes gehen die Rechte und Pflichten ins Eigentum einer Kommune über. Städte und Gemeinden wollen bereits vorher über die Folgekosten einer Lärmschutzwand informiert sein. Gleiches gilt innerhalb einer Kommune, wenn zum Beispiel das Planungs- oder Bauamt eine Lärmschutzmaßnahme durchsetzen muss, das Grünflächen- oder Straßenbauamt aber die Unterhaltung übernehmen soll. Unterhaltung oder – bei begrünten Systemen – Pflege kommt für alle Lärmschutzbauten in Betracht. Sie besteht aus Überwachung, Reinigung und gegebenenfalls Reparatur, um weitere schwerere Folgeschäden zu vermeiden. Alle Lärmschutzsysteme mit „harter Front“ und glatter Oberflächenstruktur sind von Graffitis bedroht. Betroffen sind meist der Anfang und das Ende einer Lärmschutzwand oder der Bereich von (transparenten) Schallschleusen oder Parkplätzen. Die Eigentümer und Betreiber einer Lärmschutzwand sind verpflichtet, „Schmierereien“ zu beobachten und im Fall von Beleidigungen

Prüfung auf Tierbefall in der Dämmwolle sowie auf Feuchtstellen; Holzelemente sollten einen freien Abstand zum Erdreich von 20 bis 30 Zentimeter sowie keine fremden Anschüttungen oder Befestigungen haben; Graffitis.

Lärmschutzwände aus Beton

Jährliche Kontrolle der Betonfläche auf Abplatzungen, Frostschäden und Risse; Kleine Reparaturen werden mit speziellen Zementmörtel ausgeführt; Setzungen; Graffitis.

Lärmschutzwände aus Aluminium

Jährliche Kontrolle der Elementfläche auf Verbindungen durch Nut und Feder; Prüfung auf Tierbefall in der Dämmwolle sowie auf Feuchtstellen; Graffitis.

Lärmschutzwände aus Acrylglas oder Verbundsicherheitsglas (VSG)

Jährliche Kontrolle der Elementfläche auf Befestigung im Träger;

Reinigung, damit die Scheiben klar bleiben (Regen hilft nicht immer); Graffitis.

Begrünte Lärmschutzwände

Jährliche Kontrolle der Elementfläche und Prüfung auf Tierbefall; Einmaliger Rückschnitt der Begrünung (oder alle 2 bis 3 Jahre); Unkraut im Wandfußbereich entfernen; Nachpflanzen bei Ausfällen. Die direkten Herstellungskosten sind recht einfach zu vergleichen. Etwas schwieriger ist dies im Fall der Unterhaltung. Hier sind externe Kostenfaktoren wie Vandalismus und Graffitis in der Menge und Häufigkeit nicht zu berechnen. Es können nur Annahmen gemacht werden, ob und wie oft gereinigt werden soll. Dabei ist bei Lärmschutzwänden aus Beton, Aluminium und bei transparenten Systeme mit zusätzlichen Reinigungen zu rechnen. Die Kosten für das Auftragen eines permanenten Graffiti-Schutzsystems sind materialspezifisch unterschiedlich. Sie reichen von rund 45 Euro je laufendem Meter für

Beton über 100 Euro für Aluminium bis zu 200 Euro für eine transparente Lärmschutzwand aus Acrylglas (PMMA), jeweils bezogen auf Auftragsflächen größer 50 Quadratmeter. Der wirtschaftliche Aufwand für die Pflege und Unterhaltung von begrünten Lärmschutzsystemen hängt wesentlich vom Standort ab. Gleiches gilt für die Graffiti-Reinigung. Zudem ist eine eventuelle Anti-Graffiti-Beschichtung bei den Herstellungskosten zu berücksichtigen. Nach Angaben des Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur sind im Jahr 2013 in Deutschland rund 72,3 Millionen Euro für Lärmvorsorge und 44,1 Millionen Euro für Lärmsanierung ausgeben worden. Lärmschutzwälle wurden in einer Gesamtlänge von rund 8,91 Kilometer erstellt. Die Gesamtfläche errichteter Lärmschutzwände lag bei rund 116.600 Quadratmetern. Die Preise lagen zwischen 235 und 375 Euro je Quadratmeter (brutto inkl. Nebenleistungen). (Quelle: www.gemeinderat-online.de, Nr. 3/2015)


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