Zwischen devoter Haltung und aktiver Unterstützung
Neu: Links! im Digitalabo. Jede Ausgabe schon drei Tage früher im Mailpostfach! Jetzt kostenlos bestellen: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder 0351-84 38 9773.
Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt November 2016
Es ist eine Bilanz des Grauens: Am 23. Oktober gab der Justizminister der Türkei bekannt, dass nach dem gescheiterten Putsch im Juli 35.000 Menschen verhaftet worden seien, nach 4.000 werde noch gefahndet – die NGO „Human Rights Watch“ spricht auch von Folter. Insgesamt habe man 82.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Zahl suspendierter Personen wird auf 101.000 geschätzt. Das alles ist legitimiert durch Notstandsdekrete, zu denen das türkische Parlament Präsident Erdogan nach dem Putsch ermächtigt hat. Auch kritische Medien wurden seitdem größtenteils verboten. Der Chefredakteur der Tageszeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar, hat sich ebenso wie türkische Diplomaten in Deutschland in Sicherheit gebracht. Doch das ist nicht alles: Bereits vor dem Putsch war die fragile Annäherung zwischen türkischem Staat und türkischen Kurden, in Zuge derer auch die PKK 2013 eine Waffenruhe verkündet hatte, beendet worden. Erdogans Türkei führt erneut einen offenen Krieg gegen die eigene kurdische Bevölkerung: Häuser werden zerstört, Menschen sterben, der bisher zumindest an kurdischen Privatschulen erlaubte Unterricht in türkischer und kurdischer Sprache ist verboten. 181 Politiker der kurdische Interessen vertretenden Parteien HDP und DBP wurden festgenommen. Und der Krieg gegen die Kurden geht jetzt auch über die Landesgrenzen hinaus. Am 19. Oktober verkündete das türkische Militär, man habe bei einem Luftangriff im Nordirak 200 kurdische Kämpfer getötet – Kurden, die gemeinsam mit den USA und auch der Bundeswehr gegen den IS kämpfen. Man sollte meinen, Herrscher, die so undemokratisch und inhuman handeln, müssten mit scharfen Restriktionen der internationalen Gemeinschaft rechnen. Was aber macht die Bundesregierung? Sie tut genau nichts, um vor allem den Flüchtlingspakt mit Erdogan
nicht zu gefährden. Stattdessen distanzierte sie sich aus diesem Grund auch von der Armenienresolution des Bundestags. Die Bundeswehr fliegt zudem weiterhin Aufklärungseinsätze vom türkischen NATO-Luftwaffenstützpunkt Incirlik, obwohl die türkische Regierung lange einen Besuch zuständiger Bundestagsabgeordneter verweigerte. Und als ob das nicht reicht, will die Bundesregierung den Einsatz verlängern und den Luftwaffenstützpunkt mit 58 Millionen Euro öffentlicher Gelder ausbauen. Dieses devote Handeln der Bundesregierung ist zurückzuführen auf die Machtposition Erdogans, derer er sich nur zu bewusst ist. Das Flüchtlingsabkommen und die Türkei als – vermeintlicher – Bündnispartner im Kampf gegen den IS wurden hier erwähnt. Doch muss sich die Bundesregierung fragen lassen, wo die Grenze zwischen devoter Haltung und aktiver Unterstützung eines zunehmend grausamen und diktatorischen Regimes verläuft. Aus dem Rüstungsexportbericht der Bundesregierung für das erste Halbjahr 2016 geht hervor, dass ausgerechnet der Export von Munition für Kleinwaffen, denen weltweit am meisten Menschen zum Opfer fallen, in die Türkei erheblich zugenommen hat. Sie ist von Platz 25 auf Platz acht der Hauptexportländer gestiegen. Wie viele Kurden mussten wohl durch deutsche Munition sterben? Wir fordern von der Bundesregierung, endlich zu handeln. Zwei Maßnahmen stehen ganz vorne: ein Stopp von Waffenlieferungen in die Türkei. Und: Der Einsatz der Bundeswehr in der Türkei muss sofort beendet werden. Sonst macht sich die Bundesregierung mitschuldig an den von Erdogans System begangenen Verbrechen und droht, ihre Glaubwürdigkeit in Fragen ziviler Außenpolitik nachhaltig zu beschädigen. Michael Leutert (DIE LINKE), MdB, im Haushaltsausschuss zuständig für internationale Politik