LINKS! Ausgabe 5/2016

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Athener Impressionen

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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Mai 2016

Die Woche vor Ostern, vor dem katholischen und protestantischen Ostern, als Tourist in Athen: Man erlebt ein sonniges Athen und man begegnet einem trüben Athen. Natürlich ist das der Jahreszeit geschuldet, aber nicht nur. Kultur lauert in jedem Stein, deshalb ist man ja hier. Die Akropolis winkt vom Berg aus jeder Perspektive. Man kann ihrem Anblick nirgends entgehen. Das hat etwas Gutes: Man findet sich in der Stadt leicht zurecht. Über den Teil, den einem die Burg gerade zuwendet, in Verbindung mit dem Winkel, aus dem man sie sieht, kann man sich sehr gut verorten. Der Akropolis gegenüber liegt der Berg Lycabettus. Dadurch wird die Sache für Fremde noch leichter. Man besteigt Burg und Berg, besucht alles, was Pflicht ist, amüsiert sich über die Verrenkungen der Evzonen bei ihrer Wachablösung vor dem Grab des „Unbekannten Soldaten“ unterhalb des Parlaments. Für alle antiken Zeugnisse, die im Freien liegen, zahlt man insgesamt gerade mal 12 Euro und kann sie binnen vier Tagen ausführlich besichtigen. Da wundert man sich schon. Woanders wären bereits für den Eintritt in Vergleichbares wie die Akropolis mindestens 20 Euro zu löhnen. Es wird den Tourist*innen hoffentlich bewusst, dass sie sich an den ältesten Ursprüngen europäischer Kultur befinden. Ich weiß nicht, wieviel die EU für Erhalt und Pflege der reichlich vorhandenen steinernen Zeugen dieser Kultur beiträgt. Ich meine aber, dass man Griechenland dabei auf keinen Fall allein lassen dürfte. Die Last dieses Erbes muss ganz Europa mit Stolz tragen. Kultur lauert in jedem Stein – Kulturlosigkeit liegt auf den Steinen. Athen wird sozial trübe, aber zugleich auf eigene Art bunt. Menschen leben mit nötigstem Sack und Pack auf der Straße, haben ihre Decken zum Schlafen halbwegs regengeschützt unter Arkaden ausgebreitet, im dichtesten Menschengetümmel. Das sind keine Flüchtlinge, sondern solche, die in Folge der Finanzkrise ihre Wohnungen verloren haben, weil die Miete zu hoch, die Rente zu schmal, der Arbeitsplatz verloren gegangen ist. Sie bauen sich mit Kartons und Holzpaletten etwas Intimität, besuchen sich, kochen gemeinsam. Es liegen auch Ehepaare auf der Straße. Als

(deutscher) Tourist schämt man sich und ist wütend zugleich. Den Obdachlosen wird die Erhöhung der Mehrwertsteuer für Wasser und Energie nichts ausmachen. Sie wird nur die Zahl ihrer „Mitbewohner*innen“ erhöhen. Ist Athen die Quelle der Kultur Europas, so ist das heutige Europa die Ursache dieser Kulturlosigkeit. Die (langweiligen) noblen Viertel sind davon verschont. Da ist die Polizei bestochen. Die alternativen Viertel sind trotz Not lebendig. Die Not schafft Kramläden, voll von verzweifelt verkauftem und genauso verzweifelt auf Kundschaft wartendem Wohlstandsmüll. Verfall stört niemanden. Das folgt allgemeiner mediterraner Mentalität. Er hat seine eigene Schönheit. In den alternativen Vierteln schmeckt das Essen und man bleibt von „Schleppern“ verschont, die einem „ihr“ Restaurant aufschwatzen wollen. Flüchtlinge sieht man nur in Piräus, gar nicht viele. Idomeni ist weit weg, jedenfalls noch in dieser Märzwoche. Allerdings gibt es engagierte Leute, die Flüchtlinge unterbringen (leerstehende Häuser, Unigebäude) und mit Nahrung versorgen. Der Freitag – bei uns Karfreitag – ist für die orthodoxen Griechinnen und Griechen der Tag „Maria Verkündigung“. Die Kathedralen sind voll. Er ist außerdem Nationalfeiertag. Hubschrauber und drei Düsenflugzeuge überfliegen die Stadt. Die Kinder gehen mit Fähnchen zur bescheidenen Militärparade. Wir haben einen österreichischen Bekannten, der leitet in Athen eine deutschsprachige Bühne (Maerzbühne) und lebt an der Armutsgrenze. Es spielen deutsche Muttersprachler*innen, aber auch Griechinnen und Griechen. Das Spiel genießen Menschen ganz verschiedener Herkunft: Germanist*innen, Deutsche, Österreicher*innen, die sich in Athen angesiedelt haben, weil nur mehr dort ihr Geld reicht, Griechen*innen, die in Deutschland gelebt haben, Menschen, die multikulturell interessiert sind, seltener Tourist*innen, Diplomat*innen und Wirtschaftsleute. Österreichische, Deutsche und Schweizer Botschaft geben etwas Geld. Auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt jetzt das Projekt. Als in Athen lebende Österreicher*innen mit einer Protestresolution darauf aufmerksam machten, dass Griechenland mit seinen tausenden Inseln seine Grenzen nicht dicht machen kann und Frau Mikl-Leitner, damals noch Innenministerin der Alpenfestung (Entschuldigung, der Alpenrepublik), etwas leisere Töne anschlagen sollte, wurden sie von der Botschafterin zu einem „Gespräch“ eingeladen. Irgendwer fragte sie auch, ob sie Sonntag in die Kirche gingen … Peter Porsch


Links! im Gespräch

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„Menschenhandel nützt überhaupt nichts“

Bevor es im vergangenen Jahr zum starken Zustrom von Flüchtlingen über die Balkanroute kam, war die Mittelmeer-Route stärker im Gespräch. Man sprach von den Lampedusa-Flüchtlingen aus dem Maghreb. Sie sind Maghreb-Expertin. Ich muss da einmal einhaken, weil Sie vom „Zustrom von Flüchtlingen“ sprechen. Strom, das ist eine Metapher, die uns an Flüsse, an gewaltige Fluten erinnert, an irgendetwas, das wir nicht kontrollieren können, das über uns kommt, wovor wir Angst haben müssen. Ich vermeide solche Metaphern, die uns vorgeben, welche Bilder wir im Kopf haben und die das bestimmen, was wir dann darüber sagen. Dieses nur als kleine Anmerkung vorab. Es wird in den Medien ja sogar das Wort Flüchtlingskrise benutzt … Das Wort Krise bedeutet „entscheidende Wendung“ und dabei geht es eigentlich um die Überwindung von Krankheiten. Wenn aber Menschen zu uns kommen, geht es ja nicht darum, dass eine Krankheit überwunden werden muss. Aber zu Ihrer Eingangsfrage: Maghreb, dieser Begriff ist durchaus umstritten. Das ist ein arabischer Begriff für „Westen“ und wird für Gebiete Nordafrikas verwandt, die arabisiert wurden und dann auch unter osmanischem Einfluss standen. Diejenigen aber, die in das osmanische Reich einverleibt wurden, sehen sich bis heute durchaus nicht als Araber, sondern eher als Berber. Viele wehren sich gegen den Begriff Maghreb, weil damit gleich eine Arabisierung verbunden ist. Es gibt also Konfliktlinien zwischen den sich als Berber verstehenden Algeriern, Marokkanern und Tunesiern einerseits und den Arabern andererseits? Wenn man Berber als Araber anspricht, dann werden sie wütend, denn sie sehen sich selbst als Imazigh oder Tamazigh, also als Angehörige des „Freien Vol-

kes“, die auch eine eigene Sprache sprechen und ein eigenes Alphabet haben. Für diese Menschen sind Araber eher die reichen Saudis, die sie auspressen. Welche Länder zählen zum Maghreb? Klassischerweise Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen – also all die Länder Nordafrikas. Was kann man zur Bevölkerungsstruktur in diesen Ländern sagen, vor allem in Tunesien und Algerien? Während wir in Europa von alternden Gesellschaften sprechen, herrschen südlich des Mittelmeeres junge Gesellschaften vor. Gesellschaften, die aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Situation den jungen Menschen kein adäquates Angebot an Arbeitsplätzen schaffen. So haben viele trotz guter Ausbildung keine Perspektive. Viele landen mit einem Hochschulabschluss in einem Callcenter – wenn sie Glück haben. Für einen guten Job muss man jemanden kennen, der einen kennt, jemanden mit „breiten Schultern“, der einen dann reinhievt. Es sind, wie man das im gesamten Mittelmeerraum kennt, eher klientelistische Verhältnisse. Wenn staatliche Strukturen nicht funktionieren, werden Beziehungen wichtiger. Die Eliten sind eher an persönlicher Bereicherung interessiert und weniger an einer gerechten Entwicklung. Was die Instabilität Tunesiens betrifft, so soll dazu auch die Zerstörung Libyens gehörig beigetragen haben. Stimmt es, dass die Libyer bis zum Beginn des Krieges wesentlich mehr Geld in Tunesien gelassen haben als westliche Touristen und damit für die Wirt-

schaft und das Auskommen der Tunesier wichtiger waren? Ohne genaue Zahlen zu haben, kann ich mir das sehr gut vorstellen. Das gilt auch für die wenig geschätzten Saudis. Es ist wichtig zu wissen, dass insbesondere Grenzregionen sehr eng verzahnt sind – also Südtunesien und grenznahe Regionen in Libyen. Dort lebt man praktisch vom wirtschaftlichen Austausch. Vor dem Fall Gaddafis gab es schon eine blühende Schmuggelökonomie. Es wurden Öl, Baustoffe und anderes aus Libyen geschmuggelt. Man kann das den informellen Sektor nennen. Eingebunden waren der Zoll, die Polizei, das Militär usw. – die waren alle geschmiert und haben ein Auge zugedrückt. Unter dem alten Regime von Ben Ali, dem tunesischen Staatschef, gab es eine stillschweigende Vereinbarung, dass man die Tunesier die Geschäfte mit Libyen machen ließ, wenn im Gegenzug die Libyer dafür sorgten, dass keine Islamisten nach Tunesien gelangen konnten und keine Waffen geschmuggelt wurden. Das hat tatsächlich soweit funktioniert – bis die NATO eingegriffen hat. Die Überlegungen waren nach dem Fall Ben Alis sogar so weit gediehen, dass man an die Einrichtung einer Freihandelszone gedacht hat, um diese Regionen zu stärken. Es bleibt den Menschen im Süden wahrscheinlich auch nichts anderes übrig, weil der Tourismus auf die Küstenregionen konzentriert ist ... Auch an der Grenze zu Algerien leben viele vom Schmuggel – es gibt praktisch keine anderen Erwerbsmöglichkeiten. Deshalb waren es ja gerade diese wirtschaftlich abgehängten Regionen im Hinterland, in denen sich die tunesische Revolution entwi-

ckelt hat. Nach den Anschlägen jedoch ist auch der Tourismus zurückgegangen. Das trifft nun die besser gestellten Küstenregionen. Das wiederum führt zu einer Instabilität des Landes und damit gerät die Regierung immer stärker in Bedrängnis. Die Menschen sehen nicht, dass sich ihre Situation verbessert. Auch deshalb wollen viele ihr Glück in Europa versuchen. Was kann Europa tun, damit es Tunesien besser geht? Ich finde, Europa sollte tätig werden und zwar auch und insbesondere mit massiver wirtschaftlicher Unterstützung. Sonst werden auch die demokratischen Errungenschaften im Lande zunichte gemacht.

Unbeachtet geblieben, aber mit Konsequenzen für Europa verbunden, ist die Einführung des visafreien Verkehrs beispielsweise zwischen der Türkei und Marokko vor einigen Jahren. Einige Marokkaner verzichten seither auf die gefährliche Mittelmeer-Route, sagt man. Wer es sich leisten kann, fliegt in die Türkei und versucht von dort aus in die EU zu kommen. Es ist wichtig, in dem Zusammenhang den Schengen-Mechanismus insgesamt unter die Lupe zu nehmen. Die Freizügigkeit innerhalb der EU hatte eine stärkere Abschottung nach außen zur Voraussetzung, so dass de facto eine legale Einreise sehr viel schwieriger geworden ist. Es kam zur irrigen Annahme, dass man Migration so regeln kann wie den Straßenverkehr. Das muss man sich abschminken. Wer das Geld hat, nimmt das Flugzeug – und kann auch Beamte bestechen oder sich Papiere besorgen. Wer das nicht kann, dem bleibt das Boot …

Foto: privat

Der große Migrationsstrom über die Balkanroute scheint der Vergangenheit anzugehören. Das Augenmerk der Europäer in Sachen Migration wird sich bald wieder auf die Mittelmeer-Route verlagern. Im Brennpunkt stehen Länder wie Tunesien, Marokko oder Libyen. An der Universität Chemnitz lehrt Heidrun Friese Interkulturelle Kommunikation. Zu ihren Forschungsinteressen gehören die postkolonialen Perspektiven in den betreffenden Ländern. Ralf Richter sprach mit der Maghreb-Expertin.

Sie sind auch oft auf Lampedusa – was haben Sie dort erlebt, Stichwort Boote? Nach der tunesischen Revolution sind viele junge Menschen aus Tunesien und Algerien dort angekommen. Ich habe mit vielen gesprochen und erinnere mich an junge Leute, die kein Visum bekommen hatten, um zu einer Hochzeit nach Paris zu reisen – daraufhin haben sie sich ins Boot gesetzt … Mit genau dieser restriktiven Visa-Vergabe produziert man das, was man dann beklagt: die sogenannte illegale Einreise. Wie stehen Sie zum „Deal“ mit der Türkei? Steinmeier war unterwegs und hat schon wieder Menschenhandel betrieben. Das nützt dem Westen überhaupt nichts. Man unterstützt die korrupten Regimes, sperrt Menschen ein, produziert die Unzufriedenheit mit und beklagt sich dann, dass Menschen in Europa Freiheit suchen. Es geht nicht an, dass man seine eigenen Standards untergräbt und ständig diese Deals macht. Das wird auf Dauer auch nicht funktionieren. Man kann doch nicht laufend mit antidemokratischen autokratischen Regimen Menschenhandel betreiben, und dann wird gesagt: „Wir müssen etwas gegen die Schmuggler unternehmen“. Sechs Milliarden an Erdogan – das nenne ich Menschenhandel. Das Problem sind nicht die Fluchthelfer, die Menschen aus dem Land bringen, weil man ihnen den Weg versperrt, legal ausreisen zu können. Das ist das, was mich wirklich aufregt.

Die „Ereignisse von Köln“ zu Silvester haben viele aufgewühlt. Wie sehen Sie das? Stellen Sie sich vor, Sie sind allein in einem Land, da suchen Sie Gruppenanschluss. Zugleich werden Sie nicht mehr überwacht vom sozialen Umfeld wie in Ihrem Dorf oder wie in Ihrem Viertel. Es gibt überhaupt keine soziale Kontrolle mehr. Mama und Papa sind nicht da, die sagen könnten: „So geht das aber nicht!“ Es bilden sich MännerGangs, die versuchen, schnell an Geld zu kommen. Das hat nichts mit „anderer Kultur“ oder „Libido“ zu tun. Die wissen sehr gut, dass man das weder hier noch dort macht. Dem begegnet man in Marokko oder Tunesien mit polizeilicher Härte. Die Zustände im dortigen Polizeigewahrsam unterscheiden sich massiv von denen in Deutschland. Wenn die jungen Männer aber hier erleben, dass ihnen gar nichts passiert … das hat nichts mit Kultur oder Religion zu tun, dagegen hilft nur die konsequente Anwendung von Recht und Gesetz.


Die dritte Seite

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Die PCP und die Diktatur des Estado Novo Portugal ist eine alte Nation und seit dem 12. Jahrhundert ein unabhängiger Staat. Das Land lebte unter vier Dynastien der Monarchie, bis zum 5. Oktober 1910. An diesem Tag wurde nach einer erfolgreichen bürgerlichen Revolution die Portugiesische Republik ausgerufen. Zwischen 1910 und 1926 erlebte das Land eine sehr instabile Lage: monarchistische Verschwörungen und schwache, kurzlebige bürgerliche Regierungen prägten das politische Leben in oft turbulenter Atmosphäre. Bürgerliche Kräfte, demokratische, republikanische, liberale, monarchistische PolitikerInnen und Parteien wechselten ihre Bündnisse ständig und hatten leichtes Spiel gegen das Volk. Die anarcho-gewerkschaftlichen Kräfte mit ihrer Taktik (direkte Aktion und allgemeiner Streik) waren nicht in der Lage, die Arbeiterklasse erfolgreich zu leiten, die unter großer Ausbeutung, Armut, Analphabetismus und Repression litt. Die sogenannte Erste Republik ließ viele Strukturen der Monarchie intakt und konnte die Probleme der Arbeiter oder den Rückstand des Landes nicht überwinden. Bereits im Jahre 1917, mit Sidónio Pais, musste Portugal eine proto-faschistische Erfahrung erleiden. Das Echo der Oktoberrevolution wurde weltweit gehört und hat auch die fortschrittlichen Schichten und die portugiesische Arbeiterklasse positiv

beeinflusst. Zwei Jahre nach ihrer Gründung führte die PCP ihren ersten Parteitag durch, der vom 10. bis zum 12. November 1923 stattfand. Während dieses Parteitags forderten schon einige Delegierte eine Bodenreform nach dem Motto: „Die Äcker denen, die sie bestellen“. Oder: Sie verlangten acht tägliche Stunden Arbeit auf den Feldern. Die Tagung wurde streng von der Polizei überwacht. Und schon zu dieser Zeit spürten die Delegierten die Gefahren des Faschismus, sowohl im Lande als auch international. Die Zeichen aus Italien und Spanien mit Mussolini und Primo Rivera wurden immer deutlicher. Die PCP war immer bei der Arbeiterklasse fest verwurzelt, forderte Sozialdemokraten und Anarchisten zur Einheit gegen faschistische Kräfte heraus, aber leider blieb ihr Ruf nach gemeinsamem Widerstand erfolglos. Am 18. April 1925 probten die Großbourgeoisie und die Großgrundbesitzer mit militärischen Putschisten den Aufstand gegen das Volk, aber dieser Versuch scheiterte. Erst am 28. Mai 1926 konnte ein neuer Putsch die Erste Republik im Lande beseitigen. An ihre Stelle trat der sogenannte Estado Novo, eine Militärdiktatur, die sich allmählich zu einem faschistischen, korporatistischen Ständestaat entwickelte. Der zweite Parteitag der PCP wurde am 28. und 29. Mai 1926 durch-

geführt und durch den gleichzeitigen Putsch stark konditioniert. Die Partei wurde nach dem Putsch sofort verboten, wie alle Parteien. Der Estado Novo, inspiriert von Mussolinis Muster, duldete kein parlamentarisches Leben, wollte nur seine eigene Partei haben. Die Sozialdemokraten lösten sich selbst auf. Die Parteien der Ersten Republik verschwanden sämtlich. Die

PCP ging jedoch in die Illegalität und organisierte den antifaschistischen Widerstandskampf bis zur Niederlage des Faschismus, bis zur ruhmreichen Nelkenrevolution am 25. April 1974. Nach der Gründung und trotz aller Schwierigkeiten einer neuen Partei mit wenigen Jahren in Existenz (z. B. die Absetzung eines Generalsekretärs im Jahre 1925), konnte sie

dank ihrer Klassennatur immer bestehen, und zwar bis heute. Schon im Jahre 1929 hatte sie eine starke Organisation und einen sehr begabten Revolutionär als Generalsekretär, Bento Gonçalves!, der später im KZ Tarrafal sterben würde. Die Repression nahm zu, die Führung von Diktator Salazar wurde immer stärker. Die PCP und ihre Anführer wurden Hauptziel staatlicher Unterdrückungsmaßnahmen. Viele KommunistInnen wurden von PIDE (die portugiesische Geheimpolizei nach Gestapomuster) gefoltert, getötet, verbannt nach Angola, Timor oder ins Internierungslager Tarrafal auf den kapverdischen Inseln gesteckt. Viele verstarben dort unter unmenschlichen, ja grausamsten Bedingungen. Bis heute kämpft die PCP in Portugal für mehr Demokratie, Freiheit, Gleichheit und Fortschritt, für Sozialismus und Kommunismus. Die PCP – Partido Comunista Português – (portugiesische kommunistische Partei) ist eine der ältesten, aktiven Kommunistischen Parteien in Europa. Die Partei wurde am 6. März 1921 in Lissabon als portugiesische Sektion der Komintern (Kommunistische Internationale) gegründet; sie betrachtet sich als eine marxistisch-leninistische Partei, die Avantgarde der portugiesischen Arbeiterklasse, als patriotische und internationalistische Partei. L. Rosa

Heute, der Tag, an dem ich diese Glosse schreibe, ist der 25. April. Ich weile seit gestern in Graz. Der Schreck über den Wahlsonntag am 13. März, der Schreck über die Erfolge der AfD und die Niederlagen der LINKEN sitzt mir auch in Graz noch in den Knochen. Da schlägt neue Unbill zu. Österreich hat den ersten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl hinter sich. Der Kandidat der FPÖ (Norbert Hofer) hat mit dem patriotischen Imperativ, „Steh auf für Österreich“, einen Kantersieg errungen; den Wählerinnen und Wählern sei Dank aber noch nicht den finalen Wahlsieg. Der Zweite, der Grüne Alex-

ander van der Bellen, zwingt, 15% dahinter, den in Wirklichkeit stramm deutsch-nationalen Burschenschafter der FPÖ zum letzten Gefecht. Sozialdemokratie und Christlich-Konservative sind mit ihren Kandidaten kläglich gescheitert. FPÖ und AfD sind nicht weit auseinander. Historisch schon, denn die FPÖ geht auf eine Parteiengründung ehemaliger Nazis im Jahre 1949 zurück. Aktuell und programmatisch sind sie fast völlig kongruent. Nationalistisch und migrationsfeindlich geben sie sich als konsequente Kritiker des politischen Establishments und Sachwalter der „Kleinen Leute“. Der Neuordnung Europas mit Hilfe von Stacheldraht applaudieren sie. Die Wahlergebnisse in Deutschland wie in Österreich werden als politische Zeitenwende bejubelt. Sind sie also aufgewacht, die Verdammten dieser Erde? Sieht so aus. Aber was treibt sie um? Offensichtlich unsanft geweckt, rufen sie schlaftrunken und noch von Alpträumen

geplagt „Wir sind das Volk!“. In bester Absicht, nämlich die etablierten Politikkartelle abzustrafen, haben sie aber das Dümmste getan, was man nur tun kann. Sie haben jene gewählt, die sie in die nationalistische Sackgasse führen werden. Sie haben jene gewählt, die den Zufall der Herkunft und Sozialisation zu einem Naturgesetz der Überlegen-

Ein österreichischer Politiker hat es auf den Punkt gebracht. „Im Ernstfall wählt man nicht das Schmiedel, sondern den Schmied“. Die LINKE blieb außen vor, geschätzt von nicht wenigen wegen ihrer humanistischen und sozialen Grundpositionen. Von sehr viel mehr jedoch verunsichert gemieden wegen ihrer Konzeptionslosigkeit für die Umsetzung der Prinzipien. Frau Merkel aber baut ihre potjomkinschen Dörfer. In sechs Stunden Türkeibesuch führt sie die Welt in die Irre mit trachtengekleideten, singenden Flüchtlingskindern in angeblich vorbildlichen Lagern. Was als Ausfluss konkreter türkisch-deutscher Humanität dastehen soll, ist freilich in Wirklichkeit die Realität des Bruchs verbriefter Menschenrechte. Was die makabre Kulisse der „menschenfreundlichen“ Lager betrifft, versage ich mir weitere Assoziationen. Der Spuk war schnell vorbei und es ging tags darauf zur eigentlichen Sache. Arm in Arm mit Barack Obama sollte TTIP möglichst in Sack und Tüten

gebracht werden. Spätestens jetzt ist die Katze aber aus dem Sack und uns bleibt nur die Hoffnung auf Widerstand, der das alles doch nicht in die Tüte kommen lässt: Es geht um die Sicherheit des großen Geschäfts für die großen Geschäftemacher. Alles streng geheim, weil letztlich zum Schaden für jene, „die stets man nur zum Hunger zwingt“. Was zwischen Europa und den USA immerhin verhandelt wird, wird anderswo mit Waffengewalt erzwungen. Das bringt in der Folge nicht immer schöne Bilder. Wir sehen ertrunkene Kinder. Wir hören von Hunderten im Mittelmeer jämmerlich Ersoffenen. Solche Bilder müssten wir eben ertragen, sagen uns führende Politiker – und nicht zuletzt und am deutlichsten auch jene, die gerade begeistert gewählt wurden. „Verdammt“, möchte man rufen, „mischt Euch doch mal unter die Verzweifelten, fahrt mit ihnen übers Mittelmeer – und macht noch schnell ein Selfie, bevor ihr untergeht!“

Wacht auf Verdammte heit des Eigenen und seiner Gefährdung durch das Fremde umdeuten. Sie haben jene gewählt, die die Verdammten dieser Erde mit ihren Kampfbegriffen wie „Leitkultur“, „Parallelgesellschaften“ oder „Integration“, die eigentlich als Assimilation verstanden wird, aufeinanderhetzen. Die etablierte Politkaste hat versucht, dieses reißende Wasser in die eigenen Kanäle umzuleiten. Das ist kläglich misslungen.


Hintergrund

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Zwei ungewöhnliche Erzähler Willi Beitz stellt neuentdeckte Bücher von Sawinkow und Ossorgin vor Willi Beitz als Rezensent: Der anerkannte Leipziger Literaturwissenschaftler, der sich in der Herbstreife seines Lebens auch als Landschaftsmaler einen Namen gemacht hat, besticht durch weise Präsenz. Gespeist aus originärer Sicht auf die Dinge, aus geradezu barmherziger Einfühlung in Autor und Werk, aus verantwortungsbewusstem Urteil gegenüber dem Auditorium. Höchste Sachkenntnis und doch immer neue Tauchgänge in die Tiefen wohlbekannter Literatur zeichnen den Emeritus als getreuen Sachwalter der russischen und sowjetischen Dichtung aus. Dass er auch Neuentdeckungen mit ungezügelter Leidenschaft begegnet, konnten die Teilnehmer des 14. Jour fixe Mitte April im voll besetzten Salon der RosaLuxemburg-Stiftung Sachsen erleben. Willi Beitz stellte ihnen zwei verschollen geglaubte Bücher vor: „Das fahle Pferd“ von Boris Sawinkow (1918) und „Eine Straße in Moskau“ von Michail Ossorgin (1928). Beinahe entschuldigend bekannte er: „Beide Autoren waren mir nicht vertraut. Ihre Texte bedeuteten auch für mich ein Ersterlebnis“. Was heißen mochte, er habe keine (end)gültige Interpretation parat. Sympathisches Understatement. Jene, die ihn besser kennen, wissen ohnehin um sei-

ne Mentalität, den Hörern gern Denkanstöße zu geben, ihnen aber viel Raum für die eigene Aneignung des Stoffs zu lassen. Der Berichterstatter kann hier die klugen Kommentare des Slawisten, in denen er Autoren und Publikationen in die politischen und literarischen Verhältnisse ihrer Zeit gestellt hat, ebenso wenig ausbreiten wie dessen detaillierte Rezension der Werke selbst. Einige Schlaglichter mögen aber auf zwei literarische Ereignisse neugierig machen. Die wechselvolle Biografie Boris Sawinkows zu erfassen, eines zwischen terroristischer und schriftstellerischer Tätigkeit Pendelnden, beruft sich Willi Beitz auf Ilja Ehrenburg: „Nie war ich so einem merkwürdigen Menschen begegnet ...“ Gut angezogen, könne er seine militaristische Ader nicht verleugnen. Das Problem Terror spalte die Kritiker von Sawinkows Buch „Das fahle Pferd“ (1918), hat Beitz bei seinen Recherchen festgestellt. Da Terror die Leute so stark bewegt habe, seien bestimmte Fehlurteile bei der Beurteilung des Werkes nicht zu übersehen – etwa, indem die Darstellung im Buch mit der Realität verwechselt und die Kunstleistung des Autors unterschätzt werde. Er selbst teile das Lob jener Stimmen, Sawinkow habe sich als Erzähler mit dem in Tagebuchform Geschriebenem von Tod und Vernichtung (Synonym für

„fahles Pferd“) diszipliniert. Dessen knapper, lakonischer, starker Stil dränge ihm Maxim Billers, des Schriftstellers und Kritikers, Vergleich auf: „Als hätte Hemingway einen Roman

winkow, wird die zweite Offenbarung eingeführt. Sein 1928 erschienenes Buch „Eine Straße in Moskau“ stehe voll in der russischen Tradition. Der Erzähler geleite den Leser durch ein Boris Sawinkow.

über die russische Revolution geschrieben ...“. Wenn er selbst Sawinkows Prosa mit der Malweise eines Kandinsky ins Verhältnis setzt, kommt beim Literaturwissenschaftler Beitz der Maler Beitz durch: „Sawinkows Sprache ist in Analogie zur bildenden Kunst die Moderne“. Michail Ossorgin sei als Erzähler das ganze Gegenteil von Sa-

präzise beschriebenes Haus, in dem die unterschiedlichsten und eigenartigsten Leute wohnen, wie der Ornithologie-Professor, oder dort miteinander verkehren, wie weitere Professoren, Studenten, ein Komponist, ein Physiker ... Ihre Schicksale dienten dem Autor, sich mit dem Verhältnis von Krieg und Revolution, von Revoluti-

on und Sowjetmacht in Zeiten des aufziehenden Stalinismus auseinanderzusetzen. Ein Vogel nütze Ossorgin, den Weltkrieg aus ungefährlicher Höhe zu beobachten. „Stumpf“, der Krüppel ohne Arme und Beine, repräsentiere die bitteren Folgen der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Willi Beitz sieht die Stärke des Werkes darin, dass Ossorgin die Oktoberrevolution unter dem Blickwinkel ins Auge gefasst habe, was sie für Russland bedeutet. Bei allem berechtigten Pessimismus gäbe der die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft nicht auf. In Tanja, einer Figur wie aus einem Roman Turgenjews, erkennt Beitz dafür das lebendige Sinnbild. Eine lebhafte Diskussion dankt ihm. Einmütige Zustimmung zu Manfred Neuhaus‘ Begrüßungsworten: „Wenn künftige Literaturhistoriker aus gebührender zeitlicher Distanz über die wissenschaftlichen Leistungen befinden, die Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei der Erforschung von russischer Literatur erbrachte, dann wird in ihrer ‚Hitparade‘ der von Willi Beitz herausgegebene Band ‚Vom Tauwetter zur Perestroika‘ mit ganz oben landen‘, befand die Literaturkritik bereits vor zwei Jahrzehnten. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen verdankt Willi Beitz großartige Vorträge“. Der über die Sawinkow-Ossorgin-Erweckung gehört dazu. Wulf Skaun

Gegenpol zur Kapitalseite Anlässlich des 1. Mai sprach Simone Hock mit Ingo Kaiser aus dem Kreisverband Meißen. Er ist Mitglied im Landesrat und aktives Gewerkschaftsmitglied. Gewerkschaften und der 1. Mai sind eng verbunden. Welche gemeinsame Geschichte gibt es? Die Gewerkschaften und der 1. Mai sind immer schon historisch verbunden gewesen. Bereits 1856 wurde Bauarbeitern in Australien ein 8-Stunden-Arbeitstag zugestanden. In Amerika gab es den „Labor-Day“ und „MovingDay“, das sind Vorläufer des 1. Mai. Der 1. Mai 1886 begann in Chicago mit einem Massaker. 1890 gab es weltweit erstmals Maidemonstrationen. Wie hat sich die Bedeutung des 1. Mai im Laufe seiner Geschichte verändert? Ursprung war er der Kampf um Arbeitszeitverkürzung für die Arbeiterklasse. 1918/19 mit der Räterepublik wurde der 8-Stunden-Tag und der 1. Mai als gesetzlicher Feiertag eingeführt.

Nazis und später auch die DDR missbrauchten den 1. Mai für ihre politischen Ziele. Welche Bedeutung hat dieser Tag heute? Ist er nur noch Ritual? Der 1. Mai gewinnt wieder an Bedeutung, gestaltet sich aber regional unterschiedlich und hängt oft vom gewerkschaftlichen Organisierungsgrad der Unternehmen ab. Das niedrige Lohnniveau, besonders in Sachsen und generell im Osten, wird oft auch auf die Schwäche der Gewerkschaften zurückgeführt. Wie siehst du das? Die bundesweit gültigen Tarifverträge (Allgemeinverbindlichkeit) zum Beispiel für das Elektrohandwerk wurden für Berlin und Brandenburg vollzogen. In Sachsen gibt es keine derartige Vereinbarung. Es wurde vom Landesinnungsverband und der CDU-Regierung abgelehnt. Stecken die Gewerkschaften in der Krise?

Grundsätzlich nein! Die schwächere Gruppe der abhängig Beschäftigten braucht einen starken Gegenpart zur Arbeitgeber- bzw. Kapitalistenseite. Sind Gewerkschaften politische Organisationen? Gewerkschaften sind politische Organisationen. Sie müssen es sein, um einen Gegenpol zur Kapitalseite darstellen zu können. Wie stehst Du zum Thema politischer Streik? Ein politischer Streik oder Generalstreik sollten möglich sein. Deutschland hat in Europa die wenigsten Streiktage. Der Wiesbadener Appell steht für ein umfassendes Streikrecht. Für den Mindestlohn hätte man zum Beispiel einen politischen Streik machen können. Ist der Kampf für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen ausreichend oder sollte die Vernetzungs- und Organisationsleistung, die Gewerkschaften erbringen, auch genutzt werden, um darüber hinaus-

gehende Ziele zu verfolgen? Es muss mehr getan werden und wird auch getan. Wochenarbeitszeit und Lebensarbeitszeit kürzen, Qualifizierung, Altersteilzeit, Bildungsurlaub (Länder), Betriebsrenten einfordern, Rentenniveau wieder erhöhen, OstWest-Renten angleichen, keine Doppelbesteuerung für Renten – all das steht auf der Agenda. Der DGB ist Dachverband vieler Gewerkschaften. Aus welchen Gründen schließen sich Gewerkschaften nicht dem DGB an? Der DGB mit seinen acht Einzelgewerkschaften vertritt ca. 6,6 Millionen Gewerkschaftsmitglieder. Ansonsten gibt es mit dem CGB ca. 100 unterschiedliche kleine Branchengewerkschaften. Man darf nicht vergessen, dass sich SIEMENS mal eine Gewerkschaft kaufte. Worin unterscheiden sich die Gewerkschaften innerhalb und außerhalb des DGB? Innerhalb des DGB gibt es eine gute Kommunikation. Ande-

re „Gewerkschaften“ vertreten meist nur Brancheninteressen. Ob sie wirklich streiken können, muss bezweifelt werden. Alle DGB-Gewerkschaften sind streikfähig. Tarifverträge müssen durchsetzbar sein. Dazu braucht man einen hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad, sonst ist kein Streik zur Durchsetzung der Forderung möglich - wie das beispielsweise 1957 der Fall war, als die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erstreikt wurde. Wie sollten Gewerkschaften auf die Veränderungen in der Arbeitswelt - Stichworte Digitalisierung, Technologisierung, Industrie 4.0, Prekarisierung, Vereinzelung – reagieren? Gewerkschaften haben sich ständig in der Arbeitswelt den neuen Anforderungen und Veränderungen anpassen müssen. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist das ständige Ziel. Dabei haben auch Arbeitsmedizin und Arbeitsschutz eine hohe Priorität.


Geschichte

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Die Arbeit fängt gerade von vorne an

Zum 100. Jahrestag erscheint im Mai eine kritische Neuausgabe von Lenins Imperialismusstudie im Berliner Verlag 8. Mai

Während Hugo Ball und seine Freunde im Zürcher „Cabaret Voltaire“ im Februar 1916 den Dadaismus aus der Taufe hoben, formulierte ein russischer Emigrant im Nebenhaus eines seiner wirkungsmächtigsten Werke. In den ersten Monaten des Jahres 1916 brachte W. I. Lenin in einem spartanisch möblierten Zimmer der Spiegelgasse 14 seine berühmte Untersuchung „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ zu Papier. Das mit Rücksicht auf die Zensur geschriebene Werk konnte allerdings erst nach dem Sturz des Zaren im Sommer 1917 in Petrograd erscheinen. Der 100. Jahrestag der Fertigstellung des Manuskripts bietet den Anlass für eine kritische Neuausgabe. Auf der Basis moderner Editionsprinzipien präsentieren die Herausgeber Wladislaw Hedeler und Volker Külow neue Forschungsergebnisse. Erstmals wird die Geschichte der Entstehung und Veröffentlichung des Werkes sowie der Personenkreis, mit dem Lenin in Verbindung stand, auf gesicherter Quellenbasis umfassend und jenseits parteipolitischer Instrumentalisierung dargestellt. Außerdem dokumentieren die Herausgeber, welche Quellen und welche Literatur Lenin ausgewertet hat. Dabei wird auch das Konvolut der 21 berühmten „Hefte zum Imperialismus“ einbezogen. Diese verbreiterte Materialgrundlage erlaubt neue Einsichten in die innere Logik und die themati-

sche Bandbreite von Lenins Forschungsprozess. Wie sich zeigt, hatte er eine enzyklopädische Perspektive und war darauf aus, die ökonomischen, politischen und geistig-ideologischen Aspekte des zeitgenössischen Imperialismus in ihrer Totalität zu erfassen. Lenin rezipierte Veröffentlichungen renommierter Autoren und bekannter Gelehrter wie Hobson, Hilferding, Lansburgh, Liefmann, Riesser, Sartorius von Waltershausen und Schulze-Gaevernitz, aber auch Publikationen akademischer Außenseiter, die in den Annalen der Wissenschaftsgeschichte nur wenig Spuren hinterlassen haben und deren Originalität heute

bestenfalls noch Spezialisten zu schätzen wissen. Wie sich zeigt, profitierte Lenin allerdings viel mehr, als bisher bekannt ist, von den Studien solcher Mitstreiter wie Bucharin und Sinowjew. Die Darbietung und Kommentierung weiterer Texte Lenins aus den Jahren 1915/1916 und der Abdruck des berühmten Manifests, das der Internationale Sozialistenkongress in Basel 1912 verabschiedete hatte, erleichtern die Einbettung des Werkes in den imperialismustheoretischen Diskurs am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Der Erläuterung und Kommentierung der Texte dient ein zweigliedriger Fußnotenapparat. Dabei han-

Lenin: Hefte zum Imperialismus, Heft Gamma (γ), S. 30

Wlassow – Diener zweier Herren Zur Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges gehört die Geschichte des Verrats – dem des sowjetischen Generals Andrej A. Wlassow. Geboren 1901 in Nishnij-Nowgorod, besuchte er, wie Stalin, zunächst ein Priesterseminar. 1919 zog es ihn in die Roten Garden, 1930 wurde er Mitglied der KPdSU. Ende der 1930er Jahre arbeitete er in China als Militärberater von Tschiang Kai Schek. 1940 zu, Generalmajor befördert, erhielt er zum 23. Jahrestag der Roten Armee den Leninorden. Das war 1941, dem Jahr des faschistischen Überfalls. Nun, als Befehlshaber der 20. Armee der Westfront, trug Wlassow zum Sieg der Roten Armee in der Schlacht um Moskau bei. Daraufhin wurde er als Volksheld gefeiert. Ilja Ehrenburg nannte den General 1942 „einen interessanten, ehrgeizigen und mutigen

Menschen“. Nach den Memoiren von N. Chruschtschow war Wlassow „als ein rechtschaffener Mann und als sehr fähiger Kommandeur“. Doch im Sommer 1942 mutierte dieser „mutige Mensch“ zum Verräter. Stalin hatte ihn in den Leningrader Raum geschickt, um zur Entlastung der Sowjettruppen beizutragen. Dabei wurde Wlassow mit der 2. Stoßarmee der Wolchow-Front eingekesselt. Seine Soldaten im Stich lassend, versuchte er zu entkommen. Mit Erfolg. Aber der Wehrmachtsbericht vom 14. Juli 1942 meldete seine Gefangennahme. Der Stalin-Befehl vom August 1941, wonach jeder, der in Kriegsgefangenschaft gerät, mit seinen Angehörigen als Verräter anzusehen war, brachte Anna Michailowna, Wlassows Frau, ins Arbeitslager. Der Kriegsgefangene Wlassow gab in den Verhören bereitwillig

Antwort. Auskunftsbereit zeigt er sich auch in Winniza gegenüber Oberst Reinhard Gehlen, Abt. Fremde Heere Ost, der ihm die Bildung einer „Russischen Befreiungsarmee“ vorschlug, wogegen Wlassow keine Einwände hatte. Dafür lehnte zum Beispiel Generalfeldmarschall Keitel diese Bestrebungen energisch ab. Dennoch fanden sich im faschistischen Deutschland genug Komplizen, die bereit waren, die verräterischen Ambitionen eines Andrej A. Wlassow zu fördern. So sprach man Mitte 1943 in einem „Smolensker Aufruf“ fiktiv vom Bestehen einer Gegenregierung zu Stalin. Ferner enthielt das Papier Zusagen von Demokratie, Meinungsfreiheit und die Unterschrift Wlassows. Februar/März 1943 absolvierte der Überläufer ein Besuchsprogramm bei zwei Heeresgruppen – in besetzten Gebieten der UdSSR! Gehlen

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delt es sich zunächst um Lenins Quellen- und Literaturverweise. Im Fußnotenapparat der Herausgeber werden Mängel bisheriger Editionen beseitigt und vor allem diejenigen Textpassagen nachgewiesen, die Lenin aus den „Heften zum Imperialismus“ in seine Studie übernahm. In ihrem Kommentar rekonstruieren Hedeler und Külow die Geschichte der Entstehung und Überlieferung des Werkes anhand neuer Quellen. Sie schildern eindringlich, wie die Bemühungen um das literarische Erbe Lenins, die Vorbereitung und Herausgabe der Werkausgaben und der Lenin-Sammelbände seit Mitte der 1920er Jahre immer stärker in den Sog der innerparteilichen Fraktionskämpfe gerieten. Als die „Hefte zum Imperialismus“ 1939 erstmals vollständig in gedruckter Form vorlagen, so eine ihrer bitterbösen Pointen, waren die meisten Editoren längst auf Stalins Geheiß umgebracht worden. Fünf Verzeichnisse erschließen die Texte Lenins. In einem opulenten Abbildungsteil veranschaulichen 60 Illustrationen aus Moskauer und Zürcher Archiven, viele davon werden zum ersten Mal veröffentlicht, die Darstellung der Herausgeber. Die kritische Neuausgabe wird durch Essays von Dietmar Dath und Christoph Türcke eingeleitet. Beide Autoren unterbreiten anregende Gedanken für eine Reaktualisierung von Lenins Werk. Dath stellt seine Relektüre unter die Überschrift „Text und Tat. Die fortlebende Herausforderung von Lenins Buch über den Imperialismus“. Er sieht in dessen Analyse „vor allem eine Schule des dialektischen Den-

kens … die ihm erlaubte, mit seiner nach hundert Jahren immer noch erstaunlich hilfreichen, nahezu unverminderten Sehschärfe nach links und rechts zu sehen“. Dath ist nach dem gescheiterten Sozialismusversuch jedoch Realist genug, um die vor der heutigen Generation stehenden Aufgaben nüchtern zu beschreiben: „In gewisser, sehr niederdrückender, sehr mühsamer Weise, fängt die Arbeit, die Lenin leistete, seither wieder gerade von vorne an“. Die Wortmeldung des Leipziger Philosophen Türcke trägt den Titel „Deregulierter Imperialismus“. Auch er postuliert, dass „man aus Lenins hundert Jahre alter Imperialismusschrift weit mehr als aus vielen aktuellen Reportagen zur Lage in den gegenwärtigen Krisengebieten“ erfährt. „Lenin bietet einen verblüffend prägnanten Begriff jenes Imperialismus, dessen globale Deregulierung wir erleben“. Eine besonders originelle Deutung unterbreitet Türcke zum vielzitierten Fäulnisbegriff: „Mit seiner Einschätzung, dass der ‚Imperialismus bei lebendigem Leibe‘ verfault, lag Lenin richtiger als er selbst ahnen konnte. Nur folgt aus ihr nicht der Sozialismus. Verfaulende Organismen gehen zugrunde. Soziale Gebilde können sich hingegen – ähnlich wie ein Sumpf – durch Gären und Faulen unabsehbar lange regenerieren“. Die kritische Neuausgabe bezeugt, dass ihr Autor alles andere als ein toter Hund ist. Dem selbst gewählten Anspruch, Impulse für eine neue Lenin-Lektüre zu vermitteln, wird das vorliegende Buch auf überzeugende Weise gerecht. Daniel Sieben

begann im Frühjahr die Operation „Silberstreif“. Sie sollte Sowjetsoldaten dazu bewegen, sich in Gefangenschaft zu begeben. Versprochen wurde eine bevorzugte Behandlung. Unter Wlassows Befehl sollten sie dann in einer „Russischen Befreiungsarmee“ gegen ihre „stalinistischen Unterdrücker“ marschieren. Zur Schaffung dieser Armee wurde in Dabendorf bei Berlin ein Planungszentrum eingerichtet. Die Bildung dieser Armee begann aber erst im November 1944. Unter Federführung Himmlers konstituierte sich am 14. November 1944 auf der Prager Burg ein „Komitee zur Befreiung der Völker Russlands“. Wlassow wurde Vorsitzender. Man verabschiedete ein „Prager Manifest“. Darin war von der Selbstbestimmung der Völker Russlands, der Abschaffung von Zwangsarbeit und Kolchosen, von Religionsund Pressefreiheit die Rede.

Durch ein Treffen mit Goebbels und Göring Anfang 1945 erlebte der „Befreiungskämpfer“ noch eine Aufwertung. Doch längst hielten weder deutsche Nazigrößen noch ein verräterischer Wlassow den Vormarsch der Roten Armee auf. So währte auch die Feuertaufe der 1. Division der Wlassow-Armee erst einen Tag, als ihr Kommandeur den Rückzug nach Böhmen anordnete. Nach der Niederlage begab sich Wlassow in US-Kriegsgefangenschaft. Ein US-Konvoi , der den Ex-Sowjetgeneral zu einem Verhör bringen sollte, wurde von einer sowjetischen Streife gestoppt. Sie verhaftete Wlassow. Nach Verhören in Moskau begann der Prozess. Das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR verurteilte Wlassow am 30. Juli 1946 zum Tode. Am nächsten Tag wurde er hingerichtet. René Lindenau


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Rosa-Luxemburg-Stiftung

Termine Leipzig, 12. Mai, Donnerstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Das Phänomen der Gewalt und die Linken. Eine aktuelle Bestandsaufnahme. JOUR FIXE – EIN UNGEWÖHNLICHER GESPRÄCHSKREIS. Mit der Leipziger Philosophin Dr. Monika Runge. Moderation: Klaus Kinner und Manfred Neuhaus RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 17. Mai, Dienstag, 18.00 Uhr Vernissage der Ausstellung „Chemnitzer unter Spaniens Himmel – Porträts der Chemnitzer Spanienkämpfer“ in der „¡No pasarán!“ - Vortragsreihe zum Spanischen Krieg (1936 – 1939)***. Eine gemeinsame Veranstaltungsreihe von Rothaus e.V., VVN-BdA und RLS Sachsen. Rothaus, Lohstraße 2, 09110 Chemnitz Chemnitz, 17. Mai, Dienstag, 18.30 Uhr Vortrag und Diskussion „Spaniens Himmel breitet seine Sterne…“ – Der Spanische Krieg als Vorbote des 2. Weltkrieges und die ersten deutschen Freiwilligen an der Front. Mit Dr. Werner Abel (Historiker) und der Gruppe QUIJOTE. „¡No pasarán!“ Vortragsreihe zum Spanischen Krieg (1936 – 1939)***. Eine gemeinsame Veranstaltungsreihe des Rothaus e.V., VVN-BdA und RLS Sachsen. Rothaus, Lohstraße 2, 09110 Chemnitz Chemnitz, 18. Mai, Mittwoch, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Angst vor einer „Islamisierung Europas“?*** Rosa L. bei Heckerts. Mit Florian Illerhaus (Religionswissenschaftler). Ein Veranstaltung der RLS Sachsen mit dem BIMM e.V. Bürgertreff „Bei Heckerts”, Wilhelm-Firl-Straße 23, 09122 Chemnitz Dresden, 18. Mai, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Die Demokratie der Zukunft***. REIHE: Zukunft denken. Linke Perspektiven. Mit Tom Stroh-

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e. V.,

schneider (Chefredakteur neues deutschland). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Häufig ist von einer Krise der parlamentarischen oder repräsentativen Demokratie die Rede. Stichworte: Politische Klüngelwirtschaft, Wahlverweigerung, Politikverdrossenheit. Wohin treibt diese Demokratie? Leben wir in einem autoritären Kapitalismus, einer gelenkten Demokratie oder einer digitalen? Welche demokratische Verfasstheit ist jenseits utopischer Vorstellungen wünschbar, welche schon heute machbar? Leipzig, 19. Mai, Donnerstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Biographische Parallelen***. REIHE: Deutsche und Russen – Russen und Deutsche. Wahrnehmungen vom 18. bis 20. Jahrhundert Mit Dr. sc. Hartmut Kästner. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Dr. Hartmut Kästner beleuchtet die Lebenswege des Indologen und Sanskritisten Otto Böhtlingk (1815-1904) und des Naturwissenschaftlers und Nobelpreisträgers Wilhelm Ostwald (1853-1932). Leipzig, 25. Mai, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Gewalt ist (k)eine Lösung***. Linkes Theorie- und Praxis-Labor Rosa L im Westen. Mit drei linken Gruppen aus Leipzig. INTERIM, Demmeringstr. 32, 04177 Leipzig Wieder geht es um das Thema Gewalt. Diesmal bieten wir drei Gruppen aus Leipzig die Möglichkeit, ihre Positionen darzustellen und theoretische Gesichtspunkte hervorzuheben. Unser Labor folgt nicht den Regeln einer klassischen „frontalen“ Veranstaltung. Auf drei kurze(!) Vorträge folgen drei Diskussionsplattformen zu den Themen „Ziviler Ungehorsam als linke Strategie“, „Strukturelle Gewalt legitimiert Gegengewalt“ und „Tolstoi, Ghandi und Co./ Gewaltloser Widerstand reloaded?“. Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus gedruckt.

Dresden, 25. Mai, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Emanzipation und Gerechtigkeit in der Zukunft***. REIHE: Zukunft denken. Linke Perspektiven. Mit Prof. Dr. Wolfgang Engler (Rektor der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“). Stadtteilhaus Dresden-Äußere Neustadt e.V., Prießnitzstraße 18, 01099 Dresden Leipzig, 26. Mai, Donnerstag, 18.00 Uhr Podiumsdiskussion mit anschließendem Empfang: Ein neues Kapitel der Religionskritik: Theologie der Befreiung als Herausforderung auch für Linke***. Im Rahmen des Katholikentages. Mit Schwester Karoline Mayer (Chile), Prof. em. Dr. Franz Segbers (Theologe, Sozialethiker, Frankfurt), Christine Hoffmann, pax christi-Generalsekretärin, Sprecherin der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, Mitglied des Zdk, Axel Troost (MdB DIE LINKE, stellvertretender Parteivorsitzender, Leipzig); Moderation: Cornelia Hildebrandt (Rosa-Luxemburg-Stiftung). Eine gemeinsame Veranstaltung der RLS und der RLS Sachsen. Alte Nikolaischule, Nikolaihof 2, 04109 Leipzig Leipzig, 26. Mai, Donnerstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Ohne einen Tropfen Lakaienblut - Zum Erscheinen der ersten Bände der Paul-Levi-Werkausgabe***. Ständiges Rosa-LuxemburgSeminar. Mit Jörn Schütrumpf (Verlagsleiter dietz-Verlag). RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 28. Mai, Sonnabend, 9.00 Uhr Exkursion: Besuch der Gedenkstätte Buchenwald***. In Kooperation mit der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig und dem BdA Leipzig. Abfahrt: Ostseite Hauptbahnhof, 04109 Leipzig. Die Bustickets (10 €/ ermäßigt 5 €) können an folgenden Orten gekauft werden: RLS Sachsen, Harkortstr. 10, 04107 Leipzig; Buchladen el libro, Bornaische Str. 3 D, 04277 Leipzig; Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter. Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773 Redaktionschluss: 25.04.2016 Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 02.06.2016.

Buchladen drift, Karl-Heine-Str. 83, 04229 Leipzig. Organisatorischer Hinweis: Es wird keine Verpflegung gestellt. Leipzig, 30.Mai, Montag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Was nun? Eindrücke und Erfahrungen zum Verhältnis von Partei, Bewegung und sozialer Basis aus Griechenland und Spanien***. Mit dem malaboca collective. Der Ort wird in Kürze veröffentlicht. Das malaboca kollektiv hat auf Grundlage von Interviews mit Aktivist*innen in Athen, Madrid und Barcelona verschiedene Aspekte einer aktuellen linken Debatte eingefangen. Im Vordergrund steht dabei die Frage, wie linksradikale Bewegungen sich unter den politischen Bedingungen der aktuellen Krise gesellschaftliche Transformation vorstellen. Mehr Infos auf malaboca.noblogs.org Chemnitz, 31. Mai, Dienstag, 18.30 Uhr Was nun? Eindrücke und Erfahrungen zum Verhältnis von Partei, Bewegung und sozialer Basis aus Griechenland und Spanien***. Mit dem malaboca collective. Eine Veranstaltung der RLS Sachsen in Kooperation mit dem Rothaus e.V. Rothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz Leipzig, 31. Mai, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Paradoxien des demokratischen Rechtsstaates***. REIHE: Philosophische Dienstagsgesellschaft. Mit PD Dr. Christian Schmidt, Moderation: PD Dr. Volker Caysa. RLS Sachsen Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Lässt sich Freiheit institutionalisieren? Die Moderne hat eine merkwürdige Figur der Souveränität geschaffen. Moderne Souveränität ist eine kollektive Form der Selbstbestimmung, die zwischen der Regierung und den Einzelnen angesiedelt ist. Zwar ist sie noch nicht Institution, aber sie soll doch QuelDie Zeitung „Links!“ kann kostenfrei abonniert werden. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Erscheinen unserer Zeitung unterstützen. Kostendeckend für ein Jahresabo ist eine Spende in Höhe von 12 Euro. Sollten Sie an uns spenden wollen, verwenden Sie bitte folgende Kontodaten:

Seite 6 le aller Staatsgewalt sein. Der Rechtsstaat ist die spezifische Ordnung, die dieser Souveränität Ausdruck verleihen, sie aber zugleich auch zügeln und kanalisieren soll. Der Vortrag beschäftigt sich mit der Frage, ob ein solcher Balanceakt gelingen kann oder einer der beiden Aspekte, Souveränität oder Rechtssicherheit, auf der Strecke bleiben muss. Dresden, 31. Mai, Dienstag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Auch biologisch gibt es viele Geschlechter***. Im Rahmen des CSD. Mit Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß (Hochschule Merseburg). Eine gemeinsame Veranstaltung des WIR e.V. und der RLS Sachsen. Altes Wettbüro, Antonstraße 8, 01097 Dresden Biologisches Geschlecht erscheint vielen als „sicher“, als „natürlich“ im Sinne von vorgegeben und unabänderlich. Das ist es nicht. Auch bei den derzeitigen biologischen Konzepten über Geschlecht – genauso wie bei den historischen – handelt es sich um Theorien. Sie sind Resultat einer gesellschaftlichen Ordnung, die zwei Geschlechter unterscheidet – und die in der Bundesrepublik Deutschland noch immer nicht vor menschenrechtsverletzender Gewalt zurückschreckt, wenn es darum geht, eindeutig „weiblich“ oder „männlich“ herzustellen. Mit den aktuellen biologischen und medizinischen Theorien über Geschlecht sind besser viele Geschlechter erklärbar, als nur zwei oder drei. Dresden, 24. Mai, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Der Völkermord an den Armeniern***. JUNGE ROSA - richtet sich speziell an Jugendliche und junge Erwachsene. Mit Prof. Dr. Wolfgang Geier (Historiker). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Der Völkermord an den Armeniern geschah während des Ersten Weltkrieges unter Verantwortung der jungtürkischen Regierung des Osmanischen Reichs. Einem der ersten systematischen Völkermorde des 20. Jahrhunderts fielen je nach Schätzung zwischen 300.000 und mehr als 1,5 Millionen Menschen zum Opfer. Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07 BIC: GENODEF1DRS Bank: Dresdner Volksbank Raiffeisenbank Aboservice: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder 0351-84 38 9773


Rezensionen

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Ta-Nehisi Coates: „Zwischen mir und der Welt“ Seit Jahrhunderten wandern Weiße ins „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ aus – und seit Jahrhunderten leben Schwarze in den USA. Die einen kamen freiwillig, die anderen wurden verschleppt bzw. sind Nachfahren dieser Verschleppten und von Weißen vergewaltigten schwarzen Frauen. „Sie können mit Deinem Körper machen, was sie wollen!“ Dies ist die Grunderfahrung von Afroamerikanern seit Jahrhunderten und für den Autor, Ta-Nehisi Coates, Geburtsjahrgang 1975, gilt sie so wie für die junge Generation von Schwarzen in den USA im Teenageralter. Deshalb hat Coates dieses Buch geschrieben, als ein Lesebuch für seinen 15jährigen Sohn. Er war so erfolgreich damit, dass er auf der Bestsellerliste der New YorkTimes Platz 1 erreichte. Die Hälfte der Gefängnisinsassen in den USA sind schwarz, aber kaum 20 Prozent der Staatsbürger. Es ist heute nicht mehr ganz so mit der Unterdrückung wie zu Zeiten der Lynchjustiz mit den brennenden Kreuzen des Ku-Klux-Clan. Die Gewalt hat sich verlagert, sie kommt heute daher mit dem Gesicht eines freundlichen Bank- oder Finanzberaters, der Schwarzen Verträge unterjubelt, wie Weiße sie nicht bekommen. Der Crash 2008 hatte viel mit

Immobilienkrediten zu tun, Immobilienkrediten für Schwarze

– diese flogen danach massenhaft aus ihren Häusern. Coa-

tes beschreibt das und mehr: Schwarzsein in den USA heißt, täglich diskriminiert zu werden: durch Unterbezahlung, dadurch, dass einem selbst bei gutem Einkommen die weißen Wohnviertel verschlossen bleiben. Schwarz sein heißt, argwöhnisch von der Polizei beäugt zu werden, vielleicht weil man „zu schnell“ oder „zu langsam“ geht. Es bedeutet für viele junge Schwarze, von der Polizei angehalten und inhaftiert zu werden, in der Haft geschlagen oder auf offener Straße erschossen zu werden, wenn keine Zeugen da sind. „Sie können mit Deinem Körper machen, was sie wollen“. Die Alltagserfahrung der Sklavenarbeiter auf den Farmen in Alabama oder Carolina und den übrigen Südstaaten wiederholt sich heute noch immer täglich in Chicago, New York und erst recht und besonders in den kleinen Städten, die es nur selten – wenn die Unruhen so groß werden, dass man es nicht mehr verschweigen kann – in unsere Medien schaffen. Ta-Nehisi Coates ist heute die Stimme des schwarzen Amerikas. Er hat ein Buch über die Situation der Schwarzen in den USA von heute und gestern geschrieben. Es ist auch ein Buch über den institutionalisierten Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit – denn egal, wie

viele Generationen Schwarze in den USA leben, sie werden von der herrschenden weißen Klasse als Fremde wahrgenommen mit dem Ergebnis, dass sie sich auch fremd fühlen. Coates beschreibt das in eigenen Worten so: „Ich sah, dass das, was mich von der Welt trennte, nicht als Merkmal in uns steckte, sondern dass es eine Verletzung war, zugefügt von Menschen, die uns benennen wollten, die glauben wollten, dass dieses Etikett wichtiger sei als alles, was wir jemals tun können. In Amerika besteht die Verletzung nicht darin, mit dunklerer Haut geboren zu sein, mit volleren Lippen oder einer breiteren Nase, sondern in allem, was daraus folgt“. Was folgt daraus? Coates findet es an der Zeit, über Reparationen gegenüber der schwarzen Bevölkerung nachzudenken. So enthält sein Werk ein Plädoyer dafür. Die Schwäche seines Buches liegt in seiner Stärke – eben weil er den Fokus auf die Schwarzen legt, ignoriert er das Unrecht, das den Ureinwohnern und anderen Migranten wie beispielsweise den Asiaten oder den Hispanics in den USA angetan wird – und nicht zuletzt auch der „weißen“ Arbeiterklasse. Das Buch erschien bei Hanser Berlin und kostet gedruckt 19,90, als Digitalbuch 15,99 Euro. Ralf Richter

Linke Rebellen, Galli und Hochhuth in Leipzig Buchmesse-Nachtrag von Ralf Richter Wenn zwei das Gleiche erleben, erlebt es doch jeder anders – ja, es gab in der letzten Ausgabe einen Buchmesse-Beitrag, aber hier folgt ein weiterer aus anderer Sicht. Als ich früh morgens, bevor es mit dem Bus zur Messe ging, MDR Figaro einschaltete, hörte ich Überraschendes: Ein Autor, Thomas Galli war sein Name, wollte in der JVA Leipzig lesen – doch das sächsische Justizministerium untersagte die Lesung. Es war die amerikanische Country-Ikone Johnny Cash, die mich schon als Jugendlicher dank einer AmigaSchallplatte auf das Thema „Gefängnis und Gefangene“ gebracht hatte. Cash trug stets Schwarz und erklärte seinen Aufzug in seinem Lied „Man in Black“: „Well you wonder why I always dress in black, why you never see bright colours on my back … I wear it for the prisoner who has long paid for his crime, but is there because he‘s a victim of his times ...“ / „Wenn Du Dich wunderst, warum ich immer schwarz trage, warum Du niemals bunte Farben auf meinem Rücken siehst – Ich tra-

ge schwarz für den Gefangenen, der lange für seine Verbrechen gebüßt hat, der aber nur deshalb da ist, weil er ein Opfer seiner Zeit ist“. Thomas Galli las zwar nicht in der JVA Leipzig, sehr wohl aber in der Arena der Leipziger Volkszeitung. Als er die Arena betrat, sah es jeder sofort: Thomas Galli erschien als ein „Mann in Schwarz“! Dazu später mehr. Gleich bei der Ankunft am Hauptbahnhof fielen rote Plakate auf – eine Lesung sollte es in der Uni geben. In der ganzen Stadt hingen sie – ein Werbeaufwand wie für die MLPD. Es wurde geworben für die Vorstellung eines Buches „Die Rückkehr des deutschen Militarismus“ vom Franz-Mehring-Verlag. Gemessen an dem Aufwand, den die „Jugend und Studenten für soziale Gleichheit“ – kurz YYSSE – getrieben hatten, war die Zuhörerzahl dann doch leicht überschaubar. Im Prinzip ging es bei der Veranstaltung – und wohl auch in dem Buch – um zwei Dinge: Die Vorstellung, wie tatsächlich an deutschen Hochschulen und Universitäten der Militarismus zu neuem Leben erweckt wird; zugleich aber wurde eine Abrechnung mit der

Linkspartei betrieben, in der Veranstaltung nur „die Pseudolinken“ genannt. Am Ende verließ man die Veranstaltung sehr nachdenklich. Fraglos wird der Kriegspolitik des Westens und ihren Folgen auf der Seite der Linkspartei zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Noch viel schlimmer aber ist ihre Spaltung, wenn es um Frieden oder Krieg geht. Die bei der Veranstaltung aufgestellte These, dass die Unzufriedenheit mit den „Pseudolinken“ wächst, schien sich wenig später bei den Wahlergebnissen von Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt zu bestätigen. Der Wiederaufstieg des deutschen Militarismus begann an den Hochschulen und Universitäten vor 1933 – doch genau vor zwei Jahren wurde ebenfalls ein neuer „Wendepunkt“ erreicht, mit den Thesen von Herfried Münkler von der Humboldt-Uni Berlin, der die Kriegsschuld Deutschlands am Ersten Weltkrieg weitgehend leugnet. Die Hochschulen und Universitäten bereiten der Bundespolitik den Weg, damit von der Leyen, Steinmeier und Gauck verkünden können: „Die Zeit außenpolitischer Zurück-

haltung ist vorbei!“ Deutschland mischt nun überall wieder bewaffnet mit. Doch Münkler ist nicht allein – und es kommt noch viel schlimmer. Der Historiker Jörg Baberowski, Professor für Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität, erklärt, dass die Wehrmacht nur auf die „aggressive Politik“ der Sowjetunion reagiert habe, Hitlers Soldaten hätten einen Krieg geführt, „dessen Dynamik sie nicht mehr entkommen konnten“. In seinem bei Fischer erschienenen Buch „Räume der Gewalt“ interpretiert er den Sklavenaufstand und Widerstandskampf als „Ausdruck brutaler menschlicher Natur“. Ausbeutung und Unterdrückung sind in den Augen des Professors natürlich, der Kampf dagegen aber ist ein Verbrechen. Erstaunlicherweise bekommt er für solche Auffassungen die Weihen der Linkspartei ausgerechnet im neuen deutschland, wo Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages) in der Buchbesprechung seinen „Tiefblick“ lobt … Wenn es stimmt, dass ein solcher Mann nach Hellersdorf von Linken eingeladen und dort gegen die mehr als berechtigte Kritik der Studierenden vertei-

digt wird, dann wirft das Grundsatzfragen darüber auf, wo die Partei überhaupt steht. Keine Grundsatzfragen mehr beantwortet indessen Rolf Hochhuth, der am 1. April 85 Jahre geworden ist. Der große Dramatiker, der einst wesentlich dazu beigetragen hat, einen baden-württembergischen Ministerpräsidenten zu stürzen, indem er offenlegte, dass Filbinger als Marinerichter im Dritten Reich Deserteure bis zuletzt mit Todesurteilen abstrafte, machte sich mit „Wessis in Weimar“ verdient um die Darstellung der Ausplünderung Ostdeutschlands. Als alter Mann ist er bei eher peinlichen erotischen Greisengedichten gelandet und will sich demnächst literarisch Coco Chanel widmen … Es stimmt traurig, der finalen Selbstdemontage eines großen Streiters zuzuschauen. Zur Vorstellung der Biographie „Der Störenfried“ von Brigit Lahann in den Internationalen Club in der geschichtsträchtigen Meyerschen Villa kamen kaum 30 Gäste. Und Thomas Galli? Sein spannendes Buch „Die Schwere der Schuld“ über Sinn und Unsinn von Gefängnissen wird demnächst hier vorgestellt.


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Wieder da! Chansontage im Kloster Michaelstein Pfingsten 1975: In der Kulturund Forschungsstätte Kloster Michaelstein bei Blankenburg am Harz fanden die ersten DDR-offenen Chansontage statt. Die Idee für diese Initiative kam aus den Reihen des im Kloster ansässigen Telemannkammerorchesters unter Leitung eines gewissen Dr. Eithel Friedrich Thom, und zwar vom jungen Orchestermitglied Wolfgang Schlemminger, der in seiner Freizeit lieber zur Gitarre griff und Lieder von Reinhard Mey, Hannes Wader, Bellman oder Franz Josef Degenhardt sang. Mit seinem Freund WolfDieter Skibba, der ebenfalls der Liedermacherei frönte, schmiedete er konstruktive Pläne über die Realisation des Vorhabens. Dr. Thom, damaliger Direktor und schon erwähnter Leiter des Standortes, segnete die Idee ab. Er sollte dies später bereuen, als er feststellen musste, dass die Publikumsresonanz bei den Chansontagen wesentlich größer war als bei den Konzerten seines Orchesters. War am Anfang bei den etwa dreißig Mitwirkenden noch Spontaneität angesagt, entwickelte sich aufgrund der kontinuierlichen Diskussionen und Vorschläge durch die Teilnehmer selbst bald eine wesentlich künstlerische Qualität in der Organisation und im Vortrag sowie auch in der Titelauswahl für die alljährlich stattfindenden öffentlichen Abendveranstaltungen. Schon bald bekamen die Chansontage Werkstattcharakter. Ursprünglich war geplant, das

Treffen ohne Hinzuziehung staatlicher oder gesellschaftlicher Träger zu organisieren. Doch dies wurde mehr und mehr unmöglich. So wurde die Veranstaltung schließlich in die offizielle Verantwortung staatlich kulturleitender Träger überführt. Dadurch wurden ein Teil der Kosten und auch ein großer Teil der technisch-organisatorischen Vorbereitungen und Aufgaben der

te schon donnerstags, bevor man sich am darauffolgenden Tag zwischen den drei Mahlzeiten gegenseitig vorstellte und Ausschnitte aus dem jeweils aktuellen Songprogramm darbot. Bei den nächtlichen Veranstaltungen im zum gemütlichen Club ausgebauten Klosterkeller kam es oft zu spontanen Sessions bis weit in die Morgenstunden. Eine dreiköpfige Jury, die aus

der damals noch als Geheimtipp galt. Zusammen mit Dieter Beckert (später bekannt geworden als Partner von Jürgen B. Wolff im „Duo Sonnenschein“) präsentierte er Songs von „Crosby, Stills, Nash and Young“ oder „Simon and Garfunkel“, die jedoch mit selbstverfassten deutschsprachigen Texten vorgetragen wurden. Ilona Schlott aus Leipzig sang

Durchführung übernommen, ohne jedoch die grundsätzlichen Vorstellungen und Möglichkeiten der geistigen und tatsächlichen Initiatoren anzutasten. Die Anreise der jährlich etwa vierzig aktiven Teilnehmer im Bereich Lied, Folk und Chanson, unter ihnen Solisten, Duos und Bands aus fast allen Bezirken der DDR, erfolg-

einem Theaterdramaturgen, einem Textexperten und einem professionellem Liedermacher bestand, stellte aus dem Gehörten das öffentliche Abendkonzert zusammen, das stets Samstagabend, nach einer Konzeptionsprobe, im ausverkauften Refektorium des Klosters stattfand. Hier erlebte ich erstmalig den noch sehr jungen Gerhard Schöne,

jiddische Lieder, das Rostocker Duo „Piatkowski/Rieck“ stellte plattdeutsche Folksongs vor, Reiner Schulze aus Wernigerode interpretierte eigene Couplets bzw. wagte sich an die von Georg Kreisler. Dieter Kalka überzeugte mit scharfzüngigen sozialkritischen Chansons, andere coverten Werke von Hannes Wader oder Dieter Süver-

krüp, kurz und gut: Es gelang ein vielseitiges und abwechslungsreiches Programm mit hohem Niveau. Im Laufe des Bestehens der Chansontage kam es immer wieder zu Neuentdeckungen, denn die Initiatoren waren stets bemüht, besonders den Nachwuchs aus dem Amateurbereich zu fördern, wie z.B. die noch sehr junge Berliner Klezmerband „Aufwind“ Mitte der achtziger Jahre. Das Ensemble wurde nach seinem Auftritt im Kloster derart euphorisch bejubelt, dass man sie zu den Frankfurter Chansontagen einlud, die bis dato ausschließlich professionelle Künstler präsentierte. Im Rahmen der Veranstaltung erhielt das Ensemble einen Preis und sogar das Angebot, beim DDR-Label „AMIGA“ ihr erstes Schallplattenprojekt „Lomp noch nit farloschen“ zu produzieren. Die Platte kam 1989 heraus (AMIGA 845366). Die Chansontage im Kloster Michaelstein fanden ihr jähes Ende in der Wendezeit. Es gab noch bis 1992 Werkstätten im nahegelegenen Langeln, diesmal auch mit Liedermachern aus der BRD, dann war Schluss. Umso erfreulicher ist es, nun zu erfahren, dass es einem langjährigen Mitinitiator gelungen ist, die alte Tradition wiederzubeleben. In Zusammenarbeit mit der Musikakademie Sachsen-Anhalt und der Stiftung Kloster Michaelstein finden vom 20. bis zum 22. Mai 2016 die Chansontage im Kloster Michaelstein bei Blankenburg erneut statt. Man darf gespannt sein. Jens-Paul Wollenberg

„Faschismus-Diagnosen“ – ein Buch als Denkhilfe Wer sich mit der Entstehung des historischen Faschismus, dessen Entwicklung und den Umständen, die dazu führten, befasst, der kommt nicht am international renommierten Historiker Kurt Pätzold vorbei. In zahlreichen Publikationen stellte der Autor bereits seine außerordentliche Sachkenntnis zum Thema unter Beweis. Mit dem jüngst erschienen Buch „Faschismus-Diagnosen“ setzt er diese erfolgreiche Arbeit fort. Ein Buch, das von der Vergangenheit handelt, aber angesichts besorgniserregender Entwicklungen in Deutschland aktueller denn je ist. Pätzold zeigt anhand zahlreicher Dokumente, welche Versuche gerade in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts im linken Lager unternommen wurden, um „Faschismus“ zu definieren. All

diese Versuche haben Mängel, sind unvollständig, war doch der Faschismus in Italien gerade erst etabliert worden, waren die düsteren Vorahnungen für Deutschland noch vage und das ganze Ausmaß des deutschen Faschismus nicht vorhersehbar. Texte von Trotzki bis Clara Zetkin, Max Horkheimer bis August Thalheimer und vielen anderen stehen sich gegenüber in all ihrer Unvollkommenheit. Sie zeigen aber auch durch ihre chronologische Reihenfolge den ständigen Kampf innerhalb der Linken, theoretische Grundlagen für ihren antifaschistischen Kampf zu schaffen. Irrtümer und Spaltungen blieben da nicht aus. Im Buch werden diese nicht retuschiert. Es bleibt dem Leser überlassen, seine Schlüsse zu ziehen, und es bleibt

ihm nichts anderes übrig, als selbst zu denken. Genau darauf zielt der Historiker auch ab. Als Denkhilfe dürften dabei die vorangestellte Worte Kurt Pätzolds ausgezeichnete Dienste leisten. Pätzold befasst sich u.a. mit der Unvollkommenheit der fälschlicherweise Georgi Dimitroff zugeschriebenen Faschismus-Definition: „Der Faschismus ist die offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“. Nach Kurt Pätzold sei eben der Faschismus nicht nur Sache einer übergeschnappten Elite gewesen, auch wenn diese politische und wirtschaftliche Elite vom Faschismus profitierte. Um ein solches Weltverbrechen zu begehen, bedurfte es

einer Massenbasis, die sich die Faschisten erfolgreich eroberten. Da ist seine Analyse des Begriffs „Nationalsozialismus“ nur folgerichtig. Der Historiker weist nach, dass wir heute mit dessen Verwendung nichts anderes tun, als die Demagogie, die ihm innewohnt, zu manifestieren. Pätzold plädiert für die Verwendung des Begriffs „Faschismus“, da der Name „Nationalsozialismus“, den die Faschisten selbst kreierten, eine Revolution vorgaukeln sollte, die keine Revolution war. Die kapitalistische Gesellschaftsordnung hatte auch nach der Machtübergabe an die Faschisten Bestand. Wenn der Historiker am Beginn seiner Einführung Max Horkheimer mit den Worten zitiert – „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schwei-

gen“ (1939) –, dann klingt das wie eine Mahnung an alle Linken, und einigen Parteimitgliedern, selbst auf höherer Ebene, dürfte es beim Lesen in den Ohren pfeifen. Kurt Pätzold hätte auch schreiben können: Antifaschismus ohne Antikapitalismus ist vergebliche Liebesmüh’. Pätzolds neues Buch ist ein Muss für jeden Antifaschisten und all jene, die sich mit dem Entstehen faschistischer Strukturen auseinandersetzen. Ein sehr übersichtliches Quellen- und Personenverzeichnis erleichtert dazu weitere Recherchen. Jonny Michel Kurt Pätzold, Faschismus-Diagnosen, Broschüre, verlag am park Berlin, 139 Seiten, ISBN 978-3-945187-42-5, 12,99 Euro


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Mai 2016

Sachsens Linke

Wieder blicken wir hinter die Kulissen des Versandgroßhändlers Amazon in Leipzig. Außerdem lesen wir von einem Zeugen Steinmeier, der beim Thema Geheimdienste dicht hält, und davon, dass das Bahnland Sachsen bedroht ist.

Der Jugendverband blickt zurück auf seinen Bundeskongress. Für die Europafraktion wirft Martina Michels einen Blick auf die Lage in der

Türkei - ein ganz und gar nicht sicheres Land. Katja Kipping und Sabine Zimmermann befassen sich schließlich mit dem Thema Armut.

Aktuelle Infos stets auch

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Widersprüche sichtbar machen

Partei ergreifen. Haltung zeigen. Die Zeit rund um einen Landesparteitag ist immer auch eine Zeit, in der eine Partei eine erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit bekommt. Selten kommt es vor, dass sich das gesamte mediale Interesse so klar auf uns als Partei fokussiert und wir damit die Möglichkeit haben, klare Botschaften zu senden. Das ist in diesen Zeiten, im Spannungsfeld zwischen Asylpolitik und dem Erstarken der extremen Rechten in ganz Deutschland, wichtiger als je zuvor. Tatsächlich hat sich die Berichterstattung im vergangenen Jahr sehr stark auf dieses Spannungsfeld reduziert. Zwischen täglichen Berichten von den Schwierigkeiten, Geflüchtete unterzubringen, den Ankunftszahlen und den erschreckenden Nachrichten über Anschläge und Übergriffe fand kaum ein Thema seinen Weg über die Aufmerksamkeitsschwelle. Umso problematischer die Ausgangsposition vor dem kommenden Landesparteitag. Anstehende Strukturfragen und parteiinterne Weichenstellungen für die Listenaufstellung zur Bundestagswahl mögen zwar wichtige Entscheidungen für die zukünftige Aufstellung der Partei im Land sein. Öffentlich haben sie aber einen Spannungsgehalt unterhalb dessen der Rezitation des Telefonbuchs. Ein fatales Signal gerade in dieser Zeit, das, von unserem 13. Landesparteitag in Neukieritzsch auszugehen drohte: DIE LINKE in Sachsen

beschäftigt sich nur mit sich selbst. Der Landesvorstand hat der Arbeitsgruppe, die den Entwurf des Leitantrages erarbeiten solle, deshalb eine andere Aufgabe ins Stammbuch geschrieben. Sie sollte in dem Papier klare und starke Botschaften formulieren, mit denen DIE LINKE in Sachsen als selbstbewusste, starke Partei mit klarem linkem Profil in die Öffentlichkeit treten soll. Dabei sollte es nicht darum gehen, die Vielzahl der anstehenden Aufgaben noch zu erweitern: Bis zur Bundestagswahl fordert uns unsere Kampagne „Das muss drin sein!“ mit ihrer lokalen Übersetzung. Gleichzeitig haben wir – wie auf dem letzten Landesparteitag beschlossen – mit der Erarbeitungsphase des alternativen linken Landesentwicklungskonzeptes begonnen, das wir vor der nächsten Landtagswahl vorlegen wollen. Nicht zuletzt werfen die Bundestagswahlen ihre Schatten voraus. Die – auf Bundesebene zu erarbeitende – Wahlstrategie muss vor Ort übersetzt und umgesetzt werden. Es erschien deshalb nicht sinnvoll, sich konkrete neue Projekte, gar einen Aktionsplan vorzunehmen, um die Herausforderungen noch zu vergrößern. Vielmehr entschloss sich der Landesvorstand, dass der Leitantrag als Instrument der Öffentlichkeitsarbeit vor allen Dingen eine klare Haltung nach außen tragen sollte. Er soll also nicht in die Partei hinein kom-

munizieren, sondern das Bild unserer Partei in der Öffentlichkeit in klaren Linien zeichnen. Um das zu erreichen, kommt es auch darauf an, unsere thematische Vielfalt im Leitantrag zu reduzieren. Nicht jedes Thema, das uns als LINKE beschäftigt, kann in einem Papier, das zudem den Anspruch auf Kürze und Lesbarkeit erhebt, breit referiert werden. Gleichwohl sind Themen, die nicht im Leitantrag benannt werden, nicht vom Tisch gewischt oder aus unserem Arbeitsprogramm gestrichen. Einer solchen Auslegung müsste deutlich widersprochen werden. Unverändert gilt für uns als Partei das Erfurter Programm in seiner ganzen Breite. Mit seiner Fokussierung bemüht sich der Leitantrag, es in ein ganz klar umrissenes Außenbild unserer Partei zu übersetzen. Unter dem Titel „Partei ergreifen“ versucht er, dieses Bild in fünf Blöcken zu skizzieren. Er verdeutlicht, wofür sich eine moderne sozialistische Partei in diesen Zeiten engagieren muss: Für die Demokratie. Für die Unterstützungsbedürftigen in der Gesellschaft. Für Humanität. Für ein solidarisches Europa. Und: Für alle Menschen im Land. Der Leitantrag spart dabei nicht mit Abgrenzung zu den falschen Entwicklungen in der bestehenden Gesellschaft: Defizite der bestehenden Demokratie, soziale Ausgrenzung, das Alleinlassen von Menschen, die Entkoppelung von Regionen und die Ökonomi-

sierung und Entsolidarisierung Europas. Er setzt aber auch ein Gegenbild: unseren Weg. Den Weg zu einer demokratischeren, friedlicheren, sozialeren und humanitäreren Gesellschaft. Unsere Vorstellungen für einen demokratischen Sozialismus. Der Leitantrag ist eine Einladung in zwei Richtungen: Er lädt sowohl die Partei ein, sich hinter diesen fünf Blöcken zu sammeln, schlagkräftig nach außen zu wirken und zu kommunizieren. Auf der anderen Seite lädt er Menschen außerhalb unserer Partei dazu ein, sich ihrer eigenen Interessen zu ermächtigen und mit uns gemeinsam dafür zu kämpfen. Der Leitantrag verdeutlicht die Verlässlichkeit linker Politik. So benennt er klare linke Positionen, eine Vielzahl von Projekten, für die wir gemeinsam für gesellschaftliche Mehrheiten streiten. Während alle in die Mitte streben, streben wir nach gesellschaftlicher Veränderung nach links. Wir verteidigen gesellschaftliche Werte, ohne uns mit dem Status quo abzufinden. Wir wollen dabei nicht alleine bleiben. Wir wollen dabei nicht still sein oder unsere eigenen politischen Ziele vernachlässigen. Wir wollen selbstbewusst für unsere Überzeugungen werben. Denn wir sind demokratische SozialistInnen. Thomas Dudzak Der Entwurf für den Leitantrag kann hier als PDF eingesehen werden: http://gleft.de/1i9

Wir tun wieder das, was wir am besten können: debattieren. In schöner Tradition werden vor Parteitagen wie dem in Magdeburg von unterschiedlichen Menschen Papiere produziert. Ich kritisiere das nicht, ich mache ja selbst mit. Innerparteiliche Kursbestimmung gehört sich für eine lebendige, pluralistische Partei. Dabei werden auch Widersprüche sichtbar, das ist Teil von Debatten. Ziel ist es stets, Widersprüche zu benennen, aber auch gemeinsam Perspektiven aufzuzeigen, um diese gemeinsam zu überwinden und geschlossen nach außen zu tragen. Das muss uns auch dieses Mal gelingen. Warum? Weil wir uns selbst nicht damit begnügen können, innerparteiliche Debatten zu gewinnen. Eine Partei, die sich allzu sehr auf die innerparteiliche Auseinandersetzung konzentriert, macht sich überflüssig. Unnötig zu sagen, wie wichtig es gerade jetzt ist, dass eine linke Partei angesichts des Rechtstrends in der Gesellschaft hör- und sichtbar nach außen agiert. Unsere Aufgabe ist es derzeit, gesellschaftliche Widersprüche sichtbar zu machen. Ja, wir verteidigen immer häufiger Grundwerte, die wir selbst für ungenügend, aber entwicklungswürdig halten. Dazu zwingt uns ein Diskurs, der diese Grundwerte ständig in Frage stellt. Egal ob durch AfD, Unionsparteien oder SPD. Gerade deshalb dürfen wir es jedoch nicht vernachlässigen, unsere Perspektive zu verdeutlichen: jene, die über die Grenzen der jetzigen Gesellschaft hinausweist. Um das sichtbar zu machen, brauchen wir ein starkes Signal der Einigkeit und des Aufbruchs. Denn wir können uns mit den Verhältnissen nicht abfinden.


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Meinungen

Zur Erinnerung Vor 70 Jahren, am 21. und 22. April 1946, fand im Berliner Admiralspalast der Vereinigungsparteitag von KPD und SPD statt. Im Ergebnis dessen wurde die Sozialistische Einheitspartei Deutschland (SED) gegründet. Für viele politisch engagierte Menschen war die Gründung der SED Hoffnung auf ein neues Deutschland: Ein Deutschland der Befreiung von jeder Ausbeutung und Unterdrückung, von Wirtschaftskrisen, Armut, Arbeitslosigkeit und imperialistischen Kriegen. Als junger Arbeiter, Spitzendreher im 3-Schicht-Betrieb, wurde ich mit 27 Jahren freiwilliges Mitglied im „Kampfbund Gleichgesinnter“. Nach Jahren meiner politischen Entwicklung wurde mir auch Vertrauen und Verantwortung für verschiedene Parteifunktionen übertragen, um dann in der „Herbst-Wende“ 1989 letztendlich als „Konkursverwalter einer gescheiterten Politik“ in meinem Heimatkreis wirken zu müssen. Meiner politischen Weltanschauung bin ich immer treu geblieben – trotz aller Widersprüchlichkeiten damals in der PDS und heute in der LINKEN. Und als langjähriger Kommunalpolitiker (Stadtund Kreisrat) fühle ich mich in erster Linie dem Wohl meiner Mitmenschen verpflichtet. Bei der zunehmenden sozialen Ungerechtigkeit, dem forcierten Abbau von Bürgerrechten sowie der weiteren Militarisierung in Deutschland stellt sich mir oftmals die Frage, warum wir nicht mehr aus dieser Deutschen Demokratischen Republik gemacht haben? „Wir“ – das waren doch damals rund 2,3 Millionen Mitglieder der führenden Partei SED! „Wir“– das waren doch auch die vielen engagierten Menschen, die in den „Block-Parteien“ und Massenorganisationen Einfluss auf die gesellschaftlichen Prozesse nehmen konnten! Mein Fazit: Nie wieder Apathie und Gleichgültigkeit und alles tun, damit Völkerfreundschaft und die Sicherung des Friedens die Oberhand gewinnen! Peter Deutrich, Torgau

ke! 04/2016, S. 1) und „Gedenkstättenstiftung: Licht ins Dunkel!“ (Parlamentsreport, März 2016, S. 3) Selbst eine ehemalige Mitarbeiterin beklagt die „diktatorische Machtausübung“ in der Stiftung Sächsischer Gedenkstätten. Der Vize-Geschäftsführer verbreitet rassistisches Gedankengut. Die Tätigkeit geht hauptsächlich gegen die DDR, während Nazis geschont werden. Anti-Nazi-Initiativen werden behindert. Dies und mehr zeigt, dass die Stiftungsaufgabe nicht „eine vielfältige Erinnerungskultur und eine moderne Gedenkstättenlandschaft“ ist. Union und Nazis sind sich ja z. B. in der Wirtschafts-, Geflüchtetenbekämpfungspolitik und sonstigen rassistischen Einstellungen sehr nahe. Es geht somit um Herrschaftslegitimierung und die Verleumdung wirklicher Opposition. Die „Lehren, die man aus der Geschichte der DDR“ zieht, sind nicht Demokratieförderung, sondern Herrschaftssicherung. Und dann sind die kritisierten Erscheinungen keine Entgleisungen, die durch bessere Kontrolle abgestellt werden können, sondern logische Folge des wirklichen, aber nicht so offiziell verkündeten Stiftungsziels. Und gewundert hat mich, dass Jochen Mattern teilweise den herrschenden Orwellschen Neusprech ohne Distanzierung übernimmt: „SED-Diktatur“ statt DDR, „Demokratie“ und „Demokraten“ für parlamentarisches System und Herrschaftssicherung (Wer spricht von Diktatur des Kapitals?), „Nationalsozialismus“ statt Nazismus oder Faschismus. Rita Kring, Dresden

Zu „Erinnerungspolitische Ausgrenzung“ (Sachsens Lin-

Wer einen Menschen zerstört, zerstört eine Welt (Talmud) Es ist zu begrüßen, dass „Sachsens Linke“ (1/2 2016) an die Zerstörung der sächsischenWissenschaftslandschaft 1989/90 erinnert. Inzwischen hat sich der Hauptverantwortliche, Biedenkopfs Wissenschaftsminister Professor. Dr. Hans Joachim Meyer, zu Wort gemeldet. Sein Buch „In keiner Schublade“ umfasst 775 Seiten. Das Erstaunliche: Der Autor brüstet sich seiner Ver-

Impressum

Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.

Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V.,

Seite 2 letzungen der Menschenrechte, als sei er ein erfolgreicher Kardinalinquisitor gewesen. ln der DDR hatte er Erfahrungen als Anglistik-Professor und Mitglied des Zentralkomitees deutscher Katholiken gesammelt. Er krönte seine Karriere in der DDR als Wissenschaftsminister in der Regierung Lothar de Maiziere. Kurt Biedenkopf holte Meyer als Wissenschaftsminister in die sächsische Regierung. Rückblickend urteilt Meyer: „Zwei Männer sind es, denen ich es danke, dass mein jahrzehntelanger Traum, politisch handeln und gestalten zu können, sich noch jenseits meines fünfzigsten Lebensjahres erfüllen sollte: Lothar de Maiziere und Kurt Biedenkopf. Dass ich von April 1990 bis April 2002 erregende und erfüllte Jahre in der Politik erlebte, war nur möglich durch ihr Vertrauen. Durch ihren Entschluss streifte auch mich der Hauch der Geschichte“. Männer machen Geschichte, die einen, indem sie Meyer zum Minister ernannten, und der Minister, indem er in das Schicksal tausender Wissenschaftler eingriff, die den „Hauch der Geschichte“ nicht mit Freude begrüßten. Das Fazit, das Meyer zieht, stimmt nicht sehr optimistisch. Er beendet seinen „Ausklang in Moll“ mit dem Urteil: „In unserer Gesellschaft werden jene immer einflussreicher, die deren Auflösung betreiben. Das Christentum verliert an Achtung und gestaltender Kraft ... vor allem, weil viele die christliche Botschaft nicht mehr hören wollen, die einer hemmungslosen Ichsucht entgegensteht. Schon manche Hochkultur ist durch ihr eigenes Versagen im Strom der Geschichte untergegangen“. „Unsere Gesellschaft“ – der Imperialismus mit all seinen Ungerechtigkeiten und seinen Kriegen, seiner Verhöhnung der Schöpfung beruht also darauf, dass die „christliche Botschaft“, verkündet durch die Papstkirche, sie stützt. Und was hat das Bündnis von Thron und Altar der Menschheit an Kriegen, Verbrechen und Leid gebracht? Hier geht es aber nicht um Kirchengeschichte, sondern um das, was Meyer als Minister seinen Wissenschaftler-Kollegen angetan hat. Maßstab für unsere Wertung sind das Völkerrecht und das Grundgesetz, die eine rückwirkende Verur-

teilung verbieten. Das änderte sich auch nicht, als Kohls Justizminister Klaus Kinkel von den „unabhängigen“ Richtern forderte, rückwirkendes Strafrecht anzuwenden, also Rechtsbruch zu begehen. Die Staaten, die die Menschenrechtskonventionen ratifiziert haben (die BRD tat das), garantieren die Einhaltung folgender Normen: „Keine Strafe ohne Gesetz“, „Recht auf ein faires Verfahren vor einem ordentlichen Gericht“, „Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“, ,,Recht auf wirksame Beschwerde“, „Diskriminierungsverbot“. Als Minister der letzten DDR-Regierung verfügte Meyer im Mai 1990 die Schließung aller Institutionen, die sich die Verbreitung und Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus zum Ziel gesetzt hatten. Zwar sprach er sich für „geistige Pluralität und Gleichheit der Waffen“, gegen „Marxistenhatz“ aus, aber das hinderte ihn nicht, von Mai bis bis August 1990 mehr als 1.300 Professoren und Hochschuldozenten aus den geisteswissenschaftlichen Bereichen abzuberufen. Um auch in naturwissenschaftlichen, pädagogischen und künstlerischen Bereichen der Hochschulen die „weltanschaulichen Gegner“ zu beseitigen oder zu diskriminieren, erhielten „Initiativgruppen“ die Aufgabe, Rektoren und leitende Angestellte der Universitäten und Hochschulen zu demütigen und aus den Einrichtungen zu vertreiben. Meyers Ziel war: „Wir sollten uns alle um die Reinigung der akademischen Gemeinschaft bemühen, nicht durch Selbstzweifel und Inquisition, wohl aber durch frische Luft im akademischen Wettstreit, um Ideen und Qualität, Ruf und Ansehen“. Kaum war der fromme Katholik Meyer Minister in Sachsen, missbrauchte er sein Amt, um auch dort die „Reinigung der akademischen Gemeinschaft“ zu forcieren. Er ließ eine Liste erarbeiten, in der 56 Berufs - und Funktionsgruppen aufgeführt sind, „die in der Regel vom öffentlichen Dienst auszuschließen sind“. Da ein Landtagsbeschluss über diese Liste nicht zustande kam, setzte der ExRektor Biedenkopf die in den Medien als „schwarze Liste“ bezeichnete Beschlussvorlage durch ein Rundschreiben vom 3. Juli 1991 als „Anhalt“ für

die Anstellung im öffentlichen Dienst in Kraft. Massenhafteste Erscheinungsformen der Diskriminierung im Beruf waren: Entfernung nahezu aller Geistes- und Sozialwissenschaftler von den Universitäten, Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen ohne Kündigung auf dem Wege tatsächlicher oder vorgetäuschter „Abwicklung“ ihrer früheren Arbeitsstellen über eine sechs- bis neunmonatige Warteschleife. Kündigung unter direkter oder indirekter Bezugnahme auf die gesellschaftliche oder berufliche Tätigkeit in der DDR. Diskriminierung der Professoren, die in der DDR berufen worden waren, durch Einstufung als „Professoren bisherigen Rechts“, die damit wesentlicher akademischer Rechte (Mitwirkung an Berufungsverfahren, Wählbarkeit in akademische Ämter) beraubt wurden. Fragebögen im öffentlichen Dienst, zur Selbstbezichtigung nötigende Anhörungen vor Personalund „Ehrenkommissionen“, die Verhörcharakter trugen. Nichtanerkennung von Dienstjahren wegen „Staatsnähe“ zur DDR. Eine neue Stufe beruflicher Diskriminierung markierte das lebenslange Wiedereinstellungsverbot, das Minister Meyer am 9. November 1992 für 884 Wissenschaftler aussprach. Für 222 Wissenschaftler, deren Namen auf der Liste B standen, war die „Mitwirkung“ der Personalräte nur noch eine Farce, denn der Minister hatte längst angewiesen: keine Anstellung mehr an sächsischen Hochschulen. Im Bereich des sächsischen Kultusministeriums hat es bis 1994 auf der Basis des „Funktionskatalogs“ 5.700 Kündigungen gegeben. Insgesamt wurden im Freistaat Sachsen 1991/92 etwa 10.000 Lehrerinnen und Lehrer entlassen. Im Juli 1992 war mehr als die Hälfte der Stellen der ursprünglich 24.000 Hochschulangehörigen nicht mehr besetzt. Wann und wo hat es je einen solchen Aderlass in der Wissenschaft und Bildung eines Landes gegeben? Eine Analyse der Folgen ist inzwischen durch Dr. Eberhard König erfolgt: „Blick auf die Schattenseiten der Bilanz für Dresden von 1990 bis 2015“, zu erhalten über Eberhard König, Postfach 120603, 01007 Dresden. Prof. Dr. sc. phil. Horst Schneider, Dresden

Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus gedruckt.

Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio.

Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 02.06.2016.

Der Redaktion gehören an:

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Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt, Ralf Richter, Stathis Soudias.

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Strafanzeige gegen das Verteidigungsministerium Am 25. März habe ich bei der Staatsanwaltschaft Koblenz Strafanzeige gegen das Bundesministerium für Verteidigung in Person eines Ministerialdirigenten des Hauses gestellt. Zusätzlich ging bei Ministerin Ursula von der Leyen eine Dienstaufsichtsbeschwerde von mir ein. Warum bin ich diesen außergewöhnlichen Schritt gegangen? Es geht um das Thema Rüstungsexport, um das TanDEM-X-Höhenmodell, eine satellitengestützte, hochgradig detaillierte dreidimensionale Weltkarte, für die eine multinationale Produktionsallianz unter der Leitung Deutschlands und der USA gegründet worden ist. Deutschland soll sowohl die Rohdaten wie auch die Produktionssoftware liefern. Was zunächst harmlos klingt, ist eines der großen Rüstungsprojekte der letzten Jahre, denn der Bestimmungszweck ist vor allem militärisch. Auf weniger als zwei Meter genau kann jede Erhebung und Vertiefung auf

der Erde erfasst werden. Die Daten können in den Rechnersystemen unterschiedlicher Waffensysteme wie Marschflugkörpern oder Luft-BodenRaketen von Kampfflugzeugen verwendet werden. Bis hierhin mögen wir das als LINKE politisch kritisieren, ein Gesetzesverstoß ist es deswegen noch nicht. Doch es lohnt

sich, bei Rüstungsvorhaben der Bundesregierung genauer hinzuschauen. An dem Projekt sind viele Staaten beteiligt. NATO-Staaten, Mitgliedsländer der EU – und sogenannte Drittstaaten, die keines von beidem sind. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate (ARE) finden sich unter ihnen. Sie sind zum einen in den Krieg im Jemen

Bild: EADS Astrium

Hier spricht die Amazon-Belegschaft Gewerkschaftliche Arbeit innerhalb eines Betriebes läuft über das Ehrenamt der Vertrauensleute. Diese organisieren Aktionen innerhalb und außerhalb des Betriebes und sind zusammen mit hauptamtlichen GewerkschaftssekretärInnen verantwortlich für die Planung und Durchführung von Streiks. Die Motivation, dieses Ehrenamt auszuüben, ist oft die Gleiche: Der Wille, etwas zu verändern und Einfluss auf eine positive Gestaltung der Arbeitsbedingungen zu nehmen. Dabei gibt es unter den Vertrauensleuten ganz unterschiedliche Charaktere, die mit ihren individuellen Fähigkeiten die gewerkschaftliche Arbeit bereichern. So gibt es beispielsweise Vertrauenspersonen, die im Betrieb als vorrangige AnsprechpartnerInnen bei Problemen und Fragen jeglicher Art fungieren. Diese Personen genießen oftmals großes Vertrauen innerhalb der Belegschaft und besonders unter den Gewerkschaftsmitgliedern, da an sie sehr private Dinge herangetragen werden. Solche Sachen behandeln wir dabei stets vertraulich. Da es sich hierbei auch oft um eine Schnittmenge von Privat- und Arbeitsleben handelt, sind die Vertrauensleute diejenigen, die als ersteR AnsprechpartnerIn fungieren. Es hat sich in der Praxis auch gezeigt,

verwickelt und zum anderen Mitglied im Golf-Kooperationsrat, dem auch Saudi-Arabien angehört. Und das ist der Punkt: Die Weitergabe der in Deutschland entwickelten Software an Drittstaaten fällt aufgrund ihrer militärischen Nutzbarkeit unter das Außenwirtschaftsgesetz. Ihr Export hätte wie andere Rüstungsex-

dass Vorgesetzte bei Amazon nicht in der Lage sind, mit solchen Dingen einfühlsam umzugehen. Immer wieder sprachen Beschäftigte mit ihrem zuständigen Manager, so wie es die Firmenphilosophie vorsieht. Mit sehr großer Regelmäßigkeit zeigt sich jedoch, dass diese Manager dann das ihnen entgegengebrachte Vertrauen missbrauchen. Dass den Vertrauenspersonen von der Belegschaft nun mehr Vertrauen geschenkt wird, ist wiederum der Geschäftsführung ein Dorn im Auge. Daher sind Konflikte mit der Geschäftsführung und dem Management vorprogrammiert. Diesen Konflikten nicht aus dem Weg zu gehen, sondern sie auszutragen, ist daher eine weitere wichtige Eigenschaft, die man für dieses Ehrenamt mitbringen muss. Wie bereits in der Februar-Ausgabe der LINKS! im Artikel „Amazon und die Methoden des Union Busting II“ beschrieben, sind die Vertrauensleute Ziel von Mobbingaktionen. Da Mobbing eben nicht am Arbeitsplatz aufhört, sondern auch in das Privatleben hineingetragen wird, ist es wichtig, dies bis zu einem gewissen Grad ertragen zu können. Da hilft der Rückhalt der KollegInnen und besonders der anderen Vertrauensleute. Innerhalb der Vertrauensleutestruktur zeigt sich Solidarität und Zusammenhalt

porte genehmigt werden müssen und im Fall der ARE niemals genehmigt werden dürfen. Die Unterzeichnung des Vertrags zwischen dem Verteidigungsministerium und Airbus am 18. November 2015 ohne diese Genehmigung war demzufolge ein klarer Gesetzesverstoß. Darauf hatte ich das Ministerium auch rechtzeitig vor Vertragsabschluss hingewiesen, doch war man dort anderer Ansicht. Mit meiner Meinung stehe ich aber nicht allein. Ein von mir in Auftrag gegebenes Gutachten des Wissenschaftlichen Diensts des Bundestages kommt zum selben Ergebnis. Mittlerweile hat mir die Staatsanwaltschaft ein Schreiben gesandt, dass sie die Ermittlungen aufgenommen hat. Warten wir also ab, was geschieht. Ein Zwischenziel ist bereits erreicht: Durch die Berichterstattung wurde erneut deutlich, dass es die Bundesregierung mit den eigenen Bestimmungen zum Rüstungsexport nicht so genau nimmt. Michael Leutert

Gelebte Solidarität

wohl am deutlichsten, denn ein Angriff auf einen von uns ist gleichzeitig auch ein Angriff auf alle anderen. Die Ehrenamtlichen wissen, dass man bei einem solchen Arbeitgeber bzw. solch einem Gegner im Arbeitskampf nicht allein bestehen kann, sondern eine starke Gemeinschaft vonnöten ist. Es gibt noch andere Arten von Vertrauensleuten, jene, die der Arbeitgeber nicht auf der Rechnung hat. Diese wirken eher im „Hintergrund“ und leisten viel organisatorische Arbeit, beispielsweise rund um den Streik. Im Laufe der Zeit hat sich eine feste Vertrauensleutestruktur bei Amazon in Leipzig gebildet. Diese wurde von Vertrauensleuten der „1. Generation“ aufgebaut. Diese Vertrauenspersonen sahen sich noch größeren Anfeindungen des Arbeitgebers ausgesetzt, da sich diese Struktur gebildet hatte, als es noch keinen Betriebsrat gab. Ohne diese Männer und Frauen würde es diesen auch nicht geben. Die Erfahrungen, die sie dabei machten, haben sie an spätere Vertrauensleute weitergegeben, so dass alle anderen davon profitieren konnten. Allen Vertrauensleuten gemein ist, dass sie viel Energie und Freizeit in ihr Ehrenamt fließen lassen. Nicht immer bekommen sie dafür Dankbarkeit. Darin liegt vielleicht

auch der Unterschied zu anderen Ehrenämtern. Dennoch sind es eben jene Vertrauensleute, die die kleinen Verbesserungen bei Amazon erreicht

haben. Ohne sie wäre das alles nicht möglich geworden. Christian Rother Im Netz unter @CrissyLibertas und on.fb.me/1PQfCl7

Ausstellung „Häusliche Gewalt – hinter verschlossenen Türen“ 23. Mai 2016, 16 Uhr Vorstellung der Ausstellung im politiKKontor in Kirchberg 24. Mai 2016, 14 – 17 Uhr Johannisplatz in LimbachOberfrohna, u. a. mit Jörn Wunderlich, MdB 25. Mai 2016, 9 – 12 Uhr Wildenfels, beim Wochenmarkt, gegenüber Sparkasse 14 – 18 Uhr Zwickau, Robert-Schumann-Platz 26. Mai 2016 , 9 – 12 Uhr Wilkau-Haßlau beim Wochenmarkt, mit Sabine Zimmermann, MdB 27. bis 29. Mai 2016 Ausstellung auf dem Bundesparteitag 30. Mai – 7. Juni 2016 Zwickau, Rathaus 30. Mai 2016, 17 Uhr Ausstellungseröffnung

im Zwickauer Rathaus durch Ulrike Lehmann, Gleichstellungs-, Ausländerund Frauenbeauftragte als Schirmherrin, und Horst Wehner, Vizepräsident des Sächsischen Landtages 8./9. Juni 2016, 9-18 Uhr Lichtenstein, FriedrichLudwig-Jahn-Str./RudolfBreitscheid-Str. 150. Von 13 – bis 15 Uhr mit Horst Wehner, MdL 10. Juni 2016, 17 Uhr Abschlussveranstaltung zur Ausstellung in Kirchberg, Evangelisch-Lutherische Kirchgemeinde Kirchberg, Kirchplatz 9. Mit Dr. Cornelia Ernst, MEUP; Sarah Buddeberg, Sprecherin für Gleichstellungs- und Queerpolitik der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag; Petra Mrasek, Vorsitzende Wildwasser ZWICKAUer Land e. V. und Kreisrätin. Moderation: Susanna Karawanskij, MdB.


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„Teflon-Zeuge“-Steinmeier packt (nicht) aus Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) gilt als erfahrener Politiker und ist bekannt für sein gutes Gedächtnis. Letzteres konnte oder wollte er bei seiner Vernehmung als Zeuge im NSAUntersuchungsausschuss des Bundestags am 17. März 2016 nicht unter Beweis stellen. Steinmeier war von 1999 bis 2005 Chef des Kanzleramtes und zugleich Beauftragter für die drei deutschen Geheimdienste, also den Bundesnachrichtendienst (BND), das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und den Militärischen Abschirmdienst (MAD). In Steinmeiers Zeit im Kanzleramt fielen die Verhandlungen und 2002 die Unterzeichnung des Memorandum of Agreement über eine Ausweitung der Kooperation zwischen dem BND und der NSA. Zuvor hatte Bundeskanzler Schröder den Amerikanern nach den Anschlägen vom 11. September 2001 „uneingeschränkte Solidarität“ zugesagt. Die USA und vor allem die Geheimdienste nahmen Schröder beim Wort, haben in den Folgejahren weitgehende Sonderrechte auf deutschem Boden eingefordert und in vielen Fällen wohl auch erhalten. Genau das ist ein zentraler Punkt im NSA-Untersuchungsausschuss: Wer wusste was über die Ausspähung deutscher

Bürger bis hin zur Bundeskanzlerin oder auch deutscher Unternehmen durch amerikanische Dienste? Was wurde seitens der Regierung oder des BfV als für die Spionageabwehr zuständige Behörde unternommen, um das zu unterbinden? Wie gut oder schlecht funk ti -

onierte die Dienstaufsicht des Kanzleramtes gegenüber dem BND? Alles Fragen, auf die Steinmeier eigentlich hätte Antworten geben müssen, denn er war ausweislich der vorliegenden Akten in die Verhandlungen zum Abkommen mit der NSA eingebunden und hat es letztlich auch genehmigt. In seiner Amtszeit als Kanzleramtschef

gab es die berüchtigte Geheimoperation mit dem Decknamen „Eikonal“, bei der sich der BND zunächst mit einem Brief des Kanzleramts an die Vorstandsspitze der Telekom und dann über einen getürkten Antrag an die G-10-Kommission des Bundestags Zugang zum wichtigsten Kabelknotenpunkt bei Frankfurt/M. verschaffte, dort über Jahre hin weg millio -

nenfach (Festnetz-)Telefonate und Mails abfischte und die Ergebnisse mit der NSA teilte. Auch eine weitere geheime deutsch-amerikanische Kooperation im Mobilfunkbereich, diesmal mit der CIA, wäre ohne Zustimmung des Kanzleramtes undenkbar gewesen. Seit 2011 setzen die USA todbringende Drohnen u.a. in Somalia und Jemen ein, deren

Steuerung sehr wahrscheinlich ohne die US-Basis in Ramstein nicht möglich wäre. 2013 wurde Steinmeier wieder Außenminister, und wir haben keine Zweifel, dass er sehr genau weiß, welche Rolle Ramstein im tödlichen Drohnenkrieg tatsächlich spielt. Steinmeier verwies – wie erwartet – auf die Beteuerungen von US-Präsident Obama, von Ramstein aus würden keine Drohnen gesteuert. Auch wir wissen, dass die Drohnensteuerung in den USA erfolgt. Aber ohne Ramstein wäre es nach Aussagen des ehemaligen Drohnenpiloten Brandon Bryan nicht möglich, die Drohnen ins Ziel zu bringen. Ramstein sei eine unverzichtbare Relaisstation. Damit ist Deutschland bis heute direkt an völkerrechtswidrigen Tötungen beteiligt, und Steinmeier i s t

dafür mit ver antwortlich. Hinzu kommt, dass der BND und wohl auch das BfV an die US-Dienste personenbezogene Daten geliefert haben, die zur Zielerfassung genutzt werden konnten. Auf diesbezügliche Fragen reagierte Steinmeier ziemlich ungehalten. Bei fast allen re-

levanten Vorgängen bestritt er, davon gewusst, geschweige denn, sie gebilligt zu haben. Der sonst so besonnene Minister wurde regelrecht ungehalten, als ich ihn fragte, warum denn die Bundesregierung den Amerikanern nicht untersagt, ihren Drohnenkrieg über Deutschland auszutragen. Er behauptete, für die Bedeutung von Ramstein in diesem Kontext gebe es keinerlei Beweise, und unterstellte mir bzw. den LINKEN, es ginge uns doch ohnehin nur darum, dass die Amerikaner komplett aus Deutschland abziehen. Als ich erwiderte, ich wäre zunächst schon damit zufrieden, wenn die Bundesregierung den USA verbieten würde, ihren Drohnenkrieg über eine Relaisstation auf deutschem Boden zu führen, antworte Steinmeier gereizt, das sei ja alles gar nicht bewiesen und die Sache befinde sich noch in der Prüfung. So kann man sich auch aus der Verantwortung stehlen! Steinmeier hatte die Chance, deutlich zu machen, dass die Regierung nicht nur mauert, sondern auch einen aktiven Beitrag zur Aufklärung der Überwachungsaffäre zu leisten bereit ist. Er hat sie leider nicht genutzt. Dr. André Hahn

Schiene ohne Bahn, Bahn ohne Schiene Zum Stellenabbau bei Bombardier in der Lausitz Als Bahnland hat Sachsen eine lange und große Historie. Die erste Bahnfernstrecke wurde zwischen Dresden und Leipzig 1839 in Betrieb genommen. Mit der „Saxonia“ wurde bereits ein Jahr zuvor in Dresden die erste funktionsfähige Dampflokomotive in Deutschland gebaut. Insofern war Sachsen über eine lange Zeit ein Land der Eisenbahn. War. Heute ist der Zustand des Fortbewegungsmittels Bahn in Sachsen in jeglicher Hinsicht kläglich – viele Strecken sind bereits verschwunden, weitere sind in Frage gestellt. Von Dresden nach Berlin braucht man heute mit der Bahn wieder länger als in den 1930er Jahren, und die stolze Tradition des Eisenbahnbaus steht mit den Plänen des kanadischen Schienenfahrzeugherstellers Bombardier auf der Kippe. Denkt man konsequent zu Ende, was Bombardier vor weni-

gen Wochen vorgestellt hat, klingt das sehr nach dem Einstieg in den Ausstieg aus dem Standort Sachsen. In Bautzen und Görlitz sollen zusammen über 900 Menschen ihren Job verlieren, überwiegend Leiharbeiter. Hört man sich in den Werken um, sind bereits jetzt langjährige Kollegen auf einmal nicht mehr am Arbeitsplatz – die prekären Arbeitsrechte in der Leiharbeit machen es möglich. Die Leiharbeit als Arbeitsmarkt-Instrument war dazu gedacht, Spitzen in den Auftragsbüchern absichern zu können. Glaubte man der Konzernführung in Montreal, sind diese Spitzen nun nicht mehr vorhanden. Tatsächlich aber sind die Auftragsbücher bei Bombardier gut gefüllt. Mangelnde Nachfrage ist also nicht das Problem. Vielmehr sind es Fehler in der Konzernführung, die den Aktionären versprochene Dividende und der langfristige Plan, in Länder mit billigeren Lohnbedingungen zu wechseln.

Denn alle Beteuerungen von Bombardier, die Werke in der Lausitz erhalten zu wollen, klingen unglaubwürdig, wenn man bedenkt, dass man auch die Abteilung Engineering abwickeln will. Bislang, das war der große Standortvorteil sowohl in Görlitz als auch in Bautzen, konnte die gesamte Produktion – von der Entwicklung bis zur Auslieferung – an einem Standort erfolgen. Das wird so nun nicht mehr möglich sein. Nun erwartet man natürlich einen wütenden sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich, der all sein politisches Gewicht in die Waagschale wirft, um die Arbeitsplätze in der sowieso schon strukturschwachen Region zu halten. Doch weit gefehlt. Von Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) ist in der Angelegenheit kaum ein Ton zu vernehmen gewesen. Und Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) ist außer einem neuen Fördermittelangebot auch noch nichts Substan-

zielles eingefallen. Fördermittel allein werden Bombardier aber nicht umstimmen. Bis Mitte des Jahres wird Bombardier allein für das Werk in Bautzen bereits mehr als vier Millionen Euro Fördermittel erhalten haben, wie Kleine Anfragen im Sächsischen Landtag ergaben. Und prompt mit Auslaufen der Bindewirkung beginnt der angekündigte Arbeitsplatzabbau. Warum sollte das bei einer erneuten Fördermittelvergabe auf einmal anders sein? Die Staatsregierung wirkt hilflos, das konnte man auch in der dazugehörigen Debatte im Landtag beobachten. Zusammen mit der Bundesregierung müsste der Freistaat Sachsen endlich die Priorität in Sachen Mobilitätsausbau wieder von der Straße auf die Schiene verlegen und sich klar zum Fortbewegungsmittel Bahn bekennen. Das wäre nicht nur ökologisch sinnvoll, es hätte eben auch ökonomisch spürbare Effekte in der Eisenbahnregion Sachsen.

Und es wäre ein klares Signal an Bombardier, dass sich ein Standort in Sachsen auch weiterhin lohnen würde. Das sollte Ministerpräsident Stanislaw Tillich der Konzernführung von Bombardier bei einem persönlichen Besuch klar machen. Wir als LINKE stehen – auch ganz praktisch und sichtbar – an der Seite der Beschäftigten bei Bombardier. Diese Solidarität hat der Landesvorstand im April auf meinen Antrag hin auch bestätigt. Selbstverständlich haben nicht nur Rico Gebhardt und ich, sondern auch viele GenossInnen mit und ohne Mandat vor Ort an den Kundgebungen der Beschäftigten teilgenommen. Wir stehen in engem Kontakt zur Gewerkschaft IG Metall und thematisieren die tatsächlichen Ursachen für die Probleme von Bombardier, wo wir können. Dort, an der Seite der vom Personalabbau bedrohten Beschäftigten, muss der Platz einer linken Partei sein. Caren Lay


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Für eine soziale Offensive in Sachsen Auszüge aus der Replik des Liebknecht-Kreises Sachsen vom 16. April zum Strategiepapier von Rico Gebhardt (Links 4/2016) Die Resultate der drei Landtagswahlen am 13. März waren für DIE LINKE eine schwere Niederlage. Nicht zuletzt zeigen aktuelle Umfragen, dass sich daraus eine Existenzkrise der Partei entwickeln könnte. Der 13. März markiert eine tektonische Verschiebung in der bundesdeutschen Parteienlandschaft. Rechts neben der CDU/CSU gibt es eine bundesweit parlamentarisch erfolgreiche Partei, die mit der Neuen Rechten eng verzahnt ist und deren Aufschwung außerparlamentarisch durch eine derzeit vor allem in Sachsen aktive rechtspopulistische Empörungsbewegung (PEGIDA und Ableger) flankiert wird. Nicht erst der 13. März zeigte, dass ein Großteil des gesellschaftlichen Protestpotenzials, der wachsenden Unzufriedenheit mit dem etab-

lierten Politikbetrieb, von links nach rechts gewandert ist. Das ist wesentlich, aber nicht ausschließlich ein Resultat der „Flüchtlingskrise“. Es ist auch ein Ergebnis dessen, dass relevante Teile der Bevölkerung DIE LINKE mittlerweile nicht mehr als gesellschaftliche und politische Oppositionskraft, sondern eher als „verstaatlichte“ Opposition bzw. als einen Teil des Elitekartells wahrnimmt, „der auch nur mitregieren will“. Zu dem Entfremdungsprozess uns gegenüber hat beigetragen, dass DIE LINKE immer mehr wie eine Wahlpartei funktioniert und auch als solche wahrgenommen wird. Die sich häufenden Wahlniederlagen in den Ländern nach der Euphoriewelle der Parteineugründung 2007-2009 wurden zumeist mit „weiter so“ oder der „Flucht nach vorn“ quittiert. Auch eine (selbst)kritische Aufarbeitung linker Regierungsbeteiligung fand trotz offenkundiger negativer politischer Folgen bislang kaum statt, obwohl

gilt: „Ein Grundproblem linker Regierungspolitik (…) ist die Gefahr der Demobilisierung der linken, sozial- und demokratieorientierten Zivilgesellschaft.“ (Rolf Reißig/Michael Brie). Folgt man diesen Prämissen, ergeben sich folgende Konsequenzen: Erstens: Die Orientierung von Politikerinnen und Politikern der LINKEN auf eine rot-rot-grüne Regierung im Bund ist als reale politische Option für längere Zeit gescheitert. Das weitere Festhalten an diesem Modell ist nicht nur Wunschdenken, sondern bedeutet auch, gesellschaftsstrategisch zu verkennen, dass SPD und Grüne die neoliberale Kapitaloffensive maßgeblich mit zu verantworten haben und nach wie vor Stützen der neoliberalen Politik sind. Die jüngste Forderung des Landesvorsitzenden der CDU und Ministerpräsidenten Tillich an seine Partei, sich mehr auf eine Zusammenarbeit mit den Grünen zu orientieren, bestätigt diese Einschätzung. Unsere Par-

tei steht vor einer Richtungsentscheidung, die Oskar Lafontaine benannt hat: „Wir brauchen nicht ein Bündnis mit dem neoliberalen Parteienblock, sondern ein Bündnis gegen die neoliberale Politik“. Dieses Bündnis zielt auf eine Wende durch eine grundlegende Verschiebung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses nach links insbesondere durch eine wieder anzustrebende Massenmobilisierung. Dafür ist die Schärfung eines widerständigen politischen Profils der LINKEN als systemoppositionelle Partei, als Partei der Prekarisierten und Lohnabhängigen, als Antiprivatisierungspartei und als kompromisslose Antikriegspartei zwingend notwendig. Zweitens: Erforderlich sind antiimperialistische Grundpositionen in der internationalen Politik, insbesondere zu den Kriegsursachen und zur Politik des „Westens“ als wichtigste Fluchtursache und zur EU als unsoziales, undemokratisches und militaristisches Gebilde. Von einem demokratischen und sozialen Europa sind wir unter den Bedingungen des Euro und dieser EU weiter denn je entfernt. In der Innenpolitik muss die „soziale Frage“, nicht zuletzt als Frage einer eskalierenden sozialen Ungleichheit, sowie die Frage eines Ausbruchs aus dem Krisenkapitalismus wieder in den Mittelpunkt einer gesellschaftlichen Gesamtstrategie gestellt werden. Offenbar ist es uns nicht gelungen, den großen menschenrechtlichen Anspruch der Partei in der Flüchtlingsfrage mit den sozialen Abstiegsängsten in Teilen der eigenen Wählerschaft in Übereinstimmung zu bringen. Um erfolgreich gegen die AfD agieren zu können, ist daher wesentlich mehr als deren Entlarvung als neoliberale, rechtspopulistische, nationalkonservative Sammlungsbewegung notwendig. Ihr Aufstieg muss stärker als kalkuliertes Resultat sozialer Unsicherheit und Hoffnungslosigkeit, als Ergebnis von (berechtigter) Wut und Enttäuschung über das bestehende Gesellschaftssystem begriffen werden. Drittens: Ein zentrales Dilemma der LINKEN besteht in ihrer unzureichenden Mobilisierungsfähigkeit und in der dringenden Notwendigkeit, einen Politikmodus (neu) zu finden, der Politik als gesellschaftlichen Kampf, als Massenmobilisierung, als Entwicklung von Gegenmacht begreift und sich verabschiedet von einem Verständnis von linker Politik als Willensfrage und Vertretungsdemokratie. Es gibt dabei keinen Königsweg. Es geht um das Sammeln von Kräften, um scharfe Kritik der Zu-

stände sowie um mehr Präsenz in den Alltagskämpfen gegen das Kapital, in den Betrieben, in den Stadtteilen, im ländlichen Raum, in den verschiedenen sozialen Milieus. Die Präzisierung unseres linken Politikverständnisses ist umso dringlicher, weil - hier folgen wir der Analyse des Sozialwissenschaftlers Christoph Butterwegge - mit der Einwanderung überwiegend mitteloser Flüchtlinge gravierende Auswirkungen auf Armut und soziale Ungleichheit in unserem Land verknüpft sind. Die schreiende Kluft zwischen Arm und Reich wird sich dadurch wahrscheinlich weiter vertiefen. „Bei unveränderten Macht- und Mehrheitsverhältnissen besteht sogar die Gefahr einer dauerhaften ethnischen Unterschichtung unserer Gesellschaft, wenn die Dominanz rassistischer Ressentiments innerhalb der Mehrheitsgesellschaft dazu führt, dass die Geflüchteten arm bleiben und sozialer Ausgrenzung unterliegen“. Wir meinen: DIE LINKE in Sachsen hat eine besondere Verantwortung, sich den aktuellen Herausforderungen zu stellen. Weniger, weil der Freistaat vermeintlich „zum Brennpunkt einer epochalen Kontroverse um Mobilität und Migration“ (Rico Gebhardt) geworden ist. Wir sind der mitgliederstärkste Landesverband der Partei. Entscheidender ist jedoch, dass die gesellschaftliche Rechtsverschiebung in der BRD sich hier am stärksten manifestiert. Das stärkere Betonen unserer Alleinstellungsmerkmale mit Fokus auf die Kernthemen Frieden und soziale Gerechtigkeit sowie die Benennung von Hauptzielgruppen ist für die Profilierung der sächsischen LINKEN unverzichtbar. Wir brauchen eine Art Sozial-TÜV, an dem sich alle anderen Politikbereiche zu orientieren haben. Das gilt auch für die Flüchtlingsfrage. Dieses ganzheitliche Herangehen wäre auch eine Voraussetzung, um bei der „Wiedergewinnung der Arbeiterschaft“ (Rico Gebhardt) erfolgreich zu sein. Unsere Partei eint, dass wir gegen soziale Kälte und Rassismus, gegen den Rechtsruck und die neoliberale Kürzungspolitik kämpfen. Wir sind auch davon überzeugt, dass DIE LINKE beim Flüchtlingsthema weiter eine humanistische Haltung und klare Position bewahren muss. Zugleich stellen wir die Systemfrage als „Exit-Strategie aus dem Krisenkapitalismus“ (Katja Kipping/Bernd Riexinger) sowie die soziale Frage, kritisieren die wachsende Schere zwischen Arm und Reich und kämpfen weiterhin für Verteilungsgerechtigkeit und Solidarität. Mehr: gleft.de/1i2


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Jugend

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BUKO Grenzenlos! Linksjugend grenzenlos Vom 8.-10. April fand in Nürnberg der Bundeskongress der Linksjugend unter einem ganz klaren Motto statt: Bundeskongress grenzenlos! Ban-

schlossene Positionierung gegen Rassismus waren definitiv der Schwerpunkt. Das Motto sollte sich vor allem am Samstag bestätigen, als wir mit ei-

zogen, das nur wenige hundert Meter von unserem Tagungsort entfernt war. Direkt gegenüber des BAMF steht eine Asylunterkunft. Die Menschen

tration. Wir luden sie dann ein, uns zu unserem Tagungsort zu begleiten. Neben mehreren bewegenden Grußworten wurden Kontakte geknüpft

ner, Kleidung mit Solidaritätsbekundungen, viele Anträge zum Thema Asyl und eine ent-

ner Spontan-Demonstration vor das Bundesamt für Asyl, Migration und Flucht (BAMF)

in der Unterkunft freuten sich sichtlich über die Solidarität und die lautstarke Demons-

und das ein oder andere Spiel Tischkicker ausgefochten. Passend dazu wurde be-

8. Mai, 12 Uhr: Regionaljugendplenum Oberlausitz. Schulstraße 8, Görlitz. Infos: gleft. de/1hQ

13. bis 16. Mai: Pfingstcamp in Doksy, Tschechien! „Mach‘s mit. Mach‘s Nach. Mach‘s besser!“. Infos: gleft.de/1cb P.S.: Gestalte mit !

17. Mai: Rainbowflash Leipzig. Erinnerung an den Tag, als endlich Homosexualität aus dem Diagnoseschlüssel der Weltgesundheitsorganisation gestrichen wurde. 18 Uhr Augustusplatz, Leipzig / 18:30 am Roten Turm, Chemnitz / 17:30 Goldener Reiter, Dresden. Infos: gleft.de/1fb (Leipzig) / gleft. de/1hT (Chemnitz) / gleft. de/1hW (Dresden)

schlossen, sich am Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ zu beteiligen und für die Aktivierungskonferenz vom 23./24.4. in Frankfurt geworben. Neben dem großen Thema Asyl wurden viele satzungsändernde Anträge diskutiert. Dabei wurde das Frauen*-Plenum in ein FLTI*Plenum geändert und es gab eine lange Diskussion, ob eine verbindliche, harte Quotierung für Delegationen eingeführt werden soll. Bis in die Nacht wurde über einen Antrag „Solidarität mit allen Sexarbeiter*innen“ diskutiert. Dieser wurde angenommen und am nächsten Tag durch einen Initiativantrag unterstützt, Material und Workshops über das Thema bereitzustellen. Neben den vielen Diskussionen standen auch Wahlen auf der Tagesordnung. Wir haben nun einen neuen Bundessprecher_innenrat, bestehend aus sechs Personen, sowie ein Votum für unsere jugendpolitische Sprecherin, Miriam Strunge, vergeben. Bei der Wahl für die Bundesparteitagsdelegation konnten sich zudem vier Sächs_innen durchsetzen. Alles in allem war es ein Bundeskongress, der das Motto unterstrichen hat: No border, no nation! Stop deportation! Linksjugend [´solid] grenzenlos! Franziska Fehst FLTI*-Frauen-Lesben-TransInter*

Termine 7. Mai, 14 Uhr: Globalmarijuana March Dresden. Kundgebung für die Legalisierung von Marijuana. Postplatz, Dresden. Infos: gleft.de/1fa 7. Mai, 20 Uhr: Wer nicht feiert, hat verloren. Hurra, der Nazikrieg ging ´45 verloren! Wir feiern! Stoßt dazu! Hopsi 30, Görlitz. Infos unter: gleft. de/1hP

10. Mai, 19 Uhr: Die Linke Ukraine – Ein Blick in die Zukunft. Infoveranstaltung mit dem ukrainischen Aktivisten Zakhar Popovych und dem Journalisten Vitalii Atanaso. Linxxnet, Leipzig. Infos: gleft.de/1hR

16. Mai, 19 Uhr: Geldfreier Leben – Wege in ein neues Miteinander. Wie sieht eine neue Gesellschaft aus? Mit dem Aktivisten Tobi Rosswog. Lokomov, Chemnitz. Infos: gleft.de/1hS

28. Mai, 12 Uhr: CSD Dresden. Parade für die Anerkennung der Vielfalt der Geschlechter. Ort wird noch bekannt gegeben. Infos: gleft. de/1fc 27. – 29. Mai: CSD Straßenfest. Drei Tage feiern und informieren. Infos: gleft.de/1fd 10. – 12. Juni, 18 Uhr: Welcome2stay. Gipfeltreffen für bundesweite Bündnisse der Solidarität und des Antirassismus. Leipzig. Infos: gleft.de/1hU 17. – 19. Juni: Bunte Republik Neustadt. In der kompletten Neustadt, Dresden. Wir stehen vor der Wir AG und feiern mit euch! Am Samstagvormittag gibt es einen veganen Brunch! 30. Juni: Jugendbildungsfahrt in die Gedenkstätte Buchenwald. Geführter Rundgang, Ausstellungsbesichtigung. Abfahrt ab Chemnitz. Voranmeldung bis zum 30.5.. Infos: gleft. de/1hV


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

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Die Türkei, ein sicherer Drittstaat? Die Türkei und die Pressefreiheit sind länger schon zwei verschiedene Paar Schuhe. Der türkische Präsident verwandelte nach der Strafanzeige gegen Jan Böhmermann die zeitungslesende Bundesrepublik in ein Strafrechtsseminar, das überholte Paragraphen zur Majestätsbeleidigung auswertete. Merkels Handschrift im EU-Türkei-Deal erregte nicht halb so viel Aufmerksamkeit. Die Europäische Kommission ließ das Wort „Genozid“ von ihren Webseiten entfernen, weil die türkische Regierung dies im Zusammenhang mit dem Projekt „Aghet“ der „Dresdener Sinfo-

Krieg in den südöstliche Städten der Türkei. Von VölkerrechtlerInnen und PolitikerInnen sind die Auseinandersetzungen zwischen dem militanten Arm der PKK und den türkischen Sicherheitskräften, bei denen mehrere hundert Zivilisten den Tod fanden, längst als innerstaatlicher Bürgerkrieg eingestuft. Die Zeiten der Fußballdiplomatie sind vorbei Vor acht Jahren reiste der damalige türkische Staatspräsident Gül nach Eriwan, anlässlich eines Qualifikationsspiels

einer Grenzöffnung schien in Gang zu kommen. Erdogan galt durchaus als Hoffnungsträger bezüglich dieser nachbarschaftlichen Vorstöße. Ähnliche Hoffnungen gab es noch bis ins vorige Jahr hinein, wenn es um die friedliche Lösung der Kurdenfrage ging. Wie eng die Aufarbeitung der Geschichte mit der jüngsten Eskalation des Kurdenkonflikts verknüpft ist, steckt in den Lesarten für die alten und aktuellen Vertreibungen verborgen. Die Türkei leugnet keine eineinhalb Millionen Tote vor 100 Jahren. Doch die staatsoffizielle Auslegung hält diesen Geno-

gen mit der Türkei ohnehin nur noch rudimentär garantieren, wären kurdische Familien aus der Türkei ausgenommen. Zwischen dem 100jährigen Gedenken an den armenischen Genozid und dem 7. Juli 2015 fieberte die Türkei Wahlen entgegen. Die HDP, die Partei der Völker, stark im Südosten der Türkei, stand kurz vor dem Überspringen der absurden 10 % Hürde und dem Einzug ins Türkische Parlament. Als am 5. Juli 2015 Bomben auf der Wahlkampfabschlussveranstaltung der HDP in Diyarbakir hochgingen, durch die drei Menschen getötet und hunderte verletzt wurden, bewahrten die AnhängerInnen und WählerInnen, darunter viele Kurdinnen und Kurden, die Ruhe. Sie blieben besonnen und feierten – auch für ihre Toten – zwei Tage später ihren Wahlsieg. Die nötige Zeit zum Trauern, die man auf die Zeit nach den Wahlen verschoben hatte, kam nie zurück. Stattdessen folgte eine Spirale aus Verhaftungen von Bürgermeistern und Aussperrungen. Was war nach den Juliwahlen passiert?

niker“, in dem der Völkermord an den Armeniern 1915/16 thematisiert wird, verlangt hatte. Und: Seit Monaten tobt ein

Armenien-Türkei. Die bis dahin versagte Geschichtsaufarbeitung zwischen der Türkei und Armenien einschließlich

Diskussionsabend

Transparency 2.0 – Wie schützen wir unsere Daten? Nach der erfolgreichen Klage von Max Schrems vor dem EuGH ist mit „Safe Harbour“ die wichtigste Grundlage für Datentransfers in die USA weggefallen. Dazu hat die Europäische Union ein neues Datenschutzrecht beschlossen, das ab Mitte 2018 gelten wird. Welche Folgen hat dies für die Bürger*innen und die Arbeit der Datenschutzbeauftragten? Und vor allem: Wie können Bürger*innen, denen ihre Privatsphäre am Herzen liegt, diese schützen und auch in Zukunft zu ihren Rechten kommen? Über diese Fragen wollen wir mit euch und gemeinsam mit dem Datenschutzaktivisten Max Schrems

und Andreas Schurig, dem sächsischen Datenschutzbeauftragten, diskutieren. Aus diesem Grund möchten wir am 27. Mai um 17 Uhr herzlich zum Diskussionsabend „Transparency 2.0 – Wie schützen wir unsere Daten?“ ins Social Impact Lab nach Leipzig einladen. Wir freuen uns darauf, euch als Gäste bei uns begrüßen zu dürfen. Bei Fragen zur Veranstaltung erreicht ihr uns unter europa@cornelia-ernst.de und unter 0351/426 90005. Zur besseren Planung würden wir uns über eine kurze Rückmeldung über Ihre/ Deine Teilnahme freuen.

zid für eine militärisch notwendige „Umsiedlungsmaßnahme“ mit bedauerlichen Folgen. Im vergangenen Jahr war das Gedenken an 100 Jahre Völkermord an den Armeniern Thema im Europäischen Parlament. Zu diesem Zeitpunkt ahnte niemand, dass wenige Monate später eine erneute systematische Vertreibung von Kurdinnen und Kurden beginnen sollte, und natürlich hält die türkische Regierung auch diese für legitim. Wieder gehört die tausendfache Enteignung von Wohnhäusern dazu. Hunderttausende sind längst auf der Binnenflucht. Vom Recht auf Asyl, das die EU-Mitgliedsstaaten durch ihre Aushandlun-

Im Juli starben 32 junge Leute in Suruc bei Anschlägen. Danach griff eine Gruppe radikaler PKK-Kämpferinnen und Kämpfer türkische Sicherheitskräfte an. Plötzlich wurde die Bevölkerung im Südosten durch den türkischen Staat in Mithaftung genommen. Im Oktober reiste ich erneut nach Diyarbakir, sprach mit Menschenrechtsorganisationen, dem kurdischen Frauenkongress und HDP-Abgeordneten. Am 12. Oktober begleitete ich die Bürgermeisterin, gemeinsam mit vielen hundert Menschen, als Abdullah Erol, ein HDP-Abgeordneter, der bei den Anschlägen in Ankara umgekommen war, beerdigt wurde. Provozierend stiegen die Kampfjets über der Trauerfeier auf und flogen Angriffe gegen die PKK. Die wochenlangen Aussperrungen waren längst im Gange. Tränengaseinsätze erschwerten auch

unsere Meetings. Keine zwei Wochen später sah ich die wieder geöffnete Innenstadt Sur bei den Neuwahlen am 1. November: das ausgebrannte Gemeindeparlament, die zerstörte Moschee, Einschüsse an den Häuserwänden, Panzer vor den Wahllokalen. Es war erst der Beginn der Auseinandersetzungen. Cizre, Silopi, Diyarbakir, Idil – manche Stadtviertel sind heute von Homs oder Aleppo in Syrien kaum noch zu unterscheiden, obwohl doch in der Türkei, dem Vertragspartner der EU, flüchtende Syrierinnen und Syrier Schutz finden sollen. EU schweigt mehrheitlich Inzwischen wurden Frauen des kurdischen demokratischen Frauenkongresses verhaftet. 48 HDP-Abgeordneten ist, wegen angeblicher Nähe zur PKK, die Aufhebung der Immunität angedroht. Selbst 12 AKP-Abgeordnete stehen unter Verdacht. Viele diskutieren, ob Erdogans Türkei durch den Deal mit der EU ermuntert wurde, die Opposition zu kriminalisieren. Doch die Handhabe hatte sich die AKP-Regierung schon vor den Juliwahlen 2015 in innenpolitischen Gesetzespaketen gesichert. Seither galt jede missliebige politische Auffassung als Beleidigung der Regierung. Die Strategie der Rückgewinnung einer verfassungsgebenden Mehrheit bleibt Erdogans großes Ziel. Internationale Stimmen werden lauter, dass die politische Entwicklung in der Türkei nicht akzeptabel ist. Der UN-Menschenrechtskommissar Seid al-Hussein ließ die Ereignisse in den eingeschlossenen Kellern in Cizre untersuchen. Amnesty International arbeitet Vorfälle an der syrischen Grenze auf, bei denen Flüchtlinge zurückgeschickt und gar erschossen wurden. Diese Arbeit ist weder einfach noch ungefährlich. Die Nachrichtenlage ist kompliziert, und abgesehen von einer klaren Position des Europaparlaments zur Lage in der Türkei verschleppen die EU-Kommission und der Rat von Monat zu Monat ihre Verantwortung für humane Lösungen der Flüchtlingsfrage. Klären wir auf, unterstützen und solidarisieren wir uns mit allen, die sich für eine friedliche Lösung der Kurdenfrage einsetzen, innerhalb und außerhalb der Türkei! Martina Michels, MdEP


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DIE LINKE im Bundestag

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Rechtsverschärfung statt Rechtsvereinfachung bei Hartz IV Sanktionen und Leistungseinschränkungen bei Hartz IV und bei der Sozialhilfe gehören sofort abgeschafft! Das Sozialministerium Thüringen, geführt von Heike Werner, hat deswegen gemeinsam mit den Brandenburgern bei der Diskussion des Gesetzesentwurfs im Bun-

dem Rechtsverschärfungsgesetz ausgeweitet werden. Sozialwidrig, ein übel nach Paternalismus und Obrigkeitsstaatlichkeit riechender Begriff, ist schon jetzt die- oder derjenige, die oder der seine Bedürftigkeit herbeiführt: zum Beispiel dadurch, dass sie oder

Jahre, in denen ein Betroffener Leistungen bezieht. Eine Ersatzpflicht soll nunmehr auch dann eintreten, wenn durch „sozialwidriges Verhalten“ die Hilfebedürftigkeit nicht nur herbeigeführt, sondern auch erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wird. Dies wäre

desrat konsequent diese Abschaffung gefordert. Wir tun das im Bundestag genauso. Deutlich sprechen wir uns auch gegen die als zweites Sanktionsregime bei Hartz IV berüchtigte Ersatzpflichtigkeit bei „sozialwidrigem Verhalten“ aus. Diese soll nicht nur beibehalten, sondern sogar mit

er einen Job, der einen Lohn knapp über dem Hartz-IV-Armutsniveau einbringt, ablehnt. Nun soll dieses zweite Disziplinierungsregime neben den Sanktionen ausgeweitet werden. Ersatzpflicht heißt, dass monatlich bis zu 30 Prozent der Regelleistung gekürzt werden können – und dies über drei

der Fall, wenn man einen Zweitjob nicht annimmt, weil man einfach nicht mehr kann, oder eben einen miesen Job knapp über Hartz-IV-Niveau aufgibt. Diese Verhaltensweisen werden aber bereits jetzt durch die Paragraphen 31 bis 32 des Sozialgesetzbuches II drastisch sanktioniert. Zukünftig drohen

Ein geringeres Einkommen geht nachweislich einher mit einer höheren Wahrscheinlichkeit, an chronischen und psychischen Leiden zu erkranken. Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes und Lungenerkrankungen, aber auch Depressionen, Angststörungen, Alkoholismus und Drogenabhängigkeit betreffen Menschen mit niedrigem sozialen Status häufiger als Bessergestellte. Dazu kommen häufigere Unfallverletzungen und gesundheitliche Behinderungen. Diese Befunde zeichnen ein deutliches Bild vom Leben der Menschen, die in unsicheren, schlecht bezahlten und oft sehr anstrengenden Berufen arbeiten. Auf dem Bau, im Schlachthof oder auch in der Pflege hat man schwere Gewichte zu heben und riskiert Arbeitsunfälle oder Bandscheibenschäden. Wenn dazu noch die Unsicherheit kommt, ob man seinen Arbeitsplatz bald verliert oder

in Hartz IV abrutscht, bedeutet das zusätzlichen Stress, oft schlaflose Nächte. Und natürlich spielen auch Umweltfaktoren wie Belastungen mit Lärm, Abgasen oder Giftstoffen in Luft, Wasser, Boden oder Nahrungsmitteln eine Rolle. Und auch hiervor können sich Besserverdiener eher schützen als Menschen, die sich ihren Wohnort aufgrund ihres Einkommens nicht frei aussuchen können. Sachsen liegt im Hinblick auf die durchschnittliche Lebenserwartung im unteren Mittelfeld. Um die Kluft zwischen der Lebenserwartung von Arm und Reich zu schließen, ist mehr nötig als gesundheitspolitische Maßnahmen. Armut und schlechte Gesundheit müssen umfassend bekämpft werden. Natürlich muss in ein Gesundheitswesen investiert werden, das allen dieselbe bestmögliche Versorgung bietet. Wir haben mittlerwei-

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Rechtsvereinfachung klingt gut: Das Bürokratiemonster Hartz IV zugunsten der betroffenen Bürgerinnen und Bürger vereinfachen, warum nicht? DIE LINKE will Hartz IV natürlich abschaffen und durch eine sanktionsfreie, individuelle Mindestsicherung in Höhe von 1.050 Euro ersetzen. Neuregelungen zugunsten der Grundsicherungsbeziehenden wären auch schon ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Leider bietet der Entwurf des Neunten Änderungsgesetzes zum Sozialgesetzbuch II, der jetzt in Bundestag und Bundesrat diskutiert wird, kaum solche Regelungen. Im Gegenteil: Die durch die Bundesländer vorgeschlagene Abschaffung des Sondersanktionsregimes für Jugendliche unter 25 Jahren und der Sanktionen der Kosten für Unterkunft und Heizung ist nicht im vom SPD-geführten Bundesministerium für Arbeit und Soziales geschriebenen Gesetzesentwurf enthalten. Bundesministerin Andrea Nahles ist damit vor Horst Seehofer eingeknickt. Das Land Bayern und Horst Seehofer persönlich intervenierten gegen Entschärfungen des Hartz-IV-Sanktionsregimes. Für DIE LINKE ist klar: Wir begrüßen jeden Schritt, der wegführt von der bisherigen Sanktionspraxis. Wir pochen aber auf das Grundrecht auf soziale Sicherheit und zeigen klare Kante: Grundrechte kürzt man nicht. Alle Möglichkeiten der

Armut macht krank

Arme sterben früher als Reiche. Das ahnten viele. Jetzt belegen es auch aktuelle Forschungsergebnisse. Frauen, die weniger als 13.000 Euro netto im Jahr verdienen, leben im Durchschnitt 8,4 Jahre weniger als Frauen, die mehr als 30.000 Euro verdienen. Bei Männern liegt der Unterschied sogar bei 10,8 Jahren. Woran das liegt, führt die Bundesregierung auf meine Frage hin auf „individuelle Einfluss- und Risikofaktoren wie Bildung, Gesundheitsverhalten (Rauchen, Ernährung, Bewegung) sowie Arbeits- und weitere Lebensbedingungen zurück“. Diese Faktoren bestimmen ganz wesentlich die Gesundheit und Lebenserwartung, aber sie sind keineswegs individuell. Dass Menschen mit geringen Einkommen jünger sterben als Besserverdiener, ist ein gesellschaftliches und politisches Problem. Die Verantwortung dafür kann man

nicht einfach bei den Individuen abladen. Das zeigt ganz deutlich ein Blick auf die Landkarte: In Gegenden mit niedrigem durchschnittlichem Einkommen, einer hohen Arbeitslosigkeit, einer hohen Zahl von Privatinsolvenzen und Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften liegt die Lebenserwartung deutlich unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Spitzenreiter in der Lebenserwartung ist dagegen der Landkreis Starnberg südlich von München, ein beliebter Wohnort für Spitzenverdiener, die von dort in die bayerische Landeshauptstadt pendeln. Diese Unterschiede lassen sich nicht einfach darauf zurückführen, dass Geringverdiener weniger auf ihre Gesundheit achten. Die Bundesregierung stellt nur auf Präventionsprogramme ab. Die Menschen sollen also mehr Sport treiben und sich gesünder ernähren. Das greift aber viel zu kurz.

nun darüber hinaus also auch noch die verschärften Rückforderungen durch die Jobcenter. Erweitert werden die Ersatzpflichten bei „sozialwidrigem Verhalten“ zudem auch auf gewährte Sachleistungen. Befürchtet wird von den Aktivist_innen der Erwerbslosenbewegung, dass Ersatzansprüche der Jobcenter mit der Neuregelung ein Massenphänomen werden. Eine solche Rechtsverschärfung mit der drohenden massenhaften Prüfung von „sozialwidrigem Verhalten“ ist auch alles andere als eine Rechtsvereinfachung oder Entlastung der Jobcenter. Und so könnten die Beispiele der Rechtsverschärfung fortgesetzt werden: Deckelung der Erstattung der Wohnkosten bei einem „nicht erforderlichen“ Umzug auf die bisherige Kostenerstattung, auch wenn die Wohnung teurer ist und die Kosten als angemessen gelten; Einschränkung der Nachzahlung rechtswidrig vorenthaltener Leistungen, indem die rückwirkende Korrektur von rechtswidrigen Bescheiden eingeschränkt wird – um nur einige Beispiele zu nennen. Derer mehr finden sich in einem Hintergrundpapier auf meiner Website bzw. in dem Gegenantrag der Fraktion DIE LINKE (Bundestagsdrucksache 18/8076) zum Rechtsverschärfungsgesetz der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD. Hartz IV muss weg! Katja Kipping

le ein Zwei-Klassen-Gesundheitssystem, in dem Privat- vor Kassenpatienten bevorzugt werden. Arbeitslosigkeit darf nicht mehr zu Armut und Perspektivlosigkeit führen. Wir brauchen Investitionen in bezahlbaren und hoch qualitativen Wohnraum, damit alle sich gesunden und ausreichenden Wohnraum leisten können. Wichtig ist aber vor allem eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Einkommen im Bereich der einfachen und körperlich anstrengenden Tätigkeiten. Jede weitere Deregulierung von Arbeitszeiten oder Arbeitsschutzbestimmungen muss verhindert werden. Sabine Zimmermann


Kommunal-Info 4-2016 3. Mai 2016 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V.

Fördermittel Übersicht zu Fördermitteln des Bundes für Kommunen Seite 3

Finanzlage der Kommunen Kurzfassung zum KfWKommunalpanel 2015

Seite 3

Veranstaltungen Veranstaltungen des Kommunalpolitischen Forums Juni - August

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Kreditaufnahmen durch Kommunen Der Begriff des Kredits im Sinne des Kommunalrechts ist enger gefasst als der zivilrechtliche Darlehensbegriff, der sowohl Geld als auch andere vertretbare Sachen einbezieht, die darlehensweise empfangen oder geschuldet werden können. Im Kommunalrecht wird der Kredit ausschließlich als ein „Geld-Darlehen“ definiert. Zum Begriff der kommunalen Kreditaufnahme nach § 82 der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO) gehören auch nur solche Kredite, die für Investitionen, Investitionsförderungsmaßnahmen und zur Umschuldung aufgenommen werden. Nicht hierzu gehören die sogenannten Kassenkredite nach § 84 SächsGemO, die von Kommunen bei Banken als Liquiditätskredite mit kurzen Laufzeiten zur Überbrückung des verzögerten oder späteren Eingangs von Deckungsmitteln aufgenommen werden, soweit zur rechtzeitigen Leistung von Zahlungsverpflichtungen keine anderen liquiden Mittel eingesetzt werden können.1 Während „Kassenkredite“ nach § 84 SächsGemO ohne weitere Vorbedingungen erlaubt sind und auch keiner Genehmigung durch die Rechtsaufsicht bedürfen, sofern sie nicht ein Fünftel der im Ergebnishaushalt veranschlagten ordentlichen Aufwendungen übersteigen, sind die „Kreditaufnahmen“ im Sinne von § 82 an bestimmte Vorbedingungen gebunden.

Bedingungen für Kreditaufnahmen Nach den Grundsätzen der Einnahmebeschaffung in § 73 SächsGemO gilt für Kreditaufnahmen zunächst die allgemeine Vorbestimmung, dass Kommunen erst dann Kredite aufnehmen dürfen, wenn „eine andere Finanzierung nicht möglich ist“ oder

„wirtschaftlich unzweckmäßig wäre“. Das bedeutet schließlich: Ehe eine Kreditaufnahme in Betracht kommt, sind davor alle anderen Einnahmequellen und Deckungsmöglichkeiten ausschöpfen. Vor einer Kreditaufnahme ist deshalb zu prüfen, ob durch eine stärkere Heranziehung der sonstigen Einnahmen und der leistungsbezogenen Entgelte sowie durch Erhöhung der Steuersätze die Eigenmittel aufstockt werden können. Weiterhin soll geprüft werden, ob Erlöse aus Vermögensveräußerungen zu erzielen sind. Sofern realisierbar, sind ebenso alle Möglichkeiten der staatlichen Investitionszuweisungen auszuschöpfen. Nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit kann die Kommune dann Kredite aufnehmen, wenn die Finanzierung aus eigenen Deckungsmitteln unwirtschaftlich wäre. Das könnte etwa bei zinsverbilligten Krediten oder bei Krediten mit Zinszuschüssen der Fall sein. Auch in Zeiten der Niedrigzinsphase würde eine Kommune wirtschaftlich handeln, wenn sie bei derzeit noch günstigeren Zinssätzen Kredite aufnehmen kann, um damit notwendige Investitionen zu finanzieren.2 Während in § 73 SächsGemO die allgemeinen Voraussetzungen für die Kreditaufnahme bestimmt werden, gibt § 82 SächsGemO die Zweckbestimmung von Krediten vor. Sie dürfen nur im Finanzhaushalt und nur für Investitionen, Investitionsförderungsmaßnahmen und zur Umschuldung aufgenommen werden. Unter Investitionen sind Auszahlungen (in der Kameralistik = Ausgaben) zu verstehen, die zur Mehrung des Anlagevermögens führen. Danach

darf die Kommune z.B. den Kauf von bebauten und unbebauten Grundstücken, den Bau von öffentlichen Einrichtungen oder Verwaltungsgebäuden sowie vermögenswirksame Verbesserungen und Erweiterungen solcher Anlagen mit Krediten finanzieren. Dies gilt auch für die Beschaffung beweglicher Vermögensgegenstände, soweit sie nicht geringwertige Wirtschaftsgüter darstellen. Weiterhin dürfen Finanzanlagen wie Beteiligungen und Darlehen, die die Kommune aus Mitteln des Haushalts in Erfüllung einer Aufgabe gewährt sowie Kapitaleinlagen und Eigenkapital, das sie in ihre Sondervermögen mit Sonderrechnung einbringt, über Kredite finanziert werden. Als Investitionsförderungsmaßnahmen gelten Zuweisungen, Zuschüsse und Darlehen für Investitionen Dritter und zu Investitionen für Sondervermögen mit Sonderrechnung. Investitionsförderungsmaßnahme dürfen nur gewährt werden, wenn der zu fördernde Zweck zum Aufgabenbereich der Gemeinde gehört. Als Beispiele dafür zu nennen sind Zuschüsse an einen Sportverein, der einen Sportplatz baut, den zugleich die Schule mitbenutzt oder ein Zuschuss an die Kirchengemeinde zum Neubau eines Kindergartens oder für den Bau eines Altenheims oder Darlehen an eine städtische Wohnungsbaugesellschaft zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Die Ausgaben für solche Investitionsförderungsmaßnahmen sind im Finanzhaushalt darzustellen. Es handelt sich hier um Kapitalzuwendungen an einen Dritten, der im Interesse der Gemeinde eine öffentliche Aufgabe erfüllt und damit die Gemeinde entlastet. Bei einer Umschuldung wird ein Kredit durch einen anderen Kredit abgelöst. Ausgehend von den Grundsät-

zen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit kommt eine Umschuldung nur dann infrage, wenn die Konditionen des neuen Kredits für die Kommune günstiger sind, als die des abgelösten bisherigen Kredits. Bei Umschuldungen werden zwei Varianten unterschieden. (a) Beim Wechsel des Kreditgebers zahlt die Kommune den alten Kredit durch außerordentliche Tilgung an den bisherigen Kreditgeber zurück und nimmt von einem anderen Kreditgeber einen neuen Kredit auf. Eine solche Umschuldung kann für die Kommune deshalb von Interesse sein, weil der neue Kreditgeber langfristig günstigere Kreditkonditionen gewährt. (b) Der bisherige Kreditgeber schließt mit der Kommune einen neuen Kreditvertrag ab, in dem die Kreditkonditionen wesentlich geändert werden. Dies kommt vor allem dann in Frage, wenn die Laufzeit des Kredits verlängert wird. Da eine Umschuldung den Schuldenstand nicht verändert, aber in der Regel vorteilhaft für die Kommune ist, sind Kreditaufnahmen bei einer Umschuldung von den ansonsten einschränkenden Voraussetzungen für Kreditaufnahmen entlastet worden: Kreditaufnahmen im Zuge von Umschuldungen müssen nicht in die Haushaltssatzung aufgenommen werden; Kreditaufnahmen im Zuge von Umschuldungen sind ohne Erlass einer Nachtragshaushaltssatzung zulässig; die Gemeinde darf Umschuldungen in der Zeit der vorläufigen Haushaltsführung vornehmen; Kreditaufnahmen von Umschuldungen bedürfen keiner Gesamtgenehmigung der Rechtsaufsichtsbehörde im Rahmen der Haushaltssatzung.3 Fortsetzung auf folgender Seite


Kommunal-Info 4/2016 Kreditfinanzierungsverbote

Aus der Zweckbestimmung von Krediten, nur für Investitionen, Investitionsförderungsmaßnahmen und der Umschuldung zu dienen, resultiert zwangsläufig, dass Kredite für andere Zwecke nicht zur Verfügung stehen. Dazu gehören insbesondere: Aufwendungen und Auszahlungen des Ergebnishaushalts (in der Kameralistik die Ausgaben im Verwaltungshaushalt). Darunter zählen die geringwertigen Wirtschaftsgüter im Sinne des Einkommensteuerrechts, also bewegliche Gegenstände bis zu einem Anschaffungswert von 410 EUR. Auch der Erhaltungsaufwand für Gebäude darf nicht kreditfinanziert werden. Dagegen ist es zulässig, den Herstellungsaufwand, der das Grundstück oder einen beweglichen Vermögensgegenstand in seiner Substanz vermehrt, in seinem Wesen verändert oder über seinen bisherigen Zustand hinaus wesentlich verbessert, dem Finanzhaushalt zuzuordnen und aus Kreditaufnahmen zu finanzieren. Die ordentliche Tilgung von Krediten darf nicht mit neuen Kreditaufnahmen finanziert werden, da dies zu einer Verfestigung des Schuldenstands führen würde. Auch Kreditbeschaffungskosten, insbesondere ein Disagio, sind von diesem Verbot erfasst. Auch ist die Ansammlung von Rücklagen über Kreditfinanzierung nicht zulässig. Dies wäre schon deshalb unwirtschaftlich, weil die Kreditzinsen in aller Regel deutlich höher liegen als die aus der Anlage von Rücklagen erzielbaren Zinsen. Ebenso dürfen Fehlbeträge aus Vorjahren grundsätzlich nicht mit der Aufnahme von Krediten finanziert werden.4

Seite 2 Nicht jedes einzelne Rechtsgeschäft ist von einer Genehmigung abhängig, sondern der in der Haushaltssatzung festgesetzte Gesamtbetrag. Unter den Genehmigungsvorbehalt fallen nach § 82 Absatz 5 auch alle kreditähnlichen Rechtsgeschäfte (z.B. Leasing, Investorenvorhaben, ÖPP). Im Verhältnis zwischen Kommune und Aufsichtsbehörde stellt die Gesamtgenehmigung einen Verwaltungsakt dar; bei Verweigerung der Gesamtgenehmigung kann die Kommune diese Entscheidung anfechten. Die Kommune darf eine Haushaltssatzung, in der eine Kreditaufnahme vorgesehen ist, erst dann öffentlich bekanntmachen, wenn die Rechtsaufsichtsbehörde die Gesamtgenehmigung schriftlich erteilt hat. Bis zur

positionen die Investitionstätigkeit der Kommune auf die zur infrastrukturellen Grundversorgung erforderlichen Investitionen … beschränkt werden, um dem Anstieg der Abschreibungen entgegenzuwirken. b) Die dauernde Leistungsfähigkeit kann als noch gesichert angesehen werden, wenn der Zahlungsmittelsaldo aus laufender Verwaltungstätigkeit mindestens so hoch ist wie die ordentliche Kredittilgung und der Tilgungsanteil der Zahlungsverpflichtungen aus kreditähnlichen Rechtsgeschäften.“ Einer besonderen Prüfung durch die Rechtsaufsichtsbehörde werden jene Haushalte unterzogen, wo die Kommunen die Verschuldungsgrenzen überschritten haben. Nach der VwV KomHWiDoppik

Erteilung der Gesamtgenehmigung darf die Kommune grundsätzlich keine Kredite aufnehmen. Eine Ausnahme gilt nur für die nicht ausgeschöpften Kreditermächtigungen des Vorjahres sowie für Kreditaufnahmen nach § 78 Abs. 2 SächsGemO in der sog. haushaltslosen Zeit, wobei hier als „Vorgriff“ auf die neue Kreditermächtigung eine Einzelgenehmigung erforderlich ist.5

liegt eine hohe Verschuldung dann vor, wenn der Richtwert für die Verschuldung des Kernhaushaltes 1400 EUR je Einwohner bei Kreisfreien Städten, 850 EUR je Einwohner bei kreisangehörigen Städten und Gemeinden und 250 EUR je Einwohner bei Landkreisen erreicht oder überschritten ist. Bei der Ermittlung der Verschuldung sind dabei die Verbindlichkeiten aus Krediten und Anleihen sowie alle Verbindlichkeiten aus kreditähnlichen Rechtsgeschäften und Vorgängen, die Kreditaufnahmen wirtschaftlich gleichkommen, für den Kernhaushalt der Gemeinde zu berücksichtigen. Eine hohe Verschuldung besteht auch dann, wenn der Richtwert der Gesamtverschuldung von 2000 EUR je Einwohner bei Kreisfreien Städten, 1800 EUR je Einwohner bei kreisangehörigen Gemeinden von über 50000 Einwohnern, 1600 EUR je Einwohner bei kreisangehörigen Gemeinden von 10000 bis 50000 Einwohnern, 1650 EUR je Einwohner bei kreisangehörigen Gemeinden von 5000 bis 10000 Einwohnern, 1350 EUR je Einwohner bei kreisangehörigen Gemeinden von 3000 bis 5000 Einwohnern, 1200 EUR je Einwohner bei kreisangehörigen Gemeinden von 1000 bis 3000 Einwohnern und 260 EUR je Einwohner bei Landkrei-

Ermächtigung und Genehmigung

Da Kreditaufnahmen eine zentrale und herausragende Rolle in der kommunalen Haushaltswirtschaft haben, ist deren Gesamtbetrag unmittelbar in der Haushaltssatzung festzusetzen ist. Diese satzungsmäßige Festlegung wird auch als Kreditermächtigung bezeichnet. Sie beinhaltet nur die Kredite für Investitionen und Investitionsmaßnahmen, nicht jedoch jene für Umschuldungen. Diese Kreditermächtigung bildet eine absolute Obergrenze für tatsächliche Kreditaufnahmen, die die Kommune nicht überschreiten darf. Wenn besondere Umstände eintreten und die darüber hinaus neue Kredite aufgenommen werden müssen, dann ist zuvor die Haushaltssatzung durch Erlass einer Nachtragssatzung zu ändern. Eine Bagatellgrenze besteht nicht. Nach § 82 Absatz 2 SächsGemO bedarf der Gesamtbetrag der vorgesehenen Kreditaufnahmen für Investitionen und Investitionsförderungsmaßnahmen (ohne Umschuldungen) im Rahmen der Haushaltssatzung der Genehmigung der Rechtsaufsichtsbehörde. Die Genehmigung soll unter dem Gesichtspunkt einer geordneten Haushaltswirtschaft erteilt oder versagt werden; sie kann unter Bedingungen erteilt oder mit Auflagen verbunden werden. Sie ist in der Regel zu versagen, wenn die Kreditverpflichtungen die dauernde Leistungsfähigkeit der Kommune gefährden. Es handelt sich hierbei um eine Gesamtgenehmigung.

Dauernde Leistungsfähigkeit

Die Genehmigung von Krediten durch die Rechtsaufsichtsbehörde hängt maßgeblich davon ab, ob die Kreditverpflichtungen die dauernde Leistungsfähigkeit der Kommune gefährden. In der Verwaltungsvorschrift des SMI Kommunale Haushaltswirtschaft-Doppik (VwV KomHWiDoppik) vom 10. Dezember 2013 wird die dauernde Leistungsfähigkeit einer Kommune dann als gegeben angesehen, „a) … wenn im Finanzplanungszeitraum die im Ergebnishaushalt veranschlagten Aufwendungen durch Erträge gedeckt werden. Kann der Ausgleich des Ergebnishaushalts im Finanzplanungszeitraum nicht erreicht werden und resultiert der Fehlbetrag ganz oder teilweise aus nicht gedecktem Aufwand für Abschreibungen, sollte neben der Vornahme einer kritischen Überprüfung aller Aufwands- und Ertrags-

sen erreicht oder überschritten ist. Bei Gemeinden mit weniger als 1000 Einwohnern gelten aufgrund der besonderen Gegebenheiten keine bestimmten Verschuldungswerte. Zur Bewertung heißt es abschließend dazu in der VwV KomHWiDoppik: „Sind die Richtwerte erreicht oder überschritten, beurteilt sich die dauernde Leistungsfähigkeit der Kommune nach einer Gesamtbetrachtung der Haushaltssituation; eine schematische Anwendung ist unzulässig. Dabei sind insbesondere folgende Gesichtspunkte einzubeziehen und zu bewerten:“ die Wirtschaftlichkeit der Investitionen, der Stand der Aufgabenerfüllung, der Umfang des geschaffenen Anlagevermögens unter Berücksichtigung der Vermögensbestände, die nicht für kommunale Aufgaben genutzt werden und demnach veräußert werden können, die Höhe der liquiden Mittel und Forderungen, der Zahlungsmittelsaldo aus laufender Verwaltungstätigkeit im Finanzplanungszeitraum, die Situation der Zweckverbände, an denen die Kommune beteiligt ist, insbesondere der Umfang des Anlagevermögens, die Wirtschaftlichkeit der Investitionen, das Refinanzierungsmodell, die Finanz- und Liquiditätssituation, das Risiko der Inanspruchnahme aus Bürgschaften, Gewährverträgen und diesen wirtschaftlich gleichkommenden Rechtsgeschäften sowie aus gesellschaftsvertraglich begründeten Nachschusspflichten, die sonstigen latenten Risiken im Sinne des Frühwarnsystems, die Dauer und der Umfang der Inanspruchnahme von Kassenkrediten. AG — 1

Vgl § 59 Ziffer 26 der Sächsischen Kommunalhaushaltsverordnung Doppik. 2 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, Erich Schmidt Verlag, Kommentar zu § 73, Randnummer (Rdn.) 53f. 3 Vgl. ebenda, Kommentar zu § 82, Rdn. 30ff. 4 Vgl. ebenda, Rdn. 35ff. 5 Vgl. ebenda, Rdn. 158ff.

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.


Kommunal-Info 4/2016

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Fördermittel des Bundes für Kommunen Finanzielle Fördermittel werden als Zuwendungen an Kommunen mit einer definierten Zweckbindung ausgereicht. Das geschieht aus verschiedenen „Fördertöpfen“ (EU, Bundesmittel, Landesmittel) mit einer Unzahl von kaum überblickbaren Förderprogrammen. Für jedes Förderprogramm gibt es eine Förderrichtlinie, in der die Förderbedingungen festgelegt sind, insbesondere der Förderzweck, ob und in welchem Anteil eine Kofinanzierung durch die Kommune zu erfolgen hat, wie der Förderantrag zu stellen ist und wie die Abrechnung und der Verwendungsnachweis der verausgabten Fördermittel zu erfolgen haben. Neben den „Fördertöpfen“ aus EU und dem Land können auch Fördermittel aus Bundesprogrammen beantragt werden, darunter u.a.: Altersgerecht Umbauen Energetische Stadtsanierung - Zuschüsse für integrierte Quartierskonzepte und Sanie- rungsmanager Energieberatung und Energieeffizienz-Netzwerke für Kommunen und gemeinnützige Organisationen Energieeffizient Bauen Energieeffizient Sanieren Erneuerbar Mobil – Förderung von Vorhaben im Bereich der Elektromobilität Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) Förderung der Kinder- und Jugendhilfe durch den Kinder- und Jugendplan des Bundes (KJP) Förderung gesamtstaatlich bedeutsamer Modellvorhaben der kulturell-künstlerischen Vermittlungsarbeit Förderung von Baumaßnahmen für

den Spitzensport (Förderrichtlinien Sportstättenbau) Förderung von Beratungen zum Energiespar-Contracting Förderung von Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel Förderung von Maßnahmen zur gesellschaftlichen und sozialen Integration von Zuwanderern Förderung von nicht investiven Maßnahmen zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans Förderung zur Unterstützung des Breitbandausbaus in der Bundesrepublik Deutschland Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“

(GRW) IKK – Barrierearme Stadt IKK – Energetische Stadtsanierung – Quartiersversorgung IKK – Energieeffizient Bauen und Sanieren IKK Investitionskredit Kommunen Klimaschutzinitiative – Klimaschutzprojekte in sozialen, kulturellen und öffentlichen Einrichtungen Klimaschutzinitiative – Modellprojekte für Bildungsbauten im Effizienzhaus Plus-Standard Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes Nachhaltige Kommunalentwicklung durch Partnerschaftsprojekte

LändlicheEntwicklung – Räumliche Strukturmaßnahmen Reformationsjubiläum 2017 RESPEKT Pilotprogramm für schwer zu erreichende junge Menschen Städtebauförderung Die Gesamtübersicht zu den Förderprogrammen und weiterführende Informationen können beim Kommunalpolitischen Forum Sachsen e.V. abgerufen werden: Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de

KfW-Kommunalpanel 2015 • Kurzfassung Ziel des seit 2010 jährlich vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) durchgeführten KfW-Kommunalpanels ist es, ein über die Untersuchungszeit vergleichbares Bild der kommunalen Finanzlage, der Investitionstätigkeit und der kommunalen Finanzierungsbedingungen aus der Perspektive der kommunalen Finanzverantwortlichen zu zeichnen. Die Ergebnisse der KfW-Kommunalpanels der letzten Jahre wiesen immer wieder auf zunehmende Disparitäten zwischen den Kommunen hin. In der aktuellen Befragungsrunde wurden deshalb deren unterschiedliche finanzielle Entwicklungspfade als Sonderthema aufgegriffen. In der Analyse wurden dafür vier Gruppen von Kommunen in Bezug auf ihre Einschätzung ihrer vergangenen, aktuellen und zukünftigen Gesamtfinanzsituation gebildet.

Kommunale Haushalte nur noch leicht im Plus bei zunehmenden Disparitäten

Mit einem leichten Überschuss schließen die kommunalen Kernhaushalte das dritte Jahr in Folge im Plus ab, allerdings begleitet von Anzeichen zunehmender kommunaler Disparitäten: Einerseits ist der Anteil der Gemein-

den mit (nach eigener Einschätzung) aktuell guter oder sehr guter Finanzsituation gewachsen (von 13 auf 20 %). Andererseits hat die Zahl der Kommunen, die laut Befragung ihren Haushalt nicht ausgleichen konnten, 2014 ebenfalls leicht zugenommen. Positive Entwicklungen schwächen sich gleichzeitig ab: Seit 2013 steigen die Ausgaben wieder schneller als die Einnahmen. Der Bestand an Kassenkrediten ist erneut angestiegen. Die Erwartungen vieler Städte, Gemeinden und Landkreise hinsichtlich der Entwicklung ihrer Haushaltslage sind gedämpft.

Anschluss teils verloren

Die Lage der Kommunalfinanzen ist zwar in der Gesamtschau entspannt. Dies gilt indes nicht für mehr als die Hälfte der größeren Städte und für solche Kommunen, die bereits eine hohe Schuldenlast zu stemmen haben. Häufig haben sich deren finanzielle Probleme über viele Jahre verstärkt und verbauen den Weg in die Zukunft. Gut ein Drittel der Kommunen (35 %) haben seit mehr als 10 Jahren eine negative Gesamtfinanzsituation und sehen auch zukünftig keine Verbesserung ihrer Lage (Gruppe C „Kommunen in der Negativspirale“). Ihnen droht, den Anschluss zu verlieren. Dabei sind auch

Kommunen, die sich seit Jahren konstruktiv um einen Schuldenabbau bemühen.

auch für Zukunftsfähigkeit der Kommunen eine entscheidende Bedeutung zu.

Konsolidierung aus eigener Kraft

Meist kurzfristige Orientierung bei Konsolidierungsmaßnahmen

Solche „Abwärtsspiralen“ finden sich jedoch nicht durchgängig. Eine Reihe von Kommunen, die seit Jahren rote Zahlen schreiben, setzt erfolgreich Konsolidierungsmaßnahmen um. Vier von zehn dieser Kommunen schlossen ihren Haushalt im Jahr 2013 ohne Defizit ab – auch ein Hinweis auf die Bedeutung von Haushaltssicherungskonzepten. Es kann vermutet werden, dass flankierende Rahmenbedingungen (etwa Entschuldungshilfen, Entlastung bei den Sozialausgaben) und ein realistisches Zeitmanagement dazu beigetragen haben. Ohne Haushaltssicherungskonzept gelang der „Turnaround“ nur jeder zehnten Kommune. Es zeigt sich: Gebietskörperschaften, die es frühzeitig schafften, neben der Erhöhung von Einnahmen vor allem auch die Ausgaben zu reduzieren, blicken trotz langjähriger Finanzprobleme optimistischer in die Zukunft als Kommunen, die dem Wachstum der Personal- und Sachausgaben weniger Grenzen setzen konnten. Der Auswahl der Ausgabenkürzungen kommt sowohl für die Nachhaltigkeit der Maßnahmen als

Unter hohem Handlungsdruck, den Haushalt konsolidieren zu müssen, priorisieren Kommunen (und auch Aufsichtsbehörden) bis jetzt nicht selten kurzfristig orientierte Lösungen – vor allem Einschränkungen bei der Unterhaltung der Infrastruktur und Reduzierung der Investitionen auf das Notwendigste. Besonders deutlich ist dies bei den Kommunen der Gruppe C. Erfolgen solche Sparmaßnahmen nicht mit Bedacht, hat dies negative Auswirkungen auf die Aufgabenwahrnehmung. Kommunen die eine negative Entwicklung in der Vergangenheit zu verFortsetzung auf Seite 4


Kommunal-Info 4/2016 Leserzuschrift zu

„Wohnen 2045“ Die Kommunal-Info Nr. 3/2016 enthielt eine Kurzinformation über die Studie „Wohnen 2045“ von Allianz und Prognos. Dazu erhielten wir von unserer Leserin Uta Gensichen aus Dresden eine Meinungsäußerung mit dem Hinweis, die Forderung nach mehr Neubauten doch etwas differenzierter zu betrachten. Als ein spannendes und sehr aktuelles Buch zum Thema empfiehlt sie „Verbietet das Bauen!“ von Daniel Fuhrhop aus dem oekom verlag, 2015. Mehr dazu kann unter www. verbietet-das-bauen.de nachgelesen werden. Uta Gensichen schrieb uns: Liebes KFS, schade, dass in eurem Artikel „Studie Wohnen 2045“ (Kommunal-Info Nr. 3/2016) lediglich die Meinung der Allianz-Forscher abgeFortsetzung von Seite 3

KfW-Kommunalpanel zeichnen hatten, aber mit „neuer Hoffnung“ auf ihre zukünftigen Finanzen blicken (Gruppe A, 7%), streben zwar ebenfalls umfangreiche Einsparungen an, dies jedoch vor allem beim Personal und bei der Überprüfung ihrer (pflichtigen und freiwilligen) Leistungen. Dies gilt auch für die Steuerung des Mitteleinsatzes. Insbesondere Kommunen in schwieriger Finanzlage wollen vor allem durch Schuldenmanagement ihren Finanzmittelbedarf und die Liquidität absichern. Steuerungsinstrumente, die es ermöglichen, die Aufgabenwahrnehmung langfristig effizienter und effektiver zu machen, kommen bisher selten zum Einsatz: Nur jeweils etwa 2 % der Kommunen haben sich in der Vergangenheit umfangreich mit Wirkungsorientierter Steuerung, Reorganisationsmaßnahmen oder alternativen Beschaffungs- und Finanzierungsformen befasst.

Seite 4 druckt wurde. Denn die Forderung nach mehr Neubauten ist nur eine Möglichkeit, den bestehenden Problemen auf dem Wohnungsmarkt zu begegnen. Doch was sind eigentlich die ökologischen und auch sozialen Folgen einer gesteigerten Bautätigkeit in den Städten? Noch mehr teure Wohnungen entstehen, Besserverdienende verdrängen nach und nach sozial Schwächere aus den Stadtteilen und all das zu dem Preis, dass eine absurd hohe Menge an Rohstoffen und Energie für das Bauen verbraucht wird. Dabei stehen mitten in Frankfurt, Berlin & Co. tausende Wohnungen, Büroräume, Kirchen und Kasernen leer herum. Nicht Neubau, sondern Umnutzung und Umbau sind die Lösung für die in der Studie vorgestellten Probleme. Das ist natürlich für Investoren und Bauriesen nicht so reizvoll - wohl aber für Mensch und Natur. auch schnell ändern: Pessimistische Kommunen (Gruppe B, insgesamt 19 %) waren bereits in der Vergangenheit weniger aktiv und sind bei den Steuerungsinstrumenten wie Schuldenmanagement deutlich zurückhaltender als z. B. die optimistischen Kommunen der Gruppe A. Sie sehen ihre derzeit noch positive Lage jedoch inzwischen bedroht, u. a. durch mögliche Belastungen im Rahmen eines neuen Finanzausgleichs.

Investitionen insgesamt gestiegen, Spielräume noch nicht genutzt

Die Investitionen der Kommunen sind im Jahr 2014 gegenüber dem Vorjahr um 3 Mrd. EUR auf 28 Mrd. EUR erkennbar gestiegen und werden vermutlich auch 2015 weiter anwachsen (auf 31 Mrd. EUR). Die Höhe der staatlichen Zuweisungen hat – wie schon in der Vergangenheit – dabei einen erheblichen Einfluss auf die Investitionstätigkeit der Kommunen, wohingegen das positive Zinsumfeld nur in eingeschränktem Maß auf die Investitionen wirken konnte: Obwohl die Bedingungen zur Auf-

Veranstaltungen des KFS Juni – August 2016 Kommunalpolitischer Tag im Landkreis Vogtland am Sonnabend, 04. Juni 2016 10 bis 14 Uhr

in Plauen

Hotel DORMERO, Theaterstraße 7 mit folgenden Themenschwerpunkten: Kommunalpolitische Herausforderungen 2016-2019 Flüchtlingsarbeit im Vogtland Zukunft Mobilität im ländlichen Raum Beteiligungsmöglichkeiten in der Kommunalpolitik Kommunale Finanzen - wo kommt Geld her, wo geht es hin? Referenten: Waltraud Klarner (Diplom-Ingenieurin, Kreisrätin Vogtland) Konrad Heinze (Politikwissenschaftler, Netzwerk Courage) Thomas Voigt (2. Beigeordneter Landkreis Leipzig) Lars Kleba (Jugendbildner) Susanna Karawanskij (Politik- und Kulturwissenschaftlerin, MdB)

Intensivseminar Kommunale Wirtschaft. Kommunaler Haushalt von Freitag 29. Juli 2016 ab 18 Uhr bis Sonntag 31. Juli 2016 14 Uhr

in Cunnersdorf

„Alte Schule Cunnersdorf“, Schulweg 10, Schönteichen

Referent: Alexander Thomas (Dipl.-Verwaltungswirt, Parlamentarisch-wissenschaftlicher Berater)

Intensivseminar Kommunaler Haushalt. Kommunale Einnahmen von Freitag 12. August 2016, ab 17.00 Uhr (Einchecken i. Hotel) bis Sonnabend 13. August 2016, 15.30 Uhr

in Trebsen

Hotel Schloßblick, Markt 8

Referent: Alexander Thomas (Dipl.-Verwaltungswirt, Parlamentarisch-wissenschaftlicher Berater) Anmeldungen und weitere Informationen unter: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. 01127 Dresden, Großenhainer Straße 99 Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de

zierten Investitionsimpulsen.

Trotz gestiegener Investitionen: Investitionsstau nimmt weiter zu...

Kommunen mit durchgehend positiver Finanzlage (Gruppe D, insgesamt 15 %) haben vergleichsweise wenig Maßnahmen durchgeführt, sowohl auf der Einnahmen- als auch auf derAusgabenseite. Dies kann sich jedoch

nahme von Kommunalkrediten regelmäßig als gut eingeschätzt werden und die Zinssätze auch für längere Kreditlaufzeiten nach wie vor historisch niedrig sind, führt dies bei den Kommunen bisher nur begrenzt zu kreditfinan-

Entgegen der Hoffnung, dass die Zunahme der kommunalen Investitionen auch zu einem Rückgang des kommunalen Investitionsstaus führen würde, ist der wahrgenommene Rückstand wieder gestiegen. Mit hochgerechnet 132 Mrd. EUR liegt er deutlich über dem Vorjahreswert und erreicht damit das Niveau von 2012. Offensichtlich ist – vermutlich auch durch die mediale Präsenz des Themas – in den Kommunen das Bewusstsein hinsichtlich der aktuellen Defizite und erhöhter Anforderungen (z. B. für

Flüchtlingsunterbringung und –versorgung und Inklusion) deutlich gestiegen.

… aber ermutigende Anzeichen einer Besserung in Sicht

Mittelfristig sehen die Kommunen durchaus Chancen, den Rückstand – teilweise sogar deutlich – abzubauen. Bei der Kinderbetreuung konnten die Kommunen bereits viel erreichen, sicherlich stark flankiert durch die gesetzlichen Vorgaben und die Investitionsprogramme von Bund und Ländern: Inzwischen sehen drei von vier Kommunen hier keinen nennenswerten Investitionsrückstand mehr. (Quelle: www.difu.de)


April 2016

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

ParlamentsReport Neues Chaos verhindern, damit Sachsen zusammenwachsen kann

„Woher kommt der Rechtsextremismus?“ Das fragte CDU-Fraktionschef Frank Kupfer kürzlich im Tagesspiegel, nach seiner üblichen Beschwerde, dass Sachsen derzeit in schlechtem Licht dasteht. Seine Antwort: „Pauschal könnte man sagen: aus dem Westen!“, in Person etwa von Holger Apfel. Ach ja, und natürlich sei auch die DDR schuld. Ihr Produkt sei „eine Generation junger Menschen, in der einige nach der Wiedervereinigung desorientiert waren, zum Teil frustriert und perspektivlos“. Wer hat eigentlich während der letzten 25 Jahre den Freistaat regiert? Sind wirklich nur andere verantwortlich? Eine zweite fragwürdige Analyse wurde öffentlich: der Verfassungsschutzbericht 2015. Wieder lesen wir Plattitüden, Selbstlob und allgemein Bekanntes. Braucht Sachsen diese Behörde? Den Titel „Frühwarnsystem“ verdient sie nicht, zu dieser These liefert der Bericht reichlich belastendes Material. Denn er dokumentiert durch seine Auslassungen, wie das Amt Gefahren nur hinterherläuft. Beispiel: die mutmaßlich rechtsterroristische Vereinigung „Oldschool Society“, deren Mitgliedern derzeit der Prozess gemacht wird und die mit Hilfe des Operativen Abwehrzentrums der Polizei ausgehoben wurde. Ihre Radikalisierung ließ sich im Netz live verfolgen, wie auch die der terrorverdächtigen „Gruppe Freital“. Das Landesamt hatte beide erst zu spät oder gar nicht auf dem Schirm – im Fall der Freitaler Zelle gab Behördenchef Gordian Meyer-Plath das sogar offen zu. Auch die grassierende „Identitäre Bewegung“, bekanntes Kernstück des Rechtsrucks, taucht nicht auf. Und so weiter. Frank Kupfer und dem Verfassungsschutz sei empfohlen: Augen auf, das ganze Bild sehen – und zur eigenen Verantwortung stehen!

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

6 Quadratmetern Wohn- und Schlaffläche pro geflüchteter Person wollen wir auf 12 Quadratmeter anheben, um Privatsphäre wenigstens ansatzweise zu ermöglichen. Neu errichtete Einrichtungen sollen anschließend zwingend für soziale Zwecke oder den sozialen Wohnungsmarkt nutzbar sein. Die Kostenerstattung an die Kommunen soll per Spitzabrechnung und nicht länger durch eine zu geringe Pauschale erfolgen, damit die tatsächlichen Kosten gedeckt werden. In der Flüchtlingssozialarbeit soll eine Fachkraft höchstens 80 Geflüchtete betreuen, in Gemeinschaftsunterkünften 40. Das hilft, Konflikten vorzubeugen. Für die

bietes zu entfliehen, war vielen nicht möglich, denn ohne Registrierung gibt es kein Bargeld. Auf zahlreiche Orte ist dieses Szenario übertragbar, und oft kamen eine krasse rassistische Stimmung und Gewalt von außen hinzu“.

Unterkünfte sehen wir besondere Maßnahmen zum Schutz vor geschlechtsbezogener Gewalt, sexuellen Übergriffen und Belästigungen vor.

unseren Gesetzentwurf“. Das bisherige Flüchtlingsaufnahmegesetz stammt von 2007 und ist den heutigen Anforderungen nicht mehr gewachsen. Außerdem muss die EU-Aufnahmerichtlinie in Landesrecht gegossen werden. Sie definiert europaweit einheitliche Standards bei der Aufnahme, Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten.

Es darf kein neues Unterbringungs- und Kommunikations-Chaos geben, wenn in diesem Jahr wieder mehr Geflüchtete nach Sachsen kommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das geschieht, ist groß – denn Menschen, die vor unhaltbaren Zuständen fliehen mussten, werden immer Wege suchen und finden, um in Sicherheit zu gelangen. Sachsen muss sich vorbereiten. Deshalb hat die Fraktion DIE LINKE ein „Gesetz über die Neuordnung der Flüchtlingsaufnahme“ (Drucksache 6/4865) entworfen. So sollen genug Zeit und Kraft bleiben, um sich der wichtigen Frage zu widmen, was aus geflüchteten Menschen werden kann, sobald sie ein Dach über dem Kopf haben. Auch dazu werden wir praktikable Vorschläge machen. Einstweilen schlägt die Linksfraktion mit dem Gesetzentwurf verschiedene Schritte vor, um menschenwürdige Verhältnisse zu schaffen. So wollen wir die Zuständigkeit für die Flüchtlingsaufnahme vom Innenministerium ins Integrationsministerium verlagern. Die Landesebene soll die unteren Unterbringungsbehörden über Zuweisungszahlen informieren müssen. Geflüchtete sollen von den Aufnahmebehörden spätestens am fünfzehnten Tag ihres Aufenthalts über ihre Rechte und Pflichten unterrichtet werden. Ab diesem Zeitpunkt sollen sie auch die Möglichkeit erhalten, Grundkenntnisse der deutschen Sprache zu erwerben. Die Aufnahmebehörden sollen gewährleisten, dass spätestens ab dem dreißigsten Tag des Aufenthalts Schulen und Kindertageseinrichtungen besucht werden können. Gemeinschaftsunterkünfte sollen künftig maximal 60 Plätze umfassen dürfen. Den derzeit durch das Innenministerium empfohlenen Richtwert von

Auf der anderen Seite engagierten und engagieren sich auch in Sachsen tausende Haupt- und Ehrenamtliche. „Diese Menschen haben über Monate Übermenschliches geleistet, das faktische Staatsversagen kompensiert und humanitäre Krisensituationen abgewendet. Was wir an Missständen, an Strukturproblemen und Defiziten erleben mussten, war der finale Anstoß für

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Liebe Leserinnen und Leser,

Das Jahr 2015 haben die meisten in eher schlechter Erinnerung. Vor allem liegt das an der alles durchdringenden, oft mit rassistischen Untertönen durchzogenen Spaltung unserer Gesellschaft anhand der neuen „Gretchenfrage“: Wie hältst Du’s mit den Geflüchteten? Befeuert wurde (und wird) das durch das monatelange Versagen staatlicher Strukturen bei der Unterbringung der Geflüchteten. Diese ist, unabhängig von allen nachgelagerten Debatten, Gebot der Humanität: Man kann Menschen nicht hungern oder frieren lassen. Auf diesen Grundkonsens kann sich unsere Gesellschaft hoffentlich auch heute noch verständigen. Das Bundesverfassungsgericht hat es 2012 so ausgedrückt: „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“.

Die Initiative ist im April in den Landtag eingebracht worden – nun erwarten wir mit Spannung eine hoffentlich sachliche Debatte. Juliane Nagel, Sprecherin für Migrations- und Flüchtlingspolitik der Linksfraktion, schilderte bei der Vorstellung des Entwurfs die Zustände in einem Leipziger Erstaufnahme-Interim im Herbst 2015. Ob er ein Tier sei, habe ein Flüchtling sie gefragt. „In der Halle, in der er untergebracht war, lebten fast 2.000 Menschen, darunter Kinder und Frauen, Alte, Kranke und von langen Fluchtwegen geschundene Menschen. Nur provisorische Wände trennten sie. An Ruhe, Rückzug oder Privatsphäre war nicht zu denken. Das Essen bestand aus kargen Miniportionen. Mehrere Dutzend Menschen mussten sich WC und Duschen teilen. Der Tristesse des Gewerbege-

Die Reform der Flüchtlingsaufnahme kann nur der erste Schritt sein. Sie liegt im Interesse der gesamten Gesellschaft – denn eine humane Praxis bei der Flüchtlingsaufnahme ist die Basis für Integration. Zusammenhalt und Zusammenwachsen sind allemal besser als weitere Konfrontation. Außerdem profitieren auch Einheimische, wenn es wieder mehr Lehrer, Sozialarbeiter oder bezahlbaren Wohnraum gibt. Wir wollen alles daran setzen, dass wir das Jahr 2016 einst in guter Erinnerung behalten können – als das Jahr, in dem wir erfolgreich begonnen haben, den Gesellschaftswandel zu bewältigen.


PARLAMENTSREPORT

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April 2016

Medizin gegen den Aderlass an den Schulen

2009 wurde in Sachsen zum letzten Mal geplant, wie viele Lehrerinnen und Lehrer benötigt werden – und auch das nur ansatzweise, wie die Kassenprüferinnen und -prüfer vom Rechnungshof monieren. Gleichzeitig weisen auch sie sorgenvoll darauf hin, dass den Schulen ein gewaltiger personeller Aderlass bevorsteht. Schon im Mai 2014 erklärten sie, dass „im Zeitraum vom Schuljahr 2014/2015 bis 2029/2030 rund 23.700 Lehrer aus dem Schuldienst ausscheiden“. Diese Zahl entspricht fast 80 % des Personalbestandes an Lehrkräften im Schuljahr 2012/2013!

Die Linksfraktion hat die Koalition auf ihr nicht eingelöstes Versprechen hingewiesen und im Landtag gefordert (Drucksache 6/3538), das Lehrerpersonalentwicklungskonzept „unverzüglich vorzulegen, um den in den Schulen anstehenden Generationswechsel meistern und die Unterrichtsversorgung garantieren zu können“. Cornelia Falken, Bildungsexpertin der Linksfraktion, maß die Kultusministerin mit Blick auf die große Zahl von Quereinsteigern im Lehrerberuf an deren eigenem Prinzip: vor jeder Klasse ein Lehrer. „Inzwischen sind wir dabei, dass wir vor jeder Klasse eine Person haben, egal, ob es ein Lehrer ist oder nicht. Inzwischen, Frau Staatsministerin, erfüllen Sie nicht einmal mehr diese Aufgabe“.

Analyse sei schwierig, aber unverzichtbar, kritisierte Falken. Anstatt sie vorzunehmen, versuche sich Kurth an Wegen, auf denen scheinbar geringere Widerstände lauern. Zum einen will sie die Stundentafel zusammenstreichen, die Lehrpläne „entrümpeln“. Das würde Jahre dauern, wenn es sorgfältig geschehen soll. Offenbar wird auch diskutiert, die Klassenobergrenze im Schulgesetz von derzeit 28 Schülerinnen und Schülern anzuheben, um Lehrerstellen einzusparen. Das wäre allerdings Gift für die Bildungsqualität. Ohne eine langfristige Planung dürfte es schwerfallen, mit den Hochschulen Zielvereinbarungen abzuschließen. Dabei ist die Lehramtsausbildung ein Schlüssel zur Behebung des Lehrer-

Lehrerinnen und Lehrer in den Großstädten und am Gymnasium arbeiten wollen. Symbolische Stipendien für Lehramtsstudierende, die sie verpflichten, hernach an Landschulen zu unterrichten, reichen nicht aus. Der Lehrerberuf in Sachsen kann insgesamt nur attraktiv werden, wenn endlich angemessene Gehälter gezahlt werden. Sonst haben die anderen Bundesländer im Wettbewerb um Nachwuchs die Nase vorn. Dann bezahlt der Freistaat zwar weiterhin die Lehramtsausbildung, die Absolventinnen und Absolventen aber wandern ab. Die Koalitionsfraktionen lehnten den Antrag der LINKEN ab und stimmten damit gegen ihren eigenen Vertrag. Wir werden die Koalition auch wei-

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Was man verspricht, muss man halten. Das lernt man auch in der Schule, schon in jungen Jahren. CDU und SPD haben etwas versprochen – dem Landtag und dem Freistaat: „Wir werden im Rahmen eines im Jahr 2015 vorzulegenden ,Lehrerpersonalentwicklungskonzeptes 2020‘ die genauen Bedarfe ermitteln und für einen reibungslosen Generationswechsel in den Schulen sorgen“. Das schrieben die Koalitionäre 2014 in ihren Vertrag. Nun ist das Jahr 2015 schon seit Monaten Geschichte – das Konzept aber nicht in Sicht. Stattdessen werden Löcher gestopft, die immer öfter aufklaffen und stetig größer werden. Der Landeselternrat moniert regelmäßig, dass Schuljahresvorbereitung und Schuljahresbeginn für große Aufregung sorgen. Ständig müsse um die nötigen Ressourcen gebangt werden. Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) beteuert ebenso regelmäßig, alles werde „reibungslos“ verlaufen. Auch nach fast vier Jahren im Amt ist sie beim Kampf gegen den Lehrermangel allerdings noch keinen Schritt weiter gekommen als ihr Vorgänger Roland Wöller, der 2012 an der Blockadepolitik des Finanzministers gescheitert war.

Falken vermutet, dass das Personalkonzept noch nicht vorliegt, weil sich die Ministerin scheut, öffentlich den Ist-Stand zu analysieren. Dann würde deutlich, wie tief der sprichwörtliche Karren schon im Dreck steckt. Ja, die

mangels. Dieser zeigt sich nicht allein daran, dass es insgesamt zu wenige Lehrer gibt. Vor allem in ländlichen Regionen sowie an Grund- und Mittel- bzw. Oberschulen fehlt es an qualifiziertem Personal, weil viele junge

ter unter Druck setzen, damit sie ihr Versprechen einlöst. Die Haushaltsdebatte steht bevor. Erinnert sei an einen weiteren Grundsatz, den uns Schule wie Elternhaus sehr früh beibringen: Wer einmal lügt, …

„Undemokratische Zerreißproben“ verhindern – Hochschulräte entmachten! Das „Hochschulfreiheitsgesetz“, das tatsächlich eher ein Hochschul-Gängelungsgesetz ist, sorgte bei seiner Verabschiedung durch die damalige CDU/FDP-Koalition für Wirbel. Es müsste an vielen Stellen geändert werden. Beispielsweise darf die Regierung nun viel zu stark in die Hochschulautonomie eingreifen, während die studentische Interessenvertretung und die gewählten Mitbestimmungsgremien geschwächt wurden. Die Macht der Rektorate hat das Gesetz hingegen vergrößert – und auch die der beratenden „Hochschulräte“, die mehrheitlich hochschulfremd und auf undemokratische Weise besetzt werden. Fünf ihrer neun Mitglieder werden vom Wissenschaftsministerium benannt, nur zwei dürfen zur jeweiligen Hochschule gehören. An der Universität Leipzig hat sich unlängst gezeigt, dass der Hochschul-

rat viel zu mächtig ist. Er darf für die Wahl der Rektorin bzw. des Rektors eine Vorschlagsliste mit bis zu drei Kandidierenden aufstellen. Der Senat als demokratisch gewählte Vertretung aller Hochschulangehörigen darf darüber nicht mitentscheiden, der Hochschulrat muss mit ihm kein „Einvernehmen“ mehr herstellen. Diese Bedingung hatten CDU und FDP 2012 gestrichen. Seitdem muss sich der Hochschulrat nur noch mit dem Senat ins „Benehmen“ setzen, ihn also anhören. Auf Grundlage des Vorschlages wählt der Erweiterte Senat – bestehend aus dem Senat und weiteren Vertretern von Professoren, wissenschaftlichen wie sonstigen Beschäftigen und Studierenden – am Ende die Rektorin oder den Rektor. Dieses Verfahren ist nicht praktikabel, wie die Vorgänge an der Universität Leipzig bewiesen haben. Zum 1.

März 2016 sollte dort das Rektorat neu besetzt sein. Dazu kam es jedoch nicht. Der Grund: Zoff zwischen Hochschulrat und Senat um die Kandidatenliste. Wissenschaftsministerin EvaMaria Stange (SPD) sprach von einer „undemokratischen Zerreißprobe“. Der Hochschulrat beteiligte sich so intransparent am Wahl-Verfahren, dass dessen Scheitern vorprogrammiert war. Von sieben Bewerbern fanden sich nur zwei externe Kandidaten auf seiner Vorschlagsliste wieder, obwohl diese bis zu drei Plätze umfassen kann. Amtsinhaberin Beate Schücking, Kritikerin der schwarzgelben Hochschulpolitik, wurde nicht benannt – die Gründe liegen im Dunkeln. Der Senat widersprach. Es entspann sich wochenlanger Streit, der in der Drohung des Erweiterten Senats gipfelte, das Verfahren gerichtlich prüfen zu lassen. Inzwischen zogen die beiden Bewerber, die im Rennen

waren, zurück. Die Suche beginnt von vorn. Die Linksfraktion hat einen Gesetzentwurf (Drucksache 6/4578) vorgestellt, um solche Skandale künftig zu verhindern. Durch eine Änderung des § 82 Abs. 6 des Hochschulgesetzes wollen wir erreichen, dass der Senat wieder mitentscheiden darf. „Eine einvernehmliche Lösung für einen Wahlvorschlag finden zu müssen, verpflichtet alle Beteiligten zu einer konstruktiven Herangehensweise“, befand Falk Neubert, Sprecher für Hochschulpolitik. „Das stärkt auch die Position des Senates gegenüber dem Hochschulrat“. Der Entwurf wird bald zur Abstimmung stehen. Dann zeigt sich, ob die Staatsregierung und insbesondere die SPD, die damals gegen das Hochschulfreiheitsgesetz Sturm lief, zur Demokratisierung der Hochschulen bereit sind.


April 2016

PARLAMENTSREPORT

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Sachsens Weinpolitik ernüchtert Das schmeckt niemandem: Sachsens Wein ist in Verruf geraten, und mit ihm eine ganze Region. Schon in der Weinlesezeit 2015 hat die Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen in einem „Zufallsfund aus einer regulären Stichprobe“ den Wirkstoff Dimethoat festgestellt. Dieses Pflanzenbekämpfungsmittel ist gesundheitsschädlich. Also wurden viele Weine, die 2016 in den Verkauf gelangt wären oder es schon waren, gesperrt. Bekannt wurde das im Januar durch Medienberichte. Auch die Winzergenossenschaft Meißen erfuhr erst auf diesem Weg von den Verunreinigungen. Nach heutigem Stand sind 165.000 Liter in acht Weinsorten aus dem Jahr 2014 und 380.000 Liter in 15 Weinsorten aus dem Jahr 2015 kontaminiert. Das hat immense finanzielle Folgen für die Winzerinnen und Winzer, nicht nur wegen des Umsatzausfalls. Bestände müssen vernichtet und teure Eigenkontrollen angestrengt werden.

Die Linksfraktion hat finanzielle Soforthilfen für die betroffenen Winzerinnen und Winzer gefordert (Drucksache 6/4780) – auch im Interesse des Weinbaugebietes Meißen, einer wichtigen Kultur- und Tourismusregion. Ausgangspunkt soll ein Bericht über Ursachen und Folgen der Dimethoat-Verunreinigung sein, den die Staatsregierung dem Landtag vorlegen soll. Darin soll auch dargelegt werden, ob und wie sie in dieser Krise agiert hat. LINKEN - Fraktionschef Rico Gebhardt verwies im Landtag darauf, dass der Weinbau in Sachsen ähnlich traditionsreich ist wie der Bergbau. „Der Freistaat engagiert sich beim Wein sogar mit einem eigenen Staatsbetrieb, wie er das auch beim Porzel-

lan macht“. Er forderte eine lückenlose Aufarbeitung des Behördenhandelns, „das nach unseren bisherigen Erkenntnissen einer rechtzeitigen Schadensbegrenzung nicht zuträglich war“. Die Winzerinnen und Winzer, die mehrheitlich völlig schuldlos in die Krise geraten sind, brauchten ein schnelles Soforthilfeprogramm. Staatsregierung und Koalition glänzten aber mit Untätigkeit. Gebhardts Fazit: „Die Weinpolitik dieser Koalition ist besonders jetzt, da sie gefragt ist, ernüchternd“. Wie kam es zu den Verunreinigungen, und weshalb wurde das Problem nicht früher eingedämmt? Dr. Jana Pinka, Umweltexpertin der LINKEN, hat den Gang der Ereignisse aufgearbeitet und mit Anfragen an die Regierung belegt.

© Ruth Rudolph–pixelio.de

Für den Meißener CDU-Abgeordneten Sebastian Fischer, bekannt als „weinpolitischer Sprecher“, gibt es indes „keinen sogenannten Weinskandal. 99 % der sächsischen Winzer arbeiten ehrlich und sauber“. Doch auch wenige schwarze Schafe können durch kriminelles Handeln die Existenz tausender Winzerinnen und Winzer wie die Zukunft einer ganzen Region bedrohen, schon wegen des Imageschadens. Staatsregierung und Behörden müssten zügig und besonnen reagieren. Das haben sie offenbar nicht getan. Dabei hätte sich der Schaden begrenzen lassen, wenn die Winzerinnen und Winzer rechtzeitig informiert worden wären.

Vom Dimethoat-Zufallsfund im September 2015 bis zur Information der zuständigen Landesuntersuchungsanstalt im Oktober vergingen wertvolle Wochen. Der Landwirtschaftsminister kannte das Problem offenbar erst seit dem 28. Januar 2016. Da lag der Fund bereits vier Monate zurück. Das Verbraucherschutzministerium brauchte drei Monate, um die zuständige Kontrollbehörde für Pflanzenschutz im Umweltministerium zu informieren. Wären die Weinbauerinnen und Weinbauern früher alarmiert worden, wäre ein großer Teil der kontaminierten Trauben nicht verarbeitet worden. Das aber geschah nicht. „So wurde der wirtschaftliche Schaden erst möglich, verursacht, zumindest jedoch in erheblicher Weise verstärkt. Deshalb gehen wir von einer gewissen Staatshaftung aus“, so Pinka. Kaum zu glauben: Das sächsische Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie hat Weinbauern den Wirkstoff Dimethoat in Informationsveranstaltungen selbst empfohlen, um die Kirschessigfliege zu bekämpfen! Belegt ist auch: In den letzten 15 Jahren sind nur 34 Weine sächsischer Hersteller auf Schadstoffe untersucht worden. Von einer systematischen Überwachung kann also keine Rede sein. Die Ergebnisse der neuerlichen Proben, die die Staatsregierung nun eilig angekündigt hat und die offenbar schon im März genommen wurden, werden erst im September vorliegen. Was aus ihrer diesjährigen Ernte wird, wissen die Winzerinnen und Winzer bis dahin nicht. So bleibt der sächsische Weinbau wohl weiter in der Krise.

Bombardier: Ein Leuchtturm wankt lebenswichtig für jedes Unternehmen, soll zusammengestrichen werden. Die Belegschaft begehrt auf, Gewerkschaften drohen mit Streik und fordern einen Sozialplan – zu Recht! Denn an Aufträgen mangelt es dem Traditionsunternehmen nicht. Missmanagement und Profitgier sind eher richtige Erklärungen für den Konzern-Kurs. Auch die IG Metall sowie die Betriebsräte sehen die Probleme bei Bombardier als „hausgemacht“ an. Sie wollen „Kompetenzen

© Carsten Jünger–pixelio.de

Schlechte Zeiten für Sachsens Industrie: Nach Globalfoundries, VW, Siemens und LiTec droht auch in den Werken des kanadischen Schienenfahrzeugherstellers Bombardier Stellenabbau. In Görlitz sollen 700 Jobs wegfallen, obwohl der Waggonbau dort eine beachtliche Geschichte besitzt. Sie umfasst 167 Jahre. In Bautzen sollen 230 Arbeitsplätze verschwinden. Doch damit nicht genug: Ausgerechnet die Entwicklungsabteilung, über-

und Wertschöpfungsketten erhalten und ausbauen“, um Jobs zu sichern. Sonst leiden die Beschäftigten – und die ohnehin strukturschwache Oberlausitz gleich mit: Der Region drohen Gewerbesteuerausfälle und Kaufkraftverluste. Bombardier hat übrigens seit 2007 insgesamt 8,5 Millionen Euro an Fördermitteln vom Freistaat erhalten. Die Verpflichtung, Arbeitsplätze zu erhalten, endet just im Juni 2016. Über all das darf die Landespolitik nicht hinwegsehen. Deshalb setzte die Linksfraktion das Thema im Landtag auf die Tagesordnung. Mirko Schultze, Linksabgeordneter aus Görlitz, hält Kontakt zu den Beschäftigten. Für ihn haben landespolitische Rahmenbedingungen eine Teilschuld, weil etwa in Ausschreibungen vor allem Kostenfaktoren zählten. Bombardier habe „schon manchmal vor harten Entlassungen gestanden. Jetzt wird aber an die Substanz gegangen“. Widerstand müsse parteiübergreifend organisiert werden. Nico Brünler, Sprecher für Wirtschaftspolitik, schlug den Bogen zur Industriepolitik. Auch Bombardier zeige, dass es falsch sei, „systematisch Monostrukturen zu fördern“. Gerieten Leuchtturm-Unternehmen in Bedräng-

nis, sei das fatal, weil ganze Regionen von einer Branche oder von einem Unternehmen abhingen. Die Regierung betont dann gern die Bedeutung von Außenwirtschaft und Digitalisierung. Doch auch die sind krisenanfällig: Etwa die Hälfte der Ausfuhren beruht auf Automobilbau, Mikroelektronik und Schienenfahrzeugbau – alles Branchen in schwerem Fahrwasser. „Es ist auch eine Frage, wie wir mit Fördermitteln umgehen, und ob wir diese hauptsächlich an Unternehmen geben, die groß genug sind und einen Namen haben“. Stattdessen müssten Innovationen in der Breite gefördert, der Austausch mit der forschenden Hochschullandschaft verstärkt und bessere Bedingungen für Investoren geschaffen werden. „Der Bahnverkehr hat für die Staatsregierung keine Priorität. Auch ein international agierender Schienenfahrzeughersteller prüft freilich, in welchem Umfeld er investiert oder eben nicht“. Mit Bombardier muss die Staatsregierung nun verhandeln und retten, was zu retten ist. Dabei kann es nicht um Subventionen gehen. Vielmehr müssen Forschung und Entwicklung in Sachsen bleiben, um Folgeaufträge zu sichern. Vielleicht werden die Zeiten dann wieder besser.


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PARLAMENTSREPORT

April 2016

„Hier leben, hier bleiben“: Tour für Regionen der Zukunft startet

Plenarspiegel April 2016

Bereits im Jahr 2004 entwarf die damalige PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag ein umfassendes alternatives Landesentwicklungskonzept. Es beinhaltete Ideen, Konzepte und Lösungen für das Wohlergehen der Menschen in Sachsen und war ein direktes Angebot zum Dialog. Schwerpunktthemen waren damals die hohe Arbeitslosen-

Mitglieder Antje Feiks und Stefan Hartmann sowie AG-Sekretärin Marika Tändler-Walenta. Das Landesentwicklungskonzept Sachsen soll bis 2019 in mehreren Arbeitsphasen entwickelt werden. Am Ende soll ein verständliches linkes Politikkonzept stehen, das Lösungen und Perspektiven für die Menschen in Sachsen ab 2019 enthält.

Die 32. und die 33. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages fanden am 20. und 21. April 2016 statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit den folgenden Initiativen vertreten:

Dr. Jana Pinka, MdL

Aktuelle Debatte „Entscheidungen über den Industriestandort Sachsen – drohender Arbeitsplatzverlust bei Bombardier – Gründe für das hilflose Agieren der Staatsregierung“ Gesetzesentwürfe „Drittes Gesetz zur Änderung des Sächsischen Hochschulfreiheitsgesetzes“ (Drs 6/4578) „Gesetz über die Neuordnung der Flüchtlingsaufnahme im Freistaat Sachsen und zur Änderung weiterer Vorschriften“ (Drs 6/4865) Anträge „Finanzielle Soforthilfen für die von Insektizid-Belastungen im Wein betroffenen Winzerinnen und Winzer bereitstellen – Gefährdung für den Fortbestand des Weinbaugebietes Meißen (Elbtal) als sächsische Kulturlandschaft abwenden!“ (Drs 6/4780) „Unverzügliche Vorlage eines ,Lehrerpersonalentwicklungskonzeptes 2020‘ für den Freistaat Sachsen“ (Drs 6/3538) Sammeldrucksache 6/4828 mit dem Antrag der Linksfraktion „Aufklärung der Umstände und Ereignisse zur Absicherung der Erstbelegung der Asylbewerberunterkunft in Clausnitz durch die Polizei gegenüber Demonstrierenden und Blockierern am 18.Februar 2016“ (Drs 6/4299) Drucksachen (Drs) und Reden unter www.linksfraktion-sachsen.de

um bis Mitte 2017 ein Leitbild zu bestimmen, zu dem auch ExpertInnen einbezogen werden. Danach wird der Konzeptentwurf innerhalb der Fraktion besprochen und unter Einbeziehung der Kommunalvertretungen und Kreistagsfraktionen in landesweiten Arbeitsgemeinschaften, Vereinen und Verbänden sowie in einer öffentlichen Debatte in Form von Konferenzen und Fachgesprächen erörtert. Mitte 2018 soll das finale Konzept in einer Präsentation vorgestellt und in konkrete politische Handlungsschwerpunkte, Anforderungen und Politikforderungen für Sachsen ab dem Jahr 2019 überführt werden. Und am Ende wollen wir uns Zeit nehmen, unsere Erfahrungen aus diesem Projekt noch einmal kritisch zu reflektieren.

Termine 11.05.2016, 16 Uhr quote von 10,5 %, der demografische Wandel und der damit verbundene Bevölkerungsrückgang bei gleichzeitiger Überalterung. Im Mittelpunkt standen zudem die mangelhaft ausgeprägte Zivilgesellschaft, die EU-Osterweiterung und der schwindende soziale Zusammenhalt. Heute stehen wir vor ähnlichen, aber auch vor zahlreichen neuen Herausforderungen, die gravierende gesellschaftliche Veränderungen zur Folge haben werden. Neben dem steigenden Altersdurchschnitt und regionalem Bevölkerungsrückgang sind die Themen Asyl und Zuwanderung in den Fokus gerückt. Jetzt heißt es agieren, diskutieren, akzeptieren und tolerieren, statt rassistisch und egoistisch zu reagieren. Jetzt muss langfristige Integrationspolitik so vollzogen werden, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt und der soziale Frieden wiederhergestellt werden. Damit alle Sächsinnen und Sachsen, egal, ob sie bereits eine lange Zeit hier leben oder gerade erst angekommen sind, ihre Heimat lebenswert finden, müssen ihnen neue Perspektiven und vor allem Antworten aufgezeigt werden. Deshalb wird die Fraktion DIE LINKE ein Konzept zur Landesentwicklung Sachsens aus linker Sicht erarbeiten. Verantwortlich dafür ist eine sechsköpfige „Steuerungsgruppe Landesentwicklung“, die auf Beschluss der Fraktionsversammlung im Dezember 2015 gegründet wurde. Mir als stellvertretender Fraktionsvorsitzenden wurde die Leitung dieser Arbeitsgruppe übertragen. Zum Team gehören weiterhin der Fraktionsvorsitzende Rico Gebhardt, der Landtagsabgeordnete Enrico Stange als Sprecher für Landesentwicklung, die externen

Noch stehen wir ganz am Anfang. Aufbauend auf den Lehren und Empfehlungen des Landesentwicklungskonzeptes von 2004 und des aktuellen Leitbildes der Fraktion (im Ergebnis der Fortschreibung des Landesentwicklungsplanes 2012) werden sich die Landtagsabgeordneten während verschiedener Regionaltouren in den Mittel- und Grundzentren der Landkreise persönlich über die gegenwärtigen Lebenssituationen der Menschen in Sachsen informieren. Die Bürgerinnen und Bürger sollen diskutieren, wie sie hier in Zukunft gemeinsam leben möchten, welche Anforderungen sie an die Entwicklung einer lebenswerten Region stellen und wie sie sich dabei selbst einbringen möchten. In der ersten Regionaltour, die im Mai 2016 startet, soll anhand verschiedener regionaler Schwerpunktthemen, die sich an der jeweiligen politischen Dringlichkeit orientieren (z. B. Regionale Wirtschaft, Öffentlicher Nahverkehr/Mobilität, Regenerative Energien und Gesundheitsvorsorge) die Öffentlichkeit über die parlamentarisch-politische Arbeit der Fraktion informiert werden. Ergänzend dazu sind Veranstaltungen in Kooperation mit kommunalen VerantwortungsträgerInnen, Gewerkschaften, Kommunalen Planungsverbänden, Vereinen und Stiftungen vorgesehen. Weiterhin sollen Fachgespräche mit Arbeitsagenturen, Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Bauernverbänden u.a. organisiert werden. Ziel ist es, vor Ort möglichst umfassende Gespräche zu führen und daraus Anregungen, Vorschläge, Ideen und Handlungsempfehlungen mitzunehmen. In den weiteren Arbeitsphasen werden die gewonnenen Erkenntnisse und Anforderungen präzisiert,

Sozial- und rechtspolitisches Fachgespräch »Menschen unter gesetzlicher Betreuung im Freistaat Sachsen« Sächsischer Landtag, A 400 19.05.2016, 16 Uhr Fachgespräch »Familien mit Kindern in Sachsen – Leben zwischen Wirklichkeit und Wunsch« Sächsischer Landtag, A 400 Ab dem 04.05.2016 Regionaltour „Regionen der Zukunft – Sachsen. Hier leben. Hier bleiben.“ Infos: www.linksfraktionsachsen.de/regiotour. php Infos: www.gleft.de/1aJ

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig


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