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Pellmann hat gezogen

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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt November 2017

Marko Forberger sprach mit Sören Pellmann, dem einzigen in Sachsen direkt gewählten LINKEN Bundestagsabgeordneten. Unterstützt vom Wahlkampfmaskottchen „Roter Bär“ haben Sie in Leipzig einen großartigen Erfolg erzielt. Was war ausschlaggebend, denn der Trend ging ja in eine andere Richtung? In der Tat trotzen wir dem allgemeinen Abwärtstrend der Partei in Ostdeutschland und setzten mit dem Gewinn des bundesweit einzigen Direktmandats jenseits von Berlin ein großes rotes Stoppzeichen gegen den gesellschaftlichen Rechtsdrall. Für den Wahlerfolg kommen mehrere Faktoren zusammen. Zunächst war es ein fulminanter Wahlkampf mit vielen ehrenamtlichen Mitgliedern und meiner Familie. Dafür auch an dieser Stelle nochmals herzlichen Dank an alle Beteiligten. Dann wurde der Erfolg inhaltlich und strukturell systematisch vorbereitet, zum Beispiel schon früh eine genaue soziodemografische Analyse des Wahlkreises mit seinen insgesamt 31 Ortsteilen vorgenommen und ein zielgruppenspezifischer Wahlkampf durchgeführt. Die deutliche Verbesserung der Ergebnisse – es gab diesmal 6.198 mehr Erststimmen als 2013 – und die Verluste der CDU in Richtung AfD waren am Ende der Schlüssel zum roten Erfolg in Leipzig. Und bei aller Bescheidenheit: Der Name Pellmann hat gezogen. Die konstituierende Sitzung des Bundestages war sicher ein Kontrastprogramm zu Ihrem Berufsalltag als Grundschullehrer. Wie lief der Abschied an Ihrer Schule in Leipzig-Mockau und was nehmen Sie aus dem Beruf mit nach Berlin? Die Verabschiedung war sehr emotional und einige Tränen flossen, insbesondere in meiner Klasse, aber auch bei mir. Meine KollegInnen schenkten

mir eine Collage mit persönlichen Fotos, das hat mich ebenfalls sehr berührt. Ich werde mich bemühen, diese Verbindung aufrecht zu erhalten, denn die Erdung für Berlin ist mir ganz wichtig. Wenn ich nur an die bedrückende Kinderarmut denke, mit der ich als Lehrer jeden Tag konfrontiert war ... Um die Bodenhaftung zu behalten, bleibe ich Vorsitzender unserer Fraktion im Stadtrat. Ich bin überzeugt, dass sich da viele Synergien mit dem Bundestag ergeben werden. Konnten Sie schon über Projekte nachdenken? Die Verteilung der Ausschüsse und Sprecherposten ist noch nicht erfolgt. Da es unter Jamaika sicher deutlich kälter wird, werde ich mich um einen Sitz im Sozialausschuss bemühen. Bildungspolitik steht für mich natürlich auch weit oben. Und bei Gesine Lötzsch und Petra Pau werde ich mir Rat holen, wie man einen Direktwahlkreis betreut und gegebenenfalls auch verteidigt (lacht). Die Bundestagsfraktion hat neben „schwierigen“ Personalfragen auch über inhaltliche Schritte und den Umgang mit der AfD gesprochen. Wie schätzen Sie das ein? Über den Verlauf der Klausur in Potsdam war ich ziemlich erschüttert. Hier wurde sowohl innerparteilich, aber noch mehr in der Öffentlichkeit, leichtfertig und sinnlos viel Porzellan zerschlagen. Es wird sicher noch länger dauern, diesen Schaden zu reparieren. Beim Umgang mit der AfD ist viel Geschick erforderlich. Wir müssen sie als politischen Gegner strikt bekämpfen, dürfen aber nicht auf jede Provokation hereinfallen. Im Vordergrund steht das strategische Problem, wie eine linke Politik der Rechtsentwicklung und insbesondere der völkischen Instrumentalisierung der „sozialen Frage“ begegnet und wie sie langfristig dazu beitragen kann, die Kräfteverhältnisse so zu verändern, dass der AfD der Boden entzogen wird.


Links! 11/2017 Herr Sielmon, wie verlief die Vorgeschichte der Ausstellung? Vor zwei Jahren hatte ich hier im Hause die Ausstellung „Künstler – Bühne – Show“. Im 25. Jahr der Einheit reflektierten wir die Geschichte deutschdeutscher Künstlerbegegnungen. Im Zusammenhang damit traten wir in Beziehung zu Jörg Stempel … ...dem letzten AMIGA-Chef … Ja, und er betreut die Hinterlassenschaften des Labels bis heute. Diese gemeinsame Ausstellung also vor zwei Jahren muss ihn überzeugt haben, dass „die Bernburger“ das können. Eine Beziehung zu AMIGA haben viele – aber wer weiß schon, wann AMIGA gegründet wurde und welche Jubiläen anstehen? Es war Herr Stempel, der mir vor zwei Jahren davon erzählte. Im Februar 2016 war „Karussell“ in Leipzig unterwegs. „Karussell“ – ich erinnere mich an „Wer die Rose ehrt“ und „Als ich fortging“. Welches Jubiläum hatten die im vorletzten Jahr? Ihr 40. Bandjubiläum. Es erschien die DVD „Karussell – Ehrlich will ich bleiben“ und aus diesem Anlass gab die LVZ-Post eine Karussell-Briefmarkensonderedition mit Sonderstempel heraus. Ich wurde zu diesem Jubiläum eingeladen, und dort hat Jörg Stempel mir gesagt: Nächstes Jahr feiert AMIGA seinen 70. Geburtstag! Als ich ihm sagte, dass wir doch da eine Ausstellung machen könnten, war er allerdings noch nicht so begeistert … Wann kam der Durchbruch? Es vergingen einige Monate, und als ich ihn im Oktober zur Verleihung der „Goldenen Henne“ traf, sagte ich ihm: Du, der Termin für die AMIGA-Geburtstagsausstellung steht bei uns im Kalender! Sie haben also ihrem Freund die Pistole auf die Brust gesetzt, wenn man das so sagen darf. Ohne diese Zusammenarbeit wäre es undenkbar gewesen – allein wenn man an die Rechte denkt, da brauchten wir grünes Licht von AMIGA. Allerdings sind die Rechte auf die Dauer der Ausstellung beschränkt. Wenn es um DDR-Geschichte geht, wird oft eine zeitkritische Betrachtung erwartet, was bei Ostdeutschen oft auf Verwunderung stößt. Das ist eine Geburtstagsausstellung, keine kritische Betrachtung. Im Deutschlandfunk Kultur gab es bereits einen Beitrag. Der Mitarbeiter vermisste die kritische Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit. Ich finde seine Position als Kulturkritik angemessen. Allerdings kam der Mann mit einer vorgefertigten Meinung her und wollte einen Beitrag machen unter der Überschrift „Anpassung, Zensur ...“ Genau das war nicht mein Thema, als ich die Ausstellung konzipierte. Was er erwartete, ist wohl nicht das, was die vorrangig ostdeutschen Besucher erwarten. Die Ausstellung ist durchaus nicht unkritisch, aber wir haben darauf verzichtet, mit dem Zeigestock auf Negatives

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Den AMIGA-Mythos in Bernburg erleben Das Museum Schloss Bernburg (Saale) zeigt die Sonderschau „70 Jahre AMIGA – Mythos und Kult des ersten deutschen Schallplattenlabels“. Ralf Richter war dort und hat mit Ausstellungsleiter Torsten Sielmon gesprochen.

Torsten Sielmon (links) und Jörg Stempel. Bild: Jens Müller. hinzuweisen. Viele Besucher haben sich über die Jahrzehnte an AMIGA-Produkten erfreut und wollen sich einfach erinnern an Musik und Bilder von Schlagersängern und Rockgruppen, die in der DDR bekannt waren. In erster Linie für sie ist diese Ausstellung gedacht. Hier wird die Breite der Palette dargestellt, die AMIGA bediente: Klassik, Schlager, Märchen, Hörspiele etc. Welchen persönlichen Bezug haben Sie zur Musik und zu AMIGA? Ich habe AMIGA-Schallplatten gekauft und gesammelt – fast 80 Prozent der Schallplatten, die hier zu sehen sind, stammen aus meiner Sammlung, in der sich 400 AMIGA-Platten befinden. Die Lizenzplattenwand stammt komplett daraus. Als kleiner Junge war ich begeistert von der Puhdys-Platte „Heiß wie Schnee“. Den Titel „Melanie“ habe ich auf der Waschschüssel mit Begeisterung mitgetrommelt und bin später dementsprechend Schlagzeuger geworden. Ich wurde mit 16 Jahren Musiker in einer Band in den AMIGA-Zeiten, habe zum Beispiel die Einstufung gemacht. Die war notwendig, um in der DDR öffentlich aufzutreten, und sie hatte sowohl Vor- als auch Nachteile. Es gab ja auch bei den öffentlichen Veranstaltungen eine interessante Reglementierung. So etwas Ähnliches gab es in Frankreich auch, was ebenfalls Kulturförderung hieß und dazu führte, dass mehr in der Landessprache statt in Englisch gesungen wird. Die 60-40 Reglementierung bestimmte, dass in den Diskotheken zu sech-

zig Prozent „Ostmusik“ gespielt werden musste und nur zu vierzig Prozent „Westmusik“ erlaubt war. Darunter litten vielleicht manche Disko-Besucher, andererseits trug sie dazu bei, dass einheimische Musik bekannt gemacht, gespielt und auch gefördert wurde. Wir in unserer Band als lokale Tanzmusiker fühlten uns in unserer Kreativität herausgefordert und begannen, eigene Texte und Lieder zu schreiben. Wer kritische Texte in der BRD schrieb oder schreibt, wird auch nicht zwingend im öffentlichrechtlichen Radio gespielt. Lassen Sie mich noch eine Ergänzung machen: Die Reglementierung und Einstufungspflicht hatte auch etwas mit Qualitätssicherung zu tun. Es wurde nicht jeder auf die Menschheit los gelassen, wenn ich es mal so salopp sagen darf. Für die Auftritte wurde eine Art Drehbuch geschrieben mit Begrüßung, Zwischentexten usw. Die Zuhörer sollten einen gestalteten Auftritt aus einem Guss genießen können. Sie haben mit ihrer Ausstellung immensen Aufwand betrieben und die Jüngsten einbezogen. Ich arbeite auch als Museumspädagoge. Wir sind zu den Schülern der Region gegangen und haben das Thema Schallplatte vorgestellt. Am Ende haben die Schüler ihre persönliche Schallplatte auf Papier künstlerisch gestaltet. Die Gestaltung der Plattencover ist auch ein besonderes Thema. Wenn Sie die künstlerisch toll gestalteten Cover zusammen mit den der je-

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weiligen Zeit entsprechenden Abspielgeräten sehen … diese Kompositionen wirken wie emotionale Fotoalben, die Geschichten erzählen. Wer in der Zeit gelebt hat, weiß wovon ich spreche, und wer nicht, kann es sich vielleicht beim Ausstellungsbesuch von seinen Eltern oder Großeltern berichten lassen. Was jeder sehen kann: Die AMIGAPlattencover waren regelrechte Kunstwerke. Wundervolle Lithographien, hochwertige Druckerzeugnisse, die allein ein Kapitel für sich darstellen. Sie zeigen auch Leihgaben. Sehr lohnenswerte. Zum Beispiel die erste Schellackplatte aus dem Jahr 1947, im Mai erschienen – da war AMIGA gerade einmal zwei Monate alt. Der Interpret war Kurt Reimann mit dem Titel „Capri-Fischer“. Ich musste bis nach Bad Muskau fahren, um den Besitzer zu überzeugen, diese Platte zur Verfügung zu stellen. Aber es sind auch andere Exponate zu sehen, wie die Jacke von Tamara Danz bzw. Jürgen Ehle von Pankow oder Frank Schöbels erster Anzug aus dem Jahr 1971. Auf welche interessante Geschichten sind Sie gestoßen? Ich erfuhr, dass Dean Read eine besondere Beziehung zu Bernburg hatte, die hier kaum einer kennt. Der in der DDR bekannte Mann aus Colorado kam in den 80ern Jahr für Jahr inkognito nach Bernburg, um hier am Bett für eine schwerkranke Frau ein Privatkonzert zu geben. Darüber hat er nie gesprochen und ich habe es nur durch die Schwester der schwerstbehinderten Frau erfahren, die inzwischen gestorben ist. Woher kommt der Name Amiga? Amiga ist Spanisch und heißt „Freundin“. Es war der Spanienkämpfer, Schauspieler und Arbeiterlieder-Sänger Ernst Busch, der gute Beziehungen zur sowjetischen Kommandantur hatte und mit deren Genehmigung 1947 das Label aus der Taufe hob. Jedoch war seine private „Lied der Zeit Schallplattengesellschaft mbH“ wirtschaftlich nicht erfolgreich, so dass AMIGA 1954 zum VEB Deutsche Schallplatten Berlin wurde. Wie haben die einstigen AMIGAKünstler mitgespielt? Das sieht man hier an großen Bannern mit Grußbotschaften, von Frank Schöbel, Heinz-Rudolf Kunze, Andreas Holm, Thomas Lück, Angelika Mann und Matthias Reim. Von Peter Maffay ist eine Gitarre dabei. Kunze hat noch eine kleine AMIGA-Platte herausgebracht. Die Verehrung für AMIGA ist durchaus eine gesamtdeutsche Angelegenheit. Somit hatten wir kaum Probleme, an interessante Exponate zu kommen – wenn auch die Bereitschaft zur Unterstützung unterschiedlich stark war. Denn wer heute noch groß im Geschäft ist, wird wegen einer AMIGA-Ausstellung vielleicht nicht extra in den Keller steigen. Umso dankbarer sind wir allen, die uns dennoch unterstützt haben. Wo kann man sich Appetit holen und wie lange ist die Ausstellung sehen? Schauen Sie auf www.hitwand.de. Und bis zum 28. Januar können Ihre Leserinnen und Leser 70 Jahre AMIGA erleben, wozu Sie herzlich eingeladen sind.


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(K)ein freies Kurdistan? Nach langen Jahren der Herrschaft des sogenannten Islamischen Staates über weite Teile Syriens und des Nord-Iraks haben die kurdischen Kämpferinnen und Kämpfer es in diesem Jahr geschafft: Sie haben den Nord-Irak und große Teile des ehemaligen IS-Territoriums auf syrischem Grund zurückerobert. 30 Millionen Menschen leben im Vierländer-Eck Syrien, Irak, Türkei, Iran. Die Kurdinnen und Kurden sind damit das größte Volk ohne Land weltweit. Sie sind mehr als Katalanen, Schotten, Basken oder Korsen. Ende September haben sich 90 Prozent in einem Referendum dafür entschieden, dass sie einen unabhängigen Staat wollen. Prompt drohte der türkische Präsident Erdogan mit einem Einmarsch in den künftigen kurdischen Staat, die Bundesregierung setzte kurzfristig ihre Ausbildungsmission der kurdischen Peschmerga im Nordirak aus. Inzwischen wurde diese allerdings wieder aufgenommen.

Gebiet vergrößert. Massoud Barzani, Präsident der kurdischen Gebiete, deren Hauptstadt Erbil ist, hat alles auf eine Karte gesetzt und damit erst einmal nichts gewonnen. Das Anliegen der Kurdinnen und Kurden, nach Jahrzehnten der Unterdrückung, nach Zwangsumsiedlungen unter Saddam Hussein und nun nach Jahren des Krieges gegen den IS ist endlich einen eigenen Staat zu haben, ist nachvollziehbar. Tatsächlich aber ist es schwierig, eine gute und tragfähige Lösung für die Region Kurdistan und damit auch für die Kurdinnen und Kurden zu finden. So massiv man nachträglich auch die Grenzziehung der Kolonialmächte im Sykes-Picot-Abkommen im Nahen Osten kritisieren

kann – in der derzeitigen Situation die seit 1916 bestehenden Grenzen neu zu verschieben scheint keine sinnvolle Lösung der an allen Orten offenen oder schwelenden Konflikte in der Region zu sein. Es war der IS, der 2014 bei der Sprengung der irakischsyrischen Grenzposten das SykesPicot-Abkommen erstmals für tot erklärte. Auch Massoud Barzani hat das Abkommen für gescheitert erklärt. An anderen Stellen hingegen wurden nun erstmals die Grenzen gefestigt, so beispielsweise im Libanon, dessen Grenzen in den vergangenen Jahrzehnten nur als „porös“ zu bezeichnen waren, und der nun im Kampf gegen den IS die Grenzen erstmals richtig absichert.

Es ist unwahrscheinlich, dass die türkische Regierung der Entstehung eines kurdischen Staates an seiner südlichen Grenze auf dem Gebiet des heutigen Nordens Syriens tatenlos zuschauen würde. Die YPG, die hier die Stellung hält, gilt dem türkischen Präsidenten Erdogan ohnehin nur als ein Ableger der PKK. Israel, das sich als einziger Staat für das Entstehen eines kurdischen Staates ausgesprochen hat, würde wohl ebenso eingreifen wie der Iran, der mit dem Krieg in Syrien seinen Machtbereich nun bis zum Mittelmeer ausgedehnt hat. Separationsbestrebungen sind aus linker Sicht gemeinhin abzulehnen, stehen sie doch im Widerspruch zum Internationalismus, der die linke Außenpolitik kennzeichnen sollte. Es gilt im Fall der Kurdinnen und Kurden wie auch in den anderen Fällen der Abspaltungsbewegungen in etlichen europäischen Ländern: Die Lösung heißt Reden. Anstelle von Säbelrasseln und Drohungen müssen die beteiligten Akteure zusammenkommen und ihre Positionen auf den Tisch legen. Nur mit Gesprächen ist eine friedliche Konfliktlösung möglich, und die braucht der Nahe Osten dringender denn je.

Freies Kurdistan: Ein nachvollziehbares, aber schwer erreichbares Ziel Eines der aktuellen Probleme ist, dass nicht nur über die Gebiete abgestimmt wurde, die in den anerkannten Grenzen von 2005 liegen, sondern auch über die im Kampf gegen den IS gewonnenen Gebiete in Syrien. Um etwa 40 Prozent haben die Kurdinnen und Kurden so ihr potentielles Staats-

• Stefan Liebich

Von Narren und Narrativen Es ist sicher schon 15 Jahre her, da fragte mich ein Freund, der damals seine Brötchen als Kommunikationstrainer verdiente, welche Erzählung die PDS eigentlich anbietet. Das mit der „Erzählung“ war ziemlich neu. Es stand, kurz gesagt, für Kritik und Problemlösungsangebote. Dafür hatte man anno dazumal noch Programme, Grundsatzpapiere, Thesen usw. Heute braucht man dafür „Narrative“, also Erzählungen. Das Wort kommt aus dem Lateinischen, von „narrare“ – erzählen. Kein Text, in dem nicht diese Narrative oder Erzählungen erwähnt werden, die die einen oder die anderen haben oder haben sollten. So weit so gut! Aber was hat es mit „Narren“ zu tun? Wortgeschichtlich hängen die beiden Wörter nicht zusammen. Woher das Wort Narr kommt, weiß man gar nicht genau. Manche leiten es vom spätlateinischen „nario“, der „Nasenrümpfer“ ab, manche meinen, es sei ein schallnachahmendes frühneuhochdeutsches Wort: Im 15. Jahrhundert sagte man für „knurren“ oder „nörgeln“ eben „narren“ oder „nerren“. Artikulatorisch bilden die beiden Wörter

Die Lösung für die Konflikte im Nahen Osten: Diplomatie

durch die gleichen Anlautsilben eine schöne Alliteration, einen Stabreim. Inhaltlich fällt einem vielleicht ein närrischer Nachahmungstrieb bei der gehäuften Verwendung von „Narrativ“ und ein unbedingtes Streben nach Modernität auf. Das macht mir die Sache aber nun nicht nur sprachpflegerisch, sondern auch politisch interessant. Warum? Ich frage: Welche Narrative haben eigentlich die Politikerinnen und -politiker der AfD anzubieten und wie närrisch ist es, ihnen zu folgen? Herr Höcke von der AfD singt das Warnlied vor dem drohenden Verlust einer ethnischen deutschen Zukunft: das Narrativ vom Mischvolk. Herr Meuthen bekräftigt das. Er erzählt uns, dass er zu wenige Deutsche sehe, wenn er durch unsere Städte geht. Da geht ihm wohl Rasse verloren? Das bedrückt Herrn Gauland. Er beklagt in seiner Erzählung bereits den Verlust von Deutschland, will es uns aber zurückholen. Deshalb bläst er zur Jagd; zur Jagd auf die angeblich Schuldigen an diesem Verlust. Das ist zugleich ein schönes Beispiel für die Produk-

tivität deutschen Volksliedgutes bei ihrem Übergang in die Politik: „Fuchs Du hast die Gans gestohlen …“ Knapp vor dem Übergang in heitere Stimmung ob solch närrischer Parallelität bleibt mir aber das schon aufkommende Lachen im Hals stecken. „Mischvolk“, „zu wenig Deutsche“, „Deutsch-

land zurückholen“? Wo nehmen die das her? Wo führt das hin? Es gibt ein Buch, das heißt „Mein Kampf“. Der Autor war Adolf Hitler. Auch dieses Buch handelt von der Jagd, von der Jagd auf Fremdvölkisches und Fremdrassiges. Ein Herr Göring hatte dieses Buch gelesen, und als er Preußischer Innenminister wurde, teilte er dem Volk in einem Propagandafilm mit: „Die Städte müssen wieder gesäubert werden von ihren volks- und rassetrennenden Erscheinungen, die durch ihre zerset-

zende Tätigkeit deutsche Sitten untergraben.“ Herr Göring folgte nur der Stimme seines Herrn. Hitler schrieb im Nachwort von „Mein Kampf“: „Ein Staat, der im Zeitalter der Rassenvergiftung sich der Pflege seiner besten rassischen Elemente widmet, muss eines Tages zum Herrn der Erde werden.“ Nun, Herren der Erde wollen die von der AfD (noch) nicht werden. Sie begnügen sich vorderhand mit Deutschland. So zum Beispiel auch das Mitglied der AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag, Frau Wilke: „Damit wir nicht zu Fremden im eigenen Haus werden – holen wir uns unser Land zurück …“ (Blaue Post, Nr. 10, Seite 4). Sie treibt die Sache weiter: „Solange ich die Rechte eines anderen nicht verletze, kann mich niemand zur Toleranz verpflichten. Mehr noch, jeder hat das Recht zu diskriminieren, also Unterschiede zu machen.“ (ebenda) Hallo, das vergewaltigt aber die deutsche Sprache, und nicht nur diese: Die Bedeutung des Fremdwortes „diskriminieren“ beinhaltet „herabwürdigen“. Unvollständig übersetzt, um Dumme zu fangen und böse Absicht zu verbergen? Es gibt noch ein Narrativ, nämlich dass nicht alle Nazis seien, die die AfD gewählt haben. Das wird wohl stimmen. Dass sie aber offensichtlich Wegbereiter zurück zu den Nazis gewählt haben, könnte eine gefährliche Narretei gewesen sein.


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1,5 Millionen Überstunden Sozial-Skandal des Monats

Der Personalmangel in der Pflege gefährdet schlimmstenfalls Menschenleben, warnt Susanne Schaper nal im Pflegebereich, was vor allem auf die schlechten Arbeitsbedingungen zurückzuführen ist. Dass 27 Jahre nach der sogenannten deutschen Einheit Pflegefachkräfte im Osten immer noch deutlich weniger verdienen als im Westen, ist ein Skandal. Doch eine finanzielle Anpassung an die Verhältnisse in den alten Bundesländern regelt noch lange nicht alles. Auch muss die Bürokratie in der Pflege auf ein Minimum beschränkt werden. Die Pflegekräfte sollen mehr Zeit für ihre Patientinnen und Patienten haben, anstatt sich stundenlang mit Akten und der Dokumentation beschäftigen zu müssen.

Die demografische Entwicklung spiegelt sich in der Zahl der vollstationären Krankenhausbehandlungen. 2016 wurden über eine Million Patientinnen und Patienten in den 78 sächsischen Krankenhäusern behandelt. Die Aufwüchse beim Personal dagegen halten mit dieser Entwicklung nicht Schritt. Das belegen die 1,5 Millionen Überstunden, welche die Pflegekräfte in sächsischen Krankenhäusern mittlerweile angehäuft haben. Dann fällt das überlastete Krankenhauspflegepersonal oft selbst krankheitsbedingt aus, was die Situation weiter verschärft. Die Staatsregierung muss sich daher dringend für mehr Personal in den sächsischen Krankenhäusern einsetzen und endlich einen verbindlichen Personalschlüssel festlegen. Gleichzeitig muss sie die Krankenhausfinanzierung deutlich verbessern, damit Investitionen getätigt werden können, ohne beim Personal einsparen zu müssen.

Ein gesetzlicher Personalschlüssel, wie es ihn schon im Bereich der Kindertagesstätten gibt, kann helfen, die Arbeitsbedingungen im Pflegeberuf deutlich zu verbessern und somit den Beruf attraktiver zu gestalten. Was dieser wunderbare Beruf außerdem braucht, ist mehr Anerkennung und interessante Aufstiegschancen, z. B. durch Akademisierung, um mehr Kol-

Doch das allein wird nicht ausreichen. Schon jetzt fehlt Fachperso-

leginnen und Kollegen gewinnen und ausbilden zu können. Jeder, der arbeitet, braucht schließlich Perspektiven und wünscht sich, dass seine Arbeit auch wertgeschätzt wird. Das ist gerade in diesem Bereich wichtig, der den Beschäftigten psychisch und physisch viel abverlangt. Die Staatsregierung muss daher endlich aktiv werden und darf den Personalmangel und die Zunahme der Überstunden nicht länger hinnehmen. Die Kosten für die oben genannten Verbesserungen dürfen aber nicht allein den Versicherten aufgebürdet werden, die in Sachsen für den Reformationstag ohnehin schon mehr bezahlen als der Rest der Republik. Neben der Forderung, die Parität zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern wiederherzustellen, müssen Mehrkosten aus Steuermitteln finanziert werden. Denn Pflege, egal ob Kranken- oder Altenpflege, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das Thema kann jede und jeden unter uns früher oder später betreffen.

Wenzel zwischen zwei CDs im Dresdner Schauspielhaus In diesem Jahr ist Hans Eckhardt Wenzel 60 geworden – man glaubt es kaum. Da sah man ihn doch vor scheinbar gar nicht so langer Zeit noch im Heimatmuseum in Riesa mit seinem Kumpel Mensching um die PIKO-Eisenbahn kämpfen („Das ist meine PIKO-Eisenbahn – mit der darf ich ganz alleine spielen!“) und nun ist dieser musikalische Clown immer noch auf dieselbe nachdenklich machende Weise lustig – nur eben nicht mehr im kleinen Rahmen. Heute füllt er schon das Dresdner Schauspielhaus und die Karten kosten auch keine Ostmark mehr. Der Herbst 1988 liegt auch schon 29 Jahre zurück … Wenzel war damals ein Geheimtipp und irgendwie ist er es immer noch, obwohl er zu seinem 60. Geburtstag mit einer „Langen Nacht“, einem drei-Stunden-Programm im Deutschlandfunk Kultur gewürdigt wurde. Wer ihn einmal kennengelernt hat, kommt zu seinen Konzerten – oft in kleineren Clubs – immer wieder. Dahin reist er dann gelegentlich allein – im Schauspielhaus tritt er allerdings mit Band auf. Er könnte auch den Saal alleine unterhalten. Doch mit seiner Band ist es einfach ein musikalisches Fest für die Ohren. Jeder der Musiker bekommt Raum und Zeit, um sein Können zu zeigen. Wenzel ist nicht der Boss, er ist der Musikerkollege und ein Spieler unter Spielern. Doch noch ist von Wenzel ist nichts zu sehen auf der Bühne, als zwei Gitarren und ein Schlagzeug

loslegen – dann kommt der langhaarige große Schlaks im Matrosenpulli auf die Bühne gesprungen. Wenzel ist da, zwischen zwei CDs im Dresdner Schauspielhaus. Bei einem bestimmten Lied fließen bei einer Frau in der Reihe vor mir die Tränen – sie lauscht ergriffen, wehmütige Erinnerungen steigen in ihr auf. Zwischendurch wird eine Flasche Meißner Wein von einer anderen Frau zu Wenzels Piano gebracht – der mal zur Konzertgitarre greift, sich dann ans Piano setzt. Die Leute sind amüsiert und irritiert, heute wie vor 30 Jahren. Sein Aktionsradius hat sich allerdings erweitert. Gern ist er in Lateinamerika und nimmt dort auch CDs auf, wie auf Ku-

ba. In Nordamerika bedurfte es eines Hans Eckhard Wenzel, um das Archiv des größten US-Folksängers Woodie Guthrie für die Ohren in der deutschsprachigen Region aufzuarbeiten. Wenzel hat Texte gefunden, zu denen es noch keine Melodien gab und selbst welche geschrieben, er stand mit Woodies Sohn Arlo Guthrie in Thüringen auf der Bühne. Obwohl westdeutsche Liedermacher 40 Jahre länger Zeit hatten, kreative Kontakte zu linken Folksängern in den USA zu knüpfen, musste erst die Mauer fallen, damit sich ein ostdeutscher Liedermacher aufmachte, um Guthries Schätze zu heben. Wenzel hat ein ganzes Programm daraus gemacht und eine CD. Warum im Westen keiner so an das linke Folk-Erbe des „großen Bruders“ USA anknüpfen konnte oder wollte, erschließt sich nur wenn man weiß, dass Woody Guthrie und Pete Seeger in der DDR bekannter waren als im Westen. Dort wurde auch nur der Show-Mann Harry Belafonte herumgereicht. Der aber stellte als engagierter schwarzer Bürgerrechtler bei einem Konzertbesuch im Palast der Republik in Berlin Udo Lindenberg in den Schatten. Der Osten kannte die andere Seite Nordamerikas vermittelt von Leuten wie Victor Grossmann, der aus der US Army in Westdeutschland desertiert war, weil ich er nicht im Vietnam-Krieg kämpfen wollte. Als Journalist im ND und bei Radio DDR stellte er Woody Guthrie vor, der während des Weltkrieges auf sei-

ne Gitarre geschrieben hatte: „Diese Maschine tötet Faschisten.“ Auch Wenzel hat das wohl gehört, und als er es dann konnte, hat er nach den Erben Guthries gesucht. Das Programm führt durch die Jahrzehnte seines Schaffens, aber es ist überwiegend Neueres dabei wie „Stacheldraht, Elektrozaun schützt die Reichen vor den Armen … etwas Bess‘res gibt es kaum, etwas Bess‘res hat die Welt doch wohl niemals hergestellt“. Es sind die Lieder der „Vorkriegszeit“, wie Wenzel unsere Zeit nennt. Und er macht sich keine Zukunftsillusionen, wenn er clownesk das Kind einer nicht allzu fernen Zukunft spielt, das Oma und Opa fragt, ob es denn stimmt, dass sie wohl noch Sex haben mussten um ein Kind zu machen in der „schrecklichen alten Zeit“, wo doch nun inzwischen jedes Kind elektronisch designed und bestellt wird – ganz ohne menschliches Zutun. Dazu gibt es Liebeslieder und weitere Balladen – „Ahoj, ahoj – es geht vorbei“ und „Sterben, aber sterben muss man in Wien“. Nein, man muss ihn hören und erleben, immer wieder, um Zeilen zu hören wie „In dem was Du verlangst gib niemals bei“ und: „Was ein Amerikaner tut ist immer legal.“ Die ihn erlebten und am Ende begeistert klatschten, wissen: Sie würden ihn in 30 Jahren auch noch hören wollen – wenn es sie und ihn dann noch gibt ... • Ralf Richter


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Hintergrund

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Das Ringen um die kulturelle Hegemonie Jour fixe erkundet die intellektuelle Strategien der Neuen Rechten. Von Wulf Skaun

Das wurde für seine konzentrierte Aufmerksamkeit mit manch erhellender Einsicht belohnt. Beispielhaft kann hier nur auf solche zur intellektuellen Strategie der Neuen Rechten verwiesen werden. Deren Denkmuster sind bereits bei Autoren wie Os-

wald Spengler, Ernst Jünger, Ernst von Salomon und Arthur Moeller van den Bruck in Publikationen der Weimarer Zeit zu finden. Nach 1945 wurden sie vom Schweizer Armin Mohler in einer Melange von Nationalsozialismus, europäischem Faschismus und Radikalkonservatismus ausgebildet und weitergetragen. Von den französischen Rechten bezog ihr deutsches Pendant strategische Impulse, wie die Konzentration auf Metapolitik. Nach Weiß gehe es dabei darum, das dem

kerungsteilen zu verankern. Auf diese Weise sei es gelungen, aus Theoriezirkeln auf Rednertribünen, ins Internet und in die Parlamente zu gelangen. Den letzten Schritt zur Revision von '68 stelle nun, so schlussfolgert Weiß, die Bündelung der Kräfte in Gestalt der AfD dar, die die Metapolitik aus dem kulturellen Vorraum auf die politische Hauptbühne überführen soll.

extremismus durch intellektuelle Metapolitik zu steuern, um dadurch kulturelle Hegemonie zu erlangen. Eine intellektuelle Bewegung sei Voraussetzung für den Erfolg der Rechten; eine wirksame Methode sei, sich in die Diskursschlachten um den Zeitgeist zu begeben und durch gezielte Tabuverletzungen Aufmerksamkeit zu erzeugen. Dieses metapolitische Konzept sei, so Weiß, der „gangbarste Weg“ unter demokratischen Bedingungen, nicht etwa der (frontale)

Foto: Andreas Issleib / flickr.com / CC BY-NC-ND 2.0

Jour fixe als Idee: kollektive Aneignung themenrelevanter Literatur für tieferes Verständnis aktueller realpolitischer Vorgänge. Jour fixe als Praxis: Der unkonventionelle Gesprächskreis an der Leipziger Dependance der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen erkundet Mitte Oktober auf seinem 26. Treffen den Ideengehalt des vielbeachteten Buches von Volker Weiß „Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes“, um Genese, Zielsetzung und Methodik der Neuen Rechten besser zu erkennen. Eine brandaktuelle, gewichtige Problematik angesichts des historisch einschneidenden Rechtsrucks, den der Einmarsch der rechtspopulistischen AfD in den neuen Bundestag bedeutet. Moderator Michael Zock räumte Monika Runge denn auch üppige 45 Minuten für ihr Impulsreferat ein. Die Philosophin nutzte sie, um theoretische und empirische Befunde des Buchautors mit Bezug auf die politpraktische Bewegung der Neuen Rechten zu analysieren und Anregungen für linkes Denken und Handeln abzuleiten. Mit ihrem dichten, gedanklich und begrifflich anspruchsvollen Vortrag entging sie dabei nicht immer der Gefahr, ihre diskursorientierte Vorlage durch ein Überangebot Weißscher Detailinformationen und Erkenntnisse zu überfrachten. „Schwere, aber aufschlussreiche Kost“, resümierte der Moderator mit Blick in das wiederum zahlreich erschienene Auditorium.

Politischen unmittelbar vorgelagerte Feld des Kulturellen mit all seinen habituellen, sprach- und sexualpolitischen Teilbereichen zu besetzen. Während in der Linken immer wieder Antonio Gramsci mit seiner Forderung nach Eroberung der kulturellen Hegemonie zitiert werde (worauf der kürzlich verstorbene Philosoph Volker Caysa auch die Linkspartei hinlenkte), machten die neuen Rechten seit langem damit Ernst: den Rechts-

Kampf gegen die Demokratie. Metapolitik sei so zunächst eine auf Intellektuelle zugeschnittene Strategie gewesen. Mit den Bewegungen gegen Political Correctness, die Ehe für alle, Gender-Mainstreaming und moderne Sexualaufklärung stellten sich auch praktische und politische Erfolge ein. Sarrazin-Debatte und Pegida-Bewegung hätten es sogar vermocht, die durch Tabubrüche geprägte Semantik der Neuen Rechten in breiten Bevöl-

Die Diskussion wurde weitgehend von einem Nachdenken darüber bestimmt, wie die Linke angesichts des politischen Rechtsrucks durch AfD und Co. reagieren, oder besser agieren müsse. In der Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus, so resümierte Monika Runge, gehe es nicht nur um soziale Belange, sondern stets um die Verteidigung der liberalen und pluralen Demokratie. Die Linke solle die gravierenden Veränderungen im Wählerverhalten, aber auch damit verbundene eigene Versäumnisse furchtlos analysieren, genauer zuhören, wenn Probleme und Alltagssorgen artikuliert werden und die neuen sozialen Medien, derzeit eine Domäne der AfD, wesentlich stärker und effizienter nutzen. Den Jour-fixe-Abend hatte der Literaturwissenschaftler Klaus Pezold mit der Vorstellung von Ingo Schulzes Schelmenroman „Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst“ eröffnet. Eine Parabel über die Umkehrung autoritärer deutschdeutscher politischer Verhältnisse im Kopf eines Naiven. Im Feuilleton enthusiastisch gefeiert oder enttäuscht verrissen. Pezolds Urteil fällt verhalten kritisch aus: „Für mich ist der Roman flächenhaft mit Plakatfarbe gemalt, gegenüber früheren von Schulz fein ziselierten Essays, Reden und Artikeln.“

Liberale Demokratie von links verteidigen Auszüge aus dem Vortrag von Dr. Monika Runge Die wesentlichen Stichworte [der Neuen Rechten] sind: „Volksaustausch“ und „Identität“ sowie die Formel alter Rechter aus der Zeit der Weimarer Republik. Der Grundtenor lautet: „Am Liberalismus gehen die Völker zugrunde!“ Alle eint eine tiefe Sehnsucht nach staatlicher Autorität und völkischer Bindung, für deren Verschwinden der westlich-liberale Einfluss verantwortlich gemacht wird. Der Antiliberalismus ist zwischen der alten und neuen Rechten konstant geblieben. In einer Rede von Björn Höcke in Erfurt wird das auf den Punkt gebracht: „Der Islam ist nicht unser Feind, unser größter Feind ist die Dekadenz!“ Wie steht es nun um das Verhältnis der neuen Rechten

zum Islam? Die Neuen Rechten wissen durchaus zwischen Islam als Religion und dem politischen Islam zu unterscheiden. Mehr als der Kampf gegen den Islam gilt aber der neuen Rechten die Bewahrung der „ethnischen, also volkstümlichen Substanz“ eines Landes, die in ihren Augen erst die Grundlage ihrer „Kultur“ in den ihr zugehörigen „Räumen“ bilden. Die betreffenden Menschen sollen gefälligst in ihren Räumen verbleiben. Die Einwanderung und die zunehmende Präsenz des Islam und seiner Strömungen im öffentlichen Raum, der weltweite islamistische Terror und schließlich die Fluchtbewegungen aus Afrika und dem mittleren Osten nach Europa haben den Inhalten [der

Neuen Rechten] enormen Auftrieb beschert. […] Weiss zeigt in seinem Buch, wie Vertreter des westlichen Liberalismus angesichts autoritärer Realitäten im konservativen Islam sprachlos sind und bestimmte Erscheinungen falsch einschätzen. Das betrifft u. a. auch die Frage nach den Sexualnormen als Indikator für die Freiheit des Einzelnen, wie das Michel Foucault bereits in den siebziger Jahren nachgewiesen hat. Nach ihm sind die Frau, ihr Körper und ihre Sexualität ein zentrales Symbol einer Gesellschaft. Die wachsenden Verhüllungspraktiken des Frauenkörpers in vom politischen Islam geprägten Regionen und bei Frauen auch in Westeuropa zeigen, worum es tatsächlich bei kon-

servativer Auslegung der islamischen Religion geht, nämlich um politische Herrschaft der Männer gegenüber Frauen. Alle religiös fundierten Herrschaftssysteme haben die Sexualität als Schlüssel zur Privatsphäre und damit die Herrschaft über die Gesamtgesellschaft erkannt. Zwischen konservativem Islam und neuen Rechten findet unser Buchautor Volker Weiss in Bezug auf die Genderpolitik Übereinstimmungen mit dem politischen Islam. Denn auch in der europäischen Rechten ist nichts mehr verhasst als Emanzipation, sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung. Damit ist der politische Islam selbst Teil der konservativen Revolution gegen den westlichen Universalismus.


Links! 11/2017 Am 7. November jährt sich zum 100. Mal der Jahrestag der russischen Oktoberrevolution. Wie immer über dieses Ereignis beurteilt wird: Es bildet eine Zäsur in der Menschheitsgeschichte. Erstmals wurde der Versuch unternommen, aus dem imperialistischen Weltsystem auszubrechen. Er sollte das Ende von Profitmacherei und Krieg bringen. Zunächst in Russland, dann in der ganzen Welt. Das ist zunächst ein Grund zum Feiern, denn mit dem roten Herbst 1917 verbanden sich große historische Chancen und Leistungen. In seinem 1994 veröffentlichten Weltbestseller „Das Zeitalter der Extreme“ charakterisierte der namhafte marxistische Historiker Eric Hobsbawm die Oktoberrevolution als ein für das 20. Jahrhundert „ebenso zentrales Ereignis, wie es die Französische Revolution von 1789 für das 19. Jahrhundert gewesen war.“ Wir Heutigen kennen das folgende Jahrhundert. Wir wissen, was aus den Ideen und Idealen wurde. Wir wissen, dass die von 1917 eröffnete Epoche des Aufbaus des Sozialismus auch von tiefen Widersprüchen und Irrwegen bis hin zum Stalinismus und seinen Verbrechen geprägt war. Letztendlich scheiterte in den Jahren 1989ff. der europäische Sozialismus sehr unheroisch und weitgehend an sich selbst und mündete in eine Restauration des neoliberalen Kapitalismus. Angesichts dieser bewegten Geschichte ist das Jubiläum auch für die deutsche Linke und die gleichnamige Partei 2017 der Anlass, an die historischen Ursachen und weltgeschichtliche Bedeutung, an die mit der Revolution verbundenen Hoffnungen auf Frieden, soziale Befreiung und soziale Selbstbestimmung der Massen, aber auch deren Enttäuschungen zu erinnern. Zu scheitern bedeutet natürlich nicht zwangsläufig, dass alles sinnlos und damit umsonst gewesen sein muss. Ohne die Revolutionen von 1917 bis 1922 hätte es die vielen Aufstände gegen den Krieg und für nationale und soziale Selbstbestimmung nicht gegeben. Das weltweite Kolonialsystem wäre wahrscheinlich noch immer nicht beseitigt und das sozialistische China nicht auf dem Weg zur Weltmacht. Ohne die Sowjetunion hätte auch das viel beschworene „sozialdemokratische Jahrhundert“ (Ralf Dahrendorf) nicht das Licht der Welt erblickt und die Lage der arbeitenden Menschen deutlich verbessert und über mehrere Jahrzehnte den Kapitalismus gezähmt. Der Sieg der Sowjetunion über den deutschen Hitlerfaschismus im Zweiten Weltkrieg war vermutlich die bedeutendste historische Leistung des Sozialismus mit langfristigen Folgen bis in die Gegenwart, wie es Hobsbawm an anderer Stelle seines klassischen Werkes dystopisch-dialektisch beschrieb: „Ohne die Oktoberrevolution bestünde die Welt (außerhalb der USA) heute wahrscheinlich aus einer Reihe von autoritären und faschistischen Varianten aus einem Ensemble unterschiedlicher liberaler, parlamentarischer Demokratien. Eine der Ironien dieses denkwürdigen Jahrhunderts ist, dass das dauerhaftestes Resultat der Oktoberrevolution – deren Ziel es

Hintergrund: 100 Jahre Oktoberrevolution

100 Jahre Oktoberrevolution Dr. Volker Külow über eine Last und viele Chancen für Linke ja war, den Kapitalismus weltweit umzustürzen – ausgerechnet die Rettung ihres Antagonisten im Krieg wie im Frieden war.“ Der 100. Jahrestag der Oktoberevolution wirft natürlich neben der geschichtlichen auch die Frage nach ihrer aktuellen Bedeutung auf, insbesondere für die Suche nach erfolgversprechenden Wegen zu einem überlebensfähigen Sozialismus des 21. Jahrhunderts, wie die international

digen Agrarstaat an der Peripherie mit einer zahlenmäßig kleinen industriellen Arbeiterklasse und der zwischen 1918-1923 sehnsüchtig erwarteten kommunistischen „Weltrevolution“ im Westen. Deren Ausbleiben führte dazu, dass der Sozialismus das „Zentrum“ des bürgerlichen Kosmos zwar erschütterte, aber nicht bis dorthin siegreich vordrang (auch nicht nach dem II. Weltkrieg). Dadurch kam es in der Sowjetunion gezwungenermaßen zum „Aufbau des Sozialismus in

Petrograd, 26. Oktober 1917: Der Winterpalast ist gestürmt sehr lebhaften Strategiedebatten und auch die Diskurse zum „Post-Kapitalismus“ zeigen. Um dieses Erbe zu heben, darf man die zahlreichen tiefen Widersprüche der Revolution von 1917 keinesfalls ausblenden. Manfred Kossok, dem Anfang 1993 im Alter von 62 Jahren leider viel zu früh verstorbenen Leipziger Revolutionshistoriker und Meisterschüler Walter Markovs, verdanken wir wesentliche Einsichten über diese Widersprüche. Seine nach 1990 dargelegten revolutionstheoretischen Überlegungen bergen unabgegoltene Wegweisungen für linkes Denken und Handeln in der Gegenwart. An ihn anknüpfend, sollen vier dieser Widersprüche hier benannt werden: I. der zwischen dem Erfolg der Revolution in einem kapitalistisch rückstän-

einem Land“, bei dem die „nachholende“ Revolution von 1917 trotz der nahezu verzweifelten Umsteuerungsversuche und Warnungen des todkranken Lenin 1922/1923 („politisches Testament“) ab Mitte der 1920er Jahre unter Stalin schrittweise in eine bürokratische „Entwicklungsdiktatur“ des Politbüros umschlug. II. Im Gegensatz zur frühbürgerlichen Revolution ab dem 16. Jahrhundert, die bis 1789ff. mehrere Reifestufen und damit einen Revolutionszyklus hervorbrachte, der sich im 19. Jahrhundert weiterentwickelte, gelang es der sozialistischen Revolution ab 1917ff. nicht, einen ähnlichen Entwicklungs- und Reifeprozess hervorzubringen. Damit war untrennbar verbunden, dass es keine Revoluti-

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onierung der übernommenen Produktivkräfte und keinen qualitativen Sprung der Arbeitsproduktivität gab. III. Der Sozialismus brachte nicht nur keine höhere Produktivkraftentwicklung als der Kapitalismus hervor, sondern auch keine grundsätzlich höhere Form der Demokratie. Das historische Kernproblem besteht Manfred Kossok zufolge darin, dass keines der sozialistischen Länder die Phase des Citoyens, d. h. der erfolgreichen bürgerlichen Revolution, mit einem zumindest zeitweiligen und partiell realisierten Emanzipationsanspruch durchlaufen hat. Das führte zur Unterschätzung der Demokratie als eigenständige Frage der Sozialismusgestaltung und zur überwiegenden Betrachtung des Rechts als Mittel der Macht und nicht auch als Maß von Macht. IV. Revolution bedeutet stets gesellschaftlichen Ausnahmezustand; die Gewalt ist der „Geburtshelfer“ der neuen Gesellschaft. Während in der bürgerlichen Revolution nach dem Thermidor die äußerste Gewalt zumeist in eine Institutionalisierung der „zivilen Gesellschaft“ mündete, blieb die Gewalt nach dem Bürgerkrieg in Russland bestimmend für die neue sozialistische Ordnung. Damit ging einher, dass bei Krisensituationen im Sozialismus (u.a. 1921, 1953, 1956, 1968, 1980) stets repressiv reagiert wurde und keine anhaltende reformerisch-innovative Anpassung des Sozialismus gelang. Während im heutigen Russland die Oktoberrevolution eher als unbequeme Erinnerung gilt, sollten wir sie weiterhin als ein welthistorisches Ereignis ansehen, das für immer im Gedächtnis der Menschheit angemessen bewahrt werden muss. Die bürgerliche Gesellschaft begriff die Oktoberrevolution und den aus ihr hervorgegangenen realen Sozialismus jedenfalls als existenzielle Herausforderung, die sie mit dem „Übergang ins globale Zeitalter der Konterrevolution“ (Frank Deppe) beantwortete. Der Jahrhundertsieg des Westens wurde dementsprechend als vermeintliches „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) enthusiastisch gefeiert. Der „wackere Maulwurf “ Geschichte war aber keinesfalls verstorben, auch wenn sich die Dialektik von Revolution und Gegenrevolution seitdem grundlegend verändert hat. Nicht mehr der Systemgegensatz von Kapitalismus und Sozialismus, sondern die immanenten Widersprüche des entfesselten Finanzmarktkapitalismus des 21. Jahrhunderts treten erneut ins Zentrum. Eine krisenhafte Übergangsperiode mit einer global extrem ungleichen Entwicklung hat eingesetzt. Das Verlangen nach progressiven linken (noch nicht zwingend sozialistischen) Alternativen zur Teufelsmühle des totalitären Neoliberalismus wird deutlicher; zunehmend gewinnen aber auch autoritäre Scheinlösungen von rechts an Masseneinfluss. Möglicherweise stehen wir erneut an einer Epochenschwelle, die man mit Antonio Gramsci als „Interregnum“ bezeichnen kann, in der „das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann“.


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Sorbische Kunst und Kultur gehörten immer schon zum Alltag der Menschen in der Lausitz und wirken über unsere Grenzen hinaus. So gab es im Rahmen internationalen Zusammenwirkens viele Begegnungen von sorbischen Kulturgruppen mit Funktionären der Domowina, dem Dachverband sorbischer Vereine und Vereinigungen, und Gästen aus dem benachbarten Ausland. Ein solches Treffen fand am 22. Juli 1966 in Zagan statt, woran aus dem Kreis Kamenz Erich Garten vom Rat des Kreises und der Sorbe Georg Schäfer von der Domowina teilnahmen. Es erfolgte ein Besuch im Divisionsstab der Pan-

Anti-Kriegs-Denkmale im sorbischen Crostwitz Dr. Dieter Rostowski blickt auf deutschpolnisch-sowjetische Freundschaftstreffen an den Kriegsdenkmälern in Crostwitz. Das ältere steht dort seit 50 Jahren

ten Armee zur militärischen Zerschlagung der Nazi-Streitkräfte und der damit erfolgten Befreiung der Menschen vom Hitler-Faschismus gewürdigt. In den Achtzigern und den Jahren danach waren Jahrestage der Gründung der polnischen Armee oder der Befreiung Anlass, in Crostwitz der gefallenen polnischen Soldaten und Offiziere durch polnische sowie deutsche und sorbische Delegationen zu gedenken. Heute kommen Touristen und Delegationen mit Kriegsveteranen aus Polen, um am Denkmal ihren im Kampf um die Befreiung vom Faschismus gefallenen Landsleuten die Ehre zu erweisen.

zertruppen in Zagan. Im Mittelpunkt eines Gesprächs mit polnischen Offizieren standen die Kämpfe in der Lausitz unter Mitwirkung der 2. Polnischen Armee 1945. Diese Armee erlitt im Gebiet zwischen Kamenz und Bautzen im April 1945 hohe Verluste im Kampf gegen SS-Einheiten und die deutsche Wehrmacht. Erich Garten und Georg Schäfer waren sich einig, dass aus diesem Anlass ein Gedenkstein bei Crostwitz gesetzt werden sollte, um der dort in den Kämpfen gefallenen etwa 2.000 polnischen Soldaten zu gedenken. Der Königsbrücker Bildhauer Tausch schuf den Entwurf und arbeitete an der Umsetzung. In Stein gehauen werden der sterbende polnische Soldat in der aufgehenden Morgensonne und die weinende sorbische Mutter gezeigt. Die auf das Denkmal montierte Schale sollte mit den auflodernden Flammen den Frieden, die Freundschaft und das Glück der Völker sinnbildlich zeigen. Das Denkmal wurde im Oktober 1967 eingeweiht, worüber die sorbische Presse ausführlich berichtete. Das war vor 50 Jahren. Damals und in späteren Jahren fanden an dieser Gedenkstätte oft Begegnungen mit polnischen ehemaligen Kriegsteilnehmern und anderen Gästen sowie mit deutschen und sorbischen Menschen statt. Dabei füllte auch ein ehemaliger Soldat der polnischen Armee (H. Kolczynski) einen Pokal mit Lausitzer Erde, um sie nach Polen in seine Heimat mitzunehmen. Denkwürdig war auch am 3. Mai 1975, als eine sorbische Jugenddelegation mit

Soldaten der Sowjetarmee und der polnischen Armee sowie Vertretern der Domowina einen Autocorso auf den Straßen des Friedens durchführten, die vor 30 Jahren Straßen des Krieges waren. Dabei regten Offiziere der ehemaligen 2. Polnischen Armee an, ein zweites Denkmal auf dem „Fulksberg“ zu errichten, das in seiner Größe und Gestaltung einen höheren Rang zur Würdigung der Gefallenen einnehmen würde. Nicht nur die Einwohner von Crostwitz, sondern auch die Bürger umliegender Ortschaften, der Dresdener Bildhauer Johannes Peschel, polnische Zimmerleute und die Brigade „Ostrowski“ vom Lausitzer Granitwerk aus Bischheim-Häslich waren daran beteiligt. In mehr als 4.500 freiwilligen Arbeitsstunden halfen sie alle, die gesamte Anlage zu erneuern. Am Sonnabend, dem 7. Juni 1980 fand ein großes Freundschaftstreffen mit internationalen Gästen aus Polen und der UdSSR in Crostwitz statt. Schon in den Vormittagsstunden herrschte ein emsiges Treiben im Ort. Etwa 4.000 Teilnehmer waren zu diesem Freundschaftstreffen erschienen, in der Mehrzahl sorbische und deutsche Bürger der Kreise Kamenz und Bautzen sowie viele polnische Menschen. Unter den Teilnehmern befanden sich etwa 200 polnische Kriegsveteranen, Abordnungen der Sowjetarmee und der polnischen Armee, aber auch Abordnungen der NVA. Mit einem militärischen Zeremoniell, an dem Ehrenformationen der Streitkräfte der UdSSR, Polens und der DDR teilnahmen, und mit den Hymnen der drei

Staaten wurde die Kundgebung eröffnet. In Ansprachen von Horst Dohlus (DDR) und Dr. Andrzej Werblan (Polen) wurde der Beitrag der Kämpfer der 2. Polnischen Armee an der Seite der Ro-

Bilder: Werner Gatsche, Bischheim Links: 1980 bewegen sich tausende Menschen zur Übergabe des neu errichteten Denkmals. Oben: Das Denkmal von 1967 , unten das Denkmal von 1980 als stilisierte polnische Adlerschwinge mit dem Adlerwappen. Der Sockel war zum Beginn der Veranstaltung verhüllt, worunter dann das Datum 28. April 1945 sichtbar wurde. Es war der letzte schwere Tag der opferreichen Kämpfe.


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Gelacht, gewogen, gewonnen ... Beobachtungen beim 5. Lachmesse-Nachwuchs-Slam. Von Michael Zock tiert, weil der Abend nicht so ablief wie in den Kleinkunstfernsehformaten. Ich empfand das als sehr erfrischend, was auch dem jungen, schrägen Moderator Christoph Walther zu danken war. Er erfand die scheinbar unpassendsten Worte, jedoch gerade die trafen genau den Nerv. Wunderbar!

So ein Alters- und Erfahrungsunterschied sorgt für Spannung auf der Bühne und im Parkett, das ist reizvoll. Zweite Beobachtung: Mancher war irri-

Als einmal unerwartet von der Bühne in den ausverkauften kleinen Saal gefragt wurde: Wer hat denn von Ihnen die AfD gewählt?, meldete sich keiner. Na gut, es gibt ein Wahlgeheimnis. Bei den Auftritten der drei eingeladenen Newcomer (allesamt aus den alten Bundesländern), die nacheinander für jeweils 30 Minuten in unterschiedlichster Art und Weise um die Publikumsgunst rangen, wurde viel gelacht, viel nachgedacht, und am Ende gewogen. Jeder im Parkett erhielt einen Kupferpfennig und warf die kleine Münze im Foyer in eines der bereitgestellten Gefäße. Auf ihnen stand der Name der Konkurrierenden.

Fast überflüssig zu erwähnen, dass Neuhaus über eine riesige Privatbibliothek gebietet. Zu den Wahnsinnsschätzen an Büchern gesellen sich Un-

mengen Zeitungen, Zeitschriften sowie Karteikästen voller Schnipsel-Wissen von A−Z. Als wollte sein Leben ewig währen, schneidet Neuhaus immer noch aus unzähligen Publikationen fleißig aus und sortiert ein. Frei nach Descartes: Ich archiviere, also bin ich. Den Vereinsfreunden ist der 70-Jährige seit den Gründungstagen des Förderkreises als Spezialist für die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung bekannt. An der Karl-Marx-Universität Leipzig lehrte und forschte er, seit 1987 auch als ordentlicher Professor, bearbeitete mit jungen Enthusiasten Bände der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) und engagierte sich für eine moderne editionswissenschaftliche Ausbildung. Mit Mitstreitern wagte er bereits vor drei Jahrzehnten den damals für Archive und Bibliotheken noch bevorstehenden Sprung aus Gutenbergs ins digitale Zeitalter, indem er die computergestützte Informationsverarbeitung in der MEGA initiierte. Auch dies mag ihn dafür qualifiziert haben, für das MEGA-Projekt in der ost-erweiterten BRD an verantwortlicher Position, nunmehr an der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften und unter dem Dach der Internationalen Marx-Engels-Stiftung Amsterdam, fortwirken zu können.

Acht Tage Humor und Satire gab es bei der 27. Auflage dieses Europäischen Festivals. Egal wofür man eine Karte erstand, man verpasste immer etwas. Den „Leipziger Löwenzahn“ für das beste Programm 2016 erhielt im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung der Kabarettist Helmut Schleich. Gut, wer den verpasste, wird ihn in diversen Fernsehprogrammen wiederfinden. Garantiert!

Gewonnen hat Nektarios Vlachopoulos, das ist übrigens kein Künstlername. Der junge ehemalige Lehrer mit Migrationshintergrund bekam auch meinen Kupferpfennig. Als Sieger winkt ihm nun das Preisgeld von 50.000 Cent. Sein Programm bewies, dass der

Ich archiviere, also bin ich Dem Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung gehören namhafte Mitglieder an, die nicht nur symbolisch an Hege und Pflege dieser nach der Epochenwende gefährdeten Gedächtnisinstitutionen mitwirken. Der Leipziger Historiker Manfred Neuhaus zählt zu ihnen. Ein grandios Leidenschaftlicher, wenn es um mühseliges Suchen und glückhaftes Finden archivalischer und bibliothekarischer Artefakte, also von Quellen und Zitaten, geht. Beinahe legendär ist sein Fahndungserfolg im Dienste des großen Universalhistorikers Walter Markov. Er spürte einen Beleg auf, den der Altmeister partout nicht finden konnte. Markovs Dank an den „Herrn Kollegen“ kam einem Ritterschlag für den jungen Neuhaus gleich. Kürzlich war Michael Brie dankbarer Nutznießer seines beinahe lexikalischen Wissens und quellenbewussten Ahnens auch über ziemlich abgelegene Fragen. Wer außer ihm wüsste wohl Auskunft zu geben, ob Friedrich Engels die Tea-Party zu Robert Owens 80. Geburtstag am 14. Mai 1851 in Manchester mit gefeiert habe?

Generation 50plus Lebenssichten und Politikansätze der Generation 30plus nicht fremd sein müssen.

Die Dialektik von Demokratie und Arbeiterbewegung, von Demokratie und Sozialismus beschäftigte den Historiker seit jeher. So war es nur folgerichtig, dass er von Anfang an dabei war, als seine akademischen Lehrer Helmut und Jutta Seidel, Walter Markov, Manfred Kossok und Gustav Seeber 1991 in Leipzig den Rosa-Luxemburg-Verein aus der Taufe hoben. In der Nachfolge von Gustav Seeber hatte er von 1992 bis 1998 den Vorsitz inne, später übernahm er von Helmut Seidel die Verantwortung für den Wissenschaftlichen Beirat der sächsischen Landesstiftung der LINKEN. Gemeinsam mit Klaus Kinner hat er sich um die Herausgabe der nicht nur in der Fachwelt beachteten „Rosa-Luxemburg-Forschungsberichte“ verdient gemacht. Beiden Historikern ist im Ruhestand mit „Jour fixe, dem unkonventionellen Gesprächskreis“, noch ein Clou gelungen. Ihre durchaus selbstsüchtige Idee setzt darauf, Freunde, Bekannte, Interessierte und Einsame zusammenzubringen und sich mit ihnen in ungezwungenem Diskurs gemeinschaftlicher intellektueller Ertüchtigung zu erfreuen. Ein Solidarpakt gegen soziale Vereinzelung und geistiges Einrosten! • Wulf Skaun

Foto: Lachmesse e. V.

Foto: Anna-Lisa Konrad

Foto: Marvin Ruppert

Foto: Dominik Sutor

Bewusst entschied ich mich für diesen Termin und war am 17.Oktober im Kabarett „academixer“ während des Europäischen Humor- und SatireFestivals zugegen. Nicht den bekannten, sondern den unbekannten Brett´lKünstlern gehörte da die Bühne. Das Publikum im ausverkauften Leipziger Keller war altersmäßig 50plus. Die drei Auserwählten Sandra Da Vina, Benjamin Eisenberg und Nektarios Vlachopoulos (in dieser Reihenfolge abgebildet) waren unübersehbar jünger.

„Der frühe Vogel fängt den Wurm“ – oder auch nicht! Nachdem sie bereits im Juli in der Leipziger Ticketgalerie ihre Karten erworben hatten, betraten am 22. Oktober vier Gäste eine halbe Stunde vor dem Veranstaltungsbeginn das Leipziger Central Kabarett. Die Laune war prächtig, schließlich hatte Meigl Hoffmann geladen. Beim Garderobe-Abgeben kam die Frage, zu welcher Veranstaltung man denn wolle, die aktuelle laufe schon seit 30 Minuten. Ein Blick auf die Eintrittskarte sagte: Beginn 16:00 Uhr, also noch 30 Minuten Zeit. Der nächste Satz des Servicepersonals ließ alle Vorfreude verblassen. „Die Ticketgalerie hat die falsche Anfangszeit auf Ihren Eintrittskarten angegeben. Wenn Sie wollen können Sie noch leise eintreten.“ Fast ein Drittel des Programms verpasst und dafür den vollen Preis zahlen? Ohne die vier Gäste, zum Glück Leipziger. Die Karten werden umgetauscht! Sonst bekommt Motto des Programms „Oohrschwärbleede! - Saxen macht Spaß“ eine ganz andere Bedeutung! Ein „Lach“-Gebremster


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Der Wiederaufbau in den westlichen Besatzungszonen wird im Rückblick oft als „Wirtschaftswunder“ bezeichnet. Diese Entwicklung sei in der „Sozialen Marktwirtschaft“ begründet gewesen, die mit der Währungsreform 1948 ihren Anfang genommen habe. Mehr noch: Der Aufstieg der Bundesrepublik zu einer der führenden Industrienationen wäre nicht möglich gewesen ohne die „Soziale Marktwirtschaft“. Demnach wäre zu vermuten, dass eine derartige Grundsäule der Nationalgeschichte längst wissenschaftlich durchleuchtet worden ist. Doch weit gefehlt. Bislang gab es, wie Uwe Fuhrmann schreibt, lediglich Spekulationen darüber, seit wann von „Sozialer Marktwirtschaft“ die Rede war. Zugleich ist festzustellen, dass auch ein Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik im Herbst 1948, der viele Entscheidungen vom Juni 1948 korrigierte, bislang nicht zur Kenntnis genommen wurde. „Geschichtswissenschaftlich kaum bearbeitet, fristet schließlich eine sehr große, wirtschaftspolitisch motivierte Protestwelle, die immerhin im letzten deutschen Generalstreik gipfelte, bislang ein Schattendasein.“ Fuhrmann beschreibt, ausgehend vom Zustand der Wirtschaft nach Kriegsende, die zunehmend dominierende Politik der USA in der Bizone, die Konstituierung deutscher Parlamente und Verwaltungen sowie den Aufbau und die Ausrichtung der Gewerkschaften. Als 1947/48 die Entscheidung für die Schaffung eines westdeutschen Staates immer erkennbarer wurde, warf das die Frage auf, welche politisch-ökonomische Orientierung dieser Staat haben würde. „Der überwiegende Teil der Bevölkerung wünschte sich“, wie Fuhrmann belegt, eine „nichtkapitalistische Ordnung“. Die „antikapitalistische Grundstimmung“ resultierte „aus der Interpretation des Aufstiegs der NSDAP als vom Kapitalismus mit verursacht und dem Rückblick auf die gescheiterte wirtschaftsliberale Epoche“. Hervorzuheben sind die inhaltsstarken Kapitel, in denen der Kampf um gewerk-

Geschichte

Wider die Legendenbildung Prof. Dr. Kurt Schneider rezensiert eine Dissertation zur „sozialen Marktwirtschaft“

Der einmillionste VW-Käfer 1955: Symbol des „Wirtschaftswunders“ schaftliche Mitbestimmung bei der Entnazifizierung, Personalpolitik und den Betriebsvereinbarungen behandelt wird. Das trifft auch zu auf jene, welche die Massendemonstrationen 1947 und insbesondere die des Jahres 1948 zum Gegenstand haben. Dazu gehören regionale Generalstreiks in Bayern am 23. Januar 1948, in Baden-Württemberg am 3. Februar 1948 und anderweitige Proteste. Dennoch: „Zum wiederholten Male verpassten die Organisationen der deutschen Arbeiterbewegung einen wichtigen Moment, ihre enorme Macht auszuspielen.“ Dazu wären, wie Fuhrmann betont, allein die Gewerkschaften in der Lage gewesen. Doch es setzten sich die Kräfte durch, die eine auf „Ver-

Vor 110 Jahren geboren: Otto Brenner Der am 8. November 1907 in Hannover geborene Otto Brenner gehörte zu den linken Kräften der deutschen Arbeiterbewegung, insbesondere der IG Metall. Bereits mit 13 Jahren trat er in die „Sozialistische Arbeiterjugend“ (SAJ) ein und wurde wenige Jahre danach

Mitglied der SPD. Doch bereits 1929 wurde er wegen seines Protestes gegen den Panzerkreuzerbau, der von der Führung der SPD Unterstützung erfuhr, aus der Partei ausgeschlossen. Seiner sozialistischen Überzeugung treu blei-

bend, gründete er mit anderen aus der SPD ausgeschlossenen Kampfgefährten die „Sozialistische Arbeiterpartei“ (SAP) und wurde deren Bezirksleiter für Hannover. Engagiert trat Brenner gegen den sich formierenden Faschismus auf und leistete nach dessen Machtergreifung illegale Widerstandsarbeit. Als er Ende August 1933 mit seinem Bruder Kurt von der Gestapo verhaftet wurde, nahm er die alleinige Verantwortung auf sich. Ein faschistisches Sondergericht in Hamm verurteilte ihn wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu zwei Jahren Zuchthaushaft. Nach dem Krieg schloss er sich wieder der SPD unter der Führung von Kurt Schumacher an und wurde einer

handlungen und Kooperation fixierte Politik“ betrieben. Nachdem folgend die „freie Marktwirtschaft“ und die Wirtschafts- und Währungsreform am 20. Juni 1948 behandelt werden, richtet Fuhrmann den Blick auf die ersten Proteste gegen massive Preissteigerungen. Nachdem es in einer zweiten Phase im Oktober und November vielerorts zu Massenkundgebungen gekommen war, konnte sich die Führung der Gewerkschaften diesem Druck nicht mehr entziehen. Für den 12. November 1948 rief der Gewerkschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, dem Hans Böckler vorstand, die Arbeiter, Angestellten und Beamten der Bizoihrer Ratsherren in Hannover und niedersächsischer Landtagsabgeordneter. Nahezu gleichzeitig erfolgte seine Wahl zum Landesvorsitzenden der Wirtschaftsgruppe Metall in Niedersachsen. Die von ihm geleiteten Arbeitskämpfe, so im Dezember 1946, zielten auf die Vergesellschaftung der Produktion und auf eine Wirtschaftsdemokratie, gekennzeichnet durch „das volle Mitbestimmungsrecht der Arbeiter und Angestellten im Betrieb und in der Wirtschaft“. Von Anbeginn in Opposition gegen den Hauptvorstand der Gewerkschaft stehend, sah er in der „Demokratisierung der Gewerkschaft“ das derzeit „oberste Ziel“. 1947 wurde er zum Bezirksleiter der IG-Metall Hannover und schließlich 1952 zunächst gemeinsam mit Hans Brümmer zum Vorsitzenden der IG Metall gewählt. In dieser Funktion hatte er erheblichen Anteil am Zustandekommen des DGB-Aktionsprogramms von 1955 und des neuen Grundsatzprogramms von 1963 sowie am Kampf der Gewerkschaften gegen

11/2017 Links! ne zu einer 24-stündigen Arbeitsniederlegung auf. An ihr beteiligten sich nach gewerkschaftlicher Schätzung 9,25 von insgesamt 12 Millionen Beschäftigten. Der DGB forderte in 10 Punkten die amtliche Verkündung des wirtschaftlichen Notstandes und außerordentliche Maßnahmen zu seiner Überwindung, die Überführung der Grundstoffindustrien und Kreditinstitute in Gemeinwirtschaft sowie die Demokratisierung der Wirtschaft und gleichberechtigte Mitwirkung der Gewerkschaften in allen Organen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung. Er endete mit den Worten: „Männer und Frauen, reiht Euch ein! Es handelt sich um Euer Lebensinteresse!“ Der Band schließt mit der Modifizierung der „freien“ zur „sozialen“ Marktwirtschaft. Der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ war mit der Absicht gewählt worden, um die Wiedereinführung des Kapitalismus mit einem sozialen Mantel zu verschleiern. Dem diente auch die Legendenbildung um die Person Erhards, der die Währungsreform mit den Worten kommentierte: „Von jetzt an ist Geld der einzige Bezugsschein“. Der zentrale Befund von Fuhrmanns Genealogie korrigiert die bisherige offizielle Geschichtsschreibung zur „Sozialen Marktwirtschaft“, die nicht am 20. Juni 1948 eingeführt worden ist. „Sie wurde vielmehr überhaupt nicht eingeführt, sondern ist das Ergebnis gesellschaftlicher Auseinandersetzungen ... Diese Auseinandersetzungen führten im Herbst 1948 zu einer veränderten, sozialer orientierten Wirtschaftspolitik in der Bizone, die mit etwas zeitlicher Verzögerung schließlich die allseits bekannte neue Bezeichnung bekam.“ Die CDU/ CSU machte sich Anfang Januar 1949 den Begriff zueigen und entschied, unter dieser Parole Wahlkampf zu führen. Am 25. Februar 1949 avancierte Erhard mit einer programmatischen Rede zum Inspirator und herausragenden Vertreter der „Sozialen Marktwirtschaft“. Uwe Fuhrmann: Die Entstehung der „Sozialen Marktwirtschaft“ 1948/49. UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2017, 360 Seiten, 39 Euro. ISBN 978-3-86764-665-9 die angestrebte Notstandsgesetzgebung. Mit aller Kraft trat Otto Brenner für eine „kämpferische Integration der Gewerkschaften in Gesellschaft und Staat“ ein. Sein Grundsatz lautete: „Es gibt keine demokratische Gesellschaft ohne freie Gewerkschaften! Es gibt keine Demokratie ohne soziale Gleichberechtigung der Arbeitnehmer!“ Kurz vor seinem Tode übermittelte er einer internationalen Arbeitstagung der IG-Metall die Botschaft: „Unser Ziel bleibt unverrückbar dasselbe: eine von materieller und geistiger Ausbeutung befreite internationale Gesellschaft des Friedens, der Völkerverständigung, der sozialen Gleichberechtigung und der vollen demokratischen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.“ Mit dem Tod von Otto Brenner am 15. April 1972 verlor die westdeutsche Gewerkschaftsbewegung einen ihrer kraftvollsten Streiter. • Prof. Dr. Kurt Schneider


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Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Terminübersicht Dresden, 1. November, Mittwoch, 18.30 Uhr n Vortrag und Diskussion Subjekt in der Krise* REIHE: Gesellschaftskritik in der Krise. Mit Prof. Dr. Christine Kirchhoff (Juniorprofessorin für Psychologie) Eine gemeinsame Vortrags- und Diskussionsreihe des Referates politische Bildung (StuRa der TU Dresden) und der RLS Sachsen TU Dresden, HSZ, Bergstraße 64, 01069 Dresden Es grenzt an eine Tautologie zu sagen, dass in der gegenwärtigen Krise auch das Subjekt in die Krise geraten sei, ist doch Subjektivität ohne ihre gesellschaftliche Vermittlung nicht zu denken. Was kann überhaupt in die Krise geraten, wenn doch schon Marx feststellte, dass das Subjekt, auf das es im Kapitalismus ankommt, ein „automatisches Subjekt“ sei? Diese und andere Fragen versucht der Vortrag zu beantworten, indem die Attraktivität von Verschwörungstheorien, eine Regression des Denkens mit dessen eigenen Mitteln sowie die Dynamik der medial vermittelten Massenbildung wie Vereinzelung diskutiert werden. Leipzig, 1. November, Mittwoch, 20.00 Uhr n Szenische Lesung „Q.“ Szenische Lesung des Romans von Luther Blissett* Mit Denis Moschitto, Jörg Pohl, Ruth Marie Kröger, Matthias Kelle (Ensemble). Conne Island, Koburger Straße 3, 04277 Leipzig Dresden, 2. November, Donnerstag, 19.00 Uhr n Vortrag und Diskussion Wege zu einer sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft* Mit Prof. Dr. Ulrich Brand (Universität Wien). Eine gemeinsame Veranstaltung des HdK, der Bildungsinitiative „Sachsen im Klimawandel“, der Arbeitsstelle Eine Welt in der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen, des BUND – Regionalgruppe Dresden, der Initiative anders wachsen des ÖIZ und der RLS Sachsen. Aula der SBG Dresden mbH, Gutenbergstraße 6, 01307 Dresden Plauen, 2. November, Donnerstag, 19.00 Uhr n Lesung Flüchtlingsgespräche von Bertolt Brecht mit Konrad Heinze (Politikwissenschaftler) und Mike Melzer (RLS Sachsen): Eine Veranstaltung der RLS Sachsen mit dem Infoladen „Tierra y libertad“ Plauen. Mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlages. Galerie Forum K, Bahnhofstraße 39, 08523 Plauen Leipzig, 6. November, Montag, 18.00 Uhr n Vortrag und Diskussion Die russische Linke zwischen März und November 1917*

Mit Wladislaw Hedeler (Historiker). RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 7. November, Dienstag, 18.00 Uhr n Vortrag und Diskussion Deutsche Russland-Geschichtsschreibung am Beginn des 20. Jahrhunderts* REIHE: Deutsche und Russen. Russen und Deutsche. Mit Dr. Volker Hölzer (Historiker). RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Dresden, 8. November, Mittwoch, 19.00 Uhr n Vortrag und Diskussion Marktsozialismus als post-kapitalistische Gesellschaftsperspektive?* Mit Dr. Stephan Krüger (gewerkschaftsnaher Unternehmensberater) WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden „Post-Kapitalismus“ ist ein neues Schlagwort kapitalismuskritischer Strömungen. Es lässt offen, welche Gestalt diese andere Gesellschaft haben könnte. Angesichts der Niederlagen sozialistischer Gesellschaftsentwürfe und –praktiken ist diese Vorsicht nicht verwunderlich. Krüger dagegen legt sich fest: In seinem Buch „Wirtschaftspolitik und Sozialismus“ beschreibt er einen Weg von einem politökonomischen Minimalkonsens in der Gegenwart bis zur Überwindung des Kapitalismus. Dieser Weg schließt einen Marktsozialismus ebenso ein wie eine kommunistische Perspektive. Chemnitz, 8. November, Mittwoch, 19.00 Uhr n Comiclesung Kleine Geschichte des Feminismus im euro-amerikanischen Kontext*** REIHE: Rosa trifft Lila. Mit Antje Schrupp (Journalistin, Politikwissenschaftlerin) und Patu (Künstlerin) Off-Bühne KOMPLEX, Zietenstraße 32, 09130 Chemnitz Leipzig, 9. November, Donnerstag, 18.00 Uhr n Vortrag und Diskussion Diktatur statt Sozialismus? Pro und contra Bolschewiki* REIHE: Jour Fixe - ein unkonventioneller Gesprächskreis. Mit Dr. Jörn Schütrumpf (Historiker), Moderation: Klaus Kinner / Manfred Neuhaus. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 11. November, Samstag, 11.00 Uhr n Symposium Der Staat und die Linke - Reflektionen zur Aktualität materialistischer Staatstheorie* Eine Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e. V. und des Student*innenrates der TU Chemnitz. Altes Heizhaus, TU Chemnitz, Straße der Nationen 62, 09111 Chemnitz

Teilnahmebeitrag: 10 Euro, ermäßigt 5 Euro (inkl. Pausenversorgung). Wir bitten um eine Anmeldung unter chemnitz@rosalux-sachsen.de Nähere Informationen: www.tinyurl. com/y7ws9flv Chemnitz, 14. November, Dienstag, 18.00 Uhr n Vortrag und Diskussion Arme Kinder - Reiches Land? Kinderarmut in Sachsen* Mit Prof. Ullrich Gintzel (Präsident des Kinderschutzbundes Sachsen), Moderation: Susanne Schaper, MdL. Eine Veranstaltung des RLS Sachsen mit dem Abgeordnetenbüro Schaper. Stadtteiltreff Chemnitz-Sonnenberg, Sonnenstraße 35, 09130 Chemnitz Dresden, 15. November, Mittwoch, 18.30 Uhr n Vortrag und Diskussion Krise der Bewegung oder Krise der Emanzipation?* REIHE: Gesellschaftskritik in der Krise Mit Christoph Spehr (Autor und Politiker). Eine gemeinsame Vortrags- und Diskussionsreihe des Referates politische Bildung (StuRa der TU Dresden) und der RLS Sachsen. TU Dresden, Hörsaalzentrum, Bergstraße 64, 01069 Dresden Leipzig, 16. November, Donnerstag, 18.00 Uhr n Vortrag und Diskussion Fortschritt und Reaktion in Deutschland während des 20. Jahrhunderts – das Nationale und das Universale.* Jour Fixe - spezial. Mit Prof. Dr. Peter Brandt (Historiker), Moderation: Klaus Kinner. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 21. November, Dienstag, 19.00 Uhr n Vortrag und Diskussion Von der Oktoberrevolution zum

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­ lage von 10.950 Explaren gedruckt. Der Redaktion gehören an: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Thomas Dudzak, Ralf Richter Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, pixelio, iStockphoto

Stalinismus - Enteignung und Verstaatlichung* Mit Hannes Gießler (Publizist). Eine Veranstaltung der RLS Sachsen in Kooperation mit dem StuRa der TU Chemnitz und der Volkshochschule Chemnitz. dasTietz, Moritzstraße 20, 09111 Chemnitz Cunnersdorf, 24. November, Freitag, 19.00 Uhr n Lesung Zwei Männer, ein Pakt und der sich anschleichende Wahnsinn Mit Mark Uriona (Autor). Alte Schule, Schulweg 10, 01920 Schönteichen/OT Cunnersdorf Leipzig, 28. November, Dienstag, 18.00 Uhr n Vortrag und Diskussion Immanuel Kant – Philosoph des Gefühls* REIHE: PHILOSOPHISCHE DIENSTAGSGESELLSCHAFT. Mit PD Dr. Peter Fischer (Philosoph), Moderation: Prof. Dr. Karl-Heinz Schwabe. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Dresden, 29. November, Mittwoch, 19.00 Uhr n Buchvorstellung und Diskussion Israel und Palästina – Zwei Staaten für zwei Völker?* Mit Angelika Timm (Nahostwissenschaftlerin und Israel-Expertin). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 30. November, Donnerstag, 18.30 Uhr n Vortrag und Diskussion „Die Synagoge brennt ...“ – Die Novemberpogrome in Sachsen 1938: Eine Spurensuche*** REIHE: Rosa L. in Grünau. Mit Daniel Ristau (Historiker). Komm-Haus, Selliner Str. 17, 04207 Leipzig (Örtlichkeit barrierefrei)

Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Telefon 0351-8532725 Fax 0351-8532720 Redaktionsschluss: 23.10.2017 Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 06.12.2017. Die Zeitung „Links!“ kann kostenfrei abonniert werden. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Erscheinen unserer Zeitung unterstützen. Kostendeckend für ein Jahresabo ist eine Spende in Höhe von 12 Euro. Sollten Sie an uns spenden wollen, verwenden Sie bitte folgende Konto­daten: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07 BIC: GENODEF1DRS Dresdner Volksbank Raiffeisenbank Aboservice: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder Telefon 0351-84389773


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Rezensionen

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Sprachrohr linker Traditionspflege „Mitteilungen“ informieren über Aktivitäten des Förderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Von Wulf Skaun Die Geschichte der Arbeiterbewegung droht in staatlichen bundesdeutschen Bildungseinrichtungen nach der Epochenwende ins Abseits gedrängt zu werden. Pläne, sie zu bewahren und weiter zu erforschen, signalisieren tendenziellen Rückbau. Umso verdienstvoller das Wirken jener, die sich, zu-

besprechungen und Literaturhinweise“. Dabei kommen ausgewiesene Autoren mit und ohne Vereinsmitgliedschaft zu Wort. Nummer 51 vom März 2017 stand im Zeichen von Willkommen und Abschied. Erstmals erschienen die „Mit-

Anlass des 100. Jahrestages der Russischen Revolution hatte Vereinsmitglied Peter Brandt im Juni auf der 26. Jahresversammlung des Förderkreises einen Vortrag gehalten. Eine gekürzte Fassung ist nun im Heft 52 der „Mitteilungen“ nachzulesen. Der älteste Sohn Willy Brandts, Historiker für

ehrwürdigen Vereinsmitgliedern und Historikern Henryk Skrzypczak, Theodor Bergmann und Heinrich Gemkow. Die Schrift kann gegen eine Schutzgebühr von 3 Euro, zuzüglich Versandkosten, unter d.goldbeck@web.de bezogen werden.

Lyrisches Holen wir uns das Land zurück Entartet ist das demokratische Denken Hassgetränkt wurde dessen Fundament ausgespült. Ins Wanken geraten – wurde Andersdenken wieder zur Gefahr. Das freiheitliche Blütenkleid passt nicht mehr in die Zeit. Man hat diktatorisch um-dekoriert. Wenn ein Baum Blätter verliert – sind sie fast nur braun. Die bunten sind nun ganz selten.

Die rote Fahne ist das Symbol der Arbeiterbewegung – gleichzeitig ist sie das Sujet des Wandbildes von Gerhard Bondzin an der Fassade des Dresdner Kulturpalasts. Foto: Michael Paraskevas (CC BY-SA 3.0) mal im Ehrenamt, der Hege und Pflege einschlägiger Gedächtnisinstitutionen annehmen. Zu ihnen gehört der Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Berlin. Im vergangenen Jahr beging der eingeschriebene, überparteiliche Verein, dem namhafte Geistesschaffende angehören, sein 25. Jubiläum. Die bei edition bodoni von Rainer Holze und Birgit Leske vorbereitete und herausgegebene Festschrift erinnert in Wort und Bild sowie anhand diverser Dokumente an die facettenreiche Vereinsarbeit zwischen 1991 und 2016. Dass das Wirken des Fördervereins einst und jetzt nicht im Verborgenen blieb und bleibt, ist seinem publizistischen Sprachrohr zu verdanken, das den für meine Begriffe zu schlichten Titel „Mitteilungen“ trägt. Jeweils im März und im September jedes Jahres legt das informative und professionell gestaltete Heft Zeugnis ab, wie die Vereinszwecke mit Leben erfüllt wurden. Immer wiederkehrende Rubriken konstituieren die Binnenstruktur des Blattes und lotsen den Leser rasch zu den ihn interessierenden Fundstellen: „Archive und Bibliotheken“, „Besondere Zeitdokumente“, „Tagungen und Konferenzen“, „Neues aus der Forschung“, „Aus dem Vereinsleben“, „Vorträge“ und „Buch-

teilungen“ mit dem neuen Logo des Fördervereins auf dem Cover. Das Symbol des aufgeschlagenen Buches im Kreis mit dem Schriftzug des Vereinsnamens kündet jetzt von den Aktivitäten der Vereinsmitglieder. Die redaktionelle Leitung ging nach langjähriger verdienstvoller Tätigkeit Rainer Holzes und Birgit Leskes in jüngere Hände über. Für Alexander Amberger und Elke Reuter ist die aktuelle Septemberausgabe, die Nummer 52, das zweite von ihnen verantwortete Heft. Darin stellt sich das Müncheberg-Archiv zur „Frühgeschichte der DDRFernsehkunst“ vor. Der im Bundesarchiv mustergültig verwahrte und erschlossene Aktenbestand des einstigen Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED zur Geschichte der Arbeiterbewegung in der DDR wird in einem weiteren Bericht dokumentiert. Die Rubrik „Besondere Zeitdokumente“ überrascht mit Tagebuchnotizen aus dem Jahre 1914 von Artur Crispien, der seine Stimme laut gegen den Krieg erhoben hatte. Crispien war führend in der USPD aktiv, zu deren 100. Gründungstag im April 2017 ein wissenschaftliches Kolloquium in Gotha stattfand. Ein Tagungsbericht informiert über den Umgang mit diesem Erbe deutscher Arbeiterbewegung. Aus

Neuere und Neueste Geschichte und Mitglied der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand, bilanziert seine Sicht auf die „Russische Revolution“ als „proletarische Revolution“ mit den Worten: „Das Modell enthielt unterdessen so viel Besonderes, nicht Verallgemeinerbares, dass die Fixierung darauf die Kette von Niederlagen des von Moskau geleiteten Zweigs der Arbeiterbewegung fast programmierte. Die innere Entwicklung Russlands führte in kurzer Zeit weg nicht nur von den konkreten Artikulationen der einheimischen Arbeiter, sondern auch von den Traditionen und Zielen der klassischen Arbeiterbewegung Europas einschließlich ihres radikalen Elements – womit gemeinsame Wurzeln und Verbindungslinien natürlich nicht geleugnet werden sollen.“ Die sicher mit besonderem Interesse verfolgte Rubrik „Aus dem Vereinsleben“ ist in Heft 52 dem langjährigen Mitstreiter Manfred Neuhaus gewidmet. Ein Porträt beleuchtet das Wirken des Leipziger Historikers, der sich insbesondere als Editor der Marx-EngelsGesamtausgabe (MEGA) einen Namen gemacht hat. Abgerundet wird das Heft wie immer mit einem aktuellen Rezensionsteil. Nachrufe gelten den

Neue Stimmen sind zu hören. So unheimlich, sie klingen altbekannt. Mit Untertönen gemalt mit Herr(ischen)lichen Farben auf Leinwand aus Unmenschlichkeit. • René Lindenau Gesicht der F.D.P. sein Ausdruck glitschig von Arroganz gebläht wie Schallblasen auf Tümpeln vollmundig Gequake über Freiheit und Demokratie entlarvender froschäugiger Blick Nomen est omen? erinnert Namensklang des AfDVorsitzenden an Viertes Reich: Gau-Land? • Jürgen Riedel Open air Streichquartett in Streuobstwiese Erntedank dank Artenvielfalt Flensburg Jugend geht Die Punkte bleiben • Janina Niemann-Rich


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höherer Ebene. Frank Schletter und sein Gefolge zeichnet aus, dass sie sehr idealistisch sind. So werden die Eintrittsgelder erst am Jahresende gerecht unter allen Beteiligten aufgeteilt, nach Abzug der Unkosten für Miete, Heizung, Strom, Wasser oder Benzin.

Dieses Zitat aus dem Bühnenstück „Der nackte Wahnsinn“ von Michaeln Frayn, das Ende August die Sommertheaterspielzeit beendete, kann getrost als das Motto gelten, das sich das Ensemble auf die Fahnen geschrieben hat. Gegründet vor zwölf Jahren vom emsig ruhelosen Aktivisten Frank Schletter, kann das TheaterPACK inzwischen auf an die 45 zum Teil sehr gut besuchte Inszenierungen zurückblicken. „Das ist Theater“, und lebendig ist es stets im ost-Leipziger „Laden auf Zeit“, in dem sich seit 2015 der Hauptsitz des Theaters befindet. Dort wird geprobt, gehämmert, gesägt, werden Masken, Kostüme und Bühnenbilder entworfen. Und abends gibt es auf der kleinen Bühne ständig abwechslungsreiche Programme zu erleben. Wenn das Stammensemble auf Tour ist, wie bei den unzähligen Sommertheaterveranstaltungen der Region, dann bietet die Räumlichkeit Möglichkeiten für Gastspiele von Akteuren aus Kleinkunst, Jazz, Chanson, Kabarett, Comedy, Literatur oder Poetry Slam. So präsentiert zum Beispiel der Leipziger Autor und Stückeschreiber Christian von Aster allmonatlich am dritten Donnerstag die Reihe „Staun und Schauder“ unter dem Motto „Literatur, Subversion und wundervolle Gespräche“. Es wird jeweils ein prominenter Gast vorgestellt. In diversen Zeitabständen kommt es auch zu aktuellen, teils politischen Gesprächen. Seit 2016 probt im Laden auch der sogenannte Kneipenchor. Frank Schletter – der in der Mitte der 80er ein Schauspielstudium begann, das er allerdings nach anderthalb Jahren abbrach, um in der Leipziger Moritzbastei den Posten als Instrukteur für Öffentlichkeitsarbeit zu übernehmen – interessierte sich schon sehr früh für das Theater. Am Ende der 80er Jahre begann er an der Grafikhochschule in Hallean der Saale auf der Burg Giebichenstein erneut ein Studium, das er jedoch während der Wendezeit ebenfalls unterbrach. Er ging wieder nach Leipzig, wo er am Schauspielhaus für sechs Jahre als Grafiker in der Werbeabteilung tätig wurde. Etwa in dieser Zeit wuchs sein heimlicher Wunsch, selbst Theater zu machen. Während der dreimonatigen Proben für das Stück „Die Stunde, da wir nichts von einander wussten“ von Peter Handke in einer Inszenierung von Wolfgang Engel (übrigens ein Stück ohne Text) bekam Frank die Chance, diesen beizuwohnen, um die Szenen grafisch festhalten zu können. Dabei konnte er nützliche Erfahrungen zur Kunst des Inszenierens sammeln. Nach seinem Wechsel zum „Theater der Jungen Welt“ bekam er zwei Jahre später das Angebot, im Leipziger Stadtteil Grünau am „Theater Fakt“ erstmalig selbst als Regisseur zu agieren, bevor er 2005 letztlich ein eigenes Ensemble gründete. Mitstreiter hierfür gewann er teils durch die damalige Zentrale Bühnenvermittlung oder in Kollegenkreisen.

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Das Ensemble setzt sich nicht nur aus Laien und professionellen Darstellern zusammen. Oft stoßen junge Leute aus bloßer Neugier dazu, um sich auszuprobieren, oder auch Studierende der Theaterwissenschaft, die eine praktische Theatererfahrung vermissen. Sie können im „PACK“ eine Art Praktikum in kreativen Bereichen wie Maskenbild, Bühnenbild, Dramaturgie oder Schauspiel durchführen.

„… das ist das Leben, das ist Theater!“ Jens-Paul Wollenberg stellt das Leipziger „TheaterPACK“ vor Unterstützung fand er auch vom in Leipzig sehr populären Theatermacher Didi Voigt, der bereits zu DDR-Zeiten Jugendliche dazu inspirierte, sich mit Schauspiel zu befassen. Er gewann talentierte Laien für sein legendäres „Theaterlabor“ und förderte sie. Das gelang ihm oft, was der Umstand beweist, dass etliche Talente sein „Labor“ als Sprungbrett nutzten, um eine professionelle Laufbahn einzuschlagen. Gleiches sollte später dem TheaterPACK widerfahren. Nach monatelanger Probenarbeit mit dem neu gegründeten Ensemble folgte noch 2005 die erste Premiere – mit dem Stück „Die Geisterseher“ nach einer unvollendeten Novelle von Friedrich Schiller. Das Stück kam beim Publikum sehr gut an, und für alle Beteiligten stand fest: Weitermachen! Frank Schletter war von Anfang an klar, dass aus finanziellen Gründen keine eigene Spielstätte, geschweige denn ein eigenes Haus zur Verfügung stehen würde. Also beschloss er mit seinen enthusiastischen Mitstreitern, die ihm teilweise noch heute die Treue halten, eine freie Theatergruppe zu gründen, quasi ein umherziehendes Ensemble. So entschied man sich für den Titel „TheaterPACK“. Schletters spezielle Art, Regie zu führen, basiert auf Erkenntnissen, die ihm bereits vorher zugutekamen. Dabei war und ist er auch bereit, zu experimentieren, er achtet jedoch akribisch darauf, den Rahmen theatralischer Gebote nicht zu sprengen, und legt großen Wert darauf, allgemein verständ-

lich zu bleiben. Besonders die Würde der Sprache soll erhalten bleiben. Während der Probenphasen kommt es nicht selten zu ernsthaften Diskussionen zwischen Darstellern, Regieassistentinnen und Kollegen. Tauchen Zweifel an der Durchführung dramaturgischer Irrungen auf, verfallen sie jedoch nicht dem Chaos, da Schletter es glänzend versteht, beruhigend zu vermitteln, zu besänftigen. Er wirkt in diesen Fällen keineswegs diktatorisch, ganz im Gegenteil. Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Geduld und stoischen Gelassenheit er Probleme bewältigt. Im „Laden auf Zeit“ werden hauptsächlich Stücke mit kleiner Besetzung aufgeführt, während man sich in der Sommertheaterzeit schon an aufwändigere Inszenierungen wagt. So wirkten zum Beispiel in der „Odyssee“ nach Homer fünfzehn Darsteller mit, wobei Schletter wichtig erschien, dass sie mehrere Rollen übernehmen. Deshalb ist ein häufiger Kostümwechsel hinter den Kulissen nicht zu vermeiden. Auch Stevensons „Schatzinsel“ oder Pratchetts „Mordverdacht“ wurden mit großem Aufwand inszeniert. Die Kostüme werden, falls noch nicht vorhanden, selbst genäht, oder man leiht sie aus; Requisiten ebenfalls. Und wenn die großen Theater der Stadt ausgediente Kulissenteile entsorgen, ist Schletter gleich zur Stelle. So leistet das TheaterPACK auch zum Recycling einen großen Beitrag. Sparsamkeit wird groß geschrieben, denn es gibt so gut wie keine Zuschüsse von

Ein außergewöhnliches Beispiel kreativer Vitalität lieferte der dreiundzwanzigjährige Student der Theaterwissenschaft Alejandro Vallejo. Der in Bogota geborene Kolumbianer, der vier Jahre zuvor nach Deutschland gekommen war, ist ein wahres Sprachgenie. Innerhalb kürzester Zeit erwarb er Vorkenntnisse der deutschen Sprache; schon nach einem zweijährigen Aufenthalt war er fähig, erste Gedichte in Deutsch zu verfassen und auch an einem Theaterstück zu arbeiten, der am 30. Mai 2017 im „Laden auf Zeit“ seine Premiere hatte. Das Stück mit dem Titel „Ich werde jetzt tanzen und möchte es möglichst real wirken lassen“ (Foto: TheaterPACK) in der Regie des Verfassers und Frank Schletters handelt von einem vereinsamten Mann, der aus seiner beinahe ausweglosen Situation – er kann nicht gut gehen – auszubrechen versucht. Das scheint ihm letztlich auch zu gelingen, in merkwürdigen szenischen Zwischenfällen. Mit cleveren und abwechslungsreichen Überraschungen überzeugt das zum Teil auch sozialkritische Stück durch surreal-grotesk anmutende Subversivität. Inzwischen erarbeitet der sympathische „Umhergetriebene“ Alejandro an einem zweiten Stück, wobei er die praktische Umsetzung mit seinen im Studium erworbenen theoretischen Kenntnissen verbinden kann. Die Vielfalt des Spielorts wird zusätzlich bereichert durch Ausstellungen beispielsweise origineller Kostümentwürfe, Grafiken und Gemälde Frank Schletters oder anderer Protagonisten aus dem Bereich der Bildenden Kunst. Oder durch Stücke, die in denen die Zuschauer ganz bewusst einbezogen werden, wie in „Menschen mit beleuchteten Häuptern“, wo es heißt: „Eine These steht bereits im Raum“, wo das Publikum aufgefordert wird, seine Stimme abzugeben, um selbst ein Teil des Experiments zu werden. Dabei ist abzustimmen, was letztendlich als Antwort auf die übergeordnete Frage gegeben werden kann: „Ist Kunst oder Theater in der Lage, die Gedankenwelt der Menschen zu beeinflussen?“ Dass sich hierbei eine schöpferische Lebenskraft entwickelt, die Lebendigkeit und Vielfalt im geistigen Sinne fördert, ist die Voraussetzung für gelungene Veranstaltungen. „Das ist das Leben, das ist Theater.“ Weiter so!


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Oktober 2017

Sachsens Linke

Aktuelle Informationen stets auch unter www.dielinkesachsen.de

Sachsens Wahlbeben Von alleine wird nichts wieder gut, meint Thomas Dudzak

Ein Abschied An dieser Stelle habe ich in den letzten acht Jahren in (fast) jeder Ausgabe als Landesvorsitzender der sächsischen LINKEN meinen aktuellen Kommentar abgegeben zur politischen Situation im Freistaat und der Bundesrepublik, zur Partei, zu den Herausforderungen und Problemen, vor denen wir standen und stehen.

An jenem 18. Oktober hatte wohl keiner mit dieser Nachricht gerechnet. Kurzfristig war die Landespresse zu einem Statement des Ministerpräsidenten gerufen worden, um 16 Uhr trat er vor die Presse. Vor dem Haus standen zwei Limousinen mit Berliner Kennzeichen und Blaulicht. Das Präsidium der sächsischen CDU hatte sich kurz zuvor in den Räumen der Staatskanzlei getroffen. Diese sächsische Selbstverständlichkeit – dass die herrschende CDU einer Staatspartei gleich ihre Partei- und Wahlkampfgeschäfte wie selbstverständlich aus der Dresdner Archivstraße heraus regelt – sollte an diesem Tag wieder niemand kritisch hinterfragen. Der Ministerpräsident war unter Beschuss geraten. Öffentlich hatte sich sein Vor-Vorgänger in einem bizarren Doppelinterview mit seiner Frau von ihm distanziert, ihm die Eignung zum Regieren abgesprochen. Die Sachsen hätten das Gefühl, „nicht gut regiert“ zu werden. Ein vernichtendes Urteil. Dass der Ex-Regierungschef eine offene Rechnung mit dem Ministerpräsidenten beglich – dem er wohl auch übel nahm, dass er sich öffentlich von der Publikation der Biedenkopfschen Tagebücher distanziert hatte –, war unübersehbar. Dass er gleichzeitig an seinem eigenen Denkmal sägte, allerdings auch. Die Niederlage der sächsischen CDU zur Bundestagswahl, das muss man bei aller Kritik am eigenen Wahlergebnis stets mitdenken, hat ein politisches Beben ausgelöst. Fast ein Drittel ihrer Wählerschaft hat die Union gegenüber 2013 verloren. In vier Wahlkreisen konnte sie die bisher sicher geglaubten Direktmandate nicht verteidigen: In

Bautzen, Görlitz und in der Sächsischen Schweiz/Osterzgebirge verlor sie diese an die AfD, in Leipzig-Süd an DIE LINKE. In vier weiteren Wahlkreisen, auch in dem des Bundesinnenministers, musste die Union lange zittern. Am Ende lief sie bei den Zweitstimmen lediglich auf dem zweiten Platz ein, hinter der AfD. Die traditionell rechte sächsische Union ringt seitdem um Fassung. Wie sollte man reagieren? Tillich forderte prompt, die CDU müsse weiter nach rechts rutschen. Dafür bekam er jedoch nicht nur Applaus. Aus den eigenen Reihen blies ihm Widerstand entgegen. Elisabeth Galli, Mitglied im Kreisvorstand in Dresden, kündigte ihren Parteiaustritt an. Auf Twitter schrieb sie: „Mein Austrittsgrund heißt #Tillich“.

Ein Staatsverständnis, eine demokratische Kultur, die der Union insgesamt fremd ist. Einer Union, die nicht davor zurückschreckt, kritische Berichterstattung über die sächsischen, von ihr verantworteten Verhältnisse offen zu bekämpfen, wie zuletzt auf dem Meißner Literaturfest. Die seit Jahrzehnten rechte Umtriebe leugnet, verharmlost oder mit einem Verweis auf links wegzuschieben versucht. Schon 2014 hat Tillich am Wahlabend im ZDF verkündet, man werde erst noch sehen, ob die AfD wirklich rechts der Union stehe. Allzu oft hat die sächsische Union versucht, den Gegenbeweis anzutreten. Doch wer rechtspopulistische Argumente übernimmt, macht Rechtspopulisten nicht überflüssig, sondern salonfähig.

Es war nicht der erste Parteiaustritt, der in der Vergangenheit für Aufmerksamkeit sorgte. Zuvor war auch der selbst nicht über jeden Makel erhabene Frank Richter, der harte Kritik dafür einstecken musste, den PEGIDA-Organisatoren in der damals von ihm geleiteten Landeszentrale für politische Bildung eine öffentliche Plattform geboten zu haben, aus der Partei ausgetreten. „Wer Bekenntnisse verlangt und Debatten meidet, meint es nicht gut mit der Demokratie“, hatte er seiner Ex-Partei mit auf den Weg gegeben. Und: „Die Demokratie erschöpft sich nicht im Gang an die Wahlurnen. Sie unterscheidet sich von der Monarchie unter anderem dadurch, dass die Bürgerinnen und Bürger die Republik als ihre eigene Angelegenheit – und nicht die Angelegenheit des Königs – betrachten und deren Wohl und Wehe öffentlich und kontrovers diskutieren.“

Nach 27 Jahren in der Politik sei es an der Zeit, die Geschicke in jüngere Hände zu legen, meint Tillich. Warum spricht er von 27 Jahren und nicht von den 30 Jahren, die er tatsächlich „im Geschäft“ war? Die jüngeren Hände gehören Michael Kretschmer, seinem bisherigen Generalsekretär, dem ein AfD-Bewerber gerade den Bundestagswahlkreis abgenommen hat. Ihn als Wahlverlierer ins Lächerliche zu ziehen, greift zu kurz. Kretschmer hat sehr oft Verständnis für die Sorgen und Nöte der Rechtspopulisten gezeigt, selbst gerne gezündelt. Wenn Tillich einen Rechtsruck der Union ankündigt – mit Kretschmer liefert er ihn. Und stellt auch die Opposition vor Probleme – wenn die nicht in der Lage ist, ausgetretene Pfade und liebgewonnene Gewohnheiten zu verlassen, um dem Rechtsruck etwas entgegenzustellen. Von alleine wird nichts wieder gut.

Wenn am 4./5. November 2017 der 14. Landesparteitag zu seiner 2. Tagung im Chemnitzer Luxor zusammentritt und die personellen und strategischen Weichen für die kommenden Jahre stellt, werde ich nicht wieder als Landesvorsitzender kandidieren. Die Satzung der Partei DIE LINKE formuliert einen Anspruch: Kein Parteiamt soll länger als acht Jahre durch dasselbe Parteimitglied ausgeübt werden. Diesem Anspruch fühle ich mich persönlich verpflichtet. Nach acht Jahren als Landesvorsitzer häre ich nun auf. Ich werde mich zukünftig auf den Fraktionsvorsitz im Sächsischen Landtag konzentrieren. Ich sehe angesichts der kommenden Herausforderungen im Freistaat unter einem designierten Ministerpräsidenten Kretschmer in dieser Konzentration große Vorteile: Tillich hatte einen Rechtsruck seiner Partei gefordert. Mit Kretschmer liefert er diesen. Wir müssen es besser schaffen als bisher, öffentlich wahrnehmbar unsere politische Agenda zu präsentieren. Wir müssen deutlicher machen, dass es nur eine gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus gibt: uns, DIE LINKE. Wir müssen eine Sozialstaatsgarantie erreichen, um den Menschen die Angst vor dem sozialen Abstieg zu nehmen. Bis 2019, bis zur Landtagswahl, haben wir nicht mehr viel Zeit. Also machen wir gemeinsam etwas draus.


Sachsens Linke! 04/2017

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Leserbriefe Zur Bundestagswahl (Links! 10/2017, S. 1, Sachsens Linke! 10/2017, S. 1, 3)

Mit wem sollen wir das Bündnis suchen? Nicht nur in der „Anstalt“ vom 17.10.2017 wurde darauf hingewiesen, dass schon lange rechte Parteien im Bundestag sitzen, die die Tradition der Nazis fortführen. Ich stimme voll zu, dass wir uns fragen müssen, warum viele fälschlicherweise die AfD und nicht die LINKE als Protest und Alternative gegen Umverteilung von unten nach oben, Sozialkürzungen und Demokratieabbau sehen. Warum verfing bei vielen die Teile-und-herrsche-Politik der Regierenden, statt die berechtigte Unzufriedenheit auf die wirtschaftlich Mächtigen bzw. das kapitalistische System zu lenken? Aber haben wir Letzteres ausreichend versucht? Warum sehen viele die LINKE als Teil des herrschenden Systems? Hat Simone Hock nicht eine Antwort darauf gegeben, indem sie ihre größere Nähe zu FDP („demokratische Kräfte“) und „Pulse of Europe“ betont, während ich die genannten Punkte bei ihr nicht gefunden habe? Stehen nicht die „Partei der Besserverdienenden“ und die EU für die Diktatur des Kapitals? Warum ist eine Diskussion zwischen Parteien und nicht der unmittelbare Einfluss der Bevölkerung, unabhängig von ihrer Herkunft und Status, Demokratie? Sollen wir das Bündnis mit den Herrschenden suchen oder nicht mit allen antikapitalistischen oder zumindest kapitalismuskritischen Kräften? Das schließt die Bekämpfung von Nationalismus, Rassismus und sonstiger gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ein. Haben wir nicht nur dann eine Chance, wenn wir viele Menschen zu Protesten z. B. auf der Straße für ihre Interessen gegen Nationalismus ermutigen können? • Uwe Schnabel, Coswig Zu „Es muss mal gut sein“ von Simone Hock (Links! Oktober 2017, S. 1) und „Der gelernte Bär tanzt für jeden, der ihn füttert“ von Horst Schneider (Links! September 2017, S. 5)

Zwei Seiten ein- und desselben Glaubens Auch ich kannte einen Kleriker, der 1990 zu den ersten Wahlen die fixe Losung ausgab: „Augen zu, CDU!“ Dahinter stand wohl durchaus das Wissen um christlich-idealistische Vorbehalte gegen die jetzt zu erwartende Ellenbogengesellschaft; allerdings schien ihm die damit gleichzeitig zu erwartende wirtschaftlich-gesellschaftliche Praktikabilität das ihm viel stärkere Argument zu sein, vom verständlicherweise gewünschten Wegfall des staatlichen Atheismus mal ganz abgesehen. Ich vermag daraus allerdings keine wie immer auch subtil-graswurzelartig verflochtene „Linie“ erkennen, die eventuell am Beispiel Frank Richters herauszufiltern wäre – nur weil der zusammen mit Bischof und Herbert Wagner auch Katholik war.

Ich halte es für nötig, uns die objektiven Geschehnisse nicht allzu wohlfeil „zurecht zu interpretieren“. Die Wende insgesamt ist keinesfalls dogmatisch als „Konter“-Revolution zu begreifen. Viele der nachfolgenden Fehlverhandlungen, Inbesitznahmen, Übertölpelungen würden solches sehr viel eher nahe legen. Wobei man freilich miteinrechnen müsste, dass – völlig anders als in den imperial beherrschten „Hinterhöfen“ der USA! – hierzulande eine derartige „Anti“-Stimmung kumuliert war, über welche die westliche Seite selbst nur staunen konnte. Die Wende begann nicht in Leipzig, sondern bei uns in Dresden mit einem wirklich ersten Heldentum, nämlich Modrows und Berghofers Dialogbereitschaft. Ich stand mit auf der Prager Straße. Unsere DDR sollte einfach eine demokratischere DDR werden. Sie ist dann vordergründig freilich nicht am „Mangel an Demokratie“, sondern an der Ineffizienz ihres Wirtschaftskonzeptes zugrunde gegangen. Sie hatte den Massenprotesten einfach nichts mehr entgegenzusetzen, dazu brauchte es keinerlei untergründig-reaktionäre oder klerikale Verschwörungen mehr. Natürlich hatte auch ich meine jahrelange kritische DDR-Akzeptanz mit etlichen recht guten Gründen gerechtfertigt. Was wir heute als eine demokratieferne Öffentlichkeitsscheu in z.B. dunklen

Konzern-Hinterzimmern erfahren, wurde haargenau so praktiziert – nur eben machtbezogen auf die gesellschaftliche Fülle sämtlicher Lebensvollzüge gerichtet. Gewiss haben viele SED-Genossen selbst auf dringende Veränderungen gehofft. Nur: Mit-Initatoren, gar „Motor“ der Wende waren sie nicht! Und überdies, unsere Bevölkerung in ihrer vollen Breite wollte überhaupt keine SED mehr, auch keine „geläuterte“! In dieser Situation waren es, nun ja, diese: „Religiosen“, u.a. Christoph Ziemer, die mit behutsamem Agieren zum allgemein akzeptierten Begriff der friedlichen Revolution führten, was auch mir (gewordenem) Atheisten Achtung abnötigte. Historisch gesehen haben die Kirchen dadurch eine öffentliche Bedeutung erlangt, die sehr weit über das hinausgeht, was deren Gemeindemitglieder überhaupt selbst noch glauben. In einem bin ich eins mit dem Schreiber: In der heutigen Medienlandschaft mutet es an als gäbe es beinahe gar keine Atheisten mehr. Als könne nicht auch ein völlig religionsfreier Mensch „glaubwürdig“ sein, als müsse sich heutzutage ein Ungläubiger vor den Kirchengläubigen seinerseits etwa gar noch rechtfertigen … Eine östliche Religionsferne „nur“ aufgrund von DDR-Propaganda hatte in meiner Person z. B. überwiegend mit Vernunfterkenntnissen zu

tun. Als die Kirchen noch erklärt „unpolitisch“ waren, gehörten sie meistens zu den reaktionärsten Vereinigungen überhaupt. Allerdings hat sich ja wohl seit Voltaires „Radiert sie aus, die Verruchte!“ einiges verändert. Soll ein weitertransportiert-aggressiver Atheismus nun mit Simone Hocks Erfahrungen gar nichts anfangen dürfen? Da geht es gleich wieder darum, „ob Beten … denn hülfe …“ – ach ja. Einem Milieu, das nur seinen eigenen Schreibtisch, meist nur eine enge weltanschauliche Dogmatik, z. B. nur das ehemalige SED-Parteilehrjahr und nicht auch „zwei Blicke“ ins weite Leben kennt, musste zwangsläufig manches verborgen geblieben sein. Und wieviel gerade eine moderne, nunmehr wirklich „politische Theologie“ zur Akzeptanz weltweit linker Bestrebungen beigetragen hat! Bei Graham Greene z. B. sind Christentum und Sozialismus „eventuell nur … zwei Seiten ein- und desselben Glaubens“. Und, hierzulande nicht ganz unbekannt, ist Ernesto Cardenals „Einheit von Sandinismus, Katholizismus und Marxismus“ nicht an der religiösen Komponente zerbrochen. Inzwischen sind ja neben den Grünen auch die Religiösen unsere am ehesten greifbaren Verbündeten, wenn es um humanitär-ökologische AlltagsProbleme geht. Ich bleibe zutiefst Atheist: Ich glaube an fast alle Götter! – die sich die Menschen selbst gemacht haben, nur eben nicht an jeden Quark. An etlichen Frommen stört mich deren unverhohlene Schadenfreude beim Scheitern des Sozialistischen Weltsystems: Das christliche Weltgestaltungsmodell ist bereits 500 Jahre zuvor zusammengebrochen! • Hubert Lehmann, Dresden

Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­lage von 10.950 Explaren gedruckt. Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt, Ralf Richter, Stathis Soudias. Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, pixelio, iStockphoto Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Telefon 0351-8532725 Fax 0351-8532720 Redaktionsschluss: 23.10.2017 Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 06.12.2017.


11/2017 Sachsens Linke!

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Ist doch nur ein Kompliment! Anja Eichhorn über die Banalisierung sexistischen Verhaltens Kennt ihr das? An der Haltestelle warten und gefragt werden, warum man nicht lächelt? „Du würdest doch schöner aussehen, wenn du lachen würdest.“ Oder von männlichen Kollegen* gesagt bekommen, dass es gut ist, endlich hübsche Frauen* in der Runde zu haben? Die meisten, darunter vermutlich mehrheitlich Frauen*, kennen das gut. Sie kennen sicher auch die Reaktionen auf direkt angesprochene und kritisierte verbale Sexismen: „Ist doch ein Kompliment! Hab dich nicht so!“ Mein persönlicher Favorit: „Ihr Feminist*innen! Ihr braucht euch auch nicht wundern, dass keiner euch haben will!“ Dabei sind diese Beispiele nur die

Spitze des Eisbergs. Sie sind Teil eines gewaltigen Problems, das sich von sexistischen Äußerungen und Beleidigungen bis hin sexualisierter und/ oder körperlicher Gewalt erstreckt und für viele Menschen, vor allem Frauen*, Alltag ist. Die im Zuge des Skandals um Harvey Weinstein angestoßene Internet-Kampagne #metoo zeigt das Ausmaß der weltweiten Erfahrungen von Frauen* mit Sexismus und sexualisierter Gewalt. Was für einige überraschend sein mag, ist für viele feministische Initiativen und Frauen*rechtler*innen seit Jahrzehnten Teil politischer Auseinandersetzungen. Am 25. November jährt sich der Tag

gegen Gewalt an Frauen*. Und trotz hart erkämpfter Fortschritte beschreiben viele Organisationen heute wie damals die gleichen Probleme. Mit dem Blick auf den Rechtsruck wird klar, dass der Kampf gegen Gewalt an Frauen* und Mädchen nicht selbstverständlich ist und bleibt. Zeigt sich doch gerade hier ein Erstarken chauvinistischer und frauen*feindlicher Weltbilder, als Markenkern konservativer und rechter Bewegungen. Einer Politik, die Teil politischer Entscheidungen geworden ist. So ist es wichtiger denn je, sich für eine geschlechtergerechte und gewaltfreie Gesellschaft stark zu machen und vor allem nach außen zu tragen, was auf dem Spiel steht, wenn wir das Feld den Gaulands, Trumps und Storchs überlassen. Es darf keine Nebensache sein, sich für Frauen* und Freiheitsrechte stark zu machen. Kampagnen wie #metoo sind wichtig, weil sie Öffentlichkeit schaffen und den Betroffenen eine Stimme geben. Sexismus ist keine Bagatelle. Vor allem ist es nicht die Schuld oder das „humorlose Unverständnis“ der Frauen*, wenn das meist männliche Gegenüber glaubt, ein Recht darauf zu haben, Frauen* anzugreifen, abzuwerten oder Gewalt auszuüben. Sexistische Kommentare sind kein Flirt und die Objektivierung von Frauen* kein Kompliment. Sexualisierte Gewalt ist ein Verbrechen und nicht die Schuld der Frau*. Und es liegt auch in der Verantwortung der Männer*, sich und ihre Privilegien zu hinterfragen, sich solidarisch zu zeigen und emanzipatorische Politik als ein gemeinsames Projekt zu begreifen. Ich lache nicht um „schön auszusehen“, sondern weil ich möchte. Das klingt einfach, und das sollte es sein. Darin verbirgt sich eine wesentliche Forderung: Selbstbestimmung.

Neues aus dem Landesvorstand Seit Jahren fordern wir, dass Schülerinnen und Schüler länger gemeinsam lernen sollen. Nun bestätigt dies eine Umfrage, die unsere Landtagsabgeordnete Cornelia Falken vorstellte. Aktuell werden die Möglichkeiten für einen Volksentscheid 2019 diskutiert. Steffen Twardowski stellte eine aktuelle Wahlumfrage vor. Aus der Analyse lassen sich viele interessante Schlussfolgerungen treffen. Die Landesvorstandsmitglieder stellten viele Fragen und gaben erste Erfahrungen und Wertungen zu ihrem erlebten Wahlkampf wieder. Auch wenn unsere Ergebnisse nicht die Besten sind, sollten wir den Kopf nicht hängen lassen! Wir haben neue Mitglieder gewonnen, ein Direktmandat geholt und auch Zuspruch für unsere Standhaftigkeit und Forderungen erfahren. Ein großes Dankeschön an dieser Stelle für die super Arbeit unserer Mitarbeitenden der Landesgeschäftsstelle. Zudem stellte Stefan Hartmann den Leitantrag vor, der auf dem Landesparteitag im November verabschiedet werden soll. Der jetzige Landesvorstand tagt nur noch zweimal, dann darf ein neuer Landesvorstand sein Können unter Beweis stellen. So sprachen einige Landesvorstandsmitglieder darüber, ob sie noch einmal kandidieren möchten oder nicht. Zum Schluss sprachen sich die Mitglieder für die Unterstützung der Rennraddemo des Roten Sterns Leipzig anlässlich der 73. Gedenkfeier in Buchenwald am 14. und 15. April 2018 aus. • Jenny Mittrach

Per (Schnell-)Bahn von Dresden nach Prag? „Ich bin glücklich, dass die 43 Kilometer lange Neubaustrecke nun endlich in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplanes aufgenommen wurde“, erklärte der sächsische Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) am 26. August 2017, kurz vor der Bundestagwahl. Das war nach Auskunft der Bundesregierung auf die Anfrage der LINKEN im Bundestag zum Thema „Aktuelle Planungen für das Projekt einer neuen Bahnstrecke von Dresden nach Prag“ (Drucksache 18/13673) eine Falschaussage, denn bevor dieses Projekt – falls überhaupt – von der Kategorie „potentieller Bedarf“ in die Kategorie „vordringlicher Bedarf“ aufrückt, sind noch viele offene Fragen zu klären. Die volkswirtschaftliche Bewertung soll laut dem Parlamentarischen Staatssekretär Enak Ferlemann (CDU)

bis Ende 2017 abgeschlossen sein. Diese Bewertung und weitere Untersuchungen (z. B. zur Frage, ob etwa Gefahrguttransporte dann auch durch den neuen 23 Kilometer langen Tunnel fahren können) sind eine zwingende Voraussetzung für die Einordnung des Vorhabens in den Bundesverkehrswegeplan. Nur auf dieser Grundlage kann dann auch die Öffentlichkeit ergebnisoffen über ein Für und Wider dieses Groß-Projektes diskutieren. Sind die derzeit veranschlagten 2,3 Milliarden Euro (davon etwa eine Milliarde von deutscher Seite) gut angelegtes Geld, und ist diese Plansumme auch nur halbwegs realistisch? Was passiert, wenn die Kosten weiter explodieren – wie bei anderen Großvorhaben (siehe City-Tunnel in Leipzig oder Stuttgart 21)? Es gibt Befürchtungen, dass die Untertunnelung

sogar bis zu 10 Milliarden Euro kosten könnte. Schon in der gemeinsamen Untersuchung von Deutschland und Tschechien im Jahr 2010 konnte eine gesamtwirtschaftliche Vorteilhaftigkeit nur knapp nachgewiesen werden. Was ist bis zur (eventuellen) Fertigstellung der Bahnstrecke in frühestens 20 Jahren zu tun, um den derzeitigen Bahnlärm im Oberen Elbtal kurzfristig deutlich zu reduzieren? Nicht zuletzt stellt sich die Frage: Wollen wir wirklich, dass ein in erheblichem Maße vom Tourismus abhängiger Landkreis künftig komplett vom nationalen und internationalen Fernverkehr abgekoppelt wird? Derzeit kann man von Bad Schandau aus mit der Bahn direkt nach Prag, Wien und Budapest ebenso wie nach Berlin, Hamburg sowie an die Ostsee reisen und natürlich umgekehrt von dort auch die Sächsische Schweiz erreichen.

Grundsätzlich stehen wir für die Verlagerung von Personen- und Güterverkehren von der Straße auf die Schiene und das Schiff. Andererseits sind die Bahnstrecken durch das obere Elbtal schon heute überlastet und der damit verbundene Bahnlärm ist für Anlieger kaum erträglich. Und die Elbe steht angesichts der niedrigen Wasserstände immer weniger für die Schifffahrt zur Verfügung und soll – so auch eine Forderung von uns – eher weiter renaturiert und nicht als Wasserstraße ausgebaut werden. Deshalb muss sich DIE LINKE in der betroffenen Region, im Sachsen und in der Bundestagsfraktion zu diesem geplanten Bahn-Großprojekt möglichst auf eine gemeinsame Position verständigen. • André Hahn


Sachsens Linke! 11/2017

Zukunft der LINKEN im Erzgebirge beraten Am 21. Oktober 2017 fand in Stollberg die Gesamtmitgliederversammlung der LINKEN im Erzgebirge statt. Auf der Tagesordnung standen die wichtigen Themen Wahlauswertung, Rückblick auf zehn Jahre LINKE im Erzgebirge, Ausblick auf die Arbeit in den nächsten zwei Jahren, Wahl des neuen Kreisvorstandes, der Delegierten zum Bundesparteitag und der Seniorenkonferenz sowie der Revisionskommission. Der scheidende Kreisvorsitzende Klaus Tischendorf gab einen Rückblick auf die Arbeit der Kreisorganisation seit der Gründung des Erzgebirgskreises. Dabei erläuterte er, dass es von Anfang an nicht einfach war, die doch sehr unterschiedlich arbeitenden Strukturen zu verschmelzen. Er hob noch einmal hervor, dass die geschaffene Struktur der Koordinierungsräte in den Altkreisen ein sehr hilfreiches Instrument der Arbeit war und nach wie vor ist.

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DIE LINKE. Kreisverband Erzgebirge

Bei der Bundestagswahl hat die LINKE im Landkreis im Durchschnitt fünf Prozentpunkte verloren. Trotzdem haben 15 Prozent der Wählerinnen und Wähler die LINKE gewählt. Ich habe dazu in meinem Ausblick auf die nächsten Jahre gesagt, dass es wichtig ist, wieder ein sozialistisches Gesellschaftsmodell zu entwickeln und das auch zu vermitteln. Dazu gehört auch, dass wir wieder eine einfachere Sprache finden, um unsere Ziele darzulegen. Es kommt auch darauf an, wie wir die Auseinandersetzung mit den anderen Parteien führen. Gesprächsrunden, wo wir uns nur erklären, helfen da nicht weiter. Streitgespräche zu Inhalten sind wichtig. Ein wichtiger Teil der Arbeit wird auch die Vernetzung der Basisgruppen mit den fachlichen Arbeitsgruppen beim Kreisvorstand sein. Gewählt wurde natürlich auch. Klaus Tischendorf hatte im Januar 2017 schon angekündigt, nicht wieder für

den Kreisvorstand anzutreten. Ich durfte bisher als sein Stellvertreter wirken und wurde nun mit 96,5 Prozent der abgegebenen Stimmen zum neuen Vorsitzenden gewählt. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken! Andrea Schrutek (95,5 %) und Angela Hähnel (80,7 %) sind in ihren Funktionen als Geschäftsführerin und Schatzmeisterin bestätigt worden. Zu ersten Mal gibt es im Erzgebirge einen jugendpolitischen Sprecher, Kevin Horn wurde mit 97,7 Prozent gewählt. Der Kreisvorstand hat sich grundsätzlich verjüngt. Wir haben es geschafft, einerseits erfahrene Menschen und andererseits junge Menschen in den Kreisvorstand zu wählen. Einen ausführlichen Bericht findet ihr unter: http://www.dielinke-erzgebirge.de/ partei/mitgliederversammlungen/ • Holger Zimmer

Aus dem Kreistag berichtet Bürgerfragestunde um 18 Uhr Mühselig haben wir uns als Kreistagsfraktion durchgesetzt, damit die Bürgersprechstunde im Rahmen jeder Kreistagssitzung zu einer festen Uhrzeit durchgeführt wird. Dieser Prozess hat über ein Jahr gedauert. Seit 2017 können die Bürger_innen gegen 18 Uhr Fragen stellen. Uns als Fraktion war sehr daran gelegen, dass dieses Fragerecht zeitlich einplanbar wurde. Warum diese Bemühungen wegen einer „Kleinigkeit“? Natürlich kann man diskutieren, welche Uhrzeit die bürgerfreundlichste sein könnte. Letztlich gibt es aber auch kaum Bürger_innen, die über die gesamte Sitzungslänge anwesend sind, obwohl über das Ratsinformationssystem alle öffentlichen Unterlagen online zugänglich sind. Aber nicht nur der zeitliche Aspekt entscheidet über die Akzeptanz der Bürgerfragestunde sowohl bei jenen, die gefragt werden als auch bei jenen, die fragen sollten. Letztere zu mobilisieren ist keine leichte Aufgabe, denn bisher gab es in keiner Sitzung einen Ansturm von Fragenden. Warum wird dieses Angebot nicht angenommen? Ist es die Scheu vor dem großen Gremium, ist es Desinteresse, oder gibt es wirksamere Möglichkeiten der Meinungsäußerung? Bestimmt steckt in allem ein Stück Wahrheit. Wir dürfen nicht darin müde werden, Bürger_innen zu ermuntern, häufiger zu hinterfragen und Vorschläge zu unterbreiten; letztlich das Gremium Kreistag viel intensiver zu fordern. Für uns als Kreisräte heißt das, dass wir neue Wege der Kommunikation finden müssen. • Barbara Drechsel, Mitarbeiterin der Kreistagsfraktion

Ergebnis einer Willkommenskultur: (k)eine Perspektive? Tesfaye* aus Afrika lebt seit drei Jahren in Deutschland. Hoch motiviert besuchte er zunächst ehrenamtlich geführte Deutschkurse und gelangte später in zertifizierten Kursen bis zum Niveau B 1. Er brachte seinen afghanischen Freunden die deutsche Sprache bei. Sein Ziel, Tischler zu werden, verfolgte er von Anfang an. Heute schaut Tesfaye* verlegen zu Boden und malt

mit der Spitze seines Turnschuhs einen Kreis. „Ich habe keine Perspektive“ murmelt er. Nachdem er mehr als zwei Jahre in Deutschland gelebt hatte, wurde sein Asylantrag abgelehnt. Auch sein afghanischer Freund hat große Angst. Er ist nur noch geduldet. Das Land, in dem er geboren wurde, ist inzwischen als sicheres Herkunftsland eingestuft. Welche Perspektive gibt es?

Parteimitglieder und Symphatisanten der Partei DIE LINKE.Erzgebirge treffen sich aller zwei bis drei Monate in der AG Asyl zu einem Erfahrungsaustausch. Nachdem sich die Zahl ankommender Flüchtlinge verringert hat, könnte man meinen, ehrenamtliche Helfer würden nicht mehr gebraucht – aber weit gefehlt. Unsere Arbeit hat andere Inhalte bekommen. Aus einer Willkommenskultur wurde eine Abschiebekultur, und die Feststellung

„geringe Bleibeperspektive“ wird oft benutzt, um Teilhabemöglichkeiten zu verbauen. Das erzeugt bei Betroffenen Frustration, Depression und führt zur Ausgrenzung vieler einst hochmotivierter junger Menschen. Hier dürfen wir nicht wegschauen und auch keine Ruhe geben! • Annett Börner * Name geändert


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11/2017 Sachsens Linke!

DIE LINKE. Kreisverband Zwickau

Was ist am Gewandhaus in Zwickau passiert? Im Gewandhaus, einem der ältesten Häuser am Hauptmarkt, wurde bis vor kurzem Theater gespielt. Der Zustand des Gebäudes wurde schon vor längerer Zeit als sanierungsbedürftig erkannt, und folgerichtig fasste der Stadtrat am 24. April 2014 den Grundsatzbeschluss zur Durchführung der

Gesamtbaumaßnahme Umbau und Sanierung des Gewandhauses bis Anfang 2018 in Höhe von circa 9,6 Millionen Euro. Damals sagte der inzwischen verstorbene Baubürgermeister Dietrich in seiner Einführungsrede: „Die Fertigstellung dieses ersten Bauabschnittes soll spätestens im Früh-

jahr 2018 abgeschlossen sein, damit zur 900-Jahr-Feier der Stadt Zwickau das Gewandhaus in neuem Glanz ausstrahlen kann“. Dann gab es am 20. Januar 2015 eine Sitzung des Bauausschusses, in dem erste Leistungen in Höhe von 1,9 Millionen Euro vergeben wurden.

Am 24. März 2016 erhöhten sich die geschätzten Gesamtkosten auf 14,25 Millionen € und der Fertigstellungstermin verschob sich auf Februar 2019. Es schien alles planmäßig zu laufen, bis die Medien am 27.09.2017 über Störungen im Bauablauf berichteten. Die Verwaltung hatte dem beauftragten Architekturbüro wegen fehlender bzw. mangelnder Planungs- und Koordinierungsleistungen, einer unzureichenden Beachtung der Komplexität und der denkmalpflegerischen Anforderungen sowie einer vorhergesagten erheblichen Bauzeitverlängerung von einem halben Jahr fristlos gekündigt. Unsere Fraktion initiierte gemeinsam mit anderen Stadträten eine Sondersitzung des Stadtrates am 16.10.17, in deren Folge ein Akteneinsichtsausschuss gebildet wurde. Dieser zeitweilige Ausschuss soll durch Sichtung von Protokollen und Schriftstücken klären, worin die Ursachen und Verantwortlichkeiten liegen, die zur Kündigung des Vertrages mit dem Architekten geführt haben – beginnend mit der Ausschreibung und der Vergabe bis zum Bauablauf.

Foto: Ralph Köhler

Der Akteneinsichtsausschuss wird sein Ergebnis in der Sitzung des Stadtrates im Februar 2018 mitteilen.

Termine

Aus dem Kreisvorstand Kreisparteitag im Januar – Kandidierende gesucht! Auf seiner Sitzung am 5. Juli 2017 hat der Kreisvorstand einstimmig beschlossen, für den 13. Januar 2018 einen Kreisparteitag einzuberufen. Im Mittelpunkt stehen verschiedene Wahlen. Gewählt werden müssen der Kreisvorstand, die Kreisfinanzrevisionskommission und die sechs Delegierten zum Bundesparteitag, zudem die acht Delegierten zur LandesseniorInnenkonferen. Wählbar und wahlberechtigt sind bei letzterem alle Genossinnen und Genossen ab dem vollendeten 60. Lebensjahr. Alle, die sich für eine Funktion oder für mehrere bewerben wollen, reichen bitte ihre Kandidatur unter Benennung der Funktion, für die sie kandidieren wollen, schriftlich bei der Kreisgeschäftsstelle ein, zum Beispiel per Mail. Kurzentschlossene haben selbstverständlich auch am 13. Januar 2018 noch die Chance, vor Ort ihre Kandidatur zu erklären, solange die entsprechende Liste per Beschluss durch den Kreisparteitag noch nicht geschlossen wurde. • Sandro Tröger, Kreisvorsitzender Knapp 16.000 Euro Spenden eingegangen – Dank an alle Spenderinnen und Spender

Mit Beschluss des Kreisparteitages vom 19. August 2017 waren der Kreisvorsitzende und die Schatzmeisterin beauftragt worden, alle Mitglieder unseres Kreisverbandes anzuschreiben und um finanzielle Unterstützung zur Refinanzierung der Wahlkampfausgaben 2017 zu bitten. Der Brief war ein großer Erfolg – über 160 Genossinnen und Genossen haben eine Spende geleistet. So gingen in den ersten beiden Wochen nach Versand des Briefes beim Kreisverband Spenden in Höhe von 7.500 Euro ein. Hinzu kommen Spenden, die bereits vorher in einzelnen Ortsverbänden gesam melt worden waren. Für das Jahr

• Thomas Koutzky, Zwickau

2017 ergeben sich somit bis jetzt Spendeneinnahmen in Höhe von rund 10.000 Euro. Im letzten Jahr waren von September bis Dezember 5.800 Euro an Spenden eingegangen. Somit ist es dank der zahlreichen spendenbereiten Genossinnen und Genossen gelungen, innerhalb von 13 Monaten knapp 16.000 Euro für die politische Arbeit unseres Kreisverbandes einzuwerben.

9. November 2017 15 Uhr: Gedenken auf dem Jüdischen Friedhof in Zwickau 16 Uhr: Gedenken am Georgenplatz in Zwickau 18:30 Uhr: „Verwaltung am Limit: Reichsbürger, Selbstverwalter und Staatenlose“, Parterre des Alten Gasometer in Zwickau 15. November 2017

An alle Genossinnen und Genossen, die gespendet haben, geht ein herzlicher Dank – verbunden mit der Zusicherung, dass der Kreisvorstand auch weiter auf eine sparsame und zielgerichtete Verwendung achten wird.

18 Uhr: Gedenk-Späti und Ausstellung „Freiheit kontra Hitlerjugend“, Schumann-Platz, Zwickau 18 Uhr: Mitgliederversammlung in Wilkau-Haßlau, KGA Am Schmelzbach

• Sandro Tröger, Kreisvorsitzender

21. November 2017 19 Uhr: „Politische Kultur auf Abwegen“ mit Frank Richter, Martin-Luther-King-Zentrum, Stadtgutstraße 23 , Werdau

Finanzplan 2018 beschlossen Einstimmig beschloss der Kreisvorstand auf seiner Sitzung am 11. Oktober 2017 den Finanzplan für das Jahr 2018. Geplanten Einnahmen in Höhe von rund 64.000 Euro stehen geplante Ausgaben in Höhe von rund 60.000 Euro gegenüber. Somit könnten 4.000 Euro Ende 2018 in die Rücklage des Kreisverbandes gehen – sprich: auf die hohe Kante gelegt werden. • Simone Hock

28. November 2017 19 Uhr: „Auch Jerusalem hat Krallen“ – Lesung mit Diskussion, politikkontor, Bahnhofstraße 5 in Kirchberg Das gesamte Programm hier: www.zwickauer-demokratie-buendnis.de/ veranstaltungskalender.3.html


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DIE LINKE. Kreisverband Meißen

Wut im Bauch

Harald Kühne über die Ignoranz der CDU und die Notwendigkeit einer Pflichtversicherung unter anderem gegen Hochwasserschäden Zugegeben, die Elbe fließt durch die Sächsische Schweiz etwas idyllischer. Aber die Gegend um Nünchritz ist auch ganz schön. Und hinter Riesa in Richtung Strehla wird es noch schöner. Leider nicht immer: 2002 und 2013 wütete hier das Hochwasser, und seitdem brodelt es unter den Bürgern. Es geht um Naturschutz, Baugenehmigungen, Umsiedlungen und Versicherungen. DIE LINKE, vor allem Bärbel Heym als Kreistagsfraktionsvorsitzende und Kerstin Lauterbach als Landtagsabgeordnete waren von Anfang an dabei. Sie sprachen mit Bürgermeistern, Bürgerinitiativen und versuchten alle linken Kommunalpolitiker von Orten der Elbe mit Unterstützung Gregor Gysis an einen Tisch zu bringen.

Vor einigen Tagen platzte unserer Landtagsabgeordneten Kerstin Lauterbach im Plenum sprichwörtlich der Kragen. Der aus unserer Region stammende CDU-Abgeordnete Sebastian Fischer sprach zum Antrag der LINKEN: „Bundesratsinitiative zur Einführung eines flächendeckenden Versicherungsschutzes gegen Elementarschäden endlich auf den Weg bringen!“ Er lobte die Landesregierung und kritisierte die angebliche Inaktivität der Bürgerinitiative Nünchritz. Lauterbach warf Fischer vor, keine Ahnung zu haben, wies auf die Arbeit der BI hin und gab ihm noch den Rat, mit seinem Kollegen Mackenroth besser zu kommunizieren. Denn der war mit Kerstin Lauterbach vor Ort. Ein prominenter

Inzwischen eine Tradition Im Sommer 2003 diskutierten Stadträte und Ortsvorstand der LINKEN Großenhain zum ersten Mal konsequent das Thema Barrierefreiheit in der Stadt. Danach machte sich eine kleine Kolonne Rollstuhlfahrer und Helfer mit Fotoapparat auf die „roten Socken“, um Fußwege, Bürgersteigabsenkungen und Ampelschaltungen unter die Lupe zu nehmen. Die so entstandene Dokumentation wurde der Stadtverwaltung übergeben. Die Presse begleitete die Aktion und das Echo war positiv. Daraus entstand der Gedanke, mehr für die „Rollis“ zu tun. Unter Federführung von Kerstin Lauterbach und mit aktiver Unterstützung des Ortsverbandes wurde die Großenhainer Rollstuhlwanderung aus der Taufe gehoben. Inzwischen steigt schon die neunte Auflage. Die erste Wanderung ging durch das Gelände der ehemaligen Landesgartenschau. Prominenter Gast war MdB Ilja Seifert. Später begleitete uns oft der Vizepräsident des Sächsischen Landta-

ges, Horst Wehner. Immer verbunden mit der Wanderung sind ein gemütliches Kaffeetrinken in einer barrierefreien Gaststätte und persönliche Gespräche. Und so ging es u.a. durch den Stadtpark, in den Barockpark Zabeltitz, den Husarensportpark, zur Großenhainer Feuerwehr, ins „Fliegende Museum“ und durchs Stadtzentrum. Bei letzterer Gelegenheit wurden barrierefreie Geschäfte mit einer Urkunde der LINKEN ausgezeichnet. Und der Italiener, bei dem wir Kaffee tranken, räumte seine Gaststätte aus, damit wir mit unseren Rollstühlen bei schlechtem Wetter alle Platz hatten. Die Rollstuhlwanderung im vorigen Jahr ging durch das Großenhainer Preuskerviertel (Foto).

Kerstin Lauterbach und Bärbel Heym informieren sich bei Lorenzkirch über die Hochwassergefahr an der Elbe Vertreter der BI, Ex-Bürgermeister Udo Schmidt, hatte noch zwei Tage vor der Bundestagswahl unseren Direktkandidaten Tilo Hellmann über die Hochwasserprobleme unterrichtet. Zurück zum Antrag der LINKEN: Im Kern geht es um einen für alle bezahlbaren flächendeckenden Versicherungsschutz gegen Schäden durch Naturgewalten und Extremwetterereignisse im Rahmen einer Pflichtversi-

Strahlende Kinderaugen sind der schönste Lohn In unserem Kreis gibt es eine neue Autorin, die ehrenamtliche Arbeit für kranke Kinder mit dem Schreiben verbindet. In der Kinderstation der Elblandkliniken Meißen besucht sie je-

cherung. Dafür hatten sich bereits die Ministerpräsidenten von Thüringen und Sachsen stark gemacht. Nun müssten Taten folgen. Der Antrag fand keine Mehrheit. Aber diskutiert werden muss die Angelegenheit weiter, denn nur 45 % Prozent der sächsischen Hausbesitzer sind ausreichend gegen Starkregen, Überschwemmung und Hochwasser versichert. Die Lösung liegt in einer Pflichtversicherung, wie es sie in der Schweiz seit 80 Jahren gibt. besondere Krönung bringt sie ihre Katzen Mohrle und Molly mit, zwei selbstgehäkelte Handpuppen, die über mancherlei Abenteuer im Dialog berichten können. Woher Regine diese Abenteuer nimmt, verrät sie gerne: In diesem Jahr ist ihr Buch „Mohrle und Molly, die zwei Katzenkinder“ beim NOEL-Verlag erschienen. Verbunden mit einem erheblichen Umbruch in ihrem eigenen Leben erzählt Regine dort Geschichten, die auf den ersten Blick nur für Kinder geschrieben sind, auf den zweiten Blick jedoch auch Erwachsenen das eine oder andere Aha-Erlebnis bescheren. Sätze wie: „Es gibt auch Unglücke, wo keine Feuerwehr kommt“ vermitteln

Insgesamt ist die Rollstuhlwanderung eine sehr aufwändige Aktion, die aber viel Freude bereitet und noch so manche Baustelle in Sachen Barrierefreiheit offenlegt. • Harald Kühne

den Montag ein Krankenzimmer, das vom medizinischen Personal als geeignet herausgesucht wird. Unlängst war es ein einzeln belegtes Zweibettzimmer. Klar, dass ein einzeln untergebrachtes Kind am ehesten Abwechslung braucht. Regine Krätzschmar besucht mit Hingabe die kranken Kinder und spielt, liest, malt oder singt mit ihnen. Als

dem (Vor-)Leser eine weitere Dimension, was da sein könnte in der – sehr realen – Welt der beiden Katzen. Doch davon wird noch zu berichten sein. Wer das Buch sofort näher unter die Lupe nehmen will, frage in einer Buchhandlung. Es ist bestellbar unter ISBN 978-95493-230-6. • Reinhard Heinrich


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DIE LINKE.Kreisverband Bautzen

11/2017 Sachsens Linke!

Den Wunsch nach Waldbestattung respektieren Einwohnerinnen und Einwohner im Landkreis Bautzen wünschen sich seit 2013 einen Friedwald. Die letzte Ruhe im Wald finden – für immer mehr Menschen ist das mehr als nur denkbar. Die Kamenzer Bürgerinitiative „Für einen Bestattungswald im Stadtwald Kamenz“ hatte in den vergangenen vier Jahren für diese alternative Bestattungsform gekämpft und leider aufgrund der Ablehnung durch den Gemeinderat Haselbachtal verloren. Der Wunsch und die Enttäuschung der Menschen hier vor Ort sind geblieben. Jetzt gibt es in Schönteichen einen Waldeigentümer, der gemeinsam mit der Friedwald GmbH einen Bestattungswald einrichten will. Mit der Umsetzung des Konzeptes für naturnahe Bestattungen in der Region Kamenz / Schönteichen könnte jetzt der dritte sächsische Friedwald in der Oberlausitz Realität werden.

von einer Minderheit (deutschlandweit ca. vier Prozent) angenommen wird. Die Menschen, die die Waldbestattung unbedingt wollen, müssen sich derzeit in einem der bundesweit 61 Friedwälder bestatten lassen. Ich möchte aber, dass die Menschen auch

hier in der Region Kamenz diese alternative Bestattungsform wählen und nach dem Tod in ihrer Heimat bleiben können. Der Landeskirchenrat der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands hat

Kirche, Kommune und Träger sollten nicht weiter gegeneinander arbeiten, sondern den Wunsch der Menschen nach einer heimatnahen Grabstätte im Wald respektieren und zeitnah umsetzen. Wir sollten in der Region Kamenz nicht zum zweiten Mal den Bestattungswald ablehnen, sondern die Chance ergreifen, für unsere Einwohnerinnen und Einwohner im Landkreis Bautzen den Friedwald in Schönteichen 2018/19 zu eröffnen.

In der Sächsischen Zeitung vom 30. September 2017 warnte die Cunnersdorfer Pfarrerin Claudia Wolf vor den Folgen, insbesondere für die Friedhöfe. „Der Bestattungswald wird den Friedhöfen finanzielle Probleme bereiten.“ Ich behaupte, dass der Friedwald nicht die Friedhöfe verdrängt, weil diese naturnahe Bestattungsform nur

• Marion Junge

Vielen Dank an die Wählerinnen und Wähler! Ich freue mich über meine Wiederwahl in den Deutschen Bundestag und möchte mich bei meinen Wählerinnen und Wählern bedanken. Das Wahlergebnis kann uns LINKE leider nicht zufrieden stellen. DIE LINKE hat landesweit, insbesondere in Ostsachsen, viele Stimmen verloren. Dass im Wahlkreis Bautzen das Direktmandat an die AfD ging und die

sich im Jahr 2011 für die Bewirtschaftung von Friedwäldern, sogar als kirchliche Einrichtung, ausgesprochen. „Es ist Aufgabe der christlichen Kirchen, den Wunsch mancher Menschen nach einem naturnahen Begräbnis zu verstehen und Trauernden auch in diesem Zusammenhang seelsorgerische Begleitung anzubieten.“ (Superintendent Hans Hentschel; Evangelisch-Lutherischer Kirchenkreis Bramsche). „Die Erfahrungen in den vergangenen Jahren haben gezeigt, dass der Friedwald keine Konkurrenz zu den in der Gemeinde Bispingen befindlichen kirchlichen und kommunalen Friedhöfen darstellt.“ (Bernd Volkmann; Gemeindeverwaltung Bispingen)

Rechtspopulisten bei den Zweitstimmen landesweit vorne liegen, ist dramatisch. Damit hat sich eine Partei durchgesetzt, die keine Lösungen für die realen sozialen Probleme im Land anbietet, sondern die mit Hetze und auf Kosten der Schwächsten der Gesellschaft auf Stimmenfang ging. Die Strategie der CDU im Wahlkreis, selbst nach rechts zu rücken, ist nicht aufgegangen. Dass die AfD das Direktmandat in Bautzen holen konnte, kommt für mich nicht überraschend. Ich bin mir sicher, die AfD wird sich entzaubern. Wir LINKE werden sie immer wieder stellen. Wir werden die sozialen Themen wieder stärker in den Vordergrund rücken und ein Zukunftskonzept für die Lausitz erarbeiten. Wir kämpfen weiter für eine solidarische Gesellschaft und gegen soziale Spaltung. • Caren Lay, MdB

Ungleiche Lebensmittelstandards im Dreiländereck Verbraucherschützer bemängeln, dass die Qualität der Lebensmittel internationaler Hersteller in Ost- und Mitteleuropa schlechter sei als in westeuropäischen Staaten. Eine Studie des Landwirtschaftsministeriums der Slowakei stellte bei mehr als der Hälfte der 22 getesteten Produkte unterschiedliche Standards fest. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen die Behörden in Ungarn und Tschechien. Die Regierungschefs der Visegrád-Gruppe fordern von der EU-Kommission strengere Auflagen für die international agierenden Konzerne. Bis September 2017 soll die EU-Kommission Leitlinien entwickeln, um die Standards bei Lebensmitteln anzugleichen. Ich habe die Staatsregierung zu dieser Angelegenheit befragt und stelle zu ihrer Antwort fest: Die Staatsregierung weiß nichts über unterschiedliche Qualitätsstandards oder über die Auswirkungen minderwertiger Nahrungsmittel auf die sächsischen Verbraucher. Sie will auch nichts in Erfahrung bringen und auch sonst keine Maßnahmen ergreifen. Man teilt lediglich mit, dass das Thema in einem Gespräch zwischen dem tschechischen Landwirtschaftsminister Marian Jurecka und seinem sächsischen Amtskollegen Thomas Schmidt zur Sprache kam. Auch wenn das Thema nicht unmittelbar in Verantwortung des Freistaates

liegt, sondern in erster Linie eines der EU und ihrer Mitgliedsstaaten ist, sehe ich die sächsische Regierung in der Verantwortung, sich für gleiche Lebensmittelstandards beiderseits der Grenzen einzusetzen. Das gehört zu einem glaubwürdigen Einsatz für das Zusammenwachsen im Dreiländereck. Der Freistaat muss auf in Sachsen ansässige und produzierende Lebensmittelbetriebe einwirken, für gleiche Lebensmittelstandards zu sorgen, weil es keine Europäer erster und zweiter Klasse geben darf. Das EURecht schreibt letzteres sogar vor. Solange der Zustand ungleicher Lebensmittelstandards anhält, müssen auch sächsische Verbraucherinnen und Verbraucher über die betroffenen Markenprodukte informiert werden. Schließlich kaufen auch sie in Polen und Tschechien ein. Sachsen muss auf der europäischen und der Bundesebene alle Möglichkeiten des politischen Dialogs nutzen, um sich für gleiche Qualitätsstandards einzusetzen. EU-Kommissionspräsident Juncker hat das Problem mittlerweile aufgegriffen und die Praktiken westlicher Lebensmittelkonzerne scharf verurteilt. Einen ähnlichen Impuls hätte ich mir von der Staatsregierung gewünscht! • Heiko Kosel


Sachsens Linke! 11/2017

Die Hohe der Unterhaltszahlungen richtet sich nach dem Nettoeinkommen des zahlungspflichtigen Elternteils sowie nach dem Alter des Kindes, wobei in vier Altersgruppen unterschieden wird. Der Mindestbetrag liegt bei 246 Euro monatlich für Kinder im Alter von 0 bis 5 Jahren, bei 297 Euro für Kinder von 6 bis 12 Jahren und bei 364 Euro für Kinder von 12 bis 17 Jahren sowie 335 Euro für Kinder ab 18 Jahren (sofern sie noch in der Ausbildung sind). Den Mindestunterhalt zahlen Elternteile mit einem Nettoeinkommen von bis zu 1.500 Euro, bei höherem Einkommen sind entsprechend höhere Unterhaltszahlungen fällig. Dem unterhaltspflichtigen Elternteil muss natürlich auch selbst genug zur Absicherung des eigenen Existenzminimums übrig bleiben. Unterhalt kann demnach nur verlangt werden, wenn mindestens 880 Euro (Erwerbslose) bzw. 1.080 Euro (Erwerbstätige) für sich selbst im Monat verbleiben. Nun ist es jedoch leider keine Seltenheit, dass der unterhaltspflichtige Elternteil nicht oder nicht in voller Hohe zahlt. Die ausbleibende Zahlung stellt für die Alleinerziehenden eine enorme Schwierigkeit dar und ist einer der Gründe dafür, dass das Armutsrisiko von Alleinerziehenden besonders hoch

Mehr Gerechtigkeit für alleinerziehende Familien? In diesem Jahr sind rückwirkend zum 1. Juli neue Regelungen im Unterhaltsgesetz in Kraft getreten: Zahlen Ex-Partner keinen Unterhalt für Kinder, werden die Leistungen durch die Kommunen übernommen. Doch das Gesetz hat Lücken. Von Pia Barkow

Foto: Anfuehrer / flickr.com / CC BY-SA 2.0

In Familien, in denen beide Eltern mit den Kindern in einem Haushalt leben, kommen sie gemeinsam für die Fürsorge und finanzielle Absicherung der Kinder auf. Wenn sich die Eltern trennen, muss die Fürsorge und auch die finanzielle Verantwortung aufgeteilt werden. Leben die Kinder je zur Hälfte bei dem einen wie bei dem anderen Elternteil, teilen sich die Eltern die Fürsorge wie auch die finanzielle Verantwortung. Wenn jedoch die Kinder überwiegend bei nur einem Elternteil leben – was in den allermeisten Familien der Fall ist, denn zu etwa 93 Prozent leben die Kinder nach einer Trennung bei der Mutter –, ist der andere Elternteil zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet.

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ist. Um diese Lücke auszugleichen, wurde 1980 das Unterhaltsvorschussgesetz eingeführt, zum Ausgleich für notwendige, faktisch aber nicht fließende Unterhaltzahlungen für minder-

jährige Kinder. Wenn also der zahlungspflichtige Elternteil nicht oder zu wenig zahlt oder aber den Mindestbetrag nicht zahlen kann, da er oder sie sonst selbst unter das Existenzminimum rutscht, springt der Staat ein, zahlt die Leistungen an die Alleinerziehenden aus und versucht das Geld beim zahlungspflichtigen Elternteil wieder zu erlangen (was bei etwa einem Fünftel der Falle gelingt). Von den bundesweit 2,3 Millionen Kindern alleinerziehender Eltern haben 2015 ca. 440.000 Kinder entsprechende Unterhaltsleistungen in Anspruch genommen. Leider wies das Gesetz eine Reihe erheblicher Mängel auf. So bekam ein Kind diesen Unterhaltsvorschuss nur bis zu seinem 13. Geburtstag und auch nur für maximal sechs Jahre. Beide Begrenzungen erscheinen vollkommen willkürlich und fuhren an der Lebensrealität der alleinerziehenden Familien völlig vorbei.

Nun sind zum 1. Juli einige entscheidende Veränderungen vorgenommen worden: Die Begrenzungen der Bezugsdauer auf sechs Jahre wird ebenso aufgehoben wie die Altersgrenze von 12 Jahren. Das ist für die betroffenen Familien eine große Erleichterung. Jedoch gibt es auch bei dieser zunächst erfreulichen Verbesserung einen großen Haken. Der entscheidende Punkt beim Unterhaltsvorschussgesetz wurde nicht angefasst: die Anrechnung der Unterhaltsvorschussleistungen auf Sozialleistungen. Für alle Familien, die Hartz IV beziehen, ändert sich unterm Strich nichts. Denn die Unterhaltsleistungen werden nach wie vor auf die Hartz IVBezuge angerechnet, so dass das Haushaltseinkommen für die Familien am Ende das Gleiche bleiben wird. Das bedeutet beispielsweise für nahezu die Hälfte der 13.000 Alleinerziehenden Familien in Dresden, dass sie keine Verbesserung spüren werden, da sie Hartz IV beziehen. Oder umgekehrt: 87 Prozent der Kinder, die Hartz-IV-Leistungen beziehen, haben auch Anspruch auf Unterhaltsvorschusszahlungen – leben also bei nur einem Elternteil. Das heißt: Armut bei Kindern hangt ganz entscheidend davon ab, ob sie bei einem oder bei beiden Elternteilen leben. Damit wird sich das grundlegende Problem nicht verändern: nämlich der Zusammenhang zwischen Armutsrisiko und der alleinigen Sorge für Kinder. In Deutschland ist das Armutsrisiko für Alleinerziehende nach der Gruppe von Erwerbslosen von allen Gruppen am größten. Da die Anrechnung von Unterhaltsvorschusszahlungen auf Sozialleistungen nicht aufgehoben wird, bleibt dieser Zusammenhang bestehen. Im Zuge der aktuellen Gesetzesänderung hatte die Chance bestanden, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen, und damit ganz entscheidend gegen Kinderarmut vorzugehen. Sie wurde aber leider vertan.

Kälte und Krankheit in Fushe Kosove: Abgeschobene Roma in Not Die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen verleiht ab sofort jährlich den „Christel-Hartinger-Preis für Zivilcourage und beherztes Engagement.“ Der Preis kommt Gruppen und Einzelpersonen projektbezogen zugute, die im Geiste eines aktiven solidarischen Humanismus vor Ort mit hohem persönlichem Einsatz und Mut Menschen unterstützen, die in Not sind und unter Diskriminierungen zu leiden haben. Erster Preisträger ist Richard Gauch vom Verein „Verantwortung für Flüchtlinge e.V.“. Der Verein führt soziale Projekte für Menschen durch, die aus Deutschland in die Westbalkan Länder abgeschoben worden sind. Jedes Jahr werden weit über 800 Roma aus Deutschland in den Kosovo abgeschoben. Dort warten auf diese Menschen häufig Obdachlosigkeit, Diskriminierung auf allen Ebenen und ein kaum vorstellbares Massenelend. Die meisten „leben“ durchschnitt-

lich von 0,60 Euro pro Tag. Es gibt keine Krankenversicherung und die Lebenshaltungskosten sind mit denen in Deutschland vergleichbar. Der größte Roma-Slum im Kosovo befindet sich in Fushe Kosove nahe der Hauptstadt Prishtina. Viele Bewohner haben kein Dach über dem Kopf, andere wiederum in ihren Häusern keinen Wasser- und Stromzugang sowie keine Möglichkeit zum Heizen. Die Winter im Kosovo sind jedoch sehr kalt, weshalb die abgeschobenen Roma und ihre Familien vor Ort auf Decken und Brennholz angewiesen sind. Bereits zum vierten Mal wird deshalb der Verein im Winter kostenloses Brennholz an bedürftige Menschen in Fushe Kosove (Kosovo) ausgeben. Im Rahmen einer Balkantour Ende Dezember 2017, wo der Verein einige Projekte auf dem gesamten Westbalkan besucht und weiter aktiv vorantreibt, möchten wir in Fushe Kosove wieder

Brennholz für den anstehenden Winter bringen. Deshalb kann man z. B. für 100 Euro eine Patenschaft für eine Roma-Familie übernehmen. Dieses Geld reicht für Brennholz einer Familie in Fushe Kosove aus, um durch den kalten Winter zu kommen. Vor einigen Tagen erreichte den Verein nun die schreckliche Nachricht, dass im Slum die Masern ausgebrochen sind. Daher sind nun viele der über 100 Kinder im Slum von Masern bedroht. Viele sind bereits erkrankt, einige wurden schon zur Notversorgung ins Krankenhaus gebracht, ein paar haben den Kampf gegen die Krankheit leider nicht geschafft. Den Eltern wurden jetzt Medikamente angeboten, welche die Heilungsaussichten deutlich steigern. Da eine Ration für ein Kind ca. 30 Euro kostet, können sich die meisten Familien die Medikamente nicht leisten. Daher haben sich die Eltern mit einem Hilferuf an uns gewandt, mit der Bitte um eine finanzielle Unterstützung.

Sicherlich können wir von Leipzig aus nicht die gesamten Probleme der Welt lösen. Falls aber dennoch jemand ein bisschen Geld übrig hat und etwas Gutes damit anfangen möchte, hat er oder sie hier nun die Gelegenheit, für einen kleinen Betrag das Leben eines Kindes zu retten. Schon jetzt dafür herzlichen Dank! Spenden können auf folgendes Konto überwiesen werden: Kreditinstitut: Sparkasse Leipzig Kontoinhaber: Verantwortung für Flüchtlinge e.V. IBAN: DE26860555921090088457 BIC: WELADE8LXXX Verwendungszweck: Soforthilfe Masernepidemie Kosovo und/oder Brennholz Die Spenden werden umgehend in den Kosovo überwiesen. • Verein „Verantwortung für Flüchtlinge e.V.“


11/2017 Sachsens Linke!

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Seit dem Start des Projektes „LINKE Leseratte“ im Mai 2017 melden sich immer mehr Menschen, die ihre Bücher oft aus Platzgründen, aber auch Mangels eigenem Interesse der Leseratte übergeben. Oft sind die Interessenten an unserer Leseratte richtig froh, dass sie endlich eine neue Heimat für ihre Bücher gefunden haben, da leider meist niemand mehr Bücher annimmt und ihr Weg in den Müll ansonsten vorprogrammiert ist. Nicht nur weil wir zuverlässig abholen, spricht sich unser Projekt in Leipzig und beginnend auch in Sachsen herum. Die kleinste Menge, die wir entgegengenommen haben, waren sieben Stück, die größte Menge mehrere Transporterladungen. Auch weil wir eine Idee haben, was man mit dem „linken“ Wissen machen könnte, steigen der Bekanntheitsgrad und die Bereitschaft zur Unterstützung.

Nicht nur Bücher gesucht

Über die Frage des Verleihs haben wir uns noch nicht abschließend geeinigt. Auch der Urheberrechtsschutz muss geklärt sein. Eigentlich besteht mangels des damit verbundenen Aufwandes und der Abnutzung oder gar des Verlustes der Bücher kein Interesse daran, das eigentliche Buch zu verleihen. Unser Ziel ist ein anderes.

In Leipzig sammelt die „LINKE Leseratte“ Buchbestände – Hilfe wird gebraucht! Von S. Schenck und S. Soult

Foto: Berliner Büchertisch / flickr.com / CC BY-SA 2.0

Und wir machen weiter! Wir suchen alle möglichen Bücher! Monatlich bekommen wir eine große Zahl an Büchern, Broschüren, aber auch historische Zeitungen etc. übergeben. Wer hat Bücher, die er in gute Hände geben will? Wer kennt jemanden, der seine Bücher abgegeben will? Am besten ist es, wenn Ihr uns eine Mail schickt: linke-leseratte@web.de, dann können wir uns bezüglich der Einzelheiten verständigen. In der Regel holen wir unkompliziert die Bücher ab, egal ob die Kisten jahrelang im Keller standen, ein Umzug bevorsteht oder gar ein trauriger Anlass Grund für die Auflösung der Bibliothek ist. Die Bücher müssen nicht verpackt oder sortiert sein, wir machen das. Und wir nehmen alles mit. Das Handbuch des Sportlehrers ist bei uns genauso gefragt wie eine Biografie von Albert Einstein oder ein längst vergessener utopischer Roman, aber auch Broschüren, wie etwa eine Parteitagsrede von einem LDPDParteitag. Kernstück bleiben Bücher zum breiten Thema Sozialismus in der Welt, gleichgültig ob aus der Vergangenheit oder der Gegenwart. Dabei spielen besonders die Geschichte von sozialistischen Versuchen, die Auseinandersetzung mit Gegnern dieser Ideen und anderen Gesellschaftsvorstellungen und auch Biografien, Reden und Aufsätze sowie Zeitzeugenberichte eine große Rolle. Jüngst haben wir Literatur der KPD in Leipzig vor der Machtergreifung der Faschisten erhalten. Immer wieder tauchen solche Fundstücke auf.

möglichen und internettauglich sein. Die Kosten müssen gering sein, wir betätigen uns nicht kommerziell und die Mittel sind folglich begrenzt.

Oft wendet man sich an uns, wenn es um die komplette Übergabe einer privaten Bibliothek geht. Vor Ort ist es unmöglich auszuwählen, alles soll in der Regel schnell gehen. Da wir alle ehrenamtlich arbeiten, ist auch unsere Zeit begrenzt. Auf diese Weise gelangt sehr viel „Beiwerk“ zu uns, welches eigentlich mit einer „LINKEN Leseratte“ nicht viel zu tun hat. Diese Bücher sind aber ebenso wichtiges Kulturgut und sollen genutzt werden. Daher sind wir zu dem Entschluss gelangt, die Leseratte zu unterteilen, zum einen in die bisherige „LINKE Leseratte“ und die „LESERATTE“. Nun suchen wir nach einer besseren Bezeichnung für unser Projekt. LINKE Leseratte sollte eigentlich nur ein Arbeitstitel sein. Noch sind wir in der Anfangsphase, dem fleißigen Sammeln von Büchern. Bis zum öffentlichen Start des Projektes soll ein passender Name gefunden sein. Wir werden die

Inhalte der Bücher nicht bewerten, wir sammeln frei von Dogmen. Lediglich Literatur der Faschisten – etwa aus dem Wehrmachtsverlag – werden wir nicht in den Bestand übernehmen. Faschismus ist keine gesellschaftliche Idee, sondern ein Verbrechen. Im Januar 2018 startet die zweite Phase, das Einsortieren und Erfassen aller Bücher in eine abschließende Systematik. Zudem wird eine Satzung erarbeitet. Hier suchen wir jemanden, der oder die vielleicht als Bibliothekar/in gearbeitet hat und uns beraten kann. Natürlich arbeiten wir nicht mehr mit einem Zettelkatalog. Verschiedene Software testen wir auf ihre Tauglichkeit. Wer kann uns zum Katalog oder zur Software Tipps geben? Das System muss sehr viele Bücher schnell erfassen können und daher möglichst die fehlenden Daten zum Buch ohne größere Eingabe aus dem Netz ziehen. Auch muss es Listendarstellungen er-

Ab dem Jahr 2020/2021 wollen wir mit der kompletten Digitalisierung des Bestandes der „LINKEN Leseratte“ beginnen. Wir möchten im Ergebnis elektronisch Buchdateien verleihen und ausschließlich online auftreten. Der Verleih eines Buches soll nicht mehr als 40 Cent (wahrscheinlich Vereinsbeitrag) kosten, Geld für die Kosten der Domain, den Stromverbrauch und für Reparaturen und Werbung. Unsere Bibliothek hat dann 24 Stunden geöffnet. Alle Prozesse sollen weitgehend automatisch ablaufen. Sind die 40 Cent eingegangen, wird die Buchdatei für drei Monate freigeschaltet. Das ist aber noch Zukunftsmusik und gegenwärtig nicht aktuell, wir haben zu wenige Bücher und gegenwärtig sind kaum erschwingliche (automatische) Buchscanner auf dem Markt bzw. überhaupt entwickelt worden. Sollten wir Spenden oder gar Förderungen erhalten, werden wir diese für die Anschaffung dieses Scanners zurücklegen. Die Bücher lagern wir ein, der Platz dafür ist bereits geschaffen. Die Bibliothek soll letztlich ausschließlich virtuell bestehen. Zeit ist kostbar, wir wollen den Weg in die Bibliothek digitalisieren und Bücher einfacher zugänglich machen, die in den meisten Bibliotheken oder online gar nicht zu finden sind. Wenn die LINKE Leseratte komplett gescannt ist, wird der Bestand der LESERATTE folgen. Wir wissen noch nicht, was wir mit doppelten Exemplaren machen werden. Keinesfalls wollen wir zum herkömmlichen Antiquariatsmarkt in Konkurrenz treten. Geplant ist auch eine monatliche Buchvorstellung eines „alten“ Buches in einer Zeitung und auf Facebook. Das Projekt soll Spaß machen und im Ergebnis etwas schaffen, was es in dieser Form nicht gibt. Wenn Ihr dieses Projekt unterstützen wollt, so meldet Euch einfach! Wir freuen uns über Anregungen, Hinweise und Unterstützung.

Vor 45 Jahren: Viermächteerklärung zum UNO-Beitritt von DDR und BRD Einseitig, fernab von den Realitäten, die 1949 zur Proklamierung zweier deutscher Staaten geführt hatten, wurde seitens der BRD am 23. September 1955 die Hallstein-Doktrin verkündet. Diese beinhaltete die These, als alleiniger deutscher rechtmäßiger Staat Deutschland international zu vertreten. Eine diplomatische Anerkennung der DDR zog den Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch den Bonner Staat nach sich, erstmals 1957 gegenüber Jugoslawien

praktiziert. Die Frontstellung des Bonner Staates gegen einen UNO-Beitritt der DDR wurde damit begründet, ein solcher Schritt vertiefe die Spaltung Deutschlands. Erst mit dem Beginn des internationalen Entspannungsprozesses und der neuen Ostpolitik der Regierung Brandt, mit der Unterzeichnung der Ostverträge 1970 und dem Abkommen über Westberlin vom 3. September 1971 setzte sich ein Entspannungskurs in den Beziehungen zwischen beiden deutschen Staa-

ten durch. Am 9. November 1972 kam es zu einer Erklärung der vier Siegermächte Großbritannien, UdSSR, USA und Frankreich, die den UNO-Beitritt beider deutscher Staaten zu unterstützte. Diese Erklärung war dem Umstand geschuldet, dass diese Mächte laut dem Potsdamer Abkommen eine besondere völkerrechtliche Verantwortung gegenüber der Entwicklung und der Rolle Deutschlands trugen und daher beide deutsche Staaten keine volle Souveränität besaßen.

Die Hallstein-Doktrin war gescheitert. Die DDR wurde Mitglied in mehreren Spezial- und Unterorganisationen, bevor auf der 28. Vollversammlung die DDR und die BRD als 134. und 135. Mitglied der UN aufgenommen wurden. Im Dezember 1972 wurden von der DDR diplomatische Beziehungen zu 20 nichtsozialistischen Staaten aufgenommen, u. a. mit Österreich, der Schweiz und Schweden. • W. Steffen


Sachsens Linke! 11/2017 ... aber anders als im Smash-Hit von Peter Wackel wurde bei uns natürlich weder gefeiert noch anderweitig Spaß gehabt, sondern durchgearbeitet – wir hatten schließlich auch Einiges zu tun! Vom 29. September bis zum 1. Oktober trafen sich gut 70 Linksjugendliche aus ganz Sachsen in der Gedenkstätte Bautzner Straße in Dresden, um das zweite Landesjugendplenum 2017 abzuhalten. Im Mittelpunkt standen diesmal, wie das halt manchmal so ist, Wahlen, Wahlen, Wahlen. Die Durchführung der Wahlgänge für unsere Landeskassenprüfung und die Landesschiedskommission waren neben den Konstituierungsvorgängen unser Tagwerk für den Freitag, bevor wir uns gestärkt durch ein Abendbrot von „unserer“ wunderbaren und heißgeliebten Kochcrew Eisenberg in die WIR AG aufmachten, um den Abend gemütlich ausklingen zu lassen und mit ein paar Oi's in die Solikasse an der Bar auch noch was für das gute Gewissen zu tun. Das Geld ging an Solidarität mit Oli – für einen jungen Aktivisten aus Dresden, der sich mit hohen Repressionskosten konfrontiert sieht, weil er an einem regnerischen Tag im November 2016 einen Polizisten mit einem Regenschirm verletzt haben soll.

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Jugendverband

„Landesjugendplenum ist nur zweimal im Jaaahr ...“ Daniel Peisker mit einem Rückblick

und Sophie (Dresden) bestehen, während sich Daniel aus Westsachsen bzw. Meißen auch die kommenden zwei Jahre als Schatzi ansprechen lassen darf. Und weil Namen nur Schall und Rauch sind, liefern wir unser Klassenfoto (mit Lieblingstieren!) gleich mit. ;) Während der letzte Beauftragtenrat ziemlich Dresden-lastig war und der jugendpolitische Sprecher aus der Messestadt kam, haben wir diesmal den Spieß umgedreht! Steffen wurde in einer herzzerreißenden Zeremonie verabschiedet, während Christopher aus Dresden mit 86 Prozent das Votum erhielt, vom Landesparteitag als neuer JuPo gewählt zu werden. Zuvor wurde ein Antrag der beiden angenommen, der unter anderem eine Verpflichtung des BR beinhaltete, die politischen Gruppen in den Flächenkreisen noch stärker zu unterstützen und an einem Bildungs- und Empowermentprogramm für die zahlreichen Partei- und Jugendverbandsneumitglieder zu arbeiten. Zudem hatten wir am Samstag die Möglichkeit, an einer beeindruckenden Führung durch die Gedenkstätte teilzunehmen (an dieser Stelle nochmal vielen Dank dafür, dass ihr uns bei euch habt tagen lassen). Nachdem wir am Abend im Roten Baum kräftig zu den Klängen der 60er Jahre sämtliche Extremitäten geschüttelt hatten, standen uns am Sonntag noch zwei Workshops bevor: einer zur Auswertung unser Jugendwahlkampagne „Make Solidarity Great Again“ und einer zur Vorbereitung des Abschlusswochenendes der drei Bildungsfahrten (Griechenland, Polen, Ukraine). Nach einem letzten Mittagessen und solidarischer Aufräumund Putzarbeit blieb uns noch die Verabschiedung. Zufrieden und geschafft waren wir. Aber: In nem halben Jahr geht der Spaß ja wieder von vorne los. Und vielleicht gab's ja doch ein kleines bisschen Spaß und Feierei. ;)

Fit, munter und ausgeschlafen begannen wir den Sitzungssamstag, in dessen Fokus die Wahl des Beauftragtenrates für die nächsten zwei Jahre stand – das ist der Quasi-Vorstand, der die Geschicke des sächsischen Jugendverbandes zwischen den Landesjugendplena lenkt. Wie schon für die letzten zwei Jahre entschied das Landesjugendplenum, dass sich der Beauftragtenrat aus zehn Mitgliedern zusammensetzen soll, wovon eine_r als Schatzmeister_in extra gewählt wird. Der BR wird in den kommenden Jahren demnach aus Andy (Leipzig), Bianca (Leipzig), Elli (Meißen), Jacob (Leipzig), Marius (Leipzig), Nele (Leipzig), Nikos (Chemnitz), Sinah (Leipzig)

Die Linksjugend Leipzig wird zehn Jahre alt – let’s Party! „Energisch, basisdemokratisch, unangepasst, kritisch, sozialistisch, antifaschistisch, schräg, antikapitalistisch, feministisch“ – so beschrieb sich die Linksjugend Leipzig auf ihrer ziemlich

Bildungsreise III. Wir als Linksjugend reden ja auch ganz gern über dieses Europa und sind sogar so verrückt danach, dass wir mehr davon haben wollen – die Republik Europa. Nun ist Reden das eine, Tun das Andere. Deshalb waren für dieses Jahr drei Bildungsreisen in Zusammenarbeit mit dem Ring Politischer Jugend Sachsen e.V. angesetzt, um sich mit linken Gruppen, Strukturen und Bewegungen in anderen Ländern auszutauschen und zu vernetzen, aber auch etwas über die Geschichte und aktuelle Probleme in den jeweiligen Ländern zu lernen. Konkret war eine Delegation im

unangepassten und vor allem schrägen Gründungsurkunde vom 7. November 2007 (Bild). Zehn Jahre sind seitdem vergangen. Zehn Jahre gefüllt mit Stunden des abendlichen und verrauchten

Februar in Griechenland, eine andere im Juli in Polen. Die letzte Reise steht nun noch bevor: Vom 18. bis zum 25. November geht’s in die Ukraine, genauer nach Kiev, Charkiw und nach Lyssytschansk in der Ostukraine. Uns erwarten unter anderem Treffen mit verschiedenen linken Aktivist_innen sowie Partner_innen der örtlichen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Außerdem stehen Stadtführungen oder der Austausch mit Vertreter_innen des linken Magazins für Sozialkritik „Spilne“ auf dem Plan. Einen ausführlichen Bericht zur Reise und die Info, ob es auch Tage mit Temperaturen jenseits der Minusgrade gab, wird in einer der nächsten Ausgaben hier zu lesen sein.

Sitzungssozialismus im linXXnet, mit absurden und im Gedächtnis bleibenden Aktionen, mit eigenen Wahlprogrammen und -kämpfen, unzähligen inhaltlichen Veranstaltungen und selbst organisierten Demos, inklusive einer wohl ähnlich hohen Anzahl an Briefen vom geschätzten Leipziger Ordnungsamt. Vor allem waren es zehn Jahre, in denen viele Freundschaften entstanden sind und immer noch entstehen. Um das alles und vor allem uns selbst gebührend zu feiern, laden wir alle zu unserem ersten runden Geburtstag am 16. Dezember nach Leipzig ein. Geplant sind viele inhaltliche und praktische Workshops, eine Auswertung unserer Wahlkampfkampagne „Make Solidarity Great Again“, eine bunte und vielleicht sogar etwas nostalgische Show am Abend und abschließend eine „unangepasst fröhliche Party“. Mit einem Ort können wir leider noch nicht dienen. Um jenen sowie genauere Infos zum Ablauf mitzubekommen, lohnt sich in den nächsten Tagen und Wochen auf jeden Fall ein Blick auf www.linksjugend-leipzig.de

Übrigens: Das Ganze dient auch gleich als Weihnachtsfeier für die Linksjugend Sachsen. Es darf also auch gern aus weiter Ferne nach Leipzig gepilgert werden. Auf die nächsten zehn Jahre! • Andy Sauer


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11/2017 Sachsens Linke!

DIE LINKE im Europäischen Parlament

Die Überwachung schreitet voran

European United Left /  Nordic Green Left European Parliamentary Group

Wie wird die EU auf den Test von Videoüberwachung mit Gesichtserkennung am Bahnhof Berlin-Südkreuz reagieren? Das fragt sich nicht nur Lorenz Krämer Auch wenn es angesichts von Bundestagswahl, BREXIT, Katalonien, Trump, Syrien, Libyen, Putin und Nordkorea derzeit aus dem Blickwinkel gerät, befindet sich die Auseinandersetzung um Massenüberwachung in vollem Gange. Auch wenn immer wieder neue Maßnahmen diskutiert werden – Kameraüberwachung, Vorratsdatenspeicherung, Gesichtserkennung –, geht es immer um dieselben Grundfragen. Wieviel Überwachung und Kontrolle des alltäglichen Lebens, im Öffentlichen wie im Privaten, verträgt unsere Gesellschaft? Hält die Technik, was sie verspricht? Das gilt insbesondere wenn, wie im Fall der Gesichtserkennung oder der Fluggastdatensammlung, automatisierte Entscheidungsverfahren zum Einsatz kommen. Dann stellt sich auch die Frage, was die Konsequenzen von „Treffern“ im System sind und wie es dann um die Unschuldsvermutung steht.

plötzlich unsere Routinen ändern und andere Wege gehen? Wie hoch ist die Trefferquote? Außerdem wirft das Projekt, das vor zehn Jahren schon einmal gestartet wurde und damals weder technisch noch politisch realisierbar gewesen wäre, weitere Fragen auf. Mit dem Lissabon-Vertrag hat die EU eine allgemeine Zuständigkeit für den Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre erhalten. Gleichzeitig ist die Polizeizusammenarbeit zu einem Bereich geworden, für den Europaparlament und Europäischer Rat gemeinsam Gesetze erlassen

können. Mit der europäischen Datenschutzrichtlinie für den Polizeibereich ist zudem 2016 ein Paket an Regeln erlassen worden, das den Datenschutz bei den Strafverfolgungsbehörden auch für rein innerstaatliche Angelegenheiten regelt. Ab Mai 2018 wird jede Datensammlung mit dieser Richtlinie im Einklang stehen müssen. Es führt zu weit, an dieser Stelle auf die Änderungen einzugehen, die dadurch in Kraft treten. Zugleich tritt auch ein neuer Gerichtshof als letzte Instanz auf den Plan. Dann unterstehen alle Da-

Foto: Bastian Greshake / flickr.com / CC BY-SA 2.0-

Die jüngste Runde in der Auseinandersetzung hatte im August Bundesinnenminister Thomas de Maizière gestartet, für den das Modellprojekt am Bahnhof Berlin-Südkreuz eine willkommene Gelegenheit war, sich kurz vor der Bundestagswahl als Hardliner zu inszenieren. Neben dem Streit um die Ausführung des Projekts stehen die Grundfragen im Vordergrund: Wollen wir eine Gesellschaft, in der Kameras unsere Gesichter auf dem Weg zur Arbeit identifizieren und es bemerken, wenn wir

tenverarbeitungen von Polizeibehörden in Deutschland als letzter Instanz der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg. Allerdings hat der EuGH in seiner Rechtsprechung in punkto Massenüberwachung hohe Standards geschaffen. So haben die Richter die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung genauso annulliert wie jüngst ein Abkommen zur Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten mit Kanada. „Safe Harbour“, eine Vereinbarung zwischen den USA und der EU, die den Datentransfer nach den USA für die Internetfirmen erlaubt hatte, wurde vom EuGH allein wegen der SnowdenEnthüllungen kassiert. Wie wird die Kommission, die sich bisher nicht als die beste Schützerin der Privatsphäre gezeigt hat, solch ein Modellprojekt bewerten, wenn es in sieben Monaten in ihre Zuständigkeit fällt? Diese Frage hatte Cornelia Ernst der Kommission gestellt. Die EU-Kommissarin Věra Jourová schob die Zuständigkeit erst einmal der nationalen Ebene zu: Zum einen gelte schon jetzt, dass „die betroffenen Personen in der Lage sind, das Vorhandensein einer Verarbeitung zu erfahren und ordnungsgemäß und umfassend informiert“ werden. Die örtlich zuständigen Datenschutzaufsichtsbehörde müssten die Rechtmäßigkeit einschätzen und „entscheiden, ob und welche besonderen Schutzmaßnahmen eingeführt werden müssen.“

Warum wir eine feministische Mobilisierung brauchen! Ich bin sicher, dass einige die #metooKampagne verpasst haben. Sie hat das Ausmaß der sexuellen Belästigung und des Missbrauchs deutlich gemacht, dem Frauen auf der ganzen Welt, in allen Klassen, zu Hause, bei der Arbeit und in der Öffentlichkeit täglich ausgesetzt sind. Obwohl die schrecklichen Statistiken zu Gewalt und Belästigung eine klare Sprache sprechen, hat diese Kampagne das Thema auf die globale Agenda gebracht. Ich werde die Gelegenheit nutzen, diese Kampagne mit meinem Einsatz im Europäischen Parlament gegen alle Formen von Gewalt gegen Frauen zu verbinden. Als ich 2014 als Mitglied der schwedischen Linkspartei ins Parlament gewählt wurde, war es für mich entscheidend, im Ausschuss für Frauenrechte und Gleichstellungsfragen (FEMM) vertreten zu sein. Hier treffen sich Feminist*innen aus verschiedenen Fraktionen und Ländern, um Koalitionen zu bilden, die die gesamte Arbeit des Parlaments verändern können. Die

Arbeit der Linken-Fraktion im FEMMAusschuss koordinieren zu dürfen, gab mir eine Plattform, meine feministische Arbeit fortzusetzen und wichtige Themen einen Raum zu geben. Eins davon ist Gewalt gegen Frauen. Wie die #metoo-Kampagne zeigt, scheint es auf diesem Planeten nur wenige Frauen zu geben, die nie eine Form von sexueller Belästigung erlebt haben. Laut einer Studie gibt es keine EU-Mindeststandards für die Prävention und den Schutz vor männlicher Gewalt. Es ist mehr als an der Zeit, dass die EU Gewalt gegen Frauen ernst nimmt. Wenn die #meetoo-Kampagne nicht als Weckruf dient, was dann? Neben der sexualisierten, sexuellen, physischen und psychischen Gewalt ist die Verweigerung des Zugangs zu Empfängnisverhütung und der sicheren, legalen Abtreibung eine weitere Form der Gewalt. Der Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit wurde vor einem Jahr besonders diskutiert – als die polnische Regierung eine Reihe von

Gesetzesvorlagen zur Verschärfung der bereits sehr eingeschränkten Abtreibungsrechte einführte. Wir als GUE/ NGL-Fraktion kämpften an vorderster Front dagegen. Wir standen Seite an Seite mit polnischen Frauen. Gemeinsam mit anderen Mitgliedern des ProChoice-Netzwerks „All of Us“ haben wir so viele polnische Aktivist*innen wie möglich ins nach Straßburg eingeladen, Seminare abgehalten, eine Pressekonferenz organisiert und das Thema „Frauenrechte in Polen“ zur Debatte gestellt. Das mag nicht nach einer großen Leistung klingen. Aber: Jedes Mal wenn wir darauf drängen, diese Themen auf die Agenda zu setzen, unternehmen die konservativen und nationalistischen Kräfte alles, um das zu verhindern. Obwohl wir das Jahr 2017 schreiben, ist das Recht der Frauen auf ihren eigenen Körper nicht selbstverständlich. Erst massive Straßenproteste in Polen gegen den Vorschlag, Abtreibungen vollständig zu verbieten, konnten diesen verhindern. Selbst die konser-

vativsten und frauenfeindlichsten Regierungen können also durch massive, populäre Mobilisierung aufgehalten werden. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Textes finden wieder Plenartagungen statt. Dieses Mal stehen sexuelle Belästigung und Missbrauch, wie sie in der #metoo Kampagne offenbar werden, auf der Agenda in Straßburg. Ich werde mein Bestes tun, mich nicht nur auf die tausenden Frauen konzentrieren, die ihre Erfahrungen geteilt haben, sondern auch auf die Verantwortung der Männer und die Rolle, die Männer als Kollektiv spielen, um das patriarchische System aufrechtzuerhalten, in dem sexuellen Belästigung möglich ist. Eine feministische Mobilisierung ist mehr denn je gefragt in der geschlechterkonservativen, blau-braunen parlamentarischen Vormacht in Brüssel. Ich lade Sie deshalb ein, sich in diesem Kampf zu engagieren. • Malin Björk Aus dem Englischen von Anja Eichhorn


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DIE LINKE im Bundestag

Sportförderung neu justieren! Auf die neue Sportministerin bzw. den Sportminister wartet viel Arbeit, meint André Hahn Schon 2005 sah das Leistungssportprogramm des zuständigen Ministeriums eine gleichberechtigte Förderung des Leistungssports von Menschen mit und ohne Behinderung vor. Als die Reform der Leistungssportförderung 2016 öffentlich gemacht wurde, feierte die CDU/CSU/SPD-Koalition diese Gleichstellung als große Neuerung. Angesichts der nun vorliegenden Zahlen wird deutlich, dass zwischen Bekenntnis und Realität Welten liegen.

Der Haushaltsentwurf steht weder für einen höheren Stellenwert des Sports und für langfristige verlässliche Perspektiven in der Gesellschaft noch für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Spitzen- und Breitensport, für den Abbau des Investitionsstaus bei Sportstätten oder für die gleichberechtigte Förderung des Behindertensports. Hier müssen der neu gewählte Bundestag und die künftige Bundesregierung schnell und gründlich nacharbeiten.

Foto: Tom Mullen Photography / flickr.com / CC BY-ND 2.0

Viele Zahlen kamen mit der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der LINKEN „Die Sportpolitik im Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2018“ (Drs. 18/13643) auf den Tisch. Aber auch Widersprüche und Handlungsbedarf für die Sportpolitiker*innen des neu gewählten Bundestages wurden deutlich. Der geplante Ansatz von rund 310 Millionen Euro zur Förderung des Sports verzeichnet zwar einen geringen Aufwuchs, der entsteht aber lediglich durch eine größere Baumaßnahme für eine Sportstätte im Einzelplan des Bundesverteidigungsministeriums. Dem auch vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) mit Blick auf die Reform der Spitzensportförderung angemeldeten Bedarf wird mit der derzeitigen Planung nicht Rechnung getragen. Nicht nachvollziehbar ist, dass der Bund seine Förderbescheide für 2017 für die Bundessportfachverbände sowie die Olympiastützpunkte und Bundesleistungszentren bisher nur zum Teil ausgereicht hat. Die Sportverbände, die Athletinnen und Athleten sowie die Trainerinnen und Trainer brauchen eine angemessene Förderung und ebenso wie die Länder und Kommunen Planungssicherheit.

Schwerpunkt wird sicher die künftige Förderung des Spitzensports sein, die auch Gegenstand einer Kleinen Anfrage der LINKEN zur „Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung“ (Drs. 18/13657) war. Zum derzeitigen Stand der 2016 von BMI und DOSB begonnenen Reform gibt es große Unterschiede zwischen der Wahrnehmung des Sportministers und jener der Sportwelt. Entweder ist Thomas de Maizière (CDU) wirklich davon überzeugt, dass die Spitzensportförderreform reibungslos in die richtige Richtung läuft, dann ist er ausgesprochen blauäugig. Oder er glaubt, die Schwierigkeiten, die bei der Umsetzung offensichtlich auftreten, könnten vor den Abgeordneten und der Öffentlichkeit geheim gehalten werden. Dann wäre dies die Fortsetzung der während der Reform seitens des Ministeriums gepflegten Intransparenz. Beides schadet dem Sport und vor allem den betroffenen Sportlerinnen und Sportlern. Es ist höchste Zeit, dass eine neue Bundesregierung diese Reform vom Kopf auf die Füße stellt. Dem beziehungsweise der künftigen Sportminister/in steht viel Arbeit bevor.

Die Gorch Fock – kein Wind, aber viel Jammer „Ein nationales Symbol“ sei das Segelschulschiff der Marine, die Gorch Fock, so der Personalchef im Marinekommando, Rainer Endres. Mit etwas weniger Pathos sieht der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels, in dem Windjammer ein „Wahrzeichen der Marine“. Ein Symbol ist die Gorch Fock ganz sicher, wenn auch in anderer Hinsicht: Obwohl sie bei weitem nicht so teuer ist wie die großen Rüstungsprojekte, steht sie für Missmanagement und Intransparenz in der Zuständigkeit des Bundesverteidigungsministeriums. Ihren Anfang nahm die Geschichte, als das 1958 erbaute Schiff wegen größerer Schäden im Dezember 2015 zur Reparatur in die Werft musste. Waren zunächst sechs Monate für die Arbeiten vorgesehen, so wurde bereits im Januar 2016 deutlich, dass die Schäden weitaus größer waren. Damit wurde erstmals auch die Frage in den Raum gestellt, die fortan immer wieder aufkam: Reparieren oder Neubau? Zunächst kündigte Verteidigungsministerin von der Leyen noch im Januar 2016 öffentlich die Restaurierung an, ohne eine Kostenschätzung zu nennen. Doch noch im selben Jahr stoppte der Projektleiter – zuständig ist das Bundesamt für Ausrüstung und Informationstechnik der Bundeswehr in Koblenz – die Arbeiten vorerst. Der Grund: Aus den kalkulierten zehn Millionen Eu-

ro waren bis Oktober 2016 bereits 35 Millionen Euro geworden, eine weitere Verzögerung inbegriffen. Im April 2017 wurde die Fortführung des Instandsetzungsvorhabens schließlich mit geschätzten 75 Millionen Euro mehr als doppelt so hoch veranschlagt. Zugleich wurde die Entscheidung unter anderem gegen den Einspruch des Bundes der Steuerzahler bestätigt. Doch damit war das Ende des Schiffsmasts immer noch nicht erreicht. Im Oktober 2017 machte die Nachricht die Runde, dass die Gorch Fock erst Anfang 2019 und damit sechs Monate später als zuletzt vorgesehen auslaufen würde. Damit dehnt sich die Werftliegezeit von sechs auf stolze 21 Monate aus – wenn es dabei bleibt. Zu den höheren Kosten war aus dem Verteidigungsministerium nichts zu vernehmen. Der Inspekteur der Marine ließ seinen Sprecher lediglich verkünden, dass die Entscheidung für eine Restaurierung und gegen einen Neubau auch aufgrund von Wirtschaftlichkeitskriterien gefallen sei. Eine interessante Aussage, die durchaus angezweifelt werden darf, wenn man weiß, dass die angegebenen 80 bis 120 Millionen Euro für einen Neubau ganz zufällig eine Restaurierung noch gerade so rechtfertigen würden. Damit gibt es für mich als Berichterstatter der LINKEN im Haushaltsausschuss Grund, nachzuhaken. Wie konnte die Werftliegezeit so ausufern, und ist Ende 2018 als Zeitpunkt der Über-

gabe an die Marine überhaupt noch zu halten? Wie hoch sind mittlerweile die geschätzten Kosten? Wie setzen sich die geschätzten Kosten für einen Neubau von 80 bis 120 Millionen Euro zusammen? Welche zusätzlichen Kosten entstehen durch die zwischenzeitliche Ausbildung der deutschen Offiziersanwärter*innen der Marine auf dem rumänischen Segelschulschiff „Mircea“? Und nicht zuletzt: Ist eine solche Ausbildung, die alle deutschen Marineoffizersanwärter*innen durchlaufen, überhaupt noch zeitgemäß?

Es geht bei diesem unrühmlichen Kapitel der Geschichte der „Gorch Fock“ nicht nur um ein Segelschiff, es geht um erhebliche Ausgaben aus Steuermitten. Leider – und damit schließt sich der Kreis – ist der so schön anzusehende Dreimaster bei allen Unterschieden zu den High-Tech-Waffen der Bundeswehr nur ein weiterer Fall, in dem das Verteidigungsministerium seinen eigenen Maßstäben von Transparenz und besserem Management nicht gerecht wird. • Michael Leutert


Kommunal-Info 9-2017 2. November 2017 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Ordnungsamt Kommunale Ordnungsämter kein Ersatz für Polizei Seite 2

Integration Kommunale Integrationskonzepte. Vorteile, Handlungsfelder und Erfolgsfaktoren Seite 3

Veranstaltungen Veranstaltungen im November zu: Gefahrengebiete, gefährliche Orte & Kontrollbereiche Novellierung SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe Seite 4

Ausscheiden aus dem Gemeinderat und Nachrücken Im Verlaufe einer Wahlperiode geschieht es hin und wieder, dass gewählte Mitglieder aus dem Gemeinderat, dem Stadtrat oder dem Kreistag ausscheiden.1 Das kann aus folgenden Gründen herrühren: beim Verlust der Wählbarkeit nach § 31 Sächsische Gemeindeordnung (SächsGemO), wenn die Betreffenden z.B. ihren Wohnsitz nicht mehr in ihrem Wahlgebiet (Gemeinde bzw. Landkreis) haben; wenn bei den Betreffenden nach § 32 SächsGemO ein Hinderungsgrund eingetreten ist, sie z.B. zum Bürgermeister oder Beigeordneten gewählt wurden; wenn bei Betreffenden dem Antrag durch den Gemeinderat stattgegeben wird, das kommunale Mandat nach § 18 SächsGemO aus „wichtigem Grund“ niederzulegen. Der Austritt aus einer Partei oder einer Wählervereinigung, auf deren Liste jemand in den Gemeinderat gewählt wurde, führt hingegen nicht zum Ausscheiden aus dem Gemeinderat. Selbst dann kann ein Gemeinderatsmitglied nicht zum Ausscheiden aus dem Gemeinderat gezwungen werden, wenn es der Partei oder der Wählervereinigung gegenüber für diesen Fall eine entsprechende Verpflichtungserklärung abgegeben haben sollte. 2

Beschluss durch Gemeinderat

Verliert ein Gemeinderatsmitglied seine Wählbarkeit oder tritt ein Hinderungsgrund ein, dann scheidet es kraft Gesetzes zwingend aus dem Gemeinderat aus. Dennoch ist der Gemeinderat verpflichtet, in einem solchen Fall einen förmlichen Beschluss über das Ausscheiden des betreffenden Gemeinderats zu fassen, auch wenn dieser Beschluss rein deklaratorischen Charakter trägt. Der Gemeinderat kann hier lediglich einen vorhandenen Tatbestand für das Ausscheiden feststellen,

einen Ermessensspielraum hat er hier nicht. Obgleich das Ausscheiden aus dem Gemeinderat und der damit einhergehende Verlust des kommunalen Mandats automatisch eintritt, sobald die Tatbestandsgründe unabhängig vom Zeitpunkt ihres Bekanntwerdens gegeben sind, ist der Gemeinderat nach § 34 Abs. 1 SächsGemO verpflichtet, wegen der Rechtssicherheit „unverzüglich das Ausscheiden… festzustellen… Bis zu dieser Feststellung bleibt die Rechtswirksamkeit der Tätigkeit des Gemeinderats unberührt.“ Die Feststellung des Ausscheidens per Beschluss ist insofern von Bedeutung, weil eine mögliche rechtwidrige Zusammensetzung des Gemeinderats (unter Mitwirkung eines bereits de facto ausgeschiedenen Gemeinderatsmitglieds) auf die Rechtmäßigkeit der bis zum Zeitpunkt der Feststellung des Ausscheidens getroffenen Gemeinderatsbeschlüsse keine Auswirkung hat. Verlangt ein Gemeinderatsmitglied danach, das ehrenamtliche kommunale Mandat nach § 18 SächsGemO „aus wichtigem Grund“ niederzulegen und so aus dem Gemeinderat auszuscheiden, muss hierzu der Gemeinderat entscheiden, ob ein „wichtiger Grund“ gegeben ist und danach einen Beschluss fassen. Dem Gemeinderat steht hierbei ein gewisser Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu.3 Der Beschluss über die Feststellung des Ausscheidens aus dem Gemeinderat stellt einen Verwaltungsakt dar und ist zu begründen, mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen und förmlich zuzustellen. Dieser Beschluss kann nach durchgeführtem Widerspruchsverfahren vom betroffenem Gemeinderatsmitglied vor dem Verwaltungsgericht angefochten werden. Entfallen nach dem Ausscheiden bei dem betreffenden Gemeinderatsmit-

glied im Nachhinein die Gründe für das Ausscheiden (Wählbarkeit, Hinderungsgrund, „wichtiger Grund“), lebt das Mandat nicht wieder auf und eine Rückkehr in den Gemeinderat scheidet aus.

Nachrücken von Ersatzpersonen

Für ein ausgeschiedenes Gemeinderatsmitglied rückt diejenige Ersatzperson nach, die bei Feststellung des Wahlergebnisses als nächste festgestellt worden ist. Die Reihenfolge des Nachrückens wird nach den Bestimmungen des Kommunalwahlgesetzes geregelt. Danach werden die Wahlbewerber, die nach der Wahl keinen Sitz im Gemeinderat erlangt haben, in der Reihenfolge der von ihnen erreichten Stimmenzahlen als Ersatzpersonen ihrer jeweiligen Partei oder Wählervereinigung festgestellt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Reihenfolge der Benennung der Bewerber im jeweiligen Wahlvorschlag. Scheidet ein Gemeinderatsmitglied aus, dass im Verlaufe der Wahlperiode seine Partei oder Wählervereinigung bzw. die Fraktion gewechselt hat, rückt dessen ungeachtet diejenige Ersatzperson in den Gemeinderat nach, die als nächste auf dem Wahlvorschlag geführt ist, auf der das ausscheidende Gemeinderatsmitglied ursprünglich gewählt worden war. Wechselt eine Ersatzperson zwischenzeitlich die Partei, so gilt auch hier, dass sie für das auf dem ursprünglichen Wahlvorschlag ausscheidende Gemeinderatsmitglied nachrückt. Haben Bewerber wegen eines „wichtigen Grundes“ nach § 18 SächsGemO die Wahl nicht angenommen, können sie nicht als Ersatzpersonen infrage kommen. Ein Nachrücken kommt daher auch dann nicht in Betracht, wenn später auf die Geltendmachung des wichtigen Grundes verzichtet wird.

Bewerber, die wegen Vorliegens eines Hinderungsgrundes nicht in den Gemeinderat eintreten konnten oder ausscheiden mussten, sind nach geltendem sächsischen Kommunalrecht nicht als Ersatzperson festgestellt und können auch dann nicht nachrücken, wenn der Hinderungsgrund inzwischen entfallen ist. Hat eine Ersatzperson nach der Wahl die Wählbarkeit verloren, sie aber im Zeitpunkt des Nachrückens wieder erworben, kann sie nicht in den Gemeinderat eintreten. Ist keine Ersatzperson mehr vorhanden oder kann wegen Verlustes der Wählbarkeit oder wegen eines Hinderungsgrundes keine Ersatzperson nachrücken, so bleibt der betreffende Sitz im Gemeinderat unbesetzt.4

Verlust des Mandats wegen Verfassungswidrigkeit oder Verbot

Wird nach § 34 Abs. 3 SächsGemO eine Partei oder die Teilorganisation einer Partei durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt, verlieren die Gemeinderäte ihr Mandat, sofern sie dieser Partei oder Teilorganisation zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen der Antragstellung und der Verkündung der Entscheidung angehört haben. Das gilt entsprechend auch, wenn eine Partei oder ein Teil einer Partei als eine verbotene Ersatzorganisation festgestellt wurde. Wird nach § 34 Abs. 4 SächsGemO ein Verein oder Teilverein verboten, weil sein Zweck oder seine Tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist, oder wird nach § 8 Abs. 2 des Vereinsgesetzes festgestellt, dass ein Verein oder Teilverein eine Ersatzorganisation eines aus diesen Gründen verbotenen VerFortsetzung auf folgender Seite


Kommunal-Info 9/2017

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Ordnungsamt kein Ersatz für Polizei Von Enrico Stange, MdL Sachsen Im Jahr 2002 lag der Personalbestand der sächsischen Polizei bei rund 15.550 Bediensteten (Bericht Fachkommission, 2015). Auf Grundlage des Stellenabbauplans (Stellenabbaubericht 2003) der Sächsischen Staatsregierung, der ab dem Jahr 2011 durch die Polizeireform „Polizei.Sachsen.2020“ mit Strukturveränderungen bei der sächsischen Polizei und weiteren konkreten Personalabbauplänen untersetzt wurde (Feinkonzept Polizei. Sachsen.2020), kam es zu einem Abbau bis zum Jahr 2016 um rund 2.400 Stellen auf nunmehr 12.900 Bedienstete der sächsischen Polizei (Kleine Anfrage Enrico Stange, 19.08.2016). Neben dem Stellenabbau ging mit der Reform „Polizei.Sachsen.2020“ auch eine Ausdünnung der Revierstandorte einher. Von ehemals 72 Polizeirevieren sind 41 erhalten geblieben. Die vormaligen Reviere wurden in sogenannte Polizeistandorte umgewandelt. Diese sind in der Regel nicht mehr rund um die Uhr besetzt, sondern werden nur noch zu bestimmten Öffnungszeiten von der Polizei betreut. Mit dem bisherigen Abbau auf 12.900 Stellen sollte nach den Plänen der Sächsischen Staatsregierung aber noch nicht Schluss sein. Das Konzept „Polizei. Sachsen.2020“ sah einen weiteren Stellenabbau bis zum Jahr 2025 auf 11.280 Bedienstete vor. Mittlerweile wurde diese Zahl verworfen und ein Stellenabbaustopp beschlossen. Die dazu eingesetzte Fachkommission zur Evaluierung der Polizei des Freistaates Sachsen empfahl die neue Zielgröße von 14.040 Stellen, ohne nachvollziehbar darzustellen, wie diese Zielgröße zu begründen ist. Deshalb hat die Gewerkschaft der Polizei Sachsen in einer Stellungnahme einen Bedarf von ca. 16.300 Polizeibediensteten rechnerisch und fachlich nachvollziehbar festgestellt. Die Sächsische Staatsregierung beschloss jedoch, der Empfehlung der Fachkommission zu folgen und den Fortsetzung

Ausscheiden ... eins oder Teilvereins ist, verlieren die Gemeinderäte ihr Mandat zum Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung, sofern sie diesem Verein oder Teilverein zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen der Bekanntgabe des Verwaltungsakts und dem Eintritt der Unanfechtbarkeit angehört haben. Unter den Begriff des Vereins fallen, unabhängig von ihrer Rechtsform auch alle Wählervereinigungen im Sinne des § 6 Abs. 1 Kommunalwahlgesetz, soweit sie mitgliedschaftlich organisiert sind und die für ihre Funktionsfähigkeit notwendigen Mindestregelungen (in der Regel in einer Satzung) getroffen haben. Der Mandatsverlust steht nicht in Abhängigkeit zum Wahlvorschlag der verbotenen Partei oder des Vereins, sondern setzt die Mitgliedschaft des Gemeinderatsmitglieds in der verbotenen Partei oder dem Verein in der bestimmten Zeit voraus. War das Gemeinderatsmitglied vor dem Verbotsantrag bzw. der Bekanntgabe des Ver-

Personalbestand der Sächsischen Polizei auf rund 14.000 Stellen aufzustocken, was aber wegen der hohen Altersabgänge und der beschränkten Ausbildungskapazitäten erst ab dem Jahr 2025 erreicht sein dürfte. Das Umdenken in Bezug auf den Stellenabbau bei der Polizei setzte 2016 ein, als der Personalnotstand und seine Folgen nicht mehr zu leugnen waren. Gerne werden die sogenannte „Flüchtlingskrise“ und die daraus folgenden Demonstrationen als Grund für den Personalnotstand angegeben. Wenn man jedoch bedenkt, dass der beabsichtigte Personalabbau 2016 noch nicht abgeschlossen war und die Personalnot nicht zuallererst bei der Bereitschaftspolizei, sondern in den Revieren zu hohen Krankenständen und wachsenden Eintreffzeiten führte, zeigt sich, dass es mittlerweile ein strukturelles Problem bei der sächsischen Polizei gibt und dass das besondere Einsatzgeschehen dies nur schneller sichtbar machte. Diese Einschätzung lässt sich auch durch verschiedene Zahlen belegen. So haben Beamte der sächsischen Polizei im Juli 2017 rund 162.000 Überstunden angesammelt (Kleine Anfrage Enrico Stange, 28.08.2017), in der Hochphase der „Flüchtlingskrise“ waren es hingegen „nur“ ca. 120.000 Überstunden. Die Krise der Polizei in Sachsen wird uns bis zu einer spürbaren Entspannung noch eine Weile beschäftigen. Gegenwärtig umfasst der Personalbestand der sächsischen Polizei 13.598 Bedienstete (Kleine Anfrage Enrico Stange, 27.10.2017), darunter fallen auch 482 Wachpolizisten (Kleine Anfrage Enrico Stange, 04.09.2017) im Anstellungsverhältnis, die als Übergangslösung zum Objektschutz eingestellt wurden. Dass der Personalaufbau so langsam voran kommt, hängt zum einen damit zusammen, dass die neu eingestellten Beamten im Vorbereitungsdienst erst einmal drei Jahre ausgebildet werden müssen, ehe sie im Dienst eingesetzt werden können, und zum andern, dass jährlich ca. 300-

400 Beamte der Polizei in den Ruhestand gehen. Bis der Personalaufwuchs tatsächlich spürbar sein wird, versucht die Staatsregierung, mit einigen Maßnahmen über die Runden zu kommen. Eine ist die bereits genannte Wachpolizei. In der letzten Zeit sind zudem Versuche zu beobachten, einige Befugnisse an die Ortspolizeien, also die Ordnungsämter abzugeben. Vorreiter ist dabei die Ordnungsbehörde der Landeshauptstadt Dresden, die momentan auslotet, wie weit sie mit der Übertragung von Befugnissen an ihren Vollzugsdienst rechtlich gehen kann. So wurden einige Mitarbeiter des Gemeindlichen Vollzugsdienstes kürzlich mit Pfefferspray, Pepperball- und Schreckschusspistolen, Schlagstöcken, Handschellen, Helmen und Protektoren ausgerüstet. Daneben werden auch sogenannte Schutzhunde eingesetzt. Die so ausgerüsteten Bediensteten der Ortspolizei werden zum Streifendienst eingesetzt. Sie sollen Ordnungsverstöße ahnden sowie aggressives Betteln und betrunkene Jugendliche reglementieren. Die Befugnisse der Gemeindlichen Vollzugsbediensteten sind jedoch verfassungsrechtlich sehr bedenklich. So sollte nach einem Verfassungsgerichtsurteil der legitime Einsatz körperlicher Gewalt lediglich verbeamteten Staatsbediensteten zustehen (Fickenscher 2008). Bei den eingesetzten Vollzugsbediensteten des Dresdner Ordnungsamtes handelt es sich jedoch um Angestellte. Eine ähnliche Problematik ergibt sich bei der Kontrolle des fließenden Verkehrs. Hier sind die Kontrollstunden der sächsischen Polizei von 93.300 im Jahr 2000 auf 23.700 im Jahr 2016 zurückgegangen (Kleine Anfrage Enrico Stange, 27.04.2016). Der Eingriff in den fließenden Verkehr ist verkehrsrechtlich (§ 36, Abs. 5 StVO) lediglich Polizeibeamten gestattet. Seit neuestem werden aber Fahrradfahrer als Teilnehmer des fließenden Verkehrs von Mitarbeitern des Dresdner Ordnungsamtes ange-

waltungsakts ausgetreten oder hat das Gemeinderatsmitglied von vornherein als Parteiloser bzw. Nichtvereinsmitglied kandidiert, kann es den Sitz im Gemeinderat behalten, obwohl die Partei für verfassungswidrig erklärt wurde bzw. der Verein verboten wurde. Der Mandatsverlust tritt kraft Gesetzes mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bzw. dem Verbot des Vereins ein. Dennoch hat der Gemeinderat die entsprechende Feststellung über das Ausscheiden zu treffen, auch wenn sie nur deklaratorischen Charakter hat. Ein Ermessensspielraum besteht hier für den Gemeinderat nicht. Die freigewordenen Sitze des Gemeinderats bleiben dabei unbesetzt, soweit sich auch auf die Ersatzpersonen das Partei- bzw. Vereinsverbot erstreckt. Eine Neuverteilung der verbleibenden Sitze findet nicht statt.

wahl durchzuführen. Die Ergänzungswahl ist nach den für die Hauptwahl geltenden Vorschriften für den Rest der Wahlperiode durchzuführen, sofern diese mindestens sechs Monate beträgt. An der Ergänzungswahl nehmen auch die Parteien und Wählervereinigungen teil, die selbst keinen oder weniger Sitze verloren haben. Infolgedessen kann sich die verhältnismäßige Zusammensetzung des Gemeinderats verschieben. AG ——

Ergänzungswahl

Verringert sich die Zahl der Gemeinderäte während der Wahlperiode auf weniger als zwei Drittel der festgelegten Mitgliederzahl, so ist nach § 34 Abs. 7 SächsGemO eine Ergänzungs-

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Die Einzelheiten dazu sind in § 34 Sächsische Gemeindeordnung bzw. in § 30 Sächsische Landkreisordnung geregelt. 2 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, G § 34, Randnummer (Rn) 2. 3 Vgl. hierzu „Ablehnung des Ehrenamts“, in: Kommunal-Info, Nr. 1/2016. 4 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar…, G § 34, Rn 11 ff sowie Sächsische Gemeindeordnung. Kommentar, Kommunal- und Schulverlag 2016, S. 132.

halten und kontrolliert. Die Sächsische Staatsregierung bringt für dieses Vorgehen den § 163b Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO) als Rechtsgrundlage in Stellung (Kleine Anfrage Enrico Stange, 09.10.2017). Pikanterweise ist just in diesem Abschnitt der Strafprozessordnung nur von Polizeibeamten die Rede, womit das Dresdner Ordnungsamt bei ihren Kontrolltätigkeiten nach hiesiger Rechtsauffassung gegen geltendes Recht verstößt. Diese Beispiele zeigen, dass die Diskussion über die Kompensation fehlender Polizeibeamter durch die Ordnungsämter der Kommunen sehr schnell an juristische Grenzen stößt, ganz zu schweigen von den fehlenden personellen und materiellen Ressourcen der Ortspolizeien. Die Stadt Dresden ist vielleicht noch in der Lage, ihren Gemeindlichen Vollzugsdienst aufzustocken und auszurüsten, um fehlende Streifen der Polizei zu kompensieren. Ganz anders sieht es bei den chronisch klammen Kommunen im ländlichen Raum aus, die darum kämpfen, wenigstens 1-2 Personalstellen für ihr Ordnungsamt zu sichern. Sollte der Weg, den Dresden beschritten hat, weiter gegangen werden, dann gerät die Sicherheitsarchitektur Sachsens nicht nur in rechtliche Grauzonen, sondern es ist ein weiteres Auseinanderdriften der urbanen Zentren und des ländlichen Raums zu befürchten. Die Tätigkeit der Polizei ist mit tiefen Eingriffen in die Grundrechte verbunden. Jede Maßnahme bedarf also sicherer Rechtsgrundlagen und sollte nur von gut ausgebildeten Beamten vorgenommen werden, damit die der Polizei zustehenden Eingriffsbefugnisse angemessen und maßvoll angewandt werden. Die Sächsische Staatsregierung muss deshalb viel mehr für die Ausbildung und sachgerechte personelle Ausstattung der Landespolizei tun. Keinesfalls darf sie die Aufgaben in Sicherheitsfragen auf die Kommunen abschieben. Literatur: Fachkommission zur Evaluierung der Polizei des Freistaates Sachsen: Abschlussbericht, Landtagsdrucksache 6/3932, 2015. Fickenscher, Guido: „Bürger in Polizeidienst – Freiwillige Polizeidienste und Sicherheitswachten“. In Rolf Stober (Hrsg.): „Jahrbuch des Sicherheitsgewerberechts 2007“. Hamburg 2008 Stellenabbaubericht der Sächsischen Staatsregierung zum Staatshaushaltsplan 2003/2004, Landtagsdrucksache 3/8935. Sächsisches Staatsministerium des Inneren: Feinkonzept Projekt „Polizei.Sachsen.2020“, 2011.

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushalts finanziert.


Kommunal-Info 9/2017

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Kommunale Integrationskonzepte

Selbstreflexion und Leitbilder der Einwanderungsgesellschaft Teil II Von Konrad Heinze, Chemnitz Ging es im ersten Teil, erschienen in der Kommunalinfo 5/2017, vornehmlich um allgemeine Überlegungen zu kommunalen Integrationskonzepten, sollen nun deren Vorteile, Handlungsfelder und Erfolgsfaktoren näher betrachtet werden. Zu Beginn ist dennoch ein Gedanke aus dem ersten Teil aufzugreifen: Integrationskonzepte können durchaus Gefahr laufen, die Illusion von „sozial-technischer“ Plan- und Steuerbarkeit zu beschwören. Das heißt, dass im bundesweiten Vergleich mancherorts die Vorstellung aufkam, ein solches Konzept als mechanischen Eingriff in die Gesellschaft zu betrachten - im Sinne von „man ändere Stellschraube X und erhalte Ergebnis Y.“ Gerade aber Integrationspolitik darf nicht auf einen bloßen politischen Maßnahmenkatalog reduziert werden. Integration ist vielmehr ein Entwicklungsprozess, der die gesamte Gesellschaft mit einbeziehen muss.1 Integrationskonzepte sind demzufolge in eine übergeordnete Strategie der allgemeinen Entwicklung der Kommune/des kommunalen Zusammenlebens einzufügen2, sollen sie ihre Potentiale entfalten können.

Systematisierung und Vergleichbarkeit der jeweiligen kommunalen Konzepte untereinander. Wenngleich eine direkte Übertragung angesichts der lokalen Verschiedenheiten der Kommunen wenig praktikabel ist, wäre es doch ein lohnendes Ziel, dass die Kommu-

muss.3 Kommunale Integrationspolitk als Querschnittspolitik berührt eine Vielzahl von Handlungsfeldern. Diese umfassen in Übereinstimmung mit der einschlägigen Literatur und der praktischen Umsetzungen: interkulturelle

nen hierüber zu einem Austausch sinnvoller Handlungsmöglichkeiten gelangen können.

Orientierung und Öffnung der Verwaltung, Entwicklung einer Willkommens- und Anerkennungskultur; Sprachförderung; Bildung und Ausbildung; Arbeit, Arbeitsmarktintegration und lokale Wirtschaft; Wohnen und Zusammenleben im Stadtteil/ in der kreisangehörigen Gemeinde, Stadt- und Gemeindeentwicklung; Jugend- und Sozialarbeit, soziale Beratung und Betreuung; Gesundheitsförderung und Gesundheitsversorgung; Kulturförderung und Religion; Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe, der politischen Partizipation und des bürgerschaftlichen Engagements, Einbezug von Vereinen und Initiativen; Unterbringung und Betreuung von Asylsuchenden; Mediation von Konflikten; Aufklärung, Sensibilisieren und Information der EinwohnerInnenschaft sowie Maßnahmen zum Abbau von Diskriminierung und Rassismus.4 Notwendig ist, dass den jeweiligen Handlungsfeldern eine geschlechterdifferenzierte Perspektive innewohnt und weiterhin sie mit einer Kombination von kompensatorischen (auf Nachteilsausgleich ausgerichtet) und aktivierenden (auf Potenziale statt Defizite ausgerichtet) Maßnahmen unterlegt sind.5

Vorteile kommunaler Integrationskonzepte

Für die Erarbeitung und Einsetzung kommunaler Integrationskonzepte sprechen eine Reihe von Vorteilen. Zum ersten ermöglichen sie einen Vergleich zwischen dem Ist-Zustand und dem Soll-Anspruch der kommunalen Integrationslandschaft. Darüber hinaus tragen sie zum Bild, im Sinne des gesamtgesellschaftlichen Anspruchs solcher Konzeptionen, über die Gegenwart und Zukunft der Kommune bei. Hierüber können Integrationskonzepte zum zweiten dazu beitragen, strukturelle Stärken und Schwächen aufzudecken - in welchem gesellschaftlichen Teilbereich wie z.B. Zugang zu Bildung, Zugang zur Gesundheitsversorgung oder politische Teilhabe ist die Kommune gut aufgestellt, wo weniger? Zum dritten schafft ein Integrationskonzept ein Maß an Verbindlichkeit, das mit der so gegebenen langfristigen Perspektive den lokalen AkteurInnen der Integrationspolitik verlässliche und stabile Rahmenbedingungen für ihre jeweilige Arbeit bietet. Einigt sich die Kommunalpolitik auf ein solches Rahmenwerk, gewinnen politische Entscheidungen zu Migration und Integration zum vierten an Nachvollziehbarkeit und Transparenz. Dies ist gerade in der öffentlichen Kommunikation innerhalb der kommunalen Gesellschaft von Vorteil, denn einerseits bildet es die allgemeinen integrationspolitischen Leitlinien und die konkreten Maßnahmen und Ziele der kommunalen Verwaltung und der Kommunalpolitik ab. Andererseits ist es für die Gesellschaft die Grundlage für eine weitergehende Beteiligung der EinwohnerInnenschaft und der gleichberechtigten Teilhabe. Zum fünften ermöglicht eine flächendeckende Einsetzung von Integrationskonzepten die

Inhalte und Handlungsfelder kommunaler Integrationskonzepte

Nach Schröer zeichnet sich im Vergleich kommunaler Integrationskonzepte, trotz der regionalen Unterschiede, ein Erfolg versprechendes Muster ab. Demnach enthalten entwickelte und strategisch angelegte Konzepte stets ein Vorwort oder eine Einführung, welches nach Möglichkeit von der/dem BürgermeisterIn oder Landrat/Landrätin stammt und ein deutliches Bekenntnis zur kommunalen Integrationspolitik enthält. Im weiteren finden sich die Beschreibung von Integration als kommunaler Aufgabe, Definitionen von „Integration“ und „MigrantIn/Migrationshintergrund“, der Blick auf die lokalen Ausgangslagen und Rahmenbedingungen als Analyse der Ist-Situation sowie die Formulierung von Leitlinien der kommunalen Integrationspolitik, die Benennung von Verantwortlichkeiten innerhalb der Verwaltung und die Unterhaltung einer koordinierenden Querschnittsstelle - diese liegt im besten Fall bei den hauptamtlichen kommunalen Migrationsbeauftragten. Weiterhin der Modus der Beteiligung der EinwohnerInnenschaft und lokaler AkteurInnen der Zivilgesellschaft (Schaffung und Ausbau von Netzwerken). Ebenso die Erarbeitung von konkreten Zielen und zugehörigen Indikatoren, damit die Erreichung der erstgenannten fortlaufend überprüft werden kann. Daraus folgt, dass auch eine regelmäßige Berichterstattung seitens der Verwaltung an den jeweiligen kommunalen Rat stattfinden

Erarbeitung kommunaler Integrationskonzepte

Als Grundlage eines Integrationskonzept empfiehlt es sich, ein Bild der Zukunft der Kommune zu entwerfen, um eine der wichtigsten Leitfragen der Erarbeitung eines solchen Konzeptes zu beantworten: „Warum machen wir das?“6 Weitere Leitfragen lauten „Wie sehen die Leitgedanken/Grundsätze unserer Integrationspolitik aus?“, „In

welchen Handlungsfeldern wollen wir schwerpunktmäßig aktiv werden?“, „Welche Ziele verfolgen wir mit dem jeweiligen Handlungsfeld?“, „Wie wollen wir die Ziele erreichen?“, „An welche Zielgruppe richten wir uns mit welchen Angeboten?“, „Wer ist bei uns wofür verantwortlich?“, „Wie verfolgen wir die Wirkung?“ und „Welche Ressourcen setzen wir dafür ein?“.7 Diese Leitfragen können unabhängig vom weiteren Verfahren als universell geltend betrachtet werden, geben sie doch sinnvolle Hinweise, womit zu beginnen ist. Hinsichtlich der konkreten Erarbeitung eines Integrationskonzeptes findet sich in der Literatur übereinstimmend der Verfahrensvorschlag eines kombinierten Top-Down (Integration als Führungsaufgabe) und Bottom-Up (Beteiligung von zivilgesesellschaftlichen Institutionen und der EinwohnerInnenschaft) wieder.8 Das heißt, dass in einer ersten Phase die jeweilige Kommunalvertretung in einer möglichst einmütigen Entscheidung die Verwaltung mit der Erstellung eines Konzepts beauftragt und die Verwaltungsspitze dies auch als „Chefsache“ behandelt. Diese entwickelt nun entlang von Leitfragen erste Perspektiven eines Leitbildes, bei dessen Erarbeitung bereits die Öffentlichkeit und relevante AkteurInnen der Zivilgesellschaft (bspw. Kirchen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Sportvereine, Kammern, Bildungseinrichtungen, MigrantInnenverbände, einzelne Schlüsselpersonen, die besonders in ländlichen Regionen von hoher Bedeutung sind, etc.) mit einzubeziehen sind. Aus den allgemeinen Leitlinien sind konkrete Ziele abzuleiten. Diese sind in thematischen Facharbeitsgruppen, bestehend aus jeweils fachkompetenten VertreterInnen der Verwaltung und Zivilgesellschaft, zu bearbeiten und mit geeigneten Maßnahmen zu unterlegen. Die Arbeit der Facharbeitsgruppen sollte von der weiter oben angeführten gemeinsamem Querschnittsstelle/Anlaufstelle koordiniert werden, die entweder bei der Verwaltungsspitze oder - so vorhanden und idealerweise - bei den kommunalen Migrationsbeauftragten angesiedelt ist. Dieser Anlaufstelle steht wiederum eine aus Verwaltung und Zivilgesellschaft paritätisch besetzte und mit Entscheidungsbefugnissen ausgestattete Steuerungsgruppe bei.9 Die Kommunalvertretung ist regelmäßig über die Fortschritte der Erarbeitung zu informieren. Zweifellos stellt dieses Vorgehen aber nun den Idealfall dar, in den wenigsten Fällen dürfte es eine derartige Eintracht zwischen den Fraktionen des Rates und der Verwaltungsspitze geben, von der Breite der inhaltlichen Vorstellungen ganz zu schweigen. Dennoch sind auch in diesem Fall die Prinzipien des dargelegten Vorgehens anwendbar: die Annäherung über die Leitfragen von einer allgemeinen Vorstellung der Zukunft der Kommune hin Fortsetzung auf folgender Seite


Kommunal-Info 9/2017

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Veranstaltungen im November Informationsveranstaltung

Gefahrengebiete, gefährliche Orte & Kontrollbereiche. Zur Praxis polizeilicher Raumordnung Eine gemeinsame Veranstaltung des KFS und linXXnet Mittwoch, 29.11.2017, 19:00 Uhr „Galerie KUB“, Kantstraße 18, Leipzig Im Zuge der Inwertsetzung städtischer Räume wird der Ruf nach Sicherheit lauter. Auf diesen antworten Politik und Polizei häufig mit einer verstärkten Kontrolle vermeintlich Verdächtiger an bestimmten Orten und Plätzen, einer intensivierten Überwachung und der Ausweitung polizeilicher Befugnisse. Der Vortrag wird diesen Zusammenhang zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit sowie der polizeilichen Praxis an sog. gefährlichen Orten und in Kontrollbereichen genauer untersuchen.

eine Alltagsdemokratie als Form des Umgangs und der Konfliktaustragung gefördert wird. Lesehinweise: Schröer, Hubertus: Kommunale Integrationskonzepte, herausgegeben von Via Bayern, kostenlos unter: http:// www.via-bayern.de/NIB/bilder/nib_ heft4_integrationskonzepte.pdf Schröer, Hubertus: Kommunales Integrationsmanagement, Wiesbaden 2015. Fraktion DIE LINKE im Kreistag Görlitz: „Konzept zur Förderung der Integration von Geflüchteten/Asylbewerbern/Migrant*innen im Landkreis Görlitz (Integrationskonzept)“.

Referent: Roman Thurn (Ludwig-Maximilians-Universität München)

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Fachtagung zur Novellierung SGB VIII Donnerstag, 30.11.2017, 18:00 - 21:00 Uhr Chemnitz (Tagungsort wird noch bekannt gegeben) Bereits seit Frühjahr 2016 dauert ein Novellierungsprozess des SGB VIII an. Ausgangspunkt ist das Bestreben, eine sogenannte „Inklusive Lösung“, eine Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe, zu schaffen. Am 12. April 2017 beschloss das Bundeskabinett den von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig vorgelegten Gesetzentwurf zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (KJSG). Dieser soll nur ein erster Schritt einer umfassenden Novellierung der Kinder- und Jugendhilfe sein. Neben der „Inklusionslösung“ wurde eine Vielzahl von zusätzlichen Themen mit dem Novellierungsprozess verknüpft. So beispielsweise Fragen wie dem Rechtsanspruch Kinder-Eltern, die drohende Teilung der Kinder- und Jugendhilfe im Bezug auf die Hilfen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMA) oder die Hilfen für junge Volljährige. Inzwischen sind die größten Baustellen der Reform vorerst vertagt, dennoch wurde am 29.Juni 2017 eine „kleine SGB VIII-Reform“ vom Bundestag verabschiedet, die auch Auswirkung auf den Bereich Kinder- und Jugendhilfe in den Landkreisen und Kommunen hat. Welche das konkret sind, soll in dieser Veranstaltung vorgestellt werden und gemeinsam diskutiert werden. Referent*innen: Anke Miebach-Stiens, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten Sachsen e.V. Kolja Fuchslocher, Fachreferent für Kinder- und Jugendpolitik der Fraktion DIE LINKE im Bundestag Gunda Georgi, Leiterin des Amtes für Jugend und Familie der Stadt Chemnitz (angefragt) Anmeldungen und weitere Informationen unter: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. 01127 Dresden, Großenhainer Straße 99 Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Fortsetzung

Integrationskonzepte ... zu Leitzielen, daraus abgeleiteten Teilzielen und dafür notwendige Maßnahmen. Dies in Ansprache von und Absprache mit Schlüsselpersonen und einschlägigen AkteurInnen der Zivilgesellschaft. Das die Erarbeitung eines progressiven Integrationskonzepts auch ohne die Ressourcen der Verwaltung möglich ist, zeigt die Vorlage zum „Konzept zur Förderung der Integration von Geflüchteten/Asylbewerbern/ Migrant*innen im Landkreis Görlitz (Integrationskonzept)“ der Fraktion DIE LINKE im Görlitzer Kreistag.

Erfolgsfaktoren kommunaler Integrationskonzepte

Die Erarbeitung und die Ausführung kommunaler Integrationskonzepte sind verschiedene Sachverhalte. Kann ersteres durchaus von einer lokalen Politik geleistet werden, die bereit ist, richtungsweisende Entscheidungen zu fällen und darüber Rechenschaft abzulegen, braucht es für letzteres notwen-

dig eine „mitziehende“ Verwaltung.10 Denn am Ende geht es „nicht mehr nur um die soziale Integration einer einzelnen Bevölkerungsgruppe, sondern um die Entwicklungsperspektiven der ganzen Kommune.“11 Als konkrete Erfolgsfaktoren zählt Schröer wie folgt auf:12 Gesamtkonzept und Strategie sind vorhanden und politisch verbindlich. Integration und interkulturelle Öffnung sind als Querschnittsaufgaben und Führungsverantwortung institutionalisiert. Die interkulturelle Orientierung und Öffnung sind gewollt, Zugangsbarrieren sind identifiziert und werden abgebaut, die Kommune als Arbeitgeberin und Dienstleisterin wirkt beispielhaft. Handlungsfelder sind identifiziert, priorisiert und werden (nacheinander) bearbeitet. Ergebnisse und Wirkungen werden gemessen, Controlling und Evaluation (Monitoring) sind sichergestellt. Beteiligung wird ermöglicht durch attraktive Einladungen, aufsuchende Angebote, einfache Sprache, rück-

sichtsvolle Terminfindung und geeignete Methoden. Beteiligung erfolgt so früh wie möglich, wenn Gestaltung noch sinnvoll erscheint und deshalb die Motivation hoch ist; sie schafft gemeinsame Ergebnisse und damit nachhaltige Wirkungen. Beteiligung aller Betroffenen (Stakeholder) erfolgt durch repräsentative Mitwirkung von Politik, Verwaltung, staatlichen Institutionen, gesellschaftlichen Gruppen, freien Trägern sowie Vertreterinnen und Vertretern aus Zivilgesellschaft und von Migrantenorganisationen. Funktionierende Netzwerke sind aufgebaut. Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Ebenen, beispielsweise Land und Kommunen, aber auch interkommunal, ist sichergestellt. Unbesehen dessen ist dennoch festzuhalten, dass Integrationskonzepte unabdingbarer Bestandteil einer umfassenderen Gesellschaftspolitik sein müssen. Sie können nur dann ihre volle Wirkung entfalten, wenn allgemein

Vgl. Articus, Stephan: Herausforderungen kommunaler Integrationspolitik, in: Luft, Stefan/Schimany, Peter (Hrsg.): Integration von Zuwanderern. Erfahrungen, Konzepte, Perspektiven, Bielefeld 2010, S. 184. 2 Was angesichts des Dilemmas von Selbstverwaltung und der Abhängigkeit von überörtlichen Regelungen und Entschscheidungen, in dem sich die Kommunen fortwährend befinden, mit Sicherheit keine leichte Aufgabe ist. 3 Vgl. Schröer, Hubertus: Kommunale Integrationskonzepte, München 2010, S. 11ff. 4 Zusammenstellung nach: -Gesemann, Frank: Kommunale Integrationspolitik, in: Brinkmann, Heinz Ulrich/Sauer, Martina (Hrsg.): Einwanderungsgesellschaft Deutschland. Entwicklung und Stand der Integration, Wiesbaden 2016, S. 295. -Gesemann, Frank/Roth, Roland/Aumüller, Jutta: Stand der kommunalen Integrationspolitik in Deutschland, Berlin 2012, S. 27ff. -Gestring, Norbert: Widersprüche und Ambivalenzen kommunaler Integrationskonzepte, in: Gans, Paul (Hrsg.): Räumliche Auswirkungen der internationalen Migration, Hannover 2014, S. 317ff. -Schröer, Hubertus: Kommunales Integrationsmanagement. Handreichung für hessische Kommunen, Wiesbaden 2015, S. 53. -Landeshauptstadt Dresden: Konzept zur Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in der Landeshauptstadt Dresden. Integrationskonzept 2015-2020, S. 11ff. -Fraktion DIE LINKE im Kreistag Görlitz: Konzept zur Förderung der Integration von Geflüchteten/Asylbewerbern/ Migrant*innen im Landkreis Görlitz (Integrationskonzept), Stand August 2016, S. 1ff. 5 Vgl. Baraulina, Tatjana: Integration und interkulturelle Konzepte in Kommunen, in: APuZ 22-23 (2007), S. 30/31. 6 Schröer 2010, S. 6. 7 Alle Zitate: Reichwein, Alfred u.a.: Integration als Chance für Nordrhein-Westfalen und seine Kommunen. Potenziale nutzen - aus Erfahrungen lernen, Duisburg 2007, S. 53ff. 8 Schröer 2010, S. 7. 9 Schröer 2010, S. 8. 10 Vgl. Reichwein u.a. 2007, S. 33. 11 Gesemann in Brinkmann 2016, S. 289. 12 Schröer 2015, S. 67.


Oktober 2017

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

ParlamentsReport „Pumuckl“ soll Staatsamt erben

Liebe Leserinnen und Leser, anstatt eine große Kabinettsumbildung vorzunehmen, die nun wohl im Dezember folgen wird, hat Stanislaw Tillich alle überrumpelt – auch seinen selbsterwählten Nachfolger. Er hat den Zeitpunkt verstreichen lassen, bis zu dem er selbst über sein Ausscheiden aus dem Amt hätte bestimmen können. Nun wurde er vom Ergebnis der Bundestagswahl hinweggefegt. Da bisher weder von Tillich noch von Kretschmer eine Aussage bekannt ist, worin denn das Versagen der CDU-Regierung konkret liegt, wird es wohl auch keinen Neuanfang in der sächsischen Landespolitik geben. Die Fähigkeit, Probleme zu erkennen oder gar Selbstkritik zu üben, war bei der sächsischen CDU noch nie ausgeprägt. Auch darin liegt eine Parallele zur Vorgänger-Staatspartei. Michael Kretschmer hat bisher keinen einzigen Satz dazu gesagt, wie er sich eine andere Politik für Sachsen vorstellt. Bisher habe ich nur vernommen, dass die Ankündigungspolitik fortgesetzt werden soll – etwa auf dem Gebiet der Innenpolitik. Wenn die Personalie des neuen Kultusministers tatsächlich mit Kretschmer abgestimmt war, so kann ich nur feststellen: Für ein „Weiter so“ in der Bildungspolitik scheint das der richtige Mann zu sein. Ich glaube auch dort nicht an einen Neuanfang, Frank Haubitz ist mit seinen ersten öffentlichen Aussagen bei mir total durchgefallen.

Ein Wahlverlierer übergibt an den nächsten: Stanislaw Tillich tritt bis Dezember zurück, offensichtlich in Reaktion auf die Verluste der CDU bei der Bundestagswahl. Damit bleibt er sich treu: Er hat in seiner neunjährigen Regierungszeit nie Verantwortung übernommen, immer andere als Blitzableiter vorgeschickt. Sein Nachfolger soll Michael Kretschmer werden, das hat der scheidende Regierungschef „bestimmt“. „Pumuckl“, wie Helmut Kohl den 42-jährigen Görlitzer getauft haben soll, ist seit 2005 Generalsekretär der selbsternannten Staatspartei und lange in der Landespolitik aktiv. Kretschmer ist als Wasserträger Teil des Systems Tillich. Ein Neuanfang sieht anders aus.

Nicht nur die Wählerinnen und Wähler in der Lausitz werden sich angesichts solcher Erbfolge-Arroganz betrogen fühlen. Das ist eine Hypothek für den „Hoffnungsträger“, der auch in seiner Partei und Fraktion noch viel Überzeugungsarbeit leisten muss. In einer Probeabstimmung in der CDU-Fraktion verweigerten ihm 12 der 59 Abgeordneten die Gefolgschaft. 64 Stimmen braucht er im Landtag, um Regierungschef zu werden. Offenbar sorgt das Verfahren, mit dem Tillich seine Nachfolge (nicht) geregelt hat, auch in seiner Partei für Unmut, und die Angst vor Verlusten bei der Landtagswahl 2019 ist groß.

Für Kretschmer selbst allerdings wird es ein Neuanfang sein. Im September hat ihn die Bevölkerung im Landkreis Görlitz aus dem Bundestag gewählt, er verlor sein Direktmandat an einen unbekannten Malermeister mit AfD-Parteibuch. Kretschmer, den Beobachter schon lange als kommenden Mann der Sachsen-CDU handeln, stand ohne Amt da. Weil Kultusministerin Kurth ihren Rückzug angekündigt hatte, machte im politischen Dresden der Verdacht die Runde, Tillich könnte Kretschmer zum Kultusminister ernennen. Aber nein, so oft die prompte Reaktion, das würde ja aussehen, als bekäme ein Wahlverlierer einen Versorgungsposten.

Außer dem Umstand, dass Kretschmer jung ist und aus dem ländlichen Raum kommt, spricht indes nicht viel dafür, dass er der richtige Mann sein könnte. Zu seinen Plänen hat er bisher keinen einzigen konkreten Satz gesagt, sich nur nebulös für einen „starken Staat“ und für „deutsche Werte“ ausgesprochen. Was er damit meint, bleibt unklar. Klar ist aber: Wenn die CDU weiter Themen und Argumente der AfD übernehmen sollte, wird das nur der AfD helfen. Es spricht einiges dafür, dass es so kommen könnte. „Auf DIE LINKE kommt in dieser Situation eine besondere Verantwortung zu: die gesellschaftliche Alternative des sozialen und humanistischen Sachsen zu stärken“, meint LINKEN-Fraktionschef Rico Gebhardt.

Nun soll Kretschmer, der nicht Mitglied des Landtages ist, gar zum Ministerpräsidenten gewählt werden.

Es könnte mit Kretschmer jedenfalls mehr Reibereien geben als mit Tillich, der stets jede Debatte vermied. So

hat der designierte Ministerpräsident beispielsweise die Hinweise seiner Kabinettskollegin Petra Köpping auf Demütigungen und Ungerechtigkeiten der Nachwendezeit als „Jammerei“ abgetan. Das legt nicht nahe, dass Kretschmer und die CDU zu den Wurzeln jener Stimmung vordringen wollen, die zum Wahlerfolg der AfD beigetragen hat. Stattdessen könnte Finanzminister Georg Unland im Dezember ausgetauscht und der Geldhahn weit aufgedreht werden, um zu versuchen, die Missstimmung ohne näheres Hinsehen mit Geld zuzuschütten. Die Unzufriedenheit gründet oft in der Erfahrung, dass die Lebensverhältnisse in Sachsen gravierend unterschiedlich sind. Die Linksfraktion will die Spaltung des Landes in „Leuchttürme“ und weite Gebiete, in denen sich die Menschen abgehängt fühlen, überwinden. Rico Gebhardt hat vier Ziele benannt, die schleunigst angepackt werden sollten: Ein verlässlicher Öffentlicher Nahverkehr mit einheitlichem Tarifsystem; bezahlbares und barrierefreies Wohnen allerorten; eine flächendeckende Versorgung mit mindestens 50 Mbit/sAnschlüssen, besser mit 100 Mbit/s; schließlich eine ärztliche Grundversorgung, egal ob stationär oder mobil, die auch für ältere Menschen ohne Auto auf dem Lande erreichbar ist. Stanislaw Tillich hatte zu diesen und allen anderen Fragen nichts zu sagen. Wird sein Nachfolger auch nur ein konzeptionsloser Verwalter sein?

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

Bild: Heinrich-Böll-Stiftung / flirckr.com / CC BY-SA 2.0

Beim Koalitionspartner SPD liegt nun eine große Verantwortung. Will sie nur der CDU die Macht sichern oder tatsächlich eine andere Politik in Sachsen vorantreiben? Es wird nicht reichen, nur den Preis für eine Wahl Kretschmers zum Ministerpräsidenten nach oben zu treiben.


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PARLAMENTSREPORT

Oktober 2017

Keine innovative Lösung

Bild: Ivo Schwalbe / flirckr.com / CC BY-SA 2.0

Mehr Personal in Sachsens Knästen!

Vor seinem Abschied hat Stanislaw Tillich noch eine Personalentscheidung getroffen: Frank Haubitz ist seit dem 23. Oktober neuer Kultusminister. Der bisherige Leiter des Gymnasiums Dresden-Klotzsche und Chef des Philologen-Verbands ersetzt Brunhild Kurth, die unter Verweis auf persönliche Gründe zurückgetreten ist. Der neue Ressortchef inszeniert sich vom ersten Tag an als Praktiker, erschien in Jeans und Turnschuhen vor der Presse, zwischen seinen Vertretungsstunden. Das mag manchen als Tillichs letzter Coup gelten. Andere mögen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zustimmen: „Keinen ,ministrablen‘ Bildungspolitiker in den eigenen Reihen zu haben sagt mehr über den inneren Zustand einer Partei als viele Worte.“ Wie ihr Vorgänger Roland Wöller war Kurth im Kampf gegen den Lehrkräftemangel gescheitert. Der Krisenzu-

stand wird auch unter Haubitz anhalten. Während die Ausbildung der vielen Seiteneinsteiger stockt, fallen weiter viele Stunden aus; Extremfälle, in denen Eltern einspringen, weil partout keine Lehrkräfte zu finden sind, dürften auch künftig vorkommen. Bildungspolitik ist aber weit mehr als ein Streit um Geld und Personalstellen. Es geht vor allem darum, wie gelernt und gelehrt werden soll. Ist unter dem neuen Minister eine Modernisierung des Schulwesens zu erwarten? Die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Cornelia Falken, ist skeptisch. „Frank Haubitz ist nicht die erhoffte innovative Lösung. Zwar verfügt er über langjährige Erfahrung. Mit organisatorischen Nachbesserungen bei der Unterrichtsversorgung ist aber noch lange nicht für gute Bildung gesorgt.“ Haubitz werde die CDU-Bildungspo-

litik im Sinne seiner Amtsvorgängerin fortführen, seine Ansichten seien „ausgesprochen konservativ“. Das zeigt sich an einem zentralen Punkt: Ein Volksbegehren für ein längeres gemeinsames Lernen lehnt er ab, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung einen solchen Entscheid fordert. Mit Haubitz zementiert die CDU das gegliederte Schulwesen. Längeres gemeinsames Lernen sieht er als bloßes „Schulhausbauprogramm“. Man kann getrost folgern, dass der neue Kultusminister nicht verstehen will, worum es dabei wirklich geht: darum, kein Talent auf der Strecke zu lassen. Auch Haubitz wird mit den CDUFinanzpolitikern zu kämpfen haben, wenn er den Lehrberuf attraktiver machen will. Die Hauptverantwortung bleibt aber beim Ministerpräsidenten – ob der nun Tillich, Kretschmer oder anders heißen mag.

Umweltministerium hortet Millionen

Schon 2015 hatte Pinka diese Praxis gerügt. So bleiben Umweltschäden unsaniert, neuen Umweltschäden wird nicht vorgebeugt. Aktuelle Beispiele wären Forschungsvorhaben zur raschen Aufklärung des gravierenden Insektensterbens, die Verbesserung der Gewässergüte und Gewässerstruktur oder die Ertüchtigung der Abwasserreinigung im Hinblick auf Spurenstoffe wie pharmazeutische Substanzen und Hormone.

In den beiden zurückliegenden Jahren wurden nur rund 14 Millionen Euro für die Förderung des Kleinkläranlagenbaus ausgegeben – es stehen aus der Abwasserabgabe noch 40,5 Millionen Euro für den Bau von Abwasseranlagen zur Verfügung. „Dieses Geld, das den Bürgerinnen und Bürgern abverlangt worden ist, sollte ihnen auch zugutekommen! Es passt nicht zusammen, dass gleichzeitig gegen Härtefälle vorgegangen wird oder Menschen zum Bau von Kleinkläranlagen gezwungen werden“, so Pinka. Restsummen im sechsstelligen Bereich liegen noch aus der Reitwege-, der Jagd-, der Fischereiabgabe und aus Naturschutz-Ersatzzahlungen vor. Gleichzeitig bleibt die Landwirtschaft außen vor, die viel stärker als Privathaushalte die Gewässer verunreinigt, und Geld, das für die Verbesserung der Gewässergüte vorgesehen ist, fließt nicht. Einnahmen aus der Wasserentnahmeabgabe, mit der seinerzeit

die Wassermüller in die Knie gezwungen werden sollten, liegen ungenutzt herum – mehr als 20 Millionen Euro. In Sachsen hat es die CDU zur Tradition gemacht, der Bevölkerung Geld vorzuenthalten, das sie erwirtschaftet hat. Sie soll endlich davon profitieren!

Bild: Images Money / flirckr.com / CC BY 2.0

Sachsens Umweltministerium hortet Geld, anstatt es zu nutzen. Dabei handelt es sich um Einnahmen aus Abgaben für Umweltnutzungen, die eingesetzt werden müssten, um Umweltschäden zu sanieren oder den Kleinkläranlagenbau zu fördern. Das hat Dr. Jana Pinka, Sprecherin der Fraktion DIE LINKE für Umweltpolitik und Ressourcenwirtschaft, herausgefunden (Drucksache 6/10910). Auf mehr als 62 Millionen Euro summierte sich das Ende 2016.

Wenn Menschen inhaftiert werden, geht es nicht nur darum, sie durch Freiheitsentzug büßen zu lassen. Vor allem sollen sie „resozialisiert“, also befähigt werden, nach ihrer Freilassung ins Leben zurückzukehren und künftig im Einklang mit den Gesetzen zu handeln. Dieses Resozialisierungsziel wird in Sachsens Haftanstalten kaum noch erreicht. Das ist nicht nur für die Betroffenen schlimm, die dann mit größerer Wahrscheinlichkeit wieder straffällig werden. Auch die Gesellschaft kann das nicht wollen. Denn einerseits steigt so das Kriminalitätsrisiko, andererseits entstehen durch eventuelle erneute Haftstrafen hohe Folgekosten, die von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern zu tragen sind. Der Grund der Misere liegt im gravierenden Personalmangel im Justizvollzug, den die CDU-geführten Staatsregierungen verursacht haben. Darunter leiden die in den Gefängnissen tätigen Beamten und Angestellten, vor allem die im allgemeinen Vollzugsdienst. Parallel zur erheblichen Überbelegung in den meisten sächsischen Justizvollzugsanstalten wächst die Zahl ihrer Über- und Mehrarbeitsstunden weiter, bleibt der Krankenstand auf hohem Niveau. In dieser schwierigen Lage werden die Bedingungen dafür, das Resozialisierungsziel zu erreichen, ständig schlechter, etwa weil Aufschlusszeiten reduziert, Lockerungs- und Therapiemaßnahmen gekürzt werden müssen. Dann bleiben viele Gefangene bis auf zwei bis drei Stunden am Tag in ihrem Verwahrraum, ohne nennenswerte Kommunikationsmöglichkeiten. Das provoziert Revolten – in der JVA Chemnitz zum Beispiel weigerten sich unlängst 40 Gefangene, nach dem Hofgang in ihre Zellen zurückzukehren. Das gefährdet auch die Sicherheit von Personal und Gefangenen. Die Staatsregierung ignoriert das Problem. Nochmal das Beispiel Chemnitz: Dort sollen 2018 weitere 90 Haftplätze hinzukommen, ohne dass auch nur eine einzige zusätzliche Personalstelle bewilligt wird. Dabei ist die JVA Chemnitz seit Monaten mit 110 Prozent Haftplatzüberbelegung konfrontiert, und nur zwei Drittel der Planstellen im allgemeinen Vollzug sind mit Personal besetzt, das tatsächlich verfügbar ist. Die Linksfraktion fordert per Antrag, die Personalsituation in den Justizvollzugsanstalten zu stabilisieren (Drucksache 6/10033). Nur so lässt sich auch der gesetzliche Resozialisierungsauftrag umsetzen. LINKEN-Rechtspolitiker Klaus Bartl befürchtet andernfalls „langfristig fatale Folgen für die ganze Gesellschaft“.


Oktober 2017

PARLAMENTSREPORT

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Treuhand-Taten aufarbeiten Inzwischen stapeln sich die Analysen zum Bundestagswahl-Ergebnis. Für uns ist klar: Eine gewichtige Erklärung liefert das, was in Sachsen und im Osten insgesamt nach 1990 geschehen ist. Diese Zeit ist nicht aufgearbeitet, obwohl sie zahlreiche Biografien gebrochen und das Leben vieler Ostdeutscher für immer verändert hat – keineswegs immer zum Positiven. Das bildet bis heute den Nährboden für Frustration, Gefühle der Geringschätzung und des Abgehängt-Seins. Kritische Stimmen dazu aus nicht-linken Ecken, die im „Staatspartei“-regierten Sachsen ohnehin selten laut werden, muss man mit der Lupe suchen. Eine Ausnahme ist die von Prof. Dr. Joachim Ragnitz vom Dresdner Ifo-Institut: „Man hätte von Anfang an bei der Treuhand-Privatisierung ostdeutsche Unternehmer bevorzugen und mehr Firmengründungen im Osten fördern müssen.“

Die Folgen plagen uns bis heute. Im Osten fehlen Konzernzentralen, gut bezahlte Arbeitsplätze sind Mangelware, viele Betriebsstätten nur verlängerte Werkbänke. Die Deindustrialisierung hat massenhaft Erwerbsbiografien unterbrochen und oft abgebrochen, Langzeitarbeitslosigkeit und Altersarmut sind die Folge. 27 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es weder

wirtschaftlich noch sozial eine deutsche Einheit: Die Wirtschaftskraft der ostdeutschen Bundesländer liegt auf 68 Prozent des Westniveaus, auch bei Löhnen und Renten ist nicht absehbar, wann Ost und West gleichziehen. Die Benachteiligung der Ostdeutschen – nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet – fiel nicht vom Himmel. Wo Opfer sind, gibt es Täter, die nicht selten mit Rendite und Renommee gesegnet sind. Das unterscheidet sie von den Treuhand-Geschädigten, deren Schicksal heißt: unterbrochene Erwerbsbiographie, Dumpinglöhne, Niedrigrente. Die Treuhandpolitik, die auch kriminellen Investoren Tür und Tor öffnete, muss aufgearbeitet werden. Deshalb sollte der Bundestag eine Enquetekommission zur Arbeit der Treuhandanstalt einsetzen, in der Experten und Abgeordnete gemeinsam aufarbeiten, welches Unrecht es gegeben hat. Die LINKE wird dafür streiten. Der Osten braucht starke Signale, dass den Menschen und ihren Lebensgeschichten auf Augenhöhe und mit Respekt begegnet wird – gerade jetzt.

Bild: gravitat-OFF / flirckr.com / CC BY 2.0

Richtig, sekundierte LINKEN-Fraktionschef Rico Gebhardt prompt: „Vor allem hätte man die Menschen aus dem Osten besonders fördern müssen bei der Übernahme bzw. beim Kauf von

Unternehmen oder Unternehmensteilen. So hätten viel mehr Beschäftigte von Unternehmen aus DDR-Zeiten ihren Betrieb in eigene Hände nehmen können – es wäre ,Volkseigentum‘ entstanden, das diesen Namen wirklich verdient.“ Das war aber nicht gewollt. Die PDS war die einzige Partei, die es ablehnte, die ostdeutsche Volkswirtschaft als 1-DM-Schnäppchen oder sogar noch mit Zubrot an überwiegend westdeutsche Interessenten zu verschleudern. Unter denen befanden sich nicht nur verdienstvolle Investoren. Viele Ost-Betriebe wurden dennoch zu symbolischen Preisen übernommen, um sie dann im Sinne der Marktbereinigung und der Beseitigung von Konkurrenz stillzulegen.

Macht Siemens in Sachsen dicht? Folgt auf den Stellenabbau bei Bombardier der nächste Schlag für Görlitz? Laut bisher unbestätigten Medienberichten will der Elektrokonzern Siemens bis zu elf seiner weltweit 23 Standorte in der Kraftwerkssparte schließen oder verkaufen. Neben einem Werk für Turbo-Verdichter in Leipzig-Plagwitz könnte auch das Turbinenwerk in Görlitz betroffen sein – insgesamt sind mehr als 1.000 Arbeitsplätze gefährdet. Ein weiterer Leuchtturm wankt. Auch weil die sächsische Wirtschaft kleinteilig und sehr exportabhängig ist, wären die Folgen einer Schließung verheerend. Die wichtigste Aufgabe bestünde dann darin, die Fachkräfte hier zu halten. Nicht erst der Fall SolarWorld hat gezeigt, wie wichtig Auffang- und Transfergesellschaften sind.

Nico Brünler, arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion, beobachtet eine „traurige Routine“. Erneut müssten die ostdeutschen Standorte von Großkonzernen die Last von Umstrukturierungen tragen. „Wieder ist eine der letzten großen Säulen der Industrie in der Lausitz von der Abwicklung bedroht.“ Wenn der (Noch-)Ministerpräsident Tillich dazu sein Bedauern ausspreche und den Bund per Pressemeldung auffordere, tätig zu werden, dann folge er seiner alten Wegducken-Strategie. „Das Abschieben der Verantwortung auf den Bund ist nichts anderes als eigene Verantwortungslosigkeit. Daran ändert auch der Hinweis auf die im Rahmen der Russland-Sanktionen verhängten Exportverbote von Dampf-

turbinen für Kohlekraftwerke nichts.“ Zwar habe Tillich oft Sonntagsreden gegen die Sanktionen gehalten, aber nie für deren Aufhebung gekämpft. Dabei könnte Sachsens Landesregierung durchaus in diesem Sinne auf die Bundesregierung einwirken. Auch der Görlitzer Abgeordnete der Linksfraktion Mirko Schultze befürchtet einen „weiteren Tiefschlag für die Region“. Die bedrohten Industriearbeitsplätze und die aus Tariflöhnen resultierende Kaufkraft seien eine wichtige Grundlage für die sich neu entwickelnde Kreativ- und Tourismuswirtschaft. „Ein Strukturwandel in Ostsachsen muss gesteuert sozial und ökologisch ausgerichtet werden, nicht erzwungen, wie vor 27 Jahren durch sozialen Kahlschlag“.

Weniger Glyphosat in Sachsen! Glyphosat ist das weltweit am meisten genutzte Unkrautvernichtungsmittel. Soll es weiter eingesetzt werden, müsste seine Zulassung verlängert werden. Die Europäische Kommission versucht, die Mitgliedstaaten dafür zu gewinnen, eine Entscheidung muss bis zum Jahresende vorliegen. Frankreich fordert, dass die Genehmigung binnen fünf Jahren auslaufen soll; Italiens Landwirtschaftsminister hat sich gegen eine verlängerte Zulassung ausgesprochen. Sein deutscher Amtskollege Christian Schmidt (CSU) meint hingegen: „Es ist vertretbar, Glyphosat anzuwenden.“ Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat für seinen Glyphosat-Bericht wesentliche Angaben von den Herstellern des Unkrautgifts übernommen. Eine eigenständige Bewertung hat wohl kaum stattgefunden. Dagegen regt sich Widerstand: Mehr als 100 Umwelt-, Naturschutzund Gesundheits-Organisationen haben sich zu einer Europäischen Bürgerinitiative zusammengeschlossen. Seit Februar hat das Bündnis in 28 Ländern Unterschriften gegen eine Wiederzulassung gesammelt. Am 6. Oktober 2017 bestätigte die Europäische Kommission den Erhalt von über einer Million Unterschriften für ein Verbot von Glyphosat. Im Sächsischen Landtag versuchten die Links- und die GRÜNEN-Fraktion per Antrag, die Glyphosat-Anwendung zu verringern. Sein Einsatz sollte genauer überwacht werden, um Verstöße gegen Anwendungsbestimmungen rascher erkennen zu können. CDU, SPD und AfD lehnten ab. Dr. Jana Pinka, umweltpolitische Sprecherin der Linksfraktion: „Die Regierungskoalition nimmt in Kauf, dass das Vernichtungsmittel nach wie vor zu häufig und unkontrolliert gespritzt wird. Damit setzt sie die Gesundheit von Anwohnern und Konsumenten aufs Spiel.“ Auf der Landesebene lässt sich Glyphosat nicht verbieten. Sehr wohl aber kann genauer geprüft werden, weshalb die Bevölkerung durch den Wirkstoff belastet ist. Wir wollen, dass der Freistaat befürchtete Gefahren aufklärt. Das hat nichts mit Panikmache zu tun. Es ist die Pflicht des Staates, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Diese Regierungskoalition allerdings beschränkt sich darauf, den Untergang der heimischen Landwirtschaft an die Wand zu malen, falls der Glyphosateinsatz jemals eingeschränkt werden sollte.


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PARLAMENTSREPORT

Spurensicherung „ehrenamtlich“ Mit Expert*innen aus rechtsmedizinischen Instituten, Beratungsstellen, Gesundheitsämtern und der Sozialen Arbeit hat die Linksfraktion am 24. Oktober über eine vertrauliche Spurensicherung für Opfer sexualisierter Gewalt debattiert. Hintergrund ist ein Antrag (Drucksache 6/9884), der fordert, die vertrauliche Spurensicherung auf strukturell feste Beine zu stellen und sie angemessen zu finanzieren. Denn insbesondere für Menschen fernab der Großstädte ist es immer noch unmöglich, nach sexualisierter Gewalt Verletzungen und Spuren vertraulich dokumentieren zu lassen. Aber genau diese Beweise werden später benötigt, um den Täter – oder die Täterin – zu überführen. Das sind beispielsweise körperliche Blessuren oder DNA-Spuren. Diese müssen jedoch unmittelbar nach der Tat gesichert werden. Opfer sexualisierter Gewalt sind nach der Tat jedoch meist traumatisiert. In diesem Zustand Anzeige zu erstatten oder gar eine Prozessführung in Angriff zu nehmen, ist für viele undenkbar. Das Dilemma: Die Polizei ist bei Kenntnisnahme einer Straftat verpflichtet, Ermittlungen einzuleiten. Sie kommt also als erste Anlaufstelle für Opfer sexualisierter Gewalt nicht infrage, wenn diese zwar die Spuren sichern lassen wollen, aber (noch) keine Anzeige erstatten möchten.

Leipzig. Allerdings sei es sehr wichtig, dass die Spuren so schnell wie möglich gesichert und professionell gelagert werden. „Die Beweiskette darf nicht abbrechen.“ Anders als in Sachsen wurde in Nordrhein-Westfalen bereits am Anfang der 2000er Jahre die Idee der anonymen, verfahrensunabhängigen Spurensicherung entwickelt. Spuren werden außerhalb der Polizei gesichert, etwa in rechtsmedizinischen Instituten. Dort werden sie eingelagert und auf Anfrage des Opfers zu einem späteren Zeitpunkt im Falle einer Anzeigenerstattung herausgegeben, um sie als Beweismittel einsetzen zu können. Die Entscheidung, ob und wann Strafanzeige erstattet wird, liegt dabei allein bei dem Opfer. Dadurch können sich die Betroffenen zunächst mental stabilisieren und die strafrechtliche Konfrontation mit dem Täters bzw. der Täterin verschieben. Dieses Konzept hat sich auch in anderen Regionen etabliert. Die Möglichkeit dieser Form der Spurensicherung richtet sich an alle Opfer von körperlicher, sexueller und häuslicher Gewalt, unabhängig vom Geschlecht. In Sachsen ist die vertrauliche Spurensicherung derzeit nur in den Großstädten möglich.

Ob diese Möglichkeit angeboten wird, hängt jedoch von engagierten Einzelpersonen ab. Durchgeführt wird sie in den rechtsmedizinischen Instituten der Universitäten Leipzig und Dresden und im Gesundheitsamt in Chemnitz sowie durch vereinzelte freiberufliche Rechtsmediziner*innen. Hauptproblem ist die fehlende Finanzierung: Da die vertrauliche Spurensicherung kein Bestandteil des Leistungskatalogs der Krankenkassen ist, werden die Kosten nicht übernommen. Eine teilweise Erstattung der Kosten für die behandelnden (Rechts-) Mediziner*innen erfolgt lediglich bei einer Strafanzeige – vollumfänglich wird der Aufwand jedoch nie finanziert. Die engagierten Ärzt*innen erledigen die vertrauliche Dokumentation also quasi ehrenamtlich. Das ist ein weiteres Beispiel für die unhaltbaren Zustände in den rechtsmedizinischen Instituten. Der Freistaat setzt wieder darauf, dass engagierte Personen die Defizite der öffentlichen Versorgung ausgleichen. Somit müssen Opfer von sexualisierter Gewalt hoffen, dass sie zufällig in einer Region wohnen, in der dieses Angebot besteht – alle anderen haben Pech gehabt. Uta Gensichen & Pia Barkow

Dr. Julia Schellong von der Dresdner Trauma-Ambulanz Seelische Gesundheit zufolge seien die Betroffenen kurz nach der Tat psychisch gar nicht in der Lage, juristisch gegen den Täter vorzugehen. „Das Thema Anzeige oder Nicht-Anzeige ist groß bei uns. Die Betroffenen haben Angst, dass sie das Erlebte nicht beweisen können.“ Deshalb sei es wichtig für die Opfer, dass mit ihren Befunden diskret und rechtssicher umgegangen werde. Die dokumentierten Spuren könnten auch noch Jahre nach der Tat juristisch verwendet werden, berichtet Dr. Ulrike Böhm, freiberufliche Rechtsmedizinerin aus

Termin „Von schwarzen Männern und weißen Frauen“ Freitag, 10. November, 17-20 Uhr, riesa efau, Wachsbleichstraße 4a, 01067 Dresden Geplant war die Veranstaltung zum Frauentag 2017. Damals sagten beide Referentinnen kurzfristig ab, da sie aufgrund ihres Kopftuches Bedenken hatten, nach Dresden zu kommen. Umso wichtiger war es uns, das Thema erneut aufzugreifen. Wir möchten darüber diskutieren, wie rassistische Vorurteile und die Debatte über und Bewertung von sexualisierten Übergriffen verquickt werden. Eine Diskussion also z. B. über die Kölner Silvesternacht und das Bild vom „bösen schwarzen Mann“, über patriotische Frauenrechtler*innen und über die Schwierigkeit, das Problem von links aufzulösen. Welche Kritik an Frauenbildern in nicht-europäischen Ländern ist berechtigt und wo verschleiert diese Kritik Probleme und vorherrschende Frauenbilder hierzulande? Welche Kenntnis haben wir von feministischen Bewegungen in diesen Ländern? Solidarisieren wir uns mit ihnen? Herrschen hier nicht zwar andere, aber dennoch sexistische Strukturen verpackt im Mäntelchen der sogenannten freien Entscheidung? Dabei sind: Anna Schiff, Rosa-LuxemburgStiftung NRW, Redakteurin bei „Wir Frauen – Das feministische Blatt“; Autorin von „Ist doch nur ein Kompliment… Behauptungen und Fakten zu Sexismus“ Puja Kaur Matta, antirassistische Aktivistin in Mainz und Redakteurin bei www.zwischenze.it

Tillich verkauft(e) wohl sein Haus – mit Gewinn aus Steuermitteln? Wer mit 217.000 Euro deutlich mehr Geld für eine neue Bleibe ausgeben will als ortsüblich wäre, kann vielleicht noch das Wohnhaus von Stanislaw Tillich in Panschwitz-Kuckau übernehmen. Der ist nämlich in ein schickes Penthouse in Dresden gezogen. Bis zum 23. Oktober wurde auf dem Portal „Immobilienscout24“ ein „sehr schönes Einfamilienhaus in ruhiger und grüner Bestlage“ angepriesen. Seitdem liegt das Angebot im Archiv, entweder weil das Haus verkauft wurde, sein Eigentümer es sich anders überlegt hat, oder aus anderen Gründen. Vielleicht zieht der NochRegierungschef ja nach seinem Rücktritt wieder in seine Lausitzer Heimat?

Oktober 2017

Wir dürfen gespannt sein – auch aus einem anderen Grund. Das TillichHaus ist wie folgt ausgestattet: 150 Quadratmeter Wohnfläche, 810 Quadratmeter Grundstück, vier Schlafzimmer, drei Badezimmer, zwei GaragenStellplätze. Und vor allem: „Fenster komplett neu 2006, dadurch sehr einbruchsicher“. Diese Umbauten erfolgten wohl aus Sorge um die Sicherheit des Regierungsmitglieds. Tillich wohnt aber inzwischen woanders und ist bald nicht mehr im Amt. Die Schutzmaßnahmen dürften indes den Wert seines Hauses erhöht haben, auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Dadurch kann Tillich unter Umständen einen höheren Verkaufspreis erzielen.

Unser Abgeordneter André Schollbach hat deshalb einige Fragen an die Staatsregierung gestellt: Wurden der Erwerb sowie der Einbau der Fenster in das Haus durch den Freistaat finanziert? In welcher Höhe wandte der Freistaat zu welchem Zeitpunkt finanzielle Mittel dafür auf? Welche Wertsteigerung war mit dem Einbau der Fenster verbunden? Und: Wann wurden die Fenster aus welchen Gründen eingebaut? Sollte Tillich mit den Umbauten tatsächlich „Geld machen“, müsste er die Allgemeinheit abfinden. Alles andere wäre unethisch und vielleicht auch rechtlich unsauber. Wir bleiben dran!

Sarah Buddeberg, Sprecherin für Gleichstellungs- und Queerpolitik der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

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