LINKS! Ausgabe 5/2017

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Gereimtes und Ungereimtes zur Arbeit

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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Mai 2017

„Wer Arbeit kennt und sich nicht drückt, ist verrückt.“ Diesen Spruch lernte ich vor vielen Jahren in meiner Lehrzeit, natürlich nur inoffiziell von den Kolleginnen und Kollegen. Die offizielle DDR-Losung an der Wandzeitung hieß dagegen damals: „Arbeite mit! Plane mit! Regiere mit!“ So unterschiedlich waren schon vor weit über dreißig Jahren in der DDR die Sichten auf die Arbeit. Der 1. Mai hieß damals offiziell übrigens nicht „Tag der Arbeit“, sondern „Internationaler Kampf- und Feiertag der Arbeiterklasse“. Das klang zwar etwas umständlich, war aber durchaus die sachlich richtigere Bezeichnung. Schließlich wurde der jahrzehntelange Kampf der Gewerkschaften und der Arbeiterparteien doch eher gegen die Arbeit geführt: Gegen die Sonntags- und Nachtarbeit, gegen die Kinderarbeit, gegen Überstunden, für eine Verkürzung der Arbeitszeit, egal ob es um die wöchentliche Arbeitszeit, um freie Feier- und Urlaubstage, oder um die Lebensarbeitszeit ging. In aller Regel kämpften die Arbeiter*innen für WENIGER Arbeit. Manchmal ging es freilich auch um den Erhalt und die Sicherung von (Vollzeit-) Arbeit oder um die Schaffung neuer Arbeitsplätze – also um MEHR Arbeit. Gefordert wurde sogar ein Recht auf Arbeit. Nun kann man nach kurzem Nachdenken den scheinbaren Widerspruch auflösen: Jede und jeder sollte eine (Lohn-)Arbeit haben, von der sie oder er (einigermaßen gut) leben kann, wobei diese Arbeit möglichst nicht allzu lang und Zeit fressend, nicht unnötig belastend und nicht vollkommen auszehrend sein soll. Also: Genug Arbeit für alle und dabei möglichst wenig Arbeit für jede/n Einzelne/n. Geht es nicht eigentlich „nur“ um die Teilhabe am gesellschaftlich erwirtschafteten Einkommen und weniger um die Teilhabe an der gesellschaftlich notwendigen Arbeit? Die Befürworter*innen des Bedingungslosen Grundeinkommens würden diese

Frage bejahen. Es ist zweifellos eine faszinierende Idee, den Genuss der Früchte gesellschaftlicher Produktion aus den Fesseln eines Tauschverhältnisses der Ware Arbeitskraft (Marx) zu lösen. Doch keineswegs stößt diese Idee bei Gewerkschaften und Linken auf ungeteilte Zustimmung, denn es gibt daran durchaus auch ein paar Haken. Der aus meiner Sicht wichtigste Einwand: Um das Arbeitseinkommen kann man unmittelbar kämpfen, für (bessere) Tariflöhne kann man streiken oder zumindest damit drohen. Vorausgesetzt natürlich, man verfügt über eine hinreichende gewerkschaftliche Organisation. Beim Bedingungslosen Grundeinkommen hingegen ist man auf den Staat angewiesen, den man nur mittelbar alle paar Jahre durch sein Wahlrecht beeinflussen kann. Eben die Möglichkeit, eine notwendige Arbeit auch verweigern zu können, hat der Arbeiterbewegung historisch erst ihre Kraft gegeben – eine Kraft, die in der Geschichte immer wieder über den bloßen Kampf ums Geld hinaus reichte. Die Möglichkeit eines Generalstreikes hat der Arbeiterbewegung auch eine beträchtliche politische Macht jenseits des Parlamentarismus verliehen. Nicht umsonst fordert DIE LINKE in Deutschland ein politisches Streikrecht, welches in Frankreich oder in Italien ganz selbstverständlich ist. „Mann der Arbeit aufgewacht und erkenne Deine Macht, alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will“ war eine Losung der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts. Um aber die Räder stille stehen zu lassen, muss der starke Arm den Schalter umlegen können. Um Arbeit (gemeinsam) verweigern zu können, muss man sie erst einmal haben. In dieser dialektischen Tücke liegt wohl gerade heute wieder der rationale Kern obengenannter DDR-Losung, dass das Mitarbeiten auch etwas mit dem Mitregieren zu tun habe. Als die PDS vor Jahren plakatierte: „Arbeit soll das Land regieren“, lösten das in den eigenen Reihen viel Widerspruch aus, wurde es doch als Referenz an einen protestantischen Arbeitsfetisch (miss-)verstanden. Zumindest konnte man es auch anders lesen. Der 1. Mai jedenfalls ist als „Tag der Arbeit“ vollkommen zurecht ein „Tag der Nicht-Arbeit“ – gewissermaßen eine Demonstration unserer Macht. • Jens Matthis


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„Alterserkrankungen schon bei jungen Beschäftigten im Fokus“ Eine Pressemitteilung der Barmer Ersatzkasse scheuchte sächsische Medien im April auf. Besorgt wurde getitelt: „Je jünger – desto kränker“. Im Pressetext hieß es gleich: „Generation Z: Junge Beschäftigte – Arbeitsscheu, wenig belastbar?“ Unter „Generation Z“ versteht die Barmer junge Menschen im Alter von 16 bis 30 Jahren. Laut Statistik ist keine andere Altersgruppe so oft krankgeschrieben. Ralf Richter unterhielt sich darüber mit dem Landesbezirksjugendsekretär von ver.di, Daniel Herold. So ganz klar wurde in dem Medienbericht nicht, ob er sich auf ganz Deutschland, Mitteldeutschland oder Sachsen bezieht. Können Sie uns aufklären, Herr Herold? Der Bericht bezog sich auf ganz Deutschland – soweit ich das in der Erinnerung habe –, wurde aber speziell noch einmal für Sachsen veröffentlicht. Sie sind Landesbezirksjugendsekretär nicht nur für Sachsen, sondern auch für Sachsen-Anhalt und Thüringen. Ich nehme an, das Thema „Gesundheit junger Arbeitnehmer“ soll für den gesamten Raum stärker in den Fokus gerückt werden? Das Thema Gesundheit, Arbeitsbelastung und psychische Belastung beschäftigt uns in allen drei Bundesländern. Wir haben als DGB Jugend Sachsen den Ausbildungsreport von 2016, in dem der Schwerpunkt auf psychische Belastungen gelegt wurde. Diesen werden wir auch noch einmal auf der Landespressekonferenz vorstellen, mit Fokus auf die Gesundheitsund Sozialberufe. Im Barmer-Bericht wird allgemein der schlechte Gesundheitszustand junger Arbeitnehmer erwähnt. Was waren für Sie die gravierendsten Erkenntnisse? Geschaut wurde in dem Bericht auf alle bis 30 – wobei noch einmal unterschieden wurde zwischen ArbeitnehmerInnen und Studierenden. Kein dezidierter Unterschied wurde festgestellt zwischen Auszubildenden und ArbeitnehmerInnen. Für mich war erschreckend, dass der Bereich der typischen Alterserkrankungen bereits bei jungen Menschen in den Fokus rückte. Rückenleiden spielten eine ganz massive Rolle, Herz-Kreislauferkrankungen wurden angeführt. Stress, hohe Arbeitsbelastungen durch beruflichen und sozialen Kontext haben signifikante Auswirkungen auf Körper und Psyche bei immer mehr jungen Menschen im Arbeits-

und Ausbildungsprozess. Sogar Herzinfarkt und Bluthochdruck sind bereits weit verbreitet in dieser Altersgruppe. Von den klassischen „Volkskrankheiten“ wie Diabetes sind immer mehr jüngere Menschen betroffen. Bei jedem vierten jungen Menschen wurde bereits eine psychische Erkrankung festgestellt … Eine Theorie sagt dazu, dass in früheren Zeiten psychische Erkrankungen schlicht und einfach nicht diagnostiziert wurden – sie wurden damals unter anderen allgemeineren gesundheitlichen Leiden „verbucht“, um es mal salopp zu sagen. Früher fehlte das Wissen um viele psychische Erkrankungen. Nehmen wir zum Beispiel den Fall, dass jemand „Rücken“ hat. Hier stellt sich die Frage: Ist das wirklich ein muskuläres, also körperliches Leiden, oder handelt es sich dabei eher um ein Symptom für ein ganz anders gelagertes psychisches Problem? In der heutigen Zeit hat das Thema psychische Erkrankungen einen ganz anderen Stellenwert bekommen und wird auch viel stärker beleuchtet. Hinzu kommt, dass die Erwartungen, die junge Menschen an ihren Arbeitsplatz haben, oft vollkommen konträr zu den tatsächlichen Angeboten der Arbeitgeber stehen – was sich auf junge Menschen zusätzlich belastend auswirkt. Schon in der Ausbildung gibt es ja da oft Probleme. Mit Blick auf die Auszubildenden – für die wir ja vorrangig bei der ver.di-Jugend zuständig sind – kann ich sagen, dass das Belastungsgefühl und das Empfinden von Stress in der Ausbildung, die Sorgen um die Zukunft zu einem psychischen Alpdruck führen. Das Gefühl der Unsicherheit, was die per-

sönliche Zukunft anbelangt, mündet in psychische Instabilitäten, was wiederum zu erhöhten Krankschreibungen führt. Sie haben der Presse gesagt, dass viele junge Leute nicht wissen, was nach ihrer Ausbildung mit ihnen wird. Viele werden einfach nicht übernommen, andere haben Schwierigkeiten, sich finanziell über Wasser zu halten. Es nützt dann auch nichts, wenn ich weiß, dass es Lohnzuwächse in den letzten Jahren gab, wenn mir niemand eine Gewähr dafür gibt, dass ich nach der Ausbildung wirklich vom Betrieb übernommen werde. Das alles belastet die jungen Leute mental. Viele alleinerziehende Frauen beziehen Hartz IV, gerade in Ostdeutschland. Wie wirkt sich Kinderarmut später auf die Auszubildenden aus? Jugendliche treffen eine Berufswahlentscheidung nach dem, was sie zu Hause vorgelebt bekommen. Wir stellen fest, dass Jugendliche aus prekären Verhältnissen oft aus dieser Mühle nicht rauskommen. Es gibt dort oft eine Resignationshaltung nach dem Motto: „Ich schaff‘ das doch sowieso nicht!“ In der Tat haben diese Jugendlichen es schwer, einen guten Ausbildungsplatz zu bekommen, und oft fehlt es ihnen auch an Orientierung. Sie haben einfach keine Vorstellung davon, welche Lehre etwas für sie sein könnte, und erleben dann zu Hause, dass man sich auch einfach ziellos treiben lassen kann. Viele Eltern in Ostdeutschland haben Schwierigkeiten, den heutigen Ausbildungsmarkt zu verstehen. Wer in der DDR aufwuchs, erhielt mit dem Ausbildungsplatz in über 99 Prozent der Fälle auch die Garantie für eine un-

befristete Anstellung. Wie ist das eigentlich heute? Die Situation ist total durchwachsen. Insgesamt aber lässt sich sagen, dass viele Jugendliche bis zum Ende ihrer Ausbildung nicht wissen, was nach ihrer Ausbildungszeit passiert. Wir haben einerseits Arbeitgeber, die bereit sind, mit uns die Übernahme in ein Beschäftigtenverhältnis zu regeln – auch auf tarifvertraglicher Basis. Ein großer Teil wird tatsächlich befristet nach der Ausbildung übernommen. Aus meiner Sicht aber ist die Aussicht auf einen befristeten Arbeitsplatz nicht d a s Problem – viel gravierender ist für meine Begriffe, dass in vielen Ausbildungsbetrieben gesagt wird: Wenn Du gut bist, übernehmen wir Dich. Dann aber lässt man die Jugendlichen über drei Jahre hängen – es geht sogar so weit, dass einige Betriebe sagen, wir können doch den Azubis gar nicht fest zusagen, dass wir sie übernehmen. Denn täten wir das, dann würden die ja nur noch auf der faulen Haut liegen. Darin sehe ich ehrlich gesagt einen Verrat an den Auszubildenden. Was brauchen die Auszubildenden also? Sie brauchen Verlässlichkeit, Kontinuität, eine gute Ausbildung und eine klare Perspektive, so dass sie wissen, was mit ihnen nach ihrer Ausbildung geschieht. Daran fehlt es derzeit an vielen Stellen. Gibt es auch positive Beispiele? Es gibt in der Tat viele Betriebe, die die demographischen Probleme spüren und deshalb den Jugendlichen versprechen, sie zu übernehmen – von denen allerdings treffen viele keine tarifliche Vereinbarung mit uns. Einerseits wird also den Azubis eine Zusicherung gegeben, an-

dererseits möchte man keine tariflich fixierte Vereinbarung mit uns, also zwischen den Sozialpartnern, treffen. Viele Jugendliche sehen das nicht kritisch, aber in meinen Augen ist das durchaus ein Problem. Letzten Endes lässt sich „die Wirtschaft“ ein Hintertürchen offen … Die Jugendlichen vertrauen der Zusage – das ist ja erst einmal auch gut. Wenn sich dann aber plötzlich doch „der Wind dreht“, können sich die Arbeitgeber nicht mehr an ihre Zusage erinnern und missbrauchen dieses Vertrauen – tarifvertraglich wurde ja schließlich nichts vereinbart, und so sieht man sich „im Ernstfall“ nicht in der Pflicht. Es gibt auch junge Menschen, die zwei, drei Jobs machen, um sich über Wasser zu halten – die so genannten Multi-Jobber. Hat man die auch bei ver.di im Blick? Wer zwei, drei Jobs hat, kann sich kaum darauf konzentrieren, in einem Job die Arbeitsverhältnisse zu verbessern. Es fehlt an Zeit und Kraft, das ist ein Riesenproblem. Noch bedenklicher aber ist es, wenn jemand eine rein schulische Ausbildung zum Beispiel zum Physiotherapeuten durchläuft, nachdem er oder sie eine Berufsausbildung oder ein Studium absolviert hat. Dann gibt es weder für die schulische Ausbildung noch für die Praktika eine Vergütung, und man ist gezwungen, abends an der Supermarktkasse zu sitzen oder zu kellnern. Auch dieses Thema werden wir speziell für Sachsen ansprechen. Es gibt also jede Menge zu tun. Was wünschen Sie sich eigentlich von der Politik? Wir von ver.di versuchen alles, um den Jugendlichen Gehör zu verschaffen. Für uns ist es wichtig, dass die Jugendlichen insbesondere mit ihren Wünschen und Sorgen ernst genommen werden. Gerade wenn von Politikverdrossenheit bei jungen Menschen die Rede ist – wir beobachten die fatalen Folgen im Moment. Die jungen Leute sind nicht die Mehrheit der Gesellschaft, sie stellen aber die Zukunft dar. Nur gute Löhne können Altersarmut verhindern und eine vernünftige Rente sichern. Wenn die Politik sich die Sorgen und Nöte der Jugendlichen aber nur anhört und danach nichts passiert, ist das kein gutes Zeichen. Politik muss für alle jungen Menschen eine Perspektive schaffen – wenn das nicht gewährleistet ist, gibt es nicht nur Probleme für die Gesundheit von jungen Menschen, sondern große Problemen in der Gesellschaft als Ganzes.


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Als Täve Wurzener Mekorna schluckte Besuch beim größten Sportidol der DDR Gustav-Adolf Schur Als Junge, Jahrgang 1945, hing ich am Radio, wenn die Friedensfahrtfanfare ertönte und der großartige Täve unsere Herzen höherschlagen ließ. Jahrzehnte später stieß ich als Zeitungsredakteur in Wurzen auch hier auf seine Spuren. Als Ruheständler machte ich mich auf, den Helden meiner Kindheit persönlich kennenzulernen. Das war 2014, und ich erinnere mich mit Freude an einen warmherzigen Menschen, dem politisches Kalkül gerade wieder einmal die Ehre abschneiden will. In meinem Buch „Lauter Leben“ habe ich den Besuch im Hause Schur festgehalten. Heyrothsberge, Am Fuchsberg 39. Täve erwartet uns schon an der Haustür. Im Wohnzimmer hat seine Frau Renate den Kaffeetisch gedeckt. „Sagen wir Du?“, fragt der Hausherr meinen Sohn und mich und bittet uns zuzugreifen. Wir lassen uns den Bienenstich, seinen Lieblingskuchen, schmecken und plauschen, als wären wir gute alte Bekannte. Über Gustav-Adolf Schur, den populärsten Sportler der DDR, sind diverse Bücher und Artikel erschienen. In ihnen sind alle wesentlichen Facetten seines erfolgreichen Sportlerlebens als Straßenradrennfahrer, seines unermüdlichen gesellschaftlichen Engagements als konsequent Linker und seines privaten Alltags darge-

Das weiß das einfache Volk im Vertrauen auf die eigene Kraft. Dass es oft so ist, kann man am Einzelfall belegen, und dass es dazu manchmal mehr der Not als technischer Raffinesse bedarf, auch. So wurde zum Beispiel vor gerade 200 Jahren etwas erfunden, was – glaubt man wieder dem Volk und seinen Weisheiten – nicht noch einmal erfunden werden muss: das Fahrrad. Zwar war es damals eher so etwas, was man heute als Laufrad kennt und nur mehr für Kinder bestimmt ist, aber es fuhr; und es fuhr schneller als man laufen konnte. Es verwertete also den möglichen Energieaufwand eines Menschen für die Fortbewegung besser als

stellt. Zeitgenossen wie Nachgeborene kennen ihn als „Täve“. Ein einmaliges Phänomen. Jetzt, bei unserem Gespräch, das der Mittachtziger mit ansteckendem Lachen und vielen Anekdoten würzt, finden wir alles das bestätigt, das ihm Achtung, Verehrung, ja Liebe der Menschen einträgt. Trotz aller Erfolge ist Gustav-Adolf Schur der „Kumpel von nebenan“ geblieben: bodenständig, bescheiden, ehrlich, geradlinig. Und jung im Geiste. Einer mit Standpunkt und Courage. „Lasst mal ab“, sagt Täve. „Ich habe viel von den Menschen bekommen, nun versuche ich, etwas zurückzugeben. Das empfinde ich als meine Ehrenpflicht!“ Wir kommen auf unser Kernthema. „Wurzen, ach du

liebe Zeit“. Täve kennt seinen Ringelnatz. Bei ihm scheint die Erinnerung an die Muldestadt durch den Magen zu gehen. „Wenn ich an Wurzen denke, denke ich zuerst an Mekorna. Mehrkornnahrung aus dem Albert-Kuntz-Kombinat, Pulver, das unsere Trainer mit Wasser in unseren Trinkflaschen verrührten. Ein vitaminreiches Stärkungsmittel, dazu lecker.“ Sicher hat der doppelte Weltmeister und Friedenfahrtsieger sich auch an Mekorna gelabt, als er zwischen 1959 und 1961 mehrfach über Wurzener Pflaster bretterte. „Ich erinnere mich gern an die enthusiastischen Zuschauer, die uns zum 10. Jahrestag der DDR und während der 1000-JahrFeier Wurzens 1961 zujubel-

ten.“ Nach seiner aktiven Laufbahn hatte ihn der Wurzener Club 1971 als Volkskammerabgeordneten in den Schweizergarten eingeladen. In einer Spielrunde strampelte der frühere „Gigant der Landstraße“ mit Schlips und Kragen auf einem Spaßmobil. „Die Leute waren aus dem Häuschen.“ Das waren die Mädchen und Jungen auch, die ihr großes Vorbild 2009 bei der Kleinen Friedensfahrt im benachbarten Bennewitz begrüßten. „Solche Aktionen kann man nicht genug fördern“, betont der langjährige Sportfunktionär, Ehrenpräsident des Landessportbundes Sachsen-Anhalt und bis 2013 Vorsitzender des Kuratoriums „Friedensfahrt Course de la Paix“. Wie

als sportpolitischer Sprecher der damaligen PDS-Fraktion im Bundestag von 1998-2002 wird Schur auch bei seinen aktuellen Vorträgen nicht müde, seine Stimme für den Breitensport und mehr Unterrichtsstunden im Schulsport zu erheben. Täve blättert während des Gesprächs in unserem Geschenk, der „Zeitreise“. In der Chronik zum 1050-jährigen Jubiläum der Stadt Wurzen 2011 findet er auch seinen Namen. „Jetzt im Alter versuche ich, mir mehr Zeit fürs Lesen freizuschaufeln. Mich interessieren Schriften, die die Verantwortung der Menschen für eine gerechte Welt anmahnen, aber auch das Leben in dichterischen Worten preisen.“ Wie zum Beweis hält er Bücher von Jean Ziegler und Gisela Steineckert hoch. Die Radsportlegende kommt auf die Kleine Friedensfahrt in Bennewitz zurück. „Die Idee der völkerverbindenden Tour lebt. Und damit die Erinnerung an das weltgrößte und bedeutendste Etappenrennen der Amateure nicht erlischt, betreiben wir in Kleinmühlingen das einzige Friedensfahrtmuseum der Welt.“ Täve strafft sich. Der Oldie, sonntags mit seinem Freund Wolfgang Lichtenberg per Rad stramme 60 Kilometer unterwegs, ist fit wie ein Turnschuh. „Das macht die Bewegung“, lacht er, „und gesunde Ernährung. Ich will doch 100 werden.“ Wir wünschen es ihm. Wulf Skaun

die Fußläufigkeit. Die Not dafür war durch eine Missernte gegeben, die vor 200 Jahren nicht nur die Menschen hungern und sterben ließ, sondern auch Pferde. Pferde und ihre Haltung wurden sehr teuer und damit auch das damals übliche Transportwesen. Ein Karl Friedrich Christian Ludwig Freiherr Drais von Sauerbronn ersann Abhilfe und baute das Laufrad – aus Holz und eben ohne Pedale. Die Pedale und der Kettenantrieb kamen erst 50 Jahre später aus Frankreich. Dazwischen gab es quasi eine Sackgasse der Entwicklung zu höherer Geschwindigkeit, das Hochrad. Dem Kettenantrieb folgte die Gangschaltung usw., bis das uns heute bekannte Fahrrad mit all seinen Finessen fertig war. Neu erfunden werden musste das Fahrrad tatsächlich nicht mehr, weiterentwickelt und verbessert wurde es sehr wohl. Aber auch seine Nutzung veränderte sich. Vom Hochrad als Statussymbol Wohlhabender wurde es mehr und mehr zum erschwingli-

chen privaten Verkehrsmittel, und als es als solches in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts vom Auto abgelöst wurde, eröffneten sich die Wege zum Freizeitvehikel einerseits und zum Massensportartikel andererseits. Und heute? Ja, heute droht neue Not. Der dichte Autoverkehr auf Autobahnen, Schnell-

der Tatsache, dass man mit dem Fahrrad nicht nur überschüssige Pfunde abbauen kann oder mit ihm irgendwelche Siege und Rekorde zu erringen sind, sondern dass man ja dabei immer auch von einem Ort, von einem Punkt zum anderen kommt. Das Fahrrad wird wieder interessant als einfaches Verkehrs- und Transportmittel. Die Erfinder stehen schon auf der Matte. Die einen erfinden fahrradgerechte Straßen. Sie erfinden sogar Fahrradautobahnen. Die Erkenntnis der Vergleichbarkeit von Fahrrädern mit Autos ist in der eigentlich paradoxen Benennung aufgehoben. Andere suchen neue, leichte Materialien für die Fahrräder, neue, effizientere Kraftübertragungen als den Kettenantrieb und neue Schaltungen. Ganz Schlaue haben das Elektro-Fahrrad (EBike) erfunden. Nun mal sehen, wohin das führt. Karl Drais war 1818 wegen seiner Erfindungen zum Professor der Mathematik berufen worden. Das war just in dem Jahr als ein anderer Karl, nämlich

der Karl Marx, in Trier geboren wurde. Jener sah die Not der Proletarier. Er wurde deshalb nicht zum Erfinder, wohl aber zum Analysten. Er ergründete die Ursachen der Not und fand sie in kapitalistischer Ausbeutung. Vor 150 Jahren legte er den ersten Band seiner umfassenden Analysen und der Aussicht auf Lösung der Not in einem künftigen Sozialismus und Kommunismus vor: „Das Kapital“. Danach versuchten viele die Weiterentwicklungen der Gedanken von Marx und auch ihre praktische Umsetzung. Kleinere Versuche scheiterten und auch der erste globale Großversuch, der Staatssozialismus, endete wie das Hochrad wegen der Diskrepanz zwischen Ziel und Mittel in einer Sackgasse. Sage aber niemand, das sei das Ende der Bedeutung von Karl Marx. Neue Not mit dem real existierenden Kapital, seiner Ausbeutung und seinen Kriegen macht die Fähigkeit, Straßen in eine Zukunft ohne Not bauen und angemessen nutzen zu können, wieder nötiger denn je.

Not macht erfinderisch straßen, Fernverkehrsstraßen, mit Autos vollgestopfte und verqualmte Städte, Parkplatznot und immer teurer werdender Brennstoff für die Motoren sind auch durch immer raffiniertere technische Entwicklungen nicht mehr zu bewältigen. Der vorläufige Ausschluss bestimmter motorischer Antriebsarten und die Umstellung auf Elektrofahrzeuge werden nicht die erhoffte Erlösung von der Not bringen. Und weil Not eben erfinderisch macht, erinnert man sich plötzlich wieder


Hintergrund

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Sozial-Skandal des Monats Mitte März waren allein in Leipzig offiziell 54 Menschen an Masern erkrankt, eine verhältnismäßig hohe Zahl. Sofort schrillten die Alarmglocken bei den zuständigen Ämtern und Institutionen. So beklagten die etwa 500 Teilnehmer des 21. Impftages am 11. März in Leipzig, dass bei einer Reihe von Krankheiten der so genannte Herdenschutz in Sachsen nicht erreicht werde, weil die Durchimpfungsrate viel zu niedrig sei. Den Empfehlungen der Sächsischen Impfkommission werde nicht ausreichend gefolgt. Was tut die sächsische Staatsregierung? Zunächst attestiert die Staatsregierung scheinbare Erfolge. Die Lage in Sachsen sei immer noch besser als im Bundesdurchschnitt. Das verwundert freilich nicht, wirkt doch hier das höhere Impfbewusstsein aus DDR-Zeiten immer noch nach. Dann folgen die üblichen Appelle an die Vernunft der Menschen. Dies werde durch Informationsmaterialien und Plakatkampagnen der Staatsregierung unterstützt. Außer-

dem müssten eventuelle Neuregelungen auf Bundesebene getroffen werden, und hier sei nichts in Sicht. Allerdings werden bislang nicht einmal die Möglichkeiten ausgeschöpft, um die Durchimpfungsrate zumindest bei Kindern und Jugendlichen anzuheben. So hätten Kindertagesstätten oder Schulen kein Recht zur Kontrolle des Impfstatus, zumal dies in den entsprechenden Gesetzen nicht verankert sei. Es dürfe nicht in die Verantwortung der Eltern für ihre Kinder eingegriffen werden.

Falsch verstandene Freiheit tigsten Einschnitten in der Geschichte der Medizin gehört. Wenn Eltern bewusst ihren Kindern den Impfschutz verweigern, greifen sie in deren Freiheitsrechte zur umfassen-

den gesundheitlichen Entwicklung ein, was der Staat durchaus sanktionieren könnte, wie es geschieht, wenn gegen die Schulpflicht verstoßen wird. Schließlich greift die Impfver-

Körperliche Unversehrtheit Als Hauptargument all jener, die sich hinsichtlich einer Impfpflicht zurückhaltend oder gar ablehnend verhalten, gilt die grundgesetzlich verbriefte körperliche Unversehrtheit. In diese werde durch Impfungen eingegriffen und das sei zudem eine Beeinträchtigung persönlicher Freiheitsrechte. Diese Sichtweise hält keiner ernsthaften Debatte stand. Allerdings setzt das die Erkenntnis voraus, dass die Möglichkeit der Verhinderung bestimmter Krankheiten durch Gewährung von Impfschutz zu den wich-

weigerung im Umkehrschluss in die Freiheitsrechte Anderer ein, die den Empfehlungen der Impfkommissionen zu Recht folgen. Impfpflicht schrittweise einführen Mehrfach hat unsere Landtagsfraktion in der Vergangenheit per Antrag die Staatsregierung aufgefordert, sich für eine Impfpflicht einzusetzen. Dabei wurden durchaus Übergangsphasen eingeräumt und verdeutlicht, dass es selbstverständlich wegen medizinischer Gründe Ausnahmen für Personen geben kann. Der letzte umfassende Antrag unserer Fraktion stammt vom April 2015 und wurde durch die Landtagsmehrheit abgelehnt. Seitdem sind zwei weitere Jahre ungenutzt ins Land gegangen und der nächste öffentliche Aufschrei wegen des Ausbruchs einer Krankheit ist nur eine Frage der Zeit. Wenn die Staatsregierung schon nicht auf die Vorschläge meiner Fraktion reagiert, sollte sie endlich wenigstens die Forderung der großen Mehrheit der Ärzteschaft nach Einführung der Impfpflicht ernst nehmen.

Bild: Dirk Vorderstraße / flickr.com/ CC BY 2.0

Das Beispiel Impfpflicht

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Ellenbogen statt Schulterschluss Die Debatte über Arbeitsmigration ist im Wahljahr in Deutschland neu entflammt. Hauptgründe infolge der uneingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit für die neuen osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten und die EU-Schuldenkrise werden aber absichtlich in den Schatten gestellt. Deutschland hat eine lange Einwanderungsgeschichte. Anders als Frankreich oder Großbritannien hat das Land kein koloniales Erbe. Deswegen kommen Migranten nicht aus ehemaligen Kolonien, sondern aus verschiedensten Ländern in die BRD. Arbeitsmigranten, die in den 1950-70er Jahren nach Westdeutschland kamen, bildeten die erste größere Gruppe von Einwanderern nach dem Zweiten Weltkrieg. Im nächsten Jahrzehnt folgten vor allem deren Familienangehörige. In den letzten 30 Jahren änderte sich jedoch die Einwanderungsstruktur. Es gelangten Flüchtlinge nach Deutschland, außerdem Hundertausende jüdischer Kontingentflüchtlinge und Millionen Spätaussiedler aus Osteuropa. Seit der Einführung der uneingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit für die neuen EU-Mitgliedstaa-

ten kommen auch die „EU-Arbeiter“. Im vergangenen Jahr zogen ca. 800.000 EU-Zuwanderer gegenüber den 330.000 Asylsuchenden nach Deutschland. Im gleichen Zeitraum haben mindestens 500.000 Personen Deutschland demzufolge verlassen. Eine „privilegierte“ Schicht der Migranten bildet sich durch die ausländischen Absolventen der deutschen Hochschulen und die Besitzer der Blauen Karte der EU mit einem Hochschulabschluss und einem bestimmten Mindesteinkommen. Als Exportweltmeister ist die deutsche Wirtschaft auf hochqualifizierte Fachkräfte mit Migrationshintergrund angewiesen. In der Regel haben die „klassischen“ Einwanderer andere Qualifikationen als Einheimische und konkurrieren zunächst kaum mit ihnen um die gleichen Stellen. Häufig übernehmen sie zunächst Arbeiten weit unter ihrem Qualifikationsniveau, die kein Einheimischer machen will. Das gilt weltweit. So arbeiten Arbeitsmigranten aus Lateinamerika in den Vereinigten Staaten in Aushilfsjobs in der Gastronomie. Rumänische Saisonarbeiter zerteilen auf niedersächsischen Schlachthöfen

Schweinehälften. Und in Russland machen Zentralasiaten einen Großteil der Knochenarbeit in der Bauindustrie. Doch auch wenn Einwanderer einer höherqualifizierten Arbeit nachgehen, verdrängen sie die Einheimischen in der Regel nicht, sondern ergänzen deren Arbeit. Die OECD sieht insgesamt optimistisch, dass man in Deutschland „die Integration immer besser und schneller hinbekommt als früher: die sehr gute Lage am Arbeitsmarkt, die Verbesserungen der Integrationspolitik an wichtigen Stellschrauben, eine frühzeitige Erfassung von Kompetenzen, niedrigere Verwaltungshürden bei fehlenden Dokumenten oder schwer nachweisbaren Qualifikationen“. Nach deren Auffassung „dauerte es früher ca. 15 Jahre, bis Migranten bei der Beschäftigungsquote auf Inländer-Niveau waren. Nun seien fünf bis sechs Jahre realistisch“. Der WSI Report der Hans-Böckler-Stiftung deckt eine traurige Geschichte der überwiegend niedrigqualifizierten Gastarbeiter auf, dass „sich aus den in Deutschland verbleibenden Gastarbeitern eine dauerhafte Unterschicht im Arbeits- und Wohnungsmarkt bil-

det. Auch im Alter sind diese am unteren Rand der Gesellschaft überrepräsentiert und erhalten deutlich niedrigere Renten als die Deutschen, tragen ein extrem hohes Armutsrisiko und wohnen bescheiden.“ Die neue Generation hat es schon leichter, weil „jeder dritte Deutsche mit Migrationshintergrund Abitur hat. Damit haben sie einen höheren Bildungsstand als diejenigen Deutschen, die nicht aus dem Ausland stammen“. Auch wenn die persönlichen Eigenschaften der Mitbürger mit Migrationshintergrund mit dem Arbeitsmarkt konform sind, werden sie oft von der deutschen Gesellschaft nicht akzeptiert. Obwohl laut einer Studie der Bertelsmann- Stiftung jeder Migrant pro Jahr durchschnittlich 3.300 Euro netto bringt, bleibt die Mehrheit der Deutschen den Migranten gegenüber eher skeptisch und auf Distanz. Auch in deutschen Büros, Werken und nicht zuletzt in den Behörden bildet sich gegen Einwanderer eine breite Front, wo von einem proletarischen Schulterschluss keine Rede sein kann. Um sozialer Kälte zu entgehen, sind Zuwanderer wiederum gezwungen, eigene Parallelgesellschaften zu bilden.

Es ist mit Bedauern vor dem 1. Mai im Jahr 2017 festzustellen, dass die von Marx und Engels erhoffte proletarische internationale Solidarität in der heutigen deutschen Konsumgesellschaft praktisch tot ist. Eine konsumorientierte Ellenbogenphilosophie, die massenmedial vermittelt wird, hat sich in Deutschland in den letzten 40 bis 50 Jahren durchgesetzt. Mit weitgehenden Folgen der Defragmentierung der Gesellschaft. Die „new liberal“Strategen können darauf stolz sein, dass der moderne deutsche Homo Economicus immer mehr dem Spruch „Homo homini lupus est“ (Der Mensch ist des Menschen Wolf) treu wird und damit den schleichenden Rechtsruck der Gesellschaft vorantreibt. Und die Spirale dreht sich weiter: da die Einwanderer sich auf der persönlichen Ebene gesellschaftlich nicht akzeptiert fühlen, tun sie sich schwer, sich in dieser Ellenbogengesellschaft sprachlich, sozial und arbeitsmäßig zu integrieren. Parallelgesellschaften entstehen nur dort, wo „Schulterschluss“ ein Fremdwort ist. Ruslan Yavorski kam vor 18 Jahren als Student nach Deutschland


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Lasst uns der Pulse of Europe sein! Brexit, Marine Le Pen, nationalistische Regierungen in Polen und Ungarn und erstarkender Nationalismus in vielen europäischen Ländern – so schaut es aktuell in der Europäischen Union aus. Es scheint als würden die Menschen in den Mitgliedstaaten dieser EU nicht viel Positives abgewinnen können. Doch das ist nur eine Seite der Medaille. Denn während auf der einen Seite die nationalistischen Kräfte erstarken, formiert sich mit der Bürgerinitiative Pulse of Europe eine Bewegung, die jeden Sonntag um 14 Uhr in rund 100 Städten ein Zeichen für die EU setzt, und es kommen stetig neue dazu. Reinhard Bütikofer, Europaabgeordneter der GRÜNEN, der erst kürzlich zu einer öffentlichen Bürgersprechstunde in Zwickau weilte, sagte sinngemäß: Mit dem Erstarken der Rechts- und Nationalpopulisten scheinen immer mehr Menschen den Wert der Europäischen Union zu erkennen, der zu einem großen Teil darin besteht, dass wir seit über 70 Jahren Frieden haben. Denn nur wer miteinander agiert und gemeinsam nach Lösungen sucht und diese erarbeitet, ist in der Lage, Konflikte friedlich zu lösen. In diesem Miteinander liege der große Wert der Europäischen Union. Ich musste unweigerlich an meine Großeltern denken, die – 1904 und 1905 geboren – zwei Weltkriege und vier Staatsformen erlebten. Ich erinnerte mich an ihre Erzählungen, dass Brüder im ersten Weltkrieg blieben, wie Opa und der älteste Sohn, mein Onkel, noch mit 17 eingezogen wurde, und wie sie versuchten, irgendwie nach Hause zu kommen; wie Oma und die Kinder stoppeln gingen, um die Not ein wenig zu lindern. Mein Großvater konnte nie über seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg reden, auf Fragen folgte immer ein lautes Schweigen. Doch eines haben sie mir eindrucksvoll mit auf den Weg gegeben: alles zu tun, damit künftigen Generationen das Leid des Krieges erspart bleibt. Vielleicht ist das ein Grund, warum ich jetzt im Orga-Team von Pulse of Europe in Zwickau dabei bin. Denn es gibt auch zahlreiche kritische Stimmen zu Pulse of Europe. Die Initiative würde die EU verherrlichen, die Fehler und Probleme nicht sehen und vieles mehr. Das erlebe ich anders. Sehr deutlich wurde auf den bisherigen Zwickauer Veranstaltungen gesagt, dass es eine ganze Menge zu verbessern gilt – Stichworte einheitliches Steuersystem und ein-

heitliches Sozialsystem, um nur zwei Beispiele zu nennen. Es gibt viel zu tun, um unsere Europäische Union lebenswerter und gerechter und für die Menschen begreifbarer und erlebbarer zu machen. Doch kann man nur verbessern und weiterentwickeln, was vorhanden ist. Bricht die EU auseinander, gibt es nichts mehr zu ver-

Zum ersten Pulse of Europe in Zwickau am 9. April erinnerte Wolfgang Wetzel, Mitglied des Zwickauer Orga-Teams, an die Rede des Staatspräsidenten der Tschechischen Republik am 8. März 1994 vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. Darin heißt es unter anderem: „… Deswegen scheint mir, dass die

ration und aller ihrer weiteren Zusammenhänge in der Welt von heute, und in der Wiedergewinnung ihres Ethos oder – wenn Sie so wollen – ihres Charismas. (…) Begrüßen würde ich zum Beispiel, wenn die Europäische Union eine eigene Charta verabschiedete, die klar die Ideen zu definieren hätte, auf denen sie beruht,

braucht der Europäischen Union um ihre Zukunft nicht bange sein…“ Es gibt sie, die Charta der Europäischen Identität, beschlossen in Lübeck am 28. Oktober 1995. Doch seien wir ehrlich: Wer kennt sie? Wer weiß überhaupt von ihrer Existenz? Die Charta enthält sechs Punkte: I. Europa als Schicksalsgemeinschaft II. Europa als Wertegemeinschaft III. Europa als Lebensgemeinschaft IV. Europa als Wirtschaftsund Sozialgemeinschaft – Wirtschaft, Soziales, Umwelt V. Europa als Verantwortungsgemeinschaft VI. Europa auf dem Weg zu einer Europäischen Identität

bessern. Dann kämpft jedes Mitgliedsland wieder für sich allein, streitet für seine Interessen. Freund und Feind werden dann zu veränderlichen Größen. Dass es anders gehen kann, beweist die EU seit über 70 Jahren, und es ist an uns, sie weiter zu verändern, zu verbessern, sie zu einem lebensund liebenswerten Raum in Europa zu gestalten, in dem wir alle uns zu Hause fühlen.

wichtigste Anforderung, vor welcher die Europäische Union sich heute gestellt sieht, in einer neuen und unmissverständlich klaren Selbstreflexion dessen besteht, was man europäische Identität nennen könnte, in einer neuen und wirklich klaren Artikulation europäischer Verantwortlichkeit in verstärktem Interesse an einer eigentlichen Sinngebung der europäischen Integ-

den Sinn, den sie hat, und die Werte, die sie zu verkörpern trachtet … Wenn die Einwohner Europas begreifen lernen, dass es sich hier nicht um ein bürokratisches Monstrum handelt, das ihre Eigenständigkeit einschränken oder gar leugnen möchte, sondern lediglich um einen neuen Typus menschlicher Gemeinschaft, der ihre Freiheit vielmehr wesentlich erweitert, dann

All das gilt es mit Leben zu füllen. Gelingen kann das jedoch nur, wenn wir zunächst die Europäische Union, unsere Demokratie und unsere Wertegemeinschaft gegen alle rechts- und nationalpopulistischen Bestrebungen verteidigen. Deshalb bin ich dabei und halte es für wichtig, dass sich jeder einzelne mit seinen Lebenserfahrungen einbringt und den Puls Europas weiter, lauter und kräftiger schlagen lässt. Der Puls entspricht dem Herzschlag des Menschen – also lasst uns der Puls, der Herzschlag Europas sein! Simone Hock


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Wie lebt es sich in ... Warschau? Noch 1990 prägte der Kulturpalast die Silhouette von Warschau. Wer heute aus dem Hauptbahnhof heraustritt, schaut auf eine Reihe von Bürotürmen, die in den letzten Jahren aus dem Boden gestampft wurden. Sie stehen architektonisch für die Dienstleistungsmetropole Warschau. Wenn im Winter Smogalarm ist, verschwinden ihre Spitzen in grauem Nebel. Mein italienischer Arbeitskollege Fortunato meinte einmal, die schlechte Luft sei nicht die einzige Gemeinsamkeit zu Outsourcing-Standorten in China. Er spielte auf die geringen Löhne an, die Warschau zur verlängerten Telefonzentrale für internationale Unternehmen haben werden lassen. IT-Support, Buchhaltung und Kundenbetreuung, das sind die wichtigsten Bereiche, die nach Warschau kommen. Ich selbst habe in zwei Outsourcing-Nischen gearbeitet. Drei Monate war ich für einen internationalen Sprachdienstleister tätig. Als Linguistic Tester bin ich durch Computerspiele gehetzt und habe die deutsche Übersetzung überprüft. Die Tätigkeit stellt im Warschauer Outsourcing- Dschungel wohl eine Ausnahmeerscheinung dar, denn hier war nicht günstige polnische Arbeitskraft gefragt, sondern günstige Arbeitskraft wurde nach Warschau importiert. Die Linguistic Tester kamen aus der ganzen Welt. Alle marktrelevanten europäischen und asiatischen Sprachen wurden abgedeckt, aber es gab auch Tester aus Brasilien, Me-

xiko, Chile, Bolivien und anderen lateinamerikanischen Ländern. Meine französischen und spanischen Kollegen testeten in Warschau Computerspiele, weil sie in ihrer Heimat keine Arbeit gefunden hatten. Linguistic Tester aus weniger krisengeschüttelten und reicheren Ländern wie Finnland oder Dänemark kamen nach Warschau, weil sie eine Polin kennengelernt hatten, der es in Warschau gefällt. Die meisten von uns arbeiteten auf Honorarbasis (Arbeitsverträge wurden nur nach langen Wartezeiten geschlossen). Es gab kein Krankengeld, keinen bezahlten Urlaub, die Kündigungsfrist betrug drei Werktage, die Vergütung wurde erst im Folgemonat überwiesen etc. Derlei Verträge – das polnische Arbeitsrecht kennt noch weitaus prekärere – werden gemeinhin als Smieciówka (Müllverträge) bezeichnet. Am letzten Monatstag druckten alle ihre Bestellungen auf Arbeit aus und

schrieben Rechnungen. Wie viel die anderen verdienten, war also ein offenes Geheimnis. Die Linguistic Tester wurden mit 27 Złoty pro Stunde (etwa 6,30 EUR) recht gut bezahlt. Die polnischen funktionellen Tester erhielten die Hälfte. Vor neun Jahren hatte es einen Aktivisten gegeben, der sich für Arbeiterrechte einsetzte und Artikel über die Situation bei seinem Arbeitgeber publizierte. Er wurde kurzerhand rausgeworfen. Einen Betriebsrat gibt es bis heute nicht. Meinen ersten Arbeitsvertrag bekam ich dann bei einem internationalen Unternehmen aus dem Bereich e-commerce, in dem ich vierzehn Monate tätig war. In West- und Mitteleuropa wurden Angestellte entlassen und die Arbeitsbereiche wurden nach Casablanca und Warschau outgesourct. Ich arbeite im deutschen Team als Copywriter. Gemeinsam mit meinen Teamkollegen schrieben wir Werbetexte für

lokale Dienstleistungen, Produkte und Reisen. Das Unternehmensklima war wärmer, das Büro mit bunten Farben gestaltet und in der Teeküche gab es unzählige Sorten an süßen Frühstücksflocken. Für klare optische Hierarchien sorgte das Podest, auf dem die Teamleiter und Manager saßen. Jede Tätigkeit am Bildschirm wurde nachverfolgt, aufzeichnet und geteilt. Weiterhin gab es auf unserer Etage einen Kicker, eine Playstation und eine Tischtennisplatte. Dass davon wenig Gebrauch gemacht wurde und die Arbeitszeit wertschöpfend genutzt wurden, dafür sorgten die Key Performance Indicators (KPI). Es gab ein monatliches Grundgehalt, das, wenn die Produktivitäts-, Qualitäts und Teamziele erfüllt wurden, um bis zu zwanzig Prozent aufgebessert werden konnte. Scheitern war nicht vorgesehen. Wer die Ziele mehrmals in Folge nicht erfüllte, wurde auf den Approvement Plan gesetzt. Half auch das nicht, wurde die Kündigung ausgesprochen. Zwei Monate schrieb ich Werbetexte, dann überwachte ich die Qualitätsziele im deutschsprachigen Team. Stichprobenhaft überprüfte ich die Einhaltung der internen Vorgaben, suchte nach Fehlern und legte dem Management regelmäßig Statistiken und Trends zu den Qualitätsergebnissen unseres Teams vor, die deutlich zeigten, wer poor performer war, also deutlich hinter den Erwartungen zurückblieb. Gemeinsam mit ein paar Kolleginnen erwogen wir die Gründung

eines Betriebsrats. Es braucht zehn Mitarbeiter, die sich konspirativ versammeln, einen Vorstand wählen, den Betriebsrat bei einem Gericht registrieren und die Wartezeit von etwa zwei Wochen überbrücken. Wir entschieden uns schließlich dagegen. Einige hatten Kinder und wollten ihren Arbeitsplatz nicht riskieren; andere fürchteten, dass unsere Teamleiterin selbst gefeuert werden könnte, wenn ihr Team zur Brutstätte eines Betriebsrats würde. Die Unzufriedenheit vieler abhängig Beschäftigter mit ihrer prekären Situation war ein Grund für den Wahlerfolg der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Nach deren Regierungsantritt wurde der Mindestlohn auf 13 Złoty pro Stunde (etwa 3 EUR) erhöht und die Anwendung von prekären Müllverträgen eingeschränkt. Gleichzeitig wurde ein für polnische Verhältnisse großzügiges Kindergeldprogramm eingeführt und das Renteneintrittsalter für Frauen auf 60 Jahre gesenkt. Wenn die arbeiteten Mütter in der Outsourcing-Branche schon keinen öffentlichen Kitaplatz finden, dann kauft die verrentete aber dennoch rüstige Oma ein bisschen Spielzeug und übernimmt einfach die Kinderbetreuung. Ob sich in den nächsten Jahren etwas in der OutsourcingBranche ändert, hängt wohl von einem Mentalitätswandel der Orks und Korporatten ab – so nennen sich die Beschäftigten ironisch. Und mit Humor beginnt die Selbstbehauptung. Matthias Hankel

horizont der Teilnehmer weiten konnte, war zuvörderst dem Moderator des Abends, Gerhard Hoffmann, zu danken. Angesichts der vielfältigen politischen, sozialen und religiösen Prägungen der mittelalterlichen Akteure und ihrer oft unverständlichen Denk- und Handlungsmuster seien zwei Aufgaben zu meistern, um diese zu verstehen: die grundlegenden historischen Zusammenhänge zu definieren und von daher zu erkunden, wem Humanismus und Toleranz nützen sollen. Der ausgewiesene Mediävist baute so manche Erklärungsbrücke. Indem er seine Moderation zu einer Podiumsdiskussion ausweitete, schärfte sich für alle der Blick auf Ernst Werners Schule. In der Diskussion würdigten mehrere Redner Ernst Werner als Hochschullehrer, Forscher, Publizisten und Kollegen. Alt-

rektor Horst Hennig nannte seinen Vorgänger im Amt einen aufrichtigen Menschen, brillanten Gelehrten und engagierten, selbstlosen Streiter für die Wohlfahrt der Karl-Marx-Universität, ihrer Wissenschaftler und Studenten, der höchsten Respekt verdiene. Wolfgang Geier erinnerte an die besondere Wertschätzung der Studenten für den Mediävisten und an seine wissenschaftliche Autorität auch bei ausländischen Kollegen und Gremien. Schließlich würdigte Horst Möller Ernst Werners historisch-interpretative Expertenrolle als Mitherausgeber eines ins Deutsche übersetzten Koran bei Reclam Leipzig (1968) und seine seit 1966 mehrfach aufgelegte Monographie „Geburt einer Großmacht − die Osmanen“ als herausragende Leistungen. Wulf Skaun

Hommage an Ernst Werner Das Sto lat-Gedenkjubiläum muss noch warten. Ernst Werner, der 1993 verstorbene Leipziger Mediävist, war Jahrgang 1920. Dennoch stand er beim 23. Jour fixe im Mittelpunkt. Den auch international hochgeschätzten Historiker zu würdigen, war seinen Schülern, Mitarbeitern und Nachfolgern in der Mittelalterforschung, Klaus Peter Matschke und Sabine Tanz, auch ohne biografische Pointe eine Herzensangelegenheit. Und Jour fixe wäre nicht der unkonventionelle Gesprächskreis, böte er ab und an nicht auch sehr speziellen Stoffen und Anliegen die Bühne. Von Bernhard von Clairvaux und Petrus Venerabilis von Cluny oder Scheich Bedr ed-din und Bürklüce Mustafa dürfte nicht nur der Autor dieser Zeilen das erste Mal gehört haben. Dass die Bibliothek der Leipziger Rosa-Luxemburg-

Stiftung dennoch bis auf den letzten Platz gefüllt war und etliche Wegbegleiter des Altrektors der Karl-Marx-Universität Leipzig (1967−1969) der Hommage an ihn beiwohnten, rechtfertigte den Mut zu exotischer, altvorderer Thematik. Zumal Referenten und Disputanten aktuelle Bezüge zu einer von sozialen und nationalistischen Antagonismen zerrissenen Gegenwart herstellten. Ihr akademischer Lehrer Ernst Werner, so Sabine Tanz, habe seine Schüler gemahnt, Fragen der Jetztzeit stets in die Vergangenheit „zu reproduzieren“ und von dort den Brückenschlag zurück vorzunehmen. Die Referentin resümierte Forschungen zu Antihumanismus und Intoleranz im hochmittelalterlichen Abendland des 12. Jahrhunderts und führte beispielhaft das Wirken von Bernhard von Clairvaux und von Petrus Vene-

rabilis Cluny an. Als Kontrahenten führten die Kreuzzugsprediger einen erbarmungslosen Machtkampf. Humanismus und Toleranz als Bewegungsformen ihrer Strategie und Taktik praktizierten beide immer nur dann, wenn sie ihren Interessen dienten: Utilitarismus als Zweck. Antithetisch beleuchtete Klaus-Peter Matschke die Idee der Humanitas und Toleranz in einer islamischchristlichen Kontaktzone des 15. Jahrhunderts und ließ sie in persona von Scheich Bedr eddin und Bürklüce Mustafa aufleben, Ernst Werners einstigen zentralen „Forschungssubjekten“. Die hatten es, zum allgemeinen Erstaunen, auch dem Juristen und Hobbyhistoriker Roland Wötzel (Martin Luther!) angetan. Dass das ziemlich entlegene und mitunter auch sperrige Spezialwissen den Bildungs-


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Marxistischer Historiker aus Leidenschaft Sauberkeit in der Wissenschaft, im persönlichen Auftreten und in der politischen Haltung – diese Trias war wohl das, was den Leipziger Historiker Werner Berthold vor allem ausmachte. Den ersten Nachweis dieser Sauberkeit musste er schon – höchst unfreiwillig – als Heranwachsender erbringen: Der 1923 in einer Leipziger Arbeiterfamilie Geborene weigerte sich stand-

Von 1950 bis 1954 studierte er Philosophie, Geschichte, Politische Ökonomie und Erwachsenenbildung. Als Student war Werner Berthold der SED beigetreten. 1951 strich ihn die Partei aber aus ihren Reihen. Dies bedeutete: Er hatte ihr nie angehört. Berthold kannte seinen Orwell gut genug, um zu wissen, dass seine Zukunft in der DDR nun aufs Äußerste gefährdet war. Doch der Weggang in den Westen kam für ihn nicht infrage.

Dort schrieb Werner Berthold, der inzwischen wieder der SED angehörte, 1960 seine Dissertation über die Geschichtsbilder von Friedrich Meinecke und Gerhard Ritter, die Granden der westdeutschen Nachkriegs-Geschichtsschreibung. Ein aussagekräftiges Zitat Ritters verwendend, erschien die Arbeit 1964 unter dem Titel „Großhungern und gehorchen“ als Buch. 1970 kam die drei Jahre vorher als Habilitationsschrift angenommene Arbeit

haft, irgendeiner Organisation des Nazistaates beizutreten. Noch vor dem Krieg nahm er Kontakt zu einem Widerstandskreis um den Japanologie-Studenten und späteren Professor Gerhard Mehnert auf. Der Einberufung zur Wehrmacht konnte er sich nicht entziehen, doch die Gefangennahme durch die Amerikaner in Frankreich wurde zu einem Glücksfall: Im Gefangenenlager von Lyon wurden die französischen Sicherheitskräfte auf den jungen Antifaschisten aufmerksam. Nach einer zweijährigen Lagerschulung kehrte Werner Berthold nicht nur mit exzellenten Französischkenntnissen, sondern auch mit profunder Kenntnis der antifaschistischen Geisteskultur nach Leipzig zurück. Der vor dem Krieg als Graphiker ausgebildete Berthold nahm 1948 die Chance wahr, in einem Vorkurs das Abitur zu erwerben.

Er wusste aber wohl bis zuletzt nicht, in welchem Maß die gerade erst ins Leben gerufenen Organe der Staatssicherheit Leben und Laufbahn des überzeugten Marxisten zu zerstören trachteten. Der Grund für die schäbige Behandlung lag in Werner Bertholds Solidarität mit seinem Lehrer Walter Markov. Der gebürtige Slowene weigerte sich, in das Horn der Verleumder zu stoßen, die in Josip Broz Tito nach dessen Widerstand gegen Stalin einen „Faschisten“ sahen, und Berthold tat es Markov gleich. Doch so wie Markov letztlich seine Professur behielt, so konnte Berthold nach großem Einsatz von Ernst Bloch und Ernst Engelberg die akademische Laufbahn, wenngleich mit Hindernissen, fortsetzen. Ernst Engelberg nahm ihn als seinen Assistenten am Institut für deutsche Geschichte an.

„Marxistisches Geschichtsbild, Volksfront und antifaschistisch-demokratische Revolution. Zur Vorgeschichte der DDR-Geschichtswissenschaft und zur Konzeption der Geschichte des deutschen Volkes“ als Buch heraus. Mit beiden Graduierungsschriften hatte sich Werner Berthold als Kenner der HistoriographieGeschichte ausgewiesen, und so nimmt es nicht wunder, dass ihn die Leipziger Universität 1969 zum außerordentlichen Professor und vier Jahre später auf den Lehrstuhl für dieses Fachgebiet berief. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten publizierte Berthold eine lange Reihe von Büchern und Aufsätzen über Trends in der internationalen Geschichtsforschung – weit über die Emeritierung 1988 hinaus. Seine wissenschaftliche „Feuertaufe“ erhielt er 1960 auf dem Weltkongress der His-

Zum Tod von Werner Berthold

toriker in Stockholm. Auch dort setzte er sich mit der bundesdeutschen Geschichtsforschung auseinander und zeigte biographische Kontinuitäten einiger ihrer führenden Fachvertreter vom Kaiserreich über die von ihnen ungeliebte Weimarer Republik, den „Staat Hitlers“ bis zur Bundesrepublik auf. Darob von einem der Gescholtenen angegriffen, erhielt Berthold überraschend Unterstützung von dem damals noch sehr konservativen (später linksliberalen) israelischen Historiker Yakov Talmon, der Berthold hinterher beiseite nahm und ihm zuflüsterte: „Wir wissen, wie sich der Herr unter Hitler verhalten hat – und wir wissen auch, wie Sie, lieber Herr Berthold, sich damals verhalten haben.“ Seitdem wurde Werner Berthold ein auf internationalen Tagungen oft gern gesehener, von manchen aber auch gefürchteter Diskutant, der in mehreren Sprachen ein stets beeindruckendes Detailwissen offenbarte. Auf eine ganz andere Weise war Werner Berthold verehrt und zugleich gefürchtet: als Leipziger Hochschullehrer und als akademischer Prüfer. In seinen Vorlesungen prasselte ein derart geballtes Wissen auf die Studierenden ein, dass man mit dem Schreiben kaum mitkam. Berthold war freundlich, geduldig, wiederholte die Dinge so lange, bis alle es „mitbekommen“ hatten. In den Zwischen- und Hauptprüfungen war er allerdings sehr streng – und war ganz erstaunt, als ihm dies der Verfasser dieser Zeilen später sagte. Doch profitierten Generationen von Geschichtsstudenten von dem, was bei ihm zu lernen war. Von seiner geistigen Offenheit zeugt die Freundschaft zum amerikanischen Historiker-Ehepaar Georg und Wilma Iggers. Gegen alle Widerstände holte er beide regelmäßig nach Leipzig, wo sie – eine Ausnahme in der DDR – mit seinen Doktoranden und Studenten frei diskutieren konnten. Immer wieder wies er darauf hin, welches reiche Erbe der Geschichtswissenschaft, aber auch der Literatur und Philosophie der verschiedenen Völker uns zum Studium aufgegeben sei; und es sei ein ebenso großes Privileg wie intellektuelles Vergnügen, diese Studien betreiben zu können. Uns kam es als Studenten so vor, als wisse er einfach alles über die gespeicherte Geistesgeschichte der Menschheit. So war es wohl auch. Werner Berthold wurde mir vom akademischen Lehrer zum treuen Freund, mit dem zu debattieren ebenso lehrreich

wie vergnüglich war. Unsere Zusammenarbeit erreichte ihren Höhepunkt im gemeinsamen Buch „Klios Jünger. 100 Historiker-Porträts von Homer bis Hobsbawm“, das 2011 in der Leipziger Akademischen Verlagsanstalt erschien. Angeregt hatte die Publikation Karlen Vesper, die uns auf der Geschichtsseite des „Neuen Deutschland“ die Gelegenheit gab, vorab einen Teil der dort behandelten Persönlichkeiten vorzustellen. Werner Bertholds einstiger Schüler Gerald Diesener, der inzwischen der Akademischen Verlagsanstalt vorstand, unterstützte sofort die Idee seines Lehrers, die Porträt-Sammlung einem erweiterten Leserkreis zu präsentieren. Solange es seine Kräfte zuließen, blieb Werner Berthold wissenschaftlich und publizistisch aktiv, vor allem in der Leipziger Rosa-LuxemburgStiftung. Doch nicht nur dort wird sein Tod, der den 93-Jährigen am 8. April nach längerer, zuletzt schwerer Krankheit traf, als großer Verlust empfunden werden. Prof. Dr. Mario Keßler arbeitet am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und unterrichtet je ein Semester im Jahr an der Yeshiva University in New York.

Peter Porsch: Linke Dispute. Anregungen, Polemiken und Kopfnüsse aus linker APO-Zeit. 162 S., 12,99 Euro, ISBN 978-3-945187-62-3. Das Büchlein erschien Ende Juni 2016 im verlag am park. Sämtliche Verkaufserlöse fließen auf unser Spendenkonto und helfen so unserem Verein, diese Zeitung zu erhalten. Wir danken herzlich für jegliche Unterstützung!


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Links, zwo, drei im Schulterschluss „Auf zu neuen Ufern“ coverte der Liebknecht-Kreis Sachsen im Landesverband der Linkspartei 2015 absichtsvoll sein erstes Periodikum. In loser Folge sind seit Gründung der LKS vor zwei Jahren sechs Broschüren erschienen. Nach einer größeren „Sende“-Pause meldet sich die in Regie von Volker Külow besorgte Publikationsreihe „Schriften des LKS“ nun mit Heft Nummer 7 eindrucksvoll zurück. Der aufmerksame Leser wird finden, dass Külow sich dessen Titel von Didier Eribon, dem derzeit angesagten französischen Soziologen, geliehen hat: „Linkes Denken erneuern“. Das aktuelle Heft setzt die publizistische Linie des landesweit agierenden LKS fort: Stimme zu sein für linkssozialistische Positionen im Landesverband, ihre Akteure als Vertreter des linken Flügels besser zu vernetzen, diesen inhaltlich und personell zu stärken. All dies nicht als „Spaltpilz“, sondern im Schulterschluss, um die LINKE als „kämpferische und pluralistische Mitgliederpartei von unten zu stärken“, wie Külow auf dem LKS-Konvent im März nochmals unterstrich. „Linkes Denken erneuern“ – der Name ist Programm. Er steht in Heft 7 auch über jenen Beiträgen, die nicht direkt auf den deutschen politischen Olymp 2017, die Bundestagswahl, orientieren. Wie Jenny Mittrachs informativer Lotsendiest in „Die Welt 4.0 - das In-

ternet der Dinge steht vor der Tür“. Oder Volker Külows Erinnerung an den 1993 verstorbenen marxistischen Universalhistoriker Manfred Kossok

liche LINKE-Funktionäre, den vermeintlich „Progressiven“ Emmanuel Macron als „konservativen Restaurator“ enttarnt, welcher der Front National

Manfred Kossok. aus Leipzig, dessen revolutionstheoretische Ideen über kapitalistische Alternativen noch unabgegoltene Wegweisungen für linkes Denken und Handeln bergen. Oder eben der aus der F.A.Z. vom 16. April 2017 übernommene Artikel Didier Eribons „Ein neuer Geist von ‚68“, in dem der Erfolgsautor von „Rückkehr nach Reims“ die Krise linken Denkens seziert, geistige Erneuerung fordert und, anders als maßgeb-

Wähler zutreibt. „Wenn Macron zum Präsidenten gewählt wird, dann bekommt Le Pen ... in fünf Jahren wahrscheinlich über 40 Prozent. Dynamisch gesehen wählt man also mit Macron schon heute Le Pen.“ Thematischer Schwerpunkt des 7. LKS-Heftes ist das Bundestagswahljahr 2017. Der Liebknecht-Kreis Sachsen wirbt für eine starke LINKE und bringt sich mit eigenen Positionen ein, die, in Übereinstim-

mung mit den „Grundwerten unserer Partei“, aber konsequenter und ohne Zugeständnisse an mainstreamigen Zeitgeist und ohne Aufgabe von Prinzipien und Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung als strategische Grundorientierungen gefasst sind. Dietmar Pellmann hat die von der SPD wiederentdeckte soziale Gerechtigkeit im Visier. Unter der Überschrift „Der Konkurrenzkampf um das Thema soziale Gerechtigkeit – Das Beispiel Hartz IV“ offenbart er den Widerspruch zwischen sozialdemokratischer Wahlkampfrhetorik und realer Sozialpolitik à la Agenda 2010. Heiderose Gläß stellt die rhetorische Frage „Die ,GroKo‘ und die Frauen – gibt es Alternativen?“ Der Ältestenrat der Partei DIE LINKE um Hans Modrow meldet sich mit einer Erklärung zu Wort: „Der Wahlkampf hat begonnen“. Darin sichert er den Spitzenkandidaten volle Unterstützung zu. Die auf innerparteiliche Geschlossenheit setzenden Parteiveteranen warnen aus leidvoller Erfahrung vor unbedachter Tolerierung der NATO. So formulieren sie nicht, sie begegnen solchen Befürchtungen diplomatischer: „Die zentrale Frage bleibt die Friedensfrage, der Kampf gegen die wachsende Kriegsgefahr, gegen Militarisierung, Hochrüstung und Atomwaffen, für Abrüstung und Vernunft.“ Der Hauptbeitrag zum zentralen Thema stammt von Ekkehard Lieberam. Der frühere

Wenn die Welt sich ändert – 1985 und 2017 Erinnern Sie sich noch daran, was Sie am 11. März 1985 gemacht haben? Nicht? Es war ein scheinbar unwichtiger Tag. In Moskau war gerade innerhalb von wenigen Jahren der dritte Generalsekretär und Staatschef gewählt worden. Nachdem das langjährige Staatsoberhaupt Leonid Breshnew 1982 gestorben war, agierten seine beiden Nachfolger Andropow und Tschernjenkow nur für kurze Zeit. Beide waren beim Amtsantritt weder besonders jung noch gesund, sie starben rasch hintereinander. Im März 1985 meinte man: Endlich haben sie es in Moskau begriffen und sich für einen „Jungen“ entschieden – „Gorbi“ war damals 54 Jahre alt. Dass sich mit ihm allerdings die Welt ändern würde, hielt kaum jemand für möglich. Doch zehn Jahre nach dem 11. März 1985 war die Welt eine andere. Die Sowjetunion, den RGW, den Warschauer Vertrag gab es nun genau so wenig wie die Sowjetunion, die

CSSR und die DDR. Alles, was uns 1985 als selbstverständlich vorkam, verschwand rasend schnell. Länder wurden aufgelöst und neue geschaffen, die oft an alte mit wenig rühmlicher Geschichte anknüpften, wenn man an Lettland oder die Slowakei denkt. Dem Rausch nationaler Souveränität folgte rasche Ernüchterung und schnell schlüpften die, die immer von nationaler Souveränität gesprochen hatten, im Osten unter das Dach von EU und NATO – freilich nicht ohne der neu verlorenen „Souveränität“ lauthals nachzutrauern. Kleine Länder können niemals „souverän“ sein, das freilich hatten die Nationalisten den Völkern nie verraten. Jetzt kam der 20. Januar 2017, und „der Westen“ befindet sich in seiner Abenddämmerung. Die EU, die NATO, der Euro – was wird es davon 2027 noch geben? Wer wird dann noch von „westlichen Werten“ reden, die von amerikanischen und westdeutschen Nachkriegsideo-

logen erfunden und seit Jahrzehnten beschworen wurden, wenn heute schon die USA und Großbritannien sie für verzichtbar halten? Eines war am 20. Januar anders als am 11. März 1985. Damals erwartete kaum jemand den Umsturz. Heute sehen nach dem Brexit-Beschluss und dem Wahlsieg von Donald Trump viele ihre Felle wegschwimmen und den Zusammenbruch der „Nachkriegsordnung“ voraus. Die Probleme der Welt jedoch können nur in einem Miteinander gelöst werden – am besten wäre eine Brücke zwischen allen Kontinenten und keine „transatlantische Brücke“, deren Nutzer sich gegen den Rest der Welt wenden. Wenn sich am Ende diese Weltsicht durchsetzt und Europa endlich auch geistig mit Afrika und Asien dichter zusammen rückt – ohne die Bindung an die beiden amerikanischen Kontinente zu vernachlässigen –, könnte die neue „Wende“ doch noch zu etwas Gutem führen. Trump

könnte den Anstoß geben, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen. Als der DDR-Führung der neue Kurs der Sowjetunion unter Gorbatschow nicht mehr gefiel, erklärte Erich Honecker, dass die DDR künftig den „Sozialismus in den Farben der DDR“ aufbauen werde. Mancher mag sich jetzt an seine Worte erinnert haben, als Angela Merkel verkündete: „Wir Europäer nehmen unser Schicksal in die eigene Hand.“ Es war damals genauso wenig klar, was die „Farben der DDR“ eigentlich sein sollten, wie heute klar ist, wer „wir Europäer“ sind … Mit den Verantwortlichen von heute in Politik und Wirtschaft wird das Morgen nicht aufgebaut werden können. Insofern stimmt der Spruch, den man in Dresden so oft gehört hat: „Merkel muss weg!“ Je früher, desto besser. Die Wahl von Trump ist nichts anderes als ein Symbol dafür, wie tief „der Westen“ (und damit der Spätkapitalismus) in der Krise steckt.

Professor für Staatstheorie und Verfassungsrecht an der Akademie der Wissenschaften der DDR und am Institut für Internationale Studien der Karl-MarxUniversität Leipzig, derzeit Vorsitzender des Marxistischen Forums in Sachsen, hat seine grundsätzlichen Aussagen mit konformer Überschrift versehen: „Wahlstrategie, Gesellschaftsstrategie und Wahrhaftigkeit“. Darin nimmt er kein Blatt vor den Mund. Sicher werden ihm nicht nur ältere Parteimitglieder dankbar sein, die Begrifflichkeiten marxistischen Denkens im Interesse einer ungeschönten Sicht auf die realen Verhältnisse in der Partei, in Deutschland, Europa und der Welt vorzufinden. Lieberams materialistisch-dialektische Betrachtung, veranschaulicht durch Beispiele aktuell-politischer Wirklichkeit, rüsten die entschiedene Linke mit schlagkräftigen Argumenten für den Wahlkampf um die Bundestagsmandate aus. Heftige Kritik äußert er dabei an der bisherigen Wahlstrategie der LinksparteiSpitze. „Es irritieren die SPD-, Parlaments- und Regierungsfixiertheit und die allenthalben deutlich werdende Ignoranz gegenüber den harten machtpolitischen Realitäten der neoliberalen Kapitaloffensive und des Klassenkampfes in der Bundesrepublik.“ Der Leser muss entscheiden, ob neues linkes Denken mit Lieberams Vorwürfen produktiv umgehen kann und will. Wulf Skaun

Weite Teile der Bevölkerung zwischen Berlin und Washington wollen nicht mehr so weiter wie bisher. Bis 1989 glaubten immer noch viele im Osten, dass die Zukunft dem Sozialismus gehöre, wie bis heute Menschen glauben, dass „dem Westen“ die Zukunft gehört. Irren ist menschlich. Wir sollten aufhören, uns mit der Fußnote Donald Trump zu beschäftigen und stattdessen die Ursachen der Krise des Spätkapitalismus unter die Lupe nehmen. Aber wer gewohnt ist, sich lieber mit Hitler und Goebbels als mit den Ursachen des Nationalsozialismus zu beschäftigen, wird sich auch weiter bevorzugt an Personen abarbeiten. Ein Grund, weshalb B. Traven der „bürgerlichen Lügenpresse“ nicht viel abgewinnen konnte und mit seinen eigenen Blättern gegenzusteuern versuchte. Wir brauchen mehr neue B. Travens mit publizistischen Projekten gegen den bürgerlichen Mainstream. Ralf Richter


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Unendliche Wende Ein Streitgespräch vor zwanzig Jahren – aktuell wie einst Viele Menschen sorgen sich um die gegenwärtige Gesprächs- und Diskussionskultur und die zunehmenden Hass-Kommentare, die nicht nur das Gesprächsklima vergiften, sondern auch die Schwelle für Aggressionen sinken lassen. Da ist es gut und orientierend, sich an Beispiele zu erinnern, in denen politische Gegner respektvoll und argumentativ miteinander umgegangen sind und dazu etwas zu sagen hatten. Eine dieser Diskussionen fand vor zwanzig Jahren vor überfülltem Haus im Leipziger academixer-Keller statt; die Gesprächspartner waren Hermann Kant und Gerhard Zwerenz und das Ganze wurde als „Streitgespräch“ vom organisierenden Dingsda-Verlag und seinem Verleger Joachim Jahns angekündigt. Das Gespräch zwischen den beiden Schriftstellern war eine Sensation, denn beide, obwohl sich als Linke aus Ost und West verstehend, waren erbitterte Gegner. Dass sie sich zum Gespräch trafen und es auch sachlich, sogar weitgehend zu ähnlichen Positionen führten, ist beispielhaft. Es ging nur nebenbei um Literatur, um Stephan Hermlin und Alfred Kantorowicz, um den DingsdaVerlag und den Aufbau-Verlag, um Mäzene und Sponsoren. Hauptsächlich ging es an diesem Märztag 1997 darum, wie es denn zu betreiben sei, dass unter den veränderten Gegebenheiten „sich in Deutschland sehr viel, möglichst alles ändern solle“. Bald darauf erschien das Gespräch als Buch unter dem Titel Unendliche Wende und ist heute noch so

aktuell wie einst. 1997 dachte keiner, dass die Themen so brisant bleiben würden. – Die beiden Streitenden sind inzwischen verstorben: Hermann Kant (1926-2016) und Gerhard Zwerenz (1925-2015). Ihr Leben verlief bis 1956 parallel,

Zwerenz als Bundestagsabgeordneter der Linken nach 1989 mehr als Kant – politischen Einfluss. Die Fragen, die sie 1997 einander stellten, sind geblieben und sie sind dringlicher geworden. Vieles, was die bei-

bestimmt von Krieg, Gefangenschaft, Hoffnung auf „ein neues Deutschland“. Dann trennten sich ihre Wege im Zusammenhang mit den Enthüllungen über die Verbrechen Stalins und sie wurden unversöhnliche Gegner. Sie wurden auch erfolgreiche Schriftsteller und sie hatten – Kant vor 1989 mehr als Zwerenz,

den übereinstimmend als Gefahr für die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland und Europa sahen, ist inzwischen Wirklichkeit geworden: die Osterweiterung der NATO, „eine Übermacht des Kapitals … unter der Überschrift ‚Globalisierung‘“, die Absage an die historische Schuld der Deutschen, die „ungeheuer-

liche politische Dummheit“, mit „dem Finger … auf ehemalige SED-Mitglieder oder auf Staatssicherheitsleute, einfach allgemein Richtung Osten zu zeigen“, „ähnliche Prozesse“ wie 1933 u.a. Kant und Zwerenz standen sich seit vierzig Jahren als Gegner gegenüber; beide hatten vierzig Jahre lang kein Wort miteinander gewechselt, zu gegensätzlich waren ihre Standpunkte, obwohl sich beide als Linke bezeichneten. 1956 war das Jahr der Trennung: Hermann Kant und Gerhard Zwerenz hatten politische Differenzen mit der SED, deren Mitglied sie beide waren; aber während Kant den schwierigen Weg ging, wegen individueller Schwierigkeiten nicht die Ziele der Gesellschaft aufzugeben und sich deshalb in seiner grundsätzlichen Haltung nicht beirren ließ, ging Zwerenz in den Westen, „musste“ diesen Weg gehen, wie er sagte. Kant sprach es deutlich aus, er hätte das Gespräch Jahre zuvor „nicht gewollt“. Beide waren sich aber einig, dass der Druck von Kapital und Mediengesellschaft so groß ist, dass alle Kräfte gebündelt werden müssen, um der Sprachlosigkeit, die durch die Herrschaft der Medien entsteht, zu begegnen. Medien waren deshalb ein wichtiges Thema ihres Gesprächs. Es ging nicht um Presseschelte, sondern um komplexe Wahrheiten, die Kant und Zwerenz als logische Folge der Veränderungen nach 1989 erschienen und die zum gemeinsamen Handeln aufforderten, beim Zurückstellen aller individuellen Unterschiede: Es ging um eine Radikalisierung, die mindestens an die Situation um 1933 erinnerte

und um eine Gefahr, die in Ost und West sich andeutete, dass die Prozesse „die Humanität, die für uns als Sozialisten das einzige Ziel sein kann, dass sie diese Humanität absolut delegitimieren und absolut auf Null hinunternivellieren“. Die beiden Schriftsteller warnten vor zwanzig Jahren davor und riefen dazu auf, „überflüssige Differenzen und Kämpfe“ zu beenden, um gegen den gemeinsamen Feind vorzugehen. Zwanzig Jahre später ist diese Gefahr um vieles größer geworden und fordert noch mehr nach Zusammenschluss der Gegenkräfte und Handlungen gegen rechts. In diesem Streitgespräch wirkte nichts aufgesetzt, nichts intellektuell überhöht; man sprach locker und salopp miteinander. Die Situation machte es erforderlich, so verständlich wie nur möglich seine Position vor einem gemischten Publikum darzulegen. In den Zielsetzungen übereinstimmend, gab es im Prozess dorthin gravierende Unterschiede. Spätestens da kam auch die Literatur wieder ins Spiel: Zwerenz verwies auf Hermann Kants Aufenthalt, Kant auf das „ungeheure Werk“ Von Abraham bis Zwerenz, entstanden in der Absicht, gemeinsam „etwas zu machen“. Sprache sei es, mit der man in sich „selbst ein Denken und Fühlen zu verändern“ bestrebt sein muss, um Vorurteile zu beseitigen. Rüdiger Bernhardt Erstveröffentlichung: UZ. Hermann Kant/Gerhard Zwerenz: Unendliche Wende. Ein Streitgespräch. Querfurt/ Leipzig: Dingsda-Verlag 1998, 100 S., als gebundenes Buch EUR 9,95, als Doppel-CD EUR 19,95

Seine Eltern waren arme Leute. So wuchs Otto Kropp, geboren am 7. Mai 1907 in Ebersfeld, ohne erlernten Beruf auf, jede Gelegenheitsarbeit nutzend, um zum Unterhalt der Familie beizutragen. Durch die Arbeitersportbewegung fand er den Weg zur KPD, der er 1931 beitrat. Nach Errichtung der faschistischen Diktatur wurde Otto Kropp mehrmals von SASchlägertrupps überfallen und schwer misshandelt, weshalb er zunächst im Mai 1933 in die Niederlande emigrierte. Von dort aus unterstützte er, im ständigen Kontakt mit den Vertretern des ZK der KPD in Amsterdam stehend, die Wi-

derstandsarbeit in Deutschland. Im August 1935 kam er illegal nach Köln und half, wie zuvor bereits in Essen, erfolgreich die durch die Massenverhaftungen geschwächten Leitungen und Verbindungen der dortigen Bezirksparteiorganisation zu reorganisieren. Zugleich war er bemüht, mit Sozialdemokraten und anderen Antifaschisten in Verbindung zu kommen. Im März 1936 wurde Otto Kropp verhaftet und im Januar 1937 zum Tode verurteilt. In der Begründung des Todesurteils hieß es: „Nach den getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte seiner Aufgabe mit äußerster Umsicht und

© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Geboren vor 110 Jahren: Otto Kropp umfassender Energie und, wie auch ohne weiteres festzustellen ist, mit erheblichem Erfolg gewidmet.“ Am 25. Mai wurde Otto Kropp, kaum 30 Jahre alt geworden, im Zuchthaus Berlin-Plötzensee auf dem Schafott hingerichtet. Am Vorabend seiner Hinrichtung schrieb er einen erschütternden Brief an seinen Vater und seine Geschwister, die er bat: „Helft unserem guten Vater das Schwerste ertragen. Das ist mein letzter Wunsch, den Ihr mir erfüllen könnt.“ Er schloss seinen Brief mit den Worten: „Ich sterbe mit dem festen Glauben, nicht umsonst gefallen zu sein.“ Prof. Dr. Kurt Schneider


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Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Termine Leipzig, 6. Mai, Sonnabend, 10.00 Uhr Kolloquium: Marx’ „Kapital“ im 21. Jahrhundert. Mit Dr. Dieter Janke (RLS Sachsen), Prof. Dr. Manfred Neuhaus (Historiker, langjähriger Mitarbeiter an der MEGA), Prof. Dr. Thomas Kuczynski (Wirtschaftshistoriker), Dr. Ulrich Busch (Finanzwissenschaftler), Prof. Dr. Klaus Müller (Wirtschaftswissenschaftler), Doz. Dr. Georg Quaas (Wirtschaftswissenschaftler), Dr. Stephan Krüger (Arbeitnehmerorientierter Unternehmensberater), Dr. Jürgen Leibiger (Wirtschaftswissenschaftler) RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Vor 150 Jahren ließ Karl Marx’ Hamburger Verleger Otto Meißner in Leipzig den ersten Band des „Kapitals“ in der Druckerei Wigand drucken. Das Kolloquium aus Anlass dieses Jahrestags widmet sich der Frage, welche Bedeutung dieses Werk für die sozialen Auseinandersetzungen im 21. Jahrhundert hat. Der Schwerpunkt liegt auf der ökonomischen Theorie von Marx, insbesondere seiner Wert- und Mehrwerttheorie, der Geld- und Kapitaltheorie sowie der Akkumulationstheorie. Informationen unter www. sachsen.rosalux.de. Teilnahmebeitrag: 10 Euro, ermäßigt 5 Euro (inkl. Pausenversorgung). Wir bitten aus organisatorischen Gründen um eine Anmeldung. Chemnitz, 10. Mai, Mittwoch, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Die russische Revolution - Anspruch und Wirklichkeit***. Mit Meri Rubinchik (Journalistin, Schriftstellerin). Soziokulturelles Zentrum querbeet, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz Dresden, 10. Mai, Mittwoch, 18.30 Uhr Vortrag und Diskussion: Frauen als Avantgarde? Ist die Krise des Kapitalismus auch eine Krise des Patriarchats? REIHE: Gesellschaftskritik in der Krise. Mit Prof. Dr. Christine Bauhardt (Humboldt Universität Berlin).

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e. V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Eine gemeinsame Vortragsund Diskussionsreihe des Referates politische Bildung (StuRa der TU Dresden) und der RosaLuxemburg-Stiftung Sachsen. TU Dresden, Hörsaalzentrum, Bergstraße 64, 01069 Dresden, HSZ/E03/U Trotz vieler Krisen sitzt die herrschende Klasse scheinbar fest im Sattel. Und diese Herrschaft ist nach wie vor männlich. Sind die patriarchalen Herrschaftsverhältnisse dem Kapitalverhältnis unabänderlich eingeschrieben? Welche Wirkungen hat es, wenn sich die Geschlechterverhältnisse und Rollenklischees im Alltag zu ändern beginnen? Was ändern eine weibliche Kanzlerin und eine Frau als Vorstandschefin eines Konzerns an den Herrschaftsverhältnissen des Kapitalismus? In welchem Verhältnis stehen Macht-, Herrschafts- und Geschlechterverhältnisse und welchem Wandel unterliegen sie? Leipzig, 10. Mai, Mittwoch, 19.00 Uhr Diskussion: „Wer nicht feiert …“ Ein Gespräch über den linken Umgang mit dem „Tag der Befreiung“***. Mit Natalka Neshevets (Visual Culture Research Center Kiew), N.N. Vertreter*in des AK Loukanikos, Johannes Spohr (Historiker und Journalist). Eine Veranstaltung der Initiative „Geschichte vermitteln“ Leipzig, dem Conne Island Leipzig, der RLS sowie der RLS Sachsen. Conne Island, Koburger Str. 3, 04277 Leipzig Glauchau, 10. Mai, Mittwoch, 19.00 Uhr Lesung und Diskussion: Wörterbuch des besorgten Bürgers Mit Robert Feustel (Politikwissenschaftler, Mitautor), Nancy Grochol (Lektorin, Mitautorin). Café Taktlos, Heinrich-Heine Str.2, 08371 Glauchau Chemnitz, 11. Mai, Donnerstag, 18.00 Uhr Buchvorstellung und Diskussion: „Queer und (Anti-)Kapitalismus“***. REIHE: Rosa trifft Lila. Mit Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß (Biologe). Eine Veranstaltung Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 10.950 Exemplaren gedruckt.

der RLS Sachsen und des Referates Antidiskriminierung an der TU Chemnitz. Technische Universität, Altes Heizhaus, Straße der Nationen 62, 09111 Chemnitz Während weiße schwule Männer in den letzten Jahren eher Freiheitsgewinne verbuchen, kommt es zu einem entsolidarisierenden Umbau der Gesellschaft, verbunden mit zunehmend rassistischen Politiken. Dabei waren es schon 1969 in der New Yorker Christopher Street „[S]chwarze und Drag Queens/Transgender of colour aus der Arbeiterklasse“, die den Widerstand gegen heteronormative Ausgrenzung und Gewalt trugen und „sich in Abgrenzung zu weißen Mittelklasse-Schwulen und [-]Lesben ‚queer‘ nannten. Leipzig, 11. Mai, Donnerstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Religiöse Erwähltheit und weltliche Bewährung – Anmerkungen zu Willi Winklers Biographie „Luther. Ein deutscher Rebell“. REIHE: Jour fixe - Ein ungewöhnlicher Gesprächskreis. Mit Prof. Dr. Gerhard Hoffmann (Leipziger Mediävist). Moderation: Klaus Kinner und Manfred Neuhaus. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 16. Mai, Dienstag, 18.00 Uhr Buchvorstellung und Gespräch „Polens Rolle rückwärts. Der Aufstieg der Nationalkonservativen und die Perspektiven der Linken“*** Mit dem Autor Dr. Holger Politt (Büroleiter der RLS in Warschau). RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Dresden, 12. Mai, Freitag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Das Netzwerk der Abtreibungsgegnerinnen aus anti-feministischen, konservativen und rechten Strukturen. Eine Veranstaltung von e*vibes und Pro Choice Sachsen mit Unterstützung der RLS Sachsen. kosmotique, Martin-LutherStraße 13, 01099 Dresden Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter. Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773 Redaktionschluss: 24.04.2017 Die nächste Ausgabe erscheint am 07.06.2017.

Dresden, 16. Mai, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Pierre Bourdieu – Soziologe und Neoliberalismus-Kritiker***. REIHE: Junge Rosa. Mit Jeannette Wilfer (Politikwissenschaftlerin, M.A). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Pierre Bourdieu (1930-2002), einer der bedeutendsten Soziologen des 20. Jahrhunderts, befürwortete ein Eingreifen von Wissenschaftler*innen in politische Debatten und gesellschaftliche Kämpfe. Die Basis dafür sollte die wissenschaftliche und soziale Verantwortung bilden. Der Vortrag erläutert das kritische Verständnis des Soziologen gegenüber dem Neoliberalismus. Wo sah Bourdieu den Ursprung des Neoliberalismus? Welche sozialen Folgen hat die neoliberale Politik zu verantworten und welche Gegenmaßnahmen sind zu ergreifen? Chemnitz, 16. Mai, Dienstag, 19.00 Uhr Die Identitären - „Klassiker“ und Kernthemen. REIHE: Durchmarsch von Rechts – Modernität rechten Denkens. Mit Prof. Dr. Peter Porsch (Germanist) Rothaus e.V., Lohstraße 2, 09111 Chemnitz Dresden, 17. Mai, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Utopie - Zur Aktualität einer Denkfigur***. Mit Dr. Alexander Neupert-Doppler (Bildungsreferent der Sozialistischen Jugend/Die Falken in Hannover). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 17. Mai, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Kritik der Politik als Politikwissenschaft? Zur materialistischen Staatstheorie von Johannes Agnoli. REIHE: Marx Expedition 2017: Kritik des Politischen. Mit Jan Schlemermeyer (Politikwissenschaftler). Hörsaal 8, Hörsaalgebäude (HSG) Uni Leipzig, Universitätsstraße 3, 04109 Leipzig Die Zeitung „Links!“ kann kostenfrei abonniert werden. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Erscheinen unserer Zeitung unterstützen. Kostendeckend für ein Jahresabo ist eine Spende in Höhe von 12 Euro. Sollten Sie an uns spenden wollen, verwenden Sie bitte folgende Kontodaten:

Leipzig, 24. Mai, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Politischer Existentialismus? Hannah Arendt und das Problem „des Politischen“. REIHE: Marx Expedition 2017: Kritik des Politischen. Mit Dr. Ingo Elbe (Philosoph und Sozialwissenschaftler). Hörsaal 8, Hörsaalgebäude (HSG) Uni Leipzig, Universitätsstraße 3, 04109 Leipzig Hannah Arendts Überlegungen zur Politik sind eine wichtige Quelle der aktuellen Theorien „des“ Politischen. Der antiinstitutionelle Charakter des Politikbegriffs, seine Abgrenzung von Staat und Verwaltung, die Begeisterung für Ausnahmezustand und Ernst gegen alltägliches Behagen, Normen und Durchschnittlichkeit sowie die völlige Ablehnung von ökonomischen und gesellschaftstheoretischen Fundierungsversuchen des Politischen sind Motive, die der gegenwärtige Diskurs mit dem Denken Arendts teilt. Der Vortrag stellt Arendts Politikbegriff im Kontext ihrer Moderne-Diagnose dar. Leipzig, 30. Mai, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Dabei sein oder frei sein? Über zwei Weisen der Selbstbestimmung seit der Aufklärung***. REIHE: Philosophische Dienstagsgesellschaft. Mit PD Christian Schmidt (Leipzig). Moderation: Dr. Monika Runge. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Die Aufklärung war getragen von einem Ethos des Selbst. Nicht traditionelle Überlieferungen und Rollen sollten in den entscheidenden Fragen des Lebens bestimmend sein, sondern selbst gemachte Erfahrungen und selbst gewonnene Einsichten. Dieses Selbst wurde aber auf zwei Weisen gefasst: einmal als Beteiligung an politischen oder wissenschaftlichen Erkenntnisprozessen und zum anderen als gesicherte Sphäre der eigenen Willkür. Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07 BIC: GENODEF1DRS Bank: Dresdner Volksbank Raiffeisenbank Aboservice: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder 0351-84 38 9773


Rezensionen

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05/2017  Links!

Buchbesprechung: Angst für Deutschland Die Geschichte der AfD beginnt für die Autorin mit Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“. Zumindest startet so die „Methodik-Geschichte“ der AfD: Man trage „Fakten“ zusammen, die in so einem speziellen Zusammenhang noch nicht vorgetragen wurden, und stelle sie in einen „nationalen“ Kontext. Schon entsteht eine „Bedrohung“ für das „deutsche Volk“. Genau genommen aber beginnt die Geschichte der AfD viel früher. Sie beginnt mit „New Labour“, der Abkehr britischer Sozialdemokraten von den Interessen der Arbeiterklasse und ihre Vorbildwirkung auf einen gewissen Gerhard Schröder und seine Kumpels. Mit der Entstehung von „New Labour“ konzentriert sich dann auch die SPD in Deutschland auf „die Mitte“. Das kann die CDU nicht auf sich sitzen lassen und nimmt ihrerseits den „Kampf um die Mitte“ auf: So entstehen weite Räume links und rechts. Es war klar, dass mit der Abkehr von Teilen der SPD eine „LINKE“ zwangsläufig entstehen musste, so wie die Abkehr der CDU von rechten und konservativen Positionen Platz für eine Rechte machte. Spätestens seit Gründung der LINKEN musste jedem politisch denkenden Menschen klar sein, dass rechts von der CDU ein Raum für eine Partei entstand, die zwischen zehn und zwanzig Prozent der Stimmen einfahren kann. In der Tat legte der Sozialdemokrat Sarrazin die ideologische Saat für die neue Rechtspartei. Melanie Amann beschreibt, wie AfDParteigründer Bernd Lucke den alten Sozialdemokraten mit ei-

nem Vorstandsposten für die neue Partei lockt – doch Sarrazin lehnt dankend ab. Ihm reicht es, der Rechtsausleger der SPD zu sein, und die SPD steht zum rechten Flügelmann! „Große Teile der türkischen und arabischen Bevölkerung haben keine produktive Funktion – mit Ausnahme für den Gemüsehandel“, äußert er sinngemäß, und das wird man doch als Sozialdemokrat in diesem Land endlich mal wieder sagen dürfen – oder nicht? Es war dann die Kanzlerin, die mit ihrer ständigen „alternativlosen“ Politik der neuen Rechten einen Namen schenkte – der früher mal ein Kennzeichen der Linken war: Plötzlich stehen die „Alternativen“ rechts! Hätten sich die Neu-Rechten nur die „Alternativen“ genannt, hätte das noch heute zu Verwechslungen führen können. Doch das Anhängsel „für Deutschland“ macht die Stoßrichtung klar. Selbstverständlich hat die westdeutsche SPD auch Wurzeln in der NSDAP – nach 1945 sammelten sich im Osten viele kleine ehemalige NSDAPler in der NPD, im Westen aber verteilten sie sich auf sämtliche Parteien – nicht zuletzt auch auf die CDU/CSU, FDP und SPD. So weit aber holt die Autorin nicht aus. Ihre Leistung besteht darin, als Kennerin der Szene mit den Klischees über die AfD aufzuräumen. Ja sicher: Beim Parteitag in Köln sah man wieder viele ältere Herren – aber das Bild von den Parteitagsdelegierten spiegelt mitnichten die Wählerschaft der AfD wieder. Hier finden sich Friseurinnen ebenso wieder wie zahlreiche Rechtsintellektuelle

aus dem Hochschul- und Universitätsmilieu bis hin zum Arbeitslosen. Und: Besonders viele Wähler sind jung. Sehr jung, um die 25 Jahre alt. Amann arbeitet mit eingängigen Bildern – so greift sie auf den Fußball zurück: Seit die

lich haben PEGIDA und AfD zehntausende Menschen, die mit der Politik schon seit Jahrzehnten nichts mehr am Hut hatten, zurückgeholt aufs politische Feld. Vor allem aber wurde das Feld erweitert. Unvergessen die Klage der Grü-

neue Mannschaft auf dem Feld ist, schaut man wieder mit Spannung auf die Entwicklung der „politischen Liga“. Tatsäch-

nen nach der Saarlandwahl: Man habe ja seine ganze Leute mobilisiert, wie immer – daran scheiterte der Einzug der

Grünen in den Landtag nicht –, aber es seien dieses Mal „so viele zur Wahl gegangen“ … dadurch habe es eben nun nicht mehr für die Grünen gereicht. „Die Etablierten“ hatten sich so schön eingerichtet mit ihren Klagen über die politikverdrossenen Abgehängten. Und nun wählen die plötzlich doch noch und dazu noch ganz falsch! So was aber auch! Sie organisieren sich im Internet – fünf Millionen erreicht die AfD über ihre Kanäle locker. Im Buch wirft die Autorin einen vorurteilsfreien respektvollen Blick auf einen neuen starken politischen Gegner und sie gibt auch nicht zu unterschätzende Tipps: Viel wäre gewonnen, meint sie, wenn die Parteien sich so intensiv mit der AfD beschäftigen würden wie die AfD sich mit den etablierten Parteien beschäftigt. Ein klangvolles Beispiel – das man im Internet nachhören kann – lieferte anlässlich der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern ein Sängerinnen-Wettstreit: Die Sozialdemokraten ließen die junge Sängerin Jennifer Rostock zur Jung-Wählerwerbung einen Anti-AfD-Song schmettern – leider stimmten die Argumente nicht. Im Gegenzug konterte die rechtsintellektuelle „Ein-Prozent-Bewegung“ mit einem Pro-AfD „Konter-Song“, in dem Melanie Halle süffisant das Jennifer-Rostock-Lied zerlegt. Fazit: Wer wirklich wissen will, wo die AfD herkommt, wer sie führt und wohin sie steuert, sollte das Buch „Angst für Deutschland“ von Melanie Amann lesen. Es kostet 16,99 Euro und erschien im DroemerVerlag. Ralf Richter

„Die DDR hat‘s nie gegeben“ Als in Berlin der Palast der Republik abgerissen worden war, prangte unterhalb des Tatortes an einer Mauer entlang der Spree ein Graffito „Die DDR hat‘s nie gegeben“. Es drückte aus, was so manchem Akteur der „friedlichen Revolution“ bewusst geworden war: Der Abriss des Palastes der Republik sollte den Abriss der DDR symbolisieren. Alles was an die DDR erinnerte, sollte soweit wie möglich verschwinden. Es war die Zeit, in der in Ostdeutschland nicht nur DDRBauten schlechthin, sondern ebenso Industriebetriebe, die für Millionen DDR-Bürger Arbeitsstätten waren, zu Ruinen wurden und zum Teil noch bis heute als solche existieren. Gelebtes Leben in und für die DDR sollte als vertane Lebenszeit begriffen werden. Mit der Parole „Nie wieder Sozialismus!“

wurde der Wiederkehr des Kapitalismus der Teppich der Geschichte ausgelegt. Das ist letztendlich auch der Grund dafür, dass seither der Kalte Krieg gegen die DDR auf dem Gebiet der Geschichtsschreibung betrieben wird. Dieser Art Geschichtsschreibung stellt Siegfried Prokop, einer der profiliertesten maoistischen DDR-Geschichtsschreiber, die These entgegen: „Interpretation der DDR-Geschichte bedarf der strikten Sachlichkeit. Wo diese verlassen wird, steht auch die Akzeptanz durch die betroffene Bevölkerung in Frage.“ Das heißt nicht, unbequemen Wahrheiten aus dem Wege zu gehen oder sie gar zu leugnen, sondern die tatsächliche geschichtliche Wahrheit des Aufbaus, der Stabilität und des Niedergangs der DDR zu benennen.

In der Publikation stellt Prokop 23 der von ihm verfassten Studien vor, die in den letzten zwei Jahren entstanden und noch nicht publiziert worden sind oder nur Eingang in die „graue Literatur“ fanden. Die Studien behandeln anfangs die Haltung der Mächte der Antihitlerkoalition zur deutschen Frage als geschichtliches Problem, den Beginn des Kalten Krieges und seine Auswirkungen auf Deutschland sowie die „Oder-Neiße-Grenze“ im politischen Widerstreit. Im Folgenden beziehen sie sich auf nationale Aspekte des antifaschistisch - demokratischen und sozialistischen Aufbaus in der SBZ bzw. in der DDR, deren Gründung mit der Fragestellung „Errungenschaft oder Notlösung«“ verknüpft wird, der die zuvor erfolgte Gründung der BRD mit der griffigen Formel

Konrad Adenauers „Lieber das halbe Deutschland ganz, als das ganze Deutschland halb!“ gegenüber stand. Dem folgen Studien, welche die Erfolge und Defizite im Ringen um eine sozialistische Alternative sowie die Parteiprogramme der SED unter dem Aspekt des Theorieverlustes zum Gegenstand haben. Im weiterem wird der 17. Juni 1953 in der DDR behandelt, dem sich Probleme der DDR-Geschichte 1955 bis 1961 und damit die äußeren und inneren Aspekte des Mauerbaus in Berlin anschließen. Mehrere Studien sind mit den Reformansätzen in der DDR, dem Drängen nach grundlegenden Reformen in den 80er Jahren und dem verspäteten Dialog im Inneren befasst sowie mit der demokratischen DDR unter Ministerpräsident Lothar de Maizière von März bis Oktober 1990 und

dem Charakter der Revolution 1989. Der Band schließt inhaltlich ab mit dem versäumten Paradigmenwechsel und mit der Antwort des Autors auf die Frage: „Woran scheiterte die DDR?“ Wen die Geschichte des Landes interessiert, das knapp 41 Jahre lang existierte und für viele eine Hoffnung von einer vom Kapitalismus befreiten Welt und daher von einem Leben in Frieden und sozialer Gerechtigkeit war, aber dennoch scheiterte, dem sind die vorliegenden Studien, die zum Nachdenken anregen, empfohlen. Prof. Dr. Kurt Schneider Siegfried Prokop: „Die DDR hat‘s nie gegeben.“ Studien zur Geschichte der DDR 1945 bis 1990. edition bodoni 2017, 307 Seiten, 20 Euro. ISBN: 9783940781796


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Chuck Berry – Rock‘n‘Roll will never die rern bestand, mit einem Blues, dessen Text den letzteren vulgär erschien. So erntete er vorwurfsvolle Blicke. Die Schüler allerdings spendeten euphorischen Beifall und feierten ihn wie einen Popstar. Berry Junior wurde auf einmal klar, welch heißes Temperament in ihm brodelte. Er fühlte sich ermutigt, weiterzumachen, und begann erste eigene Songs zu schreiben. Auch das Gitarrenspiel wollte nun erlernt werden, sodass er täglich übte und das Instrument alsbald gut beherrschte. Im Sommer 1944 beschloss er, mit zwei Schulfreunden nach Kalifornien abzuhauen, ein ganz spontaner Einfall aus pubertärem Leichtsinn. Mit einem klapprigen Oldtimer brachen sie auf, und es kam, wie es kommen musste. Das Benzin ging aus, das bisschen Geld war schnell ausgegeben. Die Jungs begaben sich auf kriminelle Pfade, begingen mehrere Überfälle in Kansas City, dann trampten sie weiter durch Missouri und stahlen ein Auto. Sie wurden allerdings von der Autobahnpolizei überrascht und verhaftet. Alle drei wurden zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. Sie verbüßten ihre Strafe in „Algoa“, einer Strafanstalt für Jugendliche in Jefferson City. Hier waren sie oft der rassistischen Willkür der Justizbeamten ausgesetzt. Im Gefängnis lernte Charles den Gitarristen und Saxophonspieler Po‘ Sam kennen. Mit drei weiteren Sängern

gründete er ein Quartett, das hauptsächlich Gospelsongs im Repertoire hatte und mit denselben auch bei Gottesdiensten auftrat. Und weil das Quartett nicht nur bei den Inhaftierten sehr gut ankam, durfte es auch außerhalb der Mauern spielen. Musikalisch wurden die Songs von Po‘ Sams Boogiebluesband begleitet. Hier erlebte sich Berry Junior zum ersten Mal als Frontsänger. Nach drei Jahren Haft wurde er am 18. Oktober 1947, an seinem einundzwanzigsten Geburtstag, wegen guter Führung entlassen. Er begann eine Friseurlehre, wechselte allerdings bald zum Beruf des Automechanikers und arbeitete in verschiedenen Werkstätten. Anfang der 50er Jahre bekam er einen Job bei einem Radiosender und auch die Gelegenheit, als Diskjockey tätig zu sein. Als er sich vom ersten Verdienst eine eigene Gitarre kaufte und ein mehrspuriges Tonbandgerät erwarb, konnte er von nun an seine Lieder selbst aufnehmen. Durch selbstkritisches Abhören seiner Aufnahmen und ständiges Experimentieren mit Stimme und Instrument entwickelte er nach und nach eine sehr eigenwillige, von swingenden Gitarrenriffs und Improvisationen geprägte Spielweise. Etwa zur selben Zeit absolvierte er erste Auftritte in Bars. Er erhielt minimale Gagen, aber seine exzessive Bühnenpräsenz verschaffte ihm enorme Anerken-

Bild: Roland Godefroy /Wikimedia Commons/ CC BY-SA 3.a0

Er befreite die E-Gitarre vom Ruf eines Begleitinstruments und revolutionierte ihre Bedeutung in der Rockmusik, indem er die bis dahin übliche Trennung zwischen Melodie- und Rhythmusfunktion überwand und so eine völlig neue Spielweise ermöglichte. Gesang und Gitarrenriffs ergänzten einander und boten freieren Raum auf dem rhythmischen Fundament von Bass und Schlagzeug. Ein Novum des Rock’n’Roll war aus der Taufe gehoben. Es hat bis zum heutigen Tag, trotz moderner Trends, nicht an Popularität verloren. Die Rede ist von Charles Edward Anderson „Chuck“ Berry, der 1926 als Sohn der Pädagogin Martha Berry und des baptistischen Chorleiters Henry Berry geboren wurde, und zwar in St. Louis im Bundesstaat Missouri. Schon sehr früh wurde er mit den harmonischen Klängen der Baptistenlieder vertraut, da der Chor der Gemeinde stets im Haus der Familie probte. Seine musische Begabung verdankte er gewiss den außergewöhnlichen Umständen, dass ihn die Eltern stets in das „Amytis Theatre“ mitnahmen (eine der wenigen Spielstätten der Stadt, in der ausschließlich Afroamerikaner verkehrten), um mit seinen älteren Geschwistern kleine Stücke aufzuführen, oder weil es üblich war, zuhause zwischen den Mahlzeiten Gedichte zu rezitieren. Als er zum ersten Mal Rock’n’RollKlänge aus dem Radio hörte, stand fest: Das war seine Musik! So dauerte es auch nicht lange, bis er sich selbst ans Klavier setzte und erste Boogie Woogie-Nummern zu klimpern begann. Swing und Boogie waren seitdem seine Begleiter. Als Zwölfjähriger war er bereits ein großer Fan der damaligen Blues- und Rockgiganten Muddy Waters, Louis Jordan, T-Bone Walker oder Nat King Cole. Und als seine Geschwister Platten von Duke Ellington und Tommy Dorsey nach Hause brachten und auflegten, war der Junge überglücklich. Als er Dorseys Titel „Dorsey’s Boogie Woogie“ hörte, stand für ihn abermals fest: Das will ich auch machen! Doch vorerst wurde er Mitglied im „Jubilee Ensemble“, einem Kirchenchor, wo er alsbald mit seiner prägnanten Art, den Bass zu singen, auffiel; selbst andere Gemeinden wurden auf ihn aufmerksam und luden ihn ein, in ihren Chören zu wirken. Nach einem zufälligen Kurzauftritt während einer Veranstaltung der „Summer High School“, wo es üblich war, Gospels zu singen, überraschte er das Publikum, das hauptsächlich aus Schülern und Leh-

nung im Publikum. Schon bald galt er als Geheimtipp. Mitte der Fünfziger wurde er Mitglied der „Tommy Stevens Band“, die sich hauptsächlich dem Blues von Muddy Waters oder Bog Joe Turner verschrieben hatte. Tommy Stevens war es auch, der Berry Junior (der sich inzwischen Chuck Berry nannte) ermutige, neue Ideen in das Repertoire der Gruppe einzubringen. Chuck begann daraufhin, musikalische Grenzen zu überschreiben, indem er Elemente wie Bluegrass oder Hillbilly einbezog. Das hatte zur Folge, dass die Band aufgrund ihrer ungewöhnlichen Beats für beachtliches Aufsehen sorgte und andere Clubbetreiber aufhorchen ließ. So ergab es sich für Chuck Berry, dass er an Silvester 1952 mit dem „Sir John’s Trio“ im etablierten „Cosmopolitan Club“ in St. Louis ein Auftrittsangebot erhielt. So begann seine eigentliche Karriere. Hatte er bis dahin nur für ein schwarzes Publikum gesungen, so war es ihm nun vergönnt, auch Weiße zu begeistern. Mit Johnnie Johnson (mit dem er übrigens für zwei Jahrzehnte zusammenarbeiten sollte) und dem Schlagzeuger Ebby Hardy gründete er die „Chuck Berry Combo“. Es folgten auch Gigs in anderen Städten. Während eines Aufenthaltes in Chicago besuchte Berry ein Konzert von Howlin‘ Wolf und Elmore James. Er war absolut begeistert von deren Sound. Besonders der sonore Gesang von Howlin ließ ihn nicht mehr los. Nach einem Konzert seines größten Idols Muddy Waters war es Berry durch Zufall vergönnt, mit seinem „Gott“ ein kurzes persönliches Gespräch zu führen. Muddy Waters, der schon von dem aufstrebenden Jungrocker gehört hatte, empfahl ihm, bei Leonard Chess, Chef des gleichnamigen Plattenlabels, vorstellig zu werden. Nachdem Chess Berrys Demobänder gehört hatte, kam es zu einem Plattenvertrag. Chess war sichtlich beeindruckt, dass ein Farbiger erstmals einen selbstverfassten Hillbillysong darbot, war Countrymusik doch bis dahin den Weißen vorbehalten. Mit Johnnie Johnson und Ebby Hardy spielte Chuck Berry am 21. Mai 1955 im Studio vier Titel ein: „Maybellene“, „Wee Wee Hours“, „Thirty Days“ und „You Can’t Catch Me“. Als Studiogast wirkte kein Geringerer als der damals schon sehr populäre Kontrabassist Willie Dixon mit, der auch für Muddy Waters textete und komponierte. Die Singe „Maybellene“ mit der B-Seite „Wee Wee Hours“ wurde Berrys erster Hit. Es folgte

eine mehrtägige Tour durch Atlanta und Georgia. 1956 erschien sein wohl bedeutendster Song „Roll Over Beethoven“, dem in den Folgejahren „Rock and Roll Music“, „Sweet Little Sixteen“, „Johnnie B. Goode“, „Carol“ oder „Memphis, Tennessee“ folgten. Übrigens alles Titel, die alten Beatles- und Stones-Fans ziemlich bekannt sein dürften. Denn hört man die frühen Platten dieser Gruppen und schließt dabei die Augen, kann man sie leicht mit Chuck Berrys Originalton verwechseln. Diese Songs tauchten ebenfalls im neueren Gewand in den wilden Jahren der Hippie- und Woodstock-Generation auf, interpretiert von Johnny Winter, Canned Heat oder John Fogerty und seiner Hitfabrik Creedence Clearwater Revival, um nur einige zu nennen, die sich Berrys Handschrift – freilich weitaus voluminöser – bedienten. In Fachkreisen war vom Bluesrevival der Achtundsechziger die Rede, und auch Chuck Berry war nicht abgeneigt, sich diesem zu öffnen. Er ließ sich die Haare lang wachsen und scheute nicht davor zurück, zeitgenössische Einflüsse schwarzer Musikrichtungen wie Funk- oder Soulelemente einzubeziehen. Er bewirkte, dass dem ungezähmten tanzbaren Rock’n’Roll eine Zäsur widerfuhr, indem Berry durch klangliche Erweiterungen und besonders prägnante Textpassagen mit sozialkritischem Inhalt einen auf hohem Niveau basierenden konzertanten Rhythm and Blues kreierte. Bis weit in die Sechziger stieg Berrys Popularität enorm, und er startete zahlreiche Tourneen durch die USA und Europa. 1972 produzierte er die LP „The London Chuck Berry Session“, die als seine erfolgreichste gilt und ihn den Ruf als bedeutendster Vorreiter der Rockmusik erlangen ließ. Unzählige Fernsehshows und Livekonzerte weltweit waren die Folge, bis es in den Achtzigern ruhiger um ihn wurde und er lieber kleinere Spielstätten mit Club-Atmosphäre bevorzugte. Erst zum Ende der Neunziger ging er wieder auf Tourneereisen. 2008 verlieh ihm eine deutsche Filmjury die begehrte „Goldene Kamera“, 2014 erhielt er den skandinavischen „Polar Musikpreis“ in Schweden. Zuvor gab er noch Konzerte in Moskau, Helsinki, Oslo und anderen europäischen Städten. Am 18. März 2017 verstarb Chuck Berry neunzigjährig in St. Charles County, Missouri. Jedoch: Rock’n’Roll will never die! Jens-Paul Wollenberg


05/2017 Sachsens Linke!

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Mai 2017

Sachsens Linke

of Fame des Sports verweigert wird. Und Tilman Loos erklärt, weshalb die CDU für einen Tag pro Jahr verboten werden sollte.

Wir erinnern an unseren langjährigen politischen Weggefährten und Sozialexperten Dr. Dietmar Pellmann, der Anfang Mai überraschend verstorben ist.

ein Thema bleibt, erklärt Dorothea Wolff. André Hahn würdigt „Täve“ Schur, dem in schändlicher Weise die Aufnahme in die Hall

Die Kreisseiten zeigen, dass der Wahlkampf seine Schatten vorauswirft. Weshalb Hartz IV

Aktuelle Infos stets auch

unter

e www.dielinke -sachsen.d

Republik Europa

Bundestagswahl: Die Weichen sind gestellt Das Bild eines Sonnenaufgangs über dem Elbsandsteingebirge begrüßte die Landesparteitagsdelegierten und VertreterInnen in der Sachsenlandhalle in Glauchau. Auf ihm prangte in großen weißen Lettern der Schriftzug „Zur Sonne, zur Freiheit“. Ein symbolträchtiger Aufbruch in die neue Zeit auf der einen, eine Erinnerung an das Erbe der ArbeiterInnenbewegung auf der anderen Seite. Große Linien, die sich auch durch beide Veranstaltungen – Landesparteitag und LandesvertreterInneversammlung – ziehen sollten, mit denen die sächsische LINKE die Weichen für den anstehenden Bundestagswahlkampf stellen wollte. DIE LINKE, forderte die Parteivorsitzende Katja Kipping, solle selbstbewusst in den Wahlkampf gehen: „Dabei sollten wir unsere Ziele nicht zu bescheiden ansetzen.“ DIE LINKE könne durchaus die Rechtspopulisten hinter sich lassen. „Wir können bundesweit die drittstärkste Kraft werden. Lasst uns in Sachsen unseren Beitrag zu diesem Erfolg leisten! Es geht um einen Wahlkampf, der DIE LINKE stärkt. Denn nur eine starke LINKE ist der Garant dafür, dass die Politik nach den Wahlen tatsächlich sozialer und friedlicher wird. Also lasst uns in aller

Geschlossenheit in den Wahlkampf starten!“ In seiner Rede zur Einbringung des Leitantrages warb der Landesvorsitzende Rico Gebhardt darum, besonders die eigentliche Ostkompetenz der LINKEN im Wahlkampf nicht zu verstecken: „Vielleicht haben wir im Willen, erste gesamtdeutsche Partei zu sein, das Wort ,Osten‘ das eine oder andere Mal lieber vermieden.“ Doch gerade im Hinblick auf die Nachwendegeneration, die die DDR nicht selbst erlebt hat, aber noch heute Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten spüre, müsse man die Interessen der Ostdeutschen in den Fokus rücken. Gebhardt warb auch für eine klare proeuropäische Haltung der Partei: „DIE LINKE darf nicht zulassen, dass in Europa die Schlagbäume wieder zugehen. Wir sind die Partei der europäischen Solidarität. Genau deshalb kann es in Zeiten der Krise keinen Burgfrieden mit dem nationalstaatlichen Lager geben.“ Gegen die von rechts propagierte Rückkehr in den Nationalismus müsse die Partei die Vision der Republik Europa setzen. Sahra Wagenknecht, die als Gast auf der LVV sprach, verwies klar darauf, dass die Partei neben ihrem sozial- auch ihr friedenspolitisches Profil nicht

zur Disposition stellen werde: „Wir sind die Anti-Kriegspartei, die Friedenspartei. Und an die Adresse aller anderen Parteien: Schminkt es euch ab, dass wir das für Koalitionsverhandlungen verkaufen, weil es wichtig ist, dass es wenigstens eine Friedenspartei gibt. Gut wäre es, wenn wir so stark werden, dass das den Druck auf die anderen erhöht, endlich ihre Außenpolitik zu korrigieren.“ Der Leitantrag des Landesvorstandes fand auf dem Landesparteitag mit einigen Änderungen breite Zustimmung. So unterstrich die Partei darin auch ihren Anspruch, wieder als zweitstärkste Kraft in Sachsen aus dem Wahlkampf hervorzugehen und wie bisher mit acht Abgeordneten in den Deutschen Bundestag einziehen zu wollen. Wer diese acht Abgeordneten sein sollten, bestimmte im Anschluss die LVV. Nominiert als Spitzenkandidatin war bereits im Vorfeld Katja Kipping, die als Einzelbewerberin auf Listenplatz 1 antrat und mit 84,8 Prozent der Stimmen gewählt wurde. Weil die LVV diesmal alle Plätze bis zum Listenplatz 10 in Einzelwahl bestimmte, waren die darauffolgenden Kandidaturen besonders spannend. So gelang es André Hahn, sich den Lis-

tenplatz 2 zu sichern, gefolgt von Caren Lay auf Listenplatz 3. Die LVV wählte schließlich mit Michael Leutert (4), Sabine Zimmermann (5), Axel Troost (6) und Susanna Karawanskij (7) Kandidierende auf die Landesliste, die auch bisher schon dem Bundestag angehört haben. Nachdem er sich zuvor nicht auf einem Listenplatz durchsetzen konnte, verzichtete Jörn Wunderlich auf eine Kandidatur ab Listenplatz 8. So wählte die LVV schließlich den Jugendkandidaten Tilman Loos in einer Stichwahl gegen Sören Pellmann auf Listenplatz 8. Dem Leipziger folgen mit Franziska Riekewald eine ebenfalls aus dem Stadtverband Leipzig stammende Genossin und Tilo Hellmann aus dem Kreisverband Meißen. Bis zum späten Samstagabend sollte schließlich die insgesamt 16 Kandidierende umfassende Landesliste gewählt sein. Mit diesem Team zieht die sächsische LINKE nunmehr in die kommende Bundestagswahl. Alle Entscheidungen von Landesparteitag und LandesvertreterInnenversammlung findet ihr übersichtlich auf unserer Homepage unter www. dielinke-sachsen.de/partei/ parteitag/14-landesparteitaglvv Thomas Dudzak

Nach 1989 zerfielen die alten Grenzen. Viele verbanden damit neue Möglichkeiten und die Hoffnung auf ein neues Leben in Freiheit und Freizügigkeit in einem geeinten Europa. Mit der Wende begann auch ein europäischer Integrationsprozess. Wir haben uns daran gewöhnt, uns fast ohne Beschränkungen in der EU zu bewegen. Inzwischen ist eine Generation herangewachsen, die die Bilder von den Schlagbäumen nicht mehr kennt. Ihre Erwartungen an ein geeintes Europa fallen jedoch weit auseinander mit der Realität. Auf der einen Seite haben wir eine Wirtschaftsund Währungsunion. Auf der anderen Seite fehlt die soziale Union. Die EU hat es nicht geschafft, die sozialen Unterschiede zu beseitigen. Das Europa der von egoistischen Motiven geleiteten nationalen Regierungen ist gescheitert und hat die Institutionen der EU in den Sumpf der Europaskepsis gerissen. In dieser Zeit, in der die EU, dieses Konstrukt mit seinen Fehlern und falschen Entwicklungen, unter Druck steht, kann eine linke Antwort keine nationalstaatliche sein. DIE LINKE muss dem Rechtspopulismus das Europa der Regionen entgegenstellen. Darin liegt eine Chance für ein soziales, demokratisches und ökologisches Europa, das Frieden nach innen wie nach außen lebt. Es ist die Idee von einer Republik Europa. Wir sollten den Mut haben, diese Vision als die einzig gangbare Alternative für das Bundeswahlprogramm vorzuschlagen.


Sachsens Linke! 05/2017

Meinungen

Zu „Griechenland aktuell: Die Syriza-Jugend im Spannungsfeld zwischen Partei und Bewegung“ (Sachsens Linke! 04/2017, S. 11) Björn Reichel zeigt sehr gut, dass auch eine von Linken gestellte Regierung im Wesentlichen die unsoziale Politik der EU umsetzen muss. Diese antidemokratische EU-Politik wird durch Wirtschaftslobbyverbände bestimmt. Wirkliche Verbesserungen für die Menschen lassen sich nur durch breite soziale Bewegungen von unten erreichen. Dazu dürfen die entsprechenden Ressourcen nicht durch die wirtschaftlich Mächtigen angeeignet werden, sondern sie müssen der Bevölkerung zur Verfügung stehen. Das lässt sich nur in entsprechenden Auseinandersetzungen durchsetzen. Wir sollten also nicht unsere Hoffnungen in die EU oder eine Regierungsbeteiligung setzen. Das führt zu Ergebnissen wie in Griechenland und zu den erwähnten Spannungen zwischen Partei und sozialen Bewegungen. Meint Björn Reichel mit „unserer Solidarität“ die möglichst umfassende Unterstützung der gegen diese EU-Politik aktiven breiten sozialen Bewegungen sowohl bei uns als auch in anderen Ländern, auch um gegen den Druck der EU einen Gegendruck aufzubauen? Lässt sich nicht nur so dem Druck der Kapitalbesitzenden entgegenwirken? Uwe Schnabel, Coswig

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mer noch darüber, dass man in die rassistische, völkische, fremdenfeindliche und braune Ecke gestellt wird. Die demokratische-aufgeklärte Öffentlichkeit staunt nur, denn ein entsprechender Antrag der Vorsitzenden, sich von diesen unheilvollen Dingen abzugrenzen, wurde von den Delegierten abgelehnt. Aber man ist auch gewarnt. Was sind AfDParteitage wert? Worauf muss man sich bei der AfD einstellen? Wie kriegt man sie inhaltlich zu fassen? Denn es macht Sorge, keine der maßgeblichen Parteien – von links bis konservativ – haben bislang geeigne-

tes Werkzeug gefunden, um der AfD das Handwerk zu legen, sprich ihr die gesellschaftliche Basis zu entziehen. Der tausendfache Widerstand gegen den Kölner Parteitag unter Beteiligung mehrerer Parteien und der Zivilgesellschaft können dort nur ein, wenn auch wichtiger, Hoffnung machender Anfang im Bundestagswahljahr sein. Nun hat die AfD ihr Spitzenteam bestimmt. Und was für eins! Mit Alexander Gauland bekam sie einen Flüchtlingshelfer, denn als Magistratsdirektor von Frankfurt a.M. verhalf er in den 70er Jahren 3000

vietnamesischen Boatpeoples zur Flucht in seine Stadt. Heute lässt seine Partei Flüchtlinge lieber ertrinken, bekämpft sie anstelle der Fluchtursachen. Und da wäre noch Alice Weidel, liiert mit einer Lebenspartnerin. Nicht einfach in einer Partei, in der gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften gehetzt wird?! Als Unternehmensberaterin war sie in einer globalisierten Welt unterwegs. Wie passt das in das eingemauerte Weltbild einer AfD? Laut Weidel sei es realistisch, das die AfD 2021 koalitionsfähig wäre. Wer will das erleben? Ich nicht! René Lindenau, Cottbus

Kein April-Scherz: Kommentar zum AfD-Parteitag in Köln Was am vorletzten April-Wochenende in Köln ablief, war in vielerlei Hinsicht gespenstisch und beunruhigend – zumindest für Humanisten und Demokraten in diesem Land. Ausgerechnet in der Welthauptstadt des Karnevals trafen, verkappt oder schon ganz unverkennbar, Nazis zum Bundesparteitag der AfD zusammen. Vorgenommen hatte man sich den Beschluss über das Bundestagswahlprogramm, 2017 und die Wahl eines Spitzenteams für diese Wahl. Von gewissem, durchaus belustigendem Unterhaltungswert war ja die gut dreistündige von zahlreichen Geschäftsordnungsbeiträgen durchzogene

Debatte zur Konstituierung des Parteitages. Dann erst konnte die eigentliche Parteitagsarbeit beginnen. Und da hatte die AfD der rechtspopulistische, fremdenfeindliche, homophobe bis braune Alltag wieder. Schon die Einführungsrede der Vorsitzenden Frauke Petry gebar jenen Ungeist. Sie verunglimpfte dabei den demokratischen Protest gegen ihren real existierenden politischen Aufzug pauschal als linksradikal und gewalttätig. Das sagte die Vertreterin einer Partei, die mit ihrem Agieren das politische Klima verschärft hat und zunehmend zum geistigen Brandstifter wurde. Pfarrer Lothar König, dessen Tochter Katharina als Landtagsabgeordnete mehrfach Ziel neofaschistischer Anschläge und Drohungen wurde, redete in Köln gegen die Kriminalisierung antifaschistischen Protests an. Die bayerische Polizei scheint diese Rede nicht gehört zu haben, sie setzte Bürger gleich mal fest, die sich dem Protest gegen die AfD anschließen wollten. Anders als die bayerische Polizei haben die Kirchen die Zeichen der Zeit offenbar erkannt und zeigten auf kreative Weise Gesicht. Wohl nicht noch einmal wollten sie sich erneut die Kollaboration und Duldung undemokratischen, menschenverachtenden Kräften vorwerfen lassen müssen. Ihr Motto nun: Unser Kreuz hat keine Haken! Entsprechend wütend waren die Reaktionen und Anträge auf dem Parteitag. So sollen Kirchenpräsidenten nicht mehr aus Steuermitteln finanziert werden. In das braune Bild der Partei passt auch die Reaktion auf den Vorschlag der brandenburgischen Sozialministerin, Diana Golze (LINKE), für ein Denkmal, um der lesbischen Opfer der Nazi-Gewaltherrschaft zu gedenken. Einem AfD-Jungpolitiker fiel daraufhin nur die Frage ein, wann es dann ein Denkmal für Linkshänder geben werde. Dieser Detlef Christopher Eckert ist sehr wahrscheinlich „Rechtshänder“, nehme ich an. Jedenfalls wundert man sich in der AfD mit Blick auf solche Vorfälle, Äußerungen und Parteitagsbeschlüsse im-

Impressum

Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Ralf Richter, Stathis Soudias.

Redaktionsschluss 24.04.2017.

Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.

Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­lage von 10.950 Exp. gedruckt. Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt,

Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720

Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V.,

Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio.

Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 07.06.2017.


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In memoriam Dr. Dietmar Pellmann Dem Leiter des Arbeitskreises Soziales & Gleichstellung verdankt die Landtagsfraktion auch Impulse in Form von Studien zu sozialen Lebenslagen in Sachsen, etwa zu den Themen Kinder- und Altersarmut oder zur Pflegepolitik. Trotz zunehmender gesundheitlicher Einschränkungen stand er auch nach seinem Ausscheiden aus dem Parlament im Jahr 2014 als sozialpolitischer Berater zur Seite. Der Tod von Dietmar Pellmann ist ein großer persönlicher und politischer Verlust für die sächsische LINKE. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Indem wir unseren Kampf für Gerechtigkeit und Frieden fortsetzen, erfüllen wir auch sein Vermächtnis. Rico Gebhardt, Landes- und Fraktionsvorsitzender

Der auch über die Parteigrenzen hinweg anerkannte Sozialexperte starb Anfang Mai Unser langjähriger politischer Weggefährte Dr. Dietmar Pellmann ist im Alter von 66 Jahren überraschend verstorben. Noch beim Parteitag in Glauchau hatte er sich aktiv für die sächsische LINKE engagiert und den Stadtverband Leipzig vertreten. Umso tiefer ist unsere Bestürzung, nachdem er mitten aus dem Leben gerissen worden ist. Wir sind von tiefer Trauer erfüllt und in Gedanken bei seinen Angehörigen. Wir fühlen mit ihnen und wünschen ihnen viel Kraft in dieser schweren Zeit. Dietmar kam 1950 im sächsischen Pretzschendorf auf die Welt. Seinen Lebensmittelpunkt aber fand er in Leipzig, wo er nach dem Abitur zwischen 1969 und 1973 das Fach Geschichte studierte. Bis 1983 war er als Assistent und später als Oberassistent in Forschung und Lehre tätig, 1977 wurde er zum Dr. phil. promoviert. Dann ging er für einige Jahre nach Berlin und schloss die B-Aspirantur mit dem Dr. sc. ab. Dann kehrte er als Dozent an die KarlMarx-Universität zurück. In Leipzig mischte er sich fortan auch politisch ein: Zwischen 1994 und 2001 stand er der Leipziger PDS vor, zwischen 1991 und 2009 war Mitglied des Stadtrates. Als Sozialexperte hatte er sein Ohr und sein Herz stets nah bei den Menschen. Er stritt glaubwürdig vor allem für die Interessen derjenigen, die es in dieser Gesellschaft schwer haben. So gelang es ihm 2004 und 2009, in Leipzig-Grünau gegen die CDU das Direktmandat für den Sächsischen Landtag zu erringen. Dietmar Pellmann war über fünfzehn Jahre das sozialpolitische Gesicht der Landtags-Linksfraktion und hat deren Kurs entscheidend mitgeprägt, nicht nur als Teil des Fraktionsvorstandes, dem er als stellvertretender Vorsitzender angehörte. Er hat seine Überzeugungen stets offenherzig und geradlinig vertreten und die Landtagsfraktion mit seinem Sachverstand bereichert. Als stets kritischer Geist und streitbarer Intellektueller kämpfte er ausdauernd gegen soziale Ungerechtigkeit. Seine Hartnäckigkeit fordert Anerkennung von allen, die das Privileg genossen haben, mit ihm politische Auseinandersetzungen zu bestreiten. Er scheute niemals davor zurück, sich mit den Mächtigen anzulegen.

Samstag, 13. Mai 2017, 10 bis 18 Uhr, Pavillon der Hoffnung in Leipzig e. V., Puschstraße 9, 04103 Leipzig 10:15 Uhr Begrüßung 10:30 Uhr Kennenlernen 11:15 Uhr Diskussion „Sind Parteien noch zu retten – und wenn ja, wie?“ mit drei Kurzinputs Parteien sind nicht mehr zeitgemäß. Stimmt das? Was können und sollten Parteien anders machen? Gäste: Julia Schramm (Berlin, ehem. Piratenpartei, jetzt DIE LINKE), Antje Feiks (Dresden, Landesgeschäftsführerin DIE LINKE. Sachsen) und Tobias

Jaeck (angefragt, Halle, Zentrum für Sozialforschung e.V.) 13:00 Uhr Mittagspause 13:45 Uhr interaktive Workshops Die Bundestagswahl steht vor der Tür. Aber wie geht „Wahlkampf“? Wir haben vier Workshops vorbereitet: Infostände: Von A wie „Ablage“ bis Z wie „Zuckerwatte“. Klapptisch, schiefer Schirm, 40 verschiedene Flyer, und fertig ist der Infostand? Keineswegs! Wie kann man sich vorbereiten und wann bleiben Passant*innen gerne stehen? Plakatieren: Schneller, höher, Leiter. Plakatieren ist wie das „Billy“ Regal aufbauen: Klingt sehr einfach, aber es lauern

Fallstricke. In diesem Workshop geht‘s direkt raus, um das Stadtbild zu verschönern. Stecken gehen: Klingelputzen will gelernt sein. Außenbriefkästen sind ein Traum. Aber wie kommt man am besten in Häuser, deren Briefkästen innen sind? Was ist, wenn „keine Werbung“ am Briefkasten steht und wie bereitet man eine „Steckaktion“ vor? Argumentieren und auf Menschen zugehen: Egal ob beim Kneipenwahlkampf, am Infostand oder anderswo: Wie führe ich am besten Gespräche?

17:00 Uhr Ausklang & Kneipenquiz Nach den Workshops und der Auswertung wollen wir den Tag gemeinsam gemütlich ausklingen lassen. Dazu gibt‘s ein kleines Kneipenquiz mit mal mehr, und mal weniger, ernsten Fragen zur Partei. Gewinnen kann man natürlich auch etwas! Anreise: www.pavillon-leipzig.de/pavillon_anfahrt.php

15:30 Uhr Pause

Fahrtkosten: Werden übernommen. Schön wäre es, wenn ihr Fahrgemeinschaften bildet.

15:45 Uhr Vorstellung der Ergebnisse

Anmeldung: Online unter www.gleft.de/1F8


Sachsens Linke! 05/2017

DIE LINKE im Erzgebirge

Kandidat*innen stellen sich Schon zweimal wurden die Direktkandidat*innen aller Parteien im Wahlkreis 164 zu Gesprächsrunden eingeladen. Das ist immer eine spannende Sache. Auch die Mittelstandsvereinigung bat zum Gespräch. Das war unspektakulär und es wurde geplänkelt, getestet, was geht und wie die anderen reagieren. DIE LINKE wurde nur über die Diskussion zum bedingungslosen Grundeinkommen definiert. „Wirtschaft“ traut man uns eben nicht zu. Ein Schelm, der Schlechtes denkt, aber diese Veranstaltung sollte ein Heimspiel für die CDU werden. Inhaltslos war der Auftritt des AfD-Kandidaten. Zur DGB-Veranstaltung Ende März ging es dann richtig zur Sache. Da stand das Thema Rente im Mittelpunkt. Der DGB stellte seine neue Kampagne „Rente muss für ein gutes Leben reichen“ vor. Leider waren diesmal nur CDU, SPD und LINKE anwesend. Aus meiner Sicht war der SPDKandidat schlecht vorbereitet, ich habe nur noch seinen Satz „Meine Partei kämpft für eine gerechte Rente“ behalten. CDU-Kandidat Alexander Krauß versuchte die Anwesenden mit Zahlen „totzuschlagen“. Hier lautete der Satz des

Tages: „Da die Menschen jetzt länger arbeiten können, bekommen sie jetzt mehr Rente.“ Auf konkrete Fragen gab es keine Antwort. Dem setzte unser Kandidat Klaus Tischendorf gleich die aktuelle Statistik zur Durchschnittsrente entgegen. Trotz längerer Lebensarbeitszeit gibt es fast 60 € weniger. Wer hier die Lacher auf seiner Seite hatte, ist wohl klar. Wobei das nicht zum Lachen ist. Dass Frauen und besonders Alleinerziehende die Rentenverlierer*innen sind, wurde bei SPD und CDU ganz vergessen. Nur auf die Wichtigkeit der privaten Altersvorsorge wurde viel Wert gelegt. Schließlich könnten auch Hartz-IV-Empfänger, Gering-

verdiener und Alleinerziehende etwas für eine bessere Rente tun. Da frage ich mich, wo die Regierungsparteien leben? Was mich an diesem Abend besonders geärgert hat, war die karge Anwesenheit. Ein paar Gewerkschaftsfunktionäre und die „Fanclubs“ von CDU und LINKE füllten den Saal. Das nächste Aufeinandertreffen findet am 1. Mai zum DGB Familienfest in AnnabergBuchholz statt. Mal sehen, ob dann auch die Kandidaten von FDP und der Piraten vor Ort sind. Die Dirketkandidat*innen im Wahlkreis 163 müssen sich noch ein bisschen gedulden, aber auch hier wird es eine Gesprächsrunde beim DGB geben. Angela Hähnel

Der Erzgebirgskreis hat eine Längsausdehnung von 74 km und eine Breite von 46 km. In unserer Kreistagsfraktion sitzen vier Frauen und zwölf Männer; drei Mitglieder sind parteilos; kein Mitglied gehört dem Land- oder Bundestag an. Die CDU-Mehrheit schafft es beständig, mit vier Kreistagssitzungen im Jahr die anstehenden Aufgaben abzuarbeiten. Die Diskussion von Entwicklungsfragen des Erzgebirgskreises kommt kaum vor, höchstens in den Ausschüssen. Wir als Kreistagsfraktion haben uns gefragt, wie wir zu Anregungen für unsere Arbeit kommen und unsere Standpunkte verbreiten können. Natürlich ist jeder von uns gehalten, sich öffentlich zu positionieren. Wir versuchen aber auch mit dem Potential der gesamten Fraktion in der Öffent-

15.5. Drebach, Wolkenstein

be, Bastelbücher werden gewälzt, Schablonen angefertigt und alle gehen mit Taschen voll Papier nach Hause. Zu Hause wird dann vorbereitet, was von den Kindern fertig gestellt wird. Viel Trubel ist am Gründonnerstag im Begegnungszentrum „das dürer“. Während ein Teil in der ehemaligen Turnhalle die „Ostershow“ verfolgt, vertreiben sich die anderen die Zeit beim Basteln. Gern nutzen die Erzieherinnen und Erzieher die Gelegenheit und sprechen mit Jörn Wunderlich und/oder Klaus Tischendorf.

Diesmal gab es auch ein Gespräch mit der neuen Leiterin des Objektes. Dabei erfuhren wir, dass es in diesem Jahr kein Kindertagsfest geben wird. Kurz entschlossen schlugen wir vor, das zu übernehmen, wenn auch in abgespeckter Form. Wir freuen uns schon auf unsere Gäste am Kindertag im Begegnungszentrum „das dürer“ in Stollberg. In der Zeit von 14:30 bis 17:00 Uhr laden Jörn Wunderlich, Klaus Tischendorf und die Linksfraktion im Stollberger Stadtrat alle Stollberger Kinder zu Spiel, Spaß und Basteln ein. Angela Hähnel

Altersarmut Ost: Schluss mit den Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen! – Veranstaltungsreihe Das Thema Rente ist in aller Munde. Wenn es um den Osten geht, haben viele nur die lange überfällige Angleichung der Rentenwerte Ost an West im Blick. Sie soll nun kommen, bis 2025. Ist dann alles okay? Nein. Ein Vierteljahrhundert nach der Einheit Deutschlands ist die Rentenüberleitung endlich umfassend zu korrigieren.

Erfahrungen mit Öffentlichen Bürgersprechstunden lichkeit zu wirken. Seit 2015 gehen wir nach jeder Kreistagssitzung in jeden der vier Altkreise, und insbesondere unsere Kreisräte aus der Region bestreiten öffentliche Diskussionen. Um den Erfahrungsaustausch zu intensivieren, laden wir gezielt unsere Mandatsträger (einschließlich Nachrücker) aus den Stadt- und Gemeinderäten ein. So bieten wir uns sechzehnmal im Jahr öffentlich zum Meinungstausch an; es vergeht keine Veranstaltung, wo wir nicht neue Anregungen für unsere Arbeit erhalten. Frank Dahms, Fraktionsvorsitzender Richtigstellung zum vorangegangenen Artikel (SachsensLinke! April 2017): Natürlich gab es auch bisher Bürgersprechstunden, aber bürgerunfreundlich am Ende der Kreistagssitzung.

Termine der Landkreistour

Ostern beginnt im Januar Während im Januar noch überall „de Männln“ stehen und „dr Raachrmaa“ seiner Pflicht nachkommt, werden in der Bürogemeinschaft von Jörn Wunderlich und Klaus Tischendorf die Osterbastelkisten geöffnet. Die LINKEN Bastelfrauen bereiten sich auf das neue „Basteljahr“ vor. Als erstes muss an den Gründonnerstag gedacht werden. Seit vielen Jahren sind wir ein Bestandsteil des Stollberger Osterfestes, das für alle Kindereinrichtungen der Stadt organisiert wird. Unser Abgeordnetenbüro verwandelt sich kurz in eine Kreativstu-

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Zu Gast ist die Zeitzeugin des politischen Geschehens von 1990 bis heute: Dr. Martina Bunge, aktuell tätig als Beraterin der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag.

• Dienstag, 13.6.17, 10 Uhr, Besuch beim VdK Erzgebirge, Geschäftsstelle Annaberg-Buchholz mit den Abgeordneten Jörn Wunderlich (Bundestag) und Klaus Tischendorf (Landtag)

• Montag, 12.6.17, 18 Uhr, Hotel „Goldene Sonne“, Adam-Ries-Str. 11 in Annaberg-Buchholz

• Dienstag, 13.6.2017, 16 Uhr, Gaststätte „Zum Kronprinz“, Chemnitzer Str. 2, 09399 Niederwürschnitz

16.5. Seiffen, Deutschneudorf, Heidersdorf

19.5. Grünhainichen, Amtsberg 12.6. Bärenstein, Crottendorf

17.5. Infostand auf den Wochenmärkten Großolbersdorf, Börnichen, Ehrenfriedersdorf

14.6. Tannenberg, Geyer

18.5. Infostand auf den Wochenmärkten Zöblitz, Thum

16.6. Infostand auf dem Wochenmarkt Elterlein

15.6. Königswalde, Mildenau


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DIE LINKE. Kreisverband Zwickau

05/2017 Sachsens Linke!

1. Mai mit OB-Kandidat Kevin Scheibel Für dieses Jahr plante der Ortsverband Crimmitschau eine größere Aktion. Wir woll-

ten zum 1. Mai wieder Flagge zeigen, aber diesmal auch die Öffentlichkeit für unse-

ren Wahlkampf zur Oberbürgermeisterwahl am 21. Mai in Crimmitschau nutzen. Unser

OB-Kandidat Kevin Scheibel stellte sich am Mikrofon in einer engagierten Rede den Bür-

gerinnen und Bürgern vor und erläuterte wichtige Positionen aus seinem Wahlprogramm.

Das kam bei den Anwesenden sehr gut an. Er war in der Folge immer wieder gefordert, in

richtigen Menschentrauben seine Positionen zu vertiefen. Als Ehrengast konnten wir Horst Wehner, MdL, begrüßen. Er führte viele Gespräche mit interessierten Bürgern und hat besonders in seiner Ansprache den 1. Mai und unseren OB-Wahlkampf gut verbunden und unseren Kandidaten hervorragend unterstützt. Umrahmt wurde die Veranstaltung mit Angeboten für Groß und Klein. Es gab Infostände für die politische Information zu linken Positionen in breiten Themenspektren und für Gespräche, Roster, Bier, Kaffee sowie selbstgebackenen Kuchen für das leibliche Wohl und Spielangebote. Hingucker war die Hüpfburg, in der sich die Kinder mit unüberhörbarer Begeisterung austobten. Von 13 bis 17 Uhr gab es auf dem Markt ein ständiges Kommen und Gehen. Viele Bürger schauten vorbei und suchten das Gespräch. Unterm Strich können wir einschätzen, dass so eine große Aktion viel Arbeit bei der Vorund Nachbereitung macht, aber für die Bevölkerung der Stadt ein deutliches Zeichen

Wohnungspolitische Tour in Crimmitschau Am 19. April 2017 kam Caren Lay, stellvertretende Fraktions- und Parteivorsitzende sowie Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik unserer Bundestagsfraktion, im Rahmen ihrer wohnungspolitischen Sachsentour nach Crimmitschau. Mit dabei war Oberbürgermeister- Kandidat Kevin Scheibel. In Gesprächen am Infostand erfuhren sie, dass Crimmitschauer Bürger mit dem Verkauf der Wohnungsgesellschaft CWG durchaus Ängste um ihre zukünftige Wohnsituation empfinden. Zum Gespräch mit Herrn Körner von der nun privatisierten

CWG kam es bei der anschließenden Zusammenkunft mit Caren Lay, Kevin Scheibel, Wolfgang Spiegelberg und Jürgen Schunn. Es ging um die Ausrichtung des Unternehmens und nächste Vorhaben bezüglich des Crimmitschauer Wohnungsbestandes. Die CWG legt ihr Hauptaugenmerk auf die sozial verantwortliche Bereitstellung zeitgemäßer Wohnungen für breite Bevölkerungsschichten. Es sollen mehr Häuser erhalten werden als ursprünglich von der Stadt geplant. Auch sollen altersgerechte Wohnungen entstehen und Pflegedienste einbezogen werden.

Beim zweistündigen wohnungspolitischen Stadtspaziergang durch den altstädtischen Teil von Crimmitschau hatten OB Holm Günther und die Bereichsleiterin Stadtplanung, Frau Wihan, die Gelegenheit, auf Probleme bei der Stadtentwicklung hinzuweisen. Zur Sprache kam beispielsweise, dass unansehnliche Gebäude ohne die Unterstützung von Bund und Land nicht saniert oder baufällige Gebäude nicht abgerissen werden können. Am Abend, zum Bürgerforum im China-Restaurant „Happy Garden“, stellte sich unser OB-Kandidat Kevin Schei-

bel den rund 30 Gästen in einer kurzen Rede persönlich und mit seinen programmatischen Eckpunkten vor. Caren Lay ging in ihrem Vortrag auf den jüngst vorgestellten Entwurf des Bundestags-Wahlprogrammes ein. Man konnte sehen, dass unsere programmatische Ausrichtung „Crimmitschau sozial und bürgernah“ gut damit korrespondiert. Nach ihren Vorträgern hatten die Beiden gut zu tun, Fragen der Anwesenden zu beantworten. Allen Beteiligten gilt ein herzlicher Dank für den sehr gelungenen Tag. Jürgen Schunn

Linksjugend Kreis Zwickau im Jahr 2017 Mit einem neu gewählten Vorstand startete die linksjugend [‚solid] Kreis Zwickau in das Jahr 2017. Im Wahljahr gilt es einmal mehr, viele Menschen für linke Inhalte zu begeistern. Hierzu unterstützen wir wieder diverse Veranstaltungen und organisieren eigene Aktivitäten. Bereits am 28.4. luden wir Anne Helm aus Berlin nach Kirchberg ins „politiKKontor“ ein. Sie referierte im Rahmen der Tage für Demokratie und Toleranz über die neue Rechte. Bereits einen Tag später waren wir auf

dem LPT und der LVV mit einigen Delegierten vertreten und konnten eine Vernetzungsfeier im Glauchauer Jugendclub „Café Taktlos“ durchführen. In diesem Rahmen stellte der BR der sächsischen Linksjugend auch sein Kampagnenmotto für die diesjährige Jugendwahlkampftour vor. Ebenfalls eingeladen waren Freunde der Linksjugend Altenburg, mit denen wir gemeinsame Wahlkampfideen für den ländlichen Raum entwickelten. Die ersten Materialien dazu konnten wir am 1. Mai zu den Veranstaltungen in Crim-

mitschau und HohensteinErnstthal verteilen. Wie im vergangenen Jahr unterstützen wir am 14. Mai zum Radlersonntag die Parteimitglieder aus dem Mülsengrund mit einem Stand. Weiter geht es am 17. Mai. Ab 17:30 Uhr bereichern wir den Zwickauer Rainbowflash auf dem Schumannplatz. In Glauchau findet am 28. Mai der traditionelle Spieletag statt, bei dem unser OV mit der Stadtratsfraktion einen bunten Stand bespielt, den wir erneut mitgestalten. In großer Zahl werden wir zum

Pfingstcamp nach Doksy reisen um unsere politische Bildung in zahlreichen Workshops und Vorträgen weiter zu entwickeln. Bevor der Wahlkampf in die heiße Phase startet, reisen am 27. und 28. Juli zwanzig Mitglieder und Sympathisant_Innen auf Einladung von MdB Jörn Wunderlich zu einer Exkursion in den Deutschen Bundestag nach Berlin. Auf ein erfolgreiches 2017 – wir haben eine Welt zu gewinnen und unsere Fesseln zu verlieren. Packen wir‘s an. Michael Berger, Glauchau

setzt: DIE LINKE ist da. Sie steht gut im Wahlkampf, auch wenn wir nicht so viele und so große Plakate haben wie die beiden anderen OB-Kan-

didaten. Wir führen unseren Wahlkampf engagiert weiter und sehen dem Wahltag optimistisch entgegen. Ein großes Dankeschön an alle Mitwirkenden! Wolfgang Spiegelberg, Jürgen Schunn

Termine 10. Mai 2017, Glauchau: Bücher lesen statt verbrennen – Leseflashmob on tour. Veranstalter: OV Glauchau, Stadtratsfraktion sowie Parteiinitiative „Glauchau kann mehr“ 16:30 Uhr Markt 17:00 Uhr Schillerpark 17:30 Uhr Café Taktlos, Heinrich-Heine-Str. 2 Hier gibt es wie jeden Mittwoch die „Küche für alle (KüfA)“, wo ihr euch zu humanen Preisen stärken könnt. Als Extra gibt es eine Lesung aus dem „Wörterbuch des besorgten Bürgers“. 17. Mai 2017, Zwickau: Rainbowflash. Um 17:30 Uhr findet auf dem Schumannplatz der Rainbowflash statt – zur Erinnerung an den Tag, an dem Homosexualität aus dem Diagnoseschlüssel der Weltgesundheitsorganisation gestrichen wurde. Seither gilt sie offiziell nicht mehr als Krankheit. Kommt vorbei, lasst bunte Luftballons steigen und setzt somit ein Zeichen für gleiche Rechte, Vielfalt und Respekt. Pulse of Europe in Zwickau Jeden Sonntag 14 Uhr vor dem Robert-SchumannDenkmal am Hauptmarkt in Zwickau


Sachsens Linke! 05/2017

DIE LINKE. Kreisverband Meißen

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Fasanenschlösschen garantiert frei von Fasanen Staatliche Schlösser und Gärten wissen, wie’s geht Seit dem 1. April 2017 – und das ist kein Scherz – bietet der Kreis Meißen ein neues Plus für die touristische Erschließung seiner wertvollsten Reiseziele. „Von Burg zu Burg“ fährt die Buslinie M, von der Meißener Albrechtsburg zum Schloss Moritzburg, von Deutschlands ältestem Wohnschloss und ersten gotischen Profanbau, der ersten europäischen Porzellanmanufaktur direkt zu Aschenbrödels Prinzenschloss. Nun erfordert der Tagesausflug Dresden – Meißen – Moritzburg keine Parkplatzsuche mehr. Sogar der Schoppen Meißener Wein ist erlaubt, denn der ÖPNV hat die missliche Lücke geschlossen. Das hat der Kreis Meißen gemacht. Und Gästeführer wie Touristen sowie das gesamte Tourismusgewerbe wissen es zu schätzen. Unsere BuslinienTester bestätigen: Die Verbindung wird angenommen und der Bus ist gut besetzt. Zumindest am 11. April, unserem Test-Tag. Am Abend selbigen Tages aber klagte eine Moritzburger Gemeinderätin ihren versammelten Parteimitgliedern das traurige Schicksal der Fasanerie am Fasanenschlösschen. Auf historischen Grundmauern beim weithin bekannten Schlösschen, nach Aschenbrödels Jagdschloss und dem vielbesuchten Wildgehege das dritte Juwel in der Krone Mo-

ritzburgs, hatte der Züchter Kreher neue Volieren errichtet und die lokale Tradition der Fasanenzucht wieder aufgenommen. Etwa so wie in der einstigen Orangerie Augusts des Starken, dem Dresdener Zwinger, neuerdings auch wieder, dem historischen Vorbild getreu, Orangenbäumchen zu sehen sind. Der touristische Wert wird damit ungemein gehoben und den staatlichen Schlössern und Gärten ist zur ästhetischen Aufwertung des Zwingers unbedingt zu gratulieren. Eine gelungene Reverenz vor der sächsischen Kulturgeschichte, die immer wieder eine Einheit von wirtschaftlicher und kultureller Förderung durch das Herrscherhaus belegt. Übertroffen würde die-

se Verneigung nur noch durch eine historisch getreue Anzucht der Orangenbäume in Hoyerswerda, wo einst die pensionierte Mätresse Augusts des Starken, Fürstin Lubomirska, ihre Abfindung in Grundbesitz zu einer lukrativen gärtnerischen Produktion als Hoflieferantin ummünzte. So „verschwendete“ also der sächsische Hof seine Kosten für Festkultur durchaus in einheimische Arbeitsplätze. Nicht so in Moritzburg. Weder die Anzucht von Orangenbäumchen noch von Fasanen erfordern eine große Industrie. Es genügen das entsprechende Know How, etwas Grund und Boden sowie Liebe zur Sache. Offensichtlich liebten die Lubomirska exotische Zierpflanzen und der

Am 23. April jährte sich zum 72. Mal die Befreiung des Kriegsgefangenlagers in Zeithain. Aus diesem Anlass kamen Angehörige ehemaliger Gefangener, Vertreter von Politik und Kirchen sowie der Botschaften Russlands, Po-

Personalmangel im Krankenhaus gefährdet Ihre Gesundheit LINKE Meißen organisierte Aktionswoche gegen Pflegenotstand Hat sich schon mal jemand die Mühe gemacht und Erlebnisberichte über Krankenhausaufenthalte gelesen? Im Internet kann man das tun. Zum Beispiel über die Behandlung in den Elblandkliniken. Viel Positives ist da zu lesen. Aber das ganze Gegenteil auch. Es hält sich ungefähr die Waage. Und wenn es negativ wird, liest man vor allem von zu wenig Personal. Pflegenotstand! 100.000 Pflegekräfte fehlen laut Experten in Deutschland. In der Praxis kommt dann schon mal eine Schwester in der Nachtschicht auf 40 Patienten. Unzumutbar für das Personal und für die Betroffenen. Auf diesen Umstand machte die

Herr Kreher die Aufzucht von Fasanen. Beides eine Augenweide und beides mit einheimischen Mitteln machbar. Ohne die Liebe zur Sache hätte die Fürstin auch Kohl und Rüben anbauen können und Herr Kreher eine lukrative Bodenhaltung leistungsfähiger Legehennen, irgendwo auf dem Land, verborgen vor dem Auge des Touristen. Aber nein, es mussten ja ausgerechnet Fasanen sein am Fasanenschlösschen. Und als der Züchter in Schwierigkeiten kam, war die Gemeinde Moritzburg außerstande, ihm zu helfen. Denn auf freistaatlichsächsischem Grund und Boden der Schlösser und Gärten

LINKE Meißen unter Federführung der Kreistagsfraktion und des Kreisvorstandes mit einer Aktionswoche Anfang April aufmerksam. Zum Auftakt gab es neben einem Fachgespräch in den Elblandkliniken ein Podiumsgespräch mit dem gesundheitspolitischen Sprecher unserer Bundestagsfraktion Harald Weinberg, der Gesundheitsexpertin von ver.di Gisela Mende und dem Verwaltungsdirektor der Elblandkliniken Peter Zeidler. Der Grundtenor des Abends: Die Finanzierung der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen ist ungenügend. Die Pflegestandards in der Personalbemessung sind zu benennen und die Bürokratie muss weiter ausgedünnt werden. Dem Auftakt am 3. April folgte eine Infotour über

Wochenmärkte in Großenhain, Coswig, Riesa, Meißen und Radebeul. Leider machte uns das Wetter in dieser Woche ganz schön zu schaffen. Sicherlich hätten wir sonst mehr Unterschriften für eine Petition zum Pflegnotstand sammeln können. Denn viele Bürgerinnen und Bürger haben aus eigener Erfahrung begriffen, wie schwer es fällt, wenn bei einer ernsthaften Erkrankung die nötige Pflege nicht geleistet werden kann. Leider sahen das nicht alle so. Mancher Zeitgenosse konnte nicht über seinen Schatten springen, weil ausgerechnet die LINKE Unterschriften zu diesem Thema sammelt. Doch noch ist Zeit. Die Petition wird am 12. Mai, dem Tag der Pflege, abgeschlossen. Harald Kühne

hat eine ländliche Gemeinde nichts zu sagen. Die Untertanen mögen die Lasten tragen, die Straßen und Wege sowie die Wasserläufe instand halten – auf dem edleren Grund und Boden bestimmen jedoch die Obrigkeiten, wem geholfen wird und wen man fallen lässt. Der Pöbel mag um die Dorflinde tanzen, nach welchem Geflügel es die Herrschaft gelüstet, hat er nicht zu entscheiden. Der Kreistag übrigens auch nicht. Der darf Buslinien fahren lassen. Damit die Attractionen auch touristisch wohlfrequentirt und angesehen sind. Reinhard Heinrich (Text und Bild)

lens und der Ukraine in den Ehrenhain. An der emotionalen Veranstaltung nahmen auch zahlreiche Mitglieder unserer Partei teil. Den Kranz unseres Kreisverbandes der LINKEN legten Bärbel Heym und Ulrich Keil nieder.

Verschwiegener TonkinZwischenfall? In der vorigen Ausgabe erschien ein – aus Platzgründen gekürzter – Beitrag über eine Vietnam-Reise. Der Autor witterte ob der Auslassung einer Passage politische Zensur, die wir allerdings nicht beabsichtigt haben. Jedes Schulkind kann auf Wikipedia nachlesen: Präsident Lyndon B. Johnson, der im selben Jahr (1964 - d. Red.) in seinem Amt durch Präsidentschaftswahlen bestätigt werden wollte, nutzte den Zwischenfall, um die US-amerikanische Beteiligung am Vietnamkrieg zu legitimieren. 1971 gab der Pentagon-Mitarbeiter Daniel Ellsberg die von ihm mitverfassten „PentagonPapiere“ an US-Medien und deckte durch sie die amtliche Darstellung des Zwischenfalls

als bewusste Falschinformation auf. Er trug damit zur Rücknahme der Tonkin-Resolution im US-Kongress bei, löste aber auch die illegale Überwachung von Vertretern der Demokratischen Partei und in deren Folge die WatergateAffäre aus. Am 30. November 2005 vom US-Geheimdienst NSA freigegebene Dokumente bestätigten nochmals, dass der an US-Präsident Johnson gemeldete Angriff Nordvietnams durch einseitige Auswahl von Funkmeldungen suggeriert, also gezielt vorgetäuscht worden war. Wir werden uns auch künftig hüten, Informationen zu unterdrücken, die seit 1971 veröffentlicht sind und 2005 bestätigt wurden.


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DIE LINKE. Kreisverband Bautzen

05/2017 Sachsens Linke!

Kita-Gebühren abschaffen! Im März 2017 besuchte ich als Sprecherin der Fraktion DIE LINKE für Kindertageseinrichtungen im Rahmen der KitaTour 2017 zahlreiche Kindereinrichtungen, Fachleute und Verantwortliche für Kinderund Jugendarbeit. Neben Gesprächen mit Erzieher*innen, Elternvertreter*innen und Vertreter*innen der Sozialverwaltung fanden Diskussionen mit kommunalpolitisch Verantwortlichen über Sachsens Finanzausstattung im Kita-Bereich statt. Mein Fazit: In zahlreichen Gesprächen wurden die unzureichende Personalausstattung in den Kitas kritisiert sowie die ständig steigenden Betriebskosten thematisiert. Trotz stufenweiser PersonalschlüsselVerbesserung im Kindergarten und leichter Erhöhung des KitaLandeszuschusses in Sachsen nimmt der Kita-Kostenanteil für Kommunen und Eltern permanent zu. Im Jahr 2015 betrug der Anteil des Landeszuschusses an den landesdurchschnittlichen Betriebskosten eines 9-h-Krippenplatzes 18,13 %, eines Kindergartenplatzes 37,61 % und eines Hortplatzes 43,41

%. Wir fordern die Koalition auf, den Landeszuschuss insbesondere im Krippenbereich auf wenigstens 35 % der durchschnitt-

lichen Betriebskosten eines 9-h-Krippenplatzes zu erhöhen. Die Landespauschale entspricht nicht mehr den Anforderungen und muss daher neu justiert werden! Kitas brauchen gut ausgebildete und gut bezahlte Fachkräfte! Es ist beschämend, dass die Arbeit der sächsischen Erzieherinnen und Erzieher kaum gewürdigt wird. Dabei geht es nicht nur um die

zu geringen Einkommen. Viele vor- und nachbereitende Tätigkeiten gelten offiziell nicht als pädagogische Arbeit und wer-

den deshalb in der Freizeit erledigt. Für Urlaub, Krankheit und Weiterbildung gibt es keine

Reserven, so dass in den sächsischen Kitas personelle Engpässe sowie Überlastung der Erzieher*innen dauerhaft vorhanden sind. Das muss sich schnellstmöglich ändern! Wir LINKE setzen uns deshalb für mehr Fachpersonal in den Kitas und für die Anerkennung der Vor- und Nachbereitungszeit für Erzieher*innen ein. Bund, Land und Kommune sollten zukünftig den Bildungsort Kita zu gleichen Teilen finanzieren und somit die gebührenfreie Bildung von Anfang an gestalten. Unser Ziel ist letztlich, Kita-Gebühren ganz abzuschaffen, weil frühkindliche Bildung mit der schulischen Bildung gleich zu behandeln ist, und allen Kitas mehr Handlungs- und Gestaltungsspielräume zu gewährleisten. Marion Junge

punkt ist das Europacamp in der Slowakei vom 25.-28. Mai 2017, zu dem das SFEL-R herzlich einlädt (Anmeldung: www. sfel-r.de/aktion/treffen/europacamp_2017). Dort soll es u.a. um die Themen „Europa als Sozialunion“ oder auch „Arbeitnehmerrechte in der EU“ gehen. Zukünftig sind ein länderübergreifendes Treffen von Kommunalpolitikern und gemeinsame Friedensaktionen in Bayern geplant. Neben den bisher teilnehmenden Kreis-/Stadtverbänden Bautzen und Leipzig auf deutscher Seite hat auch die Plattform Internationalismus ihr Interesse zur zukünftigen Mitarbeit bekundet.

Am 23.4. waren Mitglieder der Sorbischen Linken/ Serbska lěwica unterwegs in Weißwasser, Rohne und Schleife, um mit Menschen vor Ort ins Gespräch zu kommen und die Stimmungslage aufzunehmen, u.a. mit der Pfarrerin von Schleife und Bündnismitgliedern von „Strukturwandel jetzt - kein

Nochten II“. Erst vor Kurzem hatte der neue Energiekonzern LEAG seine Entscheidung zu weiteren Aufschlüssen von Tagebaufeldern bekannt gegeben. Demnach werden weit weniger Dörfer und Menschen von Umsiedlungen betroffen sein als ursprünglich von Vattenfall geplant. • Foto: Felix Muster

Altersarmut Ost: Schluss mit den Ungerechtigkeiten! Diskussionsforum mit Martina Bunge am 11.05.2017, 17 Uhr, Kulturzentrum Braugasse Hoyerswerda. Es lädt ein: MdB Caren Lay. Das Thema Rente ist in aller Munde. Wenn es um den Osten geht, haben viele nur die lange überfällige Angleichung der Rentenwerte Ost an West im Blick. Sie soll nun kommen – bis 2025. Ist dann alles okay? Nein, die Überleitung der Alterssicherungs-

systeme der DDR in das bundesdeutsche Recht Anfang der 1990er Jahre brachte für viele noch andere Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen mit sich. Die meisten sehen das als Geringschätzung ihrer Lebensleistung an. Betroffen sind nicht nur diejenigen, die schon lange in Rente sind und heute hoch betagt das Vertrauen auf Gerechtigkeit fast verloren haben. Auch bei denen, die derzeit in den Ruhestand ge-

Die Linksfraktion hat im Landtag beantragt, das neue Schulgesetz zu ändern. Die Interessenvertretung der Sorbinnen und Sorben sowie der Sorbische Schulverein e.V. sollten künftig ein Anhörungsrecht bekommen, wenn es um Entscheidungen und Belange geht, welche die sorbischen Schulen und Schulen mit sorbischsprachigem Angebot betreffen. Die Landtagsmehrheit lehnte ab. Das Gesetz der CDU/SPD-Koalition wird somit der Erkenntnis von Staatsministerin Eva-Maria Stange, es gebe „Unzufriedenheit in Teilen der sorbischen Bevölkerung“, nicht gerecht. Denn die Vertreter der Sorben sollen nicht mit allen ihren Sorgen gehört werden, sondern nur mit den „grundsätzlichen“. Hier drohen willkürliche Ermessensanwendung und Zuständigkeitschaos in der Zusammenarbeit zwischen Vertretern des sorbischen Volkes und des Freistaates Sachsen.

Treffen des „ständigen Forums“ Am 21. April tagte in Bautzen das „Ständige Forum der Europäischen Linken“ (SFELR), ein regionales Netzwerk der Europäischen Linken zur grenzübergreifenden Zusammenarbeit von linken Parteien, Verbänden, Organisationen und Einzelmitgliedern der Europäischen Linkspartei. Dabei wurde Heiko Kosel (MdL, KV DIE LINKE. Bautzen) als Co-Sprecher gemeinsam mit dem tschechischen Europaabgeordneten Jaromír Kohlíček wiedergewählt. Als Hauptkoordinatoren sind nun Marie Krejčová (KSČM - Středočeský kraj) und Thorsten Kleis (DIE LINKE. Brandenburg) tätig. Der nächste Aktionsschwer-

Sorben mit all ihren Sorgen anhören!

hen oder von Arbeitsagenturen oder Jobcentern so früh wie möglich in die Rente geschickt werden, wirken sich bestimmte Regelungen verheerend aus. Mit Durchschnittsvergleichen zwischen Ost und West ist es nicht getan. Krankenschwestern, Balletttänzer*innen, Kumpel der Braunkohleveredlung brauchen ebenso wie alle in Ingenieurberufen oder in Lehre und Wissenschaft

oder bei Post, Bahn oder den Sicherheitsorganen Tätigen spezifische Lösungen. Die LINKE fordert: Ein Vierteljahrhundert nach der Einheit Deutschlands ist endlich die Rentenüberleitung endlich umfassend zu korrigieren. Zu Gast ist die Zeitzeugin des politischen Geschehens von 1990 bis heute: Dr. Martina Bunge, aktuell tätig als Beraterin der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag.

Die Koalition hat die Chance versäumt, mit der Zustimmung zum Antrag mit dem minderheitenrechtlichen Niveau in Brandenburg gleichzuziehen. Dort genügt es aus, dass ein Beratungsgegenstand die Rechte der Sorben „berührt“, damit sorbische Vertreter angehört werden. Nur das hätte dem verfassungsrechtlich gebotenen Umgang mit dem sorbischen Teilstaatsvolk entsprochen. • Heiko Kosel

Termine

Mittwoch, 10.05.2017, 18 Uhr: Lesung mit Peter und Franz Sodann. Hoyerswerda, Braugasse 1. Freitag, 12.05.2017, 18 Uhr: Lesung mit Peter und Franz Sodann. Kamenz, Hotel Stadt Dresden, Weindiele. Freitag, 19.05.2017, 17 Uhr: Öffentliche Rechenschaftslegung der Stadtratsfraktion. Hoyerswerda, Braugasse 1. Dienstag, 23.05.2017, 15 bis 17 Uhr: Kaffee & Kuchen & Politik mit Marion Junge. Bürgerbüro Kamenz, Grüne Str. 1.


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Kosten der Unterkunft und die Verantwortung der LINKEN

Laut Gesetz haben Jobcenter und Sozialämter für Hartz IVBetroffenen und Sozialhilfeempfänger die Kosten für die Unterkunft (KdU) zu übernehmen, allerdings nur bis zu einer „angemessenen“ Höhe. Je nach allgemeinem Miethöheniveau sind diese KdU-Angemessenheitswerte territorial außerordentlich unterschiedlich. Deshalb wird derzeit das Existenzminimum Wohnen nicht wie das Existenzminimum für den Lebensunterhalt, die sogenannte Regelleistung, vom Bundestag bestimmt, sondern von den Landkreisen und kreisfreien Städten der Bundesländer. Hauptvertreter der Landkreise und der kreisfreien Städte sind laut Landkreis- bzw. Gemeindeverordnung die Kreistage bzw. die Stadträte, deswegen müssten sie sich zumindest für eine rechtskonforme Festlegung der KdU-Angemessenheitswerte verantwortlich fühlen. In allen ostdeutschen und vielen westdeutschen Bundesländern sitzen Vertreter der LINKEN in den Kreistagen und Räten kreisfreier Städte! Vertreter herrschender liberaler Eliten sind allerdings an möglichst niedrigen KdULeistungen für Empfänger von Hartz IV, Sozialgeld und Grundsicherung im Alter interessiert, denn die Betroffenen haben kaum eine Lobby und damit nur wenige Verteidiger. Also kann hier in den Bundes-, Landes- und Kreishaushalten gespart werden. Für die Ermittlung von KdUAngemessenheitswerten gibt es zwar Rechtsvorschriften, die lassen sich aber umgehen, wenn nicht mit gründlichen Kontrollen und ausreichender Gegenwehr zu rechnen ist, wenn nämlich Kreis- und Stadträte (kreisfreier Städte) den zu niedrig gerechneten KdU-Angemessenheitswerten zustimmen, die ihnen Landkreis- oder Stadtverwaltungen als Beschlussentwurf oder lediglich zur Information vorlegen. Diese KdU-Richtwerte erlangen dann für die Jobcenter und Sozialabteilungen der Verwaltungen Rechtskraft mit der Folge, dass Empfänger von Hartz IV und Sozialgeld nicht einmal das erhalten, was ihnen rechtlich zustünde. Gegen fehlerhafte Ermittlungen von Hartz IV-Regelleistungen (also Leistungen zum Lebensunterhalt) hat es wie-

derholt von LINKEN, Sozialverbänden und Gewerkschaften Proteste und Gegenberechnungen gegeben, vergleichbare Untersuchungen und Proteste gegen Berechnungen der angemessenen Kosten der Unterkunft blieben dagegen bisher aus. Die zu erstattenden Mieten betragen aber ein Drittel bis die Hälfte des Arbeitslosen- oder Sozialgeldes, in einigen Großstädten sogar mehr als die Hälfte von Hartz IV bzw. Sozialgeld. KdU-Werte sind

KdU-Angemessenheitswerte auf Aktualität überprüft und meist auch neu bestimmt werden: abwechselnd durch eine Neuermittlung mittels eines „schlüssigen Konzepts“ und durch die Anpassung der letzten KdU-Richtwerte mittels des Mietpreisindexes des jeweiligen Landes. Bei beiden Methoden ist die aktuelle Situation auf dem Mietwohnungsmarkt, nämlich die Anzahl der als angemessen bestimmten Wohnungen, die angemietet

Bild: txmx 2 / flickr.com/ CC BY-NC-ND 2.0

Ist DIE LINKE glaubwürdig, wenn sie zwar energisch fordert „Hartz IV muss weg“, aber nichts dagegen unternimmt, dass rechtswidrig zu niedrige KdU-Angemessenheitswerte beschlossen werden?

also keine Peanuts! Rechtskonforme Bestimmungen der KdU-Angemessenheitswerte würden in vielen Fällen verhindern, dass Betroffene einen Teil der Miete aus der ohnehin zu niedrigen Regelleistung oder aus dem Freibetrag eines Zuverdienstes zahlen müssen, oder es wäre ihnen möglich, ihr Recht auf eine etwas größere Wohnung wahrzunehmen. Es darf nicht vergessen werden: Hartz IV-Empfänger sind nicht nur Erwerbslose oder Arbeitslose, die eine „Maßnahme“ absolvieren, sondern auch eine große Anzahl von prekär Beschäftigten, die zum Teil voll arbeiten, deren Verdienst aber unter dem Existenzminimum liegt und die deshalb „aufstocken“ müssen. Trotz Arbeit und Aufstockung erhalten sie und ihre Familien auch bei zu niedrigen KdU-Angemessenheitswerten weniger als das Existenzminimum. Dazu kommt, dass ein Teil der prekär Beschäftigten aufgrund zu niedrig bestimmter KdU-Werte ohne Recht auf aufstockendes Hartz IV bleibt. Alle zwei Jahre müssen die

werden können, mit der Anzahl der Nachfrager nach Wohnungen des unteren Preissegments zu vergleichen und – z.B. durch Erhöhung des Angemessenheitsbetrages – in Übereinstimmung zu bringen. Was sollten Linksfraktionen in Räten kreisfreier Städte und in Kreistagen in Vorbereitung kommender Angemessenheitsbestimmungen tun? Sie müssten auf die Einhaltung der Zweijahresfristen achten. Sonst haben Betroffene das Recht auf Zahlung von Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz, Spalte Höchstbetrag zuzüglich 10 Prozent, wobei Betroffenen dann bis zur nächsten Angemessenheitsermittlung meist deutlich höhere Beträge zustehen. LINKE Räte müssten sich zudem über die Rechtsvorschriften, die für die Ermittlung der KdU-Angemessenheitswerte gelten, informieren oder Experten für die Durchsicht der Ermittlungsmaterialien werben. Sie müssten ferner von

ihren Verwaltungen fordern, dass sich das vorbereitende Gremium (meist der Sozialausschuss) bzw. das Beschlussgremium in mindestens zwei Sitzungen mit den Ermittlungsmaterialen beschäftigt, so dass zwischen der Vorstellung der Ermittlungsunterlagen und dem Beschluss der KdU-Werte Experten Einsicht nehmen und die Fraktionsmitglieder beraten können. Auch wenn Kreisund Stadträten die ermittelten KdU-Angemessenheitswerte nur zur Information vorgelegt werden, sollen sie ihr Recht auf Kontrolle und Mitbestimmung wahrnehmen. Natürlich kostet es Nervenkraft, sein Recht auf Einsicht in die Ermittlungsunterlagen durchzusetzen, natürlich macht es Arbeit, sich das notwendige Wissen zum Verständnis dieser Unterlagen anzueignen und die Manipulationsmöglichkeiten zu erkennen. Und natürlich kostet die kritische Analyse der Ermittlungsunterlagen Zeit. Es gibt aber auch einfach zu kontrollierende Kriterien für eine rechtskonforme Ermittlung. So ist z.B. zu fragen, ob die Rechtsvorschrift erfüllt ist, dass für die als angemessen ermittelten Mieten tatsächlich auch in ausreichender Anzahl Wohnungen zur Verfügung stehen, ohne dass sich Empfänger von Sozialhilfe und Hartz IV zum Beispiel in bestimmten Großwohnanlagen konzentrieren, also Ghettos gebildet werden, die zu Stigmatisierung und Ausgrenzung Betroffener führen oder die sich gar zu sozialen Brennpunkten entwickeln könnten. Sind „angemessene“ Wohnungen nicht zu finden oder stehen nur anzumietende Wohnungen mit Substandard (keine Innentoilette oder kein Bad bzw. keine Dusche in der Wohnung oder nur Kohlefeuerung oder Wände bzw. Fußboden nicht trocken, Schimmel u. ‚Ä.) zur Verfügung, ist der KdU-Angemessenheitswert zu niedrig festgelegt und damit rechtswidrig. Natürlich ist durchaus nicht sicher, dass sich linke Abgeordnete mit sachkundigen Argumenten in den kommunalen Gremien durchsetzen und Mehrheiten für die Ablehnung rechtswidriger Verwaltungsvorlagen erreichen. Dann bliebe allerdings die Möglichkeit, erkannte Rechtsverstöße der Verwaltung und anderer an der Beschlussfassung Beteiligter durch Öffentlichkeitsarbeit zu entlarven: Über Medien unserer Partei und eventuell sogar über die bürgerliche Presse. Und sobald Google sachlich fundierte Argumenta-

tionen gegen KdU-Angemessenheitsermittlungen übernimmt, interessiert das auch die Firmen, die die Ermittlungen vornehmen. Und das kann Folgen zugunsten von Sozialhilfe- und Hartz IV-Empfängern haben! Zusätzlich würde der Öffentlichkeit vermittelt, dass DIE LINKE aktiv ist und Wirkungen erzielt. Was tun, wenn zu niedrige KdU-Richtwerte erst vor kurzer Zeit in den Gremien beschlossen wurden? Dann helfen nur Klagen Betroffener, also Klagen von Hartz IV- und Sozialhilfeempfängern, die einen Teil ihrer Miete aus der Regelleistung oder dem Freibetrag eines Zuverdienstes zahlen müssen oder denen eine gewünschte Wohnung verweigert wurde. Das Problem: Die meisten Betroffenen wissen nicht, dass ihnen bei rechtskonformer KdU-Ermittlung höhere KdU-Leistung zustünden. DIE LINKE, Sozialberatungsstellen, Sozialverbände und Vertreter von Gewerkschaften müssen hier aufklären! Und wenn durch Gerichtsentscheidung dem „schlüssigen Konzept“ die Gültigkeit in Teilen oder ganz rechtskräftig aberkannt wurde, ist nicht nur den Klägern, sondern allen, deren Leistungen für KdU durch die gerügten Fehler bei der KdU-Ermittlung zu niedrig sind, Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz, Spalte Höchstbetrag zuzüglich 10 Prozent zu zahlen. Das gilt gleichermaßen für Indexanpassungen der KdU-Werte, weil sich hier Fehler der Angemessenheitsneuermittlung fortsetzen. Viele Verwaltungen nehmen übrigens Kosten für verlorene Gerichtsprozesse billigend in Kauf: Das ist für sie immer noch kostengünstiger als die Zahlung rechtskonform ermittelter KdU-Angemessenheitswerte! Im bevorstehenden Bundestagswahlkampf sollten Probleme zum Existenzminimum Wohnen unbedingt in Forderungen zur Miet- und Wohnungspolitik einbezogen werden. Neben dem Anspruch auf rechtskonforme Ermittlung der KdU-Angemessenheitswerte müsste sich DIE LINKE zum Beispiel für die rechtssichere Festlegung einer menschenwürdigen Untergrenze der Wohnungsgröße für das Existenzminimum Wohnen einsetzen. Es ist doch nicht hinnehmbar, dass Singles mit Hartz IV oder Sozialhilfe oder Grundsicherung im Alter auf eine Wohnung von lediglich 24 m² verwiesen werden können! Dr. Dorothea Wolff


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„Erneuerbare“ Energie? Klar dürfte indes sein, dass die deutschen Atom-KW die sichersten in der Welt sind. Die von dort eingehenden Störungsmeldungen betrafen nie die Freisetzung von Radioaktivität,sondern Störungen, wie sie in jedem großen und kleinen Kraftwerk vorkommen können. Das sind z. B. Lastabwurfsituationen nach Freileitungsschä-

nen errichtet werden dürfen, müsste allgemeiner Konsens sein. Beispielsweise gehören zu solchen Verbotszonen die Eifel und das Vogtland, aber auch stark beanspruchte Untergründe wie im Erz- und Kalibergbau. ln Japan dürften demnach gar keine AKW gebaut werden, ebenso in anderen Gebieten auf dem sogenannten „Feuerring“ un-

sammen, ist es aber vorüber, steigt der Energiepegel stark an. Insgesamt ist bei solcher Diskontinuität kein beruhigtes Hoch- und Höchstspannungsnetz 110 bis 380 kV Drehstrom bzw. 400 bis über 1 000 KV Gleichspannung betreibbar. Wehe, man verlässt sich auf die nach kleinfritzischem Verstand alles und jedes regelnde Mikroelektronik.

den, Transformatorenbrände, Schalterstörungen usw. Das hat keine Auswirkungen auf den Atomreaktor, der durch vielfältige Kontroll- u. Schutzmaßnahmen elektronischer und elektromechanischer Art gesichert ist. Da Atom-Kraftwerke eigentlich Dampf-Kraftwerke sind, kann nicht ausgeschlossen werden, dass mal eine Turbine „hochgeht“. Die flogen manchmal sogar durch das Dach. Die Reaktoren werden in aller Regel durch Schnellabschaltungen nachgeordneter Komponenten und das Einfahren ihrer Bremsstäbe automatisch soweit herabgeregelt, dass nur noch ein minimaler radioaktiver Prozess ablaufen kann. Dass AKW niemals in seismisch gefährdeten Regio-

seres Planeten. Und sturmgepeitschte oder gar Tsunamigebiete sind ebenso strikt zu meiden. Es wird der Glaube genährt, dass wir alle benötigte Elektroenergie von Sonne, Wind und Biomasse erzeugen könnten und diese dann im Überfluss und vor allem jederzeit zur Verfügung stünde. Diesbezüglich sollte man die Kraftwerks- bzw. Netzingenieure hören, die mit diesem diskontinuierlichen Energiesalat zurechtkommen müssen. Scheint keine Sonne, bleiben deren Energieumsetzer tot. Weht kein Wind, desgleichen. Bei Sturm gehen die Windräder automatisch in den Stillstand. Zieht ein Wolkenmassiv über ein Solarfeld, bricht dort die Energielieferung zu-

Man glaube nicht an ihre Störungsunanfälligkeit! Hackerangriffe dürften nur noch eine Frage der Zeit sein. Viele Industrien benötigen hinsichtlich der Stromlieferung, Spannung und Netzfrequenz eine verlässliche Kontinuität, da die Qualität der Produkte oder überhaupt der Herstellungsprozess keine Schwankungen zulässt. Und da sind doch tatsächlich krause Laientheorien im Umlauf, dass die künftige Energieversorgung dezentral (wie in den alten Zeiten der Elektrifizierung um 1900) mit kaffeemühlenartigen Kleinkraftwerken, Wind- und Solaranlagen als Bedingungen für eine hochwertige Energieversorgung gewährt werden könnte? Ach ja, die Braunkohle-Kraft-

Bild: Thilo Hilberer / flickr.com / CC BY-ND 2.0

Man mag es nicht mehr hören, das Geschwätz von den „erneuerbaren Energien“ und davon, wie sie unser Leben und die energetische Basis verbessern werden. Was sind das für Energien, die wie die sogenannte Schöpfung aus der Erde, windiger Luft oder solaren Einstrahlungen stets ganz neu sind? Die Schwätzer haben wohl in Physik nicht aufgepasst, denn da müsste eigentlich gelernt worden sein, dass Energie nicht verschwinden, sich also auch nicht erneuern kann. Ist sie an einer Stelle verbraucht, so befindet sie sich anderenorts, dabei oft im potentiellen Zustand verharrend. Vielleicht weckt sie jemand dort, z. B. in einem Pumpspeicher-Kraftwerk. Erneuert hat sich da nichts, denn die wieder freizusetzende Energie des Obersees musste mühsam dorthin gepumpt werden. Man trenne sich vom Begriff der „Erneuerbaren“ und auch von der „regenerativen“ Energie. Re- bedeutet zurück, also rückerzeugte Energie; Unsinn! Von den Begriffen zu den Umständen der heutigen Energiegewinnung und des heutigen Energieverbrauchs. Wir kommen nicht umhin, die Politik dabei ins Spiel zu bringen, eine verhängnisvolle Energiepolitik. Waren es anfangs nur die Grünen, die von „Erneuerbaren“ faselten, so haben sich mittlerweile alle anderen Parteien auf das Energierad geschwungen. Nachdem die nichtgrünen Parteien vor allem auf der Regierungsebene genugsam gegen Grüne gewettert hatten, verbündeten sie sich – wie die Grünen übrigens selbst – mit dem industriellen Komplex, um massenhaft windgetriebene Generatorenanlagen und Solarfelder zu bauen. Alle merkten mit einem Mal, dass sich damit auch sehr viel Geld verdienen lässt. Und man fand dazu den Beelzebub, die ach so gescholtenen Atomkraftwerke, und ist nun auch noch dabei, in nächster SofortBüberei die Braunkohle-Kraftwerke stillzulegen.

werke gibt es ja auch noch. Weg damit, möglichst heute noch! Gewiss, das Verbrennen fossiler Rohstoffe ist nicht der beste Weg, aber der krasse sofortige Ausstieg auch nicht. Das würde den geschilderten Regelungsprozess in den großen Netzen sofort so enorm belasten, dass die Gefahr besteht, dass das Netz außer Tritt gerät. Dass bei einer sofortigen Stilllegung der fossilen Kraftwerke schwerste soziale Probleme bis hin zu Situationen entstehen, die politisch nicht mehr beherrschbar sind, lassen wir hier mal beiseite; vergessen darf man es nicht! Aber um der Netzstabilität willen müsste Atomstrom aus anderen Ländern bezogen werden, die übrigens fleißig AKW bauen und sich über deren Leistungsabnahme durch Deutschland freuen dürfen. Der Einkauf von fremdem Atomstrom ist eigentlich ein zynisches Geschäft, denn dann kann im Störfall mit dem Finger auf die Anderen gezeigt werden. Nun gibt es ja auch noch die Pumpspeicher- Kraf t werke (PSKW). Man ist gerade dabei, sie stillzulegen. Es darf auch nicht vergessen werden, dass sie keine Grundlast übernehmen können, denn dazu reicht die Speicherkapazität der jeweiligen Oberbecken nicht aus. Sie kommen nur für die Abdeckung im Spitzenlastbereich in Betracht. Vielleicht meinen die energetischen Laien, es sollten noch viele solcher KW gebaut werden. Das ginge wohl, aber auch nur zulasten jeweiliger Landschaften. Man stelle sich die Elbe als Wasserspender für 20 PSKW vor, die zwischen Bad Schandau und Riesa lägen, pfeifend auf schöne Landschaftsbilder wie das Elbsandsteingebirge, das man zu den Bausteinen der KW verarbeiten könnte. Darf soweit gegangen werden, dass um der Energiegewinnung willen alle Lebensqualität aufgeopfert werden sollte? Rainer Tippmann

An den Grenzen – Fachtagung zur europäischen Migrationspolitik Die aktuellen Herausforderungen machen die Dringlichkeit einer gemeinsamen und europäischen Asyl- und Migrationspolitik besonders deutlich. Vor allem wird ein Mechanismus benötigt, mit dem Asylbewerber*innen für alle Seiten fair auf die EU-Staaten verteilt und Länder wie Griechenland und Italien entlastet werden können. Die Vorschläge der Kommission zementieren die aktuellen Probleme und ver-

schärfen die Lage der Geflüchteten. Gleichzeitig lehnt ein Teil der EU-Staaten die Aufnahme von Geflüchteten gegen alle Regeln sogar gänzlich ab. Eine einheitliche, an humanitären Grundsätzen orientierte EUPolitik scheint in weiter Ferne. Im Moment werden zahlreiche Richtlinien und Verordnungen in Brüssel neu gefasst. Dazu gehören die Qualifikations-, Aufnahme- und Verfahrensrichtlinien, die zum Teil durch

Verordnungen ersetzt werden, genauso wie Dublin. Gemeinsam mit Expert*innen aus dem Bereich der europäischen Migrations- und Asylpolitik wollen wir, begleitend zu den parlamentarischen Prozessen, zu den Verhandlungen zum Asylpaket ins Gespräch kommen. Die Fachtagung zur europäischen Migrationspolitik wird am 19. Mai um 14Uhr im Raum A400 des Sächsischen Landtages stattfinden.

Beginnen wollen wir mit einem Expert*innengespräch zum Asylpaket der EU. Gäste: Kris Pollet vom Europäischen Flüchtlingsrat ECRE; Torsten Moritz, Executive Secretary for EU Policy and Projects, Churches Commission for Migrants in Europe (CCME); Julia Eichler aus dem Brüsseler Verbindungsbüro des EKD; Karl Kopp als Europareferent von Pro Asyl (angefragt). Zudem werden die EU-Abgeordnete Cornelia

Ernst sowie MdL Juliane Nagel in Hinblick auf Ihre parlamentarische Arbeit und als migrationspolitische Sprecherinnen ihrer Fraktionen die Diskussionen begleiten. Anschließend wollen wir in einem 2. Teil der Tagung gern mit den Initiativen und Partner*innen ins Gespräch kommen, insbesondere über Veränderungen, die sich für die landespolitische Ebene ergeben können.


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Jugend

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Das „LOVE ME GENDER“ in Leipzig – drei Tage feministisch, immer feministisch Die Räume des Interim sind voll, die Pinnwände gefüllt mit Begriffen wie „Empowerment & Solidarität“, „hegemoniale Männlichkeit“, „geschlechterneutraler Konsum“ und „Rollenbilder aufbrechen“, Urinellas mit der Aufschrift „Wir pissen aufs Patriarchat“ liegen an der Anmeldung aus und überall sind junge Menschen, die interessiert miteinander diskutieren oder aufmerksam den Vortragenden lauschen. Das Plakat an der Tür verkündet in großen pinken Buchstaben den Titel der Veranstaltung - „Queerfeministisches Wochenende: LOVE ME GENDER – or fuck off“. Das Programm des von der linksjugend [‚solid] Sachsen organisierten Wochenendes vom 07.-09. April 2017 in Leipzig ist prall gefüllt. So tauschten sich am Freitagabend die Politikerinnen Katja Kipping (MdB), Sarah Buddeberg (MdL) und Anja Klotzbücher (MdL) mit den Teilnehmenden darüber aus, was es heißt, als Frau aktiv Parteipolitik zu machen, wel-

che Hürden sie überwinden mussten, aber auch welche Unterstützung sie auf ihrem politischen Werdegang erfahren haben. Außerdem legten sie die derzeit wichtigsten gender- und gleichstellungspolitischen Themen dar. Das Wochenende war geprägt von intensiven Workshopphasen in angenehmer Diskussionsatmosphäre. Die Teilnehmenden setzten sich etwa mit der Diskriminierung und Vorurteilen gegenüber Körpern, die nicht dem genormten Schönheitsideal in unserer Gesellschaft entsprechen, auseinander und wie man sich diesem Druck widersetzen kann. Ein weiterer Workshop beschäftigte sich mit dem Zusammenhang zwischen Geschlecht und Kapitalismus. Ebenfalls diskutierten wir über die Inhalte von „linkem Feminismus“ oder kamen bei einer Straßenaktion zum Thema „Wie männlich oder weiblich fühlst du dich?“ mit Passant*innen ins Gespräch. Kaum vom Thema loslösen konnten sich die

Teilnehmer*innen des Workshops „Kritische Männlichkeiten“ und zeigten so die Notwendigkeit, sich aus ei-

stellungen von „Männlichkeit“ herrschen und inwieweit wir selbst uns an diesem sozialen Konstrukt orientieren und die-

ner feministischen Perspektive mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Im Workshop reflektierten sie, welche Vor-

ses selbst reproduzieren. Etwas spezifischer wurde etwa der Vortrag zum Thema „Lesben in der DDR – Gab´s die*

öffentliche Tanzveranstaltungen der christlichen Tradition und allen Gläubigen Res-

pekt“. Worin genau jetzt das „Respektzollen“ bestehen soll, wenn man gezwunge-

denn überhaupt?“, der anhand von Zeitzeug*innenberichten, Dokumenten lesbischer Gruppen und anderen Materialien die Geschichte von Lesben in der DDR lebendiger werden ließ. Das Queer Refugees Network Leipzig hat uns über die rechtliche Situation von LGBTI*-Geflüchteten in Deutschland, Europa und weltweit informiert und Einblicke in ihre tägliche Beratungsarbeit gegeben. Begeistern konnten uns Jennifer Gegenläufer + Le_go nicht nur als Referent*innen zu FLTI (Frauen, Lesben, Trans und Inter) im Hip-Hop-Mainstream, sondern auch als kraftvolle Künstler*innen auf unserer Party im Sublab Leipzig, zu der uns auch DeFranzy und shannon soundquist mit ihrer Mucke zum Tanzen brachten. Besonders schön war in unseren Augen, dass sich auch viele Nicht-Mitglieder der Linksjugend für die queerfeministischen Inhalte des Wochenendes begeistern ließen. Josephine Witt

Gottesstaat Arte. In einem kurzen Bericht wird gezeigt, wie der türkische Präsident den Tag seines gewonnen Referendums als Feiertag schützen lässt – mit strengen Auflagen. Disco und Tanz zu westlicher Musik werden untersagt, ebenso Sportveranstaltungen. Der Tag solle schließlich respektvoll begangen werden, weltliches Vergnügen gehört nicht dazu. Filme, die an diesem Tag gezeigt werden, müssen vorher vom zuständigen Ministerium freigegeben werden. Aufschrei im Westen. Gottesstaat, der „Irre vom Bosporus“ hat wieder zugeschlagen, heißt es auf Facebook. Blöd nur: Den Bericht gab es nicht, es hätte ihn aber geben können: Als kurze Reportage über den Freistaat Bayern. Oder eben den Freistaat Sachsen. Denn auch hier gibt es das bekannte Tanzverbot, das strenggenommen auch andere „öffentliche Vergnügungen“ und „öffentliche Sportveranstaltungen“ untersagt. Aus dem sächsischen Innenministerium hieß es gar: „Alle Veranstaltungen sind verboten, wenn sie nicht der Würdigung dieses Feiertages dienen“. Voll in Ordnung, findet das Bistum Dresden-

Meißen der katholischen Kirche, denn „die Gesellschaft zolle durch den Verzicht auf

nermaßen eine mit Bußgeld belegte und verbotene Handlung nicht begeht, hinterlässt einen seltsamen RespektBegriff. Vielleicht lässt sich das Bistum ja aber auf einen Tauschhandel ein. Aus „Respekt vor der atheistischen Tradition“ Ostdeutschlands, der Wissenschaft und dem ersten LINKEN Ministerpräsidenten werden künftig an je einem Tag im Jahr Kirchengebimmel, Homöopathie und die CDU verboten. Tilman Loos

Termine 10. Mai: Let‘s talk about Drux! Diskussion mit René Jalaß u. a. in Meißen, Haus für Vieles, Dresdner Str. 13, Meißen um 18 Uhr. Veranstalter: Linksjugend Meißen. 24. Mai: Scherinikau-Revue, Boulevardtheater Dresden, 19 Uhr 2.-5. Juni: Pfingstcamp in Doksy (Tschechien) 5. Juli: Podiumsdiskusion #R2G, Goldener Stern Borna, 18 Uhr. Veranstalter: Linksjugend [´solid] Westsachsen.


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

05/2017 Sachsens Linke!

Für ein sozial gerechtes Europa – Conny Ernst unterwegs Am 26. April fand in der Leipziger Galerie KUB die zweite Regionalkonferenz zum Entwurf des Bundestagswahlprogramms statt. Im Zentrum standen dabei unsere Idee europäischer Politik und die Auseinandersetzung mit der EU in ihrer heutigen Verfassung sowie Herausforderungen und Schwerpunkte zur Bundestagswahl. Dabei wurden wesentliche Leitfragen zusammen mit Conny Ernst und zahlreichen Genoss*innen diskutiert: Was ist verteidigenswert an der EU? Welche EU wollen wir und wie gestaltet sich ein solidarisches Mit-

Im Anschluss an die Programmdebatte starteten wir in der ersten Maiwoche gemeinsam mit Sarah Buddeberg nach Rheinland-Pfalz. Im Gepäck hatten wir die Ausstellung zur Häuslichen Gewalt. Warum dort? Seit 2015 sind Conny Ernst und Gabi Zimmer als Europaabgeordnete mit einem Büro in Mainz vertreten. Dabei geht es vor allem darum, EUPolitik stärker sichtbar zu machen. Darüber hinaus wollen wir überall und an jedem Ort für das Thema sensibilisieren und mit Bündnispartner*innen ins Gespräch kommen. Besonders wichtig war den beiden

Für uns aber geht es nach der Reise weiter. Im Moment arbeiten wir zusammen mit MdL Juliane Nagel an einer Fachtagung zur europäischen Migrationspolitik am 19. Mai im Sächsischen Landtag. Grund dafür sind die auf europäischer Ebene angestoßenen Neufassungen zahlreicher Richtlinien und Verordnungen, wie z.B. der Aufnahmerichtlinie und Dublin. Nach wie vor gibt es keinen einheitlichen Mechanismus, um eine humane und gerechte Aufnahme der Asylsuchenden auf europäischer Ebene zu sichern, ganz zu schweigen davon, dass einige EU-Mitgliedsstaaten die Aufnahme von Schutzsuchenden gänzlich ablehnt. Genau deswegen und zu den weitreichenden Verhandlungen um das Asylpaket der EU sowie deren Auswirkungen in Sachsen wollen wir ins Gespräch kommen. Eingeladen sind u.a. Expert*innen vom Europäischen Flüchtlingsrat, Pro Asyl und kirchliche Verbände europäischer Ebene wie das EKD. Eingeladen sind natürlich alle Interessierten. Die vergangenen Tage waren in jedem Fall spannend und geprägt von konstruktiven Gesprächen. Im Juni geht’s dann für Conny Ernst und Team zu den Studientagen der GUE/ NGL ins Baskenland und eine Reise in die Ukraine sowie zu den CSDs in Sachsen sind ebenfalls in Planung. Wir sind gespannt und freuen uns darauf! Anja Eichhorn, Europabüro Dr. Cornelia Ernst, MdEP einander anstelle nationaler Konkurrenz? Am Ende der dreistündigen Debatte stand fest, unsere Vision von Europa muss eine solidarische und demokratische sein. Die Mehrheit der Genoss*innen sprach sich für eine Republik Europa aus und stellte entschieden fest: Ein Zurück zum Nationalstaat darf es nicht geben.

Abgeordneten dabei das Gespräch mit Expert*innen über die Lage in Mainz und Trier und die Frage danach, was wir im sächsischen Vergleich für die parlamentarische Arbeit vor Ort einbeziehen und mitnehmen können. Im dritten Teil der Ausstellungs-Tour ging es dann sogar bis nach Luxemburg. Dort war die Ausstel-

lung ebenfalls im öffentlichen Raum zu sehen. Besonders gefreut haben wir uns über das konstruktive und spannende Gespräch mit Aktivist*innen von terres des Femmes. Organisiert und vorbereitet hat die viertägige Reise vor allem Sarah Schwarzrock-Zürbig, die zuständige Koordinatorin des Europabüros vor Ort.


Sachsens Linke! 05/2017

DIE LINKE im Bundestag

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Messen mit zweierlei Maß beim Thema Doping ganz überwiegend westdeutschen Juroren erneut abgelehnt worden ist. Für mich bleibt unstrittig, dass Sportlerinnen und Sportler sowie deren Trainer, Ärzte und Funktionäre – egal aus welchem Land – bei nachgewiesenen Dopingvergehen ohne Ansehen der Person bestraft und gesperrt werden müssen. Ich bin aber entschieden dagegen, Unschuldige in Kollektivhaftung zu nehmen und diese Dopingverstöße zu nutzen, um bestimmte Nationen politisch zu diskreditieren und sich dadurch ganz nebenbei auch noch sportlicher Konkurrenz zu entledigen. Hinter den weltweiten Dopingskandalen stecken ganze Netzwerke aus Politik, dem organisierten Sport, der Medizin und der Geschäftswelt. Mittendrin stehen die Athletinnen und Athleten. Dies gilt für das flächendeckende Doping in Russland in der jüngsten Zeit – die im McLaren-Bericht enthaltenden Vorwürfe sind schwerwiegend; hier gibt es nichts zu beschönigen – ebenso wie für die unterschiedlichen Dopingsysteme im Kalten Krieg. Die strukturellen Verquickungen, das damit verbundene Schweigen

und nicht zuletzt die grenzenlose Jagd nach Medaillen, egal ob aus politischen oder eher finanziellen Erwägungen, waren damals wie heute dafür verantwortlich, dass zumindest fahrlässig, in vielen Fällen ausgesprochen verantwortungslos mit der Gesundheit von Sportlerinnen und Sportlern und den Werten des Sports umgegangen wurde. Um dies künftig auszuschließen, bedarf es eines unbedingten Willens zur Aufklärung. Zwar wurde für die letzte Ausschusssitzung dieser Wahlperiode am 28. Juni das Thema „Doping in Westdeutschland“ nach wiederholtem Drängen der LINKEN endlich auf die Tagesordnung gesetzt, aber die Debatte darüber soll dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Das ohnehin schon vorhandene Glaubwürdigkeitsproblem der deutschen Sportpolitik wird dadurch eher noch verschärft. Und eine Frage drängt sich auf: Geht es wirklich immer um einen sauberen Sport oder oft nicht doch eher um politische Grabenkämpfe? Als Sportpolitiker ist es mein vordringlichstes Ziel, Athletinnen und Athleten vor schwerwiegenden gesundheitlichen

Schäden zu bewahren und für die Olympische Idee sowie fairen sportlichen Wettstreit einzutreten. Das sollte bei allen Debatten im Mittelpunkt stehen. Dazu gehört auch die

Aufarbeitung der (Sport-)Geschichte in Ost und West – fair, ehrlich und unvoreingenommen. Davon sind wir derzeit leider noch weit entfernt. André Hahn

Bundesarchiv, Bild 183-30479-0002 / Illner / CC-BY-SA 3.0

Am 27. April 2017 nahm sich der Sportausschuss des Bundestages gleich vier Stunden Zeit, um in einer öffentlichen Anhörung den McLaren-Report zum Doping in Russland mit prominenten Gästen zu diskutieren. Sonst tagt der Ausschuss fast durchgängig hinter verschlossenen Türen. Ziel der Koalition war es ganz offenkundig, den russischen Sport, seine Repräsentanten und letztlich auch die Athletinnen und Athleten in aller Öffentlichkeit quasi an den Pranger zu stellen. Vor fremden Haustüren lässt es sich halt einfacher kehren als vor der eigenen. Ein vergleichbares Engagement gab es bisher lediglich bei der Delegitimierung des Spitzensports in der DDR – die zum Teil irrationale Debatte um die Aufnahme von Täve Schur in die Hall of Fame des deutschen Sports ist dafür beredtes Beispiel. Man muss nicht all seine Positionen teilen, aber ich finde: Wenn es jemand als Athlet und als Mensch verdient hat, in die so genannte Ruhmeshalle des Sports aufgenommen zu werden, dann ist das Täve Schur. Ich finde es einfach schäbig, dass dieser Vorschlag von

Finanz-TÜV soll vor Geldverlusten schützen Die Rentenreformen ließen das Niveau der gesetzlichen Rente drastisch sinken. Die Versicherten sollen diese Kürzungen durch private und betriebliche Altersvorsorge ausgleichen. Geringverdiener*innen und Erwerbslose können dies aber gar nicht leisten. Vielmehr nützt die Teilprivatisierung der Altersvorsorge den Versicherungen und Unternehmen. Doch die private Vorsorge ist selbst für Menschen, die sie sich leisten können, riskant, weil Erträge nicht sicher sind und Altersarmut weiter droht. Diejenigen, die ein paar Euro an den Finanzmärkten anlegen wollen, haben oft ein Problem damit, ein geeignetes Produkt zu finden. Meist gehen sie dann zu einer Bank oder einem/r Finanz- bzw. Anlageberater*in, der/die im Idealfall ein maßgeschneidertes Produkt finden soll. Jedoch: Unterschiedlichen Schätzungen zufolge verlieren die Bundesbürger*innen pro Jahr zwischen 30 und 98 Milliarden Euro wegen Falsch- und Fehlberatung durch Banken und Berater*innen beim Abschluss von Kapitalanlagen und Versicherungsverträgen. Wir reden hier nicht von strafund zivilrechtlich strafbarem Betrug, sondern vom tägli-

chen Geschäft von Banken, Versicherungen und Fondsgesellschaften mit überteuerten, unpassenden und riskanten Finanzinstrumenten und Policen. Allgemein erleiden Verbraucher*innen aufgrund mangelhafter Beratung zum Teil erhebliche finanzielle Schäden. Jährliche Verluste in Milliardenhöhe entstehen durch nicht bedarfsgerechte Abschlüsse von Kapitallebensund privaten Rentenversicherungen oder von meist ineffizienten Riester-Verträgen. Hinzu kommen Schäden durch geschlossene Fonds, Zertifikate, Genussrechte, Nachrangdarlehen oder Direktinvestments in Container oder Immobilien. Die Aufzählung ließe sich fortführen. Konservativ schätzt Prof. Oehler von der Universität Bamberg einen jährlichen Verlust von mindestens 50 Milliarden Euro: Dazu gehören Schäden durch Riester-Produkte von mindestens einer Milliarde Euro, durch Kapitallebens- und private Rentenversicherungen von ca. 16 Milliarden Euro, von Finanzprodukten des kaum regulierten „Grauen“ Kapitalmarkts von mindestens 30 Milliarden Euro. Dass die Qualität der Anlageberatung in Deutschland schlecht

ist, weist Stiftung Warentest regelmäßig nach. Insbesondere die Ergebnisse aus dem jüngsten Test sind alarmierend, denn sie zeigen, dass Anlageempfehlungen der Berater*innen den Interessen und Bedürfnissen der Kund*innen systematisch zuwiderlaufen. Die Beratungsfehler seien jedoch nur selten auf das Unvermögen der Berater*innen, sondern hauptsächlich auf die provisionsorientierten Verkaufsvorgaben der Institute zurückzuführen. Provisionsgestützte Beratung und Verkauf sind folglich das eine Problem, das andere ist zweifelsohne die Tatsache, dass die Finanzmärkte täglich massenhaft von neuen, teils hochkomplexen und sehr riskanten Finanzinstrumenten geflutet werden. Mit hohem Aufwand konstruiert die Finanzindustrie Produkte, die sich unter turbulenten Marktbedingungen als weitgehend unverständlich, unberechenbar und unbeherrschbar herausstellen. Daher müssen besonders riskante, intransparente oder für den/die jeweilige/n Privatanleger*in ungeeignete Finanzinstrumente, also „Schrottpapiere“, aussortiert werden. Dieses Ausdünnen der Finanzmärkte ist

nicht nur aus Gründen des Verbraucher*innenschutzes notwendig, sondern auch um die Finanzmarktstabilität zu erhöhen, weil z. B. Spekulationsblasen oder Dominoeffekte nach Insolvenz eines Emittenten verhindert werden können. Schließlich wollen wir mit unserem Konzept gleichfalls die Bereicherung von Spekulant*innen und Finanzalchemist*innen zulasten von Gesellschaft und Realwirtschaft zurückdrängen. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir wollen die Einführung eines europaweiten „FinanzTÜV“. Dafür ist eine Verfahrensumkehr erforderlich: Wer ein neuartiges, noch nicht zugelassenes Finanzinstrument auf den Markt bringen will, muss sich künftig einer Zulassungsprüfung unterwerfen. Durch diese präventive Regulierung – bisherige Regulierungen hinken den Machenschaften der Finanzindustrie hinterher, weil sie in der Regel erst greifen, nachdem ein Finanzinstrument schon volkswirtschaftliche oder Schäden beim Anlegenden angerichtet hat – sind die Finanzdienstleister zukünftig verpflichtet, die gesamtgesellschaftliche und volkswirtschaftliche Unbedenklichkeit

ihrer Finanzinstrumente sowie den Grad der Verbraucherinnenfreundlichkeit der Kapitalanlage beim Zulassungsantrag nachzuweisen. Neu für den Finanzsektor wäre also, dass die Beweislast bei den Antragstellenden liegt; bei Arzneimitteln oder technischen Anlagen sind diese Zulassungsprüfungen schon längst Standard. Zu unserem Antrag „Zulassungspflicht für Finanzprodukte schaffen ‒ Finanz-TÜV einführen“ gibt es im Finanzausschuss des Bundestages am 17. Mai eigens eine Anhörung, die wir trotz der zu erwartenden massiven Gegenwehr nutzen wollen, um unser Finanz-TÜV-Konzept weiter zu popularisieren. Unseren Antrag findet ihr unter gleft.de/1GG, das ausführliche Konzeptpapier findet ihr hier: gleft.de/1GH. Infos zu der Anhörung des Finanzausschusses finden sich bald unter gleft. de/1GI. Susanna Karawanskij


Kommunal-Info 4-2017 04. Mai 2017 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V.

Integration Zum Begriff Integration in seiner kommunalen Dimension Seite 3

Barrierefrei Wohnen Eine gemeinsame Studie von TERRAGON und DStGB kommt zum Ergebnis: Barrierefreiheit bei Neubauwohnungen für rund ein Prozent der Baukosten realisierbar Bedarf an mindestens 1,6 Mio. zusätzlichen barrierefreien Wohnungen Barrierefreiheit im Neubau deutlich preisgünstiger Seite 4

Mitwirkungsverbot bei Befangenheit Kreis-, Stadt- und Gemeinderäte sowie in der Kommunalpolitik andere ehrenamtlich Tätige dürfen nach § 20 Sächsische Gemeindeordnung1 in Angelegenheiten, bei denen sie als befangen gelten, weder bei der Beratung noch an der Entscheidung mitwirken. 2 Neben den gewählten kommunalen Mandatsträgern bezieht sich diese Bestimmung auch auf sachkundige Einwohner nach § 44 (hier kann es sich nur auf die Beratung beziehen, da sie kein Stimmrecht innehaben). Darüber hinaus gilt das für alle Bürger, die nach § 17 zu einer ehrenamtlichen Tätigkeit bestellt werden. Außerdem verweist § 69 auf eine entsprechende Anwendung bei Ortschaftsräten. Und § 58 bestimmt, dass das Mitwirkungsverbot bei Befangenheit nach § 20 auch für den Bürgermeister, den Amtsverweser und die Beigeordneten gilt.

Zum Begriff Befangenheit

Als befangen gelten die betreffenden Personen und sind deshalb von der Mitwirkung ausgeschlossen, (a) wenn sie in der jeweiligen Angelegenheit bereits in anderer Eigenschaft tätig geworden sind. Als Tätigkeiten in anderer Eigenschaft, auch frühere, bereits beendete Tätigkeiten kommen etwa in Betracht: die Planungstätigkeit eines Architekten, Beratung durch einen Rechtsanwalt oder Steuerberater, das Tätigwerden als Wirtschaftsprüfer oder Immobilienmakler. Auf das Vorliegen eines Sonderinteresses kommt es hier nicht an, es genügt das bloße Sichbefassen in privater Eigenschaft. Dabei ist es unerheblich, wem gegenüber diese erfolgt, ob sie entgeltlich oder unentgeltlich, inner- oder außerhalb eines behördlichen oder gerichtlichen Verfahrens geleistet wird oder wurde. Es

spielt keine Rolle, ob jemand in privater oder öffentlicher Eigenschaft in der Angelegenheit tätig geworden ist. Ein möglicher Vor- oder Nachteil wird nicht vorausgesetzt. (b) Von der Mitwirkung ausgeschlossen sind die betreffenden Personen ebenso, wenn die Entscheidung ihnen selbst, ihren Familienangehörigen oder Verwandten und Verschwägerten sowie natürlichen oder juristischen Personen, zu denen sie in besonderer Bindung oder Abhängigkeit stehen, einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann. Der Vor- oder Nachteil ist im umfassenden Sinne zu verstehen und kann unterschiedlicher Natur sein. Es kann jeder individuell zuordenbare materielle oder immaterielle Vor- oder Nachteil sein, sofern das Eintreten dieses Vor- oder Nachteils konkret möglich ist. Die Vor- oder Nachteile können wirtschaftlicher, finanzieller, ideeller, sozialer oder anderer Art sein.3 Bei Befangenheit von Personen wird angenommen, dass aufgrund einer real gegebenen Beziehung zu Sonderinteressen die Urteilsfähigkeit dadurch beeinflusst oder eingeschränkt sein kann und so eine Entscheidung im Interesse des Gemeinwohls beeinträchtigt werden kann. Ob der Sachverhalt der Befangenheit besteht, unterliegt deshalb auch nicht der subjektiven Bewertung durch die davon betroffenen Personen. Ein Mitwirkungsverbot wegen Befangenheit ist geboten, um Interessenkollisionen von vornherein zu vermeiden und individuelle Sonderinteressen aus kommunalen Entscheidungen herauszuhalten. Zudem haben alle ehrenamtlich Tätigen die ihnen übertragenen Aufgaben uneigennützig und verantwortungsbewusst im Interesse

des Gemeinwohls zu erfüllen. Auf das tatsächliche Vorhandensein einer Interessenkollision kommt es dabei nicht, ein Vor- oder Nachteil muss nicht wirklich nachweisbar sein. Der Ausschluss eines Befangenen von der Mitwirkung habe „daher in keiner Weise etwas Ehrenrühriges an sich.“4

Der Personenkreis

In § 20 Absatz 1 Nr. 1-7 sind abschließend jene Personen genannt, bei denen eine Befangenheit des Gemeinderats oder ehrenamtlich Tätigen eintritt, wenn bei einer Entscheidung die zu ihm in einer Beziehung stehenden Personen einen Vor- oder Nachteil erzielen könnten. Das sind im einzelnen: 1. Ehegatten, Verlobte oder Lebenspartner nach § 1 des Lebenspartnerschaftsgesetzes Für die Verlobung gilt § 1297 Bürgerliches Gesetzbuches (BGB), wonach es sich um ein beiderseitiges, ernst gemeintes Eheversprechen handeln muss, das zum Augenblick der Entscheidung noch besteht. 2. In gerader Linie oder in Seitenlinie bis zum dritten Grade Verwandte Verwandte bis zum 3. Grad sind nach § 1589 BGB: Eltern, Großeltern, Kinder, Enkel, Urenkel, Geschwister, Onkel, Tanten, Neffen und Nichten, nicht hingegen Cousins und Cousinen (Vettern und Basen) sowie angeheiratete Onkel und Tanten (d.h. deren Ehe- oder Lebenspartner). Neben der Abstammung kann Verwandtschaft auch auf der Annahme als Kind beruhen (Adoption, §§ 1741ff. BGB). Keine Rolle spielt, ob die Geburten ehelich oder nichtehelich erfolgten. 3. In gerader Linie oder in Seitenlinie bis zum zweiten Grade Ver-

schwägerte oder als verschwägert Geltende, solange die die Schwägerschaft begründende Ehe oder Lebenspartnerschaft nach § 1 des Lebenspartnerschaftsgesetzes besteht Verschwägerte bis zum 2. Grad nach § 1590 BGB sind Schwiegereltern, Schwiegersohn und Schwiegertochter, Stiefeltern, Stiefkinder, Geschwister des Ehegatten oder -partners sowie Ehegatten oder -partner der Geschwister, Großeltern des Ehegatten oder -partners, eigene Stiefgroßeltern und Stiefenkel. 4. Eine von ihm kraft Gesetz oder Vollmacht vertretene Person Dem Mitwirkungsverbot bei Vertretungsverhältnis unterliegen die gesetzliche Vertretung und die Vollmachtsvertretung. Gesetzliche Vertretung ist sowohl die familienrechtliche Vertretung wie die Vertretung juristischer Personen. Gesetzliche Vertreter sind: für Kinder beide Eltern (§ 1626 BGB), für Kinder nicht miteinander verheiratete Eltern (§ 1615 a BGB); bei unter Betreuung stehenden Personen der Betreuer (§§ 1896, 1902 BGB), bei unter Vormundschaft stehenden Minderjährigen der Vormund (§ 1793 BGB), bei rechtsfähigen Vereinen die Vorstandsmitglieder, die den Verein gerichtlich und außergerichtlich vertreten (§ 26 Abs. 2 BGB), bei der offenen Handelsgesellschaft (OHG) jeder Gesellschafter, soweit im Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt ist (§ 125 Handelsgesetzbuch/ HGB), bei einer Aktiengesellschaft die Vorstandsmitglieder (§ 76 Aktiengesetz), Fortsetzung auf folgender Seite


Kommunal-Info 4/2017 bei einer Genossenschaft die Vorstandsmitglieder (§ 24 Abs. 1 Genossenschaftsgesetz), bei einer Kommanditgesellschaft auf Aktien der Komplementär (§§ 278 Abs. 2, 170 HGB), bei einer GmbH der Geschäftsführer (§ 35 GmbH-Gesetz), bei einem Verwaltungsverband oder Zweckverband der Verbandsvorsitzende (§§ 22 Absatz 1 bzw. 56 Absatz 3 des Sächsischen Gesetzes über kommunale Zusammenarbeit), bei Stiftungen entsprechend der Regelung bei Vereinen der Vorstand (§ 86 BGB). Unterschiedliche Auffassungen bestehen darüber, ob Insolvenz-, Nachlass- und Zwangsverwalter sowie der Testamentsvollstrecker der gesetzlichen Vertretung gleichzustellen sind und demzufolge ein Mitwirkungsverbot besteht.5 Eine Vertretung kraft Vollmacht (rechtsgeschäftliche Vertretung, §§ 164ff. BGB) liegt dann vor, wenn eine Vollmacht durch ausdrückliche Erklärung gegenüber dem zu Bevollmächtigenden oder dem Dritten, dem gegenüber die Vertretung ausgeübt werden soll, erteilt worden ist. Liegt eine Generalvollmacht vor, ist aber der Gemeinderat momentan in der betreffenden Angelegenheit nicht vertretungsberechtigt, bleibt er trotzdem ausgeschlossen. Im Falle der Einzelvollmacht gilt: War der Gemeinderat in derselben Angelegenheit einmal bevollmächtigt, besteht hingegen diese Vollmacht nicht mehr, so ist kein Ausschlussgrund mehr gegeben. Besteht jedoch die Vollmacht noch, ist er von der Mitwirkung ausgeschlossen. 5. Eine Person oder Gesellschaft, bei der er beschäftigt ist, sofern nicht nach den tatsächlichen Umständen der Beschäftigung anzunehmen ist, dass kein Interessenwiderstreit besteht Entscheidend ist, dass der ehrenamtlich Tätige in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis steht. Ob der Betreffende in leitender oder nur in einfacher Stellung tätig ist, spielt dabei keine Rolle. Nicht dazu gehören frühere Beschäftigungsverhältnisse, unentgeltliche Beschäftigung oder ein werkvertragliches Tätigsein. Nach den „tatsächlichen Umständen“ der Beschäftigung ist eine Interessenkollision dann nicht mehr anzunehmen, wenn keine besondere Sachnähe des ehrenamtlich tätigen Bürgers zu dem betroffenen organisatorischen Teilbereich des Arbeitgebers besteht. Bei öffentlichen Bediensteten ist die Behörde oder Verwaltungseinheit bzw. das Ressort damit gemeint. Ähnliches gilt ebenso auch für größere Privatunternehmen und Konzerne, namentlich bei Zweigbetrieben oder Konzernteilen.6 6. Eine Gesellschaft, bei der ihm, dem Ehegatten, Verlobten oder Lebenspartner oder einem Verwandten ersten Grades allein oder gemeinsam mindestens 10 vom Hundert der Anteile gehören Befangen sind Gemeinderäte, wenn sie selbst oder Verwandte 1. Grades, also die Eltern und die Kinder, an der Gesellschaft mindestens 10% der Anteile gehören. Die 10%-Klausel gilt auch als erfüllt, wenn die Summe der Anteile, die der Gemeinderat und sein Ehegatte, die Eltern oder Kinder innehaben, zu-

Seite 2 sammen diese Hürde übersteigt. 7. Eine juristische Person des privaten Rechts, in deren Vorstand, Aufsichtsrat, Verwaltungsrat oder vergleichbarem Organ er tätig ist, oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, ausgenommen einer Gebietskörperschaft, in deren Organ er tätig ist, sofern er diese Tätigkeit nicht als Vertreter der Gemeinde oder auf deren Vorschlag hin ausübt Diese Bestimmung enthält Befangenheitsvorschriften für Gemeinderäte, die in privatrechtlichen Gesellschaften oder in juristischen Personen des öffentlichen Rechts (ausgenommen davon Gebietskörperschaften) Überwachungs- und Kontrolltätigkeiten in Aufsichts- und Verwaltungsräten oder

für Unterzeichner eines Einwohnerantrags oder eines Bürgerbegehrens, denn diese Gruppen bestehen schon kraft Gesetzes aufgrund der erforderlichen Quoren aus einer erheblichen Anzahl von Personen; gleiches gilt in der Regel auch für Bürgerinitiativen, jedoch ist hier im Einzelfall zu untersuchen, ob dieses Handeln in einem Zusammenhang mit der Mandatsausübung erfolgt oder ob individuelle Sonderinteressen im Spiel sind. wenn eine Entscheidung die gemeinsamen Interessen ganzer Berufs- oder Bevölkerungsgruppen berührt, so z.B. die Gesamtheit der Gewerbetreibenden beim Beschluss des Hebesatzes für die Gewerbesteuer, die Gesamtheit der beitragspflichtigen Grundstückseigentümer beim Beschluss über ei-

vergleichbaren Gremien ausüben oder auch eine Vorstands- oder vergleichbare Tätigkeit wahrnehmen und damit dem Personenkreis angehören, der eine Gesellschaft oder juristische Person nach außen kraft Gesetzes vertritt. Diese Befangenheit besteht nicht, wenn der Gemeinderat zwar in einem Vorstand oder Aufsichtsrat eines kommunalen Unternehmens vertreten ist, jedoch diese Funktion als Vertreter der Gemeinde ausübt. Das gilt in gleicher Weise für Gemeinderäte, die in die Verbandsversammlung eines Zweckverbands entsandt wurden.

ne Erschließungs- oder Straßenbaubeitragssatzung, die Gesamtheit der Hundehalter beim Beschluss einer Hundesteuersatzung, die Gesamtheit der Eltern bei der Festlegung der Kindergartenbeiträge. Bei Abgabensatzungen wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass keine individuellen Sonderinteressen eine Rolle spielen. Abgabensatzungen belasten alle diejenigen gleichmäßig, die einen abgabenrechtlichen Tatbestand der Satzung erfüllen. Sie haben abstrakten Charakter und unterscheiden sich so beispielsweise von einem Bebauungsplan, der einem überschaubaren Kreis von Grundstückseigentümern direkt Rechte und Pflichten zuweist.7 Ein Bebauungsplan kann daher ebenso wenig unter die Ausnahmen vom Mitwirkungsverbot fallen wie etwa eine Abrundungssatzung, ein Flächennutzungsplan, ein Planfeststellungsverfahren, eine Sanierungssatzung, die Veränderungssperre und Zurückstellung von Baugesuchen.8 In Zweifelsfällen kann der Gemeinderat eine Entscheidung über die Befangenheit eines Ratsmitglieds treffen. Diese Entscheidung vermag an der tatsächlichen Rechtslage nichts zu ändern und bindet insbesondere nicht die Rechtsaufsichtsbehörde oder das zu befindende Gericht. Dem Gemeinderat ist es deshalb auch nicht möglich, gegenüber einem besonders vertrauenswürdig erscheinenden Ratsmitglied einen Dispens zu erteilen.9

Ausnahmen vom Mitwirkungsverbot

Kein Interessenkonflikt besteht zwischen allgemeinem bürgerschaftlichen und politischem Engagement, weil der Mandatsträger hier keine individuellen Sonderinteressen verfolgt, sondern höchstens als Interessenvertreter einer Bevölkerungsgruppe in Erscheinung tritt. Das Mitwirkungsverbot gilt außerdem nicht bei Wahlen zu einer ehrenamtlichen Tätigkeit: so z.B. zum stellvertretenden Bürgermeister, Ortsvorsteher, Beauftragten, zur Berufung sachkundiger Einwohner, bei der Besetzung von Ausschüssen, bei der Entsendung von Vertretern in Verwaltungsorgane oder Aufsichtsgremien, wenn Kommunalpolitiker ein Doppelmandat in mehreren kommunalen Vertretungen innehaben, führt ein möglicher Interessenwiderspruch nicht zum Mitwirkungsverbot, z.B. wenn Bürgermeister oder Gemeinderäte kreisangehöriger Gemeinden, die gleichzeitig ein Kreistagsmandat ausüben, über die Kreisumlage entscheiden,

Anzeigepflicht und Mitwirkungsverzicht

Besteht in einer bestimmten Angelegenheit die Vermutung, dass ein ehrenamtlich Tätiger in der Sache befangen ist, hat er dies vor Beginn der Beratung

dem Vorsitzenden anzuzeigen. Er darf dann weder an der Entscheidung noch an der Beratung der Angelegenheit teilnehmen. Er muss seinen Platz im Gremium verlassen und darf weiterhin an der Beratung auf den Zuhörerplätzen teilnehmen. Bei einer nichtöffentlichen Sitzung darf der Betreffende auch nicht mehr als Zuhörer an der Sitzung teilnehmen und muss den Sitzungsraum verlassen. In der kommunalen Praxis treten Situationen auf, die beim ersten Hinsehen eine Befangenheit eines Mandatsträgers vermuten lassen, jedoch nicht unter den Wortlaut des Gesetztextes fallen. Dies gilt insbesondere für „enge Freundschaften“, die im Einzelfall viel gravierender sein können als formale Verwandtschaftsverhältnisse. Der Personenkreis, der eine Befangenheit nach sich ziehen kann, ist in § 20 abschließend bestimmt und kann darüber hinaus nicht erweitert werden. Treten etwa bedenkliche Situationen ein, wie etwa „enge Freundschaften“, können die betroffenen Mandatsträgern nur dazu bewegt werden, im Sinne der „kommunalpolitischen Hygiene“ freiwillig auf eine Mitwirkung an der Entscheidung zu verzichten. Erkennt ein kommunaler Mandatsträger erst verspätet das Vorliegen einer Befangenheit, ist er verpflichtet, die Mitteilung unverzüglich nachzuholen. Um eine verspätete Mitteilung möglichst auszuschließen, sind auch die anderen mitwirkenden Mandatsträger verpflichtet, auf Ausschlussgründe hinzuweisen, die bei einem bestimmten Mandatsträger möglicherweise vorliegen. Für den Bürgermeister besteht die Pflicht, nötigenfalls auch von Amts wegen tätig zu werden, sobald er Kenntnis von möglichen Ausschlussgründen erhält. Kommt ein Mandatsträger seiner Mitteilungspflicht nicht oder nur unzureichend nach, kann wegen der Rechtsfolgen auch ein Schaden entstehen. So kann die Gemeinde einen Verwaltungsprozess deshalb verlieren, weil eine streitgegenständliche Satzung wegen eines Verstoßes gegen § 20 nichtig ist. Dann kann der betreffende Mandatsträger der Gemeinde zum Schadensersatz verpflichtet werden.

Rechtsfolgen

Wirkt ein kommunaler Mandatsträger bei einer Entscheidung mit, obwohl er nach Gesetz als befangen gilt, ist der Beschluss rechtswidrig. Das gilt auch, Fortsetzung auf Seite 3

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushalts finanziert.


Kommunal-Info 4/2017

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Integration.

Eine kommunale Begriffsgeschichte - Teil II Von Konrad Heinze, Chemnitz Den in der Ausgabe 2/2017 erschienenen Beitrag „Integration. Eine kommunale Begriffsgeschichte“ aufgreifend, soll noch einmal kurz auf den Begriff der Inklusion eingegangen werden. Inklusion meint im wesentlichen die Anerkennung von Vielfalt und den gleichberechtigten, barrierefreien Einbezug des Einzelnen in die Gesellschaft und deren Teilbereiche. Dies wird in jüngerer Zeit als Alternative zu Integration diskutiert, eine Debatte, die vor allem aus der Kritik am politischen und öffentlichen Gebrauchs von Integration herrührt. Die dort vorzufindende „unzulässige Personalisierung von Integration, die Vernachlässigung und Ausblendung struktureller Ungleichheiten“1 wird allerdings seinerseits in der Integrationsforschung zunehmend kritisch besprochen. Vor diesem Hintergrund stellt sich nach Hubertus Schröer die Frage, was das Inklusionskonzept zu leisten vermag, was ein auf Teilhabe fokussiertes Integrationsverständnis wie jenes des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration (SVR)2 nicht schaffen kann. Durch einen bloßen „Austausch der Begriffe“3 ist jedenfalls nichts zu gewinnen, vielmehr wäre ein „allzu forsches Vorgehen ohne längerfristige strategische Planung“4 gar kontraproduktiv. Demgegenüber räumt er ein, dass eine Beschäftigung mit den Konzept von Inklusion dazu führen kann, grundlegende Ansichten und Leitbilder von Gesellschaft zu hinterfragen: Insbesondere wenn kritische Einwände gegen das verbreitete Verständnis von Integration zugelassen werden und Teilhabe und Teilnahme im Vordergrund stehen. Letztlich benötigt dies nicht unbedingt einen neuen Begriff, sondern eine pragmatische Integrationspolitik.5 Viola Georgi sieht ebenfalls den Vorzug, dass im Inklusionskonzept die Aufmerksamkeit auf gesellschaftliche Strukturen statt auf Einzelne und Gruppen gelenkt wird. Ferner, dass seit der Ratifizierung der UN-Behindertenkonvention 2009, Inklusion gegenüber Integration mit einem Rechtsanspruch verbunden ist.6 Nichtsdestotrotz stellt sie fest, dass eine teilbereichs- und teilhabeorientierte Integrationspolitik, die die strukturellen Voraussetzungen für die gleichberechtigt Einbeziehung in den verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen schafft, so bereits nahe an den inhaltlichen Kern von Integration heranrückt.7 Allerdings ist festzuhalten, dass die Wissenschaft die Deutungshoheit über die Begriffsbestimmung von Integration verloren hat. „Dieser Befund kann verallgemeinert werden und gilt uneingeschränkt auch für alternative Konzeptionen.“8 Somit ist auch der Inklusionsbegriff ist nicht gegen Verkürzung und Fehldeutung gefeit. Das Dilemma ist nun folgendes: es gibt berechtigte Einwände gegen den Integrationsbegriff und dennoch kann die Forschung

Foroutan hebt ebenfalls die Bedeutung eines neuen Narrativs, einer gemeinsamen großen Erzählung, von der „Einheit der Verschiedenen“ hervor. Im gleichen Atemzug verweist sie aber wiederum darauf, dass diese sich nicht allein auf Symbolik beschränken darf: „Die Politik sollte sich daran messen lassen, wie sie die Öffnung der Strukturen und Institutionen vorantreibt. Sie sollte sich aber auch daran messen, wie sie diese Erzählung einer heterogenen Gesellschaft so verankert, dass Anstrengungen von allen Seiten erwartet werden und nicht mehr nur von Migranten.“16 Dies gilt vom Anspruch, aber stets mit dem Blick für lokalen Gegebenheiten und Möglichkeiten, auch uneingeschränkt für eine linke Kommunalpolitik. nicht auf ihn verzichten. „Der Diskurs zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit bezüglich Migration läuft zentral über den Integrationsbegriff. Auf ihn zu verzichten, hieße, Kommunikationskanäle zu einem Zeitpunkt zu kappen, wo sie in Gang gekommen sind.“9 Diese Kontroverse findet sich in nahezu gleicher Form in kommunalpolitischen Überlegungen wieder. So wägt auch der „Kommunale Qualitätszirkel zur Integrationspolitik“ zwischen Integration und Inklusion ab, freilich ohne zu einer letztgültigen Entscheidung zu kommen und somit aus strategischen Gründen dem Integrationsbegriff vorläufig den Vorzug gibt.10 Mithin bietet sich ein pragmatischer Vorschlag von Frank Gesemann und Roland Roth an, dass im „Kampf der Begriffe stets im Blick bleiben“ sollte, „worüber es sich zu streiten lohnt.“11 Das Augenmerk auf Inhalte und die kritische Betrachtung und Änderung zugrunde liegender gesellschaftlicher Strukturen jenseits von Begriffsdebatten zu richten, schlägt auch Naika Foroutan vor.12 Kurzum stellt sich hier in Bezug auf den Komplex von Migration und Integration die Notwendigkeit dar, sich grundlegend über eine gemeinsame Idee und Vorstellung von einer gegenwärtigen und zukünftigen Gesellschaft zu verständigen. Elementar für diese Vorstellung ist es, dass in ihr alle Menschen unabhängig von Herkunft, sozialer Lage, Religionszugehörigkeit, Aufenthaltsstatus und -dauer über Zugang zu und Teilhabe an allen gesellschaftlichen Teilbereichen verfügen. Hier hinter steht der Gedanke, im Grunde eine inklusive Politik zu betreiben, aber aus strategischen Überlegungen heraus diese vorerst weiterhin Integration zu nennen. Dergestalt kann der Integrationsbegriff selbst weder „demokratisch noch undemokratisch“13 sein, der Gehalt ergibt sich vielmehr aus den konkreten Gebrauchsweisen, Handlungen und Konnotationen in der (lokalen) Öffentlichkeit. Insbesondere jedoch müssen Wertevorstellungen stets an den jeweiligen materiellen Gegebenheiten gemessen und mit der Frage nach so-

zialer Ungleichheit verbunden werden. Ohne die nötigen strukturellen Voraussetzungen müssen Angebote wie Aufforderungen in Richtung EinwanderInnen, an der Gesellschaft teilzuhaben, gleichermaßen zur Farce verkommen. Klaus-Jürgen Bade betont die Wichtigkeit eines positiven und sinnstiftenden Selbstbildes der Einwanderungsgesellschaft, das vielmehr ausdrücken kann, wofür es steht denn wogegen.14 Dies ist insofern bedeutend, als das eine solche Gesellschaft nicht selbsterklärend sondern im genauen Gegenteil sehr kompliziert ist - ein Umstand, der dementsprechend auch vermittelt werden muss.15

Georgi, Viola: Integration, Diversität, Inklusion. Anmerkungen zu aktuellen Debatten mit der deutschen Migrationsgesellschaft, Zeitschrift für Erwachsenenbildung 2 (2015), S. 25. 2 „Integration ist die messbare Teilhabe von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund an den zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens wie z.B. frühkindliche Erziehung, schulische Bildung, berufliche Ausbildung, Zugang zum Arbeitsmarkt, Teilhabe an den rechtlichen und sozialen Sicherungsund Schutzsystemen, bis hin zur (statusabhängigen) politischen Teilhabe.“

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staat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, G § 20, Randnummer (Rn) 61. 4 Ebenda G § 20, Randnummer (Rn) 60. 5 Während das in Sächsische Gemeindeordnung. Kommentar, Hrsg.: Binus/ Sponer/Koolmann, Kommunal- und Schulverlag 2016, S. 89 bejaht wird, steht dem die Auffassung in Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar… G § 20, Rn 41 entgegen. 6 Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar… G § 20, Rn 51. 7 Vgl. Sächsische Gemeindeordnung. Kommentar, Hrsg.: Binus/Sponer/Koolmann, Kommunal- und Schulverlag 2016, S. 92. 8 Vgl. eine Fallübersicht in Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar…, Rn 68ff. 9 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar… G § 20, Rn 101.

...Befangenheit wenn ein kommunaler Mandatsträger irrtümlicherweise und gegen seinen Willen für befangen erklärt und an der Mitwirkung gehindert wurde. Nicht eine Rechtswidrigkeit zieht es nach sich, wenn ein tatsächlich nicht befangenes Ratsmitglied im Vorfeld dazu gedrängt wurde, auf eine Mitwirkung – warum auch immer – zu verzichten, sich aber später herausstellt, dass objektiv gar kein Ausschlussgrund vorgelegen hat. Überhaupt ohne Bedeutung für die Rechtswidrigkeit eines Beschlusses ist die Tatsache, ob denn dass das Mitwirken des ausgeschlossenen bzw. das Nichtmitwirken eines zu unrecht ausgeschlossenen Ratsmitgliedes für das Abstimmungsergebnis entscheidend war. AG — 1 Die nachfolgenden Paragrafenangaben beziehen sich auf die Sächsische Gemeindeordnung sofern nichts anderes genannt wird. 2 In § 18 Sächsische Landkreisordnung gibt es eine analoge Bestimmung zum Mitwirkungsverbot bei Befangenheit für Kreisräte, ehrenamtlich Tätige sowie den Landrat und Beigeordnete in Landkreisen. 3 Vgl. Gemeindeordnung für den Frei-

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Kommunal-Info 4/2017

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Barrierefreie Wohnungen fehlen Studie der TERRAGON* und des DStGB Barrierefreiheit bei Neubauwohnungen für rund ein Prozent der Baukosten realisierbar Bedarf an mindestens 1,6 Mio. zusätzlichen barrierefreien Wohnungen Barrierefreiheit im Neubau deutlich preisgünstiger Barrierefreies Bauen ist keine Frage der Kosten, sondern vielmehr der Konzeption und Planung. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie der TERRAGON und des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB). Die Untersuchung analysiert die Mehrausgaben für barrierefreies Bauen im Vergleich zum konventionellen Bauen anhand eines exemplarischen Wohnungsneubauprojektes und kommt zu einem verblüffendem Ergebnis: Barrierefreiheit macht nur gut ein Prozent der Gesamtbaukosten aus. „In Deutschland fehlen aktuell mindestens 1,6 Millionen barrierefreie Wohnungen, Tendenz steigend. Geleichzeitig sind barrierefreie Wohnungen eine Grundvoraussetzung für eine stärkere ambulante Versorgung der Pflegebedürftigen und damit auch für eine finanzielle Entlastung der Kommunen. Vor diesem Hintergrund kommt den Kosten der Barrierefreiheit eine große gesellschaftliche Bedeutung zu“, sagt Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städteund Gemeindebundes (DStGB). Analysiert wurden im Rahmen der Studie „Barrierefreies Wohnen im Kostenvergleich“ insgesamt 140 Kriterien für barrierefreies Bauen nach der DIN 18040-2. Bei 130 Kriterien zeigte sich, dass Barrierefreiheit nicht mit Mehrkosten verbunden ist, sondern allein mithilfe einer intelligenten Planung erreicht werden kann. Grundlage der Untersuchung war das Musterprojekt eines fünfgeschossigen Wohnungsneubaus in Berlin mit insgesamt 20 Wohnungen und 1.500 Quadratmeter Wohnfläche. Bei einer auf vollständige Barrierefreiheit ausgelegten Variante ergeben sich Mehrkosten in Höhe von 21,50 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Das entspricht Fortsetzung von Seite 3

Integration ... 3

Schröer, Hubertus: Inklusion versus Integration. Zauberformel oder neues Paradigma?, Migration und soziale Arbeit 3 (2013), S. 252. 4 Ebenda, S. 252. 5 Ebenda, S. 253. 6 Vgl. Georgi 2015, S. 25. 7 Vgl. ebenda, S. 26. 8 Filsinger, Dieter: Integration. Ein Paradigma ohne Alternative?, in: Alisch, Monika (Hrsg.): Älter werden im Quartier. Soziale Nachhaltigkeit durch Selbstorganisation und Teilhabe, Kassel 2014, S. 187. 9 Ebenda, S. 188. 10 Vgl. Kommunaler Qualitätszirkel zur Integrationspolitik (Hrsg.): Begriffe der Einwanderungs- und Integrationspolitik. Reflexionen für die kommunale Praxis, Stuttgart 2017, S. 1 und S. 16ff.

1,26 Prozent der reinen Baukosten (KG 300 und 400) pro Quadratmeter Wohnfläche. Bei einer Wohnung mit 75 Quadratmeter Wohnfläche würden sich die Mehrkosten für eine vollständige Barrierefreiheit auf rund 1.600 Euro belaufen. In einer zweiten, kostengünstigeren, aber immer noch barrierefreien Variante sind es sogar nur 9,20 Euro (0,54 Prozent) pro Quadratmeter Wohnfläche. Bezogen auf die Gesamtinvestitionskosten (KG 100 bis 700) belaufen sich die Mehrkosten auf 0,83 Prozent beziehungsweise 0,35 Prozent in der zweiten Variante. „Werden die Mehrkosten von rund einem Prozent in Beziehung zum Anstieg der Grundstückskosten, Kaufpreise oder auch der Grunderwerbsteuer in den vergangenen Jahren gesetzt, so erscheinen sie vernachlässigbar 11

Gesemann, Frank/Roland Roth: Integration ist (auch) Ländersache!, zweite überarbeitete Auflage, Berlin 2015, S. 33. 12 Vgl. Foroutan, Naika: Die Einheit der Verschiedenen. Integration in der postmigrantischen Gesellschaft, IMIS-Kurzdossier 28 (2015), S. 4. 13 Rauer, Valentin: Integrationsdebatten in der deutschen Öffentlichkeit, in: Ezli, Özkan (Hrsg.): Die Integrationsdebatte zwischen Assimilation und Diversität, Bielefeld 2013, S. 80. 14 Vgl. Bade, Klaus-Jürgen: Kritik und Gewalt. Sarrazin-Debatte, ‚Islamkritik‘ und Terror in der Einwanderungsgesellschaft, Schwalbach/Ts. 2013, S. 370/371. 15 Vgl. Rat für Migration (Hrsg.): „Es geht ein Riss durch die Gesellschaft“. Pressemeldung vom 05.01.2015. 16 Foroutan 2015, S. 5.

gering“, sagt Dr. Michael Held, Geschäftsführer von TERRAGON. „Diese geringen Mehrkosten müssen zudem vor dem Hintergrund der erheblichen Vorteile der Barrierefreiheit gesehen werden. Selbstnutzende Eigentümer profitieren vom Komfort bis ins hohe Alter, Vermieter von der besseren und längeren Vermietbarkeit. Zudem wird ein generell höherer Immobilienwert gegenüber nicht barrierefreien Wohnungen erzielt“, erklärt Held. Ein weiteres Ergebnis der Studie: Die Kosten für die Barrierefreiheit sind im Neubau weitaus günstiger. Die durchschnittlichen Aufwendungen für den altersgerechten Umbau im Bestand im Rahmen des KfW-Programms „Altersgerechter Umbau“ beliefen sich laut einer Untersuchung von Prognos auf 19.100 Euro pro Wohnung. Mit diesem Aufwand wurde eine Verringerung der Barrieren, aber keine Barrierefreiheit erreicht. Durchschnittlich wurde das KfW-Programm „Altersgerechter Umbau“ für jährlich rund 25.000 Wohnungen wahrgenommen. Im Jahr 2011 wurde ein Spitzenwert von 43.310 Wohnungen erreicht. „In Deutschland ist jetzt der Zeitpunkt für ein Umdenken gekommen. Denn wir stehen am Anfang einer Phase des vermehrten Neubaus. Jeder Neubau ist eine Chance, zeitgemäßen Wohnraum zu schaffen – Wohnraum, der für Jahrzehnte als Zuhause dienen soll. Aktuell werden jährlich circa 100.000 Wohnungen im Geschosswohnungsbau errichtet. Diese Chance müssen wir mit Blick auf den demografischen Wandel dringend nutzen“, sagt Prof. Dipl. Ing. Lothar Marx, Honorarprofessor an der TU München für „Bauen für alte und behinderte Menschen“ und Mitglied der Normenausschüsse zum altersgerechten Wohnen und zur Barrierefreiheit.

Die Studie empfiehlt Bauherren, den Fokus auf Maßnahmen zu legen, die den höchsten Beitrag zur Barrierefreiheit leisten: ein barrierefreier Hausund Wohnungszugang, ein barrierefreier Aufzug, geeignete Türen und ausreichend große Bewegungsflächen, barrierefreie Bäder mit bodengleicher Dusche sowie ein barrierefreier Zugang zum Balkon. Zur Förderung des barrierefreien Bauens schlägt die Studie zudem vor, das KfW­ Programm „Altersgerecht Umbauen“ auf den Neubau auszuweiten. Demnach könnten 2.500 bis 5.000 Euro pro Wohnung als Zuschuss gewährt werden. „Leider wird Barrierefreiheit bisher noch in vielen Fällen ausschließlich mit den Zielgruppen Senioren und Menschen mit Handicaps in Verbindung gebracht. Dabei bedeutet ein durchdachtes Konzept für Barrierefreiheit nichts anderes als Komfort, von dem Nutzer aller Altersklassen und in allen Lebenslagen profitieren können – ein nachhaltiges Investment, für das sowohl wirtschaftlich, als auch gesamtgesellschaftlich gesehen viele gute Argumente sprechen“, ergänzt Prof. Lothar Marx. * Über TERRAGON TERRAGON Investment GmbH mit Sitz in Berlin ist ein deutschlandweit agierender Projektentwickler von barrierefreien Wohn- und qualitativ hochwertigen Senioren- und Pflegeimmobilien. Das Unternehmen wurde im Jahr 1995 von Dr. Michael Held gegründet und wird von diesem bis heute geführt. Zum Tätigkeitsfeld der TERRAGON Investment GmbH gehören Projektentwicklung, Projektmanagement, Wohnbau und Vertrieb. (Berlin, 6. April 2017. Deutscher Städte- und Gemeindebund, www.dstgb. de)


April 2017

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

ParlamentsReport Renteneinheit statt Rüstung!

Liebe Leserinnen und Leser, der Fall sorgte im letzten Jahr für Aufsehen: Ein psychisch kranker Flüchtling streitet in einem Arnsdorfer Supermarkt verbal mit einer Kassiererin. Plötzlich erscheinen vier Männer – darunter ein CDU-Gemeinderat –, zerren ihn aus dem Laden. Draußen fesseln sie ihn mit Kabelbindern, die sie wohl zufällig dabei hatten (?), an einen Baum. Ein Handyvideo, verbreitet durch besorgniserregende Bürger, macht Furore. Die Vier wurden wegen Freiheitsberaubung angeklagt, unlängst begann der Prozess. Er endete am ersten Tag: Das Amtsgericht Kamenz stellte das Verfahren ohne Verhandlung zur Sache ein, weil die Männer nur eine „geringe Schuld“ treffe und kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung bestehe. Meine Fraktionskollegin Juliane Nagel hat diese Entscheidung als „Freibrief für Selbstjustiz“ bezeichnet. Nun wurde auch noch bekannt, dass die Staatsanwaltschaft – die der Verfahrenseinstellung zugestimmt haben muss – bedroht wurde, der Staatsanwalt erschien unter Personenschutz im Gerichtssaal. Unser Rechtspolitiker Klaus Bartl stellt mit Recht fest: „Schon der Verdacht, dass Furcht und Verunsicherung diese Entscheidung beeinflussten, trifft den Rechtsstaat ins Mark.“ Deshalb dringen wir im Landtag auf Aufklärung darüber, weshalb die Staatsanwaltschaft zustimmte und was sonst hinter dem Fall steckt. Eines steht für mich jedenfalls fest: Das war keine harmlose Aktion „zivilcouragierter“ Bürger. Die vier Männer haben aus meiner Sicht eindeutig die Grenze des Zulässigen überschritten. Das darf nicht Schule machen!

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

Deutschland bleibt gespalten: Der Rentenwert Ost lag 2015 immer noch um 7,5 Prozentpunkte unter dem West-Niveau. Laut Beschluss des Bundeskabinetts soll es noch bis 2025 dauern, bis dieser Rückstand aufgeholt ist. Weshalb das nicht schneller gehen kann, wurde nie schlüssig begründet. Deshalb hat die Linksfraktion im Landtag erneut dafür gestritten, die Lebens- und Arbeitsleistungen von Ostdeutschen anzuerkennen. Der Rentenwert Ost soll schon 2018 auf das Westniveau angehoben werden (Drucksache 6/9062). Bezahlt werden soll das aus Bundesmitteln und nicht mit dem Geld der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Wenigstens ein Teil der Menschen, die 1990 in Rente gingen, soll so eine Chance erhalten, die Renteneinheit zu erleben. Gleichzeitig will die Linksfraktion weitere Ungerechtigkeiten beseitigen, die ostdeutschen Ruheständlern durch die „Rentenüberleitung“ widerfahren sind, und für Entschädigung sorgen. Das betrifft zahlreiche Gruppen, deren Rentenansprüche voll anerkannt werden sollen: Ballettmitglieder und Angehörige künstlerischer Berufe, in der Veredlung von Bodenschätzen tätige Bergleute, Beschäftigte des Gesundheits- und Sozialwesens, pflegende Angehörige, Handwerker und Selbstständige. Es geht aber auch um Teile der wissenschaftlichen, medizinischen, pädagogischen, technischen und künstlerischen Intelligenz; außerdem um Angehörige des öffentlichen Dienstes, der Armee, der Polizei und des Zolls, die nach 1990 ihre Tätigkeit fortgesetzt haben. Auf der Liste stehen nicht zuletzt ehemalige Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post der DDR. Hinzu kommt der Kampf um die Rentenansprüche einer weiteren Gruppe: Personen, die nach 1936 geboren wurden und die bis zum 9. November 1989 aus der DDR ausreisten, flüchteten, abgeschoben oder ausgesiedelt wurden. Auch Frauen, die vor 1992 in der DDR geschieden worden sind, sollen entschädigt werden. Für all diese Punkte soll die Landesregierung auf der Bundesebene streiten. Susanne Schaper, Sprecherin der Linksfraktion für Sozialpolitik, fällt ein klares Urteil: „Die Benachteiligung von Menschen im Osten wirkt sich Tag für Tag negativ auf deren Leben aus. Das ist nicht nur einfach unsozial, sondern es ist Unrecht.“ Der Blick auf die Renten-Zahlbeträge mache deutlich, dass die Renteneinheit auch ein Mittel gegen Altersarmut wäre. Neurentner im Osten erhalten inzwischen durchschnittlich nur noch 888 Euro, im Westen sind es 925. Frauen sind noch schlechter dran. Es gebe indes keine Garantie, dass die Bundesregierung den Termin 2025 halten werde, so Schaper. Sie rief CDU und

SPD zu: „Selbst wenn es bei diesem Datum bleiben sollte, ändert das nichts an Ihrem Versagen. Wer 1990 mit 65 Jahren in Rente ging, muss Ihren Plänen zufolge 100 Jahre alt werden, um die Renteneinheit zu erleben. Mit Blick auf die durchschnittliche Lebenserwartung müsste man Ihnen zynisch gratulieren – Sie hätten das Problem biologisch gelöst.“ So weit dürfe es nicht kommen. Die Rentenangleichung koste jähr-

not. Schließlich lässt sich keine vernünftige Rechtfertigung dafür finden, dass es 35 Jahre dauern soll, bis die Betroffenen – vielleicht! – ihr Recht bekommen. CDU-„Sozialpolitiker“ Alexander Krauß klammerte sich folglich an einen Strohhalm und unterstellte der Linksfraktion, es gehe ihr „vor allem um die Stasi-Leute, die Ihnen besonders am Herzen liegen!“ Schaper konterte: „Herr Krauß, ich habe schon

lich bis zu vier Milliarden Euro, das sei bezahlbar – wenn die Herrschenden nur wollten. „Man könnte zum Beispiel das Geld nehmen, das eingeplant wird, um den Wehretat zu erhöhen. Man will ja wohl Trumps Wehklagen gehorchen und als NATO-Staat zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Rüstung verschleudern. Mit dem dafür angesetzten Betrag von 20 Milliarden Euro ließe sich nicht nur das Rentenproblem lösen.“

viel von Ihnen gehört. Aber das, was Sie heute vorgebracht haben, war wirklich jenseits von Gut und Böse. So am Thema vorbeizureden, bewusst auf das Thema Stasi abzuzielen und damit eine ganze Rentnergeneration über einen Kamm zu scheren – das ist unsäglich. Mit keinem Wort steht in unserem Antrag etwas derartiges.“

Die seit Jahrzehnten in Bund und Land regierende CDU geriet angesichts solcher Forderungen in Argumentations-

Das Rentenunrecht empfinden als Entwertung ihrer Lebens- und Arbeitsleistung. Es verhindert eine vollständige deutsche Einheit. Die Linksfraktion will sie umsetzen!

Was wir ins neue Schulgesetz gepackt hätten? n Bis Klasse 8 gemeinsam lernen n Kleinere Klassen: Bei 25 ist Schluss n Lernmittel und Schulweg kostenlos n Inklusion als Regelfall n Schulsozialarbeit flächendeckend n Ganztagsangebote für alle www.linksfraktion-sachsen.de


PARLAMENTSREPORT

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April 2017

Der Wind gehört allen

Die Energiewende gehört in die Hand der Bürgerinnen und Bürger! Wenn im Freistaat neue Windenergieanlagen gebaut werden, sollen ortsansässige Bürgerinnen und Bürger sowie die Kommunen die Möglichkeit erhalten, Miteigentümer zu werden. Dann würden sie auch an der Rendite der Anlage beteiligt. Marco Böhme, Sprecher für Klimaschutz, Energie und Mobilität, stellte im Landtag das „Gesetz zur Stärkung der Windenergienutzung im Freistaat Sachsen“ (Drucksache 6/9197) vor, mit dem die Linksfraktion das möglich machen will. „Wir orientieren uns an dänischem Recht, wo Menschen, die in der Nähe von Windenergieanlagen wohnen, entschädigt

werden. Vorbild ist auch Mecklenburg-Vorpommern, wo CDU und SPD mit Unterstützung von LINKEN und Grünen eine Beteiligung an Windenergieanlagen ermöglicht haben.“ Natürlich können sich schon heute überall Bürgerinnen und Bürger zusammenschließen, beispielsweise eine Genossenschaft bilden und ein Bürgerwindrad finanzieren. Unter den 800 Anlagen in Sachsen gibt es aber nur zwei, an denen sich Bürger finanziell beteiligen konnten. In allen ande-

ren Fällen sind die privaten Investoren die alleinigen Eigentümer – und damit Profiteure. Die Linksfraktion will nun alle Windrad-Investoren verpflichten, mindestens 20 Prozent ihres Investitionsvolumens zum Kauf anzubieten. Anwohnerinnen und Anwohner, die in einem Umkreis von fünf Kilometern an der Anlage wohnen, und die entsprechenden Kommunen sollen jeweils bis zu zehn Prozent der Eigentumsanteile erwerben dürfen. Dabei erhalten zunächst alle Kaufberechtigten je einen Anteil. Danach erhalten jene

Interessenten, die jeweils einen weiteren Anteil zeichnen möchten, einen solchen, bis die 10-Prozent-Grenze erreicht ist. Die Gemeinden sollen drei Monate lang die Möglichkeit haben, sich für einen Anteilskauf zu entscheiden. Sie dürfen bis zu zehn Prozent der Anlage erwerben und jährlich von der Rendite profitieren. Entscheiden sie sich dagegen, verfällt ihr Kaufrecht und der Investor zahlt ihnen daraufhin ab dem zweiten Betriebsjahr jährlich zwei Prozent der Erlöse, die zweckgebunden für Maßnahmen des Klimaund Umweltschutzes verwendet werden müssen. Auch bei der Anlagenplanung soll es mehr Bürgermitsprache geben. Investoren sollen mit einer öffentlichen Veranstaltung über ihre Pläne informieren. Repräsentative Planungszellen, die per Zufalls-Stichprobe aus der Bevölkerung besetzt werden, erstellen dann ein Bürgergutachten zur Eignung eines Standortes, das in die politische Entscheidungsfindung im Planungsverband einfließt. Böhme: „So wollen wir den Stromsektor zumindest teilweise in die öffentliche Hand zurückführen. Das ist aktive Bürgerbeteiligung und schon lange überfällig!“ Und vielleicht erwärmen sich dann manche Herzen auch für die ungeliebten Windräder.

Foto: Nuon/Jorrit Lousberg / flickr.com / CC BY-NC 2.0

Windräder sind unbeliebt. Das ist schon paradox, denn sie sind nicht nur wichtige Teile einer sauberen Energienutzung, ohne die unser Planet auf Dauer nicht überleben wird. Sie ermöglichen gleichzeitig Milliardeninvestitionen, die gerade den strukturschwachen Gebieten im Osten zugutekommen könnten. Warum lehnen viele trotzdem neue Windkraftanlagen ab? Ein wichtiger Grund: Sie haben nichts davon. Die erwirtschafteten Erträge fließen in die Taschen von wenigen, die in der Regel woanders wohnen. Umsätze und Steuern fließen ab, aber die Windräder bleiben.

TU Chemnitz soll wieder mehr Lehrkräfte ausbilden! In Südwestsachsen mit dem Oberzentrum Chemnitz lebt rund ein Drittel der sächsischen Bevölkerung. Hier wird ein Drittel der Wertschöpfung erbracht. Wie schon im 19. Jahrhundert schlägt dort das industrielle Herz Sachsens, auch jenseits des starken Automobilbaus in der Region. Soll sich das nicht ändern, wird vieles davon abhängen, ob genug Fachkräfte in der Region ausgebildet werden – und auch bleiben. Fachkräftesicherung beginnt in der Schule. Sie gelingt nur, wenn es genug qualifizierte Lehrkräfte gibt. Die wiederum sind nur mit guten Studienmöglichkeiten zu haben. An der TU Chemnitz liegt dabei einiges im Argen. Deshalb beantragte die Linksfraktion die Debatte „Lehramtsausbildung an der TU Chemnitz stärken!“ Bis 1997 wurden an der TU Chemnitz Lehrkräfte ausgebildet. Dann wurde die Ausbildung abgeschafft und nur in geringem Maße wieder aufgenommen. Die Chemnitzer Abgeordneten der Linksfraktion, Susanne Schaper, Klaus Bartl und Nico Brünler, fordern gemeinsam mit Bildungsexpertin Cornelia Falken „nicht nur eine dauerhafte Absicherung, sondern einen Ausbau der Lehramtsausbildung in Chemnitz“. Darin sind sie sich einig mit Spitzenvertretern der Landkreise, der Stadt, von Wirtschaftsverbänden sowie Großunternehmen. Die hatten die Staatsregierung aufgefordert, in Chemnitz künftig nicht nur Studiengänge für das Grundschullehramt, sondern auch für das Lehramt an Ober- und Berufsschulen anzubieten.

TU-Rektor Gerd Strohmeier äußerte, dass die TU bereit sei, die nötigen Mittel aber vom Freistaat kommen müssten. Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) macht da allerdings nicht mit, der Rest der CDU-geführten Regierung ebensowenig. Dabei verfügen in der Region Chemnitz zwischen 50 und 70 Prozent der neu eingestellten Lehrkräfte an Grund- und Oberschulen nicht über eine pädagogische Ausbildung. Das Interesse am Lehramtsstudium ist indes groß, in Chemnitz gibt es bis zu zehnmal mehr Bewerbungen als Plätze. Die Ausbildung ist attraktiv, obwohl sie unter erschwerten Bedingungen stattfindet: Professuren sind zum Teil unbesetzt. Die meisten Studierenden kommen aus der Region, wollen bleiben. Cornelia Falken glaubt: „Über kurz oder lang werden wir nicht umhinkommen, das Lehramtsstudium in Chemnitz aufzustocken.“ Es sei oft darüber gesprochen worden, dass die CDUgeführten Staatsregierungen es verschlafen haben, das Lehramtsstudium langfristig zu planen. Zwar sei die Zahl der Studienplätze landesweit von 1.700 auf 2.000 erhöht worden, aber es sei klar, dass das nicht reichen werde. Denn nicht alle, die jetzt auf Lehramt studieren, würden bleiben. „Die Bedingungen an sächsischen Schulen sind nicht die besten. Es ist nicht nur das Gehalt, sondern vieles andere auch.“ Es sei problematisch, zwar in Leipzig und Dresden genug Nachwuchs auszubilden, das aber in Chemnitz zu unterlassen. Um eine ausreichende Versorgung der Fläche zu sichern, müsse sogar dar-

über nachgedacht werden, weitere Ausbildungsorte zu reaktivieren. „Es gab Zeiten, in denen es mehr als 30 Standorte in Ostdeutschland gegeben hat und in Sachsen mehr als zehn Standorte, an denen nur Grundschullehrer ausgebildet worden sind.“ Wirtschaftspolitiker Nico Brünler zitierte den Hauptgeschäftsführer der Chemnitzer Industrie- und Handels-

kammer, die Sicherung des Lehrkräftenachwuchses scheine derzeit die wichtigste Aufgabe der Wirtschaftsförderung zu sein. Die TU sei keine Schmalspur-Universität. Gerade ihre Stärke im naturwissenschaftlich-technischen Bereich erlaube die Ausbildung von Berufsschullehrkräften. Die Lehramtsausbildung sei zu stärken. Alles andere wäre der Bedeutung der Region Südwestsachsen nicht angemessen.


PARLAMENTSREPORT

April 2017

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Sollen alle blechen, damit wieder Leben einzieht?

Eine Frage stellt sich auf jeden Fall: Wer kommt für die Folgeschäden auf? Die Bagger lassen Mondlandschaften zurück, die wieder zum Leben erweckt werden müssen. Kraftwerke sind zurückzubauen. Es sind Kosten in Milliardenhöhe zu erwarten. Wer soll zahlen? Die Linksfraktion meint: Zuallererst diejenigen, die Kohle mit der Kohle gemacht haben, also die Bergbau- und Kraftwerksbetreiber. Probleme entstehen, wenn diese sich durch Umstrukturierung oder Konkurs aus der Affäre ziehen. In dem Fall wären auch die Geldmittel plötzlich nichts mehr wert, die das Unternehmen als „bilanzielle Rückstellungen“ gebildet hat. Es ist unklar und auch nicht zu hoffen, dass sich das Vattenfall-Nachfolgeunternehmen LEAG so aus der Affäre ziehen wird. Dennoch ist das Risiko zu groß,

dass am Ende Steuermittel für das Aufräumen verwendet werden müssen. Zumindest für die Nachsorge im Tagebau sieht das Bundesberggesetz die Möglichkeit der Erhebung sogenannter „Sicherheitsleistungen“ vor. Der Staat schätzt die Gesamtkosten für die Rekultivierung und lässt diese Summe als Bankbürgschaft hinterlegen. Im Falle einer Insolvenz ist dann Geld für die Schadensbeseitigung vorhanden. Bei Windrädern, Biogasanlagen oder kleinen Bergbaubetrieben ist dies mittlerweile Usus. Die Linksfraktion fordert (Drucksache 6/6694) die Staatsregierung auf, auch für die großen Tagebaue solche Sicherheitsleistungen einzufordern.

Dies scheut die Staatsregierung jedoch – sie ist offenbar eher bereit, das Ausfallrisiko auf den Schultern aller abzulagern. Auch in der Presse tauchen immer wieder Befürchtungen auf, dass Sicherheitsleistungen die LEAG in die Knie zwingen würden. Allerdings hat Vattenfall dem neuen Eigentümer LEAG 1,7 Milliarden Euro Barmittel für diese Zwecke übergeben. Greenpeace stellt in einem Gutachten fest, dass dieses Geld kurz nach dem Verkauf an Gesellschafter ausgezahlt und somit für die angedachten Zwecke verloren ist. Hinter der LEAG stehen der tschechische Konzern Energetický a Průmyslový Holding (EPH) und der im Steuerparadies Jersey beheimatete Finanzinvestor PPF Investments Ltd. Dr. Jana

Pinka, Expertin der Linksfraktion für Umwelt- und Ressourcenpolitik, sieht in der LEAG ein „Unternehmensgeflecht, dessen Bonität und wirtschaftliche Potenz zunächst unbekannt sind“. Das berge Risiken. Greenpeace habe in seinem „Schwarzbuch EPH“ dubiose Geschäftspraktiken geschildert. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW äußerte sich kritisch. „Wenn nur die Hälfte stimmt, dann könnten wir ein ernsthaftes Problem bekommen“, warnt Pinka. Sie könne deshalb nicht nachvollziehen, dass Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) ausweislich seiner Antworten auf Parlamentsanfragen nicht weiß, wo die 1,7 Milliarden Euro geblieben sind, und wohl auch nicht danach forschen will. CDU und SPD könnten auch nicht erklären, weshalb bei der Braunkohle keine Sicherheitsleistungen erhoben werden. Werde das nicht nachgeholt, sehe sie schwarz für den Strukturwandel in den Bergbaufolgelandschaften. „Der kann nur gelingen, wenn derjenige, der für die Folgelasten verantwortlich ist, auch dafür einsteht. Ansonsten haben wir zwei Baustellen – den Strukturwandel und die Rekultivierung auf Staatskosten.“ Ausstieg und Wandel müssten aber parallel erfolgen. Dafür könnte am Ende weniger Zeit bleiben als heute vermutet wird. Eine Analyse der Kohleverbräuche und Kraftwerksbedarfe zeigt, dass es nicht erforderlich ist, Tagebaue neu aufzuschließen oder zu erweitern. Deshalb hat die LEAG ihre Revierpläne inzwischen verkleinert. Pinka glaubt, dass diesem halben Rückzug ein ganzer folgen wird. „Es könnte bereits 2020 Schluss sein. Bis dahin gelten die Tarifverträge.“ Derweil hat die Staatsregierung im Landeshaushalt keinen Cent für den Strukturwandel eingeplant.

Andreas Levers/flirckr.com/CC BY-NC 2.0

Der Braunkohleabbau in Sachsen hat ein Verfallsdatum. Spätestens seit der UN-Klimaschutzkonferenz in Paris und dem Klimaschutzplan der Bundesregierung ist klar: Das Ende kommt wohl früher als alle dachten. Die CDU klammert sich blind an den heimischen Rohstoff und verweigert den Dialog über einen Ausstiegspfad. Nebenher wird die Energiewende verzögert. So riskiert die CDU einen Strukturabbruch mit neuen Arbeitsplatzverlusten – schließlich hat die Branche nach 1990 schon einen massiven Einbruch hinter sich. Die Linksfraktion geht davon aus, dass der Ausstieg bis 2040 erfolgt. Deshalb ist schon jetzt ein Ausstiegspfad zu entwickeln, der Planungssicherheit bietet. Wir wollen parallel anfangen, diesen Einstieg in eine neue, tragfähige Wirtschaftsstruktur zu organisieren. Denn die Region braucht eine neue Existenzgrundlage, die Beschäftigten in den Tagebauen, Kraftwerken und Subunternehmen brauchen neue attraktive Perspektiven.

Wenn sich all das nicht ändert, kommt am Verfallsdatum das böse Erwachen.

LINKE wollen Bleiberecht für Rassisten-Opfer Auch in Zeiten gesellschaftlicher Spannungen gibt es hoffentlich noch Grundsätze, auf die sich alle einigen können. Einer lautet: Wer gegen das Gesetz verstößt, muss sich dafür rechtsstaatlich verantworten. Das gilt auch für rechtsmotivierte Täter, die Straftaten gegen Geflüchtete begehen. 2016 gab es in Sachsen erneut erschreckend viele solcher Straftaten, darunter 66 Gewaltdelikte. Die Zahl der Angriffe auf Wohnhäuser von Geflüchteten blieb mit 117 auf dem hohen Niveau des Vorjahres. Die Opferberatung der Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie Sachsen e. V. (RAA) diagnostiziert, dass die Zahl fremdenfeindlicher Straftaten zunimmt. 2016 stellte sie 437 Angriffe fest, von denen 306 rassistisch motiviert waren. Indes sind die Aufklärungsquoten etwa bei Straftaten gegen Asylunterkünfte ernüchternd. Anfang Februar 2017 hatten nur 15 von 111 Ermittlungsverfahren

aus dem Jahr 2015 zur Verurteilung geführt, 73 Verfahren wurden eingestellt. 2014 endeten 90 Prozent dieser Verfahren ergebnislos. Opfer rassistischer Gewalttaten sind überwiegend Menschen ausländischer Herkunft. Sie trifft eine solche Straftat besonders schwer, da ihr Aufenthalt in der Regel ungesichert ist. Zu ihrer oftmals schwierigen Lebenssituation, die sich etwa aus fehlenden sozialen Bindungen und einer ungewissen Zukunftsperspektive ergibt, treten dann die körperlichen und seelischen Folgen einer Gewalttat. Ein klares Bekenntnis des Freistaates gegen Rassismus ist ebenso notwendig wie Maßnahmen, die solchen Verbrechen vorbeugen, deren Opfer schützen und die Strafverfolgung absichern. Per Antrag (Drucksache 6/8238) fordert die Linksfraktion deshalb, abgelehnten Asylsuchenden, die nachweislich Opfer rechtsmotivierter

Gewalttäter geworden sind, nach Einzelfallprüfung ein vorübergehendes Bleiberecht zu gewähren. Vorbild ist ein entsprechender Erlass des Landes Brandenburg. Wir wollen, dass die Ausländerbehörden alle Möglichkeiten ausschöpfen, die das Aufenthaltsgesetz bietet. Juliane Nagel, Sprecherin der Linksfraktion für Migrations- und Flüchtlingspolitik, stellt klar: „Es geht hier nicht um eine Form von Bevorteilung.“ Im schlimmsten Fall könne die Abschiebung der Betroffenen schließlich dazu führen, dass die Täter mangels Zeugenaussagen straffrei bleiben. „So werden rassistische Täter de facto geschützt, das kann nicht sein.“ Die Strafverfolgung dürfe nicht gefährdet werden. Nagel berichtete vom Fall eines algerischen Asylsuchenden, der 2013 in Dresden rassistisch beleidigt und zusammengeschlagen wurde. Der Täter wurde gefasst, die Staatsanwaltschaft erhob Anklage. Doch die Aus-

länderbehörde verlängerte den Aufenthalt des Opfers nicht, der Mann konnte im Prozess weder aussagen noch seine Rechte als Nebenkläger wahrnehmen. Ein Erlass wie in Brandenburg könnte solche Fälle verhindern und auch generalpräventiv wirken. Rechte Täter müssten befürchten, mit ihren Verbrechen die Abschiebung ihrer Opfer zu verhindern. „Letztlich lässt sich Rassismus jedoch nur durch Bildungsarbeit und das alltägliche Zusammenleben mit Migrantinnen und Migranten zurückdrängen“, so Nagel. Die Staatsregierung sieht jedoch „keine Veranlassung, über die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten hinaus weitere Vorkehrungen oder Maßnahmen zu ergreifen“. So bleibt es weiter möglich, dass Opferzeugen abgeschoben werden und die Strafverfolgung beeinträchtigt wird. Das dürfte weitere Spannungen begünstigen.


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PARLAMENTSREPORT

April 2017

Braucht das Deutsche ein Reinheitsgebot? „Altparteien lehnt AfD-Gesetz zum Schutz der deutschen Sprache im Landtag geschlossen ab.“ Mit dieser auf amüsante Weise verunglückten Schlagzeile, jüngst auf den AfDInternetpräsenzen zu finden, wäre zum Thema dieses Artikels eigentlich schon alles gesagt.

Plenarspiegel

April 2017

Die 52. und die 53. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages fanden am 11.04.2017 und am 12.04.2017 statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit folgenden parlamentarischen Initiativen vertreten: Aktuelle Debatte „Sicherung des Lehrkräftebedarfs ist auch regionale Wirtschaftsförderung – Lehramtsausbildung an der TU Chemnitz stärken!“ Gesetzentwürfe „Gesetz zur Stärkung der Windenergienutzung im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/9197)

Aber nein: Werfen wir ausnahmsweise einen Blick auf diesen exemplarischen Fall der AfD-Politik im Landtag. Mit einem Gesetzentwurf begehrten die blau-braunen „Vaterlandsretter“ eine Änderung der Landesverfassung. Sie wollten den folgenden Satz aufnehmen: „Die deutsche Sprache ist ein Kulturgut. Diese schützt und fördert der Freistaat Sachsen“. Die Stilistik dieser Formulierung ist merkwürdig, denn eigentlich ging es der AfD – das zumindest behauptete sie – ja nicht um den Schutz der Sprache an sich, sondern um den des Kulturguts Sprache. „Dieses“ statt „diese“ wäre also treffender gewesen. Auch der Titel des Entwurfs – „Gesetz zur Aufnahme der deutschen Sprache als Kulturgut in die Sächsische Verfassung“ geht fehl, schließlich soll ja nicht die Sprache als Kulturgut selbst, sondern der Schutz derselben in die Verfassung aufgenommen werden. Doch genug der Spitzfindigkeiten. Wie ein solcher Schutz konkret aussehen soll, sagt die AfD jedenfalls nicht. LINKEN-Kulturpolitiker Franz Sodann jedenfalls hegt geringe Erwartungen daran, was sich mit einer solchen Verfassungsänderung erreichen ließe:

ten das Recht zuspreche, ihre Sprache zu pflegen, aber das „vermeintlich Selbstverständliche“ – die deutsche Sprache – „nicht hinreichend“ berücksichtige. Diese Kritik ist entlarvend, so Sodann: „Es sind die Minderheiten, die unseres Schutzes bedürfen, und nicht die Selbstverständlichkeiten.“ Die deutsche Sprache sei nicht bedroht, auch wenn die Literatur seit dem 17. Jahrhundert um sie fürchte. 180 Millionen Menschen, davon 100 Millionen Muttersprachler, hielten Deutsch auf Platz 10 der meistgesprochenen Sprachen. Die deutsche Akademie für Sprache und Dichtung stelle fest, dass ihr Wortschatz allein in den letzten 100 Jahren um 1,6 Millionen auf insgesamt 5,3 Millionen Wörter gewachsen ist. Deutsch stehe auch nicht auf der UNESCO-Liste der bedrohten Sprachen, anders als Ober- und Niedersorbisch. „Sollte sich bei Ihnen der Eindruck der Verarmung manifestiert haben, so liegt es nicht an unserem Sprachschatz, sondern an denen, die von der Sprache Gebrauch machen. Vielleicht liegt es auch an Ihrem populistischen Umgang mit unserer Sprache, der das Gefühl bei Ihnen überwiegen lässt, dass es mit derselben bergab geht“, rief Sodann der AfD zu. Die AfD zeigt auch an anderer Stelle ihres Textes, dass ihre politische Haltung der Sprache eher schaden als nützen könnte. Da heißt es: „Eine Sprache muss sich dynamisch aus sich heraus entwickeln.“ Für Sodann ist das schlicht „Humbug“. „Sprachen brauchen seit jeher auch Einflüsse von

Anträge „Lebens- und Arbeitsleistungen von Ostdeutschen anerkennen – Rentenwertangleichung - Ost auf das Jahr 2018 vorziehen, Rentenund Versorgungsunrecht - Ost beenden.“ (Drs 6/9062)

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„Bleiberecht im Freistaat Sachsen für Opfer rechtsmotivierter Straftaten“ (Drs 6/8238) „Übernahme der Braunkohlesparte von Vattenfall durch EPH und dessen Finanzpartner PPF: Sicherheitsleistungen für aktive sächsische Braunkohletagebaue anordnen“ (Drs 6/6694) Wahlvorschläge Das Plenum wählte MdL René Jalaß gemäß § 4 des Untersuchungsausschussgesetzes zum stellvertretenden Mitglied des 1. Untersuchungsausschusses „Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen“ sowie zum Schriftführer für das Parlament. Alle Drucksachen unter www.edas.landtag.sachsen.de

„Nicht mehr und nicht weniger als durch eine Verfassungsänderung, die festlegt, dass es in Deutschland vier Jahreszeiten gibt.“ Überhaupt sei leicht zu durchschauen, wofür solche Vorstöße der AfD eigentlich dienten: als bloße Stütze ihrer Parteitaktik. „Ihnen geht es doch gar nicht darum, irgendwen oder irgendetwas zu schützen. Sie schwingen sich als vorgeblicher Vertreter der sächsischen Bevölkerung auf und fühlen sich stellvertretend gegenüber Minderheiten benachteiligt.“ Dort liegt auch der Kern dieses AfD-Vorschlags, der beklagt, dass die Verfassung zwar nationalen und ethnischen Minderhei-

außen, von anderen Sprachen und Kulturen, damit sie sich weiterentwickeln, damit Menschen kommunizieren können. Wenn es den steinzeitlichen Höhlenbewohnern in den Sinn gekommen wäre, ihre Lautsprache von ,Na‘, ,Pa‘, ,Gg‘, ,Ma‘, ,Scht‘ bis hin zum ironisierten ,Ugga ugga‘ verfassungsrechtlich festzuschreiben und sie so von äußeren Einflüssen fernzuhalten, dann würden wir heute auch in diesem Haus ganz anders mit einander sprechen. Dann hätte es vermutlich auch Goethe und Heine nicht gegeben.“ Abschottung heißt die AfD-Devise also auch hier, passend zu ihrem allgegenwärtigen Heilsversprechen, der homogene

Nationalstaat werde alle Probleme der globalisierten Gesellschaft lösen. In den USA erfahren die Bürgerinnen und Bürger derzeit, wie sich dieses Abenteuer, diese Zeitreise in die Vergangenheit anfühlt. Mit alldem nicht genug. „Ideologische Eingriffe ,von oben herab‘“ dürften der deutschen Sprache „nicht aufgezwungen werden“, fordert die AfD. Gleichzeitig will sie offenbar genau solche Eingriffe im Hohen Hause beschließen lassen, um Anglizismen und gendergerechte Sprache zurückzudrängen. Was so manchem unter uns hässlich vorkommen mag, ist aber noch lange nicht gefährlich – ganz im Gegensatz zum Streben der AfD, Vokabeln aus dunklen Zeiten wie „Lügenpresse“, „völkisch“, „Volksverräter“, „Überfremdung“ wieder salonfähig zu machen. Sprache schwebt schließlich nicht im luftleeren Raum, sondern sie beeinflusst unser Zusammenleben, manchmal auf grausame Weise. Das deutsche Bier mag ein Reinheitsgebot brauchen – die deutsche Sprache sicher nicht.

Termine »Stefan Heym – einer, der nie schwieg« Reihe von Lesungen aus den Werken des berühmten deutschen Schriftstellers, vorgetragen von Peter Sodann, Annette Richter und Franz Sodann. Termine noch bis zum 6. Juni 2017, Beginn ist jeweils um 18 Uhr. Die geplanten Veranstaltungen: 10.5.2017, Hoyerswerda 11.5.2017, Lugau 12.5.2017, Kamenz 24.5.2017, Niesky 7.6.2017, Mittelsachsen (Ort wird noch bekannt gegeben) 8.6.2017, Vogtland (Ort wird noch bekannt gegeben) 9.6.2017, 16:30 Uhr, Chemnitz Veranstaltungsinformationen unter gleft.de/1Br

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig


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