Liebe Leserinnen und Leser,
im Digitalabo. Jede Ausgabe schon drei Tage früher im Mailpostfach! Jetzt kostenlos bestellen: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder 0351-84 38 9773.
Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt März 2016
Wie gesagt, einigermaßen. Denn das Schicksal von „Leipzigs Neue“ schwebt als Damoklesschwert auch über der „Links!“, und unser gemeinnütziger Herausgeber-Verein sucht nach Wegen, mit den gestiegenen Vertriebskosten umzugehen. Die reißen mittlerweile pro Ausgabe ein vierstelliges Finanzloch, und weil wir die Kosten beim besten Willen nicht weiter reduzieren können, müssen wir – das kennen vor allem LINKE vom Staatshaushalt – über die Einnahmenseite nachdenken. Auch hier stoßen wir freilich schnell an Grenzen. Denn es bleibt unser Ziel, für unsere Leserinnen und Leser weiter kostenlos zu erscheinen. Unsere einlegenden Partnerinnen und Partner – die Partei DIE LINKE. Sachsen, die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag sowie das Kommunalforum Sachsen e. V. – leisten ihren Beitrag im Kampf gegen das Defizit. Das kann aber naturgemäß nur eine Teillösung bleiben. Unser Finanzkonzept war schon immer „auf Kante genäht“, doch es hat in den letzten Jahren immer irgendwie gereicht. Bis jetzt. Schon im letzten Sommer sahen wir uns gezwungen, einen Text von der (für jeden Autoren) unangenehmen Sorte zu schreiben – einen Spendenauf-
Bild: Burkard Vogt/pixelio.de
Links!
es lässt nichts Gutes ahnen, wenn sich eine Redaktion auf der Titelseite an ihre Leserinnen und Leser wendet. Manche mögen sich an die Ausgabe November/Dezember 2015 von „Leipzigs Neue“ erinnern, die mit den großflächigen Zahlen „1993-2015“ aufmachen musste. Das traditionsreiche Stück linker Gegenöffentlichkeit in Leipzig ist eingestellt, ein großer Verlust! Von einer „Beerdigung bei bester Gesundheit“ war die Rede, denn es hing – trotz aller Bemühungen der Kolleginnen und Kollegen – am Geld. Wie so vieles in diesen Tagen! Doch nein, wir teilen heute nicht mit, dass unsere Zeitung zum letzten Mal erscheint. Denn noch ist die Existenz unseres Monatsblattes, das seit 2011 in ehrenamtlicher Arbeit entsteht, einigermaßen sicher.
ruf, damals noch im Innenteil, auf kleiner Fläche. Nun also die Titelseite, doch die Botschaft ist dieselbe: Jeder Euro zählt! Unser Spendenkonto: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07, BIC: GENODEF1DRS, Dresdner Volksbank Raiffeisenbank. Einen wichtigen Beitrag zur Kostensenkung kann auch in Zukunft die Digitalabo-Variante leisten, die wir vor wenigen Monaten eingeführt haben – und von der wir uns wünschen, dass sie noch stärker als bisher genutzt wird. Denn jedes Exemplar, das wir nicht in Printform zustellen, spart Geld. Wer also die digitale Lektüre mag, kann und sollte sich in Bits und Bytes beliefern lassen. Dazu genügt eine kurze Information unter www.links-sachsen.de/ abonnieren, an aboservice@ links-sachsen.de oder per Anruf an 0351-84 38 9773. Unabhängig vom leidigen Thema Finanzen freuen wir uns stets über Verbesserungsvorschläge, Anregungen, Kritik und Hinweise zu unserer Zeitung: per E-Mail an redaktion@linke-bildung-kultur.de oder per Postkarte bzw. Brief an den Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01029 Dresden. Wir danken an dieser Stelle allen, die auf ihre Weise zum Erhalt dieser Zeitung beitragen – ob als treue Leserinnen und Leser, als treue spendende Leserinnen und Leser oder als unermüdliche Autorinnen und Autoren. Wir hoffen, dass unser Blättchen auch künftig weiter existieren kann, und laden die Autorinnen und Autoren von „Leipzigs Neue“ und alle anderen, die nach Publikationsorten suchen, zur Mitarbeit ein. Dann gelingt es uns, eine Titelseite mit den Zahlen „2011-2016“ zu vermeiden. Mit bestem Dank und herzlichen Grüßen Die Vorsitzenden des Vereinsvorstands, Jayne-Ann Igel und Stathis Soudias sowie die Redaktion der „Links!“ – Kevin Reißig (V. i. S. d. P.), Ute Gelfert, Ralf Richter und JayneAnn Igel.
Links! im Gespräch
Links! 03/2016
Seite 2
„Krieg ist eine relativ moderne Erfindung“
Prof. Meller, um Schlachtfelder untersuchen zu können, muss man sie markieren. Wann hat man angefangen, Mahnmale zu errichten? Schlachtfelder wurden seit der Antike in einer gewissen „Memoria“ bewahrt. Die Sieger-Partei hat schon damals aus den Waffen der Gegner ein Mahnmal errichtet, ein sogenanntes Tropaion. Im Wort Tropaion steckt das griechische Wort „tropé“, das Wende bzw. Flucht bedeutet. Es markiert die Stelle, an der sich der Gegner zurückzog und flüchtete. Dort wurde das Tropaion aus zurückgelassenen Waffen errichtet, als Symbol der Freude, des Sieges und nicht zuletzt auch zur Abschreckung. Das erste Tropaion haben die Griechen nach der Schlacht von Marathon 490 vor Christus errichtet. Von diesem Moment an taucht der Begriff immer wieder in der griechischen Geschichtsschreibung auf. Wie ging es weiter mit der Erforschung der Schlachten und der Erinnerung an sie? Mit der Herausbildung der Nationen im 19. Jahrhundert gab es ein Bedürfnis nach Selbstvergewisserung, dazu gehörte die Erinnerung an Schlachten. So hat Napoleon III. in Frankreich die Schlachtfelder der cäsarischen und gallischen Kriege wieder in die Erinnerung der Nation gebracht. Wann begann professionelle, archäologische Forschung? Relativ spät – erst in den 1980er Jahren bei der Untersuchung des Schlachtfeldes von Little Big Horn, der sogenannten CusterSchlacht (heute Montana, USA), in der Indianer unter Sitting Bull ihren letzten großen Sieg errangen. Von dort breitet sich die professionelle Erforschung nach England und Schweden aus. Die Engländer haben dann die Schlachtfelder der Rosenkriege oder der Kriege gegen die Schotten untersucht.
Wann begann man in Deutschland? Verhältnismäßig spät. Die Kriege der frühen Neuzeit waren in Deutschland bis in die 2000er Jahre noch Gegenstand der Forschung von ehrenamtlichen oder begeisterten Hobbyforschern. Professionelle archäologische Schlachtfeldforschung existiert hier erst seit zehn, 15 Jahren. Die Pflege von Erinnerungskultur auf Schlachtfeldern hat eine lange Tradition, die bis in die Antike zurückreicht. Die Auseinandersetzung mit Schlachtfeldern als nationalen Denkmälern begann im 19. Jahrhundert. Untersuchungen der Schlachtfelder durch Archäologen, etwa mit Metalldetektoren, wurden erst seit den 1980ern, in Deutschland erst nach 2000 durchgeführt. Seit wann befassen Sie sich mit Schlachtfeld-Forschung? Die Idee kam mir 2001. Mein Ziel war es, mit alten Mythen und Geschichten aufzuräumen und den modernsten Forschungsstand zu zeigen. Die Historiker kommen mit ihren Quellen immer nur bis an den Beginn der geschriebenen Geschichte. So kann man aber die Grundfragen nicht lösen: Seit wann gibt es Krieg? Ist Krieg eine kulturelle Erfindung des Menschen? Und ist Krieg quasi ein natürlicher Begleiter der Menschheitsgeschichte? Zu welcher Erkenntnis sind Sie gekommen? In 99 Prozent der Menschheitsgeschichte, also mindestens zwei Millionen Jahre lang oder auch länger, je nachdem wann man die Gattung Homo ansetzt, gab es keinen Krieg. Krieg ist eine relativ moderne Erfindung, die maximal zehntausend Jahre zurückreicht und die mit der Erfindung des Ackerbaus, der Viehzucht und demzufolge mit der Entstehung von Besitzstrukturen und der damit verbundenen Errichtung von Grenzen zusammen hängt. Kurz: Krieg ist eine kulturelle Erfindung, die mit der sogenannten Neolithisierung zusammen hängt, also der Domestizierung von Tieren und Getreide. Die Geschichte des Krieges beginnt also nicht in Europa. Die ersten Kriege gab es in Mesopotamien und Ägypten, wobei das zunächst kleinere Konflikte sind, die mit Ackerbaugeräten und unspezifizierten Waffen ausgetragen werden. Drei- bis viertausend Jahre später werden Konflikte mit hoch elaborierten Waffen, die zum Töten von Menschen konstruiert wurden, mit Belagerungsgeräten, Armeen und anderem ausgetragen. Die entscheidende Entwicklung des Krieges findet also nicht in den letzten dreitausend Jahren statt, sondern in der Zeit davor.
Welchen zeitlichen und geographischen Raum umfasst die Ausstellung? Wie ist sie strukturiert? Wir beginnen mit einem Beispiel für einen neuzeitlichen Krieg, mit dem Massengrab von Lützen, und beleuchten den Dreißigjährigen Krieg. Wir zeigen, dass der normale Soldat ebenso namenswie bedeutungslos war, was man daran erkennt, dass er in Massengräbern verscharrt wurde, während von den gefallenen Fürsten und Königen sogar die Namen der Ersatzpferde überliefert wurden. Ihre Schlachtrösser wurden ausgestopft, während der einfache Soldat völlig dem Vergessen anheimfiel … Sie holen also den einfachen Soldaten ans Licht … Wir zeigen die dramatische Spaltung zwischen Arm und Reich. Da gibt es auf der einen Seite die Masse der einfachen Soldaten, die in Lumpen laufen, in ihrer Kindheit hungern und sich teilweise nur um der Nahrungsversorgung wegen als Söldner verdingen, während aufseiten der Adligen eine ganz andere Lebensqualität herrscht. So tragen beispielsweise die einfachen Soldaten den Offizieren die geplünderten Kachelöfen nach und bauen diese in deren Zelten auf. Wir zeigen dies mit vielen archäologischen und historischen Exponaten, insbesondere auch mit dem Dokument des Friedensschlusses. Der Dreißigjährige Krieg nimmt etwa die Hälfte des Ausstellungsumfangs ein.
Die Ausstellung hat aber noch weit mehr zu bieten. In den folgenden Abschnitten zeigen wir die Geschichte des Krieges von den Ursprüngen bis zur Bronzezeit. Wir beginnen mit den Schimpansen und zeigen, dass bei ihnen – wie zunächst auch beim Menschen – Aggression und Kampf existieren, aber eben kein Krieg. Alle Wildbeutergruppen, die nicht sesshaft sind und kaum über Besitz verfügen, gehen sich in der Regel aus dem Weg. Zudem ist die Bevölkerungsdichte sehr gering und viele Kriegsgründe wie Besitz, Territorium und Grenzen sind nicht vorhanden. Nachdem sich aber mit den ersten Bauern die Sesshaftigkeit, Besitz, Grenzen und eigenes Territorium entwickelt haben, entwickelt sich auch der Krieg. Kann man das genauer lokalisieren? Im Zeitraum der ersten Besiedlungen in der Bandkeramik, ab Mitte des 6. Jahrtausends vor Christus, gibt es die ersten Massengräber. Befestigungsanlagen baut man in Sachsen und Sachsen-Anhalt ab 5200 v. Chr. Dann zeigen wir, wie der Krieg sich weiter entwickelt, wie Befestigungen raffinierter gebaut und Waffen ausgefeilter werden, bis am Ende der Bronzezeit ganze Armeen einander gegenüber stehen. Wir zeigen erstmals die sensationelle Entdeckung der Schlacht im Tollensetal in Mecklenburg, wo sich um 1200 v. Chr. tausende bronzezeitliche Krieger abschlachteten und eine große
Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Foto: Mark Ritchie
„Krieg – Eine Archäologische Spurensuche“. So ist eine Ausstellung überschrieben, die bis zum 22. Mai im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle gezeigt wird. Wer den Audioguide nutzt, wird direkt von Museumsdirektor Prof. Dr. Harald Meller begrüßt und erfährt: Bei diesem Projekt handelt es sich um die erste Ausstellung, die die Geschichte des Krieges aus archäologischer Sicht unter die Lupe nimmt. Im Zentrum steht ein tonnenschwerer Erdblock, der ein Massengrab mit 47 Skeletten enthält. Übereinander geschichtet liegen Schweden und Deutsche, die 1632 in der Schlacht bei Lützen gefallen sind. Ralf Richter sprach mit Harald Meller.
Armee aus Süden kommend von einer nördlichen Armee aufgehalten wurde. Dieses Schlachtfeld wurde erst kürzlich entdeckt. Gibt es in ähnlicher Zeit an anderen Orten Schlachten, über die man inzwischen mehr weiß? Wir informieren über die gut dokumentierte Schlacht von Khadesh am See von Homs 1276 vor Christus in der heutigen syrisch-libanesischen Grenzregion, wo eine Auseinandersetzung zwischen den Ägyptern unter Pharao Ramses II. und den Hethitern unter Großkönig Muwatalli II. stattfand. Dieser Kampf endet im ersten Friedens- und Völkervertrag der Welt, der in Keilschrift und Hieroglyphen überliefert ist und praktisch einem modernen Staatsvertrag gleicht. Damit endet die Ausstellung. Das Highlight ist aber das Massengrab? Ja, das Massengrab mit 47 Toten, die von den lokalen Bauern geplündert und nackt ins Grab geworfen wurden. Der Letzte wurde wie als Gekreuzigter als Mahnung auf das Grab gelegt, zumindest sehen wird das so. Wir haben versucht, diesem Toten wieder ein Gesicht zu geben. Die Toten wurden mit Methoden der Bioarchäologie untersucht, wodurch wir ihre Herkunftsregionen – etwa Schweden oder Norddeutschland – bestimmen konnten. Wir haben die Geschichte ihrer Krankheiten und Verletzungen genauso analysiert wie die eigentlichen Todesursachen, so dass die Toten dem Vergessen entrissen wurden und jetzt als Anti-Kriegsmonument für alle Menschen zu sehen sind. Ist es vorstellbar, dass das Zeitalter der Kriege einmal enden wird? Krieg ist nichts anderes als eine kulturelle Erfindung, und ich glaube fest, dass kulturelle Erfindungen überwindbar und möglicherweise, wenn schon nicht zu beseitigen, so doch reduzierbar sind. Jeder, der behauptet, dass es Krieg schon immer gibt und dass er Grundbestandteil der menschlichen Natur sei, verbreitet eine falsche und überkommene historische Darstellung. Was wird bleiben von dieser Sonderausstellung? Für die nächsten Jahrzehnte wird man das Wesentliche in den Katalogen nachlesen können, wie bei allen Sonderausstellungen. Es ist ja der wichtigste Ertrag, solch ein Thema und die Erkenntnisse auch zwischen zwei Buchdeckel zu bringen. Ein Teil der Ausstellung wird später möglicherweise in Lützen zu sehen sein, während wir über weitere Stationen momentan verhandeln.
Die dritte Seite
Seite 3
03/2016 Links!
Das doppelte Versagen Wir erleben mehrere beunruhigende Entwicklungen. Erstens die Zunahme von rassistischen Angriffen auf Leib und Leben von Menschen – so hat sich die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte verfünffacht. Zweitens stellen wir eine Verrohung der Sprache fest. Nicht nur im Netz nehmen Äuérungen zu, die anderen das Menschsein absprechen. Drittens gibt es mit den Aufmärschen von Pegida, den selbsternannten Verteidigern des sogenannten Abendlandes, eine bewegungsförmige Organisation des Rassismus. Viertens können die Rechtspopulisten europaweit Erfolge feiern. Diese Entwicklungen verstärken einander. Rassistische Bewegungen stehen für die Aufkündigung von Empathie und Mitmenschlichkeit. Insofern ist es die Pflicht aller Demokratinnen und Demokraten, dagegen Flagge zu zeigen. Doch es sind nicht die selbsternannten Verteidiger des Abendlandes, die mir Angst machen. Mich ängstigt vielmehr das Versagen derjenigen, die eigentlich die Verteidiger der Demokratie sein müssten. Wenn die Regierenden, die auf das Grundgesetz verpflichtet sind, anfangen, zu lavieren und Stück für Stück die Forderungen der Rechtspopulisten in Gesetzestexte gießen, gibt es einen Rechtsruck. Wenn diejenigen, die die Verantwortung hätten, dagegenzuhalten, die Rhetorik und die Problembeschreibung der Rassisten übernehmen,
Früher, so um 1968 herum und noch ein wenig später, gab es viele (zugegebenermaßen sehr verschiedene) Linke und nicht so viele Rechte. Und es gab Franz-Josef Strauß und den ehemaligen Nazipropagandisten Kiesinger und den Widerstandskämpfer Brandt; Ulbricht, Honecker, Chruschtschew, Breschnew. Man kannte sich halbwegs aus. Die Amis waren Imperialisten, was ja auch stimmte, denn sie entlaubten gerade Vietnam, um ihre Bombenziele genauer ins Auge fassen zu können. HoChi-Minh war der Held und für nicht wenige war Mao ein neuer Prophet. In der DDR klebte man Soli-Marken beim FDGB.
droht das Pendel wirklich umzuschlagen. Scheinlösungen statt Ursachenbekämpfung Aus lauter Angst vor den möglichen Erfolgen der AfD wird im Wochentakt eine Scheinlösung nach der anderen von der Union präsentiert, Scheinlösungen, die an den Ursachen vorbeigehen, die aber die rassistische Problembeschreibung übernehmen und sie damit verstärken. Zwei Beispiele: Nehmen wir nur einmal Horst Seehofer. Er ist immerhin Vorsitzender einer Partei, die Teil dieser Regierung ist. Er möchte die Bundesregierung wegen der Unantastbarkeit der Grenzen verklagen und führt sich dabei auf, als ob er Artikel 1 des Grundgesetzes umschrei-
So vertrieb man schließlich die Amis aus Vietnam und gewann Raum für die Sowjets in Afghanistan. Die USA hielten dagegen mit der Erfindung der Taliban. Später waren Losungen wie „Petting statt Pershing“ an der Tagesordnung. Die DDR wandte sich öffentlich gegen den sogenannten „NATO-Doppelbeschluss“, schwieg zwar gegen den Ausbau sowjetischer Mittelstreckenraketen, agierte diplomatisch aber ganz aktiv dagegen. Die Raketen wären ja auch über unseren Köpfen aneinandergeraten. Wir wussten schließlich, „wo man steht“. Die goldenen Zeiten verhältnismäßiger Klarheit sind vorbei: Seit sie für die abgezogenen Russen in Afghanistan stehen, bereuen die USA die Erfindung der Taliban und ihrer Ableger bitter. Alle bekämpfen den „Islamischen Staat“ – angeblich. Alle schmeißen deswegen in Syrien Bomben. Die Bundesrepublik hilft mit Aufklärungsflugzeugen, die Ziele zu finden – natürlich nicht für alle. Die Russen bomben auf eigene Rechnung. Die Türken auch. Denn die Tür-
ben möchte, obwohl dieser Artikel durch die Ewigkeitsklausel geschützt ist. Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. Für Herrn Seehofer sind die bayerischen Obergrenzen aber offenbar ein höheres Gut als die Menschenwürde. Das Grundgesetz entstand infolge der schweren und schmerzhaften Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus, und es beginnt deshalb aus gutem Grund mit der Würde des Menschen, also aller Menschen und nicht nur der Deutschen. Oder nehmen wir Thomas Strobl von der CDU. Er fordert, das Recht zum unbefristeten Aufenthalt sollten nur Menschen erhalten, die hinreichend
Kenntnisse der deutschen Sprache sowie der bundesdeutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung nachweisen können. Aussagen wie diese verstärken das Vorurteil, dass die Geflüchteten nicht Deutsch lernen wollen. Ich erlebe in Gesprächen in Flüchtlingsunterkünften genau das Gegenteil. Dort wird Sorge darüber geäußert, dass nur Menschen einiger weniger Nationen die zertifizierten Sprachkurse angeboten werden. Die schwarzrote Bundesregierung versagt gerade dabei, allen, die wollen, Sprachkurse anzubieten, und ist sich nicht zu schade, den Schwarzen Peter den Geflüchteten zuzuschieben. Ich fände es übrigens interessant, zu sehen, wer von den Bundestagsabgeordneten alle Fragen des Einbürgerungstests zur
bundesdeutschen Gesellschaftsordnung richtig beantworten könnte.
ken bekämpfen nicht nur den IS, sondern auch die Kurden; im eigenen Land und in Syrien. Zumindest in Syrien kämpfen die Kurden aber erfolgreich gegen den IS, wären also Verbündete. Nein, das ginge der Türkei doch zu weit. Deutschland bewaffnet beide. Bomben treffen natürlich auch Unschuldige, egal wer sie wirft. Dennoch gibt es, so sagen es zumindest die Granden der westlichen Welt, „gute
Kiewer Regierung. Man nennt sie „prorussische Separatisten“. Das ist sicher nicht falsch. Vergleichbare Benennungen höre ich aber für syrische Aufständische, die der Westen unterstützt, nicht. In Syrien gibt es keine „prowestlichen Separatisten“. Wirklich nicht? Ich weiß es nicht, denn DIE LINKE lässt mich auch im Stich. Wo sind die Zeiten, als die Partei immer recht hatte? Was höre ich nicht alles aus meiner Partei: Putin steht einem kapitalistischen Staat vor, der imperiale Ziele verfolgt. Putin reagiert nur auf die zahllosen Demütigungen, die der Westen Russland seit 1990 zugefügt hat. Russland? Sind das nicht die „Freunde“, wie man die Sowjetunion einst nannte? Der Westen verstößt gegen den Vertrag „Zwei-plusVier“. Georgier, Moldavier flehen zu Recht um Unterstützung gegen russische Unterwerfungspläne. Russland ist eingekreist. Estland, Lettland und Litauen sind doch längst in der NATO. Russland muss im Zaum gehalten werden. Das Chaos herrscht auch andernorts: Oh-
ne Russland geht nichts. Russland garantiert den Sieg gegen den IS. So ein ehemaliger deutscher General. Russland muss aufhören zu bomben. Russland riskiert einen Atomkrieg. So der NATO-Generalsekretär. Frau Merkel verlängert die Sanktionen gegen Russland. Herr Seehofer fährt zu Putin nach Moskau. Von den Bomben im Jemen hört man kaum noch etwas. Millionen Flüchtlinge kommen zu uns. „Wir schaffen das“, sagt Frau Merkel, „welcome refugees“, sagen LINKE, „wir können nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen“, sagen auch LINKE. „Grenzen dicht“, wird der Weisheit letzter Schluss. Die EU löst sich in nationalstaatlichem Handeln auf. „Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen“. Sehr vernünftig! Aber wie? Waffenstillstand in Syrien – sehr gut. Terroristen darf man aber weiter bombardieren. Wer und was Terroristen sind, bestimmt … – ja wer? Ich bin, wie die meisten Menschen, für den Frieden und die Welt als einen einzigen großen, runden Tisch. Yes, we can!
Die Welt – ein großer Wirrwarr? Bomben“ und „böse Bomben“. Der „Russe“ hilft dem Assad. Das soll er nicht, obwohl der doch eigentlich völkerrechtlich noch immer Syrien vertritt. Der „Nicht-Russe“ will aber eine Opposition unterstützen, die durchaus bewaffnet gegen diesen Assad vorgeht. In der Ukraine unterstützt Putin ziemlich offen Aufständische gegen die
Die sozialen Hintergründe benennen Wer von rassistischen Anschlägen spricht, der darf über Pegida nicht schweigen. Wer von Pegida spricht, der darf über die AfD nicht schweigen. Und wer von der AfD spricht, der darf nicht darüber schweigen, dass sich Teile der politischen Klasse inzwischen den Mantel des Rechtspopulismus umgelegt haben. Das Scheitern der Weimarer Republik hing unter anderem damit zusammen, dass massive gesellschaftliche Umbrüche mit einer Wirtschaftskrise und sozialen Verwerfungen einhergingen. Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass man zum Rassisten wird. Wir wissen jedoch, dass Abstiegsängste und eine Gesellschaft, in der jeder auf Konkurrenzdruck und Ellenbogeneinsatz getrimmt wird, den Menschenfeinden in die Händen spielen. Dort müssen wir ansetzen. Wir müssen alles tun, um zu verhindern, dass sich die Weimarer Verhältnisse hier und in Europa wiederholen. Deshalb brauchen wir eine Sozialgarantie und die berechtigte Hoffnung auf sozialen Fortschritt. Es gilt, den Sozialstaat und den öffentlichen Sektor auf- und auszubauen und nicht zu zerschlagen – sowohl hierzulande als auch überall in Europa. Katja Kipping
Hintergrund
Links! 03/2016
Seite 4
Steter Tropfen höhlt den Stein Unterbringungs- und Kommunikationskonzept im Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge Beim Thema Asyl wird der Bundesregierung zu Recht Konzeptlosigkeit vorgeworfen. Auch viele Landkreise reagieren momentan mehr spontan als konzeptvoll auf die Herausforderungen. Im Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge wurde 2011 ein erstes Integrationskonzept beschlossen. Bereits vorher war der Landkreis einer der ersten in Sachsen, der unter anderem die Lebensmittelgutscheine durch Bargeld ersetzte. Diese Entscheidungen wurden durch das Engagement der AG Asylsuchende im Landkreis vorangetrieben. In ihr haben sich Menschen aus verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen und Privatpersonen zusammengeschlossen, um die Lebensbedingungen von Asylsuchenden zu verbessern. Mit den steigenden Asylsuchendenzahlen haben sich auch die Anforderungen an ein solches Konzept geändert. Es bestand dringender Bedarf an einer Fortschreibung. Im Mai 2015 beschloss der Kreistag sein neues Unterbringungsund Kommunikationskonzept. An ihm haben viele Akteur_innen mitgearbeitet, die in den letzten Jahren in der Flüchtlingsarbeit im Landkreis beteiligt waren. Dies ist auch in der qualitativen Verbesserung des Konzeptes zu spüren. Wichtigster Punkt ist, dass der Landkreis die dezentrale Unterbringung favorisiert. In vielen Debatten wurden die Verwaltung und die Mehrheit des Kreistages davon überzeugt,
dass diese Form der Unterbringung die menschenwürdigste und somit die konfliktärmste ist. Auch wurde deutlich, dass sie kostengünstiger ist als die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften. Begleitend zum Konzept traf der Kreistag weitere wichtige Entscheidungen. So wurde die Stelle der/des Beauftragten für Integration und Migration per Hauptsatzungsbeschluss auf wiederholten Antrag unserer Fraktion von einer ehrenamtli-
ne Grundstücks- und Verwertungsgesellschaft wurde mit der Schaffung und Betreuung von Unterbringungsmöglichkeiten beauftragt. So bleibt diese wichtige Aufgabe in großen Teilen in öffentlicher Hand. Der Landkreis hat nun wieder die Hoheit über das Betreuungs- und Wachpersonal. Auch fallen nur die tatsächlichen Kosten an, da die kommunale Gesellschaft keine Gewinnabsichten hegt. Der Kreistag hat mittels der in den Aufsichtsrat
lichst mit maximal 120 Plätzen. Die steigenden Zuweisungszahlen machten im Dezember 2015 eine Teilfortschreibung des Unterbringungs- und Kommunikationskonzeptes notwendig. Es änderte sich nichts an der grundlegenden Vorgehensweise, jedoch wurden die Kapazitäten für zentrale Standorte auf 250 Plätze pro Einrichtung nach oben gesetzt. Im Einzelfall ist eine Überschreitung mit Zustimmung des Kreistages möglich. Weiterhin
chen in eine volle hauptamtliche Stelle umgewandelt. Da es bei Verträgen über die Ausgestaltung von übertragenen Aufgaben zwischen Verwaltungen und privaten Unternehmen oftmals zu Differenzen kommt, und dies auch bei der Betreibung von Unterbringungseinrichtungen für Asylsuchende zutrifft, beschloss der Kreistag, das Heft des Handelns in die eigene Hand zu nehmen. Die landkreiseige-
entsandten Kreisrät_innen die direkte Kontrolle über die Entscheidungen. Mit Beschluss des Unterbringungs- und Kommunikationskonzeptes bestätigte der Kreistag erneut die dezentrale Unterbringung von Asylsuchenden als zu bevorzugende Unterbringungsart. Falls auch eine teilzentrale Unterbringung nicht möglich ist, so billigt der Kreistag auch neu zu errichtende zentrale Standorte, mög-
darf der Landkreis mit Zustimmung des Kreistages weitere Betreiber_innen hinzuziehen. Dass hierbei eine Beteiligung der Kreisrät_innen dringend geboten ist, zeigt sich an anderen Orten, wo fragwürdige Betreiber_innen beauftragt wurden. Mit jeder höheren Zuweisungsprognose sehen sich Verwaltungen genötigt, jetzt große Einrichtungen zu schaffen. Die Suche nach geeigneten
Wohnungen und teilzentralen Unterkünften nimmt zu viel Zeit in Anspruch. Horrorszenarien mit landkreisweit beschlagnahmten Turnhallen machen schnell die Runde. Daher muss es Aufgabe bleiben, für eine menschwürdige dezentrale Unterbringung zu streiten. Dies wird leider nicht immer möglich sein. Daher muss bei Gemeinschaftsunterkünften auf eine vertretbare Größe geachtet werden und darauf, dass die Verträge mit den Betreiber_innen über einen überschaubaren Zeitraum und zu geeigneten Konditionen abgeschlossen werden. Manche Betreiber_innen wollen indes alle verfügbaren Plätze finanziert bekommen, auch wenn diese nicht benötigt oder genutzt werden. Daher sollte den Landrät_innen keine Ermächtigung zur Unterzeichnung von Betreiberverträgen ohne zwingende Beteiligung des Kreistages erteilt werden. Ein großes Manko der Konzepte bleibt, dass sie aktuell nur die Unterbringung im Blick haben. Die Integration mit Sprachkursen, Beschäftigungsmöglichkeiten, Kita und Schulbesuch bleiben außen vor, bzw. sind noch sehr unkonkret formuliert. Hier müssen alle Akteur_innen gemeinsam nach Lösungen suchen und auf positive Erfahrungen der Vergangenheit zurückgreifen. Eines hat sich in der Debatte im Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge gezeigt: Wenn alle demokratischen Parteien gemeinsam arbeiten, kommt ein Ergebnis zustande, das eine menschenwürdige Unterbringung ermöglicht und auf dem aufgebaut werden kann. Marco Mätze
Es gilt auch weiterhin: Nein zum Krieg in Syrien Seit einem halben Jahrzehnt tobt schon der blutige Bürgerkrieg in Syrien. Mehr als 250.000 Menschenleben haben die Kämpfe bisher gefordert. Über elf Millionen Syrerinnen und Syrer sind auf der Flucht. Was im „Arabischen Frühling“ im Jahr 2011 als Protest für mehr Demokratie begann, ist schnell zu einer Tragödie geworden. Nach und nach griffen unterschiedliche religiöse, ethnische und politische Gruppen in den Konflikt ein. Zunächst versuchte der syrische Machthaber Baschar al-Assad die friedlichen Demonstrationen gewaltsam zu unterbinden. Daraufhin gründete sich die „Freie syrische Armee“, die sich eine Befreiung Syriens von Assad zum Ziel gesetzt hatte. Auch islamistische Gruppen wie beispielsweise
die al-Nusra-Front oder Ahrar asch-Scham sahen ihre Chance und griffen bald in den Krieg ein. Heute kämpfen auf Seiten des syrischen Regimes nicht nur Assads Truppen, sondern auch Söldner des Iran. Russland fliegt seit 2015 Luftangriffe zur Unterstützung des Verbündeten Assad und auch die Hisbollah, eine Schiiten-Miliz aus dem Libanon, kämpft für eine Rückeroberung des Landes durch Assad. Etliche der moderaten bis extremistischen islamischen Gruppen haben sich im Bündnis Dschaisch Al-Fatah zusammengeschlossen. Als ein Hauptprofiteur des Chaos erschien das Terrorregime des „Islamischen Staats“, das Teile des Iraks und Syriens unter seine Kontrolle gebracht hat. Dessen rasante Ausbreitung war auch durch die Unterstützung
von reichen Privatleuten aus den Golfstaaten und aus Saudi-Arabien möglich. Gegen das selbstproklamierte Kalifat fliegen die USA seit 2014, gemeinsam mit Willigen aus Europa und den arabischen Ländern, Luftangriffe gegen den IS. Tatsächlich verzeichnen aber nicht die USA und ihre Verbündeten die größten Erfolge gegen den IS, sondern ein weiterer wichtiger Akteur des Konfliktes: die Kurden. Die YPG gehören rund 50.000 Kämpferinnen und Kämpfer an. Sie ist der bewaffnete Arm der wichtigsten kurdischen Gruppierung Syriens, der PYD. Diese wiederum ist der syrische Ableger der türkischen Kurdenpartei PKK. Die USA sehen die Kurden als wichtigen Partner im Kampf gegen den IS an. Sowohl mit Luftangriffen als auch mit Logistik und Muni-
tionslieferungen unterstützen die USA die YPG. Obwohl die Türkei und die USA Seite an Seite gegen den IS kämpfen, bekämpft die Türkei gleichzeitig die von den Vereinigten Staaten unterstützen Kurden. Auch Russland unterstützt die PYD. Nach den Terroranschlägen in Paris beteiligt sich nun auch Deutschland an den Luftangriffen der USA. Es ist mit 1.200 Soldaten der größte aktuelle Bundeswehreinsatz. Die Tornados legen jene Ziele fest, auf die dann Bomben geworfen werden. Damit übernimmt die Bundeswehr direkte Verantwortung für das Sterben von Menschen. DIE LINKE hat im Bundestag gegen diesen Einsatz gestimmt. Der IS wird durch den Krieg nicht schwächer, sondern stärker. Der Hass wird wachsen und
gebiert neue Attentäter. Und er bestärkt die Ideologie des IS, dass der Westen einen Krieg gegen die islamische Welt führe. Zudem ist es grundfalsch, einen Bundeswehreinsatz ohne völkerrechtliche Grundlage zu beschließen. Wenn man in die Souveränität eines Staats eingreift, braucht man einen entsprechenden Beschluss des Sicherheitsrats der UNO. Den gibt es nicht. Wenn Deutschland sich über das Völkerrecht hinwegsetzt, macht es sich angreifbar und kann anderen Staaten auch nicht vorwerfen, ihrerseits gegen das Völkerrecht zu verstoßen. Wir messen nicht mit zweierlei Maß. Egal ob russische, französische, britische oder amerikanische Bomben: Sie werden keinen Frieden in Syrien bringen. Stefan Liebich
Geschichte
Seite 5
03/2016 Links!
Fukushima – fünf Jahre danach
Als am 11. März 2011 die ersten Meldungen vom großen japanischen Erdbeben und dem daraus folgenden Tsunami die Runde machten, war nur wenigen klar, was das bedeuten könnte. Atomenergie war nie ein Kernthema der gesamtdeutschen Linken und selbst jenen, die sich mit der Achterbahnfahrt der deutschen Atompolitik beschäftigt hatten, war oft nicht bewusst, dass Japan mit 54 Atomreaktoren zahlenmäßig an dritter Stelle hinter den USA und Frankreich rangierte – mit der Besonderheit, dass alle AKWs wie Perlen auf einer Schnur an den Küsten Japans stehen. Japan – das Land mit der Erfahrung der Zerstörung, des tausendfachen Todes und andauernden Leides zweier Atombomben hatte sich nahezu ohne gesellschaftlichen Widerstand der Atomtechnologie verschrieben. Japan war, unter maßgeblichem Einfluss der USA, dem globalen Irrglauben gefolgt, dass Atomenergie die gute Seite der Medaille Atomtechnik wäre, deren böse die Atombombe sei. Und dem Glauben, dass viel billiger Strom Entwicklung und Wohlstand für alle bedeuten würde. Die USA hatten ein großes Interesse daran, Japan nach dem Krieg zu einem gewissen Wohlstand zu verhelfen und damit seine Einbindung in die antikommunistische Allianz unter Führung der USA zu sichern. So wurden die ersten japanischen Reaktoren mit US-amerikani-
scher Hilfe errichtet und selbst die „Hibakusha“, die Opfer der Atombombenabwürfe, so lange beeinflusst, bis selbst sie diese Mär glaubten. Heute unvorstellbar: Das Erdgeschoss des Atombombenmuseums in Hiroshima war bei seiner Eröffnung komplett einer Werbeausstellung für Atomenergie gewidmet. Nur wenige hinterfragten schon vor 2011 in Japan kritisch die Sicherheit der Anlagen in einem Erdbebenland und den Umgang mit der Tatsache, dass Atommüll über eine Million Jahre lang sicher gelagert werden muss. Nur einzelne hinterfragten, wer mit dieser Technologie eigentlich Geschäfte macht, wieso Japan alle Anlagen des Plutoniumkreislaufs, die zur Herstellung der Bombe notwendig sind, unterhielt und woher eigentlich das Uran für die AKWs kommt. Wie Deutschland bezieht Japan es zu großen Teilen aus den Areva Minen in Mali – wir erinnern uns: Mali, in dem das deutsche militärische Engagement nach den Anschlägen von Paris unter dem Etikett „Menschenrechte“ ausgeweitet wurde. Als klar wurde, dass die Probleme der Reaktoranlage Fukushima Daiichi nicht beherrschbar waren, wurden zaghaft erste Vergleiche mit Tschernobyl gezogen. Das Entsetzen war groß. Doch tatsächlich übertrifft „Fukushima“ den Super-Gau von Tschernobyl bei weitem, weil statt einem gleich drei Reaktorblöcke betroffen waren, weil die Region Fukushima deut-
lich dichter besiedelt und der Reis-, Obst- und Gemüsegarten Japans ist – und weil auf dem Reaktorgelände nahezu ungeschützt rund 11.000 abgebrannte Brennelemente lagerten. Mit den in den Reaktoren befindlichen Brennstäben waren das 14.700 Brennelemente mit einer Kernbrennstoffmasse von unvorstellbaren 2.500 Tonnen. Und während in Tschernobyl nur kurzzeitig Strahlung freigesetzt wurde, geschah das in Fukushima über lange Zeit. Dadurch gab
Lage ist solange nicht im Griff, bis der letzte Kernbrennstoff auf dem Areal geborgen ist. Das wird noch Jahrzehnte dauern. Selbst der Betreiber TEPCO rechnet nicht damit, vor 2020 mit der Bergung der geschmolzenen Brennelemente beginnen zu können. Wie das technisch
erfolgen soll, dafür gibt es keine Vorbilder. Inzwischen stufen TEPCO und Regierung immer größere vormals evakuierte Areale als „sicher“ ein und drängen die Menschen zur Rückkehr in ihre notdürftig dekontaminierte Heimat. So will TEPCO, selbst längst pleite und am Tropf des Steuerzahlers, Schadenersatzzahlungen vermeiden. Die Menschen jedoch sind skeptisch. Im Gebiet um das Kraftwerk wurde eine Region stillschweigend zum „atomaren Endlager“ erklärt. Das Desaster von Fukushima wird Japan noch jahrzehntelang beschäftigen und das Land mit seinem Defizit von über 200 % des Bruttoinlandsproduktes sowie seinen ungeklärten Konflikten mit den Nachbarn China, Russland und Korea weiter schwächen. Deutschland wird wegen des 2011 beschlossenen Atomausstiegs noch erhebliche rechtliche Auseinandersetzungen mit den weltweit vernetzten Atomkonzernen führen, die nicht kampflos auf ein Milliardengeschäft verzichten werden. Deshalb ist es für Linke so wichtig, diese Zusammenhänge zu durchschauen und auf dezentrale, demokratische und von Bürgern und Politik kontrollierte Energieerzeugung zu setzen. Auf Energieerzeugung, die ohne Ausbeutung und Zerstörung in Ländern des Südens wie Mali auskommt und die soziale Gerechtigkeit sowie die Erhaltung von Lebensgrundlagen auch für nachfolgende Generationen im Blick hat. Dorothée Menzner
ve selbst aufmerksam gemacht: „Ich wusste immer, wenn ich auf die Schnauze falle, dann stehe ich wieder auf und fahre weiter. Aber der Jähn, der wusste nie ob er zurückkommt. Jähn ist ein Held, ich nicht“. Täves Bescheidenheit in allen Ehren, aber immer wieder aufzustehen schafft wahrlich nicht jeder! Sein erster Sportverein war die BSG Grün-Rot Magdeburg. Damit war auch die Farbe des politischen Menschen Gustav-Adolf Schur klar. DIE LINKE und ihre Bundestagsfraktion haben ihm viel zu verdanken. Seine Kandidatur, sein Name hat natürlich geholfen, dass die PDS 1998 in Fraktionsstärke in den Bundestag einzog. Als Bundestagsmitglied hatte er dann einen standesgemäßen persönlichen Mitarbeiter, einen Olympiasieger! „Standesgemäß“ meint hier aber einen, der ebenso klug und engagiert, hartnäckig und bescheiden gelebt und gearbeitet hat wie Täve selbst. Klaus Köste war ein solcher. Täve hat in der Volkskammer und im Bundestag gesessen und war auch als Poli-
tiker anerkannt. Das hat vor allem zwei Gründe: Glaubwürdigkeit und Haltung. Seinen 70. Geburtstag feierten wir 2001 im Berliner Velodrom. Zum „Tusch für Täve“ kamen sie alle: Heinz-Florian Oertel und Reinhard Lakomy, Frank Schöbel und Petra Zieger, Birgit Fischer und Wolfgang Behrendt und und und. „Das ist ja wie Parteitag, nur das Politbüro fehlt“, sagte damals der unvergessene Edgar Külow. Mit dabei war auch Willy van den Berghen. Der ExWeltmeister der Profis und jener Belgier, den Täve einst am Sachsenring so grandios ausgetrickst hat, haben ihm die Reverenz erwiesen. Das spricht Bände! „Täve und Friedensfahrt“ – das wird immer ein Begriffspaar sein. Er kann stolz auf sein Leben sein – und auch auf seine Familie. Von Täve sollen die Worte stammen: „Der Mensch bewegt sich nicht weniger, weil er alt wird. Er wird alt, weil er sich weniger bewegt. Also beweg‘ dich!“ So wollen wir uns also weiter bewegen. Täve zeigt: Es lohnt sich! Dietmar Bartsch
und Wachstumsverzögerungen bei Kindern erste Folgen einer zu hohen Strahlenbelastung sind. Nach fünf Jahren verdeutlichen die steigenden Krebszahlen die Folgen. Doch nicht nur die Menschen der Region sind betroffen, gelangten doch große Strahlenmengen ins Meer und somit in die Nahrungskreisläufe. Extrem fatal für ein Land, dessen Küche sich traditionell sehr auf Meeresprodukte stützt. Fukushima ist aus den Schlagzeilen verschwunden. Aber die
Anti-Atom-Protest in Japan. Bild: Dorothée Menzner
es zwar keine akut und schnell sterbenden Strahlenkranken, aber die gesundheitlichen Auswirkungen sind nicht minder fatal. Es dauerte lange, bis die Menschen realisierten, dass auch scheinbar harmlosen Beschwerden wie bleierne Müdigkeit, permanentes Nasenbluten
85 – und fit wie ein Turnschuh! Über 400 Gratulantinnen und Gratulanten waren am 27. Februar nach Kleinmühlingen gekommen, um Gustav Adolf Schur, unserem Täve, zum 85. Geburtstag zu gratulieren. Darunter waren viele Prominente aus Politik, Kultur und Sport, u. a. Uwe Steimle und Frank Schöbel, der zweifache Friedensfahrtsieger (1982 und 1986) Olaf Ludwig und viele ehemalige Friedensfahrer, Doppel-Olympiasieger Waldemar Cierpinski, Peter Frenkel, Gunhild Hofmeister, Hans Joachim Wolfram, der eine DVD mit Ausschnitten seiner Sendung „Außenseiter Spitzenreiter“ mit Täve überreichte. Glückwünsche gab es zudem vom LINKEN Spitzenkandidaten Wulf Gallert aus Sachsen-Anhalt, der eine Spende von 2.000 Euro übergab, sowie Rico Gebhardt. Nach vier Stunden mit tollem Programm bedankte sich Täve bei allen für die Geschenke. Doch eigentlich sind wir es, die zu danken haben. Denn als Sportler der DDR hat Täve uns alle reich beschenkt, mit Spannung, Glück, Fairness und Kameradschaft.
Was haben wir gejubelt, als Täve zweimal die Friedensfahrt gewann, bei den Weltmeisterschaften in Reims und Zandvoort als Erster durchs Ziel ging, am 13. August 1960 auf dem Sachsenring das wohl größte Husarenstück seiner Laufbahn
dass es so etwas wie kollektive Erlebnisse und Erinnerungen eines ganzen Volkes gibt. Täve gehörte zu den wenigen Identifikations-Personen eines ganzen Volkes. Aus der DDR fällt mir da nur noch Sigmund Jähn ein. Und es ist alles andere als
vollbrachte… Wobei, wenn ich es recht bedenke, trügt mich wohl die Erinnerung! Den ersten WMTitel errang Täve am 30. August 1958. Da war ich gerade geboren worden. Ich bin ganz sicher,
ein Zufall, dass beide sich charakterlich und menschlich ähneln: Beide haben Herausragendes vollbracht und sind dabei auf dem Teppich geblieben. Auf einen Unterschied hat Tä-
Links! 03/2016
Rosa-Luxemburg-Stiftung
Termine Leipzig, 10. März, Donnerstag, 18.00 Uhr Jour Fixe - Ein ungewöhnlicher Gesprächskreis. Das Kalifat und der Kampf um die Vorherrschaft am Golf***. Mit Gerhard Hoffmann (Arabist), dem Historiker Ernst Werner***, und dem Mediävist und Byzantinist KlausPeter Matschke. Moderation: Klaus Kinner und Manfred Neuhaus. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 10. März, Donnerstag, 19.00 Uhr Podium mit anschließender Diskussion: Das Problem heißt Sexismus - sexuelle Übergriffe im öffentlichen Raum***. Mit Susanne Hampe (Frauen für Frauen e.V.), Susanna Karawanskij (Mitglied des Bundestages) und einer Juristin (angefragt). Eine Veranstaltung in Kooperation der RLS Sachsen und Frauenkultur e.V. Leipzig. Frauenkultur Leipzig, Windscheidstraße 51, 04277 Leipzig Leipzig, 12. März, Sonnabend, 11.00 Uhr Mitgliederversammlung der RLS Sachsen Haus des Buches, Gerichtsweg 28, 04103 Leipzig Leipzig, 12. März, Sonnabend, 17.00 Uhr 25 Jahre RLS Sachsen*** Haus des Buches, Gerichtsweg 28, 04103 Leipzig 25 Jahre linke politische Bildung in Sachsen – auch mit und durch uns. Das ist ein Grund zu feiern und danke zu sagen. Danke an die vielen Partner*innen, mit denen wir gemeinsam Bildungsprojekte umsetzen konnten, danke an die unzähligen Referent*innen, Moderator*innen und Mitwirkenden, danke an all unsere Gäste und an alle, welche die Stiftung durch ihr Engagement und ihre Leidenschaft zu dem gemacht haben, was sie ist. Welche Aufgaben die Zukunft an emanzipatorische linke Bildung stellt, möchten wir zu dieser Gelegenheit ebenfalls thematisieren. Lassen Sie uns gemeinsam zurückschauen, einen Blick in die Zukunft werfen, aber auch miteinander tanzen und feiern.
Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e. V.,
17.00 Uhr Begrüßung durch den Vorsitzenden der RLS Sachsen, Prof. Dr. Peter Porsch „25 Jahre RLS Sachsen“ – Performance von und mit Elke Jänicke, Boris Krumnow und der Theatergruppe MILA 18.00 Uhr „Ansprüche und Anforderungen an zukünftige linke politische Bildung“ Podiumsdiskussion. Die RLS Sachsen im Gespräch mit einigen ihrer langjährigen Kooperationspartner*innen über anstehende Aufgaben linker, emanzipatorischer, politischer Bildung und die Herausforderungen für die Bildungsarbeit der RLS Sachsen 19.00 Uhr Party mit Buffet, Schwatz und Tanz Dresden, 15. März, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Kapitalismus. Kleine Erkundung eines Gesellschaftssystems***. JUNGE ROSA richtet sich speziell an Jugendliche und junge Erwachsene. Mit Nico Brünler (Landtagsabgeordneter und Wirtschaftswissenschaftler). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Chemnitz, 16. März, Mittwoch, 17.00 Uhr Vortrag und Diskussion im Rahmen der Tage der jüdischen Kultur in Chemnitz. Von armen Schnorrern und weisen Rabbis. Zur Soziologie des jüdischen Witzes***. Mit Dr. Hartmut Gorgs, Dramaturg (Halle). Eine Veranstaltung der RLS Sachsen in Kooperation mit dem Soziokulturellen Zentrum querbeet. Veranstaltungssaal, Soziokulturelles Zentrum querbeet, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz Dresden, 16. März, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Emanzipation und Gerechtigkeit in der Zukunft. REIHE: Zukunft denken. Linke Perspektiven***. Mit Prof. Dr. Wolfgang Engler (Rektor der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leisnig, 16. März, Mittwoch, 18.30 Uhr Vortrag und Diskussion: Wie geKleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus gedruckt.
sellschaftsfähig ist die rassistische Ideologie der AfD?***. Mit Andreas Kemper (Autor). Alternatives Jugendzentrum Leisnig e.V., Chemnitzer Straße 103b, 04703 Leisnig Chemnitz, 17. März, Donnerstag, 19.00 Uhr Lesung und Diskussion: Zelos nervt. Felix Bartels liest aus seinem aktuellen Buch „Odysseus wär zu Haus geblieben“***. Eine Veranstaltung des Student*innenrats der TU Chemnitz in Kooperation mit der RLS Sachsen und Oscar e.V. Weltecho, Annaberger Straße 24, 09111 Chemnitz Chemnitz, 17. März, Donnerstag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Wie gesellschaftsfähig ist die rassistische Ideologie der AfD?***. Mit Andreas Kemper (Autor). Eine Veranstaltung der RLS Sachsen in Kooperation mit der Volkshochschule Chemnitz. Veranstaltungssaal, DAStietz, Moritzstraße 20, 09111 Chemnitz Leipzig, 17. März, Donnerstag, 19.00 Uhr Buchvorstellung und Diskussion „Die Konsultative. Mehr Demokratie durch Bürgerbeteiligung”*** Im Rahmen von „Leipzig liest“. Mit dem Autor Claus Leggewie, In Kooperation mit dem Verlag Klaus Wagenbach. Moderation: Jennifer Stange (Jounalistin). RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig
Bautzen, 17. März, Donnerstag, 19.30 Uhr Buchvorstellung und Diskussion „Minderheitenrecht ist Menschenrecht“***. Mit dem Autor Dr. Peter Kroh. Moderation: Sieghard Kosel. Eine Veranstaltung der Smoler‘schen Buchhandlung mit Unterstützung der RLS Sachsen. Smoler‘sche Buchhandlung, Sukelnska/Tuchmacherstraße 27, 02625 Budyšin/Bautzen Leipzig, 18. März, Freitag, 19.00 Uhr Buchvorstellung und Diskussion „Unternehmen vor Gericht. Globale Kämpfe für Menschenrechte“***. Im Rahmen von „Leipzig liest“. In Kooperation mit dem Verlag Klaus Wagenbach. Mit den Autor*innen Wolfgang Kaleck und Miriam Saage-Maaß. Moderation: Jennifer Stange (Journalistin). RLS Sachsen, Harkortstr. 10, 04107 Leipzig Plauen, 18. März, Freitag, 18.30 Uhr Vortrag und Diskussion: Wie gesellschaftsfähig ist die rassistische Ideologie der AfD?***. Mit Andreas Kemper (Autor). Projekt Schuldenberg, Thiergartnerstraße 4, 08527 Plauen Leipzig, 21. März, Montag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Wie gesellschaftsfähig ist die rassistische Ideologie der AfD?***. Mit Andreas Kemper (Autor). Interim, Demmeringstraße 34, 04177 Leipzig
Patrizia Nanz und Claus Leggewie, leidenschaftliche Streiter*innen für Partizipation und die Demokratisierung der Demokratie, fordern die Institutionalisierung von Zukunftsräten, ein flächendeckendes Netz konsultativer Gremien von der lokalen bis zur europäischen Ebene. Sie haben ein Modell entwickelt und unterstützen Bürger*innen aktiv dabei, sich politische Handlungsspielräume zurückzuerobern, indem sie praktikable Vorschläge zur Lösung schwieriger Aufgaben wie der Endlagersuche oder der Flüchtlingsunterbringung beisteuern.
Görlitz, 22. März, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Wie gesellschaftsfähig ist die rassistische Ideologie der AfD?***. Mit Andreas Kemper (Autor). Eine gemeinsame Veranstaltung des Bürger*innenbüro MdL Mirko Schultze und der RLS Sachsen. Bürgerinnenbüro MdL Mirko Schultze, Schulstraße 8, 02826 Görlitz
Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter.
Die Zeitung „Links!“ kann kostenfrei abonniert werden. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Erscheinen unserer Zeitung unterstützen. Kostendeckend für ein Jahresabo ist eine Spende in Höhe von 12 Euro.
Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773 Redaktionschluss: 25.02.2016 Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 31.03.2016.
Dresden, 23. März, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Wie gesellschaftsfähig ist die rassistische Ideologie der AfD?***. Im Rahmen der Internationalen
Sollten Sie an uns spenden wollen, verwenden Sie bitte folgende Kontodaten:
Seite 6 Wochen gegen Rassismus. Mit Andreas Kemper (Autor). Eine Veranstaltung des WIR e.V., des Europabüro MdEP Dr. Cornelia Ernst und der RLS Sachsen. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 29. März, Dienstag, 18.00 Uhr Philosophische Dienstagsgesellschaft: Gewaltrecht des Guten und ziviler Ungehorsam***. Mit Dr. Volker Caysa (Philosoph) Moderation: Dr. Jürgen Stahl. RLS Sachsen, Harkortstr. 10, 04107 Leipzig Leipzig, 30. März, Mittwoch, 18.30 Uhr Workshop: Haltestellen entglasen mit theoretischem Hintergrund? Linke Theorie und Praxis im Prozess. Rosa L. im Westen. Mit Boris Krumnow (politischer Bildner). Interim, Demmeringstr. 32, 04177 Leipzig Die Veranstaltung „Bullenwagen klauen und Adorno zitieren“ im Januar hat nicht die vielleicht erwartete Klarheit in der Frage des Verhältnisses zwischen linker Theorie und Praxis gebracht. Vielmehr hat sich das Bedürfnis vieler engagierter Menschen gezeigt, eine vertiefte Auseinandersetzung über Wege des fortschrittlichen politischen Handelns in einem kritikwürdigen System zu führen. Leipzig, 30. März, Mittwoch, 18.00 Uhr Mittwochattacke: Der lange Kampf - Drei Jahre Streik und Arbeitskampf bei Amazon***. Mit Jörn Boewe (Politikwissenschaftler und Autor). Eine Veranstaltung von attac in Kooperation mit der RLS. Lindenfels, Karl-Heine-Str. 50., 04229 Leipzig Leipzig, 31. März, Donnerstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion. Reihe: Deutsche und Russen – Russen und Deutsche. Wahrnehmungen aus dem 18.-20. Jahrhundert. Nikolai M. Karamsin (1766-1826) - ein ‚russischer Europäer‘***. Mit Dr. Michael Schippan (Historiker). RLS Sachsen, Harkortstr. 10, 04107 Leipzig *** in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung: Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e.V. Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07 BIC: GENODEF1DRS Bank: Dresdner Volksbank Raiffeisenbank Aboservice: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder 0351-84 38 9773
Rezensionen
Seite 7
03/2016 Links!
Buchtipp: Wer ist Charlie? Emanuel Todd, Sozialwissenschaftler, zeichnet ein schockierendes Bild unseres französischen Nachbarlandes Viele von uns haben es längst wieder vergessen: Vor einem Jahr waren auch bei uns sehr viele „Charlie“. Und weil so viele auch bei uns in Deutschland „Charlie“ waren, fühlte sich die Bundesregierung bestätigt, als sie nach dem zweiten schweren Anschlag in Paris während des Fußballfreundschaftsspiels Frankreich–Deutschland dem französischen Präsidenten Solidarität anbot, nicht zuletzt die militärische. Die gilt für die Unterstützung in Mali und Syrien. Emanuel Todd, Autor des Buches „Wer ist Charlie? Die Anschläge von Paris und die Verlogenheit des Westens“, ist einer der bekanntesten Sozialwissenschaftler Frankreichs. Er beobachtete die Demonstrationen – einige mögen sich an das getürkte Foto der Staatschefs aus vielen Ländern einschließlich Bundeskanzlerin Merkel erinnern, die scheinbar in erster Reihe vor einer Menschenmenge marschierten. Tatsächlich war das Foto in einer Seitenstraße aufgenommen worden, die Menschenmenge stand anderswo ... Nach dem Attentat auf die Redaktion wollte Todd wissen: Wer waren diese Leute aus dem Volk, die sich mit „Je suis Charlie“ („Ich bin Charlie“)Schildern demonstrierend in ganz Frankreich zeigten? Ferner ging er der Frage nach, was es über eine Gesellschaft aussagt, die offensichtlich stolz darauf ist, eine religiöse Gruppe – noch dazu die schwächste und am stärk-
sten benachteiligte Gruppe in Frankreich – blasphemisch zu beleidigen (Man stelle sich nur einmal vor, in Deutschland würden sich die Titanic oder der Eulenspiegel über jüdische Religionssymbole lustig machen – was, wenn Charlie das getan hätte?). Dass der Autor besonders sensibel ist in dieser Angelegenheit, mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass seine jüdische Familie seit Jahrhunderten in Frankreich lebt und weiß, was es heißt, religiös verspottet zu werden. Todd untersucht sehr genau für alle Departements (und in einem Kartenteil nachsehbar), in welchen Regionen Frankreichs die Demonstrationen besonders stark und wo sie schwach waren. Dazu vergleicht er, wo die einzelnen Parteien – also Sozialisten, Sarkozys konservative UMP oder der Front National von Marine Le Pen – ihre Hochburgen haben. Zudem wird analysiert, wo die Bastionen des französischen Katholizismus liegen und in welchen Teilen Frankreichs man Ungleichheit präferiert und wo Gleichheit. Aus all dem entsteht ein äußerst erhellendes und zugleich schwer schockierendes Bild von unserem Nachbarland Frankreich. Wer weiß hier schon, dass sich in Frankreich dort, wo die Arbeiter besonders stark vertreten sind und wo man lange Zeit die Kommunistische Partei gewählt hat, heute die Hochburgen des Front National findet? Es sind aber die gleichen Regionen, in denen man eher egalitär eingestellt ist. Selbst in der UMP ist immer
noch ein nicht zu unterschätzendes egalitäres Element zu finden, ganz im Gegensatz zu Hollandes Sozialisten, die
Autor auf die Ausgangsfragen zurück – ist es nicht diese sozialistische Partei, die bei aller sozialen Rhetorik mit
ihre Hochburgen in Regionen haben, die eher Ungleichheit präferieren. Das Ganze wird dazu noch anthropologisch untermauert. An dieser Stelle kommt der
ihrer Wirtschaftspolitik alles dafür tut, junge Muslime auszugrenzen, mit denen sie die Gefängnisse füllt wie keine Regierung zuvor? Ist dieser Sozialstaat nicht in erster Linie für
den Mittelstand der „weißen Franzosen“ da, den diese Sozialisten verteidigen und der eben alles dafür tut, dass die Arbeits- und Chancenlosigkeit in den Banlieues extrem hoch und fühlbar bleibt? Emanuel Todd sieht in der fatalen Sparpolitik und dem Festhalten Frankreichs am Euro sowie der „freiwilligen Knechtschaft“ gegenüber den Deutschen die Hauptursachen für die tiefe Krise, in der Frankreich steckt. Doch zur wirtschaftlichen kommt die Identitätskrise dieser laizistischen Nation, die immer stärker auf einen militanten Säkularismus setzt. Die Gefahr ist groß, dass nicht nur den Schwächsten der Gesellschaft weiterhin massiv geschadet wird und man sie praktisch in die Arme extremer religiöser Gruppen treibt, sondern letztendlich auch den Antisemitismus durch die Islamphobie fördert. Wer meint, seinen Mut heute beweisen zu müssen, indem er Muslime beleidigt, sollte einmal daran denken, dass die Zeiten in Europa noch nicht lange vorbei sind, als es chic war, Juden zu verfolgen – Rassismus und religiöse Intoleranz, das weiß der Autor mit den jüdischen Wurzeln, bleiben eben nicht bei einer Gruppe stehen. Das äußerst lesenswerte Buch ist im C.H. Beck Verlag als Taschenbuch erschienen und kostet 14,95 Euro. Es ist im Übrigen für alle empfehlenswert, die mit Gysi meinen, ihr Heil in einer Koalition mit der SPD zu finden. Denn diese ist mit ihren Wählerschichten und ihrer Politik nicht weit von Hollandes Sozialisten entfernt. Ralf Richter
Zauberwort „Transformation“ Im Juni 2015 rief das Ostdeutsche Kuratorium von Verbänden e. V. (OKV) eine Veranstaltungsreihe ins Leben, die sich mit gesellschaftlich relevanten Fragen befassen soll, um neue Erkenntnisse und Diskussionsthemen in die Öffentlichkeit zu tragen. Im Ergebnis dieser ersten Konferenz legen der Ökonom Klaus Blessing und der Gesellschaftswissenschaftler Matthias Werner einen Reader vor, in dem Diskussionsbeiträge dieser ersten Veranstaltung dokumentiert sind. Erschienen ist die knapp 200seitige Broschüre im Verlag am Park, Berlin. Mit dem Titel „Gefährliche Illusionen“ charakterisieren die Herausgeber Tendenzen in der Partei DIE LINKE, die sich rund um Transformationstheorie und -politik drehen. Es wird
konstatiert, dass sich die Partei, vor allem deren Führung, ohne großen Widerspruch von Seiten der Basis in eine Richtung entwickelt, die in der Sozialdemokratie seit über hundert Jahren vorherrscht: Das reformistische Hinüberwachsen vom Kapitalismus in den Sozialismus. Nicht zuletzt würden diese Haltungen auch am verzweifelten Propagieren einer Regierungsbeteiligung, die ohne die Aufweichung des Parteiprogrammes nicht zu haben sei, deutlich. Mit zahlreichen Belegen aus veröffentlichten Meinungsäußerungen von führenden Genossinnen und Genossen zeigen die Redner, dass schleichend Grundprinzipien der Partei aufgegeben werden. So spielt die Veränderung der Eigentumsverhältnisse als Grundlage für eine sozialis-
tische Gesellschaft in vielen Schriften kaum noch eine Rolle. In Dieter Kleins „Das Morgen tanzt im Heute“ und den Anschauungen Katja Kippings und Bernd Riexingers über die „Kommende Demokratie: Sozialismus 2.0“ sehen die Wissenschaftler eine Abkehr von marxistischen Erkenntnissen. Dafür habe man das Zauberwort „Transformation“ entdeckt, das seit Kleins Schrift in den Führungsgremien der Partei geistere, jedoch bereits eine lange Geschichte habe. Und hier und da glaubten Linke, ein Sozialismus wäre innerhalb kapitalistischer Produktionsweise möglich. Einig ist man sich darin, dass der Begriff Transformation an sich nicht verwerflich ist, da schließlich jede Gesellschaft permanent Umwandlungspro-
zesse durchlaufe. Aber die Redner kritisieren vor allem, dass „Transformation“, so wie es in reformistischer Manier gebraucht wird, eher den bernsteinschen Weg beschreitet, als für eine generelle gesellschaftliche Umwälzung im marxistischen Sinn wirbt. Mit Schilderungen vergangener und gegenwärtiger Transformationsversuche in anderen Ländern, die alle gescheitert sind, zeigt beispielsweise Prof. Dr. Herbert Graf auf, dass sich der Kapitalismus nicht mit Reformen überwinden lässt. Dabei werden Reformen nicht verteufelt, die zur Verbesserung des Lebens in der Gesellschaft führen. Jedoch warnt er davor, zu glauben, dass dies bereits der Weg in einen Sozialismus ist. Das Kapital gehe nicht freiwillig – im
Gegenteil. Es kämpfe erbittert gegen die, die an dessen Eigentum wollen. Graf gibt aber auch zu bedenken, dass eine gesellschaftliche Alternative zum globalisierten ökonomisch und militärisch weiter mächtigen Kapitalsystem selbst in Ansätzen nicht anvisiert sei. Er beendet seinen Beitrag mit den Worten: „Wer in dieser Zeit den Slogan ,Das Morgen tanzt im Heute‘ zum Motto seiner Theorie macht, idealisiert eine Welt, die vielen Menschen das Fürchten um das Brot von Morgen und die Zukunft ihrer Kinder und Enkel lehrt“. Jonny Michel „Gefährliche Illusionen“, Hrsg. Klaus Blessing, Matthias Werner, verlag am park Berlin, ISBN: 978-3-945187-37-1, 12,99 €.
Die letzte Seite
Links! 03/2016
Seite 8
Juliette Gréco – unbeugsam bis zum Schluss de von der Gestapo verhaftet. Die Mutter und Charlotte wurden in das Konzentrationslager Ravensbrück verschleppt, Juliette sperrte man wegen des Verdachts der Teilnahme an der Resistance in das Zuchthaus für Frauen in Fresnes. Die brutale Behandlung durch die Gefängniswärter und der damit verbundene Ekel vor rücksichtslosen Leibesvisitationen und anderen Demütigungen an dem gerade einmal sechzehnjährigen Mädchen sollten Ausgangspunkt ihrer aufrührerischen Wesensart sein. Nach ihrer Freilassung sucht sie auf Empfehlung ihrer Mutter die bereits erwähnte Französischlehrerin Hélena Duc aus Bergerac auf, die inzwischen in Paris Schauspielerin geworden war, um dort für kurze Zeit unterzukommen. Duc war es auch, die die junge Juliette ins Theater L’Odéon einführte, wo sie die Bekanntschaft mit der späteren Filmschauspielerin Yvette Etiévant machte. Durch deren Einfluss erhielt sie eine kleine Nebenrolle in der „ComédieFrançaise“ und schnupperte erstmalig richtige Theaterluft. Schauspielunterricht erhielt sie nun von einer gewissen Solange Sicard, einer guten Bekannten von Madame Duc. Nach der Befreiung Frankreichs spielte sie eine tragende Rolle in dem Theaterstück „Victor, oder die Kinder an der Macht“. Nebenher arbeitete sie im Rundfunk. Nach langer Trennung traf sie
ihre Schwester und ihre Mutter wieder. Sie hatten überlebt, das sie für die deutsche Waffenindustrie schuften mussten. Im Pariser Stadtteil Saint-Germain-des-Prés am sogenannten linken Seine-Ufer kam es
ten Charlie Parker, deren Musik sie schätzen lernte. Als sie eines Abends im legendären Klub „Tabou“ auf einen Tisch stieg und ein paar Chansons vortrug, wurde sie umjubelt. Sartre, der ebenfalls im
zu ersten Berührungen mit dem damaligen Protagonisten der französischen Bohéme. Sie traf auf den Chansonnier Léo Ferré, den kommunistischen Dichter Jacques Prévert, den Existenzialisten Jean-Paul Sartre, den Schauspieler Jean Marais sowie auf internationale Jazzgrößen wie Coleman Hawkins, Max Roach, Duke Ellington, Miles Davis und den Saxophonis-
Publikum saß, lud sie für den nächsten Tag zu sich nach Hause ein, wo er ihr vorschlug, zwei seiner Texte in ihr damals noch spärliches Repertoire aufzunehmen. Vertont wurden sie vom befreundeten Komponisten Joseph Kosma. Als sie diese Neuschöpfungen im Jazzclub „La Rosa Rouge“ uraufführte und auch Chansons mit Lyrics von Jacques Prévert sang, wur-
de Juliette Greco über Nacht zum Star. 1952 lud man sie in die USA ein, eine Tournee quer durch Brasilien folgte, und 1954 trat sie erstmals auch im bekannten „Olympia“ auf, in dem sie später ein Konzert mit Georges Brassens erlebte. Mit ihm kam es zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit. 1966 gaben beide ein Konzert im Palais de Chaillot, zwei Jahre später gehörte auch sie zu den herausragenden Persönlichkeiten der 68er. Oft bekam sie Besuch von jugendlichen Aktivisten der Revolte, und es kam zu lebhaften, heißen Diskussionen in den angesagten Cafés oder bei ihr zu Hause, wo sie oft denen, die von der Polizei gesucht wurden, Unterschlupf gewährte. In dieser Zeit besuchte sie auch die Sowjetunion. In den Achtzigern ging sie wieder auf Welttournee – Japan, USA; Kanada, Argentinien, Brasilien und Mexiko. Sie ist, trotz ihres inzwischen hohen Alters, immer noch auf der Bühne aktiv. So wird die Greco nach ihrem bejubelten Abschiedskonzerten in Deutschland noch einmal am 9. Juli 2016 im Rahmen des 29. Kölner Sommerfestivals in der Philharmonie gastieren, begleitet von ihrem langjährigen Ehemann Gérard Jouannest am Klavier und dem bekannten Akkordeonvirtuosen Jean-Louis Matiniér. Das sollte man sich nicht entgehen lassen! Jens-Paul Wollenberg
großen Geschichte ... das banale Leben ... Statt MarxismusLeninismus haben wir jetzt die Orthodoxie ... Wir leben in einer Second hand-Zeit“. Adelheid Latchinians Schlusswort schlägt produktiv-heuristische Töne an. „Vielleicht könnte die weißrussische Künstlerin mit ihrer kritisch-selbstkritischen Haltung und ihrer erfahrungsschweren Chronik oft tragischer menschlicher Schicksale, mit ihrer Skepsis gegenüber jedweden abgestandenen Second hand-Lösungen, aber auch mit ihrer weiblichen Neigung zum Ausgleich und zur Versöhnung uns zu frischen alternativen, zukunftstauglichen Ideen anregen und zu Hoffnungen ermutigen“. Damit hat sie Öl in ein Diskussionsfeuer gegossen, wie es bei Jour fixe noch nicht gelodert hat. 20 Debattanten kreuzen mit oft lautstarkem Verve die Argumentationsklingen auf den gesellschaftspolitischen „Schlachtfeldern“, die die Nobelpreisträgerin auf ihre Weise besichtigt hat. Zu Ende sind sie noch längst nicht, als Moderator Klaus Kinner nach zweiein-
halb Stunden den offiziellen Schluss gebietet. Immerhin ist sich die ambitionierte Runde einig geworden, dass Alexijewitschs humanistisches, dokumentar-künstlerisches Werk die Maßstäbe für einen Literaturnobelpreis in idealer Weise erfülle. Wie bei Jour fixe üblich, sekundierte eine Buchbesprechung dem Hauptthema. Der Historiker Hartmut Kästner stellte Daniil A. Granins „Mein Leutnant“ vor. Verglichen mit früheren Publikationen des inzwischen 97-jährigen Autors, nannte Kästner das erschütternde Kriegsbuch am Ende seines Lebens einen „Paukenschlag“ in der zeitgenössischen russischen Literatur. Am Beispiel zweier vorgelesener Textstellen verdeutlichte der Rezensent, wie sehr sich Granins ungeschminkte „Schützengrabenwahrheit“ voller unsinniger Opfer im Namen einer Herrschaftsideologie von dem heldischen Siegestenor der offiziellen sowjetischen und heutigen russischen Geschichtsschreibung unterscheidet. Wulf Skaun
Bild: Ron Kroon / Anefo / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0 NL
Eine der beachtlichsten Chanson-Interpretinnen Frankreichs war und ist ohne Zweifel Juliette Gréco, die „schwarze Diva“, wie ihr Publikum sie liebevoll nannte – was sicherlich dem Umstand zu verdanken ist, dass sie stets mit schwarzem Pullover und schwarzer Hose bekleidet war, wenn sie die Bühne betrat, um mit ihrer unvergleichbar warmen Stimme ihre Lieder vorzutragen, mal zärtlich verträumt, mal melancholisch, um im nächsten Moment den Zuhörer rigoros mit unerbittlichem, beinahe aggressivem Exzess spitzfindig zu überraschen. Geboren wurde sie am 7. Februar 1927 in Montpellier als Kind korsischer Eltern. In ihrem siebenten Lebensjahr zog sie mit ihrer Familie nach Bordeaux und kurz darauf nach Paris. Dort erweckte eine junge Französischlehrerin, die später eine nicht unerhebliche Rolle spielen sollte, das Interesse der inzwischen Vierzehnjährigen für Literatur und Theater. Mit ihrer vier Jahre älteren Schwester Charlotte teilte sie sich ein Zimmer in Saint-Germain-desPrés. Die Mutter war politisch hoch motiviert und engagierte sich für ein freies linkes Frankreich, unterstützte die Widerstandsbewegung. Juliette fühlte sich oft verlassen, da ihr so gut wie nie Mutterliebe widerfuhr. Dann kam der Krieg. Die deutsche Wehrmacht besetzte Frankreich und die Familie wur-
Wir, die Kinder der Utopie Die Bibliothek der Leipziger Rosa-Luxemburg-Stiftung platzt aus allen Nähten. Jour fixe, der „unkonventionelle Gesprächskreis“, startet vor Rekordkulisse in sein zweites Jahr. Die elfte Auflage Ende Januar 2016 folgt dem Erfolgsrezept: Mit Adelheid Latchinian offeriert eine Literaturwissenschaftlerin von Rang ihre Sicht auf ein längst präferiertes, aber noch unerledigtes Thema: „Swetlana Alexijewitsch – die weißrussische Literaturnobelpreisträgerin des Jahres 2015“. Manfred Neuhaus, mit Klaus Kinner Jour fixe-Urheber, würdigt die Referentin, die mit Ehemann Sarkis Latchinan zu den Mitbegründern des Rosa-Luxemburg-Vereins zählte, als wirkmächtige Dozentin für russische Literaturgeschichte an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Auch nach dem Ende der DDR habe die Habilitierte geforscht, übersetzt und publiziert, um dem deutschen Leser sowjetisch-postsowjetische Dichtung weiterhin zugänglich zu machen. Insbesondere ihre Herausgabe unbekannter Werke der armenischen Nati-
onalliteratur habe höchste Anerkennung verdient. So ausgewiesen, widmet sich Adelheid Latchinian der Aufgabe, Swetlana Alexijewitsch „in ihrem Lebensweg und ihrer Persönlichkeit, in ihrem Werk und Wirken zu ergründen“. Als Leitfaden ihrer Spurensuche wählt sie die Begründung der Schwedischen Akademie, der Weißrussin den Literaturnobelpreis 2015 zuzusprechen „für ihr vielstimmiges Werk, das dem Leiden und dem Mut in unserer Zeit ein Denkmal setzt“. In dieser knappen Formulierung sind Inhalt und Methode, die die bisher sechs Bücher der Schriftstellerin offenbaren, auf den Punkt gebracht. In ihrem knapp einstündigen Vortrag, Frucht ihrer umfassenden und tiefgründigen Analyse der preisgekrönten Werke, ermittelt Latchinian die Vielstimmigkeit in ihren Büchern als „innovative dokumentarische Prosa, die mit ihrer Authentizität und manchmal über die Schmerzgrenze hinausgehenden Wahrhaftigkeit die Leser auf ungewohnt neue Weise aktiviert, zu eigenem Denken und Fühlen her-
ausfordert“. Alexijewitsch hat den Nobelpreis für ihr Lebenswerk erhalten. Also nimmt die Literaturwissenschaftlerin alle ihre Bücher in den Forscherblick: von dem 1983 beendeten Weltseller „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“ bis zu ihrem 2013 erschienenen „Second hand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus“. Nicht als Historikerin, sondern „mit den Augen der Menschenforscherin“, so Adelheid Latchinian, habe die Schriftstellerin „eine Art Jahrhundertchronik“ vorgelegt, die von den schließlich gescheiterten Idealen eines sowjetischen Sozialismus bis zum knechtenden „Triumph des Geldes, des Markts, des Konsums“ reiche. Indem die Autorin immer wieder aus Gesprächen und Meinungen, Lebensgeschichten und Stimmungen „beruflich und altersmäßig, nach Geschlecht und Nationalität ausgewiesener Zeitgenossen“ schöpft, stellt sie an sich und alle die Frage, „wer wir eigentlich sind, wir, die Kinder der Utopie“. Alexijewitschs Zeitreise münde in dem bitteren Fazit: Statt „der
03/2016 Sachsens Linke!
Seite 1
März 2016
Sachsens Linke
Ein weiteres Mal blicken wir ins Innere des Leipziger Versandhändlers Amazon. Juliane Nagel diskutiert ausführlich das Problem „linke Gewalt“. Der Jugendverband befasst sich mit der Extremismus-Doktrin.
Die sächsische Europaabgeordnete Cornelia Ernst warnt davor, im Kampf gegen Terrorismus den Rechtsstaat zu schwächen.
Dazu gibt es zahlreiche Veranstaltungshinweise, nicht nur im Rahmen der Leipziger Buchmesse.
Aktuelle Infos stets auch
unter
e www.dielinke -sachsen.d Altherrenwitze & Hassbotschaften
Weggucken, Wegdrücken, Verharmlosen Die gescheiterte Strategie der CDU gegen rechts In Sachsen ist das Problem rechte Gewalt besonders groß. Das ist angesichts zahlreicher Statistiken, auch der ganz offiziellen des Bundeskriminalamtes, völlig unstrittig: Gemessen an der Bevölkerungszahl gibt es in Sachsen die meisten Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Wenn hier noch von Einzelfällen spricht, der hat wirklich den Schuss nicht gehört. Wir hatten in Sachsen allein in diesem Jahr 33 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und 15 Körperverletzungen (Stand 22.02.). Das ist eine einzige Schande – jeder Versuch einer Verharmlosung verbietet sich. In Sachsen herrscht eine Pogromstimmung gegen Flüchtlinge. Das sage nicht nur ich, sondern das sagt der Leipziger Polizeipräsident, Bernd Merbitz. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Diese Pogromstimmung gegen Flüchtlinge ist aber nicht vom Himmel gefallen. Schauen wir doch einmal in den Landkreis Bautzen, meinen Wahlkreis, wo der schreckliche Brandanschlag auf die geplante Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Hotel Husaren-
hof stattgefunden hat. Da gibt es seit Jahren eine erstarkende Neonaziszene und spontane Fackelumzüge ungestört nachts durch die Stadt. Es gibt dort – in einem einzigen Landkreis – 36 Bürgerinitiativen gegen Flüchtlingsunterkünfte. Auf deren Internetseiten wurde schon im Dezember letzten Jahres über Brandanschläge diskutiert. Schon vor zwei Jahren gab es jeden Abend einen pöbelnden Mob vor einer Flüchtlingsunterkunft in einem anderem ehemaligen Hotel, dem Spreehotel. Da will ich von den 26 Angriffen auf meine Bürgerbüros in Bautzen und Hoyerswerda gar nicht reden. Dass es aber bisher nur zu einer einzigen Verurteilung in diesen 26 Fällen gekommen ist, damit müssen wir uns wirklich auseinandersetzen. Im Landkreis Bautzen liegt übrigens auch der Wahlkreis von Ministerpräsident Tillich. Wenn sich der jetzt hinstellt und sagt: „Oh, ich bin überrascht. Wir müssen etwas gegen rechts tun“, dann muss ich feststellen: Wer nicht einmal weiß, was vor der eigenen Haustür passiert, ist der falsche Mann im Amt. Solange dieser Mann an der Spitze Sachsens steht, wird dieses Land das Problem auch
nicht in den Griff bekommen. Wegducken und das Problem verharmlosen, das war jahrelang die Strategie der CDU im Kampf gegen rechts. Das hat sich bislang auch unter Tillich nicht geändert. Die Liste des sächsischen Versagens im Kampf gegen rechts ist wirklich lang. Ich nenne ein einziges Beispiel: Die CDU im Land und in der Stadt Dresden hat jahrelang tatenlos dem größten Naziaufmarsch Europas zugesehen, der durch die Landeshauptstadt zog. Dann hat das Bündnis „Dresden Nazifrei“ dies ab 2010 verhindert. Als Folge hagelte es hunderte Strafverfolgungen – nein, nicht gegen die Neonazis, sondern gegen die Gegendemonstranten. Polizei und Staatsanwaltschaft waren jahrelang auf dem rechten Auge blind. Das ist das Problem. Hier muss man festhalten: Ein einfaches „Danke“ hätte auch gereicht. Danke, „Dresden Nazifrei“, Danke „Bautzen bleibt bunt“, vielen Dank an all diejenigen, die sich auch in Sachsen den Rechten in den Weg stellen. Ja, es gibt ein weltoffenes Sachsen. Die CDU aber gehört nicht dazu. Genau das ist das Problem. Wir haben zusammen mit SPD und Grü-
nen seit Jahren immer an der Seite der Anti-Nazi-Bündnisse gekämpft – die CDU, aber auch die FDP hat dort oftmals gefehlt. Natürlich wäre es fehl am Platz, so zu tun, als sei es einzig und allein ein sächsisches Problem. Braune Gewalt und rechter Terror sind bundesweite Probleme. Deshalb schieben wir das Problem nicht auf Sachsen alleine! Wenn die Große Koalition in Berlin monatelang von Obergrenzen und Kontingenten schwafelt, bereitet sie dem braunen Mob den Boden. Davor kann auch die SPD als Koalitionspartner in Land und Bund die Augen nicht verschließen, und wir als LINKE müssen das deutlich so benennen. Wenn wir über den Rechtsruck in Deutschland sprechen, dann dürfen wir auch zu den Asylpaketen nicht schweigen. Die Verschärfung und Verstümmelung des Asylrechts ist wirklich die falsche Antwort im Kampf gegen rechts. So bekämpft man Rassismus nicht, so betreibt man das Geschäft der AfD. An CDU und SPD in Sachsen und Bund müssen wir daher die Aufforderung richten: Hören Sie endlich auf damit! Caren Lay
Kennt ihr den? Ein Mann bekommt einen GEZ-Bescheid und beantragt daraufhin Kindergeld. Er habe zwar keine Kinder, aber das Endgerät sei ja vorhanden. Tusch. Dieser über ein Jahrzehnt alte Witz war Anlass für eine Presseaussendung der AfD. Sie bezogen sich auf „aktuelle Pressebeiträge zum Fall“, die außer ihnen wirklich niemand gelesen haben kann. Dann folgte ein Rundumschlag gegen das Gebührensystem der Öffentlich-Rechtlichen. Der Witz ist nicht nur so alt wie die Lausitzer Braunkohle, er ist aus der Zeit gefallen: Denn mit dem Rundfunkbeitrag als Haushaltsabgabe ist es egal, ob ein Endgerät vorhanden ist. Ob das gut ist oder schlecht, ist eine andere Frage. Aber auf diesem Niveau spielt die AfD im Land. Da ist sich ein Generalsekretär nicht zu dumm, zu mutmaßen, dass es sich bei Angela Merkel um eine StasiSchläferin handeln könnte, die aktiviert wurde, um das Land zu zerstören. Oder: Die Freiberger AfD veröffentlicht ein Bild von angeblichen Asylsuchenden, die angeblich in der Stadt auf einem Polizeiauto posieren würden. Blöd: Das Foto stammt aus dem Jahr 2010 und zeigt mutmaßlich italienische Fußballfans. In Freiberg ist es jedenfalls nicht entstanden. Was lernen wir? Diese Partei verbreitet Hass. Kein Mittel ist ihr zu billig. Während Karlsruhe über ein Verbot der NPD verhandelt, steht die nächste Kraft bereit, die Grund- und Freiheitsrechte in Frage stellt. Diesmal in blau statt braun. Unser Kampf geht weiter. Gegen den billigen Populismus, der Rassismus und Ungleichwertigkeit in sich trägt.
Sachsens Linke! 03/2016
Seite 2
Meinungen
gleichen Politik usw. gegen ihre Interessen gegen noch Schwächere (z.B. Geflüchtete, Muslime) aufhetzen, ohne zu merken, dass sie benutzt werden: „Ein Kapitalist, ein BILD-Leser und ein Ausländer sitzen um einen Tisch. Auf ihm steht ein Kuchen, geteilt in 12 Stücke. Der Kapitalist nimmt sich 11 Stücke und sagt zum BILD-Leser: ,Pass auf, der Ausländer will Dir Dein Stück Kuchen wegnehmen.‘„ Dabei lassen sich die Interessen derjenigen, die nicht von ihren Kapitaleinkommen leben kön-
nen, nur gemeinsam sichern. In persönlichen Gesprächen, bei Versammlungen, Kundgebungen auf der Straße, in Leserbriefen usw. kann ich durchaus aufklären, zum Nachdenken anregen und Informationen weitergeben. Aber massenwirksam und gegenmächtig können wir nur dann werden, wenn viele gemeinsam in dieser Richtung handeln und vorhandene Ressourcen dafür einsetzen, wie auch von Ralf Becker vorgeschlagen. Uwe Schnabel, Coswig
Frauen-Friedenskampf – uraltes, immer wieder aktuelles Thema Friedenskämpferinnen gesucht Zum 13. Mal lobt die Frauenarbeitsgemeinschaft LISA in Sachsen aus Anlass des Internationalen Frauentages am 8. März 2016 den „Lysistrata-Frauen-Friedenspreis“ aus. Bereits neunmal konnte der Preis der pfiffigen „Heeresauflöserin“ – denn das bedeutet „Lysisatrata“, eine Titelfigur des antiken Komödiendichter Aristophanes – verliehen werden. Wir rufen deshalb auf, Vorschläge für eine Preisträ-
Zu „Cornelia Ernst: Happy new year?” (Sachsens Linke! 01-02/2016, S. 11) Ja, Gleichschaltung der Medien und der Gerichte, Bekämpfung der Geflüchteten, Demokratieabbau, Nationalismus usw. widersprechen linken Werten. Aber wie von Cornelia Ernst angedeutet, entsprechen sie der bisherigen EUPolitik. Auch in der und durch die BRD und in anderen EUStaaten gibt es ähnliche Entwicklungen. Somit sollten alle, die für ein sozial gerechtes, ökologisches, solidarisches, demokratisches und friedliebendes Europa sind, gegen die EU der Konzerne zusam-
menarbeiten, wie von Cornelia Ernst vorgeschlagen. Deshalb sollten wir es vermeiden, EU und BRD in einem zu positiven Licht darzustellen. Stattdessen sollten wir stärker über z. B. die negativen Rollen von EP-Präsident Martin Schulz, der Bundeskanzlerin Angela Merkel, des Finanzministers Wolfgang Schäuble und weiterer deutscher Kabinettsmitglieder und erst recht der EU, der BRD und des kapitalistischen Systems aufklären. Rita Kring, Dresden
Impressum
Kleiststraße 10a, 01129 Dresden
Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.
Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V.,
Zu „Rechtsruck der Gesellschaft und DIE LINKE“ (Links! 01-02/2016, S. 5)
gerin 2016 einzureichen. Wir suchen Frauengruppen, Frauenprojekte oder einzelne Frauen, die in der Lysistrata-Tradition zum Frieden anstiften, zum politischen Frieden zwischen den Kontinenten, Völkern, Kulturen auf unserer Erde und zur Gewaltlosigkeit zwischen den Menschen. Vorschläge sind mit Begründung bis zum 19. Juni 2016 an die Frauenarbeitsgemeinschaft LISA Sachsen, Kleiststraße 10a, 01029 Dresden oder an ag-lisa@dielinkesachsen.de einzureichen.
Ralf Becker und andere AutorInnen haben gezeigt, dass Rassismus, Nationalismus usw. systembedingt sind, in der BRD von Anfang an Tradition haben und von den Herrschenden im für die Interessen der wirtschaftlich Mächtigen geeigneten Maße gefördert werden. Viele Menschen merken, dass etwas schief läuft, dass nicht sie, sondern „die da oben“ das Sagen haben, dass in den meisten Medien nicht objektiv berichtet wird, dass gegen Russland gehetzt wird, wir in immer neue Kriege getrieben werden usw. Trotzdem lassen sie sich von den gleichen Medien und der Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus gedruckt.
Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio.
Der Redaktion gehören an:
Kontakt:
Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt, Ralf Richter, Stathis Soudias.
kontakt@dielinke-sachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720 Redaktionsschluss 25.02.2016
Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 25.03.2016.
03/2016 Sachsens Linke!
Seite 3
Hier spricht die Belegschaft
Amazon versucht, sich seinen eigenen perfekten Mitarbeiter zu formen. Dabei sollen dessen Arbeit und das Unternehmen stets Vorrang vor allen anderen Interessen haben. Amazon versucht stets, das Denken seiner Beschäftigten zu manipulieren. Wenn die Amazon-MitarbeiterInnen zu ihren Arbeitsplätzen in der Werkshalle gehen, laufen sie auch an etlichen, an sie gerichteten Botschaften vorbei. Diese zielen darauf ab, Amazon als guten und innovativen Arbeitgeber darzustellen, um gleichzeitig die Schattenseiten des Arbeitsalltags auszublenden. Da kommt man an Werbetafeln mit kurzen markigen Sprüchen vorbei, die an ein Gemeinschaftsgefühl appellieren, z. B. mit Sprüchen wie „Das Lächeln auf den Kartons sind wir“. Bedenkt man die Arbeitsbedingungen, ist vielen nicht wie Lächeln zumute. Im Vorraum zur Produktionshalle findet man mehrere Tafeln. Eine Tafel ist für die Kommunikation von MitarbeiterInnen mit der Geschäftsleitung gedacht. Offensichtlich ist das eine gute Sache, kann sie doch als schneller, direkter Kontakt dienen, bei dem gleichzeitig jeder mitlesen kann. Die Tafel wird auch rege genutzt, nur gibt es bei kritischen Fragen die immer gleichen Standard-Antworten der Standortleitung: „Wir werden das persönliche Gespräch mit dir suchen“. Zum einen empfinden dies die anderen Beschäftigten oft als Ärgernis,
da sie auf ein Statement der Unternehmensführung gehofft haben. Zum anderen versucht man den Fragensteller in persönlichen Gesprächen zu isolieren, um ihm gleichzeitig rücksichtsloses Verhalten und ähnliche Dinge vorzuwerfen. Kündigen sich hochrangige VertreterInnen aus Presse und Politik an, so kann es auch vorkommen, dass diese Tafel
behandeln oder sich mit anderen Kritikpunkten am Unternehmen auseinandersetzen, finden sich dort nicht. Ein weiteres großes Plakat im selben Raum listet eine Art Gebotstafel auf. Darauf stehen Punkte, wie sich das Unternehmen und seine Arbeit definieren. Ein Punkt beispielsweise besagt, dass das Management sich als behan-
kritische Nachfragen die Standard-Antwort: „Wir kommen auf dich zu“. Soll heißen, dass die Manager allein mit der oder dem FragestellerIn reden wollen. Fernbleiben darf man diesen Meetings allerdings nicht, da man sich sonst dem Vorwurf der Arbeitsverweigerung ausgesetzt sieht. Dieser kann mit Abmahnung bestraft werden.
abgewischt wird. Neben dieser Kommunikationstafel befindet sich das Medien-Board. Dort werden Zeitungsausschnitte ausgehangen, die sich mit Amazon oder Jeff Bezos beschäftigen. Diese sind ausschließliche positiv. Artikel, die die Streiks
delnder Arzt versteht, wohingegen die ArbeiterInnen wie Krankenschwestern anzusehen sind. Geht man dann in die Halle hinein, befinden sich auf dem Weg in den Produktionsbereich weitere Tafeln und Plakate, die in gewissen Zeiträumen ausgetauscht werden. Dort finden sich Arbeits- und Sicherheitshinweise und auch wieder Huldigungen an das Unternehmen oder wahlweise an Jeff Bezos. Im normalen Arbeitsalltag haben im Produktionsbereich tätige Beschäftigte in der Regel zwei verpflichtende Meetings pro Tag mitzumachen. In diesen Meetings wird in regelmäßigen Abständen von sogenannten Success-Stories („Erfolgsgeschichten“) berichtet. Diese Success-Story kann ganz unterschiedlicher Natur sein: Von „Amazon baut ein weiteres Zentrum“ bis hin zu „die Spind-Räume wurden gereinigt“ kann alles dabei sein. Wichtig hierbei ist allein, dass man einen Success, also einen Erfolg, vermelden kann. Diese Meetings dienen aber auch dem Einpeitschen für eine schnelle Arbeit. Sehr oft hört man dann den Spruch: „Heute wird es sportlich“. Manchmal erhält man noch die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Auch hier kommt auf
In den Pausenräumen stehen wiederum kleine Aufsteller, die entweder ein neues Credo postulieren oder einen breit grinsenden Mitarbeiter in den Vordergrund stellen, der sich zitieren lässt, dass er gern bei Amazon arbeite. Ebenso liegt dort die hauseigene Firmen-
Bild: Matthew Paul Argall/Wikimedia Commons/CC BY-SA 3.0
Propaganda
zeitung aus, in der ebenfalls glückliche Mitarbeiter abgebildet sind, die von ihrer Karriere berichten, oder andere Success-Stories aufgelistet werden. Wie gut all diese Maßnahmen greifen, lässt sich erahnen, wenn man Amazon Angestellte in ihrem Arbeitsalltag beobachtet. Deren Verhalten ist geprägt von ständigem Leistungsdenken. Hinzu kommt, dass man durch Scanner und Computerarbeitsplätze einer ständigen Messung seiner persönlichen Leistung unterliegt, ganz wie im Sport. Durch geschickt eingesetzte Sprachmuster von Vorgesetzten werden die Bilder des Erfolges und des optimalen Produktionsablaufes, die der Beschäftigten bei ihrem Gang durch die Produktionsstätte aufnehmen, weiter bestärkt. So sollen sie am Ende ihr ganzes Denken und Handeln dem Unternehmen unterordnen. Andere Mitarbeiter reden dann spöttisch von einem „Amazombie“. All die Plakate, Aufsteller und Zeitungen, die nur den Anschein eines guten Arbeitgebers erwecken sollen, könnte sich das Unternehmen eigentlich sparen. Stattdessen sollte es auf den Schein verzichten und das Sein mit mehr Leben erfüllen, indem es seinen Mitarbeitern ein reales Mitspracherecht gibt. Christian Rother Im Netz unter @CrissyLibertas on.fb.me/1PQfCl7
Sachsens Linke! 03/2016
Seite 4
Gewalt von links: Positionierung & Differenzierung Noch nie so oft wie im letzten Jahr musste ich mich zum Thema Gewalt von links äußern. Noch nie habe ich so oft meine gewaltfreie Grundhaltung kommuniziert. Trotzdem werde ich weiterhin zur Anführerin fiktiver linksautonomer Horden stilisiert. Doch: Auch noch nie habe ich so viel verbale Gewalt erlebt wie im letzten Jahr, über alle Kanäle wurde ich beschimpft und bedroht. Nicht von Linken, sondern von Menschen, die Humanismus und Demokratie zutiefst verachten, von Menschen, die mir mein – Zitat – „krankes Gehirn aus dem Kopf ballern“ oder mich gemeinsam mit dem OBM Burkhard Jung – wieder Zitat – „an die Wand stellen und entsorgen“ wollen, weil ich weiterhin konsequent gegen Rassismus, für das Grundrecht auf Asyl sowie gegen Neonazismus und seinen Nährboden einstehe. Genau diese aggressive und antihumanistische Grundhaltung haben Pegida und seine Ableger erzeugt und dafür diejenigen mobilisiert, die in den letzten Jahren auf den Sofas und an den Stammtisch verharrten. Es liegt auf der Hand: Eine gesellschaftliche Mitte, die sich unpolitisch gibt und die Stabilität einer Gesellschaft repräsentiert, gibt es nicht. Es gab sie nie. Schon seit Jahren weisen sozialwissenschaftliche Studien auf den hohen Anteil an rassistischen und demokratiefeindlichen bzw. -skeptischen Einstellungen in der Gesamtgesellschaft hin. Sie sind keine Sache eines „rechten Randes“. Mit den Manifestationen von Pegida und Co. sind die Zahlen aus den Studien lebendig geworden und zeigen sich Montag für Montag auf den Straßen Dresdens, Leipzigs, Chemnitz‘ und weiterer Orte vor allem in Sachsen. Der organisierte Angriff auf Geschäfte und Kneipen in Leipzig-Connewitz durch Neonazis am 11. Januar 2016, der im Windschatten des Legida-Marsches in der Innenstadt stattfand, oder die Beteiligung von Pegida an den gewalttätigen rassistischen Hetzveranstaltungen in Freital und Heidenau im vergangenen Jahr zeigen, dass die sich als bürgerlich gebenden *gidas dafür mitverantwortlich sind, dass das gesellschaftliche Klima so aufgeheizt ist. Über 1.000 Angriffe auf Unterkünfte von Geflüchteten gab es im Jahr 2015 bundesweit, im Jahr vorher waren es 199. Sachsen ist mit 101 offiziell registrierten Angriffen negativer Spitzenreiter, die Dunkelziffer liegt höher. Gleichzeitig haben in Sachsen 276 rassistische
Aufmärsche gegen Unterkünfte von Asylsuchenden stattgefunden – eine erschreckende Zahl. In Leipzig gibt es seit Herbst 2015 eine Serie von Gewaltaktionen gegen antifaschistische Aktivist*innen, ihre Wohnungen und Autos. In Dresden wurde zu Weihnachten versucht, ein linkes Hausprojekt anzuzünden, während im Haus acht Menschen schliefen.
ge, was genau „links“ ist und wer definieren will, welche Formen und Strategien darunter zu fassen sind. Genauso wenig wie die Partei DIE LINKE die Definitionsmacht darüber besitzt, verfügen einzelne darüber, die sich nachts auf den Weg machen, um Sachen zu zerstören. Die Aktionsformen von Linken sind schon seit jeher so unterschiedlich, wie es linke Strömungen sind. Dass
Connewitz am 11. Januar 2016 Bild: De Havllland /flickr.com/CC BY 2.0
In diese Realität muss auch die Gewalt von links eingeordnet werden. Wir sprechen mit Blick auf Leipzig unterm Strich von mehr als einem Dutzend konzertierten Angriffen, vornehmlich auf staatliche Symbole: Gegen den Polizeiposten in Connewitz, das Amtsgericht, die Ausländerbehörde, das Bundesverwaltungsgericht, die Landesdirektion. Den Höhepunkt dürfte die Eskalation am 12.12.2015 erreicht haben, als hunderte Vermummte auf der Karl-Liebknecht-Straße in der Leipziger Südvorstadt randalierten und auch PolizistInnen angriffen. Die Gegenüberstellung der verschiedenen politisch motivierten Gewalttaten soll eines nicht: gleichsetzen. Schon die Zahl der Beteiligten und die Zielrichtung der Angriffe zeigt die Differenz: Während Tausende in sächsischen Städten gegen die Würde von Menschen aufmarschieren und auch bewohnte Häuser von Menschen angreifen, die zu den gesellschaftlich Schwächsten oder politischen Gegner*innen gehören, während in Sachsen seit 1990 mindestens 15 Menschen durch rechte Gewalt sterben mussten – währenddessen machen sich in Leipzig klandestine Kleinstgruppen vornehmlich nachts auf den Weg, um unbewohnte staatliche Gebäude zu zerstören. Oft werde ich gefragt, ob das, was diese Kleinstgruppen tun, noch „links“ wäre. Sie würden der Sache und unserer Partei schaden. Es stellt sich die Fra-
Gewaltausübung ins Repertoire der politischen Linken gehört, ist jedoch nicht zu leugnen. Erinnert sei an den Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime, den spanischen Bürgerkrieg oder aktuell den bewaffneten
Begriffe „Die Autonomen“ sind laut Verfassungsschutzbericht die quasi „gefährlichsten“ Linken. Laut Verfassungsschutz leben mit 180 Personen sachsenweit die meisten von ihnen in Leipzig. Diese Definition dürfte sich auf dünnem Eis bewegen, denn autonom wird man nicht per Beitritt zu einer Organisation. Vielmehr handelt es sich um ein Selbstverständnis, das ein positives Verhältnis zur Gewaltausübung nicht automatisch einschließt. Die autonome Bewegung hat ihre Wurzeln in den StudentInnenprotesten der 1960er Jahre und den neuen sozialen Bewegungen, die im Zuge dessen entstanden und die neben Antifaschismus auch Antimilitarismus, Ökologie/Anti-Atom einschließt. Autonome legen Wert auf Selbstorganisation und politische Unabhängigkeit von Staat und Parteien.
Kampf der KurdInnen, das Aufbegehren von unterdrückten Bevölkerungsgruppen in diversen lateinamerikanischen Ländern oder die Wut gegen gewalttätige Polizeibeamte zum Beispiel in Griechenland 2008 oder Großbritannien 2001. Dr. Thomas Seibert, Philosoph und Autor, schreibt in einem Beitrag für die Texte der RosaLuxemburg-Stiftung 49/2008: „Die Linke muss zu [sozialen] Kämpfen und denen, die sich in ihnen oft erstmals oder jedenfalls anfänglich politisch artikulieren, ein bejahendes und produktives Verhältnis haben: sie kann nicht nicht wollen, dass es solche Kämpfe und die in ihnen aufbrechende Gewalt gibt. Sie kann deshalb trotz ihrer prinzipiellen Gewaltkritik keinen prinzipiellen Gewaltverzicht leisten“. Er weist im Folgenden darauf hin, dass es der Staat ist, der soziale und linke Kämpfe mit aller Gewalt niederschlagen wird. Auch hier könne die Linke sich nicht wehrlos ergeben. Die meisten militanten Aktionen von links, die im Jahr 2015 stattfanden, entbehren eines gesellschaftlichen Kontextes, der emanzipatorische Umbrüche nahe legt, sie sind zudem weder spontan noch reaktiv. Sie waren offensichtlich zum großen Teil konzertiert geplant, vor allem aber „Die Antifa“ gibt es ebenso wie „die Autonomen“ nicht als eingetragene und abgrenzbare Gruppierung. Bundesweit gibt es über 200 Antifa-Gruppen. Linksradikale Antifa-Gruppen unterscheiden sich von zivilgesellschaftlichen Bündnissen gegen Rechts oft durch ihre offensiveren Aktionsformen, aber vor allem durch ihre gesellschaftskritische Grundhaltung, die eine Analyse der Entstehungsbedingungen von Faschismus/ Nazismus einschließt. Zur „Antifa“ zu gehören ist allerdings auch ein Stück Jugendkultur, wozu das Hören gemeinsamer Musik, das Tragen bestimmter Kleidung, Rebellion und Grenzüberschreitungen wie Regelübertritte gehören. Den „Schwarzen Block“ gibt es nicht als feste Gruppierung. Das Tragen von schwarzer Kleidung ist ein klassisches Merkmal der autonomen und „Antifa“Szene. Ziel ist es, neben einem gleichen Erscheinungsbild für staatliche Organe, auch für Neonazis
passierten sie in einer gesellschaftlichen Situation, in der die stärkste soziale Bewegung von rechts kommt und der Staat – vor allem in Sachsen – gegen eine eher marginalisierte Linke vorgeht. Vielleicht bringt genau dies – die vielfältigen negativen Erfahrungen mit der „sächsischen (Nicht)Demokratie“, mit Polizeigewalt und der spürbaren rechten Hegemonie – antifaschistische und andere linke Akteure dazu, zu zerstörerischen statt konstruktiven Mitteln zu greifen. Als linke Partei positionieren wir uns klar zu den Vorfällen. Viel wichtiger als eine Distanzierungsspirale, die irgendwann zur Floskel verkommt, ist es allerdings, auf die eigenen Aktionsformen hinzuweisen und aktiver Teil von gesellschaftlichen Bündnissen, von Initiativen und außerparlamentarischen Gruppen zu sein. Um eine Polarisierung werden wir gerade in diesen Zeiten nicht herumkommen. Aber: Wir müssen es nicht allen recht machen. Unsere Aufgabe ist es, für soziale Gerechtigkeit, für eine offene und inklusive Gesellschaft für alle, für Solidarität zu streiten und Aktionsformen zu wählen, die genau in diesem Zeichen stehen. Juliane Nagel schwerer erkenn- und unterscheidbar zu sein. Die Zahlen: 2015 standen in Sachsen 242 Ermittlungsverfahren im Bereich der Politisch Motivierten Kriminalität – rechts (PMK-rechts) 34 Verfahren im Bereich der Politisch Motivierten Kriminalität – links (PMK-links) gegenüber. 2013 gab es in bundesweit 17.000 rechte Straftaten und 8.600 linke. Zu diesen Zahlen gab es eine große Debatte. Hohe BeamtInnen des Bundeskriminalamts räumten ein, dass unter den Straftaten, die in den Bereich PMK-links eingeordnet werden, ein relevanter Teil dem Bereich Sachbeschädigungen (etwa das Zerstören von neonazistischen Wahlplakaten) und dem Demonstationsgeschehen zugeordnet werden muss, wozu oftmals friedliche Sitzblockaden gehören. Seinerzeit wurde versprochen, die statistischen Einordungskriterien zu überarbeiten. 2014 ist die links motivierte Kriminalität bundesweit um 6,5 % gesunken.
03/2016 Sachsens Linke!
Seite 5
Dresden fördert wieder Ferienlager! Linke.Lese.Lust Die bessere Ausstattung der Kinder- und Jugendhilfe ist für Linke in politischer Verantwortung ein wichtiges Ziel. Dabei geht es aber nicht nur um die finanziell sehr aufwendigen und zu den Pflichtleistungen zählenden Hilfen zur Erziehung, die Landräte und Bürgermeister meinen, wenn sie „Jugendhilfe“ sagen. Es geht auch und vor allem um die freiwilligen Leistungen der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit, die
Deshalb beschloss der Stadtrat auch begleitende Hinweise für den Jugendhilfeausschuss, wie dieses Geld ausgegeben werden solle. Dabei war ein Hinweis auf eine verbesserte Förderung von Ferienfreizeiten enthalten. Nun hat der Jugendhilfeausschuss am 7. Januar 2016 die Konditionen für die Förderung von Ferienfreizeiten beschlossen. Wieder eingeführt wurde eine Unterstützung für alle
schen Bildungswertes der Ferienfreizeiten, außerordentlich bedauerlich. Kinder und Jugendliche können sich in einem Ferienlager außerhalb ihrer gewohnten Gruppen neu ausprobieren, eine andere Rolle einnehmen als in ihrer Klasse oder Sportgruppe. Sie lernen in geschützter Umgebung, auf sich selbst gestellt zu sein, ohne die unmittelbare Beobachtung durch ihre Eltern. Dieser Effekt tritt kaum ein,
Zur Leipziger Buchmesse bietet DIE LINKE wieder Lesungen an: www.gleft.de/1av 17. März 2016 18 Uhr: Landolf Scherzer: Der Rote. Macht und Ohnmacht des Regierens. INTERIM, Demmeringstraße 32 18 Uhr: Tomasz Konicz: Aufstieg und Zerfall des Deutschen Europa. linXXnet, Bornaische Straße 3d 20 Uhr: Eva Sternheim-Peters: Habe ich denn allein gejubelt? Eine Jugend im Nationalsozialismus. Liebknecht-Haus, Braustraße 15 20 Uhr: Murmeln, Mumbeln, Flüstertüte – Lexikon der Bewegungssprache. INTERIM, Demmeringstraße 32
fast überall im ländlichen Raum auf ein Minimum gekürzt wurden und die auch in den großen Städten unter Druck waren. Die Landeshauptstadt Dresden hat, den neuen politischen Mehrheiten aus LINKEN, Grünen, SPD und Piraten im Stadtrat Rechnung tragend, einen Richtungswechsel vollzogen und mit einer Erhöhung des Jugendhilfeetats um drei Millionen Euro jährlich eine deutliche Budgetsteigerung in diesem Bereich etatisiert. Im Kommunalwahlprogramm der Dresdner Linken war folgendes Ziel enthalten: „Dresden fördert Ferienfahrten bei gemeinnützigen Vereinen für Kinder und Jugendliche auch unabhängig vom Einkommen der Eltern“.
Dresdner Kinder von 10 Euro je Reisetag, für Kinder mit Dresden-Pass sogar in Höhe von 20 Euro. Dazu kommt noch ein Anteil für die Betreuerinnen und Betreuer. Das sozialpolitische Ziel ist dabei klar: Über die Vergünstigung soll erreicht werden, dass wieder mehr Kinder an diesen niederschwelligen Angeboten teilnehmen. In den vergangenen Jahren hatten sich der Freistaat und fast alle Kommunen komplett aus der Förderung zurückgezogen, die dadurch steil ansteigenden Teilnahmegebühren schreckten den größten Teil der Eltern ab. Sehr viele Vereine haben sich daraufhin aus diesem Arbeitsgebiet zurückgezogen. Das ist, wegen des spezifi-
wenn sich die Schulklasse zur Klassenfahrt aufmacht oder wenn man mit einer Gruppe Bekannter aus anderen Zusammenhängen wegfährt. Betreuerinnen und Betreuer wiederum haben die Möglichkeit, Kinder zu beobachten, zu fördern oder, wenn alles optimal läuft, sogar nach den Fahrten den Eltern Hinweise zu geben. Nun müssen wir beobachten, ob die angesetzte Summe je Kind und Tag bereits dazu führt, dass von den Eltern akzeptierte Teilnahmebeiträge entstehen und die Nutzung der Ferienlagerangebote zunimmt. Ich freue mich sehr, dass ein Ziel der LINKEN für die Stadt umgesetzt ist. Tilo Kießling
20 Uhr: Reiner David: Wie ich den Krieg erlebte – Eine Geschichte in Briefen. linXXnet, Bornaische Straße 3d 18. März 2016 18 Uhr: Kurt Oesterle: Martha und ihre Söhne. LiebknechtHaus, Braustraße 15 18 Uhr: Robert Misik: Kaputtalismus. INTERIM, Demmeringstraße 32 18 Uhr: Kirsten Achtelik: selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldiagnostik und Abtreibung. linXXnet, Bornaische Straße 3d 18 Uhr: Sarah Helm: Ohne
Irreführung und Manipulation als Rechtszustand
Selbst aus der Sicht des einfachen Konsumenten von Lebensmitteln (Ich schreibe bewusst nicht „Verbraucher“, weil dies ein unwissenschaftliches Paradigma assoziiert!) hört die politische Aufregung nicht auf. Da will man kein Schweinefleisch mehr, weil es der Arzt empfahl. Aber was drauf steht, ist lang noch nicht drin. Beispiel „Kalbsleberwurst“: mehr Schweineleber als Kalbsleber und noch mehr Schweinefleisch darin, Schwein insgesamt bis zu 85 %. Auch in Geflügelwurst findet man Schwein, ohne dass das in der Bezeichnung bereits ersichtlich wäre. Man muss schon sehr genau die – äußerst klein gedruckte – Zutatenliste lesen. Und in vielen anderen Produkten, wo man es gar nicht ahnt, ist immer noch Schweinefett und / oder Schweineschwarte dabei. Da fragt man sich, was denn ältere und andere sehbehinderte Menschen machen, wenn diese Informati-
onen ernährungsphysiologisch für sie wichtig sind (z. B. wegen des Cholesterinspiegels). Sollen die neben der Brille nun noch die Lupe als ständige Ausrüstung mitschleppen? Auch bei Fischprodukten ist nicht unbedingt nur das drin, was der Name des Produktes aussagt. Genug, jede/r kann eigene Beispiele finden, wenn es einem nicht völlig egal ist, wovon ihm schlecht wird. In der BRD gibt es die Lebensmittel-Kommission und das Deutsche Lebensmittelbuch. Da steht, was sein soll. Aber was sein soll, muss in der Kommission Konsens haben. Zudem tagt diese Kommission geheim! Stimmt die Lebensmittelwirtschaft nicht zu, gibt es keine Regel, die Transparenz für Konsumierende verbessern würde. Wessen Interessen setzen sich also bei derartiger Arbeitsweise durch? Die Konsumierenden erfahren nichts und können sich folglich auch gar
nicht wehren. Und was nützt eine Beschwerdeplattform im Internet, wenn die Kommission kraft Blockade-„Konsens“ der Lebensmittelwirtschaft sich nicht darum schert? Klarheit und Wahrheit in der Produktbezeichnung waren bisher nicht die Stärke dieser Kommission, wie o. g. Beispiele zeigen und die LINKE Abgeordnete Karin Binder in der Bundestagssitzung vom 14.01.2016 beklagte. Da rede ich nicht von Gammelfleisch und Umetikettierung von Verfallsdaten. Letzteres ist Betrug und kriminell, wird nur unzureichend verfolgt. Ersteres ist rechtlich abgesichert! Aber: Nun haben wir seit Jahrzehnten zunehmend aufgeklärte und ernährungsbewusste Konsumierende sowie die BioProduktion von Lebensmitteln. Und nun ist auch endlich der Deutsche Bundestag über alle Fraktionen hinweg der Meinung, dass das Lebensmittelbuch neu geschrieben werden
müsse und die LebensmittelKommission einer dringenden Reform bedarf. Die Grüne Nicole Maisch brachte es in jener Bundestagssitzung auf den Punkt: „Wir müssen weg von der staatlich abgesicherten Verbrauchertäuschung“. Der Opposition reichen die Koalitionsvorlagen nicht aus. Die „Verbraucher“Forschung müsse endlich mehr und verbindliche Berücksichtigung erfahren.Foodwatch, eine Konsumentenschutzorganisation im Lebensmittelbereich, meint gar, die Lebensmittel-Kommission solle aufgelöst und die Verantwortung auf eine Bundesbehörde übertragen werden. Es gibt noch andere Probleme der Lebensmittelwirtschaft wie etwa die Schwermetall- und Chemikalienbelastung von Lebensmitteln infolge von Industrieabfällen und Überdüngung sowie Durchsetzung der Böden. Aktuell haben wir (wieder
Haar und ohne Namen – Erschütternder Bericht über das Leben in Ravensbrück. Liebknecht-Haus, Braustraße 15 20 Uhr: Tom Strohschneider: Die Best of Leserbrief Show. INTERIM, Demmeringstr. 32 20 Uhr: Heike Kleffner & Anna Spangenberg: Generation Hoyerswerda – Das Netzwerk militanter Neonazis in Brandenburg. linXXnet, Bornaische Straße 3d 19. März 2016 18 Uhr: Andreas Apelt/Ekkehart Rudolph: Hitlers letzte Armee – Kinder und Jugendliche im Kriegseinsatz. LiebknechtHaus, Braustraße 15 18 Uhr: AnouchK ibacka valiente: Vertrauen, kraft & widerstand. kurze texte und reden von audre lorde. linXXnet, Bornaische Straße 3d 20 Uhr: Hans-Dieter Schütt: Besuchen Sie mich, bin im Himmel. Elf unmögliche Interviews. INTERIM, Demmeringstraße 32 20 Uhr: Alexandre Froidevaux: Erinnerungskulturen & Geschichte der spanischen Arbeiterbewegung vom Bürgerkrieg bis zur „Transición“. linXXnet, Bornaische Str. 3d 20. März 2016 11 Uhr: Jorgo Chatzimarkakis: Tagebuch eins griechischen Euro. Liebknecht-Haus, Braustraße 15
einmal) die Diskussion um Glyphosat, das beim Einsatz von Pestiziden zurückbleibt und in die Nahrungskette eingeht. Während im Bundestag darum gestritten wird, endlich Glyphosat-Düngemittel aus dem Verkehr zu ziehen, hat die Bundesregierung auf EU-Ebene einer Verlängerung der Zulassung von Glyphosat um weitere zehn Jahre bereits zugestimmt. Es gibt so viel zu tun, so viel Arbeit. Aber diese Arbeit wäre kaum gewinnbringend, jedoch stark auf die Reproduktion der Gesundheit und der natürlichen Ressource Boden durch ökologisch nachhaltige Bewirtschaftung gerichtet. Ein letztes Problem sei nur mehr erwähnt, jeder kennt wohl solche Aufdrucke: Hergestellt für „Netto“, für „Kaufland“ usw. Aber wer hat es wo unter welchen Bedingungen hergestellt? Fehlanzeige. Hier liegt der Zusammenhang von Privatbürger und Weltwirtschaft. Ralf Becker
Sachsens Linke! 03/2016
Jugend
Seite 6
Die Erde ist ein Hufeisen Jedem im Freistaat lebenden Mensch sollte klar sein, dass sich die sächsische Staatlichkeit nicht zu schade ist, jede Situation zu nutzen, um den Spruch, man habe „alles gesehen“, zu negieren. Ein Beispiel ist der Freispruch des Chemnitzer Polizisten Tim R., der im Februar 2015 einen Demonstranten in Chemnitz in den Bauch schlug und dafür erstinstanzlich zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Der Richter des Landgerichtes hielt dagegen, der Schlag sei ein zulässiges „Schockmittel“, also geeignet, den Widerstand des Festgenommenen zu brechen. Dass dieser sich überhaupt nicht gegen seine Festnahme gewehrt hatte, verweist auf die Haltung eines Staates und seiner Justiz, die aus den Tiefen einer Theorie des politischen Spektrums kommt, die in Sachsen entwickelt und kultiviert wurde: die Extremismustheorie. Einst erdacht von Größen wie Eckhard Jesse von der TU Chemnitz und Uwe Backes aus Dresden, ist sie Staatsdoktrin vor allem in
Sachsen geworden und hat als solche nahezu jede Sphäre des politischen Alltags durchdrungen. Als Werkzeug reduziert sie jede Aktion auf die Haltung der Akteur*innen zu Staat und Verfassung. Ausgehend von die-
ne entglaste Bushaltestelle in der Leipziger Südvorstadt. Unter dem Eindruck dieser Theorie fällt es Burkhard Jung, dem Oberbürgermeister von Leipzig, auch leicht, die Ausschreitungen vom 12. Dezember und
Bild: Eva K. / Wikimedia Commons / CC-BY-SA
Über die Extremismustheorie und ihre politischen Folgen
ser Haltung wird daraufhin eine Bewertung und Einordnung vorgenommen; wer den Staat ablehnt, gilt als Extremist, wer als Extremist gilt, dem wird Gewalttätigkeit unterstellt, völlig unerheblich, in welcher Dimension diese Gewalt ausfällt. Die Folgen: Das angezündete Geflüchtetenheim gilt erst einmal als nicht schlimmer als ei-
den Raubzug von Nazi-Hooligans vom 11. Januar unter der Bezeichnung „offener Straßenterror“ zusammenzufassen. Und als wäre dieseGleichsetzung nicht schon eklatant genug, gehen Anhänger*innen der Extremismustheorie noch weiter, indem sie rechten Terror systematisch bagatellisieren, während sie nach
sogenannten „linksextremistischen“ Ausschreitungen regelmäßig Gummigeschosse gegen Demonstrierende fordern. An diesen Beispielen wird deutlich, welchen Hauptzweck die Extremismusdoktrin hat: Sie soll und will linke Politik diskreditieren, indem sie gleichsetzt, was den Auswirkungen und Motiven nach nicht gleichgesetzt werden kann. Während staatliche Akteure Blockaden, linke Demos und Aktionen permanent als direkten Angriff auf Verfassung und staatliche Ordnung interpretieren, benennen sie bei Angriffen auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte zu oft nicht, wer dahinter steckt: Nazis, Rassist*innen, Faschist*innen. Durch diese Verschiebung des Fokus nach links entsteht ein Klima, das wir seit längerem zu spüren bekommen. Während linke und demokratiefördernde Strukturen Repressionen ausgesetzt sind, gedeihen im Schatten der Dorfkneipen und der Frauenkirche faschistische und neonazistische Strukturen, die Sachsen 2015 zum „rechtesten“ Bundesland machten. Marius Neubert
Beauftragtenrat und Kreispat_innenkonzept Politisches Engagement ist nicht immer einfach – insbesondere dann, wenn es darauf abzielt, die Verhältnisse grundlegend zu verändern. Je nach Wohnort ist es für junge Menschen unterschiedlich schwierig, sich in politischen Gruppen zu organisieren und tätig zu werden. In den drei kreisfreien Städten beispielsweise ist es an sich kein besonders kompliziertes Unterfangen, etwa in einer linksjugend-Basisgruppe aktiv zu werden. Die Wege sind kurz und mit Aktionen können schnell viele Menschen erreicht werden. In den zehn sächsischen Flächenlandkreisen gestaltet sich dies zumeist schwieriger. Was tun, wenn man Menschen, die auch Bock auf Veränderungen haben, im eigenen Dorf mit der Lupe suchen muss, Aktionen aufgrund mangelnden Publikums Gefahr laufen, Reinfälle zu werden oder Anfeindungen seitens Neonazis an der Tagesordnung sind? Ja, als alternativer Jugendlicher auf dem Lande hat mensch es nicht leicht. Dabei ist doch gerade in strukturschwachen Regionen das Engagement am Wichtigsten! Um genau jene Menschen bei ihrem politischen Wirken zu unterstützen oder sie überhaupt erst zum Aktionismus zu ermutigen, gibt es in der linksjugend [‘solid] Sachsen seit einiger
Zeit das sogenannte Kreispat_ innenkonzept, das sich nun der im Oktober neu gewählte Beauftragtenrat in ganz dicken Lettern ganz dick auf die Fahnen geschrieben hat. Das Konzept beinhaltet, dass jedem Flächenlandkreis mindestens eine Person aus dem Beauftragtenrat zur Seite gestellt wird, die als konkrete_r Ansprechpartner_in bei allen möglichen Fragen fungiert, bei möglichst vielen Plena anwesend ist und vor allem bei Problemen vermitteln kann. Außerdem können so die einzelnen Gruppen viel besser miteinander vernetzt werden, was den Boden für gemeinsame Aktionen bereitet. So hat sich beispielsweise in den ersten Wochen des noch immer jungen Jahres 2016 der linksjugend-Kreisverband Meißen quasi-neugegründet. „Uns eint, dass wir die Verhältnisse auf dieser Welt nicht einfach so akzeptieren wollen, wie sie sind. Dass uns Ungerechtigkeiten jeglicher Art wahnsinnig ankotzen. Dass uns der Hass auf andersaussende, -gläubige, -liebende oder -denkende Menschen wahnsinnig wütend macht. Sei es in Hinsicht auf globale Probleme, in unserem Land oder direkt vor Ort. Wir wollen ein Sammelbecken für alternative, junge Menschen schaffen, in dem sich alle wohlfühlen und aus welchem her-
aus wir gemeinsame Projekte starten können. Wir finden, dass genau so etwas im Kreis Meißen fehlt. Deshalb gehen wir das Ganze an“. So schreiben sie in ihrer ersten gemeinsamen Mitteilung. Wir hoffen, dass sich in vielen Regionen ähnliche Entwicklungen zeigen
und es bald noch einige aktive linksjugend-Basisgruppen mehr gibt, die wir als BR unterstützen können. Das dürfte auch ältere Genoss_innen erfreuen, auch im Hinblick auf die demographische Situation der Partei. Es gibt kein ruhiges Hinterland! Daniel Peisker
fight patriotism even in sports Kennt Ihr das? Es findet wieder einmal ein großes Sportereignis statt und eine Auswahl eines deutschen Dachsportverbandes geht ins Rennen. Und tatataaaa, da haben wir’s, alle sitzen vor dem Fernseher oder feiern gemeinsam beim Public Viewing, unabhängig davon, ob sie sich für den Sport überhaupt interessieren. Hauptsache ist nämlich, das ist eine deutsche Auswahl! Schwarz-rotgoldene Schminke im Gesicht, schwarz-rot-goldene Shirts, schwarz-rot-goldene Autospiegel, überall ein schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer. Überall Patriotismus! Dich kotzt das sicher genauso an wie uns. Deshalb planen wir in diesen Sommer im Umfeld der Fußball-Europameister-
schaft eine große Kampagne. Unser Ziel ist es, die Menschen darauf aufmerksam zu machen, was sie da gerade plappern. Wir halten dagegen, mit coolem Aufklärungsmaterial, das unter die Menschen zu bringen gilt, vielleicht auch mit einer Vortragsreihe, mal schauen. Helft mit! Vielleicht feiern die da draußen dann weiter und freuen sich über den großartigen Fußball, aber diesmal ohne eine Flagge in der Hand. Und noch ein kleiner Hinweis: Dieses Jahr steht nicht nur die EM im Fußball an, sondern auch die Schulgesetznovellierung in Sachsen. Auch da wollen wir uns einmischen. Dazu mehr in der nächsten Ausgabe! Mona Sabha
Termine 9.3., 18 Uhr, StadtHalten, Chemnitz Diskussion „Gemeinschaftlich Wohnen, solidarisch Leben!“ www.gleft.de/1bY 9.3., 19 Uhr, Interim, Leipzig Vortrag: „Nein heißt nein“ – nein? Zur Debatte um das Sexualstrafrecht. www.gleft.de/1bZ 10.3., 20:30 Uhr, Lesecafe „ODRADEK“, Leipzig Vortrag: Antisemitismus und Fußball. Am Anfang war die Fußlümmelei und dann kam Rasenballsport. Im Anschluss gibt es Musik von und mit Chucky Goldstein. www.gleft.de/1c0 11.3., 17 Uhr, Sächsischer Landtag, Dresden Sexismus: Nährboden für Häusliche Gewalt. www.gleft.de/1c1 12.3., 14 Uhr, Otto-RunkiPlatz, Leipzig Demo: Feministischer Kampftag! Kämpfe verbinden, Patriarchat überwinden! www.gleft. de/1c2 15.3., 18 Uhr, Wir-AG, Dresden Vortrag „Kapitalismus. Kleine Erkundung eines Gesellschaftssystems“ mit Nico Brünler, MdL. www.gleft.de/1c3 17.3., 19 Uhr, DAStietz, Chemnitz Vortrag: Wie gesellschaftsfähig ist die rassistische Ideologie der AfD? www.gleft.de/1c4 17.3., 18 Uhr, Interim, Leipzig Lesung: Der Rote. Macht und Ohnmacht des Regierens. Mit Landolf Scherzer. www.gleft. de/1c5 17.3., 20 Uhr, Interim, Leipzig Lesung und Diskussion: Lexikon der Bewegungssprache. www. gleft.de/1c6 18.3., 20 Uhr, Interim, Leipzig Lesung: Die Best Of Leserbrief Show mit Tom Strohschneider. www.gleft.de/1c7 18.3., 18 Uhr, Linxxnet, Leipzig Lesung und Diskussion: Selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldiagnostik, Abtreibung. Mit Kirsten Achtelik. www.gleft. de/1c8 18.3., 19 Uhr, Conne Island, Leipzig Dabei geblieben – Aktivist_innen erzählen vom Älterwerden und Weiterkämpfen. www.gleft. de/1c9 18.3., 18 Uhr, Interim, Leipzig Diskussion: Kaputtalismus mit Robert Misik. www.gleft. de/1ca
Seite 7
DIE LINKE im Europäischen Parlament
03/2016 Sachsens Linke!
Strafrechtsverschärfungen im Kampf gegen Terrorismus gehen weiter! jede dieser Handlungen bereits unter Strafe. Wenn sich sicher nachweisen lässt, dass
aber die Verbindung zwischen einer Reise und einem Anschlag nicht eindeutig nach-
lichen oder vermuteten Anschlag soll doch nicht so stark sein müssen – dann wird hier
jemand in ein anderes Land gereist ist, um dort einen Anschlag zu verüben, kann der oder die Betreffende schon wegen des (versuchten oder durchgeführten) Anschlages verurteilt werden. Wenn sich
weisen lässt, dann hilft der neue Straftatbestand auch nicht viel – eben weil ja nicht bewiesen werden kann, was der Zweck der Reise war. Oder aber die Verbindung zwischen der Reise und einem tatsäch-
ein Straftatbestand geschaffen, mit dem willkürlich die Reisefreiheit eingeschränkt werden kann. Pikant ist auch, dass die Kommission beim vorliegenden Richtlinienvorschlag darauf
Bild: TheMachineStops (Robert J. Fisch) / flickr.com // upstateNYer / Wikimedia Commons / CC BY-SA 2.0
Im Europaparlament hat die Arbeit an einer neuen Richtlinie zur Terrorbekämpfung begonnen, die die EU-Staaten verpflichten wird, bestimmte Handlungen unter Strafe zu stellen. Solch eine Richtlinie besteht bereits – sie war 2002 in der Folge von 9/11 als Rahmenrichtlinie des Rates beschlossen worden, ohne Mitsprache des Europaparlaments. Die heute geltenden Regeln machen aber die Mitentscheidung des Europaparlaments zwingend notwendig, daher ist eine Überarbeitung der Richtlinie geboten. Allerdings versucht die EUKommission mit Unterstützung von den Ministern im Rat und nicht geringen Teilen des Europaparlamentes die Gelegenheit zu nutzen, um neue Straftatbestände zu schaffen, bestehende durch vage Formulierungen auszuweiten und insgesamt den ohnehin schon schwachen Grundrechtsschutz weiter auszudünnen. Als neuer Straftatbestand soll das Reisen in das Ausland eingeführt werden, wenn es mit der Absicht geschieht, einen terroristischen Akt durchzuführen, zu unterstützen, an den Aktivitäten einer terroristischen Organisation oder an einem Training teilzunehmen. Dabei stellt sich die Frage, welchen Nutzen das haben soll. Schließlich steht
verzichtet hat, das sonst übliche Impact Assessment durchzuführen, also lieber nicht geprüft hat, wie sich die neuen Regeln auswirken würden. Begründet wird dies mit den Anschlägen von Paris und damit, dass jetzt dringend gehandelt werden müsse. Auf eine ordentliche Analyse der Anschläge und des Handelns der französischen Polizei und ihrer europäischen Kollegen anders oder besser hätten machen müssen, wird ebenso verzichtet. Stattdessen soll einfach weiter gemacht werden mit der Rezeptur, die seit September 2011 als Allheilmittel gegen Terrorismus gehandelt wird. Mit der kommenden Europolreform und der geplanten Einführung der Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten wird die Überwachung weiter ausgebaut. Mit der nun anstehenden Terrorismus-Richtlinie werden neue Straftaten geschaffen und Definitionen verwässert. So wird sich Terrorismus auch in Zukunft nicht besser bekämpfen lassen. Dr. Cornelia Ernst
Refugees Welcome! Auftakttreffen der LAG Migration & Asyl 18. Februar, Haus der Begegnung in Dresden: Auf Initiative von Juliane Nagel und Cornelia Ernst war zum 1. Auftakttreffen der Landesarbeitsgemeinschaft Migration und Asyl eingeladen worden. Ziel
war es, sich angesichts der aktuellen Herausforderungen zu asyl- und migrationspolitischen Fragen zu verständigen und die Landesarbeitsgemeinschaft neu zu beleben. In der fast dreistündigen Bera-
tung ging es zum einen um die Verständigung darüber, welche inhaltlichen Schwerpunkte wir uns im gemeinsamen Streiten für eine humane und solidarische Asylpolitik geben wollen. Gleichfalls haben wir
darüber beraten, in welcher Weise wir als Landesarbeitsgemeinschaft zukünftig an all diesen Fragen arbeiten wollen. Unter den Gästen waren Vertreter*innen aus den Parlamenten, Mitstreiter*innen aus Kommunalpolitik sowie aus Willkommensinitiativen und interessierte Genoss*innen. Aspekte, die zur Debatte standen, waren Fragen nach der Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten, Konzepten zur Teilhabe und Integration, Best-Practice-Beispiele sowie erste Gedanken zur Erarbeitung konkreter Maßnahmen, mit denen kommunale Entscheidungsträger*innen und die vielen ehrenamtlichen Helfer*innen unterstützt werden können. Dabei war klar, dass wir uns für eine solidarische Gesellschaft für alle stark machen und Zuwanderung als Chance begreifen. Wir freuen uns in jedem Fall über das große Interesse und die konstruktive Runde.
Beim nächsten Treffen am 15. April wollen wir einen weiteren Schritt gehen und über konkrete Projekte und Aufgabengebiete beraten wie auch eine erste Priorisierungen hinsichtlich inhaltlicher Fragestellungen treffen. Interessierte Genoss*innen sind herzlich eingeladen, am Treffen teilzunehmen. Sollte darüber hinaus Interesse an Materialien oder Informationen zum Thema bestehen, könnt ihr uns jederzeit gern ansprechen. Anja Eichhorn, Europabüro Dr. Cornelia Ernst, MdEP. Wann geht’s weiter? Treffen Landesarbeitsgemeinschaft Migration und Asyl am 15. April um 17.30 Uhr, Haus der Begegnung (Großenhainer Str. 93, 01126 Dresden). Ansprecherpartner*innen: Juliane Nagel, Anja Eichhorn und Tilo Hellmann. Mail: europa@ cornelia-ernst.de
Sachsens Linke! 03/2016
DIE LINKE im Bundestag
Kommunen endlich entlasten! Bereits heute sind viele Kommunen kaum noch in der Lage, die Daseinsfürsorge im Normalbetrieb aufrecht zu erhalten. Durch die Geflüchteten zeigt sich das noch deutlicher. Die Kommunen dürfen nicht im Regen stehen gelassen werden – weder mit den schon länger vorhandenen Strukturschwächen noch mit zusätzlichem Bedarf für Flüchtlinge. Bund und Länder handhaben die finanzielle Unterstützung der Kommunen bei den Kosten der Fluchtbewegung sehr unterschiedlich. Gerade strukturschwache Bundesländer haben selbst nicht viel, um ihre Kommunen zu unterstützen. Ärmere Kommunen in strukturschwachen Bundesländern werden unter den heutigen Bedingungen die kommunale Daseinsvorsorge nicht in gewohntem Umfang aufrechterhalten können. Weil die genauen Gesamtkosten der Fluchtbewegung noch nicht absehbar sind, ist aus Sicht der LINKEN der Bund in der Pflicht, die Länder und Kommunen nicht dem Risiko auszusetzen, zu großen Teilen auf den Kosten sitzen zu bleiben. Die Flüchtlingsfrage ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Seriöse Schätzungen gehen für 2016 von Ausgaben von mindestens 25 Mrd. Euro für Flüchtlinge aus. Um ärmere Bevölkerungsschichten nicht in die Arme der Rechtspopulisten und Rechtsradikalen zu treiben, muss die Politik unmissverständlich klar machen, dass dieses Geld nicht bei den Menschen eingespart wird, die schon viel länger finanziell und sozial an den Rand unserer Gesellschaft gedrängt wurden. Die seit vielen Jahren ausgedünnten sozialen Dienste und öffentlichen Infrastrukturen müssen gerade jetzt für alle Menschen verbessert und wieder in angemessener Form bereitgestellt werden.
DIE LINKE fordert umgehend ein Sofortprogramm in Höhe von 25 Mrd. Euro, um die Handlungsfähigkeit des Staates in seinen originären Aufgabenbereichen wieder herzustellen, und einen generellen Ausbau sozialer Dienstleistungen und öffentlicher Infrastruktur für alle. Dazu gehören die massive Aufstockung der Soforthilfe an die Kommunen und Länder zur Erstattung sämtlicher Kosten für die Erstversorgung der Flüchtlinge, ein Bundessonderprogramm sozialer Wohnungsbau mit 500.000 Wohnungen in Mischnutzung für Menschen mit geringen Einkommen und Flüchtlinge und der Ausbau arbeitsmarktpolitischer Qualifizierungs- und Integrationsprogramme. Mindestens 300.000 Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge sollen in einem vernünftig organisierten und finanzierten öffentlich geförderten Beschäftigungssektor geschaffen werden. Die Gesundheitsversorgung muss verbessert werden, der Bundeszuschuss für Bildung (Schulen, Kitas, aber auch Volkshochschulen und – insbesondere für Mädchen und junge Frauen – Bibliotheken) erhöht und soziale Beratungsstellen ausgebaut werden. Für
die Bekämpfung von Fluchtursachen ist u.a. mehr Geld für das UN-Flüchtlingshilfswerk und für das Welternährungsprogramm nötig. Utopisch ist ein solches Programm nicht, denn Deutschland hat kein Ausgaben-, sondern ein Einnahmenproblem. Natürlich wären die finanziellen Mittel für eine humane Flüchtlingspolitik vorhanden. Das beherzte Eingreifen des Staates in der Bankenkrise hat vorgemacht, was geht. Der Haushaltsüberschuss von 2015 beläuft sich dank der guten Konjunktur auf 12,1 Mrd. Euro. Umverteilung und gerechte Besteuerung würden die ohnehin sprudelnden Staatseinnahmen noch erheblich erhöhen. Kredite kann der Bund derzeit zu niedrigen Zinsen aufnehmen. Selbst unter den Bedingungen der Schuldenbremse, die wir ablehnen, könnten Kredite bis zu 13 Mrd. aufgenommen werden. Doch mit der Ideologie der „Schwarzen Null“ sind die Herausforderungen im Europa des 21. Jahrhunderts nicht zu bewältigen. Die Rückzahlung soll durch entsprechende Besteuerung hoher Unternehmensgewinne, Vermögen und Einkommen geschehen. Axel Troost
Seite 8
Fisch stinkt vom Kopf her Nikolas Tosse sprach mit dem Bundestagsabgeordneten Michael Leutert. Clausnitz, Bautzen: Dir reicht Empörung nicht. Wieso? Empörung kommt immer nur, wenn besonders Widerwärtiges geschieht. Dann regen sich alle über die Rassisten auf. Klar, Sachsen hat mit Pegida eine besondere Qualität. Man muss öffentlich über Gründe sprechen. Die da wären? Ich mache seit meiner Jugend linke Politik in Sachsen: In Mittweida, wo ich aufgewachsen bin, in unserem Jugendverband, in unserer Partei. Der Kampf gegen Rechts war zentral Punkt, denn Nazis gab es von Anfang an und sie haben uns von Anfang an attackiert. Mit der Unterstützung der CDU brauchten wir nie rechnen. In Mittweida hat der CDU-Bürgermeister unsere Arbeit behindert und uns im Kampf gegen gewalttätige Nazis allein gelassen. Das ist sinnbildlich für die Landespolitik: Der Fisch stinkt vom Kopf her. Skinheads Sächsische Schweiz, Sturm 34 und so weiter – das fing in den Neunzigern an. Wenn die Landesregierung gewollt hätte, hätte sie handeln können. Es gab bestenfalls plakative Verbote.
Engherzig, kleingeistig, mitleidlos, abschreckend
So wurde kürzlich die Asylpolitik der Koalition im Deutschlandfunk bezeichnet. Und sie wurde völlig korrekt so bezeichnet. Nun wurde das Asylpaket II verabschiedet. Unter anderem wird der Familiennachzug für zwei Jahre ausgesetzt. Für zwei Jahre wird verhindert, dass Familien legal zusammenkommen können. Damit sorgt die Koalition dafür, dass sich zurückgebliebene Familienangehörige ebenfalls mit Hilfe von Schleusern auf die gefährlichen Wege nach Europa begeben und möglicherweise wie schon so viele zuvor im Mittelmeer ertrinken. Mit Mensch-
lichkeit oder Christlichkeit oder Humanität hat dies nichts mehr zu tun. Und wenn de Maiziere sich im Plenum hinstellt und versucht, sich als Kinder- und Familienfreund darzustellen, weil er verhindern will, dass Kinder von ihren Eltern auf die gefährliche Flucht geschickt werden, kann es einen nur gruseln. Er nimmt billigend in Kauf, dass mehr Mütter, Väter und Kinder vor der Küste Europas jämmerlich ersaufen. Aber er will ja abschrecken. Und Ehrlichkeit erwarte ich von ihm schon lange nicht mehr. Betroffen von dieser Regelung sind auch unbegleitete Min-
derjährige, die nach Art. 10 der UN-Kinderechtskonvention einen Anspruch auf Familienzusammenführung haben. Bei Minderjährigen aus Syrien kann eine solche ja wohl kaum in Syrien stattfinden und soll jetzt für zwei Jahre ausgesetzt werden. Das hat mit Anspruch auf Schutz und Sicherheit für Familien, wie ihn die CSU auf ihrer Homepage proklamiert, absolut nichts mehr zu tun. Der CSU sind ganz offensichtlich lediglich bayerische Familien wichtig, syrische Familien sind der CSU herzlich egal. Sowohl die Evangelische Kirche Deutschlands als auch das
Kommissariat der Deutschen Bischöfe haben sich gegen eine Aussetzung des Familiennachzugs ausgesprochen, ebenso Pro Asyl und der UNHCR (hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlingsfragen). Familien sind vom Artikel 6 des GG besonders geschützt. Da steht nichts von deutschen Familien, dabei handelt es sich um Menschenrechte, die allen Menschen zustehen. Ebenso kann der Staat nur bei ganz besonderen Umständen das Recht auf Familienleben einschränken. So steht es jedenfalls in Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Was nicht völlig neu ist. Es wird aber über unsere eigenen Reihen hinaus kaum wahrgenommen. Für die CDU in Sachsen stand der Feind immer links, das hat sie eins zu eins in Politik umgesetzt. Die Verfolgung antifaschistischen Protests nach den „Dresden nazifrei“-Demos ist nur das bekannteste Beispiel. Ich hatte selbst das Vergnügen, auf Anzeige der NPD hin! Die sächsische CDU hat seit den frühen neunziger Jahren den Boden bereitet, auf dem ein gewalttätiger Rassismus gedeihen konnte. Der wütende Mob in Clausnitz fühlt sich nicht nur im Recht, er fühlt sich sicher. Daran trägt die CDU eine wesentliche Schuld. Was kann man gegen diese „sächsischen Zustände“ tun? Zum einen müssen wir weiter dagegen halten, wir es immer getan haben und wie es viele Genossinnen und Genossen täglich machen. Doch öffentlich ein kritisches Klima zu erzeugen, ist in einem Bundesland, wo selbst nach Clausnitz die „Freie Presse“ noch von „Asylgegnern“ schrieb, als hätte es da eine Podiumsdiskussion gegeben, schwer. Für mich steht die Stärkung der Zivilgesellschaft im Mittelpunkt: mehr Geld für Jugendarbeit, mehr Geld für Projekte gegen Rechts. Im Haushaltsausschuss des Bundestages bin ich auch für den Etat des Familienministeriums und damit für das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ zuständig. Daraus fließen Mittel gegen Rechts auch an Initiativen und Vereine in Sachsen. Im Grunde mache ich Ähnliches wie damals in Mittweida, als wir den ersten linken Jugendklub aufgebaut haben. Nur in einer anderen Funktion, mit mehr Möglichkeiten. So setze ich mich seit Jahren für eine Aufstockung der Mittel gegen Rechts und eine dauerhafte Förderung ein. Je stärker die Zivilgesellschaft, desto besser – nicht nur für Sachsen. , Aleviten und an-
Das sind völkerrechtliche Verträge und Grundrechte, welche die Koalition ganz offensichtlich mit Füßen tritt, nur um schneller abschieben zu können und abzuschrecken, um dem Ruf des Mobs auf der Straße gerecht werden zu wollen, ohne dies zu können. Denn Menschenrechte kann man nicht einfach wegstimmen. Jörn Wunderlich
Kommunal-Info 2-2016 2. März 2016 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de
KFS
Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V.
Öffentliche Unternehmen Buchvorstellung Stadt- Wasserwerke in Deutschland und Frankreich Seite 3
Mobilität Weiterbildungsveranstaltung zu ÖPNV im ländlichen Raum am 16. April in Riesa Seite 4
Kulturraumgesetz begutachtet Im Jahr 2008 wurde das Sächsische Kulturraumgesetz (SächsKRG) entfristet, mit dem Auftrag, in einem siebenjährigen Turnus eine Evaluierung durchzuführen. Der erste Evaluierungsbericht wurde am 3. November 2015 vom Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst vorgelegt, zu dem nun am 26. Januar 2016 eine öffentliche Anhörung im Ausschuss für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien des Sächsischen Landtags stattfand. In dieser Anhörung gaben 14 Sachverständige ihre Stellungnahmen ab.
Erfolgsmodell
Sehr einmütig waren sich alle Sachverständigen darin einig, dass das SächsKRG sich grundsätzlich als Gesetz über die lange Zeit seines Bestehens sehr bewährt hat. Es war vom Grundsatz her strukturell recht gut erdacht und in der Anwendung flexibel genug. Insbesondere erhielten die Kultureinrichtungen damit Planungssicherheit. Trotz aller notwenigen Kritik an der Umsetzung des Gesetzes sei es doch etwas Einmaliges in Deutschland. Das Kulturraumgesetz sei „eine fantastische Unterstützung für die Kultur in Sachsen, aber diese muss erhöht werden, um langfristig die Qualität zu sichern sowie neue Ideen und Projekte zu ermöglichen.“ Zu begrüßen ist die Grundidee des Gesetzes, „das Problem der Umlandfinanzierung von Kultureinrichtungen, namentlich von Theatern und Orchestern, das in anderen Bundesländern immer noch offen ist, durch gesetzliche Einbindung aller Kommunen“ zu lösen. Hervorzuheben ist auch, dass die Kulturförderung von einer freiwilligen zu einer Pflichtaufgabe aufgewertet wurde und transparente, wenn auch komplexe Förder-
strukturen etabliert wurden. Das SächsKRG als „Erfolgsmodell“ müsse sich auch veränderten Bedingungen anpassen. Deshalb gelte es, diese veränderten Bedingungen auch hinreichend zu bestimmen, um das Gesetz auch für die Zukunft als Erfolgsmodell zu erhalten. Gerald Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) warf die Frage in den Raum, warum das SächsKRG in anderen Bundesländern bisher keine Nachahmung gefunden hat und meinte dann pointiert, dass es wohl „auch noch kein ideales Modell ist“ und verwies darauf, dass allein bei den sächsischen Orchestern von 1991 bis heute von ehemals 1.760 Musikerstellen insgesamt 542 abgebaut worden sind. Rund ein Drittel aller Musikerstellen im Freistaat Sachsen sind so verloren gegangen. Auch Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, der Sachsen zu diesem Gesetz gratulierte und dessen „Modellcharakter in Deutschland“ hervorhob, meinte, es sei aber kein Allheilmittel. Auch sächsische Einrichtungen würden – wenn auch seltener als in anderen Bundesländern – auf der „Roten Liste“ bedrohter Kultureinrichtungen des Deutschen Kulturrates auftauchen. Das Kulturraumgesetz bewahre eben nicht automatisch vor dem Problem der Kulturfinanzierung. Das SächsKRG ist ein Alleinstellungsmerkmal Sachsens, deshalb müsse es besonders pfleglich behandelt werden und die Kritik, die dazu geäußert werde, sollte konstruktiv aufgenommen werden.
Finanzierung und Tarife
Ein Hauptkritikpunkt fast aller Sachverständiger am SächsKRG bzw. an dessen Umsetzung war die unzureichende Finanzierung, die in der allge-
meinen Forderung gipfelte: es müsse mehr Geld in dieses System fließen. Ein immer wiederkehrendes, langjähriges Problem sei der Ausgleich von Tarifsteigerungen und die letztendlich daraus resultierenden zahlreichen Haushaltstarifverträge an Theatern, Orchestern und anderen Kultureinrichtungen. Das Besondere in der Kultur und speziell bei Orchestern und Theatern im Unterschied zu anderen Bereichen der Gesellschaft ist der naturgemäß hohe Personalkostenanteil von 80%. Und Tarifsteigerungen können von den Einrichtungen nicht selbst erwirtschaftet werden. Das einzig verfügbare Instrument dafür wäre, die Ticketpreise kräftig anzuheben, was zur Folge hätte, dass für große Teile der Bevölkerung Theater- und Orchesterbesuche nicht mehr erschwinglich wären. Auch seien die Möglichkeiten von Strukturveränderungen in der sächsischen Theater- und Orchesterlandschaft im Wesentlichen ausgeschöpft. Eine Weiterführung würde nunmehr an die Bestandsgrenzen führen und unvermeidlich Sparten- oder Standortschließungen nach sich ziehen. „Theater und Orchester haben ihre Hausaufgaben im Grunde genommen erfüllt; denn die Realität bei fast allen Theatern und Orchestern in Sachsen sind bereits vollzogene Fusionen, harte Haustarifverträge, Stellenabbau, vorübergehende Stellennichtbesetzung, Outsourcen von Theaterbereichen – nicht nur Pförtner oder Reinigung – und Mindestgagen in Höhe von 1.750 Euro brutto für studierte Sänger und Schauspieler. Das sind, wenn man es auf einen Stundenlohn umrechnet, nur knapp über 8,50 Euro“, so Dr. Ickrath, Geschäftsführer am Mittelsächsischen Theater. „Es sind die Beschäftigten von
elf Theater- und Orchesterbetrieben, die mit ihrem regelmäßigen Lohnverzicht durch Haustarifverträge teilweise seit Jahrzehnten einen erheblichen Beitrag zum Erhalt der sächsischen Kulturlandschaft leisten“, wollte es Mertens, Geschäftsführer der DOV prononciert benennen. Torsten Tannenberg, Geschäftsführer des Sächsischen Musikrates (SMR) erklärte, 12 Millionen EUR müssten es jährlich zusätzlich sein, allein, „um die Menschen in den Theatern und Orchestern außerhalb von Dresden und Leipzig gerecht zu bezahlen, die teilweise seit 1997 keine Gehaltserhöhung mehr bekommen haben, beschlossen von Landkreisen, Stadtparlamenten und Kulturräumen, deren Mitarbeiter selbstverständlich nach Tarif bezahlt werden. Fakt ist: Die Tänzerin auf der Bühne des durch das Kulturraumgesetz geförderten Theaters Görlitz/ Zittau verdient weniger als die Mitarbeiterin am Einlass, die nach Mindestlohngesetz bezahlt wird. Das müssen wir ändern!“ Dafür gäbe es folgende Alternativen: Erstens mehr Geld ins System, das liege letztendlich nur am politischen Willen. Zweitens Häuser schließen, das wäre kontraproduktiv, da Sachsen nach wie vor politisch auf die Entwicklung des Landes in der Fläche setzt, oder drittens das Gesetz befolgen und wirklich nur regional bedeutsame Kultur fördern und damit Platz für Entwicklungen schaffen. Von mehreren Sachverständigen kam die Aufforderung, das System der Haustarifverträge endlich zu beenden, denn Haustarifverträge sollen Ausnahmen, aber nicht die Regel sein. Deshalb sei in den nächsten Jahren eine Dynamisierung der KulturraumFortsetzung auf folgender Seite
Kommunal-Info 2/2016
Seite 2
finanzierung durch das Land erforderlich, gegebenenfalls mit einem Begleitgremium zur stetigen Neuverhandlung. Dazu könnten z.B. der Lebenshaltungskostenindex, die Inflationsrate sowie auch Tarifsteigerungen herangezogen werden. Das im Evaluationsbericht angesprochene Thema der Bildung finanzieller Rücklagen in den Kulturräumen wurde allgemein aufgrund der insgesamt desolaten Kassenlage für wenig realistisch angesehen. Selbst Staatsminister a.D. Hans-Joachim Meyer war hier skeptisch. Er hielt es für eher hilfreich, „wenn die Staatsregierung außerhalb dieses Gesetzes ihre politische Bereitschaft erklären würde, ihre finanzielle Beteiligung an größeren und dringend notwendigen Maßnahmen zum Erhalt und zur Funktionstüchtigkeit kommunaler Kulturbauten wohlwollend zu prüfen.“
Es sei nicht das Ziel, so die allgemeine Meinung, die Landesbühnen zu schließen. Vielmehr sei eine Systemwandlung ohne Beschädigung der Bühne zu empfehlen. Ein Umbau, der bisher den Beschäftigten abverlangt wurde, dürfe nun aber nicht zu deren Lasten gehen. Das Problem liege in der Mehrfachfunktion des Hauses. Es ist sowohl Stadttheater in Radebeul, Kulturraumtheater im Kulturraum Sächsische Schweiz–Osterzgebirge als auch mit einem erweiterten Reiseauftrag für ganz Sachsen versehen. Diese Bestandteile dürften nicht fortwährend gegeneinander ausgespielt werden. Es sollte weiter darüber nachgedacht und auch bestimmt werden, wohin die Landesbühnen sich entwickeln sollen, welche Aufgaben sie wahrnehmen sollen, um dann gemeinsam mit allen Beteiligten zu einer Lösung zu gelangen.
Regionale Bedeutsamkeit
Weitgehende Übereinstimmung gab es darüber, dass das Verteilungsverhältnis der Finanzierung zwischen den ländlichen und den urbanen (die Kreisfreien Städte) Kulturräumen bei 49 zu 51 % zunächst beibehalten werden sollte. Nach Leipzigs OB Jung, der für den Sächsischen Städte- und Gemeindetag sprach, diene das „sehr dem Frieden innerhalb Sachsens zwischen kleinen und größeren Gemeinden sowie zwischen urbanen Zentren und länd-
Mehrere Sachverständige beklagten, dass finanzielle Mittel aus den Kulturräumen nicht nur für regional bedeutsame Kultur eingesetzt werden, wie es das Gesetz eigentlich vorsieht. Der Begriff der regionalen Bedeutsamkeit lasse zwar viel Interpretationsspielraum zu, er dürfe aber nicht in Beliebigkeit ausarten und dort, wo einzelne Kommunen überfordert sind, ihre lokale Kultur zu finanzieren, sie deshalb automatisch an den Tropf des Kulturraums zu hängen. Tannenberg vom SMR konstatierte eine „Überforderung des Gesetzes“, wenn sich die Kommunen aus diesem Fördertopf bedienen. Es sei nicht im Sinne des Gesetzes, wenn jedes Heimatmuseum, die musikalische Gestaltung von Gottesdiensten, Rathauskonzerte usw. aus dem Kulturraumgesetz gefördert werden. Das ursprünglich zum Erhalt einer Theater- und Orchesterstruktur gedachte Gesetz sei zum Erhaltungsgesetz für viele ursprünglich kommunale Kulturinstitutionen und -projekte mutiert. Die Subsidiarität der Kulturfinanzierung in Sachsen – Kommune, Kulturraum, Land – funktioniere an dieser Stelle nicht. Die Kommunen müssten bei der Finanzierung ihrer Kultur mehr in die Pflicht genommen werden, um dafür Platz zu schaffen, die wirklich regional bedeutsamen Einrichtungen und Projekte auskömmlich über das Gesetz zu finanzieren. Mit diesen Entscheidungen seien die Kulturräume zum Teil überfordert. Hier seien die Staatsregierung und das dafür zuständig Fachministerium gefragt, Prozesse aktiv zu moderieren und anzuschieben.
Landesbühnen
Alle Sachverständigen bis auf Yvonne Sommerfeld vom Sächsischen Landkreistag (SLT) schlossen sich der Beurteilung des Evaluationsbericht an, dass die Mitfinanzierung der Sächsischen Landesbühnen Radebeul aus dem SächsKRG einen Systembruch darstelle und einer Korrektur bedürfe. Im SLT gibt es dazu keine einheitliche Meinung, da die Interessenlagen sehr unterschiedlich sind. Aber es bestehe Einigkeit darüber, dass hierbei eine Systemwidrigkeit, ein Systembruch vorliege. Nun müsse weiter diskutiert werden, wie dieser Systembruch wieder bereinigt werden kann.
Urbane und ländliche Kulturräume
Städtischen Musikschule Chemnitz, meinte aber: „Kulturraummittel spielen eine existenzielle Rolle für Musikschulen in den ländlichen Kulturräumen. Es gibt schlichtweg kein besseres Beispiel, wie die Wirkung des Kulturraumgesetzes als die Präsenz von Musikschulzweigstellen in Mittweida, Thum, Schwarzenberg, Delitzsch, Döbeln, Herrnhut usw. usf. Wenn wir diese Städte für Ärzte, Grundschullehrer und Unternehmer weiterhin attraktiv halten wollen, müssen wir diese Zweigstellen wie auch das Konzertangebot in diesen Städten aufrechterhalten und ausbauen.“ Christian Schramm als Präsident des Sächsischen Kultursenats sprach sich dafür aus, die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen ländlichen und urbanen Kulturräumen bewusster als bisher zu pflegen. In den unterschiedlichen Kulturräumen gebe es spezifische Entwicklungen und differenzierte Aufgaben, deshalb sei es wichtig, keine lineare Demografieabhängigkeit zu generieren, also nicht die Kurzformel „Weniger Menschen, weniger Geld“ zu praktizieren, sondern darauf zu achten, dass die spezifischen Situationen in den urbanen und ländlichen Kulturräumen berücksichtigt werden.
Projekt oder Institution
Ein immerwährender Streitpunkt bei knappen Kassen ist das Verhältnis zwi-
nicht so stehen lassen. Auch hier dürfe es kein gegenseitiges Ausspielen geben. Es gehe auch in die Irre, wenn nur Projekte mit den Attributen „neu“ und „innovativ“ versehen werden und so getan werde, als seien die Institutionen konservativ. Auch in den Institutionen werde ständig Neues entwickelt, aber sie sind „Großstrukturen der Kunst, die einen Personalvorhalt benötigen, lange Planungsvorläufe haben und tarifliche Bindungen bringen“ und dürften daher „nicht von kurzfristig oder jährlich wechselnden Entscheidungen abhängig gemacht werden“. Deshalb müsse auch künftig der hauptsächliche Anteil der Finanzierung an die Institutionen fließen. Immerhin gehe es z.B. bei den Theatern mit ihren Zulieferbetrieben um einige Tausend Arbeitsplätze. Der Projektförderung, wie im Evaluationsbericht verlangt, mehr Augenmerk zu schenken, um damit Kreativenentwicklungen, neue Kunstformen oder experimentelle Kulturprojekte zu ermöglichen, gehöre schon zum Alltag in den Kulturräumen, so die Feststellung von Thomas Pilz, Vorsitzender des Kulturbeirates des Kulturraumes Oberlausitz-Niederschlesien. Es sei aber ein Denkfehler anzunehmen, dass Kreatives nur über die Projektförderung entstehe: „Wenn es darum geht, gesellschaftliche Entwicklung kulturell zu reflektieren und dabei neue Themen zu setzen, neue Formen der Vermittlung und Auseinandersetzung auszuprobieren, dann ist dies mitnichten nur auf die Förderart für Projekte zu reduzieren.“ Beide Förderarten seien notwendig: Institutionen mit gesicherter Finanzierung müssen inhaltlich wie strukturell für neue kulturelle Ideen offen sein. Projektträger sollten ihrerseits neben der Kulturraumförderung immer auch die regional bedeutsamen Institutionen als Anlaufstelle und Kooperationspartner für ihre Ideen betrachten können.
Demokratie im Konvent
lichen Räumen“. Auch aus Sicht des SLT sollte dieses Verteilungsverhältnis „beibehalten werden, um auch in Zukunft Kultur in den ländlichen Räumen in guter Qualität erhalten zu können“. Die Stärkung der urbanen Kulturräume in ihrer Funktion als Oberzentren auf kulturellem Gebiet habe nach Ansicht Leipzigs Kulturbürgermeister Faber „nicht zu einem Bedeutungsverlust der Kultur im ländlichen Raum geführt“. Eine Neiddebatte wäre an dieser Stelle jedoch unnütz und falsch, so Dr. Dittrich, der Geschäftsführer der Chemnitzer Theater. Wenn aber Tendenzen der Bevölkerungsverschiebung zu den Kreisfreien Städten weiter anhielten, „wäre sicher künftig über eine Stärkung urbaner Zentren nachzudenken, die aber mit Sicherheit nicht zulasten der ländlichen Kulturräume gehen darf“. Nancy Gibson, die Leiterin der
schen institutioneller Förderung und Projektförderung. Und so wurden auch von den Sachverständigen unterschiedliche Akzente gesetzt. Auf der einen Seite wurde betont, dass z.B. Chemnitz enorm davon profitiere, dass nicht nur Institutionen gefördert werden, sondern Projekte und Initiativen in freier Trägerschaft und damit eine kontinuierliche Belebung der Chemnitzer Kulturszene gesichert werde, so Frau Gibson aus Chemnitz. Und OB Jung von Leipzig unterstützte, dass Projekte stärker beachtet werden müssen und nicht zu institutionell gefördert werde. „Dies sei notwendig, um neue, innovative Ansätze von Kulturprojekten fördern zu können und in der Vergabe nicht bei den Dingen zu verharren, die sich bewährt haben und im Raum stehen.“ Die Sachverständigen aus den geförderten Institutionen wollten das aber
Einige Sachverständige vertraten die Meinung, der Entscheidungsprozess in den Konventen der Kulturräume müsse auf breitere demokratische Grundlagen gestellt werden. Nach der letzten Kreisgebietsreform sind am Ende nur noch elf Entscheider in den ländlichen Kulturräumen und die Kulturausschüsse der drei urbanen Zentren verblieben, die über einen mehrere Hundert Millionen Euro Fortsetzung auf Seite 4
Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.
Kommunal-Info 2/2016
Seite 3
Beteiligung in öffentlichen Unternehmen Eine Besprechung zu: Carsten Herzberg, Legitimation durch Beteiligung. Stadtund Wasserwerke in Deutschland und Frankreich, Hamburg: VSA 2015 172 S. 12,80 EUR ; ISBN 9783899656701. Das vorliegende Buch aus dem Hamburger VSA-Verlag ist das Ergebnis eines mehrjährigen Forschungsprojektes, das unter dem Titel „Was ändern kommunale Unternehmen an der lokalen Demokratie? Eine Untersuchung über die Auswirkungen der Organisationsprivatisierung hinsichtlich einer öffentlichen Kontrolle der Daseinsvorsorge“ an der Universität Potsdam besorgt und von der Fritz Thyssen Stiftung gefördert wurde. Die Untersuchungen wurden exemplarisch im Wassersektor durchgeführt, die Ergebnisse können nach Meinung des Autors jedoch auch auf andere Bereiche wie den Energiesektor und ggf. auch auf das Wohnungswesen übertragen werden. Der Autor des Buches Dr. Carsten Herzberg ist derzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am nexus Institut für Kooperationsmanagement und interdisziplinäre Forschung in Berlin beschäftigt. Im Kapitel 1 „Ökonomisierung und Kontrollverlust“ geht der Autor der Frage nach, ob durch Organisationsprivatisierung öffentlicher Unternehmen ein Verlust an demokratischer Kontrolle einhergeht. In Deutschland sei es „zu einer regelrechten Welle der Organisationsprivatisierung gekommen.“ (S. 28) Am Beispiel der Wasserwirtschaft stellt sich das so dar: während 1986 noch 80% der Betriebe in öffentlicher Rechtsform (Eigenbetrieb, Zweckverband) bestanden, waren es 2005 nur noch 36% gegenüber 64% in privater Rechtsform (GmbH, AG). Warum es dazu kam, erklärt der Autor so, ohne dies damit auch gutheißen zu wollen: „Öffentliche Unternehmen mussten beweisen, dass sie konkurrenzfähig sind und den Privaten in Sachen Effizienz um nichts nachstehen. Hierzu galt die private Rechtsform als ein geeignetes Mittel, denn auf diese Weise konnte sie sich zumindest von den Organisationsstrukturen her den Privaten annähern. Auf der anderen Seite könnte aber auch argumentiert werden, dass die Organisationsprivatisierung eine Alternative zur materiellen Privatisierung ist. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass effiziente Unternehmen durchaus im Interesse von Bürgerinnen und Bürgern sind. Somit lassen sich für die Organisationsprivatisierung ganz unterschiedliche Gründe anführen: Reaktionsschnelligkeit und Effizienz: Die öffentlichen Unternehmen werden als flexibler angesehen als die öffentliche Verwaltung, der Bürokratismus nachgesagt wird. Kooperation mit privaten Partnern: Öffentliche Unternehmen können leichter mit Privatunternehmen kooperieren. Dies gilt sowohl für eine projektbezogene Zusammenarbeit als auch eine Beteiligung der Privaten am Besitz der Unternehmen. Kreditaufnahme und Investitionen: Gemeinden mit einer hohen Schuldenlast haben oft keine Möglichkeit mehr, Kredite für Investitionen aufzuneh-
men. Durch die Übertragung von Aufgaben auf rechtlich eigenständige Unternehmen kann dies umgangen und Handlungsfreiheit gewonnen werden. Auf diese Weise können auch verschuldete Kommunen noch Infrastrukturmaßnahmen durchführen. Kundenfreundlichkeit: Bürger/innen werden nicht mehr als ,Untertan’ einer Verwaltung angesehen, als ,Kunden’ soll auf ihre Bedürfnisse individuell eingegangen werden. Kundenzufriedenheit wird somit handlungsanleitend. Vorbild ist hier die Privatwirtschaft, die sich auf dem Markt mit ihren Produkten behaupten muss.“ (S. 29f) Einem erklärtem, aber nicht immer nachgewiesenem Effiziensgewinn bei organisationsprivatisierten Unternehmen stellt der Autor entgegen, dass sich eine „umfangreiche Kritik“ zu Wort gemeldet hat und den grundsätzlichen Demokratieverlust beklagt. Bei öffentlichen Unternehmen in privater Rechtsform komme es durch die Verselbständigung und „Autonomisierung“ allgemein zu einem Kontrollverlust durch den öffentlichen Träger (Kommune). Die stärkere Distanz zur Kommune als bei Unternehmen in öffentlicher Rechtsform mache sie für Missbrauch und Korruption anfällig, wenn keine ausreichende Kontrolle stattfindet. Mitunter diente Organisationsprivatisierung, insbesondere durch Ausgliederungen in Tochterunternehmen auch dazu, Lohntarife zu unterlaufen. Außerdem konnten Studien „einen Mentalitätswandel nachweisen, sobald das öffentliche Unternehmen in einer privaten Rechtsform organisiert ist.“ Der Unterschied zur Privatwirtschaft verschwinde, wenn darüber schwadroniert wird, man sei jetzt ein Unternehmen wie Daimler-Benz. Dass eigentlich die öffentliche Daseinsvorsorge im Zentrum stehen muss, geht dabei fast verloren. Im Kapitel 2 „Eine neue Legitimation“ versucht der Autor zu begründen, wie der von der deliberativen Demokratietheorie entwickelte Begriff der „Legitimation“ durch dialogorientierte Verfahren auf öffentliche Unternehmen angewendet werden kann. Es geht vom Ergebnis darum, einen „demokratischen Mehrwert“ zu erzielen durch Einflussnahme und Kontrolle kommunaler Mandatsträger/innen und durch Beteiligung von Bürger/innen. In Kapitel 3 „Stadtwerke unter Reformdruck“ und Kapitel 4 „Eau de Paris – eine Alternative?“ wird anhand von Fallbeispielen (Energie und Wasser GmbH Potsdam, Berliner Wasserbetriebe, Stadtwerke Münster, Stadtwerke Norderstedt, Eau de Paris) in empirischen Untersuchungen der Frage nachgegangen, welche Beteiligungsmöglichkeiten und –formen in den einzelnen Unternehmen vorhanden sind. Als relativ „verschlossene Unternehmen“ mit wenig Beteiligung und Kontrolle werden die in Potsdam und Berlin charakterisiert. In der Potsdamer GmbH waren im Aufsichtsrat kommunale Mandatsträger zunächst nur aus wenigen (großen) Fraktionen vertreten, in den Berliner Wasserbetrieben saßen vor dem vollständigen Rückerwerb durch das Land Berlin überhaupt
keine Mandatsträger im Kontrollgremium. Die Stadtwerke von Münster (GmbH) und Norderstedt (Eigenbetrieb) werden vom Autor als Unternehmen mit „mittlerer Öffnung“ eingestuft. In beiden Unternehmen sind trotz unterschiedlicher Rechtsformen nahezu alle Fraktionen des Gemeinderats in den Kontrollgremien (Aufsichtsrat bzw. Werkausschuss) vertreten. In Norderstedt können aufgrund der öffentlichen Rechtsform die Sitzungen des Werkausschusses öffentlich stattfinden, in denen die anwesende Öffentlichkeit auch frageberechtigt ist. In Münster besteht als zusätzliches Dialogverfahren ein Kundenforum, in dem ausdrücklich auch Kritiker der Stadtwerke eingeladen werden. Als „geöffnetes Unternehmen“ bezeichnet der Autor die Pariser Wasserbetriebe (Eau de Paris), dem der Autor das gesamte vierte Kapitel widmet. Die Besonderheit besteht hier darin, dass auch Bürger/innen „auf der Kontrollebene der Entscheidung“ einbezogen werden. „Das geschieht dadurch, dass Vereine und NGO’s im Kontrollgremium vertreten sind und dort über ein Stimmrecht verfügen. Darüber hinaus gibt es mit dem Observatorium ein zusätzliches Verfahren, das interessierte Bürger/innen in den Dialog aufnimmt.“ (S. 65f) Bei öffentlichen Unternehmen handle es sich um „hybride Institutionen“. Im Unterschied zur öffentlichen Verwaltung müssen sie auf Bedingungen des Marktes und des Wettbewerbs Rücksicht nehmen, aus Schutz vor Konkurrenz könnten sie nicht in gleicher Weise nach dem Öffentlich-
keitsprinzip agieren wie die öffentliche Verwaltung. Vor diesem Hintergrund sei die Frage zu stellen, inwieweit bei diesen Unternehmen eine Öffnung von Kontrollstrukturen möglich ist. Der Autor nennt hierfür insbesondere aus den untersuchten Fallbeispielen zwei Maßnahmen: Ein erstes Mittel bestehe in der Erweiterung der Sitze in den Kontrollgremien, damit eine möglichst breite politische Repräsentanz der kommunalen Vertretungskörperschaft gegeben ist und ausdrücklich auch kritische Fraktionen des Gemeinderats in den Gremien vertreten sind. Als ein weiteres Verfahren gibt es in allen untersuchten Beispielen Kundenforen oder Kundenbeiräte. Sie können konkrete Verbesserungen von Dienstleistungen und Service anregen oder auch Wandlungsprozesse im Unternehmen begleiten und so die Bürgerorientierung kommunaler Unternehmen positiv beeinflussen. Im Kapitel 5 Legitimation durch Beteiligung bemüht sich der Autor darzustellen, durch welche Unternehmensmodelle und –strukturen ein „demokratischer Mehrwert“ in öffentlichen Unternehmen erreicht werden Fortsetzung auf folgender Seite
Kommunal-Info 2/2016
Seite 4
Zukunft der Mobilität im ländlichen Raum am Sonnabend, 16. April 2016, 13:30 bis 15:30 Uhr
in Riesa „Nudelcenter“, Merzdorfer Straße 21 Referenten: Thomas Voigt (2. Beigeordneter Landkreis Leipzig) Andreas Herr (Leiter des Dezernats Technik im Landratsamt Meißen) Ländliche Regionen und Kleinstädte haben wegen ihrer geringeren Siedlungsdichte und dispersen Siedlungsstrukturen andere Probleme zu lösen als Großstädte mit Staus und Parkplatznot. Hauptprobleme sind Durchgangsverkehr, zu hohe Geschwindigkeiten, Lärm, unzureichende öffentliche Verkehrsmittel und zugeparkte Flächen an Freizeiteinrichtungen. Gerade der ÖPNV muss sich oft den Ruf als unvertraut und unattraktiv gefallen lassen, denn öffentliche Mobilität im strukturschwachen ländlichen Raum ist eine Herausforderung: wenige Menschen - weite Strecken - sehr teuer. Teilnahmegebühr: 3,00 EUR Fortsetzung von Seite 2
Kulturraumgesetz ... schweren Kulturetat entscheiden. Deshalb haben die Landeskulturverbände immer wieder mehr Mitspracherecht für die Vorsitzenden der Kulturbeiräte gefordert, die an der Spitze eines Prozesses stehen, der zunächst relativ demokratisch beginnt und am Tisch von zwei Landräten im Konvent endet. Diese beiden Landräte würden das Ganze politisch bewerten, aber nicht unbedingt mit kulturellem Sachverstand. Im Ergebnis würden häufiger als früher in einer Art „Hinterzimmerdiplomatie“ Absprachen und „Deals“ getroffen. Das wirke sich leider auf die Qualität der Entscheidungen aus. Die Schlussfolgerung daraus sei, dass in den Kulturkonventen mehr Vertreter mit Stimmrecht versehen sein müssten. Was in den urbanen Kulturräumen kein Problem darstelle, sollte in die ländlichen Kulturräume in der Weise übertragen werden, dass die aus den Kreistagen in den Kulturkonvent delegierten Kreisräte mit Stimmrecht ausgestattet werden. Damit würde sich auch die politische Vielfalt in den Kulturräumen im Entscheidungsgremium besser widerspiegeln.
Kulturpolitischer Wille
In der Debatte um das SächsKRG könne es nicht nur um Finanzen, Strukturen und Tarife gehen, sondern mit dem Gesetz müsse auch ein kulturpolitischer Wille verbunden werden, um dieses Gesetz mit Leben zu erfüllen. Und in Zeiten sozialer Unruhe und einer Ausbreitung rechtsextremen, nationalistischen Gedankenguts sollten Sachsens Kulturausgaben verstärkt werden. Die „Kulturmacher“ in Sachsen, ob in Orchestern, Museen, Theatern oder Musikschulen, arbeiten stark für eine weltoffene und inklusive Gesellschaft. Der Freistaat würde mit einer deutlichen Erhöhung der Mittel für Kultur ein Zeichen für Weltoffenheit in Deutschland und in Europa setzen. Und wenn auf die Kultur mehr als bisher zusätzliche Aufgaben bei der Integration von Flüchtlingen zukommen, sowohl bei freien Trägern als bei den geförderten Institutionen, dann darf
das aber nicht zulasten der Kernaufgaben der Einrichtungen gehen. Die Kulturräume werden sich den Aufgaben der Integration stellen, aber das wird nicht so nebenbei zum Nulltarif zu haben sein. Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen und der besonderen Aufgaben müssten ganz besondere Mittel für Integrationsprojekte, die im Rahmen der Kulturaufgaben wahrgenommen werden, mit Sonderprojekten unterstützt werden. Christian Schramm, Präsident des Sächsischen Kultursenats, fand hierzu eine treffende Zusammenfassung: „Die gegenwärtige Entwicklung hat die Kultur meiner Meinung nach besonders nötig; denn Kultur ist auch ein Mittel, dem Mangel an Zivilität und dem kulturlosen Verhalten entgegenzutreten. Wer sich seiner Kultur bewusst ist, der ist sich auch seiner eigenen Werte sicherer und kann mit anderen Werten und Kulturen besser umgehen. Kultur wird gewissermaßen zum Lebensinstrument, wenngleich es hierfür keine Gewährleistung gibt. Zum anderen hat das Land Sachsen in der internationalen Wahrnehmung noch mehr Chancen, wenn es seine reiche Kultur hält und sie weiterentwickelt.“ AG
Fortsetzung von Seite 3
Beteiligung ... kann. Zur Verstärkung einer Steuerung und Kontrolle öffentlicher Unternehmen nennt er zusammenfassend folgende Instrumente: „Gesellschaftsvertrag und Satzung des Unternehmens: Es ist sinnvoll, in diesen Dokumenten auch gemeinwohlorientierte Ziele anzugeben. Wenn z.B. Ökologie oder sozialer Ausgleich erklärte Aufgaben des Unternehmens sind, dann muss nicht in jedem Fall der Effizienz und der Gewinnerwirtschaft Vorrang gegeben werden. Zielvereinbarung: Ein Instrument für die Steuerung auf Armeslänge ist die Vereinbarung von Zielen zwischen Gemeinderat und Unternehmen. Auf diese Weise wird bei Eau de Paris der Wasserpreis gedeckelt, sodass die Handlungsräume für den Verwaltungsrat des Unternehmens begrenzt sind. Beteiligungsmanagement und operatives Beteiligungscontrolling: Eine Stelle bzw. ein Amt ist hier in der Gemeindeverwaltung für die Begleitung der kommunalen Unternehmen zuständig. Sie hat Informationen aufzubereiten und könnte die Gemeindevertreter/innen wie auch Bürger/innen
regelmäßig mit Kennzahlen versorgen. In unterschiedlicher Weise ausgebaut, existiert ein Beteiligungsmanagement bei allen untersuchten Fällen. Beteiligungsbericht: Aufgabe des Beteiligungsmanagements ist u.a. die Erstellung von Berichten. In Deutschland ist dies der Beteiligungsbericht, in Frankreich sind Berichte über den Preis und die Qualität anzufertigen. Diese Dokumente sind der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dabei existieren hinsichtlich des Umfangs und der Aufbereitung durchaus Spielräume. Die Stadt Paris und ihre Wasserbetriebe bemühen sich um eine gut verständliche Darstellung mit zahlreichen Zusatzinformationen. Benchmarking und öffentlich-öffentliche Kooperationen: Um ihre Leistungsfähigkeit zu verbessern, können öffentliche Unternehmen untereinander einen Kennzahlenvergleich vornehmen. Ziel ist es, Schwachstellen aufzuzeigen und Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten. In Deutschland wird eine solche Initiative bereits von der öffentlichen Wasserwirtschaft gefördert. Es geht nun darum, solche Ansätze lokal umzusetzen.“ (S. 146f) Das zusammenfassende Fazit des Buches lautet „Stärkung der Stadtwerke“ wie der Autor das Buch insgesamt als ein Beitrag zur Rekommunalisierungsdebatte verstanden wissen will. Dem Buch hätte an manchen Stellen eine etwas weniger ausschweifende Redundanz gut getan. Als ein kleiner Mangel ließe sich auch anmerken, dass der Autor so gut wie überhaupt nicht die kommunalwirtschaftsrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen berührt, an denen man aber als rechtlich vorgegebenem Handlungsrahmen für kommunale Unternehmen nicht vorbeikommt. Die vorliegende Publikation versteht sich daher weniger ein Handbuch für den kommunalen Praktiker und das war wohl auch nicht Anliegen des Autors, sondern ist eine politiktheoretisch-soziologische Studie, wo dennoch der kommunale Praktiker allerhand Anregungen finden kann, wenn er über den Tellerrand seiner Kommune hinausblicken möchte. AG
Februar 2016
Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag
ParlamentsReport Ein Sofortprogramm, das allen nützt
Liebe Leserinnen und Leser, Sachsen trägt in den Augen der Weltöffentlichkeit wieder ein hässliches Gesicht. Clausnitz und Bautzen sind nur zwei seiner ekelhaften Züge. Immer wieder dasselbe: Vermeintlich treubrave Bürger begegnen denen, die aus den geschundenen Regionen dieser Welt fliehen mussten, mit geifernder Feindschaft. Ich verurteile niemanden dafür, verunsichert zu sein. Das ist aber keine Entschuldigung für Hass! Die Hilfesuchenden tragen keine Schuld an sächsischen Problemen. Die sind das Ergebnis der CDU-Politik, für die Gerechtigkeit und sozialer Ausgleich Fremdwörter sind. Der Ministerpräsident versucht sich, chronisch verspätet und hilflos, als Maskenbildner. So auch in der LandtagsSondersitzung, die wir gemeinsam mit den Grünen beantragten. Tillich verurteilte erneut die Gewalt. Doch schon Minuten später kratzte der CDUFraktionschef Frank Kupfer mit seiner Rede, wie bei der Sondersitzung nach Heidenau, die löchrige Schminke wieder ab. Sachsens CDU lebt weiter in fataler Arbeitsteilung: Tillich liefert der aufgewühlten Medienlandschaft hilflos Zitate, und CDU-Politiker wie Frank Kupfer, Alexander Krauß, Sebastian Fischer oder Michael Kretschmer produzieren politische Rauschmittel für den sächsischprovinziellen Alltags-Rassismus. So versagt der Freistaat im Kampf gegen Menschenfeindlichkeit, die alltägliche wie die militante. Staatliche Institutionen, entkräftet vom CDU-Kürzungskurs, hecheln mit Aufräumarbeiten hinterher. Tillich muss seinen Laden in den Griff bekommen. Denn alles, was die Regierung gegen das Staatsversagen unternehmen will, bedarf der Zustimmung der Koalitionsfraktionen, auch der CDU. Bis dahin zeigt Sachsen der Welt weiter ein hässliches Antlitz. Leider.
Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender
Deutschland erlebt keine „Flüchtlingskrise“, sondern eine Krise der sozialen Gerechtigkeit. Geflüchtete machen Probleme sichtbar, verantwortlich sind sie dafür nicht! Debatten zu Scheinlösungen wie Obergrenzen, Grenzschließungen und Sozialkürzungen für Geflüchtete verstellen den Blick auf das, was wirklich die Gesellschaft spaltet. Wie vor der Fluchtbewegung sind das die ungerechte Weise, in der Einkommen und Vermögen erworben werden, und die Weigerung der Regierenden, breite Schultern stärker zu belasten. Sie beschränken sich auf Schuldenbremse und „Schwarze Null“, denken aber nicht über zusätzliche Einnahmen für das Gemeinwesen nach. Die Folgen sind spürbar: Personalabbau und Privatisierung im öffentlichen Sektor, Kürzungen bei sozialem Wohnungsbau und Arbeitsförderung, Sanierungsnotstand bei kommunalen Einrichtungen. Der 4. Parlamentariertag der LINKEN hat am 11. Februar 2016 in Magdeburg ein Sofortprogramm „5x5 für ein soziales Land“ beschlossen. Die Botschaft: Nicht die Schwachen gegen die Schwächsten ausspielen! 2016 soll mit 25 Milliarden Euro eine „soziale Offensive“ starten. Das Geld soll von denen kommen, die es entbehren können: Neben Steuermehreinnahmen (12,1 Milliarden Euro im Jahr 2015) können eine Millionärssteuer und eine reformierte Erbschaftssteuer das Programm dauerhaft finanzierbar machen.
Kita: bundesweit sind 100.000 weitere Plätze nötig. Das war schon vor der Fluchtbewegung richtig und gilt jetzt erst recht. Mehr als ein Drittel der Geflüchteten ist jünger als 18 Jahre – viele neue Schülerinnen und Schülern müssen integriert werden. Das geht nur mit mehr festangestellten, qualifizierten und gut bezahlten Lehrkräften an öffentlichen Schulen und Einrichtungen. Der Bund muss helfen, mindestens 25.000 Stellen zu finanzieren. Finanziert werden könnten ein Weiterbildungsprogramm für den Umgang mit Deutsch als Zweitsprache; Erstausstattungen an Schulbedarf; Sprach- und Alphabetisierungskurse für erwachsene Flüchtlinge und ein Qualifizierungsprogramm „interkulturelle Pädagogik“ für Fachkräfte, die mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen arbeiten. Fünf Milliarden für Sicherheit und Stärkung des Öffentlichen Dienstes Die Polizei ist gerade im ländlichen Raum nicht mehr präsent, Ermittler fehlen, Polizeibeamte leiden unter Überlastung. Nötig ist mehr Personal für den Kampf gegen Alltagskriminalität! Zur Öffentlichen Sicherheit gehört auch ein gut ausgestatteter Katastrophen- und Zivilschutz. Wir wollen den Öffentlichen Dienst generell stärken, fachkundiges Personal mit attraktiven Beschäftigungsbedingungen gewinnen. Nur ein handlungsfähiger Staat kann demokratische Entscheidungen durchsetzen.
Fünf Milliarden für sozialen, gemeinnützigen Wohnungsbau
Fünf Milliarden für Integration und öffentlich geförderte Beschäftigung
Vor allem in Großstädten fehlt bezahlbarer Wohnraum. Mietsprünge von bis zu 50 Prozent in wenigen Jahren sind nicht mehr selten. Auch in kleineren Städten steigen die Mieten. Der Bund hat seit 1994 insgesamt 352.000 Wohnungen privatisiert. Von vier Millionen Sozialwohnungen 1989 sind knapp 1,4 Millionen übrig, jährlich fallen bis zu 100.000 aus der Preisbindung. 2013 wurden nur 9.800 neu gebaut. Der Zuzug von Geflüchteten verursacht nicht die Wohnungsnot, zeigt aber die Versorgungslücke noch deutlicher. Nötig sind jährlich fünf Milliarden Euro zur bundesweiten Förderung des sozialen Wohnungsbaus! Die Mittel sollen vor allem gemeinnützigen Trägern, öffentlichen Wohnungsgesellschaften, Genossenschaften und gemeinnützigen Initiativen zufließen. Eine dauerhafte Belegungsbindung garantiert, dass die Wohnungen nicht schnell an den freien Markt gelangen, sondern bezahlbar bleiben.
Die Langzeiterwerbslosigkeit stagniert auch in Sachsen auf hohem Niveau. Gleichzeitig müssen Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert werden. Die Arbeitsförderung darf nicht länger unterfinanziert bleiben! Zudem wollen wir einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor schaffen,
Fünf Milliarden für Bildung Die Bundesregierung muss mit einem Bund-Länder-Sofortprogramm bessere Bildung schaffen. Die beginnt in der
finanziert aus einer befristeten Sonderabgabe der Arbeitgeber von 0,5 % der Lohnsumme. Das Personal der Arbeitsagenturen und Jobcenter muss aufgestockt, die Integrationsförderung des Bundes ausgebaut werden. So soll mehr Geld in Integrationskurse fließen. Außerdem sollen die Beratungsstruktur für Eingewanderte verbessert, Integrationsprojekte besser gefördert und ein Fonds für ehrenamtliche Flüchtlingshilfe geschaffen werden. Der Mindestlohn wird auf zehn Euro angehoben und die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die seine Einhaltung überwacht, um 5.000 Stellen aufgestockt. Fünf Milliarden zur Bekämpfung der Fluchtursachen Das ist der einzige Weg, um die Geflüchtetenzahl zu reduzieren. Wie soll das gehen? Vieles wäre anzustoßen. So müsste Deutschland endlich seine Pflicht erfüllen, jährlich 0,7 % des Bruttoinlandsprodukts (2014: 0,41 %) in Entwicklungszusammenarbeit zu investieren: gegen soziale Ungleichheit, für staatliche Strukturen, Infrastruktur und Beschäftigung! Auch Entwicklungszusammenarbeit entscheidet darüber, ob Menschen in den Ländern des Südens Perspektiven sehen. Das gilt insbesondere für Kriegsflüchtlinge, die sich jahrelang in Zufluchtsländern aufhalten müssen. Die humanitäre Hilfe wollen wir aufstocken, die regelmäßigen Zahlungen an die Flüchtlings- und Entwicklungsorganisationen der Vereinten Nationen (Entwicklungsprogramm, Welternährungsprogramm, UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR) erhöhen. Instrumente der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung wollen wir besser ausstatten. Deutschland muss auch seinen Anteil dazu leisten, den Klimawandel zu bekämpfen. Von sozialer Politik profitieren alle. Anders lässt sich die Krise nicht lösen.
PARLAMENTSREPORT
Seite 2
Februar 2016
Sachsen ist wieder Entwicklungsland
Mit dem Antrag „Pressefreiheit im Freistaat Sachsen schützen“ (Drucksache 6/3203) brachte die Linksfraktion das Thema in den Landtag. Die Staatsregierung soll erfassen, welche Übergriffe auf Medienschaffende stattfinden – und zwar alle, nicht nur die bei PEGIDAähnlichen, „asylkritischen“ oder rassistischen Versammlungen. „Übergriffe“
meint körperliche Gewalt, aber auch Drohungen per Brief, E-Mail, Telefon oder in sozialen Netzwerken. Außerdem soll die Staatsregierung darlegen, welche Gegenmaßnahmen sie unternimmt, und Maßnahmen treffen, um die per Verfassung garantierte Pressefreiheit durchzusetzen. Insbesondere ist zu prüfen, wie die Polizei Medienschaffende bei Versammlungen schützen und Bedrohungen verfolgen kann. So
„Der Begriff war als Drohung gemeint. Diese Bedeutung hat er auch heute. Der Unterschied liegt darin, dass den Worten heute nicht nur Taten folgen, sondern dass diese Taten serienmäßig geschehen“, so Köditz. Der Schlachtruf „Lügenpresse“ dürfe nicht als „Medienkritik“ verharmlost werden. „Tatsächlich gibt es an so mancher Medienberichterstattung etwas auszusetzen. Zu behaupten, dass alle Medien lügen,
Foto: René Lindenau
Journalistinnen und Journalisten in Sachsen erleben schwere Zeiten. Das Medienmagazin „Funkturm“ hat 2015 allein 26 Übergriffe auf sie dokumentiert, in Dresden, Leipzig, Chemnitz, Freital, Heidenau, Sebnitz. Ein Drittel geschah bei Demos von PEGIDA und Co.: Reporterinnen und Reporter wurden geschlagen, Fotografen geschubst und ihre Ausrüstung zerstört, Kameraleute bespuckt und beraubt. MDR-MitarbeiterInnen berichten inzwischen nur noch auf freiwilliger Basis von PEGIDA, in neutralen Fahrzeugen und mit Sicherheitsleuten. Die „Leipziger Internetzeitung“ hat wegen der Bedrohung ihre Live-Berichterstattung von LEGIDAVeranstaltungen eingestellt. Dazu kommen Anschläge auf Redaktionsräume, etwa der „Leipziger Volkszeitung“ in Eilenburg und der „Freien Presse“ in Glauchau. Rhetorische Brandstiftung wie die von PEGIDA-Hetzerin Tatjana Festerling („Wenn die Mehrheit der Bürger noch klar bei Verstand wäre, dann würde sie zu Mistgabeln greifen und diese volksverratenden, volksverhetzenden Eliten aus den Parlamenten, aus den Gerichten, aus den Kirchen und aus den Pressehäusern prügeln“) inspiriert wohl zu Gewalt.
schließt sich der Kreis zum Personalmangel in Polizei und Justiz, der dringend beseitigt werden muss, wenn der Staat handlungsfähig bleiben soll. Kerstin Köditz, Expertin für Antifaschistische Politik der Linksfraktion, kennt den Begriff „Lügenpresse“ seit 1996, als er in Wurzen an eine Fassade geschmiert wurde – zusammen mit dem Namen eines Lokaljournalisten. Medien hatten über die NeonaziHochburg Muldentalkreis berichtet.
ist allerdings der größte Unfug“. Laut einer repräsentativen dimap-Umfrage von 2015 teilt jeder fünfte Bundesbürger den Vorwurf „Lügenpresse“. Köditz sieht einen „Normalisierungseffekt“ und „ein Klima, in dem es bestimmten Milieus opportun erscheint, sich an Journalistinnen und Journalisten zu vergreifen“. Die Staatsregierung lässt bisher jedes Handeln vermissen. Köditz‘ Fazit: „ln puncto Pressefreiheit ist der Freistaat auf den Stand eines Entwicklungslandes zurückgefallen“.
Falk Neubert, Medienpolitiker der LINKEN und Mitglied des MDR-Rundfunkrates, pflichtete ihr bei. „Journalisten trauen sich nicht, Anzeigen zu stellen, weil sie Angst um ihre Familien haben. Dass die Polizei die Journalisten nicht schützen kann, würde ich nicht behaupten. Fakt ist: Sie schützt die Kollegen nicht“. Gewerkschaften, Medienverbände und Sendeanstalten betonen, dass es die Aufgabe des Innenministeriums, der Versammlungsbehörden und der Polizei sei, Journalistinnen und Journalisten bei der Berufsausübung zu schützen. Die Linksfraktion drängt darauf, trotz der Ablehnung des Antrages. Die ZDF-Journalistin Dunja Hayali hat bei der Verleihung der „Goldenen Kamera“ den Kritikern ihrer Profession gesagt: „Legen Sie gern den Finger in die Wunde und streiten Sie mit uns, weisen Sie uns auf Fehler hin. Wir sind Journalisten, keine Übermenschen, wir machen Fehler. Deshalb sind wir aber noch lange keine Lügner“. Medien sind komplexe Systeme, deren Funktionsweise sich nicht mit Parolen fassen lässt. Viele „Lügenpresse“-Krakeeler wünschen sich eine Einheitspresse: Während sie auf Objektivität pochen, wollen sie eine politische Färbung der Berichterstattung in ihrem eigenen – oft flüchtlingsfeindlichen – Sinn. Während sie Medien pauschal der Lüge bezichtigen, nutzen sie Artikel, die politisch ins Konzept passen, als Argumentationsmaterial. Der Gipfel solcher Bigotterie ist Gewalt gegen Medien. Sie ist ein Angriff auf die Verfassung, also auf uns alle. In Sachsen wie überall sonst.
Der Rechtsstaat muss Vertrauen verdienen können
Diese Gefühle entsprechen nur bedingt der Realität. Laut Kriminalstatistik ging die Zahl der registrierten Delikte zwischen 2006 und 2014 bundesweit um 3,5 Prozentpunkte zurück, von 7.647 auf 7.530 Delikte pro 100.000 Einwohner. Daten für 2015 liegen noch nicht vor, klar ist aber: Die erdrückende Mehrheit der Einheimischen wie der Geflüchteten achtet die Gesetze. Allen anderen muss der Rechtsstaat begegnen, egal woher sie kommen. Die Nationalität eines Täters spielt für dessen Motivation in der Regel keine Rolle. Der Rechtstaat muss sich das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger erwerben. Das kann er nur durch Handeln, zu dem er fähig sein muss. Die Regierenden müssen Schluss machen mit dem Personalabbau! Sonst finden in der
Krise der öffentlichen Sicherheit die falschen Antworten Zuspruch, etwa die Gründung von Bürgerwehren oder gar die Lockerung der Waffengesetze. DIE LINKE stieß die Debatte „Regierungsverantwortung für funktionierenden Rechtsstaat wahrnehmen“ an. Enrico Stange, Sprecher für Innenpolitik, verwies auf den „Vertrauensverlust in die Politik und in den demokratischen Rechtsstaat“. Ausdruck dessen seien die Zunahme politischer und fremdenfeindlicher Gewalt sowie die Infragestellung des staatlichen Gewaltmono-
© iStockphoto.com / artolympic
In Deutschland wächst ein Bedrohungsgefühl. Das war schon vor der Fluchtbewegung so, wie Renate Köcher vom Institut für Demoskopie Allensbach nachweist: Vor fünf Jahren machten sich 26 Prozent der Bevölkerung Sorgen, Opfer eines Verbrechens werden zu können. 2014 – im Jahr vor der Fluchtbewegung – stieg der Wert auf 45 Prozent. Heute liegt er bei 51 Prozent. Köcher sieht im Flüchtlingszustrom nicht die Ursache zunehmender Besorgnis. Er trage aber dazu bei.
pols. Daran seien nicht die Geflüchteten schuld, sondern Ursachen, die seit Jahren bestehen. Erstens versage der Staat sichtbar in vielen Bereichen – man denke an den Lehrer-, Polizisten-, Kitaplatz- oder den Ärztemangel. Hinzu kämen zweitens „Abstiegsängste in der Bevölkerung“, die in den vergangenen 25 Jahren große Umwälzungen verwinden musste. Drittens würden, so Stange, rassistische Grundstimmungen subtil befeuert, vor allem von der AfD, aber auch von Teilen der CDU. An manchen Orten, etwa in Meißen
oder Freital, werden dubiose „Bürgerwehren“ gegründet, die versprechen, Lücken in der staatlichen Sicherheitsarchitektur auszufüllen. Laut der Antifaschismus-Expertin der LINKEN, Kerstin Köditz, „werben derzeit bundesweit 40 sogenannte Bürgerwehren öffentlich um Unterstützung. Bei fast allen ist die rassistische Stoßrichtung klar erkennbar: Feindbild sind Asylsuchende“. Man sehe Neonazis, Hooligans, auch Mitglieder von Rockerklubs. „Solche Leute sorgen bestimmt für vieles, aber niemals für Sicherheit“. Die Freitaler Bürgerwehr ist inzwischen ausgehoben, die Anführer, darunter Neonazis, festgenommen. Laut Staatsregierung handeln Bürgerwehren „ohne rechtliche Grundlage“, sie verstoßen „gegen den Grundsatz des staatlichen Gewaltmonopols“. Wirklich helfen kann eine personelle Aufstockung der tatsächlichen Polizei – anstelle der risikoreichen Billigvariante Wachpolizei. Sie ist kurzfristig erreichbar, indem pensionierte Beamte zurückgeholt werden, freilich nicht auf die Straße, aber an die Schreibtische, von wo aus sie jüngere Kollegen entlasten können. Nötig ist mehr gut ausgebildetes und gut bezahltes Personal auch in den Staatsanwaltschaften, den Justizvollzugseinrichtungen und an den Strafgerichten. In Sachsen sollen alle sicher leben können, gefühlt und tatsächlich!
Februar 2016
PARLAMENTSREPORT
Seite 3
Notstand in der Altenpflege? In Sachsen sind immer mehr Menschen pflegebedürftig. Die Zahl der Betroffenen steigt schneller als im Bundesdurchschnitt, derzeit sind es etwa 150.000. Die meisten werden zu Hause gepflegt. Dennoch muss die Versorgungsinfrastruktur mithalten – dass das im Freistaat gelingt, ist zweifelhaft. „Aufstand in der Altenpflege“ – unter diesem Titel berichtete die „Freie Presse“ jüngst über Probleme, die wir seit Jahren thematisieren: den Fachkräftemangel, den Zeit- und Kostendruck in stationären Einrichtungen und ambulanten Diensten. Die Zahl der unbesetzten Stellen für Altenpflegerinnen und Altenpfleger steigt jährlich um 200, 2015 lag sie schon bei 1.663. Im Jahr 2013 waren die Pflegerinnen und Pfleger in ambulanten Diensten nur zur Hälfte ausgebildete Fachkräfte, in Heimen gar nur zu 40 Prozent. Die 866 stationären Einrichtungen und 1.052 ambulanten Pflegedienste (2013) werden fast ausschließlich in freigemeinnütziger oder privater Trägerschaft betrieben. Im stationären Bereich liegt Sachsen mit 12,8 Plätzen pro 1.000 Einwohner zwar über dem Bundesdurchschnitt, allerdings gibt es mit durchschnittlich 2,08 Kräften pro 1.000 Einwohner weniger Personal.
Die Staatsregierung lehnt ein Landespflegegesetz und eine Landesbedarfsplanung ab. Susanne Schaper, Sprecherin für Sozialpolitik der Fraktion DIE LINKE, möchte ihr am liebsten Pflichtbesuche im Pflegeheim oder bei mobilen Diensten verordnen. In der Debatte zur Großen Anfrage zitierte sie die Bibel: „Wärt ihr tatsächlich blind, dann träfe euch keine Schuld. Aber ihr sagt ja: Wir sehen. Deshalb kann euch niemand eure Schuld abnehmen“. „Obwohl der Pflegeberuf körperlich und psychisch anstrengend ist, wird ihm weder finanziell noch gesellschaftlich die nötige Anerkennung zuteil“, so Schaper. Die Staatsregierung verleugne „den Notstand, auf den wir zusteuern“. Per Entschließungsantrag schlug die Linksfraktion dem Landtag Schlussfolgerungen vor. So sollte er feststellen, dass die Situation der Altenpflege keineswegs „ausgewogen“ ist und die Versorgungslandschaft
Termine
nicht pauschal als „qualitativ gut und leistungsfähig“ gelten kann. Der Fachkräftemangel sollte ebenso anerkannt werden wie der Umstand, dass der Pflegeberuf überdurchschnittlich schlecht vergütet wird. Die Kontrollen der Heime, die dem Kommunalen Sozialverband obliegen, seien angesichts einer Prüfquote von nur 35 % aller Einrichtungen auszuweiten. Der Antrag forderte die Staatsregierung auf, dafür zu sorgen, dass Altenpflegeschülerinnen und -schüler kein Schulgeld mehr bezahlen müssen. Die Bildungsträger sollen dafür mit Landesmitteln abgefunden werden. Der Freistaat brauche ein Landespflegegesetz und eine Landespflegebedarfsplanung. Die Staatsregierung solle sich auf der Bundesebene für eine solidarische Pflegeversicherung einsetzen und die Privatisierung des Pflegerisikos stoppen. Sonst entscheidet am Ende der Kapitalmarkt, ob Pflegebedürftige die nötigen Leistungen erhalten können.
Kulturraum-Tour „Sachsens Kultur – Räume, Möglichkeiten Perspektiven“ Montag, 7. März 2016, 19 Uhr, Projekttheater Dresden e.V., Louisenstraße 47, Dresden Mittwoch, 9. März 2016, 19 Uhr, Landesbühnen Sachsen Studiobühne, Meißner Straße 152, Radebeul Donnerstag, 10. März 2016, 19 Uhr, Gerhart-Hauptmann-Theater (Foyer), Theaterring 12, Zittau »Sexismus: Nährboden für Häusliche Gewalt« – Aktionen und Handlungsmöglichkeiten in der Gleichstellungspolitik 11. März 2016, 17 Uhr, Dresden, Sächsischer Landtag, Raum A400 Fachanhörungen „Situation und Perspektiven der Aufnahme, Unterbringung und Betreuung von Geflüchteten in Sachsen“
© iStockphoto.com / KatarzynaBialasiewicz
Trotzdem schätzt die Staatsregierung die Situation als „ausgewogen“ ein – so eine Antwort auf eine Große Anfrage (Drucksache 6/2167) der Linksfraktion. Die lückenhaften Angaben zu den 111 Fragen sind keine gute Basis für die Enquete-Kommission, die der Landtag eingesetzt hat und in der Abgeordnete mit externen Experten beraten, wie die Altenpflege reformiert werden kann.
Donnerstag, 10. März 2016, 17 Uhr, BürgerInnenbüro Franz Sodann, Mariannenstraße 101, 04315 Leipzig Dienstag, 15. März 2016, 17 Uhr, Sächsischer Landtag, Raum A 400 Infos: www. gleft.de/1aJ
Petry-Aussage wird ein Fall für die Staatsanwaltschaft Die Aussage der AfD-Bundesvorsitzenden Frauke Petry vor dem LandtagsWahlprüfungsausschuss beschäftigt die Staatsanwaltschaft. Das Gremium hatte sie sowie den stellvertretenden AfD-Landesvorsitzenden Carsten Hütter am 12. November 2015 als Zeugen vernommen. Auf Antrag des LINKENAbgeordneten André Schollbach waren beide vereidigt worden. Hintergrund ist der Wahleinspruch von Arvid Samtleben. Die Vertrauensleute hatten ihn von der AfD-Wahlliste gestrichen – wegen seiner Weigerung, der AfD ein Darlehen zur Deckung der Wahlkampfkosten zu gewähren, wie er behauptet. Der Landesverband hatte mit den Kandidierenden diese Zuwendung aus deren privaten Mitteln vereinbart; sie wäre beim Landtagseinzug der oder des Betroffenen in eine Spende umgewandelt worden. In der Vernehmung habe sich Petry in „erhebliche Widersprüche“ verstrickt, befindet André Schollbach. „Dies betraf etwa den Zeitpunkt der Kenntnisnahme Petrys von DarlehensGewährungen durch Landtagskandidaten an die AfD im Zusammenhang mit
der Landtagswahl 2014 in Sachsen. Weiterhin ergaben sich Widersprüche hinsichtlich der Frage, wer namens der AfD die den Darlehen zugrunde liegenden Verträge unterzeichnete und bis zu welcher Frist Zahlungen an die AfD zu leisten waren“. Der Jurist hat Petry bei der Staatsanwaltschaft Dresden angezeigt. Verdacht: Meineid. Sein Schrift-
satz stützt sich auf das bestätigte Protokoll der Vernehmung. Schollbach arbeitet die Unstimmigkeiten in Petrys Aussage auf 19 Seiten penibel auf. Der Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses, Marko Schiemann (CDU), hatte Petry mehrfach über ihre Pflicht belehrt, die Wahrheit zu sagen, und ihr
Gelegenheit gegeben, sich zu korrigieren. Die AfD-Bundeschefin sah dazu keine Veranlassung. Nun steht „der Verdacht einer nicht unerheblichen Straftat im Raum“, so Schollbach: „Für das Funktionieren rechtsstaatlicher Institutionen muss gewährleistet sein, dass Zeugen ihrer Pflicht, die Wahrheit zu sagen, nachkommen“. Jetzt prüft die Staatsanwaltschaft, ob ein hinreichender Tatverdacht vorliegt. Dann müsste der Landtag Petrys Immunität aufheben, damit Anklage erhoben werden kann. Gemäß § 154 Abs. 1 des Strafgesetzbuches wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft, wer vor Gericht oder vor einer anderen Stelle, die zur Abnahme von Eiden zuständig ist, falsch schwört. Die Frage, ob es in Sachsen zu Neuwahlen kommen muss, hat mit alldem übrigens nichts zu tun. Die Prüfung des Samtleben-Einspruchs dauert an. Der – in aller Regel nicht-öffentlich tagende – Wahlprüfungsausschuss wird seine Arbeit voraussichtlich im April beenden und dem Landtag seine Beschlussempfehlungen übermitteln. Die Prüfung des Falls Petry wird wohl länger dauern.
PARLAMENTSREPORT
Seite 4
Februar 2016
Achtung, Satire!
Workshop „Kreative Ausredenfindung“ mit Bachmann
Plenarspiegel Februar 2016 Die 27. und die 26. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages fanden am 3. und 4. Februar 2016 statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit folgenden parlamentarischen Initiativen vertreten: Aktuelle Stunde „Angriffe auf Flüchtlinge und Ehrenamtliche – Wachpolizei und Gründung von Bürgerwehren – Regierungsverantwortung für funktionierenden Rechtsstaat wahrnehmen“ Anträge „Pressefreiheit im Freistaat Sachsen schützen, die Freiheit der Berichterstattung nicht preisgeben: Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten sind Angriffe auf Grundrechte und müssen unterbunden werden!“ (Drs 6/3203) „Wohnungslosigkeit im Freistaat Sachsen – Einführung eines ‘Sächsischen Wohnungsnotfallberichts‘“ (Drs 6/3933) Gesetzentwürfe „Gesetz zur rückwirkenden Wiedereinführung und Anpassung der jährlichen Sonderzahlung für Beamte und Richter im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/4043) Große Anfragen „Situation und Perspektive der Altenpflege im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/2167)
Abendlandverteidigung will gelernt sein. In Zeiten, in denen die Lügenpresse die Wahrheit nicht veröffentlicht (obwohl das einfach wäre, schließlich gibt es nur eine), ja, in solch finsteren Zeiten sitzen tausende Kulturkämpfer vor dem Computer und sagen der Welt, wie sie wirklich ist. Gutmenschen setzen alles daran, sie zu verunglimpfen, sie wittern Nazis und treiben die Meinungsdiktatur voran. Also: vorsorgen! Sicher, wer gegen Invasoren kämpft, muss drastisch formulieren, kommt nicht ohne Wort-Gewalt aus. Aber das ist doch nicht so gemeint! Trotzdem missbrauchen Multikulti-Ideologen die Polizei, die eigentlich PEGIDA-Demos schützen soll, und die Justiz, die eigentlich wegen all der Rechtsbrüche gegen die Bundesregierung ermitteln müsste. Sie fotografieren dreist BesorgtbürgerAussagen vom Bildschirm ab und stellen Strafanzeigen wegen Volksverhetzung oder anderen verleumderischen Vorwürfen. Das kann bei allen Inhalten passieren, die man bei facebook oder anderswo veröffentlicht, auch bei sogenannten „Hashtags“. Mit solchen Schlagworten, die an ein #-Zeichen angehängt werden, sollten die besorgten Nutzer in der Regel arbeiten. Sie werden der eigenen Äußerung beigefügt und erlauben es, Inhalte zu verknüpfen und das Gesagte mit weiteren schlichten Parolen zu ergänzen. Damit der Abendlandverteidiger die Schachzüge der Gutmenschen entlarven kann, sollte er Erklärungen für die eigenen Aussagen parat haben, falls der Gegner sie fehldeutet. Das gilt auch für Hashtags. Getreu dem Motto „#DresdenZeigtWiesGeht“ hat der Führer des größten Völkchens aller Zeiten, Lutz Bachmann, vorgelebt, wie man Aussagen, die der Gegner demagogisch verfälscht, gerade rückt. In den Abendstunden des 7. Februar entschied er sich zur Veröffentlichung eines Appells gegen den „Kettenhund SAntiFa“, mithin gegen jene Sturmtruppen der Antifa, die bekanntlich von SPD-geführten Ministerien, Studentenräten und anderen Horten der Unvernunft bezahlt und losgeschickt
werden, um besorgte Bürger zu malträtieren. „Hashtags“ durften nicht fehlen. Zunächst war zu klären, wer gemeint ist: „#Lügenkasek“, „#AntifaJule“ und „#SilvioLang“, also der GrünenLandeschef Jürgen Kasek, die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel und der stellvertretende Stadtvorsitzende der Alt-Kommunisten in Dresden, Silvio Lang. Dann formulierte Bachmann meisterhaft: „#TheHigherTheBetter“, zudem „#RopeIsGoingToBecomeExpensive“ und „#TimeToLearnTieing“. Oder in gutem Deutsch: „Je höher, desto besser“, „Strick wird teuer werden“ und „Zeit, das Knüpfen zu lernen“. In ihrem glühenden Bestreben, den Untergang des deutschen Volkes voranzutreiben, konstruierten Nagel und Lang den Vorwurf, Bachmann habe zur Gewalt gegen sie aufgerufen. Sie gingen per Strafanzeige ans Werk. Es ist nicht neu, dass die beiden „gern mal die Justiz und damit Steuermittel beschäftigen und binden“ (Bachmann). Der Führer hofft: „Hoffentlich bestraft die Justiz die Anzeigenerstatter streng für Ihre strafbare Handlung der falschen Verdächtigung und für Missbrauch von Justizbehörden!“ (Rechtschreibung wie im Original). Blicken wir näher auf das Lehrbuchbeispiel für besorgtbürgerliche facebookNutzung. Denn die Verleumdungsmaschine der Gutmenschen war schnell angelaufen. Zwei Tage nachdem Lang und Nagel ihren Feldzug öffentlich bekannt gemacht hatten, ließ Bachmann wissen, dass er keinen Mordaufruf formuliert habe. Sogleich klärte er über den eigentlichen Inhalt der drei inkriminierten Hashtags auf. „#TheHigherTheBetter“, also „Je höher, desto besser“, sei ein Plädoyer für eine „höhere Wahlbeteiligung“. So kann man es den Altparteien richtig zeigen! „#RopeIsGoingToBecomeExpensive“ beruhe auf einem Tippfehler, eigentlich solle es nicht „Rope“ (engl. Strick) heißen, sondern „Rape“ (engl. Vergewaltigung). Es sollten also „höhere Strafen für Vergewaltiger“ eingeführt werden. Falsche Buchstaben können schnell auftreten, auch mehrfach – deshalb
Sammeldrucksache 6/3999 mit den Anträgen der Linksfraktion
„,Girokonto für alle‘ – Umsetzung der europäischen Zahlungskontenrichtlinie“ (Drs 6/3336) „Mangel an Lehrerinnen und Lehrern in Sachsen durch attraktive Einstellungspraxis begegnen“ (Drs 6/3537) Drucksachen (Drs) und Reden unter www.linksfraktion-sachsen.de
Außerdem brauchen Abendlandverteidiger eine glaubwürdige Erzählung als Schutzschirm gegen Verleumdungen. So ist spätestens seit Tatjana Festerlings Mistgabel-Rede sonnenklar, dass die „Patriotischen Europäer“ es friedlich meinen und keineswegs fordern, man möge die „#Volksverräter“ besser „#AusDenPalästenJagen“ (auch diese Hashtags verwendet Bachmann ohne Hintergedanken). Wer nun immer noch nicht von ihren friedlichen Absichten überzeugt ist, der sei an die ebenfalls missverstandene Schwester im Geiste und AfD-Vordenkerin Beatrix von Storch verwiesen. Sie war bei ihrem Plädoyer, geflüchtete Kinder und Frauen an der Grenze notfalls abzuknallen, lediglich „von der PC-Maus abgerutscht“. Wer aus diesen Beispielen lernt, dem können die Gutmenschen bei der virtuellen Verteidigung abendländischer Werte wirklich nicht mehr viel anhaben. Spaß beiseite: Strafanzeigen gegen PEGIDA-Vertreter oder deren Freunde von der AfD schüfen nur Märtyrer, lautet ein häufiger Einwand – denn sie könnten sich dann als politisch Verfolgte inszenieren. Aber soll man ihnen deshalb Straftaten durchgehen lassen? Wo soll das enden? Vielleicht empfiehlt es sich, in solchen Fällen einfach an Herbert Wehner zu erinnern, der einem wegen Weimarer Verhältnissen zeternden Franz-Josef Strauß rotzig zuwarf: „Sie armes Opfer!“ • Kevin Reißig
Impressum Screenshot: https://www.facebook.com/Lutz-Bachmann-614774168634601/
„Dringend verbesserungswürdige Verwaltungsabläufe und Zustände bei der Erstaufnahme von Geflüchteten in Sachsen“ (Drs 6/3204)
verwendete Bachmann am 3. Februar, am 7. Februar (dreimal) sowie am 8. Februar die vertippte Formulierung „RopeIsGoingToBecomeExpensive“. Vom gestressten Vaterlandsverteidiger kann schließlich niemand verlangen, das eigene Erschriebene noch einmal zu lesen, bevor es per Knopfdruck veröffentlicht wird. Bleibt noch „#TimeToLearnTieing“ („Zeit, das Knüpfen zu lernen“). Das meint, so Bachmann, lediglich „die Aufforderung, Krawatten binden zu lernen“. Was sonst! Schließlich schallte die Forderung „Bindet Krawatten!“ (nicht zu verwechseln mit „Bildet Banden“, einem Leitspruch der Antifa) schon oft über unseren schönen Theaterplatz.
Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig