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Es muss mal gut sein!?

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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Oktober 2017

Vor 79 Jahren ereignete sich die „Reichspogromnacht“. Nicht erst seit Gaulands Aufforderung, stolz zu sein auf die „Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“, hört man es immer wieder: Was geht uns das an? Wir sind nicht verantwortlich! Es muss mal gut sein mit dem Schuldkomplex der Deutschen! Wirklich? Richtig ist: Wir sind nicht persönlich verantwortlich, weder für die Hetzjagd auf Menschen jüdischen Glaubens noch für deren industrielle Vernichtung noch für andere Menschheitsverbrechen während der NaziDiktatur. Aber wir sind dafür verantwortlich, dass sich so etwas nicht wiederholt. Deshalb darf und kann es nicht gut sein mit der Erinnerung an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte. Dies gilt umso mehr angesichts der Wahlergebnisse der AfD, angesichts der Tatsache, dass nun erstmals eine rechte Partei in den Bundestag einzieht, die sich nicht glaubhaft gegen das rechte Ende des Meinungsspektrums abgrenzt. Für mich persönlich, die ich Ende der 1980er und in den 1990er die Ehre hatte, Überlebende der Konzentrationslager kennenzulernen, ist diese Tatsache unerträglich. Das Wahlergebnis zeigt nicht nur, dass zu viele Menschen in einer solchen Partei die beste Möglichkeit sehen, ihren Protest auszudrücken. Es zeigt vor allem, dass ein erschreckend hoher Prozentsatz der Bevölkerung rechtes Gedankengut vertritt oder es zumindest für wählbar hält. In Sachsen ist die AfD stärkste Partei geworden. Ein Viertel bis ein Drittel der sächsischen Wählerinnen und Wähler könnte also nationalistisches und rechtes Gedankengut billigen. Was ist zu tun? Aus meiner Sicht eine ganze Menge, und man sollte nichts gegeneinander aufwiegen. Es ist wichtig zu überlegen, wie man die Men-

schen wieder besser ansprechen kann, wie demokratische Kräfte vor Ort wieder erlebbar sein können. Dazu gehört es, neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter einzubinden. Wie und mit welchen Formaten können wir politischen Diskurs in der Gesellschaft leben und fördern? Wer sind dabei unsere Partner? Bündnisarbeit, sei es in Demokratiebündnissen, Vereinen, den Gewerkschaften oder anderswo, ist unerlässlich. Dabei geht es nicht nur um Protestaktionen gegen rechte Parteien und Organisationen. Ich wünsche mir parteiübergreifende Diskussionsveranstaltungen, die bewusst von in ihren Positionen gegensätzlichen Organisationen organisiert werden. Beispielsweise könnten DIE LINKE und die FDP eine Veranstaltung zur Reichensteuer organisieren. Gemeinsam, bei allen inhaltlichen Unterschieden, können wir Demokratie erlebbar machen und die Menschen einladen, mitzutun. Selbstverständlich müssen diese Auseinandersetzungen sachlich und nicht anhand persönlicher Vorwürfe geführt werden. Bündnisarbeit heißt, sich am kleinsten gemeinsamen Nenner zu orientieren und auf dieser Basis zu agieren. Das ist nicht immer einfach. Aber es ist möglich und spannend, fordert es doch jeden einzelnen von uns immer wieder aufs Neue heraus, uns in der Argumentation zu üben. Es geht bei der Bündnisarbeit nicht darum, eigene Positionen aufzugeben, sondern darum, einen gemeinsamen Ansatzpunkt zu finden, um Menschen wieder für die Demokratie zu interessieren. Denn sonst, so fürchte ich, wachen wir eines Tages mit einem Ministerpräsidenten auf, dessen Parteibuch blau ist. Und das kann doch eigentlich keiner wollen. • Simone Hock Bild: Praktische Bündnisarbeit – hier mit GRÜNEN aus dem Orga-Team von „Pulse of Europe“


Herzlichen Glückwunsch zum Erscheinen Ihrer Neuen Textausgabe. Müssen nun alle den berühmten blauen MEW-Band 23 wegwerfen, den sie zuhause stehen und hoffentlich auch studiert haben? Bücher wegwerfen? Das geht gar nicht. Aber abgesehen davon: Marx hat 1875 im Nachwort zu der von ihm bearbeiteten französischen Ausgabe des Buches gemeint, sie besitze „einen vom Original unabhängigen wissenschaftlichen Wert und sollte selbst von Lesern zu Rate gezogen werden, die mit der deutschen Sprache vertraut sind“. Mit dem Verweis auf das „Original“ bezog er sich auf die zweite, verbesserte deutsche Ausgabe von 1873. Ich habe nun versucht, in meinem Band die Vorzüge dieser beiden Ausgaben zu vereinen und denke, dass er auch von jenen zu Rate gezogen werden sollte, deren „Kapital“-Studium schon einige Jahre zurückliegt. Deshalb enthält der Band auch ein vergleichendes Inhaltsverzeichnis der geläufigen deutschsprachigen Ausgaben, so dass die, die andere besitzen, sich in der Neuausgabe leicht zurechtfinden können. Die Vorzüge der beiden Ausgaben zu vereinen klingt sehr verlockend. Entsteht aber auf diese Weise nicht ein Mischtext, den Marx so nie geschrieben hat? Editionswissenschaftler bezeichnen das als eine Kontamination. Das ist völlig richtig, aber Marx selbst hatte von seinen Übersetzern verlangt, ihren Übersetzungen einen sorgfältigen Vergleich der beiden Ausgaben zugrunde zu legen. Wir dürfen auch nicht übersehen, dass die ersten kontaminierten „Kapital“-Ausgaben von niemand anderem als Friedrich Engels herausgegeben worden sind; die wurden später, in der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA), sogar historisch-kritisch ediert. Alle nach dem Tode von Marx erschienenen Ausgaben sind in diesem Sinne mehr oder minder kontaminiert. Wenn es, von der MEGA abgesehen, sowieso nur kontaminierte Ausgaben gibt, warum dann eine Neue Textausgabe? Was ist bei Ihnen anders als bei Engels? Ende Oktober 1881 erreichte Marx die Bitte seines Verlegers, eine dritte Auflage vorzubereiten. Dazu ist er krankheitshalber nicht mehr gekommen. Nach Marx’ Tod fand Engels im Nachlass dessen Handexemplare der zweiten deutschen und der französischen Ausgabe vor, die eine Vielzahl von miteinander korrespondierenden Eintragungen enthalten. Engels musste nach seinem damaligen Kenntnisstand annehmen, dass sie Marx zur Vorbereitung der dritten Auflage dienen sollten. In der Tat dienten sie aber – wie auch von ihm zeitgleich verfasste Instruktionen – der Vorbereitung einer für die USA vorgesehenen englischen Übersetzung; sie waren dementsprechend so abgefasst, wie das ein Autor zur Selbsterinnerung tut, sehr verkürzt, teilweise geradezu kryptisch, demzufolge miss- oder auch gar nicht deutbar. All das ist erst hundert Jahre später sukzessive aufgedeckt und dann vor ein paar Jahren schlüssig aufgeklärt worden. Daher habe ich mich der Auf-

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„Nach weiterführenden Fragen suchen“ Der Ökonom Thomas Kuczynski, letzter Direktor des Instituts für Wirtschaftsgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, hat die deutsche und die französische Ausgabe des „Kapital“ zu einer „Neuen Textausgabe“ vereint, die im VSA-Verlag Hamburg erscheint. Volker Külow hat mit ihm gesprochen.

gabe gestellt, alle von Marx verfassten bzw. von Engels herausgegebenen Ausgaben miteinander zu vergleichen, um auf dieser Basis eine Neue Textausgabe zu erarbeiten, von der ich nur hoffen kann, dass sie den Intentionen des Verfassers möglichst nahe kommt … Also quasi eine Ausgabe letzter Hand? Nein, keinesfalls, die hätte nur Marx verfassen können. Ich konnte mich allein auf das stützen, was er in Vorbereitung weiterer Übersetzungen schriftlich niedergelegt hatte. Zur dritten Ausgabe gibt es zwar im Handexemplar der zweiten ein paar Eintragungen in Punkt 1 von Kapitel I, aber wie wenig bei Marx von Vorarbeiten auf das publizierte Resultat geschlossen werden darf, zeigt der Vergleich der Eintragungen im überlieferten Handexemplar der Erstausgabe mit der zweiten Ausgabe: Kaum einem der Hinweise im Handexemplar ist er in der zweiten Ausgabe gefolgt, und zu den meisten der hier von ihm vorgenommenen Änderungen findet sich dort nicht der leiseste Hinweis. Daher kann es auch keine „ultimative“ Ausgabe geben, sondern nur eine Deutung. Ob die meine akzeptiert wird, das wird die Zukunft zeigen. Wenn Engels die ursprüngliche Zweckbestimmung der Marx’schen Eintragungen in den Handexemplaren erkannt hätte, wäre die von ihm herausgegebe-

Aber auch Marx spricht doch von Verflachung? Das tut er an einer einzigen Stelle, und die bezieht sich auf sein eigenes Unvermögen, die im Kapitel I dargestellte dialektische Entwicklung und Begrifflichkeit ins Französische zu übertragen. Karl Kautsky hat in seiner 1914 erschienenen „Volksausgabe“, allerdings als Vorzug der französischen Ausgabe, deren „leichtere Verständlichkeit“ angemerkt, denn Marx habe bei der Ausgabe danach „getrachtet, ihnen [den französischen Arbeitern] die Lektüre stellenweise zu erleichtern“. Ich kann hier nur vermuten, dass der zuweilen ziemlich undialektisch denkende Kautsky die von Engels monierte „französische Verflachung“ als Vorzug empfunden hat, denn im Marx’schen Vorwort zur französischen Ausgabe steht das glatte Gegenteil: „Die Untersuchungsmethode, die ich genutzt habe [...], macht die Lektüre der ersten Kapitel ziemlich schwierig [...] Dies nun ist ein Nachteil, gegen den ich, wenn überhaupt, nichts tun kann, als die um Wahrheit bemühten Leser davor zu warnen und dafür zu wappnen. Es gibt keinen Königsweg für die Wissenschaft ...“

Foto: neues deutschland

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ne dritte Ausgabe anders ausgefallen? Selbstverständlich. Er hätte wahrscheinlich die zweite Ausgabe sorgfältig durchgesehen und so gut wie unverändert herausgegeben, natürlich mit einem Vorwort, in dem er bedauert, dass der Verfasser nicht mehr dazu gekommen ist, die vom Verleger gewünschte Bearbeitung vorzunehmen, und sicher auch mit einem Hinweis auf die zwischenzeitlich erschienene französische Ausgabe. Aber das wäre wohl alles gewesen. Warum? Engels mochte die französische Ausgabe nicht, und hat das Marx gegenüber auch eindeutig zum Ausdruck gebracht. Insbesondere schrieb er ihm: „Bei der englischen Übersetzung das französische Gewand zur Grundlage nehmen, würde ich für einen großen Fehler halten“, und das war das glatte Gegenteil der Ein- und Wertschätzung von Marx. Auch später hat er – natürlich nur in privaten Briefen und niemals in der Öffentlichkeit – des Öfteren über die „französische Verflachung“ gewettert und gemeint, dass Marx auf Deutsch nie so geschrieben haben würde. Nur eine doppelte Verantwortung, die gegenüber dem Lebenswerk seines Freundes und die gegenüber dem Publikum, konnte Engels dazu bewogen haben, diese dritte vermehrte Auflage so in Druck zu geben, wie er es getan hat.

Die Darstellung bleibt also schwierig. Wieso sprechen Sie dann von einer „lesefreundlichen Ausgabe“? Das bezieht sich vor allem auf ihre Struktur. Die zum Teil sehr langen Fußnoten von Marx wurden, um die Literaturangaben entlastet, kleingedruckt in den Text gesetzt, so dass sie leichter zur Kenntnis genommen werden können. Alle Literaturangaben und Erläuterungen befinden sich am jeweiligen Seitenende, wo sie bequem zu lesen und nicht in diversen Anhängen verborgen sind. Sämtliche fremdsprachigen Zitate, nicht nur die in den Marxschen Fußnoten, sind übersetzt. Und vieles andere mehr, das alles ist im Nachwort aufgelistet. Und wie können daran Interessierte die Zuverlässigkeit Ihrer Ausgabe überprüfen? Auf der dem Band beigegebenen USBCard sind sämtliche in den verschiedenen Ausgaben vorhandenen Varianten verzeichnet, die Originaltexte der von Marx genutzten Quellen, seine handschriftlichen Eintragungen in den Handexemplaren usw. – alles in einem zeilenweise organisierten Verzeichnis. Die USB-Card kann zudem genutzt werden, um Namen und Begriffe im jeweiligen Kontext leicht aufzufinden und nachzulesen. Was sagt Marx’ beständiges Überarbeiten der deutschen Ausgaben und die aktive Mitwirkung an Übersetzungen über sein Theorieverständnis aus? Dass er mit dem „Kapital“ nie zu Ende gekommen ist, auch nicht mit dem ersten Band, sondern über die darin abgehandelten Probleme weiter nachgedacht hat. Dieses Herangehen sollten auch wir uns zu eigen machen: Nicht nach fertigen Antworten suchen, sondern nach weiterführenden Fragen.


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Die dritte Seite

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Papier der guten Absicht

Sachsens Staatsregierung hat endlich einen Aktionsplan vorgelegt, um die Akzeptanz von LSBTTIQ* zu fördern. Perfekt ist er aber noch nicht. Von Sarah Buddeberg Seit Kurzem hat Sachsen einen Aktionsplan zur Akzeptanz der Vielfalt von Lebensentwürfen. Vereinbart wurde er bereits 2014 im Koalitionsvertrag. Ziel ist es, mehr Akzeptanz für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgeschlechtliche, Transgender, Intergeschlechtliche und queere Menschen (LSBTTIQ*) herzustellen. Doch leider zeigte sich bereits bei der Veröffentlichung, wie wenig ernst Teile der Regierung es mit der Akzeptanz verschiedener geschlechtlicher Identitäten und sexueller Orientierungen meinen. So ließ sich die CDU bei der Verkündung des Aktionsplans durch Gleichstellungsministerin Petra Köpping (SPD) nicht blicken. Das zeugt von wenig Respekt für die Bürger_innen. Und das ausgerechnet von den Politiker_innen, die sich stets darauf zurückziehen, Akzeptanz könne nicht verordnet werden. Das ist heuchlerisch, denn Akzeptanz kann durch staatliches Handeln sehr wohl befördert werden, beispielsweise durch Vorbildwirkung und klare Positionierung im gesellschaftlichen Diskurs.

turen zu verdanken. Nur durch deren Arbeit kann der Plan mit Leben erfüllt werden. Und so ist die Beteiligung von queerpolitischen Organisationen und Einzelpersonen die eigentliche Leistung dieses Prozesses. Dadurch konnten sich nicht nur die Akteur_innen vernetzen, sondern auch die Gespräche mit der ministeriellen Ebene waren hilfreich für das gemeinsame Anliegen – die Akzeptanz von LSBTTIQ* zu fördern. Zwar hat die Vernetzung gut geklappt, seitdem der Beteiligungsprozess im Herbst 2015 in Gang gesetzt wurde, doch das Ergebnis überzeugt noch

nicht. Denn der Aktionsplan lässt konkrete Handlungsschritte vermissen und begnügt sich mit Prüfaufträgen. Verbindliche Zeitleisten sucht man so gut wie vergebens. Auch werden Kirchen und Religionsgemeinschaften ausgeklammert. Doch gerade diese Institutionen dürfen nicht aus dem Blick geraten, wenn es um die Akzeptanz von LSBTTIQ* geht. So darf etwa im Erzgebirge ein evangelischer Religionspädagoge seit seinem Coming Out vor zwei Jahren nicht mehr mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Und der Leiterin eines katholischen Hortes in Bayern wurde gekündigt, weil sie ihre Freundin

Alles in allem bleibt der Aktionsplan eher schwammig. Die Berührungsangst insbesondere des konservativen Teils der Staatsregierung vor der Thematik LSBTTIQ* war wohl größer als die Zusage, die Vielfalt fördern zu wollen. Und so wurde der Entwurf, der 2015 in den Beteiligungsworkshops entstand, in den einzelnen Ministerien entschärft. Herausgekommen ist ein Papier der guten Absicht. Dabei bräuchte es insbesondere in Zeiten erstarkender politischer Stumpfheit ein klares Bekenntnis zur freiheitlichen Grundordnung. Es bleibt noch vieles zu tun, um Sachsen in Hinblick auf LSBTTIQ* vielfältiger, gewaltfreier und gerechter zu machen. Dafür kann der Landesaktionsplan nur ein erster Schritt sein.

Dennoch ist der Aktionsplan eine wichtige Bezugsgröße für die queerpolitische Arbeit. Doch hätte er schon viel früher verkündet werden können. Mehrfach haben wir das geringe Arbeitstempo kritisiert. Dass der Aktionsplan am Ende doch ein großes fachliches Spektrum abdeckt, ist vor allem den beteiligten Vereinen und Struk-

Reisende kommt Ihr … … zum Beispiel nach Malbork, dann befindet Ihr Euch heute in Polen und in der Nähe von Gdansk. Deutsche sagen meistens Danzig und nicht alle Polinnen und Polen hören es gerne. Eigentlich sollte nichts dabei sein. In Österreich spricht man von der Hauptstadt Wien, englischsprachige Menschen nennen die Stadt aber Vienna, wer tschechisch als Muttersprache hat, nennt die Stadt Viden usw.; eine endlose Geschichte – zumindest so lange, als einem die Sprachen nicht ausgehen. Mit polnischen Ortsnamen ist das allerdings anders. In deutschen Ortsnamen für polnische Gemeinden schwingt ein Besitzanspruch mit. Das hängt mit einer wechselvollen Geschichte der Beziehungen und des Zusammenlebens von Deutschen und Polen zusammen; und nicht erst seit dem Vorabend und den Vorgängen während des Zweiten Weltkrieges und den Festlegungen danach. Obwohl, allein die Hauptpost in Gdansk erzählt eine Geschichte, nach der man nicht mehr Danzig sagen will. Die Geschichte ist lang und auch die polnischen Teilungen waren nicht der Anfang konfliktreicher Abläufe. Also Reisende, kommt Ihr nach

heiraten wollte. Das sind eindeutig Diskriminierungen am Arbeitsplatz, da die Kirche hier jeweils Arbeitgeberin ist. Das sind keine Einzelfälle, sondern Beispiele für den alltäglichen Umgang von christlich-konservativen Einrichtungen mit LSBTTIQ*. Wir fordern weiter, dass Gewalttaten gegen LSBTTIQ* polizeilich erfasst und Daten darüber veröffentlicht werden. Erfreulich ist, dass eine Idee, die wir bereits im Landeswahlprogramm aufgeführt haben, berücksichtigt wird: Ein Beirat wird die Umsetzung und Evaluierung des Aktionsplans begleiten. Bleibt zu hoffen, dass die Empfehlungen dieses Gremiums von der Staatsregierung nicht ignoriert werden.

Malbork, so werdet Ihr Zeugen einer frühen Zeit und eines fast noch aktuellen polnisch-deutschen Zusammenlebens. Aktuell zeigt sich eine relativ langweilige Stadt, in der Polinnen und Polen während des Zweiten Weltkrieges schwer gelitten haben und Deutsche kurz danach bitter für die deutsche Kriegsschuld büßen mussten. Funde von Massengräbern in jüngster Zeit bestätigen dies grauenvoll. Die Altstadt wurde im Krieg völlig zerstört. Man baute sie nicht originalgetreu wieder auf, sondern verwendete die Ziegel und Steine für die Rekonstruktion des alten Danziger Stadtkerns und der Warschauer Altstadt. Dennoch birgt die Stadt Malbork ein Juwel unglaublichen Ausmaßes: die Marienburg. Nach Hradschin und Kreml ist sie die drittgrößte Burganlage Europas und der größte Backsteinbau des Erdteils. Die Burg war im Weltkrieg zerbombt worden, der Wiederaufbau ist fast abgeschlossen. Geht man dort hin, betritt man ein besonderes Relikt polnisch-deutscher und zugleich christlicher Geschichte. Es gab einst und es gibt heute noch einen so genannten Deutschen Ritterorden. Entstanden ist er während der Kreuzzü-

ge; eine mächtige Organisation der Überführung christlicher Fürsorge in christliche Dominanz und christlichen Besitzes in staatliche Macht. Ein wechselvolles Auf und Ab fand 1309 einen festen Punkt. Die Ordensritter verlegten ihren Hauptsitz in die Marienburg, um sich im Baltikum aus-

zubreiten und einen Staat, dem man durchaus Modernität zusprechen konnte, zu begründen. Das Christentum war Polen und vielen Balten nicht fremd. Die Christianisierung Polens begann im 9. Jahrhundert. Vollendet war sie 966 mit der Taufe des Piastenfürsten Mieszko I. Dem katholischen Glauben ist das Volk bis heute tief verbunden. Nicht selten verwandelt er sich zur Staatsdoktrin. Aber zurück zur Burg: Die Führung dauert gut drei Stunden. Man erfährt

sehr viel über Ordensmacht und Ordensleben, über Geschichte, Religion, Kultur und Architektur. Vier Fenster im einstigen Krankentrakt hatten es mir besonders angetan. Sie bestehen aus Glasbildern, die je ein christliches Kardinalgebot zeigen: Man soll Hungernde nähren, Dürstenden etwas zu trinken geben, Nackte kleiden und Obdachlosen Quartier bieten. Das entspricht dem Ideal des Ritterordens, „hilfsbedürftigen Menschen um Christi willen in selbstloser Liebe zu dienen.“ (vgl. Website des Ordens). Hilfsbedürftigen Menschen dienen! Da kann es keine Ausnahmen geben. Begründet ist es nicht zuletzt im Gebot der Nächstenliebe, die sogar Feindesliebe einschließt. Wir wissen, das Christentum hat sich nicht immer daran gehalten. Auch nicht der Ritterorden, denn er verstand zwar das Christentum als Schutz und sah sich zugleich im Kampf gegen den Islam. Fügt sich das denn überhaupt zusammen, überlegen zumindest manche Reisende. Sie bewundern die Fenster, gehen in sich und fragen plötzlich aufsässig, wieso – trotz der Lobpreisung dieser Gebote – das katholische Polen keine Flüchtlinge aufnehmen will und gleich gar nicht solche islamischer Religion, selbst wenn sie von Islamisten bedroht werden. Fremdenführer bleiben stumm und unzuständig, Reisende bleiben ratlos zurück.


Hintergrund

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Wieder kein Grund für Freude Sozial-Skandal des Monats Der Hartz-IV-Satz steigt zum 1. Januar um sieben Euro. Ein Grund für Freude ist das nicht, im Gegenteil: Mit einem Regelsatz von 416 Euro liegt Hartz IV immer noch um 144 Euro unter dem eigentlichen Bedarf, wie die Diakonie berechnet hat. Angesichts dieser großen Differenz könnte man fast annehmen, dass die für den Regelsatz Verantwortlichen die Höhe auswürfeln oder ihn durch das Verfahren „Pi mal Daumen“ bestimmen. Nun wird geradezu gönnerisch verkündet, dass man den Ärmsten der Armen wieder etwas mehr gebe, obwohl diese – nach der Einschätzung der Regierenden – wenig bis nichts zur Gesellschaft beitragen.

Der Hartz-IV-Satz ist unrealistisch, kritisiert Susanne Schaper. Eine Folge: mehr Stromsperren

desverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. bei 29,16 Cent/kWh. Das heißt, der Strompreis ist innerhalb von zwölf Jahren um 56 Prozent gestiegen, der Hartz-IV-Regelsatz im gleichen Zeitraum um nur 18 beziehungsweise 24 Prozent. Der Anteil des Regelsatzes, der für Haushaltsenergie

vorgesehen ist, bleibt seit Jahren fix. Das wäre vielleicht nicht allzu dramatisch, wenn nicht auch die Preise für Mieten und andere Grundbedarfsgüter gestiegen wären. Ergebnis dieser „Sozialpolitik“ sind mehr Stromsperren. 2015 waren es in Deutschland mehr als 330.000. 2016 saßen in Sachsen

Foto: Thomas / flickr.com / CC BY-ND 2.0

Weder die Hartz-IV-Sätze noch die Erhöhungen passen zur Lebenswirklichkeit der Betroffenen. So ist etwa der Strompreis seit 2005 deutlich stärker gestiegen als die Regelsätze für Leistungen nach dem SGB II. Als Hartz IV im Jahr 2005 eingeführt wurde, betrug der Strompreis durchschnittlich 18,66 Cent/kWh. Aktuell liegt der durchschnittliche Strompreis laut dem Bun-

fast 8.000 Menschen im Schnitt für vier Tage im Dunkeln. Leben ohne Strom ist heute unvorstellbar. Dass Menschen in einem der reichsten Länder so arm sind, dass sie dafür nicht zahlen können und tagelang ohne Strom auskommen müssen, ist ein Skandal. Schuld ist die inhumane Hartz-IV-Gesetzgebung, die nicht einmal das Nötigste zum Leben lässt. Wenn Sozialverbände feststellen, dass die Regelsätze viel zu niedrig sind, dann sollte den Verantwortlichen ein Licht aufgehen. Da aber wohl der politische Wille fehlt, ändert sich für die Betroffenen nichts. Unsere Forderung, Hartz IV abzuschaffen und durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung zu ersetzen, bleibt aktuell. Hätte Sachsen eine soziale Staatsregierung, würde sie sich auf der Bundesebene für einen Regelsatz in Höhe von mindestens 500 Euro einsetzen. Sozialleistungen müssen sich daran ausrichten, was die Menschen wirklich brauchen, und nicht daran, was der Finanzminister ihnen zubilligt.

Eine herbe Enttäuschung 2016 kam es zu einer Staffelstabübergabe: Hans-Peter Lühr, langjähriger Redakteur der Dresdner Hefte des Dresdner Geschichtsverein e.V, übertrug seine Aufgabe auf den aus Coburg stammenden Historiker Justus H. Ulbricht. Dessen Spezialgebiet ist die „Völkische Bewegung“: Er hat 1996 gemeinsam mit Uwe Schmitz und Uwe von Puschner das Handbuch zur „völkischen Bewegung“ 1871 – 1918 herausgebracht. Dieses Handbuch gilt seither als Standardwerk. Der Begriff stand schon lange vor dem „Dritten Reich“ für das Streben nach einer anti-egalitären militaristischen Gesellschaft auf der Grundlage rassistischen Gedankengutes, das Slawen und Juden verachtete und dabei auf eine Art Neu-Germanentum reflektierte, wie es später auch die SS bekannt machte. Wer sich also derart fundiert im Wurzelwerk der rechten Geschichte auskennt, der könnte auch ein gutes Werk zum „linken“ Dresden zu Wege bringen – sollte man meinen. Den Rezensenten allerdings hat das Heftchen – ca. 100 Seiten stark – nicht vom Hocker gerissen. Das Problem beginnt wirklich schon mit dem Titel „Das ,linke‘ Dresden – Eine Spurensuche über 100 Jahre“. Was links ist, das glaubt der in der DDR sozialisierte und geschulte Leser nun wirklich einigermaßen zu kennen. Wer diese Schulung nicht besitzt, kann schon anhand der Banknoten erkennen, wie die DDR „linke“ Geschichte definierte: Sie beginnt mit dem Führer des Bauernaufstandes

Thomas Müntzer, geht über die Frauenrechtlerin Clara Zetkin zu Friedrich Engels und Karl Marx. Die unangefochtene Basis linken Denkens aber war in der DDR der Marxismus. Dies freilich ist heute nicht mehr innerhalb der Partei der „Linken“ so und wurde auch in Westdeutschland nicht so gesehen, wo nach der Zerschlagung der KPD diverse linke Gruppen um Aufmerksamkeit rangen. Gleichwohl erscheint es schon befremdlich, wie ein Historiker ein Heft zum „linken“ Dresden als „Spurensuche über 100 Jahre“ konzipieren kann. Dabei weiß der Redakteur doch genau, dass linkes Gedankengut spätestens unmittelbar vor der Abschaffung der Leibeigenschaft ansetzt. Will man aber mit dem Proletariat beginnen, dann würde man mit Einsetzen der Industrialisierung starten. „Einhundert Jahre“

Spurensuche aber sagen schon: Hier geht es nicht um ein systematisches Erforschen einer konkreten politischen Strömung. Das Heft beleuchtet also weder die Arbeiterbewegung noch die Sozialdemokratie oder die Geschichte der Kommunisten in Dresden. Wer auf all das gehofft hatte, wird das Heft am Ende enttäuscht aus der Hand legen. Was aber aus meiner Sicht wesentlich schwerer wiegt, ist das Ausblenden wirklich spannender Themen. Erwähnenswert ist ja zumindest, dass beispielsweise in Dresden nach 1989 auf Betreiben der CDU nicht nur die HoChi-Minh-Straße verschwinden musste und der Salvador-Allende-Platz, sondern auch der Platz der Einheit. Dieser heißt momentan Albertplatz – eine weniger monarchistisch gesinnte Stadtverwaltung hätte dem Platz seinen alten Namen „Bautzner Platz“ zurückgegeben. Wenn man heute einen Jugendlichen fragt, wie der sich erklärt, dass in Ostdeutschland viele Plätze der Einheit nach 1990 umbenannt wurden, dann kann der sich keinen Reim darauf machen. Dabei kann man ohne diese Einheitsgeschichte weder die Geschichte Dresdens noch die Ostdeutschlands von 1946 bis 1989 verstehen. An diese Stelle hätte es auch gehört, zu erläutern, warum Herbert Wehner empört die Jugendorganisation der SPD in Dresden verließ und Karriere in der KPD machte. Linke Geschichte Dresdens par excellence ist die der SPD-KPDRegierung von 1923 unter dem SPD-

Ministerpräsidenten Erich Zeigner, der von einer SPD-Reichsregierung – Reichspräsident war kein anderer als Friedrich Ebert – mittels militärischer Gewalt gestürzt, von den Nazis ins KZ gesteckt und nach 1945 auf sowjetischen Befehl Oberbürgermeister von Leipzig wurde. Am Beispiel von Friedrich Ebert, Herbert Wehner und Erich Zeigner wird exemplarisch deutlich, dass es eben nicht so einfach ist, bei der Vereinigung beider Parteien – wie in Westdeutschland üblich – von einer „Zwangsvereinigung“ zu sprechen. Es gab in beiden Parteien schon in der Weimarer Republik Kräfte, und die wurden in den Konzentrationslagern noch stärker, die durchaus SPD und KPD als „verhängnisvolle Spaltung der Arbeiterklasse“ sahen und eine Vereinigung anstrebten. In jedem DDR-Geschichtsbuch sah man die beiden Ströme von KPD und SPD sich aufeinander zu bewegen, bis sie den „Platz der Einheit“ erreichten. Im Heft findet man dazu nichts, dafür etwas zum Volkshaus, etwas zu Kurt Schlosser, etwas „zum Verhältnis von linksexpressionistischer Literatur und Politik während der Novemberrevolution in Dresden“ usw. usf. Das Ganze zerfasert. Die einzelnen, zum Teil durchaus gelungenen Einzelbeiträge fügen sich nicht zu einem Bild. So entsteht kein Verständnis für Revolution und Klassenkampf – das aber kann durchaus Absicht sein. Das Dresdner Heft Nr. 130 gibt es für fünf Euro. • Ralf Richter


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Hintergrund

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Der Erste Weltkrieg – Deutungen und Haltungen Wer war schuld an der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“? Prof. Dr. Kurt Schneider empfiehlt einen neuen Sammelband, der dieser Frage nachgeht Der Erste Weltkrieg ist seit Jahrzehnten ein Schlüsselthema der Weltgeschichtsschreibung. Allein die anlässlich des 100. Jahrestages seines Beginns 1914 dazu erschienene internationale Literatur ist schier unübersehbar. Damit ist die von den Herausgebern des vorliegenden Sammelbandes, dessen Titel Eric Hobsbawms „Das Zeitalter der Extreme“ (1995) entstammt, gestellte Frage: „Warum noch ein Sammelband zum Ersten Weltkrieg?“ durchaus berechtigt. Mit dem Verweis auf „bedauerliche Leerstellen und problematische Interpretationen“ in der Diskussion der letzten Jahre über den Krieg 1914-1918 geht es den Autoren um drei Themenkomplexe: „Wie sind die aktuellen erinnerungs- und geschichtspolitischen Deutungen einzuordnen? Welche Rolle spielen die militärischen Auseinandersetzungen und deren Interpretation für die Entwicklung der radikalen Rechten in der Zwischenkriegszeit? Und schließlich: Welche Haltungen nahmen die politische Linke und hier insbesondere die Arbeiterbewegung vor, während und nach dem Krieg ein?“ Derartig breit gefächert verbindet sich damit ein Anspruch, der mit wissenschaftlichem Gewinn eingelöst worden ist.

Geschichte zu lösen. Zugleich weist er darauf hin, dass Martin Schulz als damaliger sozialdemokratischer Präsident des Europaparlaments Clarks „Schlafwandler“ regelrecht gefeiert habe. Dem Kompendium zugeordnet folgen Beiträge zu revisionistischen sowie linken Deutungen und Haltungen zum Kriegsausbruch 1914 sowie zur Kriegsursachenforschung und zu den Problemen deutscher Erinne-

diese geschichtlichen Zäsuren nicht erklärbar ist, überrascht nach deren Sicht dennoch, dass im Doppeljahrestag des Beginns beider Weltkriege diese Linien in Forschung und Feuilleton weitgehend ausgeblendet worden sind. Es sei das erklärte Anliegen der Verfasser, diese Lücke wenigstens partiell zu schließen. Die bislang bekannten Planungen zu dem im kommenden Jahr 100. Jahrestag

rungspolitik heute. Das geschieht mit Kritik an Joachim Gaucks offiziöser Erinnerungspolitik, die zum Ausdruck bringt, dass Deutschland „selbstbewusst, moralisch unbelastet und frei von ,Schuldstolz‘ nach neuer Weltgeltung strebt“.

der deutschen Novemberrevolution 1918, die Marcel Bois auflistet, lassen annehmen, dass die Entwicklungen 1918/19 die angemessene wissenschaftliche und politische Aufmerksamkeit finden werden.

Insgesamt kommen in dem in drei Teile gegliederten Sammelband nach dem Vorwort der Herausgeber 22 Autoren mit 18 Beiträgen zu Wort. Es sind vor allem Texte, die auf zwei wissenschaftlichen Konferenzen der Rosa-Luxemburg-Stiftung gehalten worden sind: „Das Jahr 1914 und die Frage von Krieg und Frieden im 20. und 21. Jahrhundert“ vom 29. August 2014 in Potsdam und „100 Jahre Erster Weltkrieg – Bezugnahmen und Deutungen in Europa“ vom 19. bis 21. September 2014 in Wuppertal. Der Teil I „Erinnerung und geschichtspolitische Bedeutung“ wird einleitend von Wolfgang Kruse mit der Sicht auf die deutsche Rolle in der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges behandelt und die Differenzierungsprozesse in der deutschen Arbeiterbewegung während der Kriegszeit skizziert. Das geschieht in Auseinandersetzung mit der Revision der „Kriegsschuldthese“, die in der öffentlichen Diskussionen der letzten Jahre von Christopher Clark mit seinem Buch „Die Schlafwandler“ eröffnet und mit Herfried Münklers Werk „Der Große Krieg“ weiter befeuert worden ist. Die geschichtspolitische Absicht der neu aufgelegten Kriegsschulddebatte sei, schlussfolgert Kruse, sich von der kritischen Auseinandersetzung mit der deutschen

Die Beiträge der Autoren des Teils II untersuchen die „langen Linien: Erster Weltkrieg, Faschismus und Nationalsozialismus“. Obwohl unbestritten ist, dass der Zweite Weltkrieg ohne

Der Teil III „Arbeiterbewegung, politische Linke und Krieg“ ist der umfangreichste. Er enthält hierzu Beiträge wie: Antikriegsaktionen in Berlin und Wien, den Zentren der Macht; Rosa Luxemburgs Haltung zu vom Kapi-

talismus geführten Kriegen und die Mission des Proletariats; Die „Verpreußung“ der deutschen Arbeiterbewegung; Slowenische Frauenproteste vor und im Krieg; Die serbische Sozialdemokratie in Kriegszeiten; Der Erste Weltkrieg aus afrikanischer Perspektive; Arbeiterbewegung und Internationalismus nach dem Krieg, die alte und die neue Internationale; „Krieg dem Kriege“; Die kriegskritische Strategie Ernst Friedrichs in der Weimarer Republik. Die lediglich aus Platzgründen nicht genannten sind nicht minder informativ. Generell jedoch ist zu vermerken, dass nicht alle wichtigen zeitgenössischen Quellen die ihnen zukommende Beachtung fanden. So bleiben zum Beispiel die deutschen Linken Franz Mehring und Clara Zetkin ungenannt. Das Resümee der Analyse des Sammelbandes kann in Anlehnung an das von Ángel Alcade zitierte Urteil George L. Mosses (1918-1999) lauten: „Die einzige Neuerung, die der Krieg ganz Europa brachte, war eine Brutalisierung des Lebens“, die sich in Deutschland in der Nachkriegszeit fortsetzte und gewissermaßen der Boden war, auf dem der Faschismus entstand. Es ist eine Entwicklung, die in die heutige Zeit hineinreicht. Einhundert Jahre nach dem Ersten Weltkrieg ist die Welt weder von Kriegsgefahr noch Rüstungswahn befreit, wie Holger Politt in seinem Beitrag konstantiert. Allein die welthistorische Alternative, von der sich Rosa Luxemburg leiten ließ, ist verschwunden. „Der Zusammenbruch des sowjetischen Staatsozialismus in Europa ist unwiderruflich ...“ Geblieben ist die Friedensfrage, die heute, angesichts der aktuellen internationalen Entwicklungen, zu den wichtigsten Menschheitsfragen überhaupt gehört. Zugleich hat in vielfältiger Hinsicht der Rechtsextremismus in Deutschland zugenommen. Seine Formen und Methoden sind vielfältiger und gefährlicher denn je. Ebenso ist die Restauration faschistisch-völkischer Bewegungen in neuer Gestalt in nahezu ganz Europa stark angewachsen. Damit kommt dem Antifaschismus als humanistisches Erbe in ganz Europa wachsende Bedeutung zu. In diesem Sinne haben die historischen Themen des vorliegenden Sammelbandes höchst aktuelle Bedeutung. Axel Weipert, Salvador Oberhaus, Detlef Nakath, Bernd Hüttner (Hrsg.): „Maschine zur Brutalisierung der Welt“. Der Erste Weltkrieg – Deutungen und Haltungen 1914 bis heute. Verlag Westfälisches Dampfboot 2017, 363 Seiten, 35,00 Euro ISBN: 978-389691-108-7


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Die Qualitätsblätter in Deutschland haben an seinen 40. Todestag erinnert. Als seine Ermordung 1977 bekannt wurde, herrschten Wut und Entsetzen nicht nur in Afrika, sondern im gesamten Gebiet zwischen Wladiwostok und Berlin und bei allen linken Kräften auf der ganzen Welt. Der Kampf der Schwarzen um ihre Selbstbestimmung wurde mit allen Mitteln unterstützt – egal ob es um Angola, Mosambique, Namibia, das damalige Südrhodesien (heute Zimbabwe) oder Südafrika ging. Wobei im Kern immer das Rassistenregime in Südafrika stand, das es zu bekämpfen galt. Sehr große Sympathien erhielt in jener Zeit der junge Medizinstudent Steve Biko. Zwar gab es in Südafrika schon seit den 20er Jahren Studentenorganisationen, aber bis zum Ende der Apartheidzeit 1994 kaum schwarze Studenten. Dabei stellten Schwarze etwa achtzig Prozent der Bevölkerung Südafrikas. Die Interessen der wenigen schwarzen Studenten wurden zudem von liberalen Weißen vertreten. Schwarze Studenten konnten nur versuchen, sich in weiße Studentenorganisationen einzufügen. Das aber genügte Biko nicht. Peter Gabriel hat ihm mit seinem Song „Biko“ ein bleibendes Denkmal gesetzt. Auf youtube findet man auch eine deutsche Version seines Liedes. Was die millionenfach gesehene Originalversion „Biko – Peter Gabriel“ (www.gleft.de/1Ul) so sehens- und hörenswert macht, ist nicht nur der engagierte Auftritt des Sängers, sondern es sind vor allen Dingen die Bilder des legendären Films „Cry Freedom – Schrei nach Freiheit“ des britischen Filmemacher Richard Attenborough. Der wiederum war vom Buch des weißen Journalisten und Biko-Freundes Donald Woods so begeistert, dass er es verfilmen musste. Erzählt wird, wie ein einstiger Apartheidbefürworter den schwarzen Studenten Steve Biko kennen lernt und durch ihn das Verbrechen an den Schwarzen erkennt. Er versucht die Bewegung um Biko mit der schwarzen Regierung ins Gespräch zu bringen, was die Regierung verweigert. Stattdessen gerät der Journalist selbst in Gefahr. Biko – im Film verkörpert von Denzel Washington – erklärt seinem weißen Freund, dass die Schwarzen sich selbst organisieren müssen. Er selbst steht damals an führender Stelle der „Schwarzen Selbstbewusstseinsbewegung“, die u.a. in Townships Gesundheitsstationen aufbaut,

Vor 40 Jahren ermordet: Steve Biko

Ein Höhepunkt der Bewegung war der Studenten- und Schüleraufstand 1976 in SOWETO. Die Regierung versuchte gegen die Interessen der Schwarzen die verhasste „Apartheid-Sprache“ Afrikaans als Unterrichtssprache durchzusetzen. Dagegen machte Bikos Bewegung mobil. Es kam zu Massenprotesten. 20.000 Schüler und Studenten gingen auf die Straße. Die Polizei reagierte mit Gewalt und erschoss dabei einen 12-Jährigen. Das Foto, das einen Mann zeigt, der den toten Hector Pieterson trägt, ging damals um die ganze Welt und führte zu Massenprotesten gegen die Apartheidspolitik. In Südafrika breitete sich die Rebellion auf das gesamte Land aus. Durch brutale Folter versuchte die Polizei, die Aktivisten des Aufstandes zu ermitteln. Steve Biko wurde als einer der Führer der Bewegung festgenommen und zu Tode gefoltert. Die Er-

Pretoria transportiert worden, wo er am 12. September 1977 verstarb. Zahlreiche andere schwarze politische Gefangene starben ebenfalls – angeblich rutschten sie aus und verletzten sich dabei tödlich, oder sie fielen aus einem Fenster. Diese Morde sind bis heute ungesühnt, die Täter wurden nie zur Verantwortung gezogen. Auch Bikos Mörder leugneten vor der Wahrheitskommission.

mordung wurde von der Regierung als Unfall dargestellt, doch ein Obduktionsarzt wies zahlreiche Rippenbrüche und schwere Kopfverletzungen nach,

Insbesondere die schwarze südafrikanische Jugend verehrt Steve Biko heute. Sie fühlt sich zunehmend von den Economic Freedom Fighters (EFF) vertreten, die vom ehemaligen Chef der ANC-Jugendorganisation Julius Malema geleitet wird. Malema stellt in seinem in der Johannesburger Sunday Times am 10. September erschienenen Artikel „They killed Biko ...“ (www. gleft.de/1Ul) einen Zusammenhang her zwischen den Forderungen von Bikos Bewegung und der aktuellen schwarzen südafrikanischen Studen-

die nur durch Folter entstanden sein konnten. Der bewusstlose und schwer verletzte Biko war gefesselt in einem Jeep über 1.200 Kilometer von Port Elizabeth in ein Krankenhaus nach

tenbewegung, die die Abschaffung von Afrikaans als Lehrsprache und ein gebührenfreies Studium fordert. Auch die Kolonialisten-Denkmäler im Land will sie beseitigen.

Weltweit wird an den großen schwarzen Studentenführer aus Südafrika erinnert auch von Ralf Richter Bildungskurse für Erwachsene abhält oder schwarze Kleinunternehmen unterstützt. Doch Schwarze, die nach Bildung streben und jenseits des staatlichen Zwangsregimes eigene Unterstützungsgruppen aufbauen, sind der Regierung verhasst. Biko wird „gebannt“, er darf also weder das Haus verlassen noch publizieren.

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Foto: Socrammm / Wikimedia Conmmons / CC BY 3.0

Foto: 4WardEver Campaign UK / flickr.com / CC BY 2.0

Hintergrund


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Der Jugendwahlkampf der Linksjugend Sachsen war, so würde ich mal ganz dreist behaupten, von einer für einen Jugendverband hohen Professionalität geprägt. Wir traten mit einem gut durchdachten Corporate Design und breit gefächerten Materialien auf, mit denen wir auf viel positives Feedback stießen. Besonders hervorzuheben ist, dass unser Wahlkampf papierlo(o) s war, wir also keinen Papiermüll ohne weiteren Verwendungszweck (wie ihn z. B. Aufkleber haben) produziert haben. Die Gimmicks waren nachhaltig und allseits beliebt (Bauchtaschen, Becher, Zahnbürsten). Der Onlineauftritt fand auf mehreren Plattformen statt, aber leider mit weniger Resonanz als erhofft. Wir waren auf mehreren Festivals, Festen und Parteiveranstaltungen präsent, deren Höhepunkt unsere viertägige Republik-Europa-Tour durch Sachsen bildete. Zusätzlich war Tilman Loos als unser Jugendkandidat auf zahlreichen Podien vertreten und bekam auch dort überwiegend positives Feedback als streitbarer Diskussionspartner. Viel Ruhe gab es also im letzten Vierteljahr nicht. Für einen Jugendwahlkampf auf hohem Niveau hal-

We tried to make solidarity great again Jugendwahlkampfkoordinator Jacob Wagner resümiert den Jugendwahlkampf der LINKEN fen uns die Erfahrungen der Landtagswahlkampagne 2014 und auch, dass uns erneut viele Ressourcen von der Landespartei zur Verfügung gestellt wurden. Vielen Dank an dieser Stelle! Doch möchte ich nicht zu den negativen Erfahrungen schweigen. Es waren über weite Strecken leider nur sehr wenige Menschen an der Umsetzung der Kampagne beteiligt. Dies kostete die übrigen Menschen teilweise sehr viel Kraft und Aufwand und schmälerte aus meiner Sicht die Ausschöpfung des vollen Potentials unserer Kampagne. Die

Gründe dafür liegen sicher auch im Privaten, aber wahrscheinlich vor allem darin, dass viele gleichermaßen auch in den Strukturen der Partei oder des Jugendverbandes vor Ort eingebunden sind. Aber möglicherweise liegt es auch in der immer wieder schwierigen Einbindung der Breite des Jugendverbandes. Punkt Eins des Fazits lautet also: Es ist schwierig, aber umso wichtiger, die Waage zwischen ausgeglichener Beteiligung und Professionalität auszutarieren. Neue Kommunikationswege sollten nicht gescheut, erfolgreiche evaluiert und beibehalten werden.

Punkt Zwei: Durch die weniger verfügbaren personellen Kräfte sowie die gewissen Routine, der Kehrseite der erwähnten Professionalisierung, blieben unkonventionelle Ideen oft auf der Strecke. Sicherlich haben wir z. B. mit den langlebigen Gimmicks oder Ständen auf Festivals neue Maßnahmen erfolgreich etabliert. Dennoch haben wir damit den Transrapid nicht neu erfunden. Am erfolgreichsten waren dagegen Maßnahmen wie beispielsweise das spontane Remake eines LindnerPlakates mit dem Slogan „Solidarität first. Eigentum second. Verteilen wir Neu“ (erreichte über 60.000 Menschen auf Facebook). Und die beste Veranstaltung der Republik-EuropaTour mit ca. 100 Personen fand nicht in den linksliberalen Szenevierteln Leipzigs oder Dresdens statt, sondern auf dem Bautzner Kornmarkt, zufällig neben der NPD-Tour. Im Fazit heißt das aus meiner Sicht: Gewohnte Pfade müssen immer wieder in Frage gestellt werden, um online wie offline mehr als die eigene Stammwähler_innenschaft in einem linken Resonanzraum zu erreichen. Denn das ist in Zeiten wie diesen bitter nötig!

Sonntags-Genuss: Konzert im Freien

In diesem Jahr spielte das Wetter mit. Schon als man auf dem Schlossberg ankam, war es ein Genuss, als die ersten Klänge durch das bunte Gewimmel und die Picknick-Atmosphäre ans Ohr drangen. Der Lärm der Picknicker ist nicht störend, es gehört irgendwie dazu, Kaffee-Haus-Atmosphäre, nur im Freien. Man fühlt sich an Goethes „Faust“ erinnert, der beim Osterspaziergang im Dorf ankommt, wo das Volk ausgelassen feiert. Sie bringen ihre PicknickKörbe mit, Klapp-Stühle und -tische. Auf vier Bühnen, im Schlosshof und in der Schlosskirche gab es Veranstaltungen, da hat man wirklich die Qual der Wahl. Flöten-Quartett, Saxophon-Quartett, gemischtes Streicher-Quintett mit Oboe, Violine und Harfe in der Kirche, Orgel und Streichtrio usw., usw.. Und für die Kinder Bastelangebot und Theaterecke zum Ausprobieren. Im besten Sinne des Wortes ein guter Familientag.

Chansons „Von Liebesglück und Liebesschmerz“ aus den 30er und 40er Jahren mit Elzbeta Laabs, begleitet von Adrzej Barlog, im Schlosshof waren ein Ohrenschmaus. Die Interpretin schlüpfte nicht nur vollständig in die Rollen der Texte zum Beispiel von Claire Waldoff, sie garnierte das Ganze auch mit einer ordentlichen Portion Selbstironie und pflegte einen angenehm burschikosen Umgang mit dem Publikum. Diesen Namen sollte man sich merken.

Bei Petr Krupa kam ich nur zur zweiten Hälfte. Improvisationen mit einem Gerät. Ja, zuerst dachte ich, es handle sich um die Violine, aber das ist nur eine Art der Töne, die damit erzeugt werden. Gekoppelt mit einem kleinen elektronischen Kasten präsentierte er Improvisationen, die sphärisch auch entrückten – wunderbar. Er spielt eine Melodie und das „Gerät“ kopiert und spielt sie dann als Background weiter, während er mit seinem „Gerät“ das nächste „Instrument“ spielt. Das Blechbläserensemble

bildete den Abschluss und mit „Yesterday“ schloss das musikalische Angebot. Einziges Manko des Tages für mich, für das der Veranstalter aber nichts kann: Ich hatte gehofft, die eine oder den anderen aus meinem politischen Leben zu treffen, um mal gemütlich Kaffee zu schlürfen und zu quatschen. Da hatte ich kein Glück. Kultur ODER Wahlkampf? • Ralf Becker

Foto: Ralf Becker

Kulturell ist Chemnitz ziemlich gut auf den Beinen, auch wenn es hier und da im Gebälk der Finanzierung knirscht. Auch Sport gehört zur Freizeit- und Alltags-KULTUR, das sollte nicht vergessen werden. Da gab es gerade in den letzten Monaten eine Debatte. Ich will hier nur anmerken, dass meines Erachtens die Schwerpunkte gesetzt werden: 30 Millionen-Förderung für 6.000 FußballFans, ein neues Stadion für die dritte Bundesliga, traumhafte Förderquote pro Kopf, aber nun nur noch zwei Schwimmhallen für ganz Chemnitz. Und auch das Opernorchester ist ja früher schon verkleinert worden. Zum achten Male schon (das vierte Mal bin ich dabei gewesen) gab es das Picknick-Konzert auf dem Schlossberg. Im Vorfeld musste ich zweimal erstaunen, da Bekannte von mir und eingesessene Chemnitzer noch nie davon gehört hatten. Interessen sind eben verschieden, da liegen dann manche Informationen nicht nahe.


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„Knallt die tollen Hunde nieder“ René Lindenau erinnert an die Worte und Taten Andrej Wyschinskis (1883-1954) Welche Wirkungen es haben kann, wenn das Recht politisch instrumentalisiert wird und Juristen bereit sind, sich zum Büttel ihrer Herren zu machen – das hat der Generalstaatsanwalt der UdSSR in den Jahren der Moskauer Schauprozesse demonstriert. Viele schmutzige Seiten hat Andrej Wyschinsky hinterlassen, der als vormaliger Menschewik auch einmal seine Unterschrift unter einen Haftbefehl gegen Lenin setzte. Als Generalstaatsanwalt durfte er in den Schauprozessen, inzwischen Bolschewik geworden, die Genossen der alten Leninschen Garde anklagen, was schließlich mit ihrer Vernichtung enden sollte. Roy Medwedew nannte Wyschinski einen prinzipienlosen, feigen Menschen, der nach Macht und Ruhm gierte. Walter Laqueur bezeichnete ihn als akzeptablen Demagogen und außerordentlich geschickten Lügner, der eine gewisse Bildung besaß. Andrej Gromyko sah in ihm er eher ein Überbleibsel aus einer fremden politischen Welt und einen gewissenlosen Karrierestreber.

schenrechten auf Kriegsfuß? Ein mit Wyschinskis Namen verbundener Rechtsgrundsatz war, dass das Gericht nicht nach der absoluten Wahrheit streben müsse, sondern sich auf ein bestimmtes Maß an Wahrscheinlichkeit beschränken könne. Er forderte sogar, das Gesetz nicht anzuwenden, wenn es hinter dem Leben zurückgeblieben sei. In der „Großen Sowjetenzyklopädie“ ist von Andrej Wyschinski zu lesen, dass das sozialistische Sowjetrecht ein Recht neuen und höheren Typus sei. Desweiteren

Schließlich waren wohl auch der Beschluss, die Todesstrafe gegen Kinder ab 12 Jahren verhängen zu können, und die Legalisierung der Folter bei Verhören Ausdruck des „Humanismus“ im Sowjetrecht. Stellvertretend sei an das Schicksal von Marschall Wassili Blücher erinnert, den man im NKWD-Verhör zu Tode prügelte. Ein schweres Los hatte auch Aron Solz gezogen, einst Verhandlungsführer im Parteiverfahren gegen den offenbar „resozialisierten“ Budjonny, der 1937 in einer Tagung

len auf wie zuvor in den Gerichtssälen. Er setzte weiter auf Konfrontation und Entlarvung. Kritiker fanden das Wort „Staatsanwalts-Diplomatie“ dafür. Manch einer von Ihnen gehört ins Irrenhaus – so redete er vor der UNO! Schon in den Schauprozessen pflegte Andrej Wyschinski im Umgang mit „Volksfeinden“ eine deutliche Sprache. Die Opfer seiner Gerichtsreden bekamen unter anderem zu hören, sie seien räudige Hunde, Otterngezücht, elende Pygmäen, verfluchte Spottge-

Andrej Wyschinski wurde am 10. Dezember 1883 in Odessa geboren. Sein Vater war ein hoher zaristischer Beamter. An der Kiewer Universität absolvierte er ein Studium an der Juristischen Fakultät. Tätigkeiten als Publizist und Dozent schlossen sich an. Während der Kerenski-Regierung war Wyschinski, der 1903 Menschewik wurde und 1920 zu den Bolschewiki wechselte, Polizeichef im Moskauer Stadtteil Arbat. Die Rektorenschaft an der Moskauer Universität gehört zu seiner Biographie, ebenso die Mitgliedschaft in ZK und im Obersten Sowjet. Obwohl Wyschinsky auch Arbeit im Volkskommissariat der Bildung und 15 Jahre im diplomatischen Dienst der UdSSR nachzuweisen ist, ist er vor allem durch seine Rolle als Chefankläger in den Schauprozessen der Jahre 1936-1938 bekannt geworden. Interessant ist, wie sich Winston Churchill zu diesen Ereignissen verhielt. Er stufte sie in seinem Buch „Der zweite Weltkrieg“ zwar als unbarmherzig ein, „aber vielleicht war diese militärische und politische Säuberungsaktion und die Serie von Prozessen nicht unnötig“. Stand hier der Kriegspremier selbst mit einem demokratischen Rechtsverständnis und mit den Men-

Bundesarchiv, Bild 183-R83900 / CC-BY-SA 3.0

Provoziert das nicht Fragen? Wie konnte so ein mieser Charakter in so hohe Positionen der Bildung, der Justiz und des diplomatischen Dienstes der sozialistischen (!?) Sowjetunion gelangen, und sich dort über Jahrzehnte halten? Am Ende wurde dem Verantwortlichen für 47 Todesurteile in den Moskauer Schauprozessen gar das Privileg zuteil, an der Kreml-Mauer beerdigt zu werden. Was sagt das über ein politisches System und seine tragenden Elemente aus?

Die bedingungslose Kapitulation der faschistischen deutschen Wehrmacht wird am 8. Mai 1945 in Berlin - Karlshorst unterzeichnet. Als Vertreter des Oberkommandos der Roten Armee unterzeichnet Marschall der Sowjetunion G. K. Shukow die Kapitulationsurkunde, links daneben der stellvertretende sowjetische Außenminister A. J. Wyschinskij, rechts Armeegeneral W. D. Sokolowski. formulierte der Träger des Stalin-Preises, der für sein Buch „Theorie der gerichtlichen Beweise im sowjetischen Recht“ verliehen wurde: „Alle Zweige des Sowjetrechts sind von Humanismus durchdrungen (...)“. Ein Ausdruck für das Neue und Höhere im Sowjetrecht war dann wohl, dass der von Marschall Semjon Budjonny begangene Totschlag an seiner Frau strafrechtlich ungesühnt blieb und nur mit einem Tadel der Parteikontrollkommission geahndet wurde. Später wurde der Totschläger sogar Mitglied einer von Wyschinski geleiteten Kommission zur Kodifizierung von Gesetzen und freier Hörer der juristischen Fakultät der Moskauer Universität.

des Swerdlowsker Parteiaktivs offen Kritik an Wyschinski übte. Dabei forderte er, dessen gesamte staatsanwaltliche Tätigkeit mittels einer Sonderkommission zu überprüfen. Die Folge war, das Solz im Februar 1938 aus der Staatsanwaltschaft entlassen und später in eine psychiatrische Klinik aufgenommen wurde. Einsam und gebrochen starb er 1945. Wyschinski machte weiter. Er sollte noch Außenminister und UNO-Botschafter werden. In diese Ämter kam er ohne die Diplomatie studiert zu haben. Da verwundert es nicht, dass er auf diplomatischem Parkett oft ins Rutschen kam. Zum Ärger vieler führte sich Wyschinski in den Konferenzsä-

burten von Fuchs und Schwein, übelriechender Abschaum. Einiges kann man im Buch „Gerichtsreden“ nachlesen, von dem die DDR-Justizministerin Hilde Benjamin gestand, es habe bei ihr wie ein Blitz eingeschlagen und die Flamme der Begeisterung entzündet. Ausgesagt hat sie das bei einer Gedenkfeier der Vereinigung Demokratischer Juristen am 27. November 1954 zum Tode von Wyschinski. Dabei würdigte die Professorin der Rechtsgeschichte den 18 Monate vor dem XX. Parteitag Verstorbenen auch als „unseren Lehrer in der Anwendung des Rechts beim Aufbau des Sozialismus“. Die Geschichte kam zu einem anderen Urteil.


Nach dem Untergang der Hohenzollernmonarchie entstand mit der 1919 gegründeten Weimarer Republik der erste bürgerlich-demokratische deutsche Staat. Belastet mit den Folgen des vom deutschen Imperialismus verlorenen Ersten Weltkriegs, nach wenigen Jahren einer relativen Stabilisierung des kapitalistischen Systems und einem kurzen Aufschwung stürzte das deutsche Volk in eine sich rasch vertiefende Krise. Ab 1929 wurde Deutschland ganz besonders schwer von der von den USA ausgegangenen Weltwirtschaftskrise betroffen. In der zweiten Jahreshälfte 1932 spitzte sich die soziale Situation großer Teile der Bevölkerung dramatisch zu. Es gab nunmehr in Deutschland 5.772.984 registrierte und zwei bis drei Millionen nicht registrierte Erwerbslose, von denen 4.480.044 finanzielle Unterstützung erhielten. Rund ein Viertel aller deutschen Akademiker war ohne Anstellung. Von 8.000 Absolventen der technischen Schulen fanden nur rund 1.000 Arbeit in ihrem Beruf. Von 22.000 Junglehrern in Preußen fanden nur 900 eine Anstellung, größtenteils als Hilfslehrer oder nur vertretungsweise. Im Zeitraum vom 1. April 1930 bis zum 1. April 1932 war die Arbeitslosigkeit bei den Ingenieuren und Chemikern auf das Fünffache gestiegen, bei den Angestellten um die Hälfte, bei den technischen Angestellten auf das Doppelte. Das durchschnittliche Wocheneinkommen des Industriearbeiters war seit 1929 von 42,20 RM auf 21,75 RM gesunken. Auch die Lage der Angestellten, Beamten und Akademiker hatte sich rapide verschlechtert. 70 Prozent der deutschen Ärzte verdienten monatlich weniger als 170 RM (vgl. Geschichte der deutschen Arbeiterbe-

Geschichte

Götterdämmerung der Weimarer Republik Winfried Steffen blickt 85 Jahre zurück

Reichspräsident von Hindenburg und Reichskanzler Adolf Hitler begeben sich im Auto zur Feier der Nationalen Arbeit in den Lustgarten. 1933. wegung, Chronik, Teil II, Dietz Verlag, Berlin 1966, S. 304-305). Auf diesem Hintergrund verloren die bei der Gründung maßgeblichen Parteien – die Sozialdemokraten und die Parteien der bürgerlichen Mitte – ihren Massenein-

Vor 75 Jahren ermordet: Erich Kuttner Erich Kuttner wurde am 27. Mai 1887 in Schöneberg bei Berlin geboren. Er studierte Rechtswissenschaften und trat danach in die Sozialdemokratische Partei ein. Bereits als Referendar wegen seines Wirkens für die Sozialdemokratie gemaßregelt, arbeitete er in der Folgezeit als Publizist und Redakteur. 1912 erschien seine Arbeit „Klassenjustiz“, in der er die Justiz der kapitalistischen Gesellschaft als Instrument zur Behauptung der Herrschaft der Bourgeoisie kennzeichnete. Ab 1913 gehörte Kuttner der Redaktion der Chemnitzer „Volksstimme“ an,

ein Blatt der Sozialdemokratie. Stark beeinflusst von der demagogischen Losung der „Vaterlandsverteidigung“ meldete er sich 1915 freiwillig an die Front, von der er 1916 schwerverwundet zurückkehrte. Er wurde Redakteur

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Bundesarchiv, Bild 102-14569 / CC BY-SA 3.0

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beim „Vorwärts“, dem Zentralorgan der SPD. In den ersten Jahren der Weimarer Republik analysierte er anhand detaillierten Tatsachenmaterials den unveränderten Klassencharakter der Justiz. Gleichzeitig unterbreitete er umfangreiche Vorschläge für die Demokratisierung des Justizwesens, die ohne Veränderung der ökonomischen und politischen Machtstrukturen der Weimarer Republik nicht verwirklicht werden konnten. 1921 wurde er zum Mitglied des Preußischen Landtags gewählt, dem er bis zur Errichtung der faschistischen Diktatur 1933 angehörte. Von 1924 bis 1927 war er Chefredakteur des sozialdemokratischen satirischen Wochenblatts „Lachen links“. Er gehörte zu den Sozialdemokraten, die ungeachtet ihrer antifaschistischen Haltung die Einheitsangebote der KPD ablehnten. 1933 emigrierte Kuttner nach Paris und von dort aus nach Amsterdam. Trotz nach wie vor großer Vorbehalte gegenüber der KPD beteiligte er

fluss und es kam zum Aufstieg der Hitlerschen NSDAP. Die Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 brachten für die KPD 14,6 Prozent, die SPD 21,5 Prozent, die Zentrumspartei 15,7 Prozent, die Deutschnatisich zunehmend an der gemeinsamen Arbeit mit Kommunisten und unterschrieb die Aufrufe des Lutetia-Kreises und des Ausschusses für eine deutsche antifaschistische Volksfront, die zur Einheit aller Hitlergegner mahnten. Ende 1936 ging Kuttner als Korrespondent nach Spanien, um über den antifaschistischen Freiheitskampf des spanischen Volkes zu berichten und für die Verstärkung der internationalen Solidarität zu wirken. Als er gemeinsam mit Franz Dahlem und Egon Erwin Kisch in vorderster Linie ein Kampfbataillon besuchte, schrieb er zutiefst berührt darüber für die Kompaniezeitung: „Die Stunden, die ich vorne bei den Kameraden verbracht

onale Volkspartei 5,9 Prozent und die NSDAP 37,4 Prozent der Wählerstimmen. Unter Führung Hermann Görings zogen in Braunhemden 230 Abgeordnete in den Reichstag ein. Noch war Reichspräsident von Hindenburg nicht bereit, Adolf Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Zu der von Franz von Papen gebildeten Regierung ging Hitlers NSDAP in Opposition. Die Krise der Weimarer Republik verschärfte sich. Bei blutigen Auseinandersetzungen auf den Straßen deutscher Städte ermordeten die Polizei 81, die Nazis 139 Antifaschisten. 1932 wurden 33.686 Antifaschisten in 7.316 politischen Prozessen angeklagt. Im Herbst 1932 erschütterte eine Streikwelle ganz Deutschland. Gegen die Notverordnung vom 4. September fanden rund 1.100 Streiks in allen Landesteilen statt. Höhepunkte bildeten die Streiks der 8.000 Arbeiter der Hamburger Hochbahn AG vom 1. bis 4. Oktober und der Streik der Berliner Verkehrsarbeiter (BVG-Streik) vom 3. bis 7. November 1932. Nach vorgezogenen Reichstagswahlen am 6. November 1932 büßte die NSDAP über zwei Millionen Wählerstimmen ein. Die Bildung der Regierung unter General von Schleicher kennzeichnete Ernst Thälmann als ein „Übergangskabinett, als ein Platzhalterkabinett zur Vorbereitung der Hitlerkoalition bzw. Hitlerregierung“. Mit einer am 17. November 1932 von Monopolisten und Junkern eingereichten Eingabe an den Reichspräsidenten und einem vom Freiherrn Kurt von Schröder in dessen Haus organisierten Treffen am 4. Januar 1933 mit Hitler, von Papen, Heß, Himmler und Keppler gipfelte die Krise der Weimarer Republik am 30. Januar 1933 in der Machtübergabe an Hitler. Das Unheil nahm seinen Lauf. habe, werde ich immer in Erinnerung behalten ... Hier finde ich das geistige Leben einer Revolutionstruppe. Alle Problem wurden besprochen und diskutiert, die politischen wie die militärischen.“ Hervorzuheben sind seine Beiträge für den „Deutschen Freiheitssender 29,8“ auf spanischem Boden. Während der Kämpfe um Brunete verwundet, kehrte er nach Amsterdam zurück. Tief erschüttert über die Niederlage des spanischen Volkes und die Nichteinmischungspolitik rechter Führer seiner Partei trat Kuttner nunmehr verstärkt für eine Zusammenarbeit mit der KPD ein. In den Niederlanden veröffentlichte er den Künstlerroman „Hans von Mare’es“ und arbeitete am Roman „Das Hungerjahr 1556“. Mit dem Einmarsch der faschistischen Wehrmacht in die Niederlande wurden die dortigen deutschen Emigranten und ihre antifaschistische Arbeit aufs Äußerste gefährdet. Wie so mancher andere Kampfgefährte wurde Erich Kuttner im April 1942 von der Gestapo aufgespürt. Er wurde in das KZ Mauthausen überführt und dort am 1. Oktober desselben Jahres ermordet. • Prof. Dr. Kurt Schneider Verfasst unter Verwendung von Daten aus „Deutsche Widerstandskämpfer“, Dietz Verlag Berlin 1970.


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Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Terminübersicht Dresden, 11. Oktober, Mittwoch, 19.00 Uhr n Vortrag und Diskussion Die Russländische Revolution 1917/22 - 100 Jahre danach ein umstrittenes Ereignis?*** Mit Prof. Dr. Karl-Heinz Gräfe (Historiker). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Chemnitz, 11. Oktober, Mittwoch, 19.00 Uhr n Vortrag und Diskussion „Gesellschaftsspielchen“ - Fußball zwischen Hilfsbereitschaft und Heuchelei*** Mit Ronny Blaschke (Journalist), Peggy Schellenberger (Fanbeauftragte CFC, angefragt), Moderation: Marion Tetzner (MDR, angefragt). Eine Kooperation der RLS Sachsen mit der Volkshochschule Chemnitz und dem Chemnitzer Fußballclub CFC. Veranstaltungssaal, dasTietz, Moritzstraße 20, 09111 Chemnitz Seit der WM 2006 spannt sich ein gesellschaftliches Netz um den Fußball. Nationalspieler gründen Stiftungen, Bundesligaklubs bauen Sozialabteilungen auf, Ultras sind politisch aktiv. Handelt es sich um nachhaltiges Engagement oder um ein schickes Etikett? Wie kann der Fußball das Gemeinwesen bereichern? Für Vielfalt und Bewegungsreichtum, gegen Diskriminierung und Manipulationen! Das Ziel der Veranstaltung ist es, Engagierte aus der Region zu vernetzen und ihre Ideen bekannter zu machen. Leipzig, 12. Oktober, Donnerstag, 18.00 Uhr n Buchvorstellung und Diskussion „Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes“*** REIHE: JOUR FIXE - ein ungewöhnlicher Gesprächskreis. Mit Dr. Monika Runge (Philosophin). Moderation: Klaus Kinner und Manfred Neuhaus. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 13. Oktober, Freitag, 18.00 Uhr n Vortrag und Podiumsdiskussion Islamfeindlichkeit im Rechtspopulismus*** Mit Prof. Dr. Gert Pickel (Soziologe und Politikwissenschaftler), Florian Illerhaus (Religionswissenschaftler) und Kerstin Köditz (Sprecherin für Antifaschistische Politik in der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag). Eine Kooperation der RLS Sachsen mit dem Erich-Zeigner-Haus e.V. Erich-Zeigner-Haus e.V., Zschochersche Straße 21, 04229 Leipzig Dresden, 17. Oktober, Dienstag, 18.00 Uhr n Vortrag und Diskussion Wahlnachlese: Die Bürgerinnen und Bürger haben gewählt – und nun? REIHE: Junge Rosa - richtet sich speziell an Jugendliche und junge Erwachsene*** Mit Horst Kahrs

(Sozialwissenschaftler, Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung) WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 17. Oktober, Dienstag, 19.00 Uhr n Vortrag und Diskussion Thomas Müntzer - ein Sozialist?*** Mit Thomas Völker (Historiker) RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 17. Oktober, Dienstag, 18.00 Uhr n Vortrag und Diskussion Von der „Homolobby“, „Umvolkung“ und „Gendertanten“. Im Netz der antifeministischen, homofeindlichen und rassistischen Matrix*** REIHE: Durchmarsch von Rechts Modernität rechten Denkens. Mit Rachel Spicker und Enrico Glaser (Fachstelle Gender und Rechtsextremismus, Amadeo-Antonio-Stiftung) Haus Arthur, Hohe Straße 33, 09112 Chemnitz Dresden, 18. Oktober, Mittwoch, 19.00 Uhr n Vortrag und Diskussion Rechtspopulismus sowie Demokratie- und Sozialpädagogikverachtung in Zeiten der Follower*** Ein Versuch mit Nietzsche. Mit Prof. Dr. Christian Niemeyer (Pädagoge, Psychologe und Nietzsche-Forscher, TU Dresden). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Ein Gespenst geht um in Europa, insbesondere in Polen, Ungarn, Österreich, Frankreich, seit 9/11 auch in den USA, und es trägt hier (Donald Trump) und auch in Frankreich (Marine Le Pen) die Züge einer „blonden Bestie“ – von Nietzsche her geredet (nicht gedacht, wohlgemerkt). Dagegen werden Barmherzigkeit und helfendes Handeln gesetzt sowie die Einsicht, dass der Mensch zwecks Menschwerdung nicht nur der Erziehung sondern auch einer menschlichen Gemeinschaft bedarf. Diesen zu vermitteln fällt allerdings nicht ganz leicht, angesichts der um sich greifenden medialen Verwahrlosung. Höchste Zeit also, eine neue Erzählweise zu erproben, zumal Leben, vielleicht auch Lernen, nichts weniger ist als ein „Experiment des Erkennenden“ (diesmal mit Nietzsche geredet und gedacht). Leipzig, 18. Oktober, Mittwoch, 18.00 Uhr n Vortrag und Diskussion Wahlnachlese: Die Bürgerinnen und Bürger haben gewählt – und nun?*** Mit Horst Kahrs (Sozialwissenschaftler, Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg Stiftung) RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Leipzig, 24. Oktober, Dienstag, 19.00 Uhr n Vortrag und Diskussion Politik und Religion*** Mit Henry Lewkowitz (Philosoph, Geschichts- und Politikwissenschaftler) RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig In Zeiten zunehmender religiöser Konflikte sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene versucht Henry Lewkowitz eine Klärung über die Ursachen und mögliche Antworten für die Lösung dieses Problems aufzuzeigen. Wie kann eine säkulare Gesellschaft mit einem nicht diskursiv verhandelbaren „religiösen Kern“ einer Glaubensgemeinschaft umgehen? Wie will und sollte sie den säkularen Umgang mit Religion und religiösen Einstellungen institutionell gestalten, ohne der Gefahr von prinzipiellen Bevorzugungen einerseits und Benachteiligungen andererseits anheimzufallen? Leisnig, 25. Oktober, Mittwoch, 19.00 Uhr n Vortrag und Diskussion 500 Jahre Revolte - Reformation und Bauernkrieg Mit Bernd Langer (KuK Berlin). Einer Veranstaltung der RLS Sachsen in Kooperation mit dem AJZ Leisnig. AJZ Leisnig, Chemnitzer Straße 103b, 04703 Leisnig

„Freiheit wird nie geschenkt, immer nur gewonnen.“ Heinrich Böll zum 100. Geburtstag*** REIHE: Rosa L. in Grünau. Mit JensEberhard Jahn, Publizist. Komm-Haus, Selliner Str. 17, 04207 Leipzig Cunnersdorf, 27. Oktober, Freitag, 18.00 Uhr n Workshop Verein, Stiftung, Genossenschaft? Mit Thomas Richter (Kulturmanager). In Kooperation mit dem Verein Alte Schule e.V. Alte Schule, Schulweg 10, 01920 Schönteichen/OT Cunnersdorf save the date: Bad Frankenhausen, 4. November, Sonnabend, 9.00-17.00 Uhr n Exkursion Werner Tübke und die Frühbürgerliche Revolution Panorama Museum, Am Schlachtberg 9, 06567 Bad Frankenhausen

Chemnitz, 26. Oktober, Donnerstag, 18.30 Uhr n Vortrag und Diskussion 500 Jahre Revolte - Reformation und Bauernkrieg*** Mit Bernd Langer (KuK Berlin). Einer Veranstaltung der RLS Sachsen in Kooperation mit dem Rothaus. Rothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz

Zum Reformationsjubiläum fahren wir in das Panoramamuseum Bad Frankenhausen, um dort das Werk Werner Tübkes „Die Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ zu besichtigen. In einer Führung werden wir uns mit dem Schaffen Werner Tübkes und den historischen Ereignissen rund um Reformation und Bauernkrieg vertraut machen. Zusätzlich zur Führung vor Ort werden wir einen Dokumentarfilm sehen. Wir fahren mit dem Bus ab Leipzig um 9 Uhr, es wird eine Zustiegsmöglichkeit in Halle/S. geben. Die Bustickets inklusive Eintrittsgeld kosten 16 € oder ermäßigt 11 €. Wir bitten um Anmeldung bis zum 9. Oktober2017 unter schmohl@rosaluxsachsen.de.

Leipzig, 26. Oktober, Donnerstag, 18.30 Uhr n Vortrag und Diskussion

*** in Kooperation der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e.V.

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­ lage von 10.950 Explaren gedruckt. Der Redaktion gehören an: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Thomas Dudzak, Ralf Richter Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, pixelio, iStockphoto

Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Telefon 0351-8532725 Fax 0351-8532720 Redaktionsschluss: 25.09.2017 Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 01.11.2017. Die Zeitung „Links!“ kann kostenfrei abonniert werden. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Erscheinen unserer Zeitung unterstützen. Kostendeckend für ein Jahresabo ist eine Spende in Höhe von 12 Euro. Sollten Sie an uns spenden wollen, verwenden Sie bitte folgende Konto­daten: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07 BIC: GENODEF1DRS Dresdner Volksbank Raiffeisenbank Aboservice: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder Telefon 0351-84389773


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Rezensionen

10/2017 Links!

Z 111: „Kapital“ total in dieser Nummer Das Septemberheft der Zeitschrift Marxistische Erneuerung diskutiert den ersten Band von Marx‘ Hauptwerk. Von Wulf Skaun Wer erinnert sich nicht an Ronald Beiers maliziöse Marx-Karikatur 1990 mitten im Epochenbruch: „Tut mir leid, Jungs“, entschuldigt sich der Trierer Meisterdenker, „war halt nur so ’ne Idee von mir“. Oder an Francis Fukuyamas vielzitierte These vom Ende der Geschichte und der damit obsolet gewordenen Suche nach Alternativen zum Kapitalismus. Da hatte ein

schlichtes katholisches Polit-Köpfchen vorweg schon vollmundig ausgerufen: „Marx ist tot, Jesus lebt!“ Drei Orakel, drei fatale, vorhersehbare Irrtümer. Einen geschichtlichen Wimpernschlag später kracht es im Gebälk der globalisierten Welt − und der Totgesagte ist mitsamt seinen Ideen wieder in aller Munde. Dem 150. Jubiläum seines Hauptwerks öffnen Parteigänger wie Gegner Tür und Tor. Karl Marx und kein Ende. Selten waren seine Analysen und Theorien lebendiger als heute. Für die Zeitschrift, die sich die Erneuerung seines Erbes in ihren Namen geschrieben hat, täglich Brot. Die Septemberausgabe, die Z 111, bildet aber

doch eine Ausnahme. Beinahe vollständig widmet sie sich mit werkgeschichtlichen und aktuellen Themen dem Erscheinen des ersten Bandes des „Kapital“ im September 1867. Die Schrift stehe heute im „postsozialistischen“ Kontext eines internationalisierten und zugleich von ökonomischen, sozialen und ökologischen

Krisen geprägten Weltkapitalismus, heißt es im Editorial. Die unter diesem Blickwinkel geradezu enzyklopädisch breite Analyse des Generalthemas, die Exklusivität der fach- und sachkundigen Autoren und deren erfreulich diskursive und widerspruchsdialektische Argumentationen bestimmen das Heft über die aktuelle Lektüre hinaus zu längerfristigem Gebrauch, einem sich auf der Höhe der Zeit befindlichen Nachschlagewerk gleich. Was lässt sich Nützlicheres über ein Periodikum sagen? Es ist hier nicht der Ort, auf alle 30 marxzentrierten Beiträge einzugehen. Beispielhafte Fingerzeige mögen die

Absicht von Redaktion und Autoren demonstrieren, Marx’ konzeptionelle, theoretische und methodologische Überlegungen in ihren Grundlagen und Grenzen, Widersprüchen und Irrtümern zur Erfassung der heutigen Welt des Kapitals zu diskutieren. So begründet Elmar Altvater seine Auffassung, das 150 Jahre alte „Kapital“ weise immer noch die Alternative, die gesellschaftliche Kapitalform radikal zu verändern. Anders als von Marx erwartet, hätten sich die Eigentumsverhältnisse komplexer und differenzierter entwickelt, weist Jürgen Leibiger auf die daraus resultierenden verschiedenartigen Interessenlagen der lohnabhängigen Klassen und Schichten und die Notwendigkeit neuartiger Lösungen der Eigentumsfrage hin. Neu denken müsse man auch angesichts heutiger globalisierter Wertschöpfungsketten die „Weltarbeiterklasse“ und den Marxschen Subsumtionsbegriff, konstatiert Karl Heinz Roth. In diesem Kontext betont Harry Harootunian, bereits Marx habe den modernen Kapitalismus als Kombination unterschiedlicher Produktionsweisen gedacht und die Annahme eines „vollendeten“, „reinen Kapitalismus“ abgelehnt. Neben solchen und anderen Überlegungen zu Globalität und Vielfalt des modernen Kapitalismus gibt Z 111 pointierten Beiträgen über die entstehungsgeschichtlichen Umstände des ersten „Kapital“-Bandes breiten Raum (Manfred Neuhaus, Carl Erich Vollgraf, Marcello Musto, Michael Heinrich). Welche Hindernisse das anspruchsvolle Werk zu überwinden hatte, bis es in vielen Sprachen sein internationales Publikum fand, beschreiben exemplarisch Xy Yang und Lin Fangfang für China. Acht Autoren argumentieren in ihren Leseempfehlungen, warum es sich lohnt, „Das Kapital“ zu studieren. Sahra Wagenknechts Lesart dürfte besonders jungen Menschen eine Orientierung vermitteln, die sich erstmals mit dem großen Denker beschäftigen. Wie sie Marxens Erkenntnisse mit deren aktueller Erfahrungswelt und zudem in einer erfrischenden Sprache verbinden, gehört zu den Glanzstücken des Heftes. Es schließt mit einem Rückblick auf das legendäre Kolloquium aus Anlass des 100. Jahrestages des „Kapitals“ 1967 in Frankfurt am Main. Eckart Spoos damaliger Bericht in der „Frankfurter Rundschau“ erinnert an Protagonisten der Debatte wie Wolfgang Abendroth, Fritz Behrens, Ernest Mandel, Oskar Negt, Otto Reinhold und Klaus Steinitz. Summa summarum: Die Z 111 bekräftigt mit ihrem vielfältigen Marx-Diskurs Friedrich Engels’ berühmte Prophezeiung: „Sein Name wird durch die Jahrhunderte fortleben und so auch sein Werk!“

Z.Zeitschrift Marxistische Erneuerung. Heft 111 (September 2017). Zu beziehen im Buchhandel oder über Redaktion und Verlag Postfach 500 936 in 60397 Frankfurt am Main. E-Mail: redaktion@zme-net.de

Lyrisches Michels Geschmack Heino hören, Pilcher lesen Merkel wählen Sei kein Dussel! Sei kein deutscher Michel von heute! Selbst im Dusel merkt man Kapitalismus schadet wie Stickoxide des Diesel Nicht-super-lativ Irre Irrer Trump / Kim Jong Un Leitkultur an der Wahlurne Dumpfe Stimme bekommt Wer glaubwürdig lügt Echtrot mit Braun gleichsetzt Oder noch mehr entwertet Ein bisschen Braun für gutbürgerlich hält: Wer vererbbare Gene des deutschen Michel besitzt • Jürgen Riedel Sommerabgesang Herbstlaubwind buntes Rascheln Farbenspiel Herbstbunt bemalte Septembersonne Geerdet Blätterhaufen Erntezeit Igelglück • Janina Niemann-Rich

Nachgeliefert Zu Wulf Skauns Rezension „Optimistische Vision eines linken Weltbürgers“, erschienen in der letzten Ausgabe an dieser Stelle, liefern wir noch die bibliografischen Informationen: Theodor Bergmann / Der chinesische Weg. Versuch, eine ferne Entwicklung zu verstehen. Hamburg: VSA-Verlag 2017. 160 S. EUR 14,80, ISBN 978-3-89965-744-9


Links! 10/2017

Die letzte Seite

menkünfte tauften sie „Vereinstreffen halbanalphabetischer Akademiker“, doch auch dieses bestand aufgrund individueller Diskrepanzen nur kurz.

„Einst ging ein Mensch aus seinem Haus / In Mantel, Stock und Hut / Lang ist der Weg / Der vor ihm sich auftut. / Und eines Tags im Morgengrauen / Stand er im dunklen Wald / Und seit der Zeit / er für verschwunden galt.“ Dieser Auszug aus dem Gedicht „Kleines Lied“ von 1937, das der Dichter Daniil Charms in Leningrad verfasste, spiegelt das Dilemma einer düsteren Epoche, in der Freunde, Künstlerkollegen und Unangepasste spurlos in der Verbannung verschwanden. Der damals zweiunddreißigjährige Poet, der eigentlich Daniil Iwanowitsch Juwatschow hieß, galt und gilt als maßgeblicher Wegbereiter des schwarzen Humors in der russischen Literatur und legte gleichzeitig den Grundstein für eine neue, völlig abstruse Dichtkunst, der es gelang, ernste Zustände wie grausame Begebenheiten, Katastrophen oder auch menschenverachtende Willkür, der er auch persönlich ausgesetzt war, derart zu überspitzen, dass sie ihren Schrecken verloren. Geboren wurde Charms am 17. Dezember 1905 als Sohn einer Lehrerin in St. Petersburg, später Leningrad genannt. Sein Vater war Marineoffizier, der sich den revolutionären Ideen seiner Zeit verschrieb und später Literat der Wissenschaften wurde. Schon recht frühzeitig erkannten seine Eltern das musische Gespür ihres Sohnes, der sich für Musik und Malerei zu interessieren begann und anfing, kleine Geschichten zu erfinden. Von 1915 bis 1922 besuchte der Junge die Spezialmittelschule, wo ihm die deutsche Sprache beigebracht wurde und er erste Gedichte zu Papier brachte, teilweise auf Deutsch. Zwischen 1922 und 1924 erhielt er Unterricht in einem Gymnasium in Zarskoje Selo, wo er bei einer Tante wohnte. In dieser Zeit entstand erstmals ein Gedicht, das er mit „Daniil Charms“ signierte. „Charms“ wurde wahrscheinlich vom französischen Begriff „Charme“ abgeleitet. Der junge Poet liebte es abgöttisch, sich ständig in andere Personen zu verwandeln, und pflegte seine Vorliebe, sich skurril zu kleiden, ohne auf eitle Eleganz zu verzichten (er kombinierte Kniebocker, karierte Jacketts, Schiebermütze und, wenn ihn fröstelte, einen Kaffeewärmer). Dazu trug er Pseudonyme wie Iwan Toporyshkin, Karl Iwanowitsch Schusterling, Wanja Molchow, Schardam, Garmonius oder Kolgartow.

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Charms galt seinen Dichterkollegen oft als „Gesamtkunstwerk“. Er erfand immer wieder Figuren, in deren Rolle er schlüpfte, oder er gab vor, eine berühmte Persönlichkeit zu sein, etwa Sherlock Holmes. Seine Eigenheiten brachten ihm den Ruf eines Straßenclowns ein. Es existiert eine Fotografie, auf der er seinen nicht existierenden Bruder mimt.

Skurriles Gesamtkunstwerk in bitterer Zeit Jens-Paul Wollenberg folgt den Spuren des sowjetischen Autors Daniil Charms

1924 legte er sein Abitur ab und begann ein Studium an der Elektrotechnischen Hochschule in Leningrad, das er jedoch schon bald abbrach. 1925 absolvierte der Poet und Übersetzer erste öffentliche Auftritte in Bibliotheken und Hörsälen. Im gleichen Jahr lernte er A. Wedensky kennen, den er später als seinen wichtigsten Lehrer bezeichnete, und befasste sich sehr intensiv mit Philosophie. Im Herbst wurde er Mitglied des Leningrader Dichterverbands.

zu schreiben. 1927 wurden die Künstlergruppen „Linke Flanke“ und „Akademie der linken Klassiker“ gegründet, die es sich zur Aufgabe machten, die Moderne und revolutionäre Ideen unter einen Hut zu bringen. Im gleichen Jahr entstand die avantgardistische Vereinigung für reale Kunst, die als „Oberiu“ Poeten, Musikern, Theaterschaffenden und Malern ein Podium bot. Charms hatte eine führende Position inne, und sein legendäres Theaterstück und Poem „Elisabeta Bam“ wurde uraufgeführt. Nach eine spektakulären Auftritt des Ensembles im Institut für Kunstgeschichte erschien eine vernichtende Kritik in einem Leningrader Kulturjournal, das dem Ensemble vorwarf, antisowjetische und konterrevolutionäre Aktivitäten dargestellt zu haben. Das war zu jener Zeit eine heikle Angelegenheit. Die Stalinisten hatten den innenpolitischen Machtkampf schon 1926 für sich entschieden, Trotzki wurde aus der Partei ausgeschlossen und es begann auch kulturpolitisch eine Säuberungskampagne gegen alles, das dem Regime nicht passte. So wurde etwa der populäre Journalist und Literaturkritiker Alexander Woronsky mit Berufsverbot belegt, er wurde nach seiner Verhaftung zu drei Jahren Verbannung verurteilt.

1926 entstand eine Dichtergruppe, die sich „Schule der Tschinari“ nannte und dessen Teil Daniil Charms wurde. Eine 1926 veröffentlichte Gedichtsammlung des Schriftstellerverbands enthielt zwei seiner Gedichte, und er begann mit Wedensky an einem Theaterstück

1930 schließlich wurde auch die „Oberiu“ verboten, und es begann eine gnadenlose Hetzjagd der Geheimpolizei auf ihre Mitglieder und deren Anhänger. Alles, was irgendwie als bürgerlich-dekadent betrachtet wurde, sollte ausgemerzt werden. Auch in anderen

Kulturbereichen wurde „aufgeräumt“. Charms zog sich zunächst offiziell zurück und widmete sich mehr denn je der Kinderliteratur. Durch die Bekanntschaft mit dem einflussreichen Jewgeni Schwartz und mit Nikolai Olejnikow, die im staatlich geförderten Kinderbuchverlag angestellt waren, konnte er für denselben schreiben. Seine Geschichten und Gedichte kamen nicht nur bei Kindern gut an, auch Erwachsene erfreuten sich an den oft skurril erzählten, bildreichen Episoden, welche die Zensoren anfangs noch zum Druck freigaben. Doch auch diese Tätigkeit, die Charms einen zwar kleinen, aber zuverlässigen finanziellen Rückhalt bot, war nicht von langer Dauer. 1931 wurden Wedensky, Charms und weitere Kollegen erstmals durch die Polizei in Verwahrung genommen. Die Verhaftung erfolgte aufgrund vermuteter konterrevolutionärer Umtriebe und Verherrlichung des Zarenreichs, womit sie Kinder angeblich negativ beeinflussten. 1932 wurde Charms nach Kursk verbannt, doch als sich die politische Situation entspannte, durfte er zurückkehren und wieder für den Verlag arbeiten. Er übersetzte Wilhelm Buschs „Plisch und Plum“ ins Russische, die Ausgabe wurde 1936 veröffentlicht. In den Zeitschriften „Josh“ und „Tschich“ publizierte er weiterhin skurril-witzige Kindergeschichten, die auf große Resonanz stießen. In Charms Wohnung kam es gelegentlich zu heimlichen Begegnungen einstiger „Oberiu“-Mitglieder. Diese Zusam-

Doch all die närrischen Absonderlichkeiten täuschten nicht über seinen tatsächlichen seelischen Zustand hinweg, denn er befand sich in einer ausweglosen Situation. Er litt Hunger, war völlig verarmt und wurde immer depressiver. Seine Texte, die einst so aberwitzig komisch daherkamen, wurden zunehmend düster, drückten Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung aus. Es schien, dass er mit von schwarzem Humor durchwobenem Sarkasmus seine entsetzliche Lage überspielen wollte. 1937 fanden erneut „Säuberungen“ statt. Leitende Redakteure wurden verhaftet, im September wurde der Leningrader Kinderbuchverlag geschlossen. Trotzdem schrieb Charms unnachgiebig weiter, und die Zeitung „Tschiz“ brachte noch im Dezember einige Kindergeschichten. 1940 erschien Charms letztes Kinderbuch mit dem Titel „Der Fuchs und der Hase“. Am 22. Juni 1941 überfiel die Wehrmacht die Sowjetunion, am 9. September begann die mörderische Blockade Leningrads. Bis zur Befreiung sollten beinahe neunhundert Tage vergehen. Am 23. August 1941 wurde Daniil Charms wegen der „Verbreitung pessimistischer Propagandamacherei“ verhaftet, seine Wohnung durchsucht, Schriften, Briefe und Notizen beschlagnahmt. Dass ein großer Teil seines literarischen Vermächtnisses gerettet werden konnte, ist wohl dem Umstand zu verdanken, dass ein Bekannter Manuskripte, Broschüren und Gedichte in einem Koffer in Sicherheit brachte. Daniil Charms starb am 2. Februar 1942 im Gefängnis. Vermutlich wurde er, wie andere Häftlinge auch, einfach vergessen und verhungerte. Sein Gedicht „Das blaue Heft Nr. 10“ in der deutschen Übersetzung von Peter Urban beschreibt Charms‘ Lage sehr treffend: „Es war einmal ein Rotschopf, der hatte weder Augen noch Ohren. / Er hatte auch keine Haare, so dass man ihn an sich grundlos einen Rotschopf nannte. / Sprechen konnte er nicht, denn er hatte keinen Mund. / Eine Nase hatte er auch nicht. / Er hatte sogar weder Arme noch Beine. / Er hatte keinen Bauch, / Er hatte keinen Rücken, er hatte kein Rückgrat, er hatte auch keinerlei Eingeweide. / Nichts hatte er! / Sodass unklar ist, um wen es hier eigentlich geht. / Reden wir lieber nicht weiter drüber.“ Daniil Charms wurde viel später rehabilitiert. Seine Texte wurden in verschiedene Sprachen übersetzt und bereichern nicht nur die Theaterwelt.


10/2017 Sachsens Linke!

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Oktober 2017

Sachsens Linke Lasst uns reden! Auswertung der Bundestagswahl in Sachsen Liebe Genossinnen und Genossen, es wurde gewählt in der Bundesrepublik. Wir möchten Euch ganz herzlich für Euren unermüdlichen Einsatz danken. Für jedes Gespräch, das ihr geführt habt, für jedes Plakat, das ihr gehängt habt, für die Veranstaltungen, die Infostände, die Materialverteilung vor Ort und auch Eure Spenden. Wir sind und bleiben die Partei, die ihren Wahlkampf fast ausschließlich ehrenamtlich bestreitet. Das geht nur dank Euch. Am Sonntagabend konnte sich die Bundespartei einerseits freuen. Wir konnten unser Stimmergebnis absolut und relativ verbessern. Allerdings nicht in Sachsen. Das ist der bittere Teil des Wahlabends und hier gibt es nichts schönzureden. Wir brauchen Antworten, warum dies so ist – in Offenheit, Ehrlichkeit und in aller Sachlichkeit. In Sachsen wurde die AfD stärkste Kraft und gewann drei Direktmandate. Wir konnten in Leipzig ein Direktmandat gewinnen, wozu wir Sören Pellmann ganz herzlich gratulieren. Aber dieser Erfolg kann uns nicht über unsere strukturelle Schwäche hinwegtäuschen. Es bleiben für uns viele Fragen. Wieso vermögen wir es nicht mehr, diejenigen, die wir bei der Bundestagswahl erreichen können, auch für Landtagswahlen zu gewinnen? Wie kompensieren wir die wegbrechenden Strukturen, konkret das Fehlen von Genoss*innen in der Fläche, die oftmals Gesicht und Stimme LINKER Politik in der Fläche waren? Was sind unsere Themen? Und wie können wir sie vermitteln? Welche Antworten müssen wir als LINKE liefern, um gegen den dumpfen braunen Populismus in der Fläche ankämpfen zu können? Wir haben in den letzten Jahren als Partei viel Haltung gezeigt. Asyl ist und bleibt ein Menschenrecht und unser entschiedener Widerstand gegen eine Politik, die Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt, ist für uns nicht verhandelbar. Seit Jahren ist Sachsen das Kernland rechtspopulistischer Auseinandersetzungen und wir haben versucht, dagegenzuhalten, während andere Parteien nichts Besseres zu tun hatten, als die Positionen nach

und nach zu übernehmen. Es ist uns allerdings auch nicht gelungen, linken Protest zu bündeln. Vielmehr waren es Gegenaktionen, an denen wir teilnahmen. Trotz aller Bemühungen konnten wir dieses linke Potential in Sachsen nicht binden. Mehr noch werden wir in Sachsen – wie in ganz Ostdeutschland – nicht mehr als Alternative zur herrschenden Politik wahrgenommen, sondern diese wird in der AfD gesehen. Die AfD wird dabei nicht wegen, sondern trotz ihrer Positionen gewählt. Es hat den Anschein, als ob unsere Angebote zu abstrakt sind. Sie verfangen nur wenig. Wir müssen unsere Rolle auf der Landesebene neu definieren und die Frage beantworten, was unsere Wege sind, zur Verbesserung der Lebensverhältnisse in Sachsen beizutragen. In den Großstädten können wir noch überzeugen, nicht überall gleich gut, aber wir finden Möglichkeiten der Ansprache. Dabei scheinen unsere offenen Bürostrukturen ein Schlüssel zu sein, denn dort wo diese sind, haben wir besonders gute Ergebnisse zu verzeichnen. Im ländlichen Raum dürfen wir nicht aufgeben, müssen aber unsere Ratlosigkeit überwinden, wie wir dort wieder Fuß fassen. Wenn wir in Kommunen lediglich einstellig einlaufen, haben wir eine Aufgabe. Diese und all Eure Fragen wollen wir in aller Ruhe bereden. Wir haben einen Fahrplan für die Wahlauswertung. Wir kommen nicht, um das Wahlergebnis schön zu reden – im Gegenteil. Es sitzt Euch wie uns in den Knochen und wir müssen Schlussfolgerungen ziehen, die uns wieder mehr Fuß fassen lassen. Wenn ihr mit uns in Euren Strukturen ins Gespräch kommen wollt, dann meldet Euch bitte in der Landesgeschäftsstelle und vereinbart einen Termin. Wir freuen uns sowohl auf Eure kritischen Worte als auch auf Eure Vorschläge und hoffen, dass viele von Euch an der Diskussion hin zu Schlussfolgerungen mitwirken. Mit solidarischen Grüßen Antje Feiks, Landesgeschäftsführerin Rico Gebhardt, Landesvorsitzender

Aktuelle Informationen stets auch unter www.dielinkesachsen.de

Ablauf der Wahlauswertung 18. Oktober 2017: Regionalkonferenz in Chemnitz 19. Oktober 2017: Regionalkonferenz in Dresden 24. Oktober 2017: Regionalkonferenz in Leipzig Jeweils 17:30 Uhr bis 21 Uhr, geplanter Ablauf: 1. Wahlergebnisse der LINKEN Sachsen – ein Überblick (60 Minuten), danach Diskussion 2. Inhaltliche Schwerpunktsetzungen im Rahmen der Bundestagswahl – welche der Themen sollten wir in welcher Form weiter verfolgen? (60 Minuten) 3. Organisatorische Wahlziele der LINKEN Sachsen – was hat gefehlt, was wurde erreicht, was machen wir in Zukunft besser? (60 Minuten) 4./5. November 2017: Diskussion auf dem Landesparteitag zur Wahlauswertung im Rahmen der Debatte des Leitantrages Ab November 2017: Kreis- und Ortsverbandstour zur Wahlauswertung und zu Schlussfolgerungen, gleichzeitig Online-Befragung von Wahlkämpfer*innen Dezember 2017 in der Landeszeitung und über Mailinglisten: Befragung zur Wahlauswertung und zu Schlussfolgerungen Ende Januar 2018: Zusammenfassung der Schlussfolgerungen aus dem Bundestagswahlkampf

Wahlabende Es ist Sonntag, kurz nach vier. Das Handy vibriert. Erste Zahlen der Institute laufen ein. Nachwahlbefragungen. Wie ist es für die eigene Partei gelaufen? Wo stehen die anderen? Ein erstes Bild wird klar. Man hat sich vorher Gedanken gemacht, die ersten Satzbausteine entstehen. Was, wenn wir unter, was, wenn über einer gesteckten Marke bleiben? Halb sechs, Telefonkonferenz. Die neuesten Zahlen werden verkündet, im Knacken der Leitung gehen sie unter. Im Stimmgewirr werden die eilig verkündeten Botschaften kaum gehört. Egal. Während um 18 Uhr das Land erstmals die Prognose hört, werden in der Partei hektisch Nachrichten ausgetauscht. Zur ersten Hochrechnung – eine halbe Stunde später - erwartet die Presse eine Einordnung. Doch was sagen? Zahlen aus dem eigenen Land? Liegen nicht vor. Danach: Warten. Mitfiebern. Erste Ergebnisse laufen ein. Erst wenige, dann immer mehr. Rechnen. Stöhnen. Aufatmen. Da könnte es klappen mit dem Direktmandat. Doch wird es reichen? Wo stehen die anderen Parteien? Irgendwann, nachts um vier, hat man Ergebnisse. Es beginnt der Versuch, die Botschaften, die man am Abend entworfen hat, in Reihe zu bringen. Morgen früh, kurz nach 10, will die Presse Antworten. Wir liefern sie, müssen es. Danach: Erste Erklärungsversuche. Skizzen für die Wahlauswertung. Terminplanung. Wo und wie werden wir über die Ergebnisse reden? Und die Erkenntnis: Wir haben keine Zeit zum Überlegen. Eine Politik, die stets schon die richtigen Antworten geben soll, wenn die Frage noch gar nicht greifbar ist, geht in der Hektik des politisch-medialen Betriebs unter. Kommuniziert an der Realität vorbei. Wir müssen reden. Nicht nur in der Partei. Sondern auch über Erwartungen der Öffentlichkeit an die Politik. Sonst werden wir uns weiter fremd sein.


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Leserbriefe Zu „Der gelernte Bär tanzt für jeden, der ihn füttert“ (Links! 08/2017, S. 5)

Kenne Frank Richter als gebildeten und toleranten Menschen Horst Schneider fragt in seiner Polemik gegen Frank Richter: „Wer ist denn alles der Überzeugung, dass seine ‚prinzipielle‘ Teilnahme an der Politikgestaltung erwünscht ist?“ Ichmelde mich hiermit zu Wort und sage „ich!“. Begründung: Ich habe Frank Richter als einen aufrechten, sich für seine Überzeugungen einsetzenden und arbeitenden Menschen kennen gelernt. Ganz sicher teile ich nicht alle seine Ansichten und finde nicht alles, was er macht und gemacht hat als mit meinen Überzeugungen übereinstimmend. Aber Frank Richter ist ein gebildeter und toleranter Mensch. Als solcher ist er mir immer begegnet. Im Mai 2016 bin ich einen Gutteil der von ihm initiierten Friedensfahrt mitgefahren. Das war ein schönes Erlebnis der Erinnerung an die DDR, eine Erlebnis kulturvoller, oft kontroverser Diskussionen, des Zusammenführens von Generationen und friedenspolitischer Bildung. Wir besuchten während der Fahrt sehr verschiedene Einrichtung des Gedenkens an Kriege und Friedensschlüsse. Wir erlebten soziales Engagement als praktische Friedensarbeit in der Gesellschaft. Dass zu den Besuchten auch die Bundeswehr gehörte, gefiel mir nicht, bot jedoch schließlich die Gelegenheit, die Auffassungen hochrangiger Militärs mit der Realität zu vergleichen. Übrigens wechselte Herr Richter vom katholischen Priester zu den Altkatholiken und nicht zu den Protestanten.

die für die Forderung des Volkes eintraten. In mächtigen Demonstrationen der Volksmassen und revolutionären Soldaten wurde der Sturz der provisorischen Regierung gefordert. Die Lage spitzte sich zu, als regierungstreue Truppen unter Führung des Generals Kornilow den letzten Versuch unternahmen, das Blatt zu wenden. Nach der Niederschlagung des Putsches reifte der entscheidende Punkt der Revolution heran. Am 24. Oktober begann der bewaffnete Aufstand und am 25. war die provisorische Regierung verhaftet und die Macht in den Händen der Revolutionäre. Die Revolution hatte gesiegt. Doch Lenin war sich bewusst, dass Russland allein, umgeben von kapitalistischen Staaten, sich nur schwer behaupten wird. Er rechnete fest mit einer erfolgreichen deutschen Revolution. Doch durch den Verrat der sozialdemokratischen Führer und die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurde die sozialistische Revolution abgewürgt. Die reaktionären Kräfte wirkten in der Weimarer Republik weiter. In deren Schoß gedieh der Keim für NaziDeutschland. Ein sozialistisches Deutschland zusammen mit Sowjet-Russland hätte mit Sicherheit den Nazispuk verhindert und der Welt den 2. Weltkrieg erspart. So musste sich Sowjet-Russland bis in die 20er Jahre gegen die ausländischen Interventen behaupten und mit dem

Machtantritt des deutschen Faschismus erwuchs eine neue Bedrohung. Im Jahre 1941 überfiel Deutschland unter Bruch des Nichtangriffsvertrages die UdSSR. Unter gewaltigen Anstrengung und großen Opfern besiegte die UdSSR das faschistische Deutschland. Die weltweite Ausstrahlung dieses Sieges führte zur Herausbildung des sozialistischen Weltsystems, viele Kolonialsysteme brachen zusammen und es entstanden fortschrittliche Nationalstaaten. Die konsequente Friedenspolitik der sozialistischen Staaten bewahrte die Welt 45 Jahre vor einem neuen Weltkrieg. Doch diese Entwicklung war nicht im Sinne des Imperialismus. Bald nach Kriegsende gingen die westlichen Partner der Anti-Hitler-Koalition auf Konfrontation zur Sowjetunion und dem sozialistischen Lager. Der nun folgende Rüstungswettlauf schwächte den Sozialismus und führte, verbunden mit inneren Defiziten und Fehlentwicklungen, nach 70 Jahren zum Zusammenbruch des europäischen Sozialismus. Die Friedensperiode zur Zeit des sozialistischen Weltsystems wurde abgelöst durch eine Epoche imperialistischer Kriege, die bis heute anhält. Das zeigt deutlich, dass nur der Sozialismus der Welt eine friedliche und glückliche Zukunft gewähren kann. Schon deutet sich ein neuer Aufbruch an, dieses Mal

auf dem amerikanischen Kontinent. Der rote Oktober hat gezeigt, dass eine Welt ohne Kapitalismus möglich ist. Dies ist sein bleibender Verdienst und wird die künftigen Revolutionäre beflügeln. • Wolfgang Kronschwitz, Radeberg Zu „Vom EU-Rüstungshaushalt zur Aufrüstung Europas“ (Sachsens Linke! 09/2017, S. 11)

Will die Bevölkerung keinen Frieden? Die EU will ihre Wirtschaftspolitik und Geflüchtetenbekämpfungspolitik auf Kosten anderer Menschen und Länder durchsetzen. Ist es da ein Wunder, wenn sie dafür auch ihre Militärausgaben und -fähigkeiten erhöhen? Wofür dient der Hinweis auf die mangelnden „Kontrollbefugnisse des EU-Parlamentes“? Zeigt nicht auch der Bundestag, dass die meisten Abgeordneten keine Kontrolle ausüben, sondern diese Militarisierung akzeptieren? Oder sollte einfach nur darauf hingewiesen werden, dass auch in diesem Bereich die EU antidemokratisch nur im Interesse der wirtschaftlich Mächtigen aus der Rüstungsindustrie und bei der militärischen Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen handelt? Sollten wir wirklich fragen, welche Militärpolitik am effizientesten ist oder uns mit allen Mitteln dafür einsetzen, damit möglichst viele Menschen sich gegen die Militärpolitik wehren? Will nicht die Bevölkerung Frieden, benötigt aber Ermutigung und Unterstützung, um auch entsprechend zu handeln? • Uwe Schnabel, Coswig

• Prof. Dr. Peter Porsch

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100 Jahre Oktoberrevolution – Morgenröte einer neuen Menschheitsepoche

Im April 1917 traf Lenin mit seinen Mitkämpfern in Petrograd ein. Von nun an wurde Lenin mit seinen Bolschewiki die führende Kraft der Revolution. Es gelang, in den Sowjets den Einfluss der Menschewiki und Sozialrevolutionäre, die mit der Regierung paktierten, zurück zu drängen. In den Volksmassen wuchs die Erkenntnis, dass die Bolschewiki die einzige Kraft waren,

Karikatur: Heinrich Ruynat

Im Vorwort zur 2. russischen Ausgabe des Kommunistischen Manifests von 1882 äußerten Marx und Engels die Möglichkeit, dass die russische Revolution das Signal einer proletarischen Revolution im Westen wird und sich beide einander ergänzen. 25 Jahre später schien sich diese Prognose zu erfüllen. Nach dem Sieg der Februarrevolution 1917 und der Abdankung des Zaren kam es zunächst zu einer Doppelherrschaft der Sowjets der Arbeiter, Soldaten- und Bauerndeputierten und der provisorischen Regierung.

Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­lage von 10.950 Explaren gedruckt. Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt, Ralf Richter, Stathis Soudias. Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, pixelio, iStockphoto Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Telefon 0351-8532725 Fax 0351-8532720 Redaktionsschluss: 25.09.2017 Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 01.11.2017.


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Nachdenklich auswerten, kämpferisch um neue fortschrittliche Mehrheiten streiten Jahrelang haben die Medien über unserer Partei geschrieben, sie sei überaltert und eine reine Regionalpartei mit schwindenden Zukunftsperspektiven. Nun haben wir bei dieser Bundestagswahl deutlich gezeigt: Wir sind eine bundesweite Partei, die sogar im konservativen Süden der Republik zulegen kann. Wir haben eine halbe Million Wähler dazu gewonnen und wir schneiden bei den Jüngeren besonders gut ab. 11 Prozent der Unter-35Jährigen haben uns bundesweit gewählt. Das zeigt, dass wir eine Partei mit guten Zukunftsaussichten sind. Und doch hatten wir am Wahlabend sehr gemischte Gefühle. Das lag zum einen an den Verlusten im Osten, in Sachsen zudem konkret am Verlust zweier Mandate und dem damit einhergehenden schmerzhaften Kompetenzverlust. Und zum anderen daran, dass diese Wahlergebnis Ausdruck einer gesellschaftlichen Rechtsverschiebung ist. Ganz besonders in Sachsen. Das Mitte-Links-Lager kommt im Bund zusammen auf weniger als 40 Prozent. Auch in unserer Partei sind wir nicht davor gefeit, Wahlergebnisse reflexhaft zu analysieren. So war es in der Vergangenheit gelegentlich zu beobachten, dass die Wahlergebnisse als klares Plädoyer für einen Oppositionskurs interpretierte, wer schon immer gegen eine Regierungsbeteiligung war. Und

wer eher reformerisch orientiert ist, zog die gegenteiligen Schlussfolgerungen. Angesichts der fundamentalen Rechtsverschiebung sind all diese Reflexe nicht angebracht. In Berlin, wo wir regieren, haben wir das beste Wahlergebnis geholt. In anderen Ostländern hingegen haben wir deutlich verloren. Schnelle Antworten bringen uns nicht weiter Gerade in Sachsen sollten wir zusammen beraten, wie wir wieder im ländlichen Raum stärker werden können. Hier ist unsere kollektive Weisheit gefragt. Schnelle Antworten, die darauf abzielen, man müsse nur das unterlassen, was uns in den urbanen Räumen gestärkt hat, bringen uns da nicht weiter. Denn wenn wir unsere klare Haltung gegen rechts aufgeben, könnten wir ganz schnell bei all jenen verlieren, die deshalb zu uns gekommen sind. Dass wir im Gegenzug im ländlichen Raum dadurch gewinnen, ist höchst fraglich. Mein erster Eindruck ist: Es gibt kein Allheilmittel, keine Abkürzungen. Eher braucht es ein Zusammenspiel verschiedener Aspekte. Zum einem wirkliche Präsenz vor Ort, das beständige Suchen des direkten Gesprächs. Sei es mit Haustürbesuchen oder mit Formaten, wie wir sie mit dem Roten Wohnzimmer ausprobiert haben. Im Wahlkreis von Sören Pellmann, dem ich herzlich zu dem Direktmandat gra-

tuliere, ist es offensichtlich gelungen, ganz unterschiedliche Milieus anzusprechen, von jungen Alternativen bis hin zu Plattenbau-Bewohnern. Diese positiven Erfahrungen sollten wir uns daraufhin anschauen, was wir daraus lernen können. Konservative Hegemonie in Frage stellen Zudem müssen wir die Aufmerksamkeit (nicht nur die mediale) stärker auf unsere Auseinandersetzung mit der CDU lenken. Die gesellschaftliche Kontroverse muss wieder stärker zwischen den konservativen und den sozialen Kräften stattfinden. Erinnern wir uns: Kurz nach der Nominierung von Martin Schulz sah es kurzzeitig nach einem wirklichen Duell zwischen Merkel und Schulz, zwischen dem Weiter-so und einer Alternative links zu Merkel aus. In diesem Zeitpunkt ging der Zuspruch für die AfD und ihre Themen nach unten. Und je deutlicher wurde, dass die SPD eher als eine Variation denn als wirkliche Alternative zu Merkel antritt, desto mehr rückte die AfD wieder in den Fokus. Auf Sachsen übersetzt heißt das: Wir müssen die Auseinandersetzung zwischen der LINKEN und der CDU wieder zuzuspitzen. Denn in Sachsen sind wir die Herausforderer. Doch kommen wir nochmal zu den Erfolgen dieser Wahl. Daran haben viele

mitgewirkt. An dieser Stelle möchte ich vor allem all den vielen ehrenamtlichen Wahlkämpfenden und den Mitarbeiter*innen danken. Ohne Euren Einsatz wäre all das nicht möglich gewesen. Ihr seid die Heldinnen und Helden unserer Kampagne. 77 Prozent unserer Wähler*innen gaben an, dass unsere Inhalte und Sachlösungen ausschlagend für ihre Entscheidung waren. Das ist auch ein Kompliment an unsere inhaltliche Arbeit im Bund. Vor uns liegen einige Herausforderungen. Zunächst gilt es, mit aller Geschlossenheit den Wahlkampf in Niedersachsen zu unterstützen. Die Wahlergebnisse müssen wir mit aller Nachdenklichkeit auswerten. Die vielen Neumitglieder wollen wir herzlich willkommen heißen, auf dass sie sich fest in unserer Partei verankern. Im Bund werden wir eine kämpferische Opposition für soziale und ökologische Gerechtigkeit und für Friedenspolitik sein. Und selbstverständlich werden wir die Lobby für den Osten bleiben. Die AfD hat in uns einen entschiedenen Gegner. Auch wenn unterm Strich diese Wahlen an die gesellschaftliche Rechte gingen, wir werden uns damit nicht abfinden. Wir kämpfen weiter um andere Mehrheiten, um fortschrittliche. • Katja Kipping, Bundesvorsitzende

Der Ungeist der Evaluierung Oft werden Verleger zu Autoren ihres eigenen Verlages. Das trifft auch auf den Leipziger Joachim Jahns zu, der sich mit dem Dingsda-Verlag für ostdeutsche Literatur engagiert. Welche Risiken sich damit verbanden, zeigte sich zum Beispiel, als er die Autobiographie „Ein ganz gewöhnliches Leben“ von Lisl Urban veröffentlichte. Der an der Liquidierung des Warschauer Ghettos beteiligte SS-Haupt-Sturmführer Erich Steidtmann strengte eine Klage an, um das Buch verbieten zu lassen. Als kenntnisreicher, den Fakten akribisch nachspürender Autor erwies sich Jahns seither mit Büchern wie „Der Warschauer Ghettokönig“, „Erwin Strittmatter und die SS, Günter Grass und die Waffen-SS“ und „Erwin Strittmatter und der böse Krieg“. Auch in seinem neuen Band bewährt sich seine Fähigkeit, vielschichtige Lebenssituationen aufzubrechen. Den Anstoß zu seiner Recherche gab ein Brief, der ihn Anfang 2011 erreichte. Die Absenderin war ihm aus früheren Begegnungen als ehemalige Palucca-Schülerin bekannt. Beim Sichten des Archivs ihres verstorbenen Mannes habe sie eine Akte mit der Aufschrift „Evaluierung“ gefunden. Darin seien akribisch die Vorgänge seiner Entlassung bzw. seines Rausschmisses als leitender Professor festgehalten. Es seien Do-

kumente, die eine genaue Darstellung der Vorgehensweise in den 1990er Jahren zeigten. Sie fragte Jahns, ob er sich vorstellen könne, dieses Material „als sachliche Darstellung anhand von Dokumenten, kurzen Kommentaren und einer entsprechenden Einleitung zwischen zwei Buchdeckel zu bringen“. Bei dem Betroffenen handelte es sich um den international anerkannten Wissenschaftler Wolfgang Kirsch, Professor für Latinistik und Direktor der Sektion Orient- und Altertumswissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er war der jüngere Bruder des Dichters Rainer Kirsch. Dessen Ex-Ehefrau, die Lyrikerin Sarah Kirsch, war 1977 in die BRD ausgereist. Klar, dass auch den beiden Dichtern Jahns Interesse gilt. Die ihnen gewidmeten Kapitel, beispielsweise zum persönlichen Besuch bei Rainer Kirsch ein Jahr vor dessen Tod und ein faktengesättigtes Porträt über die junge Sarah, zeichnen sich durch einen hohen Informationswert aus. Im Mittelpunkt der zeitgeschichtlichen Recherche steht indes die Verleumdungskampagne, der sich Wolfgang Kirsch nach 1990 ausgesetzt sah. Sie mündete in die rechtsstaatlich fragwürdige Evaluierungsprozedur und stürzte ihn in eine existenzielle Krise, die ihn bis zu seinem Tod nicht ruhen ließ. Ähn-

liches mussten tausende DDR-Bürger seinerzeit über sich ergehen lassen. Selten aber dürfte so prägnant auf den Punkt gebracht worden sein, wie jene Unrechtmäßigkeiten inszeniert wurden und wer sich zu Helfershelfern machte. Da tritt auch zutage, welche Rolle die „Personalkommissionen“ spielten Mit Sorgfalt zeichnet Jahns anhand lückenloser Quellennachweise alle Zumutungen nach, denen sich Kirsch ausgesetzt sah. Nicht nur, dass seine

rechtmäßige Berufung zum Sektionsdirektor in Frage gestellt und seine persönliche Integrität beleidigt wurde. Auch das Gerücht wurde gestreut, er sei „Offizier der Stasi“ gewesen. Immer wieder entlarvt Jahns jedoch auch die Selbstlügen derer, die über Wolfgang Kirsch zu Gericht saßen und an ihren Nachwende-Karrieren bastelten. Einer der Beflissenen: Johannes Mehlig, der als „verlängerter Arm des FDP-Ministers Rolf Frick“ gilt, eines Mannes, der Andersdenkende öffentlich als „Ratten“ diskriminierte. Aber auch couragierte Solidarisierungen weiß der Autor zu würdigen. So erklärte der renommierte Tacitus-Forscher Reinhard Häußler, langjähriger Professor an der HeinrichHeine-Universität Düsseldorf, in einem Protestbrief seinen Austritt aus der Mommsen-Gesellschaft, als er miterleben musste, wie sich bei der „kollektiven Vereinigung“ eine Mehrheit als Sittenwächter aufspielte und ostdeutschen Wissenschaftlern von Rang, unter ihnen Wolfgang Kirsch, die Mitgliedschaft verweigerte. • Rudolf Scholz Joachim Jahns, Die Kirschs oder Die Sicht der Dinge, Dingsda-Verlag Leipzig, geb., 224 S., EUR 24,99


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DIE LINKE. Kreisverband Erzgebirge

Wahltour-Tagebuch Während wir diese Zeilen schreiben, „liegt“ der Wahlkampf in seinen letzten Zügen, es wird um jede Wählerstimme gekämpft und der Wahltag ist nicht mehr weit. Für Wahlkämpfer*innen spielt der Zeitfaktor eine große Rolle und die Einhaltung von Terminen ist nicht immer einfach. Also schreiben wir heute zum Redaktionsschluss schnell noch eine Seite unseres „Wahlkampftagebuchs“. Hinter uns liegen ein „heißer Sommer“ und wettertechnisch gesehen ein kühler September. Ins Erzgebirge hat es viele prominente Politiker*innen verschlagen. Die Regierungsparteien zeigten der Kanzlerin und weiteren Kabinettsmitglie-

Der Straßenwahlkampf mit Katja Kipping fiel leider im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser. Dafür war dann abends die „Ritter-Georg-Klause“ knüppelvoll und es gab keinen freien Stuhl mehr. Im Anschluss an unser Wählerforum gab es noch einen Schlagabtausch mit Vertretern andere Parteien bei der „Agenda Alternativ“.

Unsere beiden Kandidaten haben sich auf zahlreichen Podiumsdiskussionen gut „geschlagen“. Was uns aber am meisten zum Staunen brachte, waren Einladungen von Firmen und Gesprächsrunden mit den Geschäftsführer*innen.

Wir können nur raten, wie viele Briefkästen von unseren Genoss*innen sowie Unterstützer*innen und von uns gefüllt wurden. Unsere Plakatierungsteams haben im Erzgebirge für den richtigen Farbton gesorgt. Unser Kreisverband hat sich zahlenmäßig verstärkt und unsere Linksjugend war mittendrin. Sie hat ihre eigenen Akzente gesetzt und unsere beiden Kandidaten tatkräftig unterstützt.

Wir sind natürlich auch wieder mit „Links gewandert“ und haben erkundet, was aus dem Gelände der Landesgartenschau von 2015 geworden ist.

• Andrea Schrutek und Angela Hähnel

Aus dem Kreistag Per Fahrrad durchs Erzgebirge

Rico Gebhardt kochte mit Klaus Tischendorf in Olbernhau „Hack-ZucchiniPfanne“. Jörn Wunderlich „zauberte“ eine Kartoffelsuppe in Stollberg ohne Unterstützung vom Kochtourteam aus Dresden. Der Tourenbus der LINKEN Sachsen wollte wohl so kurz vor Wahlkampfschluss nicht mehr so richtig „mitspielen“.

Wir waren seit Mai auf allen Wochenmärkten im Landkreis zu Gast. Mancher Händler begrüßte uns schon herzlich und mit Handschlag, andere meinten, „nee, nicht schon wieder.“

dern die Schönheit des Erzgebirges. Auch wir hatten uns „hohen“ Besuch eingeladen. So zum Beispiel machte Caren Lay Eibenstock „unsicher“. Hier ging es um Kultur und Tourismus.

schlaf. Ab Mai 2018 geht es wieder auf Landkreistour!

Ein großes Dankeschön allen unseren fleißigen Wahlkampfhelfer*innen! Eines versprechen wir: Egal wie das Ergebnis am 24.9. ausgegangen ist, wir gönnen unseren Infotheken, Sonnenschirmen, Pavillons und dem Straßencafé nicht mehr als einen Winter-

0,75 Kilogramm Papier – das war die Vorlage zur Kreistagssitzung am 20. September mit dem Titel Radwegkonzeption, einschließlich eines Bestandsverzeichnisses. Rund 160 beschilderte Routen mit einer Länge von etwa 3.000 km werden als touristische Radrouten beschrieben. Für jeden Anspruch ist etwas dabei. Für uns als Bürgermeister, die wir den Radwegebau umsetzen wollen, ist die Konzeption eine wichtige Voraussetzung, um Fördermittel beantragen zu können – sofern wir die nötigen Eigenmittel zur Verfügung haben. Es muss das Ziel sein, attraktive Routen und Wege zu schaffen, um unseren Einwohnern eine aktive Freizeitgestaltung zu ermöglichen. Darüber hinaus locken wir damit Gäste in unsere Region und können so auch touristisch punkten. In der Konzeption finden sich auch zahlreiche neue Radwegprojekte der Stadt Lugau wieder. Neben dem reinen Ausbau der Radwege beschäftigen wir uns auch intensiv mit dem Umfeld. Zukünftig sollen Erlebnisradwege entstehen, welche den Nutzern neben dem Radfahren noch andere vielfältige Möglichkeiten bieten. • Thomas Weikert, Bürgermeister in Lugau

72. Tag der Mahnung und Erinnerung Auch in diesem Jahr haben wir zum 72. Tag der Mahnung und Erinnerung wieder eine Delegation aus der tschechischen Republik in Schwarzenberg begrüßen können. Die Genossen haben am Sonntagmorgen den Weg aus der Region Plana/Pistov sehr früh auf sich genommen. Um 10 Uhr trafen wir uns zusammen mit Genossen aus dem Koordinierungsrat Aue-Schwarzenberg am Denkmal für den Widerstandskämpfer Ernst Schneller. Unser Kreisvorsitzender Klaus Tischendorf erinnerte in einer eindrucksvollen Rede an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte. Nach der Kranzniederlegung führte uns unser Weg an das Ehrenmal des unbekannten sowjetischen Soldaten in Schwarzenberg. Hier haben wir still der Opfer der Sowjetarmee gedacht. Ein Besuch des Eisenbahnmuseums Schwarzenberg

und ein gemeinsames Essen rundeten den Tag ab. Besonders habe ich mich gefreut, als ein tschechischer Genosse einige Fotos aus seiner Zeit an der Jugendhochschule „Wilhelm Pieck“ aus dem Jahr 1973/74 zeigte. Als ich ihm sagte, dass ich 1988/89 die Schule besucht habe, war die Freude auf beiden Seiten groß. Was mich auch in diesem Jahr wieder ärgerte, ist der Fakt, dass dieser Tag immer mit dem „Tag des offenen Denkmals“ zusammenfällt. Auf Grund dieser Überschneidung ist der „Tag der Mahnung und Erinnerung“ in den Medien nicht präsent, obwohl beide Tage bundesweit stattfinden. Für mich stellt sich immer wieder die Frage, ob genau das staatliche Verdrängungskultur ist. • Holger Zimmer


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DIE LINKE. Kreisverband Zwickau

Wir sagen DANKE! Am 27. September tagte der Kreisvorstand gemeinsam mit den Ortsvorsitzenden, um über den Ausgang der Bundestagswahl zu beraten. Ein großer Dank geht an alle Genossinnen und Genossen sowie Sympathisanten, die im zurückliegenden Wahlkampf in allen Orten des Landkreises für unsere Partei geworben haben. Infostände, Plakatierung, Steckaktionen und vieles mehr – ohne das Engagement unserer Wahlkampfhelferinnen und Wahlkampfhelfer wäre dies alles nicht möglich gewesen.

on in Berlin stark vertreten. Wir freuen uns über ihren Wiedereinzug. Jörn Wunderlich ist der der Sprung ins Parlament leider nicht gelungen. Damit verliert die Fraktion einen anerkannten Familienpolitiker und Juristen. Wir danken ihm für die in 12 Jahren geleistete Arbeit für unsere Region und unsere Bundestagsfraktion.

Jetzt gilt es, die Wahlergebnisse in Ruhe und lösungsorientiert zu analysieren. Wir werden uns an den nun beginnenden Diskussionen konstruktiv beteiligen, aber auch darauf drängen, dass es nicht beim Reden bleibt, sondern den Worten konkrete Taten folgen. • Sandro Tröger, Kreisvorsitzender

DIE LINKE Glauchau spendete Hauptgewinn

• Mike Hirsch, Glauchau

Franz Sodann in Wilkau-Haßlau

Inzwischen ist es gute Tradition geworden, dass zu den Mitgliederversammlungen in Wilkau-Haßlau Abgeordnete aus Bundes- und Landtag oder Mitglieder des Landesvorstandes eingeladen werden. Das werden wir auch im kommenden Jahr beibehalten. Am 20. September durften wir Franz Sodann, den kulturpolitischen Sprecher unserer Landtagsfraktion, begrüßen. Sehr anschaulich gewährte er uns einen Blick in seine parlamentarische Arbeit und erläuterte, welche Anträge gestellt wurden und wie die Koalition reagierte. Denn auch wenn unsere Anträge seitens der Koalition abgelehnt wurden, kann es vorkommen, dass die Koalition kurze Zeit später einen nahezu identischen Antrag einbringt. Verrückt, aber auch so kann man als Opposition die Regierung vor sich hertreiben und mit viel Hartnäckigkeit und langem Atem kleine Erfolge erringen. Was auffiel: Franz spricht mit einer Leidenschaft von seiner Tätigkeit als Abgeordneter, die schlicht ansteckend ist. Davon sollten wir lernen, denn mit Begeisterung erreicht man Menschen!

Mit Sabine Zimmermann zieht eine ausgewiesene Sozialpolitikerin wieder in den neuen Deutschen Bundestag ein. Sie wird die Interessen der Regi-

Der Stand der Glauchauer Stadtratsfraktion der LINKEN hat zum diesjährigen Spieletag der Stadtwerke Glauchau den 1. Platz belegt und den Hauptpreis von 425 Euro gewonnen. Unterstützt wurde die Fraktion dabei vom Ortsverband der LINKEN. Der Gewinn wurde gespendet – am 20. September übergaben wir beim Infostand der LINKEN auf dem Glauchauer Marktplatz drei symbolische Schecks an drei regionale Vereine: Je 150 Euro gehen an den Familienentlastenden Dienst Glauchau e.V. und an den Hospizverein Erzgebirgsvorland. 125 Euro gehen an den Verein „Freunde und Förderer für lernbehinderte Meeraner“. So landet das Geld an den richtigen Stellen und findet eine sinnvolle Verwendung.

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Wir sagen herzlichen Dank für diesen tollen Abend und freuen uns auf die nächste Veranstaltung mit Frans Sodann, die es mit Sicherheit geben wird. • Steffi Müller, Ortsvorsitzende

Termine 18. Oktober 2017, 18 Uhr Wahlauswertung in Wilkau-Haßlau, Kleingartenanlage Am Schmelzbach. Mit Stefan Hartmann, stellvertretender Landesvorsitzender. 4. November 2017, 9:30 Uhr Gesamtmitgliederversammlung des Stadtverbandes Zwickau mit Neuwahl des Vorstands. Café mit Herz, Zwickau-Eckersbach. 9. November 2017 Gedenken an die Reichsprogromnacht: 15 Uhr Jüdischer Friedhof Zwickau, 16 Uhr Georgenplatz in Zwickau, 17 Uhr Putzen von Stolpersteinen in Zwickau. 11. November 2017, 9:30 Uhr Gesamtmitgliederversammlung des Ortsverbandes Crimmitschau mit Neuwahl des Vorstands. Gaststätte Goldene Säge.


Sachsens Linke! 10/2017

Ein Wahlkampf voller Höhen und eine Wahl mit Tiefen! Direktkandidat Tilo Hellmann zieht Bilanz „Was soll man zum Ausgang der Wahl sagen?“ Das schrieb ich am Wahlsonntag auf meiner facebook-Seite. Auch heute fällt mir eine Antwort schwer. Licht und Schatten fließen ineinander. Zuerst zum Licht! Wir haben einen tollen Wahlkampf hingelegt. Alle Genoss-Innen haben sich nach ihren Möglichkeiten persönlich oder finanziell eingebracht. Es ist uns gelungen, neue Mitglieder zu gewinnen und SympathisantInnen zu begeistern. Die Reaktionen bei Infoständen und Aktionen waren bis auf wenige Ausnahmen positiv, selbst Unentschlossene konnten wir überzeugen. Bereits im März starteten wir in Kreis und Land mit der Vorbereitung der Bundestagswahl. Im Rahmen unserer Pflegetour im April und ebenso intensiv in den Folgemonaten stellten wir uns den Fragen bei unseren Straßencafés und Infoständen. Der erste große Höhepunkt erwartete uns im Mai mit dem Besuch Sahra Wagenknechts in Meißen. Es folgten zahlreiche Podiumsdiskussionen und öffentliche Termine. Den Wahlkampf nutzen wir auch, um mit AkteurInnen aus Verwaltung, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft ins Gespräch zu kommen, oft mit der Rückmeldung, dass

ich der erste Kandidat sei, der sich gemeldet hat. Wir gingen aber auch neue Wege, um wahrgenommen zu werden. So machten wir eine Wahlkampfradtour durchs Elbland und gingen mit der linksjugend [‘solid] mit Fahnen bewaffnet auf der Elbe paddeln. Den Abschluss markierte die Trucktour in Meißen u.a. mit Katja Kipping. Tief im Schatten liegt aus sächsischer und auch Meißner Sicht das Ergebnis der Wahl. Unser Abschneiden und der Erfolg der AfD können uns trotz des bundesweiten Zugewinns und der Erlangung eines Direktmandats in Leipzig nicht glücklich stimmen. Viele Menschen sind unzufrieden mit ihrer Lebenssituation, sahen jedoch in uns keine Partei, mit der man es den Herrschenden so richtig heimzahlen kann. Es ist zwar schön, dass die LINKE als ernste politische Kraft gesehen wird, jedoch müssen wir damit auch akzeptieren, dass uns ein gewisses Protestpotenzial verloren geht. Wir haben hier alle sowohl auf kommunaler, Landesund Bundesebene viel zu tun, die AfD konstruktiv zu entzaubern und den Menschen zu beweisen, dass wir die Kraft sind, die für soziale Gerechtigkeit und ein friedliches Miteinander steht.

Ach nee, Herr Tillich! „Hier hat sich etwas aufgestaut“, lässt uns Stanislaw Tillich über die Wahlerfolge der AfD und das Wahldebakel der Union wissen. Und dass er ratlos ist. Er wirkt wie Willi Stoph im Oktober 1989 vor der Kamera des Fernsehens der DDR, bei der Ankündigung eines Hochseedampfers mit Südfrüchten – während die Demonstranten in Leipzig und Dresden drohen: „Wir bleiben hier!“ Wir hätten Rat gewusst. Lange genug vor der Wahl. Aber er hat uns nicht gefragt. Verständlich, er hat eine Menge um die Ohren. Aber es hat offensichtlich auch niemand aus seiner Kanzlei unsere Veröffentlichungen gelesen. Weder über das Literaturfest und den Parteiaustritt seine Ex-Unionsfreundes Frank Richter noch auf Meißen-Watch über das Treiben seiner CDU-Freunde

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DIE LINKE. Kreisverband Meißen

in Meißen. Dort musste die AfD nicht extra werben. Das haben CDU-Stadträte und CDU-Landtagsabgeordnete miterledigt. Hat das den Ministerpräsidenten gestört? Das hätte er ja im Juli oder August sagen können. Oder nach Frank Richters Austrittserklärung. Auch der CDU-Kreisvorsitzende hatte nur Probleme damit, dass Richter sich so öffentlich erklärte. Die öffentliche AfD-Propaganda seiner Meißener CDUSchöpse und Schäfchen hat ihn jedoch nicht gestört. Jedenfalls hat er dazu keinen halbseitigen Leserbrief in die Sächsische Zeitung gesetzt, wie zu Frank Richters „Nestbeschmutzung“. Von AfD-Propaganda bleiben CDU-Nester ja anscheinend auch „sauber“. • Reinhard Heinrich

Kurz gemeldet Museumsbesuch mit Folgen Großenhain hat ein kleines Museum. Ich kenne es seit meiner Kindheit unter der Bezeichnung „Heimatmuseum“. Später wurde die Bezeichnung konkretisiert. Jetzt ist es als „Alte Lateinschule“ bekannt. Als Linksfraktion im Großenhainer Stadtrat hatten wir uns schon lange vorgenommen, es zu besuchen. Sicher ist das auch der Tatsache geschuldet, dass wir richtige „Museumsfans“ unter uns haben, etwa Karlheinz Becker und Maria Reinisch. Anlass des Besuchs unserer Fraktion war die Ausstellung zur Geschichte der DDRKinderzeitschrift „Fröhlich sein und singen“. Mit viel Detailtreue und Liebe, mit Begeisterung und ohne Verklärung wird die Ausstellung noch bis zum 15. Oktober präsentiert. Die „Frösi“ hat unsere Kindheit mitgeprägt – aber auch unsere heutigen „Handy-Kids“ würden über manchen Ideenreichtum staunen. Besonders erwähnenswert ist die Präsentation auf Tafeln in leichter Sprache – ein echtes Signal in Richtung Inklusion! Dies war ein erster Ansatzpunkt im Gespräch mit Museumsleiter Dr.

Schulze-Forster. Wir LINKE verfügen über gute Kontakte zu sozialen Einrichtungen – sie könnten das Potential der „Alten Lateinschule“ viel stärker nutzen als bisher. Den Startschuss könnte unsere nächste Rollstuhlwanderung geben. Unser Ortsvorstandmitglied Hans-Peter Bruns unterbreitete den Vorschlag, mit Betrieben Kontakte aufzunehmen. Was mit der Ausstellung zur Lautex und Textima möglich war, könnte auch mit der Stema funktionieren. Als Gesteinsexperte machte er auf Sammlungen aufmerksam, die genutzt werden könnten. Einen weiteren Schwerpunkt bildeten die räumlichen Bedingungen des Museums. Nachdem vor Jahren der Traum von einen „Millionen-Objekt“ für ein neues Museum geplatzt war, darf es aber nicht sein, dass nun (fast) gar nichts passiert. Kerstin Lauterbach sagte die Unterstützung der LINKEN im Stadtrat zu.

ren Faun jedoch behalten. Deshalb wurde die Idee geboren, ein AchtStunden-Schwimmen durchzuführen. Für jede geschwommene Bahn fanden sich Sponsoren, die für den Erhalt des Faun ein paar Euro locker machten. Die Fraktion der LINKEN im Großenhainer Stadtrat steuerte zwanzig geschwommene Bahnen bei. Ein lustiges Spektakel für eine gute, kommunale Sache!

Neue Veranstaltungsreihe Von der Veranstaltungsreihe „Kaffee-Kuchen-Politik“ hat man schon viel Gutes gehört. Grund genug, in Großenhain Ähnliches zu versuchen. Unter dem Motto: „Landtag aktuell“ lud Kerstin Lauterbach in ihr Büro ein. Als „Sahnehäubchen“ gab es einen kleinen Imbiss aus einheimischer Produktion, diesmal Kuchen eines Großenhainer Bäckers. Das Interesse hielt sich noch in Grenzen, aber wir lassen uns nicht entmutigen. Beim nächsten Mal gibt es Großenhainer Eierlikör. Der soll schon Udo Lindenberg geschmeckt haben. Da kommen sicher ein paar Leute mehr. Aus einem anderen Blickwinkel Es ist schlimm, das es im reichen Deutschland Tafeln geben muss. In Großenhain wird sie durch die Diakonie betrieben. Zu dieser Einrichtung gibt es guten Kontakt. Auch aus dem „Spendentopf von links“ der Landtagsfraktion kam schon Unterstützung. Bei der Spendenübergabe anlässlich eines Frühstücks, das Kerstin Lauterbach den ehrenamtlichen Helfern spendierte, wurde die Idee geboren, den Perspektivwechsel bei der Tafel durchzuführen. Gesagt, getan: Im August trat Kerstin Lauterbach ihren Dienst pünktlich an und wurde für die Obstausgabe eingeteilt. Der Vormittag verging wie im Fluge und manche Wahlwerbung wechselte bei dieser Gelegenheit den Besitzer.

DIE LINKE mittendrin, wenn das Wasser auch bis zum Hals stand Der „Großenhainer Faun“ ist ein Original. Die Steinfigur im Großenhainer Naturbad kennt hier jeder. Leider ist sie mehrfach dem Vandalismus zum Opfer gefallen. Die Stadt will ih-

• Harald Kühne (Texte und Bilder)


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DIE LINKE.Kreisverband Bautzen

10/2017 Sachsens Linke!

Fahrt zu KZ-Gedenkstätten muss Standardprogramm an Schulen werden schend, und in jedem Fall mehr als besorgniserregend.

aus diesem Bereich im ganzen Freistaat; der Landkreis liegt damit an der Spitze der Flächenlandkreise, nur hinter Dresden (144 Straftaten) und Chemnitz (106). Laut Kerstin Köditz ist davon auszugehen, dass sich die Zahlen noch erhöhen werden, da

Was ist zu tun? Erstens darf das Problem nicht weiter geleugnet werden. Die Verantwortungsträger im Landkreis sollten es zukünftig unterlassen, in verurteilten, rechtsextremen Straftätern Gesprächspartner zu sehen und sie dadurch aufzuwerten und zu legitimieren. Im Gegenteil: Die demokratischen Kräfte im Landkreis müssen gestärkt werden. Mein zentraler Punkt ist aber: Politische Bildung in der Schule, Aufklärung und Demokra-

Foto: Clark & Kim Kays/ flickr.com / CC BY-NC-ND 2.0

„Es darf nicht länger geleugnet werden: rechte Gewalt ist leider ein Problem im Landkreis Bautzen.“ Das war meine Reaktion auf neue Zahlen zu rechten Straftaten in Sachsen im ersten Halbjahr 2017, die von der Landtagsabgeordneten Kerstin Kö-

ditz veröffentlicht worden sind. Demnach gab es im ersten Halbjahr 2017 im Landkreis Bautzen insgesamt 92 Straftaten aus dem Bereich Rechts. Das sind 9,5 Prozent aller Straftaten

erfahrungsgemäß weitere Straftaten mit Verzögerung in den Bereich Rechts einsortiert werden. Bautzen ist ein „Hotspot“ rechter Straftaten in Sachsen. Das ist leider nicht überra-

Spende an die Arbeitslosenselbsthilfe in Kamenz übergeben

tieerziehung sind der Schlüssel, um rechter Ideologie den Nährboden zu entziehen. Ich finde, der Besuch von KZ-Gedenkstätten muss selbstverständlicher Teil schulischer Bildung sein. Die Initiative „Wider das Vergessen“ in Hoyerswerda ist hier ein gutes Beispiel und kann Vorbild für andere Teile des Landkreises sein. Wünschenswert wäre natürlich auch eine bessere Aufklärungsquote bei rechten Straftaten. Rassismus und Gewalt darf eine Gesellschaft nicht dulden. • Caren Lay

Kreistagsmehrheit erwies dem Kreis Bautzen einen Bärendienst Der Bautzener Kreistag hat entschieden, den Vizelandrat Udo Witschas nicht seines Amtes zu entheben. Ich bin enttäuscht über diese Entscheidung, denn Witschas hat sich schwerwiegende Verfehlungen zuschulden kommen lassen. Schon die Entscheidung, keine Fernsehkameras bei der ohnehin öffentlichen Kreistagssitzung zuzulassen, sagt viel über das Demokratieverständnis der Mehrzahl der Kreistagsmitglieder aus, insbesondere über jene mit CDU-Mandat. Offensichtlich gilt die Devise „Glasnost war gestern“. Witschas‘ Argumentation, er habe zur Deeskalation beigetragen wollen, überzeugt mich nicht. Schon vor knapp einem Jahr, nach der damaligen Hetzjagd auf Ausländer in Bautzen, erwiesen sich die damaligen Versuche der Landkreis- und Stadtspitze mit Nazis zu reden oder zu verhandeln als untauglich, die Lage zu entspannen. Es ist auch nicht zu erwarten, dass eine Partei wie die

NPD, deren politisches Konzept auf die Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung ausgerichtet ist und verfassungsfeindliche Ziele beinhaltet (vgl. Urteil des BVerfGE vom 17.01.2017-2BVB1/13), ein zuverlässiger Verhandlungspartner für demokratische Parteien sein will! Gerade von der Zuspitzung der Lage erwartet die rechtsradikale Szene „Wasser auf ihre Mühlen“. Das Verhalten von Udo Witschas ist daher entweder politisch naiv oder das Ergebnis einer problematischen Toleranz rechten Gedankengutes. Beides stellt seine Eignung als VizeLandrat in Frage. Das seiner Darstellung zu entnehmende Argument, quasi als Sozialarbeiter für NPD-Funktionäre deeskalieren zu wollen, gehört nicht zum Aufgabenbereich eines Vizelandrates. • Heiko Kosel, MdL

Schulsternwarte Bautzen muss erhalten bleiben

Im Auftrag der Abgeordneten der Landtagsfraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag übergab MdL Marion Junge am 25. August 2017 in Kamenz einen Scheck zur Unterstützung der Ehrenamtsarbeit. Aus dem „Spendentopf von Links“ wurden 200 Euro bewilligt, Marion Junge ergänzte die Spende um 100 Euro. „Ich freue

mich, dass unsere Spende direkt den Mitarbeiter*innen für die Vereinsfahrt in die Nudelfabrik Riesa zu Gute kommt. Wir möchten uns ganz herzlich für die wichtige ehrenamtliche Arbeit in der Kleiderkammer bedanken und wünschen weiterhin viel Erfolg, Unterstützung und gesellschaftliche Anerkennung“, so Marion Junge.

Im September habe ich auf Einladung des Fördervereins die Schulsternwarte Bautzen besucht. Die Einrichtung muss unbedingt erhalten bleiben! Bautzen ist der älteste Standort einer Schulsternwarte in Deutschland. Die Sternwarte und das Planetarium in Bautzen bieten Schülerinnen und Schülern eine wundervolle Gelegenheit, sich mit Astronomie zu beschäftigen. Dies ist umso wichtiger, nachdem die CDUgeführte Landesregierung vor zehn Jahren unglücklicherweise den Astronomieunterricht in der Schule abgeschafft hat. Zudem kann Bautzen

auf eine lange Tradition von Schulsternwarten zurückblicken. Ich setze mich für den Erhalt der Schulsternwarte ein. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur schulischen Bildung. Auch der Standort im Süd-Osten der Stadt ist gut geeignet, um den nächtlichen Sternenhimmel ohne störende Lichteinflüsse zu beobachten. Der Förderverein muss in die weiteren Planungen einbezogen werden. • Caren Lay


Sachsens Linke! 10/2017

Wenn man ihr spannendes Buch „Die Große Heimkehr“ liest, das überwiegend in Südkorea und in Japan spielt, bekommt man ein Bild vom südkoreanischen Antikommunismus. In Spanien wird immer wieder versucht, die Verbrechen des Spanienkrieges aufzuklären, doch konservative und rechte Kreise verhindern das. Sehen Sie in Südkorea Analogien zur spanischen Geschichte? Ja, absolut! Ich würde sogar sagen, dass der südkoreanische Antikommunismus vor allem in den Fünfzigern ein durch und durch typischer Antikommunismus für diese Zeit war. Die Praktiken in Südkorea unterscheiden sich, wenn man von regionalen Anpassungen absieht, etwa nicht von jenen in den USA. In Südkorea war die Situation wegen des Kriegszustands mit Nordkorea angespannter, doch in Europa ist der Antikommunismus in Form des Kalten Krieges tief verwurzelt. Aus dem Grund hat mich dieses Thema auch interessiert: Das, was sich in Südkorea abgespielt hat, hat sich an so vielen Orten weltweit zur gleichen Zeit in ähnlicher Weise abgespielt. Mir ist es sehr wichtig, Muster, Mechanismen nachzuzeichnen und aufzuzeigen. Das ist etwas, das gerade Literatur sehr gut leisten kann. Südkoreanische Kinder werden in der Schule kaum erfahren, welche Massenmorde und Folterungen in Südkorea stattfanden, insbesondere an Menschen, die man verdächtigte, kommunistischen Ideen anzuhängen. Dennoch scheint dieses Wissen vorhanden zu sein. Gibt es etwa eine „Untergrundliteratur“? 2005 rief Präsident Roh Moo-hyun die „Truth and Reconciliation Commission“

„Uninformierter Optimismus“

vogue ist, ganz bestimmt in der Literatur. Nur ja nicht zu viel Welt in die Literatur bringen. Zuerst kommt Deutschland, dann Europa, und danach erst „die Welt“. Aber nicht zu viel. Kim Jonguns verrückte Föhnfrisur reicht schon vollkommen. Zu verstehen, wie die Welt wirklich funktioniert, interessiert die meisten leider überhaupt nicht. Vielleicht gehört es ja zum europäischen Selbstverständnis zu glauben, die Welt tangiere Europa nicht, Europa stehe über der Welt? Ich hoffe nicht.

Die Korea-Krise gilt derzeit als größte Bedrohung des Friedens. Ralf Richter hat mit der in Südkorea geborenen Autorin Anna Kim korrespondiert. ins Leben, die Menschenrechtsvergehen gegen die Bevölkerung (beginnend mit der japanischen Kolonialzeit oder Besatzungszeit, wie die Südkoreaner diese 35 Jahre gerne bezeichnen) sowie die Rolle der USA im Koreakrieg untersuchen sollte. 2008 gewann Lee Myung-bak die Wahl, und Rohs Kommission wurde der Geldhahn zugedreht. Ihre Erkenntnisse wurden jedoch veröffentlicht. Von Untergrund kann also nicht die Rede sein. Es gibt in Südkorea Historiker, die echtes Interesse daran haben, diese Geschehnisse zu untersuchen und zur Sprache zu bringen. Leider sind sie in der Minderzahl. Es gibt immer wieder Lichtblicke im Verhältnis zwischen Nord und Süd. So hatte Präsident Kim Daejung die „Sonnenscheinpolitik“ eingeführt, mit dem Ziel einer Entspannungspolitik. Auch der neue südkoreanische Präsident scheint ein Mann des Ausgleichs zu sein. Welche Möglichkeiten hat er? Ich habe überhaupt den Eindruck, dass Moon Jae-ins Möglichkeiten sehr beschränkt sind. Das liegt nicht nur an einem korrupten südkoreanischen Geheimdienstapparat, der sich schon seit längerer Zeit gegen Reformen wehrt, das liegt vor allem an Nordkorea. Der Norden scheint nicht an einem Gespräch mit dem Süden interessiert zu sein. Und wieder einmal werden es die USA, China, Russland und Japan sein, die das Schicksal Koreas, beider Koreas, bestimmen werden. Das hätte nicht sein müssen. Süd- und Nordkorea hätten ihre Zukunft, vielleicht sogar eine gemeinsame Zukunft (nicht unbedingt als ein Land) selbst bestimmen können.

Diese Chance ist nun endgültig vergeben. Traurig. In Deutschland scheint die Vorstellung zu herrschen, ein Dritter Weltkrieg könne auf der koreanischen Halbinsel nicht beginnen, weil alle Beteiligten wissen, was auf dem Spiel steht. Teilen Sie diesen Optimismus? Ich halte dies für einen uninformierten Optimismus. Den USA scheinen zwar die militärischen Optionen langsam auszugehen. Ein Krieg gegen Nordkorea wird nicht nur wegen China, auch wegen Russland immer unwahrscheinlicher. Andererseits eskaliert der Konflikt gerade: Es geht nun nicht mehr um Nordkorea, sondern auch um den Iran. Ich frage mich gerade, ob wir nicht schon mitten in einem Dritten Weltkrieg stecken – wir in Deutschland, Europa, haben es nur noch nicht erkannt. Ich habe das Gefühl, dass die Geschehnisse in Korea Inder, Lateinamerikaner und natürlich Koreaner viel stärker beschäftigen als Deutsche. Kommt Ihnen Deutschland besonders provinziell vor oder trügt der Eindruck, dass man woanders viel mehr über Weltpolitik nachdenkt? Meiner Erfahrung nach sind alle Menschen provinziell, nicht nur Deutsche. Erst wenn der Konflikt über die nicht befestigte Grenze marschiert, wird er zur Kenntnis genommen. Dass er schon die ganze Zeit existierte und gewachsen ist, möchte man nicht sehen, denn dies würde die schöne Blase zum Platzen bringen, die man sich geschaffen hat. Ich habe sogar den Eindruck, dass ein gewisser Provinzialismus zurzeit en

Anna Kim © Werner Geiger Suhrkamp Verlag

Sie wuchsen als Kind koreanischer Eltern in Wien auf und haben Koreanisch gelernt. Wie alt waren Sie, als sie das erste Buch eines koreanischen Autors lasen? Ich bin zwar zweisprachig aufgewachsen, doch für meine Eltern hatte die deutsche Sprache Vorrang gegenüber der koreanischen. Es war ihnen wichtiger, dass mein Bruder und ich Deutsch beherrschten, als dass wir fließend Koreanisch sprachen. Deshalb ist mein Koreanisch nicht besonders gut. Außerdem lasen wir ausschließlich deutschsprachige Literatur. Ich bin mit Otfried Preußler, Erich Kästner, Mira Lobe oder Christine Nöstlinger aufgewachsen. Bis heute habe ich es nicht geschafft, ein koreanisches Buch in seiner Originalsprache zu lesen, von ein paar Kurzgeschichten und Gedichten abgesehen. Die literarischen Bücher, die ich im Zuge meiner Recherchen für „Die große Heimkehr“ gelesen habe, habe ich in englischer bzw. deutscher Übersetzung gelesen. Sehr gut gefallen hat mir etwa Kim Won-ils „Das Haus am tiefen Hof“. Weil wir schon beim Thema sind: Das ist der Grund, weshalb ich mich immer dagegen wehre, als koreanische Autorin bezeichnet zu werden. Ich wurde in Südkorea geboren, aber meine literarische Heimat ist in erster Linie deutschsprachig, in zweiter Linie englischsprachig. „Die große Heimkehr“ sehe ich in der deutschsprachigen Literatur beheimatet, nicht in der koreanischen.

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Ihr Buch beschäftigt sich kritisch mit der Geschichte der Heimat Ihrer Eltern. Wie hat man die Diskussion um ihr Buch im deutschsprachigen Raum eigentlich in Südkorea aufgenommen? Gibt es eine Diskrepanz in der Wahrnehmung in den Mainstream-Medien und in der Bevölkerung? Die „Heimkehr“ wurde noch nicht ins Koreanische übersetzt. Sollte der Roman übersetzt werden, würde er ganz sicher sehr gemischt aufgenommen werden. Die liberale, gebildete, jüngere Generation interessiert sich für diese Zeit und die Verbrechen, die damals begangen wurden, die ältere, konservative hingegen möchte sich lieber nicht damit beschäftigen. Leider gibt sie noch immer den Ton an. Aber es gibt ein investigatives linkes Blatt, das von der Bevölkerung sehr geschätzt wird. Es gilt als eine der wenigen Zeitungen, die nicht korrupt sind – allerdings wird den Redakteuren oft genug unterstellt, sie seien heimliche Kommunisten. Können Sie sich vorstellen, dass Ihr Buch in beiden Koreas LeserInnen findet? Würde es Sie reizen, in Phönyang und Seoul daraus zu lesen? Ich war noch nie in Nordkorea, und seitdem Kim Jong-Un an der Macht ist, reizt mich eine Reise dorthin auch nicht – schließlich möchte ich heil zurückkommen und nicht als Leiche. Ich bin auch nicht sicher, wie groß die Unterstützung der Bevölkerung für Kim ist. Ehrlich gesagt bin ich enttäuscht, dass der Widerstand nicht größer, um nicht zu sagen wirklich groß ist. Es wäre höchste Zeit, die Diktatur im Norden zu beenden. Sie haben der deutschsprachigen Leserschaft die Augen geöffnet über die Geschehnisse auf der koreanischen Halbinsel. Wenn Ihre Leser mehr wissen wollen, was empfehlen Sie? Der amerikanische Historiker Bruce Cumings hat ein Mammutwerk über die Ursprünge des Koreakriegs geschrieben, das absolut faszinierend ist. Es heißt „The Origins of the Korean War“. Seine kürzeren Bücher über den Koreakrieg und die Geschichte Koreas sind ebenfalls lesenswert. Großartig fand ich das Sachbuch „The North Korean Revolution“ von Charles K. Armstrong. Darin beschreibt er, welchen Einfluss die Sowjetunion auf die Bildung des nordkoreanischen Staates genommen hat. Ein anderes Buch, das ich gerne empfehlen möchte, ist „Der Korea-Krieg und die Gesellschaft“ vom südkoreanischen Historiker DongChoon Kim. Er bietet eine koreanische, extrem gut recherchierte und differenzierte Sicht auf den Bürgerkrieg.


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Der Saal füllt sich schnell. Bald ist kein Platz mehr im Zuschauerraum, das Interesse ist groß. Die Medienvertreter*innen nehmen Platz und die Kamerateams bereiten sich auf die Berichterstattung vor. Unter den Zuschauer*innen sind Vertreter*innen von Willkommen In Bautzen e.V., Bautzen bleibt bunt und anderen ehrenamtlichen Initiativen, die Geflüchtete unterstützen. Auch Caren Lay, LINKE-Bundestagsabgeordnete, gesellt sich zu ihnen. Auf der anderen Seite des Zuschauerraums versammeln sich die Sympathisant*innen der CDU, in Begleitung der Landtagsabgeordneten Patricia Wissel. Schließlich betritt Landrat Harig den Saal, gefolgt von der Person, um die es gehen soll: Udo Witschas, der Mann, der die NPD hofiert und das Vertrauen der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer*innen verspielt hat.

Protokoll des Grauens

ßerungen seien teilweise menschenfeindlich, sein Handeln habe zur Eskalation beigetragen. Ein Kreisrat der CDU entgegnet, die Medien seien schuld an der Situation. Man müsse mit allen reden, auch mit Nazis. „Dass CDU-Politiker in Bautzen den Dialog mit Nazis so offen und so vehement verteidigen, ist selbst für sächsische Verhältnisse ungewöhnlich“, twittert Tagesspiegel-Journalist Matthias Meisner. Zum Abschluss singt Landrat Harig ein Loblied auf den Kreis, lobt dessen wirtschaftliche Erfolge. Thema verfehlt, denken wir uns …

Bruno Ressel berichtet von der Sondersitzung des Kreistages Bautzen zur Abwahl des ersten Beigeordneten Udo Witschas

Harig schlägt schließlich eine Bautzener Erklärung für Demokratie und Toleranz vor. Wir werden sehen, was daraus wird, doch mit Witschas im Amt wäre sie eine Lüge, sagt auch Marcel Braumann von der Domowina.

Erster Tagesordnungspunkt ist ein Vortrag zur Situation in Bautzen, gehalten durch einen Mitarbeiter des Landratsamtes, der jedoch die Zustände in der Stadt nicht klar benennt, sondern auf die Legitimierung der „Deeskalationsbemühungen“ – ja, genauso steht es in der Tagesordnung – durch Witschas abzielt. Dabei wird auch der Verfassungsschutzbericht vorgestellt, den Witschas nicht gekannt haben will. Nun kommt Udo Witschas selbst zu Wort. Er verteidigt sein Vorgehen, sagt, er habe nicht gewusst, dass er mit Wrucks Freundin chatte, zitiert Forschungsliteratur, von der er sich habe leiten lassen. So wie es klingt, las er erst einmal drei Bücher, bevor er im Messenger-Chat auf die Fragen von Ex-NPD-Kreischef Marco Wruck antwortete. Kurzum, diese Aussagen sind an Unglaubwürdigkeit kaum zu überbieten. Witschas trägt den Chatverlauf mit Wruck noch einmal in Teilen vor, verweist immer wieder auf seine Bemühungen, die Lage in Bautzen zu beruhigen. Sozialpädagogen hätten ihm zur „Klientenzentrierten Gesprächsführung“ mit dem Neonazi-Kader geraten. „Einfach nur crazy“, sagt Caren Lay. Schließlich beschwert sich Witschas über sein Interview mit dem MDR. Er sei überrumpelt wurden von der Frage nach den Nazi-Strukturen in Bautzen. Wir verstehen jetzt, warum die CDU keine Fernsehteams im Saal wollte. „An Peinlichkeit nicht zu überbieten“, twittert auch Caren Lay. Den Kontakt zum neuen NPD-Kreischef dementiert Witschas. Er habe ihn nur kurz empfangen und nicht gewusst, wer er sei.

Bild: Julian Nitzsche, CC-BY-SA 3.0

Schon zum Beginn der Sitzung zeigt die CDU Bautzen ihr wahres Gesicht. Gemeinsam mit Teilen der FDP-Fraktion stimmt sie gegen die Drehgenehmigung für lokale Fernsehteams, die daraufhin den Saal verlassen müssen. Der weitere Verlauf der Sitzung verdeutlicht schließlich die Gründe, weshalb wir uns fragen müssen, welches Verhältnis die Kreistagsmehrheit zu Transparenz und Pressefreiheit hat.

Abschließend entschuldigt er sich bei den Ehrenamtlichen für den Ton seiner Kommunikation mit dem Nazi. „Abgelehnt!“, ist aus den Reihen der Angesprochenen zu hören. Nach einer gefühlten Ewigkeit beginnt die Aussprache der Kreisrät*innen. Zuerst ergreift Gerhard Lemm das Wort, Fraktionschef der SPD/Grüne – Fraktion. Er erinnert an frühere Aussagen von Witschas, die nahe an der Fremdenfeindlichkeit seien, und legt die Widersprüche offen, in die sich Witschas und der Landrat verstricken. Es gebe drei mögliche Erklärungen für das Handeln des Vize-Landrates: Inhaltliche Nähe zu Wruck, politische Naivität – nach 16 Jahren in der Kommunalpolitik – oder Wahltaktik. Sven Scheidemantel, ebenfalls von der SPD, spricht vom erschütterten Vertrauen der Ehrenamtlichen und erinnert auch an das Ergebnis der U18-Wahl, bei der AfD und NPD zusammen 34 Prozent der Stimmen holten. Regina Schulz, Kreisrätin der LINKEN, verdeutlicht, dass Witschas das Vertrauen ihrer Fraktion verspielt habe, und erinnert an die verfestigten rechten Strukturen im Landkreis. Sie macht darauf aufmerksam, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder linken Gesinnung verfolgt und angegriffen werden. Sie habe das Gefühl von Kungelei, wenn sie an das Gespräch von Witschas mit Wruck denke. Die Absicht zu deeskalieren sei da nicht erkennbar, sein Handeln sei ein

gravierender politischer Fehler gewesen. Nun spricht die Gegenseite. Ein ExNPD-Kreisrat verteidigt Witschas, er fordert den Abbruch der Sitzung. Auch die FDP lobt Witschas für seine Deeskalationsbemühungen, will das Disziplinarverfahren abwarten. Dem schließt sich CDU-Fraktionschef Matthias Grahl an. Er lobt den Vize-Landrat für sein Vorgehen und macht stattdessen die Medien für die Situation in Bautzen verantwortlich. Er schimpft auf die mediale Aufmerksamkeit und die „einseitige Art der Aufarbeitung“. Die Sondersitzung nennt er eine große Show für den Wahlkampf, greift LINKE, SPD und Grüne scharf an. „Beste Werbung für Schwarz-Blau/ Braun“, twittert LINKE-Stadtrat Steffen Grundmann, der auch Mitarbeiter im Spreehotel ist, denn nun hetzt Grahl gegen die ehrenamtlichen Helfer*innen der Geflüchteten. Man müsse auch Toleranz gegenüber der Mehrheitsgesellschaft üben. Marco Wruck sitzt unter den Zuschauer*innen und grinst Einfach nur grauenhaft. Daraufhin attestiert ihm ein Kreisrat der LINKEN eine „Allergie gegen Links“. Er schäme sich für Grahl und Witschas und fordert die CDU-Kreisrät*innen auf, ihrem Gewissen zu folgen und nicht der Fraktionsdisziplin. Roland Fleischer (SPD) fordert klare Kante gegen Nazis. Witschas‘ Äu-

Endlich Pause. Alle werden zum Essen eingeladen, doch die Lager stehen klar getrennt voneinander. Es ist nach 19 Uhr, die Sitzung sollte eigentlich schon beendet sein. Nach einer halben Stunde geht es weiter. Das Ausländeramt wird Udo Witschas entzogen. Der Kreistag bestätigt Landrat Harig in seiner Entscheidung. Nun geht es um die Abwahl des Vize-Landrats. Gerhard Lemm beantragt für LINKE, SPD und Grüne eine geheime Abstimmung. Die CDU beweist Parteidisziplin und stimmt geschlossen dagegen. Unionspolitiker, die zaghaft die Arme zur Zustimmung heben, lassen sie schnell wieder sinken. Die sächsische Staatspartei in Bestform. Der Antrag – abgelehnt. Das für die Abwahl nötige Quorum kommt nicht zustande. Witschas bleibt Vize-Landrat. Auch weil die Reihenfolge der Stellvertretung des Landrates nicht geändert wird. Dieser Antrag scheitert ebenfalls an Union, FDP, Freien Wählern und den Ex-NPD-Räten – bei 27 Ja-Stimmen, drei Enthaltungen und 43 Gegenstimmen. Nun wird der letzte Antrag des heutigen Abends behandelt: Dem Geschäftsbereich des Vize-Landrats soll auch das Jugendamt entzogen werden. Der Landrat hält als Sitzungsleiter (!) eine Gegenrede zum Antrag. Caren Lay sagt, das habe sie noch in keinem Parlament erlebt. Der Antrag wird abgelehnt. Doch Gerhard Lemm gibt sich nicht geschlagen, zweifelt die Rechtmäßigkeit der Wahl von Udo Witschas zum Beigeordneten an. Das zuständige Gremium wird mit der Prüfung beauftragt. Die Sondersitzung endet um 21 Uhr. Was bleibt? In Sachsen nichts Neues – da sind wir uns mit Steffen Grundmann einig. „Alle Anträge gegen Witschas wurden vom schwarzen Block verhindert. Damit hat sich auch die CDU keinen Gefallen getan, auch Bautzen nicht. Peinlich!“, fasst Caren Lay zusammen. Solange in Bautzen Kommunalpolitiker*innen mit Nazis sprechen, wird sich nichts ändern. Denn die sind nicht an einer Lösung abseits von Gleichschaltung, Volksgemeinschaft und geschlossenen Grenzen interessiert. Und wir? Wir kämpfen weiter für Demokratie und Weltoffenheit, entschlossener denn je.


Sachsens Linke! 10/2017 Einer der zahlreichen Bestandteile des Jugendwahlkampfs der linksjugend ['solid] Sachsen war die Europatour. In Chemnitz, Leipzig, Dresden und Bautzen gab es neben Material, Eiskaffee und süßen Leckereien Infomaterial zu linker Europapolitik. Am Anfang konnten alle vorbeilatschenden Leutchen ihre Gedanken zum Thema anhand einiger offener Fragen auf Flipcharts festhalten. Nach zwei Stunden gab’s dann je eine kurze Diskussionsrunde, bei der dreimal je ein Vertreter von DiEM 25, der unter anderem von Janis Varoufakis gegründeten progressiven und europaweiten Organisation, teilgenommen hat. Einmal war zudem ein Vertreter von Pulse of Europe dabei, einmal Conny Ernst als unsere Europaabgeordnete und zweimal Anja Eichhorn aus dem Landesvorstand. Moderiert wurden die Runden von Josi Michalke.

Jugendverband

Von der Festung zur Republik Tilman Loos blickt zurück auf die EuropaTour im Wahlkampf

Thematisch gab’s je nach Zusammensetzung ein recht buntes Themenhopping. In Chemnitz standen vor allem Strategiefragen im Vordergrund: Was bringt eine Organisation wie DiEM 25? Sollte in Zukunft ein linkes Bündnis in einigen Ländern mit gemeinsamem Programm zur Europawahl antreten? Wie schafft man es, der politischen Rechten entgegenzutreten und den

Ein gutes Signal sendet dennoch DIE LINKE! Sie erreichte mit 10,9 Prozent der Stimmen in Sachsen ein besseres Ergebnis als im Bund. Ansonsten ist das Ergebnis nicht weiter verwunderlich. Die Union wäre die stärkste Kraft, außerdem wären die SPD, die Grünen und die FDP im Bundestag vertreten. Einzig das Ergebnis der Tierschutzpartei ist erstaunlich: sie kam auf 3,9 Prozent im Bund, in Sachsen sogar auf 5,1 Prozent und hätte somit (zumindest in Sachsen) den Sprung über die 5%-Hürde geschafft. Unserer Meinung nach ist es ein falsches Signal an die Jugendlichen, wenn sie nur symbolisch wählen dürfen. Einerseits sind auch sie direkt von den Entscheidungen im Bundestag betroffen, weshalb es keinen vernünftigen Grund gibt, sie von der Wahl auszuschließen (dasselbe gilt auch für

Spagat aus Kritik an der bestehenden Union und einer vorwärtsgerichteten, linken Vision von Europa zu kommunizieren? Auf den anderen Podien ging es eher um die Thematisierung der bestehenden Probleme: Zu wenig Demokratie, zu viel nationale Egoismen, zu viel Wettbewerb und Konkurrenz statt Solidarität. Auch die Frage, wie eine europäische Republik aussehen könnte und wie ihre Demokratie ausgestaltet werden sollte, wurde debattiert. Ein besonderes Bild bot sich indes in Bautzen: Dort stand circa 30 Meter weiter die NPD mit einer „Kundgebung“, die aus kaum mehr als vier grimmigen Herren bestand, die entweder Wahlaufrufe aus der Dose abspielten oder selbst ins Mikrofon geschrien haben. Da die Bautzener Linksjugendgruppe aus nicht wenigen begeisterten Tänzer*innen bestand, hat zwischendurch gefühlt die Hälfte der Leute an unserem Stand – zu jedem Zeitpunkt deutlich mehr als bei der NPD – zu fetziger Rock’n’Roll-Musik getanzt. Sehr bildlich wurde damit deutlich, wie verschieden die beiden Gesellschaftsvorstellungen auf dem Kornmarkt an jenem Tag waren: entweder eine Gesellschaft, in der marschiert und geschrien wird, oder eine in der getanzt und diskutiert wird.

Wahlrecht für alle, sonst gibt’s Krawalle! Vor jeder Bundestagswahl dürfen Kinder und Jugendliche ihre Stimme abgeben. Diese Wahl ist zwar nicht repräsentativ, zeigen aber dennoch eine gewisse Tendenz in der Gesellschaft. So war schon bei der U18-Wahl ein deutlicher Rechtsruck in Sachsen spürbar. Während die AfD in Sachsen auf 15,7 Prozent kam, hat sie im bundesweiten Vergleich nicht einmal halb so viele Stimmen erhalten. Allerdings sind solche Werte hier auch nicht abwegig, wenn man auf die Vielzahl rassistischer Übergriffe schaut.

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Ausländer_innen, die in Deutschland wohnen sowie für Menschen mit Behinderung!). Andererseits bekommen die Jugendlichen den Eindruck vermittelt, dass ihre Stimme eh nichts zählt, was auf kurz oder lang zu einer erhöhten Politikverdrossenheit führt. Wir fordern, dass die Jugendbeteiligung gestärkt wird, beispielsweise durch altersquotierte Jugendparlamente, die Beisitzer_innen mit Rede- und Stimmrecht in die Parlamente entsenden, oder durch Stärkung der Schüler_innenräte, damit diese als demokratisch legitimierte Repräsentant_innen der Schüler_innenschaft in allen ihre Schule betreffenden Entscheidungen einbezogen werden. • Florian Paulig

Termine 6. Oktober 2017, 18 Uhr: Solikonzert für Mission Lifeline im Sachsenkeller-Club Meißen, Bohnitzscher Str. 14 15. Oktober 2017, 14 Uhr: Stadtjugendplenum der Linksjugend Dresden, WIR AG, Martin-LutherStr. 21


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

10/2017 Sachsens Linke!

Rechte Netzwerke in Europa begreifen!

European United Left /  Nordic Green Left European Parliamentary Group

Die EU-Abgeordnete Cornelia Ernst fordert zur Analyse rechter Netzwerke auf und hat dazu eine Broschüre vorgelegt Staß ist 21 Jahre alt, Student in Kiew. Er protestierte gegen die katastrophale Bildungspolitik, die rabiate Kürzung von Stipendien und gegen den Krieg in der Ostukraine. Als Netzaktivist gewann er dabei viel Unterstützung. Sein Leben änderte sich, als er in aller Öffentlichkeit mehrfach von rechtsextremen Schlägern überfallen und brutal zusammengeschlagen wurde.

Juri ist unabhängiger Gewerkschafter im Bergbau, Eisenerz wird unter grausamen Arbeitsbedingungen

in der Ukraine abgebaut. Als er sich mit Minenarbeiter*innen zusammenschloss und gegen die menschenfeindlichen Arbeitsbedingungen demonstrierte, erhielt er Morddrohungen von rechten Schlägertruppen, die in der Ukraine militärisch agieren. In beiden Fällen schauen Polizei und Justiz tatenlos zu. Die Ukraine ist ein anschauliches Beispiel dafür, was geschehen kann, wenn ungezügelter Nationalismus und extreme Rechte sich bündeln und gleichzeitig ein funktionierender Rechtsstaat fehlt. Auf diese Weise können Menschen zu Freiwild werden, stets in der Angst um Leib und Leben. Hier zeigt sich, dass es eben nicht reicht, rechte Strukturen zu analysieren. Es ist wichtig, ihre Basis in der Gesellschaft und ihre Verwurzelung zu untersuchen, Gegenstrategien zu entwickeln. Schauen wir in die europäische Welt der Rechten, dann ist ihre Vielfalt und Wirksamkeit unübersehbar. Sie wiederspiegelt sich im Europaparlament in mehreren Fraktionen einschließlich der Fraktionslosen, rechtspopulistisch, rechtsextrem, nationalkonservativ, homophob, rassistisch. Die Grenzen sind fließend, nicht nur untereinander, auch in Bezug auf andere neoliberale und konservative Schat-

tierungen. Beatrix von Storch, die es für angemessen hält, an der Grenze auf Flüchtlinge zu schießen, Marine Le Pen, die nun ins nationale Parlament gerückt ist, aber für ihre antimuslimischen Ausfälle bekannt ist, Nigel Farage von UKIP, der 17 Jahre lang im Europaparlament war, um sein Seelenheil im Brexit zu sehen und EUAusländer aus Großbritannien auszuweisen, stehen dafür. Aber auch die ungarische Jobbik-Partei, die FPÖ in Österreich, die italienische Lega Nord und die niederländische Partij voor de Vrijheid – sie alle haben ihre Bastionen auch auf europäischer Ebene und sind bestens vernetzt. Identität, Tradition und Souveränität sind häufig prägendes Selbstverständnis. Geert Wilders forderte einst eine Kopftuchsteuer für Musliminnen und verlangt „Zucht und Ordnung“ in den Niederlanden. Norbert Hofer nennt Flüchtlinge „Invasoren“ in Österreich. Wenn diese Leute an die Macht kommen, geht es noch um ganz andere Dinge, wie bei Victor Orban, der mit seiner nationalkonservativen Fidesz die Medienfreiheit in Ungarn aufgehoben und die Justiz gleichgeschaltet hat. In Polen hat die nationalkonservative PiS-Partei regierungskritische Medien und das Demonstrationsrecht limitiert und ein mittelalterliches Abtreibungsrecht geschaffen.

Ob in Opposition oder an der Regierung, sie alle stehen trotz unterschiedlichster Schattierung für erzkonservative Lebensmodelle, repressive, demokratiezerstörende Innenpolitik, tief verwurzelte Chauvinismen und die unterschiedlichsten Spielarten von Rassismus. Ihr Einfluss hat sich teilweise bis in die Mitte der Gesellschaft verbreitert und ist so gefährlich, weil damit letztlich immer die konservative Seite in der EU verstärkt wird. Um zu verstehen, wie die einzelnen rechten Parteien und Bewegungen agieren, muss ihre europäische Vernetzung mitbetrachtet werden. Nur so können Gegenstrategien entwickelt werden, die auch wiederum europäisch sein müssen. In den Parlamenten, aber auch in der außerparlamentarischen Opposition sind breite überparteiliche Bündnisse die entscheidende Grundlage dafür, rechten Netzwerken etwas Substantielles entgegensetzen zu können. Das ist der Sinn und Zweck einer Broschüre, mit der wir zum Nachdenken anregen und zur Debatte beitragen wollen. Für eine offene, friedliche und pluralistische Gesellschaft. • Link zur Broschüre: gleft.de/1TV

Das Romaparlament in Ungarn ist unter Druck 1990 wurde das Ungarische RomaParlament (Magyarországi Roma Parlament) in Budapest von zivilen Romagruppen gegründet. Es war deren erste nichtstaatliche und selbstverwaltete Dachorganisation. Ziel war es, die Situation der Roma in Ungarn zu verbessern. Dazu wurden öffentliche, künstlerisch-professionelle Programme organisiert und über Rechtsschutz informiert. Wer sich heute mit der Situation der Roma in Ungarn beschäftigt, wird früher oder später unweigerlich dem Namen Aladár Horvath begegnen. Aladár Horvath ist Menschenrechtsaktivist, Bürgerrechtler, Politiker und Vorsitzender des Romaparlaments. Er zählt zu den bedeutendsten Vertreterinnen und Vertretern des Kampfs gegen soziale Unterdrückung und Rassismus in Ungarn. Sein bürgerschaftliches, demokratisches Engagement für Gerechtigkeit und sein Eintreten für ein menschliches Miteinander sowie sein

Bemühen um gewaltfreie Lösungen von Konflikten sind bewundernswert. Auch international ist er bekannt geworden als herausragender Vertreter gegen die zunehmende Segregation, Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit der ungarischen Mehrheitsgesellschaft gegenüber ihren vielen Minderheiten. Er, selbst Rom, ist für viele Roma zum politischen und moralischen Vorbild geworden und stärkt somit Zivilcourage, liberales und demokratisches Denken und Handeln. Der ungarische Premier Viktor Orban erklärte in seiner Rede auf der 25. Freien Sommeruniversität in Băile Tușnad (Rumänien) im Juli 2014:„Wir wollen eine arbeitsbasierte Gesellschaft organisieren, die – wie ich schon früher erwähnte – das Odium auf sich nimmt, dass sie offen ausspricht, dass sie hinsichtlich ihres Charakters keine liberale Demokratie ist. … Mit den liberalen Prinzipien und Methoden der Organisierung einer Ge-

sellschaft und überhaupt mit dem liberalen Verständnis von Gesellschaft müssen wir brechen.“ Das Roma-Parlament schuf vor 25 Jahren ein Bürgerzentrum in Budapest, das u.a. ein Museum beherbergte. Dort gab es auch eine einzigartige Dauerausstellung der zeitgenössischen Kunst der Roma, die János Balázs Galerie, eine Gemäldesammlung bestehend aus über 220 Werken von 53 ungarischen Roma- und RomnijaKunstschaffenden. Es ist eine der bedeutendsten Sammlungen der RomaKunst in Ungarn und Europa. Darunter sind Werke des Roma-Künstlers Gábor Dilinkó, der als junger Revolutionär 1956 am Corvin köz für Freiheit und Demokratie kämpfte. Seine Lebensgefährtin Ilona Szabó wurde von einer Kugel tödlich getroffen, als sie im vierten Monat schwanger war. Später musste Dilinkó sieben Jahre im Gefängnis verbringen. Dort war er unter anderem zusammen mit dem späte-

ren ungarischen Staatspräsidenten Arpad Göncz inhaftiert.Des Weiteren befinden sich unter den zahlreichen künstlerischen Werken Tusche-Zeichnungen von Magda Szécsi. Die RomaKünstlerin malte und zeichnete nicht nur, sondern sie schrieb auch Gedichte, Märchen und Novellen, welche in Ungarn von großer Bedeutung sind. Die Bibliothek des Roma-Parlaments sammelte alle Ausgaben künstlerischer und fachlicher Werke, auch um sie Schulen und Institutionen zur Verfügung zu stellen. Leider ist dies alles gefährdet. Das Gebäude des Romaparlaments wurde geschlossen, die Werke und alle anderen Gegenstände den Roma entzogen. Derzeit kämpft eine Initiative dafür, dass die Roma alles zurückerhalten. Ob sie eine Chance haben? Victor Orban will eine Roma-Vertretung in seinem Sinne schaffen. • Richard Gauch


Sachsens Linke! 10/2017

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DIE LINKE im Bundestag

Herzlichen Glückwunsch! Die Bundestagswahl 2017 ist Geschichte. Ich beglückwünsche alle, die den Sprung ins höchste deutsche Parlament geschafft haben! In Leipzig ist es sogar gelungen, ein Direktmandat zu erringen. Ich gratuliere Sören Pellmann herzlich zu diesem Erfolg.

Er sorgt für einen roten Farbtupfer auf der ansonsten traurig schwarz-blauen politischen Landkarte des Freistaates. Gleichzeitig danke ich aus ganzem Herzen allen Kolleginnen und Kollegen, die dem Bundestag nicht mehr

angehören werden. Axel Troost hat in drei Legislaturperioden finanzpolitische Akzente gesetzt, die der neuen Fraktion fehlen werden. Mit Jörn Wunderlich verliert die LINKE im Bundestag nach zwölf Jahren einen profilierten Familienpolitiker. Und Susanna

Karawanskij hätte ich noch viel mehr Zeit im Parlament gewünscht, um als Ostbeauftragte der Linksfraktion zu wirken. • Rico Gebhardt, Landes- und Fraktionsvorsitzender in Sachsen

Das sind die künftigen LINKEN-Abgeordneten aus Sachsen: v. l. n. r. Sören Pellmann setzte sich im Leipziger Süden mit 25,3 Prozent der Erststimmen gegen seinen CDU-Konkurrenten Thomas Feist durch und zieht erstmals in den Bundestag ein. Katja Kipping ist seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages, ihr Wahlkreis liegt in Dresden. Dr. André Hahn ist seit 2013 im Deutschen Bundestag. Sein Wahlkreis: Sächsische SchweizOsterzgebirge. Caren Lay sitzt seit 2009 im höchsten Parlament und vertritt den Landkreis Bautzen. Michael Leutert gehört seit 2005 dem Deutschen Bundestag an und ist in Chemnitz zuhause. Sabine Zimmermann sitzt seit 2005 im Deutschen Bundestag. Ihr Wahlkreis ist Zwickau.

Wir danken den bisherigen LINKEN-Abgeordneten aus Sachsen: v. l. n. r. Susanna Karawanskij gehörte seit 2013 dem Deutschen Bundestag an und vertrat den Landkreis Nordsachsen. Dr. Axel Troost saß seit 2005 im Deutschen Bundestag, er vertrat die Stadt Leipzig. Jörn Wunderlich vertrat seit 2005 im Deutschen Bundestag das Chemnitzer Land und die Region Stollberg.


Kommunal-Info 8-2017 29. September 2017 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Mandatsträger Studie über das Engagement kommunaler Mandatsträger

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Standortfaktoren Untersuchung zu Einfluss von Standortfaktoren

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Ländliche Räume Landkreistag fordert Verbesserung der Entwicklungsbedingungen Seite 4

Intensivseminare zu den Themen „Bürgerbeteiligung“ und „Zeitmanagement“ Seite 4

Entschädigung im kommunalen Ehrenamt Grundsätzlich wird die Tätigkeit im kommunalen Ehrenamt unentgeltlich geleistet, was aber nicht bedeutet, dass die ehrenamtlich Tätigen dabei völlig leer ausgehen und durch ihre Tätigkeit für die Gemeinde auch noch finanzielle Einbußen hinnehmen müssen. Deshalb bestimmt § 21 Abs. 1 der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO): „Ehrenamtlich Tätige haben Anspruch auf Ersatz ihrer notwendigen Auslagen und ihres Verdienstausfalls. Durch Satzung können Höchstbeträge oder Durchschnittssätze festgesetzt werden. Soweit kein Verdienstausfall entsteht, kann durch Satzung bestimmt werden, dass für den Zeitaufwand eine Entschädigung gewährt wird.“

Ehrenamtliche Tätigkeitsfelder

Die ehrenamtliche Tätigkeit in der kommunalen Selbstverwaltung kann in unterschiedlichen Formen und Verantwortungen geschehen. Neben einem kommunalen Mandat als gewähltes Mitglied eines Gemeindeoder Ortschaftsrats oder als gewählter ehrenamtlicher Bürgermeister zählen u.a. weiterhin dazu: die Mitwirkung als sachkundige/r Einwohner/in im Gemeinderat und seinen Ausschüssen, das Mitwirken in Beiräten, die den Gemeinderat und die Gemeindeverwaltung beraten und unterstützen, die Tätigkeit als Gleichstellungsbeauftragte/r, als Ausländerbeauftragte/r oder als Behindertenbeauftragte/r, als Umwelt- und Naturschutzbeauftragte/r, als Angehörige/r der freiwilligen Feuerwehr, als Mitwirkende/r eines Wahlorgans oder als Wahlhelfer. § 21 der SächsGemO findet jedoch nur dann Anwendung, sofern keine sonder-

gesetzlichen Regelungen bestehen, wie dies etwa für ehrenamtliche Bürgermeister und Ortsvorsteher mit der der speziellen Aufwandsentschädigungsverordnung1 oder bei Sachschäden, die Ehrenbeamte erlitten haben und ein Ersatzanspruch in § 103 des Sächsischen Beamtengesetzes geregelt ist. Ebenso gilt das für den Ersatz der Reisekosten, die nach Sächsischem Reisekostengesetz gewährt werden. Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr erhalten Ersatzleistungen nach den Bestimmungen der §§ 62, 63 SächsBRKG.2 Ehrenamtlich bei Wahlen Mitwirkende (Wahlhelfer) haben einen Rechtsanspruch auf Entschädigung lediglich nach den für die jeweilige Wahl geltenden Sonderbestimmungen, etwa § 10 Abs. 2 Bundeswahlordnung oder § 50 Abs. 1 Nr. 1c des Sächsischen Wahlgesetzes.

Auslagenersatz und Verdienstausfall

Notwendige Auslagen sind Aufwendungen, die ehrenamtlichen Tätigen wegen ihrer Tätigkeit für die Gemeinde unmittelbar entstehen, etwa Fahrtkosten, erhöhte Verpflegungskosten, Übernachtungskosten und Kosten für Telefon. Mittelbare Kosten (z.B. Kinderbetreuungskosten) fallen nicht darunter. Für die in einem Kommunalverfassungsstreitverfahren zu tragenden Kosten fallen für die Inhaber von Ehrenämtern und ehrenamtlichen Tätigkeiten unter „notwendige Auslagen“ nach § 21 Abs. 1 SächsGemO, für die ein Erstattungsanspruch besteht.2a Verdienstausfall können nicht nur in abhängiger Stellung Beschäftigte geltend machen, sondern auch selbstständig Gewerbetreibende oder Angehörige eines freien Berufs, die während ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit an der Ausübung ihres Berufs verhindert sind.

Personen, die keinen Verdienstausfall geltend machen können (weil sie etwa im häuslichen Bereich unbezahlte Arbeit leisten), sollen nicht gegenüber den Berufstätigen bei der Entschädigung benachteiligt werden. Sie können ebenso verlangen, für den Zeitaufwand entschädigt zu werden (sog. „Hausfrauen/ männer“-Entschädigung) und durch Satzung ein bestimmter Stundensatz gewährt wird. Auf den Erlass dieser Satzung haben die davon Betroffenen einen Anspruch. Aus Gründen der Vereinfachung ist es nach § 21 SächsGemO zulässig, in einer Satzung Höchstbeträge oder Durchschnittssätze festzulegen und auf eine individuelle Abrechnung zu verzichten. Die Entschädigung wird danach ohne Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des einzelnen ehrenamtlich tätigen Bürgers für alle Betroffenen in gleicher Höhe und unabhängig von der jeweiligen Art der ehrenamtlichen Tätigkeit festgesetzt. Unzulässig wäre es, für Gemeinderäte und Ortschaftsräte einerseits und für sonstige ehrenamtlich Tätige andererseits unterschiedliche Beträge anzugeben. Bei der Festsetzung von Durchschnittssätzen entfällt der Nachweis der Auslagen und des Verdienstausfalls der Höhe nach, nicht aber dem Grunde nach. Die Pauschalierung für die Erstattung von Auslagen und Verdienstausfällen hat auf realistischen Einschätzungen zu basieren, überzogen hohe Ansätze wären aus Gründen des Gebots der sparsamen Verwendung von Haushaltsmitteln unzulässig. Werden Einzelabrechnungen vorgenommen und wird auf eine Pauschalierung durch die Festsetzung von Durchschnittssätzen verzichtet, können in der Satzung Höchstbeträge festgesetzt werden, um Missbrauch vorzubeugen. Der Gemeinde ist es freigestellt, in

welcher Weise sie Entschädigung gewähren will, sie kann sich für eine konkrete Abrechnungsmethode oder alternativ für die Pauschalierung entscheiden. Unzulässig wäre jedoch, in der Entschädigungssatzung dem ehrenamtlich Tätigen die Wahl zu überlassen. Ebenso ist es nicht zulässig, durch Satzung eine Entschädigung zu gewähren und gleichzeitig einzelne Gemeinderäte oder bestimmte Gruppen von Gemeinderäten von einer solchen Satzungsregelung auszuschließen und diesen eine Verdienstausfallentschädigung zu gewähren. Hat die Gemeinde keine Satzung mit Durchschnittssätzen beschlossen hat, sind die Aufwendungen, deren Ersatz geltend gemacht wird, im Einzelnen zu belegen und in der Höhe nachzuweisen. Dabei ist die Gemeinde berechtigt, Nachweise zu verlangen (z.B. Lohnbescheinigungen), sie kann aber auch entsprechende Erklärungen über die tatsächlich entstandenen Aufwendungen oder den entgangenen Arbeitsverdienst als ausreichend hinnehmen, sofern sich die Angaben in allgemein üblicher und vertretbarer Höhe halten.3

Aufwandsentschädigungen

Es gehört zum Wesen der kommunalen Selbstverwaltung, dass die in die kommunalen Vertretungen (Kreistage, Stadt- und Gemeinderäte, Ortschaftsräte) gewählten Mandatsträger diese Funktion ehrenamtlich wahrnehmen. Das kommunale Ehrenamt ist immer noch ein Dienst für die kommunale Gemeinschaft, der unentgeltlich und nicht berufsmäßig geleistet wird. Im Unterschied zu Berufspolitikern im Europaparlament, im Bundestag und im Landtag müssen kommunale Mandatsträger ihr existenzsicherndes Einkommen im Fortsetzung auf folgender Seite


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Fortsetzung von Seite 1

Entschädigung Regelfall anderweitig erlangen. Die mit der Mandatswahrnehmung verbundenen Einbußen sollen durch eine Aufwandsentschädigung ausgeglichen werden. Dazu bestimmt § 21 Abs. 2 SächsGemO: „Durch Satzung kann bestimmt werden, dass Gemeinderäten, Ortschaftsräten und sonstigen Mitgliedern der Ausschüsse und Beiräte des Gemeinderats und Ortschaftsrats eine Aufwandsentschädigung gewährt wird.“ „Aufwandsentschädigungen sind eine besondere Form der Pauschalierung, die über den Ersatz konkret entstandener Auslagen und des Verdienstausfalls hinausgehen können. Sie sind im Voraus festgesetzte, regelmäßig zu bezahlende Beträge zur Abgeltung von Auslagen und Verdienstausfall sowie zur Abgeltung von Aufwand an Zeit und Arbeitsleistung und von Haftungsrisiko. Abgegolten ist damit auch der Aufwand, den der einzelne Gemeinderat zur Vorbereitung der Gemeinderatssitzung hatte… Die Aufwandsentschädigung dient aber nicht als Ersatz für ein berufliches Einkommen; bei der Festsetzung der Höhe der Aufwandsentschädigung wird vielmehr vorausgesetzt, dass der ehrenamtlich Tätige seinen Lebensunterhalt finanziell anderweitig sichert.“4 Damit werden Entschädigungsansprüche für solche ehrenamtliche Tätigkeiten gewährt, die für die Gemeinde wahrgenommen werden. Zu diesen Tätigkeiten gehört bei Gemeinderäten die Teilnahme an den Sitzungen des Gemeinderats und seiner Ausschüsse und an Sitzungen, die zur Vorbereitung der Gemeinderats- oder Ausschusssitzungen dienen, insbesondere Fraktionssitzungen. Berücksichtigungsfähig sind auch die Tätigkeiten, die auf Veranlassung des Vorsitzenden des Gemeinderats geleistet werden. Untersetzt wird die Bestimmung in der SächsGemO durch Artikel 7 Abs. 2 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung (EKC). Danach müssen eine angemessene Entschädigung für Kosten, die durch die Mandatsausübung entstehen sowie gegebenenfalls eine Entschädigung für Verdienstausfälle oder ein Entgelt für geleistete Arbeit mit entsprechender sozialer Sicherung ermöglicht werden. Damit sehe die EKC für gewählte Kommunalvertreter über den Nachteilsausgleich hinaus gehend, wenngleich nur alternativ, auch die Möglichkeit einer alimentationsartigen Vergütung vor. Der Artikel 7 Abs. 2 der EKC bezwecke auch, dass sich Bürger ungeachtet ihrer finanziellen Situation zur Wahl als Kommunalvertreter stellen und eine Kandidatur nicht aus finanziellen Erwägungen unterbleiben müsse.5 Nach der Rechtsprechung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (SächsOVG) 6 ist es zulässig, eine Aufwandsentschädigung durch Festsetzung eines Grundbetrages sowie eines gestaffelten Sitzungsgeldes festzusetzen. Mit dem Grundbetrag wird begrifflich die allen Gemeinderäten zustehende Monatspauschale als grundlegender Teil der Aufwandsentschädigung gemeint. Ergänzt werden kann der Grundbetrag durch ein gestaf-

feltes Sitzungsgeld für die Teilnahme an Sitzungen der Gremien des Gemeinderats. Die Festlegung der Aufwandsentschädigung gehöre zum Kernbereich örtlicher Angelegenheiten, daher habe die Gemeinde hier einen Entscheidungsspielraum. In Ausübung des eigenverantwortlichen Entscheidungsspielraums kann die Gemeinde im Rahmen von § 21 Abs. 2 die Staffelung einer Aufwandsentschädigung festsetzen, die an einem „typisierten

wonach etwa die Frau zur unentgeltlichen Hausarbeit verpflichtet war (§ 1356 BGB a.F.) 7 und mangels Nachweis eines Vermögensschadens keinen eigenen Schadenersatzanspruch geltend machen konnte, wenn ihre Fähigkeit zur Hausarbeit durch eine unerlaubte Handlung beeinträchtigt wurde, sind im Zuge veränderter sozialer und gesellschaftlicher Anschauungen aufgehoben worden.“ Mit dem erhöhten Sitzungsgeld soll der Nachteil aus-

Für ehrenamtliche Mitglieder eines Gemeinderats bzw. Kreistags sind pauschale Entschädigungen und Sitzungsgelder steuerfrei, soweit sie insgesamt während der Dauer der Mitgliedschaft folgende Beträge nicht übersteigen in einer Gemeinde oder Stadt mit:

höchstens 20 000 Einwohnern 20 001 bis 50 000 Einwohnern 50 001 bis 150 000 Einwohnern 150 001 bis 450 000 Einwohnern mehr als 450 000 Einwohnern

in einem Landkreis mit:

höchstens 250 000 Einwohnern mehr als 250 000 Einwohnern Aufwandsumfang“ orientiert ist. So ist es statthaft, auch den monatlichen Grundbetrag differenziert nach funktionalem Aufwand festzusetzen, wo etwa Fraktionsvorsitzenden, stellvertretende Fraktionsvorsitzenden, Vorsitzenden von beratenden Ausschüssen, Beiratsvorsitzenden ein höherer monatlicher Grundbetrag gewährt werden kann. Ebenso ist es zulässig, ein gestaffeltes Sitzungsgeld festzusetzen, gestaffelt nach Art und Dauer der Sitzungen sowie einem erhöhten Sitzungsgeld für beruflich Selbständige (Freiberufler, Handwerker usw.) und für Hausfrauen/Hausmänner. Die Festsetzung eines erhöhten Sitzungsgeldes für Berufstätige knüpfe an einen für diesen Personenkreis typischerweise durch die Wahrnehmung der ehrenamtlichen Tätigkeit entstehenden Verdienstausfall an, der durch die Erhöhung pauschal ausgeglichen werden soll. Die Festsetzung eines erhöhten Sitzungsgeldes für Hausfrauen und Hausmänner orientiere sich an dem erhöhten Aufwand, der für den Personenkreis aufgrund der mandatsbedingten Verhinderung zur Hausarbeit entsteht. Dazu führt das SächsOVG weiter aus: „Hausarbeit und Erwerbstätigkeit sind gleichwertig. Frühere Regelungen,

monatlich

104 EUR 166 EUR 204 EUR 256 EUR 306 EUR

monatlich 204 EUR 256 EUR

jährlich

1.248 EUR 1.992 EUR 2.448 EUR 3.072 EUR 3.672 EUR

jährlich

2.448 EUR 3.072 EUR

geglichen werden, der entsteht, wenn Hausarbeit wegen der ehrenamtlichen Tätigkeit nicht geleistet werden kann und nachgeholt oder von Dritten entgeltlich geleistet werden muss. Die SächsGemO enthält keine ausdrücklichen Bestimmungen über die Art und Form, nach der die Aufwandsentschädigung festzusetzen ist. Grenzen ergeben sich aus dem Zweck von § 21 SächsGemO. Da durch eine Entschädigung keine verdeckte Alimentation geleistet werden dürfe, müsse die Aufwandsentschädigung auf den Nachteilsausgleich beschränkt bleiben. Demzufolge dürfen Nachteile nicht kumulativ entschädigt werden. Weder darf die Entschädigung in ihrer Höhe einer besoldungsgleichen Alimentation entsprechen noch könne neben der Entschädigung ein damit pauschal bereits abgegoltener Aufwand nochmals ausgeglichen werden. Die Aufwandsentschädigungen unterliegen als Einnahmen aus „sonstiger selbstständiger Arbeit“ im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 3 Einkommenssteuergesetz der Einkommensteuer.8

Ersatz für Sachschäden

In § 21 Abs. 3 SächsGemO wird allgemein ausgeführt, dass bei ehrenamtlich Tätigen der Ersatz für Sachschäden nach entsprechender Anwendung

der für Beamte geltenden Bestimmungen gewährt wird. Danach erhalten sie Ersatz für Sachschäden nach den für die Beamten geltenden Bestimmungen des § 103 Sächsischen Beamtengesetzes. Gemeinderäte, die einen Dienstunfall erleiden, haben nach § 35 Abs. 5 SächsGemO dieselben Rechte wie ein Ehrenbeamter. Im Einzelfall entscheidet darüber der Gemeinderat. AG — 1 Aufwandsentschädigungsverordnung für ehrenamtliche Bürgermeister und ehrenamtliche Ortsvorsteher vom 15. Februar 1996, zuletzt geändert am 26.10.2014; Quelle: www.revosax.sachsen.de/vorschrift/3835-Aufwandsentschaedigungs-Verordnung 2 Sächsisches Gesetz über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz vom 24. Juni 2004 zuletzt geändert durch das Gesetz vom 10. August 2015; Quelle: www.revosax.sachsen.de/vorschrift/4911-SaechsBRKG 2a Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, G § 27, Randnummer (Rn) 90. 3 Vgl. ebenda, G § 21, Rn 3ff. 4 Ebenda, Rn 8. 5 Vgl. ebenda, Rn 1f. 6 Entscheidung des SächsOVG vom 26.05.2009, Az.: 4 A 486/08. 7 Bürgerliches Gesetzbuch, alte Fassung. 8 Erlass des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen Steuerliche Behandlung von Entschädigungen, die kommunalen Wahlbeamten und ehrenamtlichen Mitgliedern kommunaler Volksvertretungen gewährt werden, vom 21. August 2009 – siehe Tabelle.

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushalts finanziert.


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Studie zu Engagement kommunaler Mandatsträger Erhebliches Engagement kommunaler Mandatsträger ist eine unverzichtbare Säule der Demokratie Eine Studie im Auftrag des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes NRW hat die typischen Strukturen des kommunalen Ehrenamtes in NRW in den Blick genommen. Dort wurde untersucht inwiefern kommunale Mandatsträger von flexibler Arbeitszeitgestaltung betroffen sind und welche Handlungsnotwendigkeiten sich daraus ergeben. Das Ergebnis ist: Obwohl 70 Prozent der kommunalen Mandatsträger erwerbstätig sind bringen diese rund 30 Stunden Freizeit im Monat für das Ehrenamt auf und verzichten dabei auf den Großteil der vorgesehenen finanziellen Entschädigungen und Freistellungsregelungen. Aus Sicht des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB) zeigt die repräsentative Studie, was die vielen ehrenamtlichen kommunalen Mandatsträger leisten und was für ein Respekt ihnen gebührt. Das Ehrenamt ist unverzichtbarer Baustein für die Funktionsfähigkeit des Staates und eine starke Demokratie. Deshalb muss das ehrenamtliche Engagement zwingend weiter gestärkt und die Betroffenen vor Überforderung und insbesondere Angriffen und Hasskriminalität geschützt werden. Das wissenschaftliche Gutachten im Auftrag des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes NRW hat das kommunale Ehrenamt in NRW unter besonderer Berücksichtigung des Nachteilsausgleich kommunaler Mandatsträger bei flexiblen Arbeitszeiten untersucht. Dabei wurden 2.283 kommunale Mandatsträger in 44 NRW-Kommunen zu Beginn des Jahres 2017 befragt. Insgesamt handelt es damit um eine der größten Befragungen von Rats- und Kreistagsmitglieder in Deutschland. Neben dem Untersuchungsauftrag im engeren Sinne (Freistellungsregelungen) wurden auch weitere wichtige Merkmale und ggf. Problemlagen des kommunalen Ehrenamtes in NRW zu untersucht. Die ehrenamtlichen kommunalen Mandatsträger in Nordrhein-Westfalen sind mehrheitlich erwerbstätig oder selbstständig (ca. 70%). Die nicht erwerbstätigen Personen sind mit einem Anteil von über 85% Rentner und Pensionäre. Gut Zweidrittel der Erwerbstätigen sind in Vollzeit beschäftigt, etwa ein Fünftel in Teilzeit, der Rest hat andere Arbeitszeitmodelle. Der Anteil der Selbstständigen/Freiberufler unter den Mandatsträger liegt mit ca. 13% deutlich höher als in der vergleichbaren Bevölkerung mit ca. 6%. Gut Zweidrittel der Erwerbstätigen haben flexible Arbeitszeiten, also insgesamt ca. 45% aller Mandatsträger, bezieht man auch die Nichterwerbstätigen mit ein. Die meisten Stadträte und Kreistagsmitglieder verzichten weitgehend auf die gesetzliche Möglichkeit, sich von ihrem Arbeitgeber freistellen zu lassen. Weniger als die Hälfte der Erwerbstätigen nutzen Freistellungsregelungen.

Auch Verdienstausfälle machen nur 15 Prozent geltend – am ehesten noch die Freiberufler unter den kommunalen Mandatsträgern. Der Zeitaufwand für die ehrenamtliche Tätigkeit ist nicht unbeträchtlich und in den größeren Städten geht er zumindest bei den Personen mit mehreren Funktionen in Richtung einer Halbtagsstelle. Obwohl 70 Prozent der Mandatsträger erwerbstätig sind, wenden sie in den Städten im Schnitt 32,5 Stunden im Monat für ihr kommunalpolitisches Engagement und in den Kreisen 29,7 Stunden auf. Erwartungsgemäß sind es im Vergleich die Fraktionsvorsitzenden, die die meiste Zeit in ihre Tätigkeit investieren (43,9 Stunden je Monat; Kreise 40,8). Die Funktionsvielfalt geht mit einem erhöhten Zeitaufwand einher. Dies ist auch auf die wachsende Aufgabenvielfalt der Kommunen im Mehrebenensystem zurückzuführen, die sich in Kreisen und kreisfreien Städten besonders auf den Zeitaufwand auswirkt. Als entscheidende Zeitfaktoren erweisen sich vor allem Tätigkeiten mit direktem Bezug zum Mandat (Rat und Ausschüsse, Fraktionssitzungen, individuelle Vorbereitung und Vorbesprechungen); die über 2/3 des Gesamtzeiteinsatzes ausmachen. Die Auswertung der offenen Antworten liefert einige Hinweise darauf, dass die zeitliche Belastung noch erheblich höher sein kann, wenn noch weitere Ämter oder Mandate hinzukommen. Jeder dritte Mandatsträger in NRW hält seinen Rat oder Kreistag auch für zu groß, in den Großstädten sieht das sogar die Hälfte der Mandatsträger so. Die Ergebnisse bestätigen, dass die Kommunalpolitik in Nordrhein-Westfalen vor allem in den größeren Städten konkurrenzdemokratisch geprägt ist. Trotzdem wird das Verhältnis zwischen der Kommunalvertretung und dem Hauptverwaltungsbeamten als gut angesehen. Ratsmitglieder sind durchschnittlich in 3,1 Ausschüssen Mitglied und in weiteren 3,6 Ausschüssen Stellvertreter (Kreistagsmitglieder 2,4 bzw. 2,8). Neben Funktionen im direkten Zusammenhang mit dem Mandat sind mehr als die Hälfte der Mandatsträger (Kreise 68,1%) in sonstiger

ehrenamtlicher Funktion wie Sportvereine, Kirchen oder Verbände tätig. Der typische Kommunalvertreter in Nordrhein-Westfalen ist älter als der Bevölkerungsdurchschnitt (über 55 Jahre), sehr gut ausgebildet und überwiegend männlich. Da ohnehin schon erhebliche Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu bewältigen sind, wird eine Mandatstätigkeit wahrscheinlich zunehmend auf spätere Lebensphasen vertagt. Insbesondere der Frauenanteil ist trotz Verbesserungen in den letzten 20 Jahren ausbaufähig. Damit unterscheiden sie sich nicht wesentlich von anderen Mandatsträgern in Deutschland. Schüler, Studenten, Berufseinsteiger und die Altersgrup-

pe der 30- bis 40-Jährigen sind in den Stadträten und Kreistagen des Landes deutlich unterrepräsentiert. Aus Sicht des DStGB ist das ehrenamtliche Engagement hunderttausender ehrenamtlicher Kommunalpolitiker, Bürgermeister, aber auch Feuerwehrmänner und -Frauen unverzichtbarer Baustein der kommunalen Daseinsvorsorge. Diese verdienen all unseren Respekt für ihr erhebliches Engagement und das, was sie tagtäglich leisten. Die vielen Menschen sorgen dafür, dass die Demokratie vor Ort lebt und die Gemeinschaft vor Ort gestärkt wird. Deshalb muss alles darangesetzt werden, das ehrenamtliche Engagement weiter zu stärken, zu stützen und die Betroffenen vor Überforderung und insbesondere vor zunehmenden Angriffen und Hasskriminalität besser zu schützen. Gleichzeitig gilt es, das Potenzial sowohl bei jungen aber auch bei älteren Menschen durch passgenaue Angebote vor Ort weiter auszubauen. Nur wenn das gelingt, kann die Bürgergesellschaft und die Demokratie wachsen und vor uns liegende Herausforderungen, wie die Integration von Geflüchteten, die Globalisierung und der demografische Wandel, gelingen. Die vollständige Studie kann heruntergeladen werden unter: www.dstgb.de/dstgb/Homepage/Aktuelles/2017/Ehrenamtliches Engagement/ (Quelle: www.dstgb.de, DStGB 18.09.2017)

Standortfaktoren entscheiden Standortfaktoren entscheiden über Wettbewerbsfähigkeit Der Bedeutung kommunaler Standortfaktoren widmete sich das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) in einer Untersuchung, die es im Auftrag der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) durchführte. Die Studie zeigt eine steigende Relevanz weicher personenbezogener Faktoren, aber auch eine höhere Anforderung an harte Faktoren. Kommunale Wirtschafts- und Standortpolitik muss sich verändernden Rahmenbedingungen anpassen. So haben der anhaltende Trend der Urbanisierung, der Klimawandel, die Folgen der demographischen Veränderungen sowie die Auswirkungen der Digitalisierung auch Einfluss auf die Standortentscheidungen von Unternehmen. Auf Grundlage der Daten einer „Koordinierten Unternehmensbefragung“ aus vier Städten nahm das Difu im Auftrag der KfW Bankengruppe eine Untersuchung zur Relevanz kommunaler Standortfaktoren vor. Die in der Reihe Difu-Papers erschienene Kurzstudie verdeutlicht die weiter steigende Bedeutung weicher personenbezogener Standortfaktoren, wie die Sicherheit in der Kommune, die Gesundheitsversorgung oder die Luft- und Umwelt-

qualität. Für viele hochqualifizierte Fachkräfte sind Wohn- und Lebensqualität ausschlaggebend für die Wahl des Wohn- und Arbeitsortes. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels richtet sich die Standortentscheidung von Unternehmen deshalb auch zunehmend nach den persönlichen Wohnund Arbeitsortpräferenzen der (potenziellen) Beschäftigten. Gleichzeitig kann aber kein grundsätzlicher Bedeutungsverlust harter Standortfaktoren, wie der der Flächenverfügbarkeit oder technischen und verkehrlichen Infrastrukturanbindung, ausgemacht werden. Vielmehr sind auch hier die Anforderungen gestiegen, da diese von Unternehmen in der Regel vorausgesetzt werden. Für die konkrete Beurteilung müssen jedoch auch Unterschiede je nach Branche/Markt und Unternehmensgröße berücksichtigt Fortsetzung auf folgender Seite


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Ländliche Räume verbessern Entwicklungsbedingungen für ländliche Räume verbessern Im Zusammenhang mit dem Fortschrittsbericht der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der Förderpolitik hat der Deutsche Landkreistag spürbare Verbesserungen für ländliche Räume eingefordert. Präsident Landrat Reinhard Sager sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: „Die Politik hat die ländlichen Räume jahrelang vernachlässigt und Entwicklungsimpulse eher zugunsten der Ballungszentren geschaffen. Das Land wurde in diesem Zusammenhang generell als Rückzugs- und Erholungsraum und nicht als Wirtschaftsraum gesehen. Diese verzerrte Wahrnehmung wird nun nach und nach begradigt: Die ländlichen Räume mit ihren oft starken und hoch innovativen mittelständischen Unternehmen, starken Sparkassen vor Ort und einer handlungsfähigen kommunalen Selbstverwaltung tragen entscheidend zu unserer ökonomischen Stärke und Stabilität bei. Die deutsche Wirtschaftsstruktur ist nicht nur sehr mittelständisch geprägt, sondern zeichnet sich vor allem auch durch eine starke dezentrale Verankerung aus. Knapp die Hälfte der Bruttowertschöpfung Deutschlands wird in den ländlichen Räumen erwirtschaftet und sogar nahezu zwei Drittel der Beschäftigten im produzierenden Gewerbe und im Handwerk finden hier ihren Arbeitsplatz.“ Es sei „daher notwendig, wirtschaftliches Wachstum, infrastrukturelle Entwicklung und demografische Anpassungsprozesse in den ländlichen Räumen besser als bislang politisch zu unterstützen. Es geht hierbei um die Digitalisierung und Flexibilisierung von Angeboten, um den Ausbau des schnellen Internets und des Mobilfunknetzes, um die Sicherstellung des Öffentlichen Nahverkehrs auf Straße und Schiene auch in entlegeneren Gebieten, um attraktives Wohnen, eine flächendeckende medizinische Versorgung und passende Förderanreize bei Unternehmensansiedlungen. Die Schaffung eines Bundesministeriums für die ländliche Entwicklung könnte hier einen wesentlichen Beitrag zur Bündelung verschiedener Zuständigkeiten leisten.“ Aber auch in Bezug auf den Rechtsrahmen seien Weiterentwicklungen notwendig. Das gelte z.B. in Bezug auf zu flexibilisierende Infrastrukturstandards, Ausnahmen im Beihilferecht für experimentelle Daseinsvorsorgekonzepte von Kommunen und Förderanreize zugunsten innovativer ländlicher Gebiete. „Wir leiden in diesen Feldern an einer starken Regulierung, die gute Ansätze zum Teil in für kleinere Einheiten unbeherrschbarer Bürokratie und engen Förderrahmen erstickt. Stattdessen sollten wir mutig werden und versuchen, gute Ideen zu ermöglichen und so gut es geht mit rechtsstaatlichem Pragmatismus zu unterstützen.“ (Quelle: www.landkreistag.de, 14. Sept. 2017)

Seminare im November Intensivseminar

(Bürger-) Beteiligung in der Kommunalen Politik Freitag, 10.11.2017 ab 17:00 Uhr bis Sonnabend 11.11.2017, ca 17:00 Uhr

in Freiberg

KLEWADO - Gästehaus für Ideen, Hainichener Straße 201

Zum Inhalt:

Immer wieder gibt es die Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung in der Politik. Dieses Seminar soll kommunale Mandatsträgerinnen und Mandatsträger ermutigen, die Menschen ihrer Gemeinde mehr in die Prozesse der politischen Entscheidungsfindung einzubinden. Hierzu werden die Vorteile von Beteiligungsprozessen kurz dargelegt, sowie in einer schrittweisen Anleitung die wichtigsten Etappen zum Start und zur Durchführung erläutert. Anhand von Fallbeispielen wird zudem ein analytischer Einblick in aktuelle Beispiele von Beteiligungspraxis in deutschen Kommunen gewährt. Referent: Frank Kutzner (Dipl.-Wirtsch.-Ing., Planer, Moderator, parlamentarisch-wissenschaftlicher Berater) Teilnahmegebühr: 20 EUR

Intensivseminar

Zeitsouveränität Zeit besser nutzen und den Alltagsstress verringern Freitag, 24.11.2017 ab 17:00 Uhr bis Sonntag, 26.11.2017 ca 14:30 Uhr

in 01468 Moritzburg

Tagungsherberge Moritzburg e.V., Bahnhofstr. 9

Zum Inhalt:

Fraktions-, Gemeinderats- und Ausschusssitzung. Dazu Einladungen, Gespräche, Vorbereitungszeit. In der Kommunalpolitik und besonders im Ehrenamt ist Zeit ist ein wertvolles Gut. Wie schaffen wir es, der Hetzerei und Fremdbestimmung aktiv entgegen zu steuern? Ist es möglich, seine eigenen Belastungsgrenzen zu berücksichtigen und den eigenen Tagesrhythmus bei der Arbeitsplanung mit einzubeziehen? Wie kann ich meine Energie bündeln und den Alltag bewältigen? Das Seminar unterstützt dabei, durch praxisnahe Übungen und kritische Reflexionen Zeit auf die richtige Art und Weise zu nutzen Referent: Dr. Christian Wirrwitz (Dozent, Trainer, Coach) Teilnahmegebühr: 20 EUR Anmeldungen und weitere Informationen unter: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. 01127 Dresden, Großenhainer Straße 99 Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Fortsetzung von Seite 3

Standortfaktoren und zwischen den Anforderungen an Mikro- und Makrostandort differenziert werden. So ist die digitale Erschließung beispielsweise ausschließlich für den Mikrostandort relevant und branchenabhängig werden Internetanbindungen in Bandbreiten von einem Gigabyte erforderlich. Für eine zukunftsorientierte Stadtentwicklungspolitik, die die Standortanforderungen von Unternehmen mit aufgreift, sind folgende fünf Ansätze besonders wichtig:

Breitgefächertes und sicheres Angebot an Wirtschaftsflächen bereitstellen Verkehrliche und technische Anbindung umweltgerecht und nutzerorientiert ausbauen Verfügbarkeit von bedarfsgerechtem und bezahlbarem Wohnraum sichern Versorgungs- und soziale Infrastrukturen fördern Kulturelle Vielfalt und Weltoffenheit stärken Darüber hinaus bestehen je nach Ausgangslage in wachsenden oder schrumpfenden Regionen unterschiedliche Handlungsspielräume: Während letztere sich mit der sinkenden Auslastung und Wirtschaftlichkeit von

Infrastruktureinrichtungen auseinandersetzen müssen, stehen Wachstumsregionen vor der Aufgabe diese weiter auszubauen. Zur erfolgreichen Umsetzung muss mit den Nachbargemeinden und in der Region kooperiert werden. Viele Kommunen gehen bereits mit guten Beispielen voran, z.B. durch Neuausrichtung und integrierte Ansätze bei der Verkehrs- und Wirtschaftsflächenplanung im regionalen Kontext. (Quelle: Difu-Berichte 3/2017)


September 2017

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

ParlamentsReport Ossiland in Wessihand „Im Osten leben schon die Deppen der Nation.“ So kommentierte der Publizist Sergej Lochthofen im MDR die Ergebnisse der Bundestagswahl. Das meinte er freilich ironisch. Dann, ganz im Ernst: Die Verächtlichmachung des Ostens gehe nun verstärkt weiter.

Liebe Leserinnen und Leser, alle Sozial- und Wirtschaftsdaten zeigen: Die innere Einheit Deutschlands bleibt in weiter Ferne, und das obwohl die Mauer bald länger weg ist als sie gestanden hat. Die Angleichung der Lebensverhältnisse muss endlich konzentriert vorangetrieben werden. Es muss Schluss sein mit der strukturellen Benachteiligung des Ostens! Ich gestehe ehrlich: In den letzten Jahren ist uns dieses Herzensanliegen aus dem Blick geraten. Seit einigen Monaten rücken wir es deshalb stärker in den Fokus. Die Bundestagswahl hat bewiesen, dass das sehr notwendig ist. Die Ost-West-Angleichung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die koordiniert angepackt werden muss. Das geht am besten in den Händen eines neu zu schaffenden Bundesministeriums für Infrastruktur und die neuen Länder. Angesiedelt werden sollte es an der Nahtstelle zwischen Krise und Kreativität im Osten – in der „Zukunftswerkstatt“ Leipzig. Die Stadt liegt am Knotenpunkt der Entwicklungslinien von vier Bundesländern, sie ist auch von Berlin im Nu erreichbar. Nebenbei: Es arbeiten immer noch siebentausend Beschäftigte von Bundesministerien in Bonn. Leipzig gehört zum Freistaat, der überwiegend von Abwanderung geprägt ist, aber die Metropole wächst – und mit ihr die Herausforderungen: Stichworte Wohnungsnot, „sächsische Armutshauptstadt“. Zugleich wächst hier der neue Osten am stärksten, mit eigenem Selbstbewusstsein und vielen Menschen, die sich etwas einfallen lassen. Die zügige Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West ist eine zentrale Regierungsaufgabe. Wir werden in Zukunft wieder stärker Druck machen, damit es dabei endlich vorangeht.

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

Schimpfen auf die „Ossis“ verschärft die Spaltung der Gesellschaft. Aber es muss Gründe dafür geben, dass gerade im Osten so viele ausgerechnet in der AfD eine Alternative sehen. Die strukturelle Benachteiligung der Menschen hierzulande hält im dritten Jahrzehnt der Einheit an. Dieses Thema bearbeitet die Linksfraktion seit langem und seit einigen Monaten wieder verstärkt. Der Soziologe Prof. Dr. Raj Kollmorgen befasst sich an der Hochschule Zittau/ Görlitz mit dem sozialen Wandel. Im September war er in der Fraktionssitzung zu Gast und referierte zu „Wer beherrscht den Osten – wem gehört der Osten – Zukunft für den Osten?“ Auf die erste Frage fand er eine naheliegende, nicht ganz ernst gemeinte Antwort: Merkel, Gauck, Thierse. Klar, so seine Klarstellung, seien das nur Einzelfälle, die nichts über die Gesellschaft aussagen. Es irritiere ihn, dass das Thema „ostdeutsche Eliten“ nur bis zum Jahr 2000 in der Debatte stand – danach sei es still darum geworden. Eliten seien in der Regel nur ein Thema für Eliten. Allerdings bewiesen die Ergebnisse der Bundestagswahl Gegenteiliges: Elitenkritik ist ein wichtiger Aspekt jener Anti-Establishment-Haltung, die viele dazu brachte, aus Protest ihre Kreuze bei der AfD zu machen. Die Ursachen dieser Entwicklung liegen laut Kollmorgen in einer historischen Periode, die bisher kaum aufgearbeitet worden ist: in der Zeit nach 1990. Nicht nur auf der Gesetzesebene, sondern allerorten in den Eliten vollzog sich die „Verwestdeutschung“ des Ostens. Westdeutsche Netzwerke ermöglichten den Aufstieg westdeutscher Funktionsträger, die mit „Buschzulagen“ gelockt wurden. Diese Netzwerke erhalten sich selbst: Wer oben ist, bleibt dort, wer unten ist, bleibt dort ebenfalls. Kollmorgen diagnostiziert eine „Ausgrenzung“ der Ostdeutschen und gleichzeitig deren „kulturelle Fremdmarginalisierung“. Ostdeutsche Lebensleistungen seien nicht geschätzt, sondern auf Teilaspekte des Lebens in der DDR reduziert worden; Ossis sei nicht zugetraut oder zugestanden worden, Verantwortung in der Bundesrepublik zu übernehmen. So weit, so bekannt. Der Soziologe erkennt jedoch auch eine „kulturelle Selbstmarginalisierung“ der Ostdeutschen. Nach dem Durchleben der multiplen Krisen ab 1989/90

hätten viele lieber kein Risiko eingehen wollen, eher auf unselbstständige Arbeit als sichere Bank gesetzt. Somit neigten wenige zum Unternehmertum; der Weg zum Aufstieg sei selten riskiert worden. Insgesamt gebe es hier eine größere Distanz zu den Eliten als im Westen. Diese größere Distanz hat eine faktische Grundlage. Die Uni Leipzig und der MDR ließen untersuchen, zu welchem Anteil Ostdeutsche inzwischen in den Funktionseliten angekommen sind. Die Befunde: Außer in den Landesregierungen waren im Osten Geborene stets unterrepräsentiert. In den Spitzengremien der Rundfunkanstalten, den Rektoraten der Hochschulen, in Forschungseinrichtungen, den Schaltstellen der öffentlichen Verwaltung oder im Management der großen Unternehmen sitzen viel weniger Ostdeutsche als angemessen wäre – jedenfalls wenn man nach ihrem Anteil

an der Bevölkerung geht. Kollmorgen bestätigt diese Befunde und ergänzt sie um frappierende Zahlen. 2012/13 stammten nur 14 Prozent der Bundestagsabgeordneten aus dem Osten; bei Staatssekretären und Abteilungsleitern in den Länderministerien war ihr Anteil nur auf sieben Prozent angewachsen. An den höchsten Gerichten finden sich de facto keine Ostdeutschen, ebenso wenig in der Bundeswehr-Generalität und in den Vorständen der DAX-Unternehmen. Nur etwa ein Viertel der hundert größten Unternehmen im Osten werden von Ostdeutschen geführt oder stehen in deren Besitz. Zwar besitzen Ostdeutsche die meisten ostdeutschen Unternehmen, aber das sind im Regelfall kleine und Kleinstbetriebe. Ossiland in Wessihand – das mag überspitzt formuliert sein, allerdings ist dieser Eindruck weit verbreitet. Kollmorgen sieht die Zeit verrinnen, die bleibt, um die Unterrepräsentanz der Ostdeutschen an den Schaltstellen der

Gesellschaft auf rechtlich-formeller Ebene zu überwinden, etwa über Förderprogramme. Denn bald lasse sich nicht mehr rechtssicher definieren, wer Ostdeutscher ist. Es sei umso wichtiger, das Thema in der Öffentlichkeit zu halten und so Druck auf die Eliten auszuüben. Der Osten sei kein Verlierer-Gebiet; jedoch sei die Zonengrenze sozioökonomisch noch deutlich sichtbar. Bei allen wichtigen Kennzahlen erreicht Ostdeutschland bisher nur zwischen 70 und 85 Prozent des Westniveaus – ob beim Wirtschaftswachstum, der Produktivität, nicht zuletzt bei den Einkommen und vor allem bei den Vermögen. Kollmorgen empfiehlt, den Fokus darauf zu legen, was nach 1990 hier geschehen ist; außerdem ließen sich Aufstiegswege Ostdeutscher und die Vermögensbildung im Osten fördern. Bruchstücke aus der Vergangenheit könnten in der Gegenwart zum Teil einer guten Zukunft werden. Es gebe noch vieles zu retten.

Herausgeputzte Städte und sanierte Straßen bedeuten noch lange keine gleichwertigen Lebensverhältnisse oder ähnliche Lebensgefühle in Ost und West. Es gilt, im Sinne einer wirklichen Integration Antworten für alle Generationen zu finden: Für die Älteren, die den Großteil ihres Arbeitslebens in der DDR verbracht haben und zum Teil heute mit einer geringen Rente bestraft werden. Für diejenigen, deren Arbeitsleben an der Wende zerbrach und die sich nicht wieder aufrappeln konnten. Aber auch für diejenigen, die in der neuen Gesellschaft angekommen sind und sich zu den Erfolgreichen zählen. Und für diejenigen, die seit den 80er Jahren geboren und ebenfalls ostdeutsch sozialisiert worden sind. Die Linksfraktion wird sich dieses Themas wieder stärker annehmen und dafür streiten, dass die Zeit nach 1990 aufgearbeitet wird – das Handeln der Treuhand inklusive.


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PARLAMENTSREPORT

September 2017

Auch eine Frage der Kultur: Absage an Homo- und Trans*feindlichkeit! In der sächsischen CDU sitzt der Schock über das Ergebnis der Bundestagswahl tief. Die erfolgsverwöhnte „Sächsische Union“ wurde auf Platz 2 verwiesen. Im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung führte Ministerpräsident Tillich zur Erklärung unter anderem an, dass „zu viel über die Ehe für alle“ und folglich über Minderheiten gesprochen worden sei. Das passt zur Sabotagetaktik seiner Partei gegenüber dem jüngst endlich vorgestellten Landesaktionsplan zur Vielfalt von Lebensentwürfen – sie hat nach Kräften daran gearbeitet, das Papier zu schwächen. Somit steht nicht die gesamte Staatsregierung hinter dem Projekt, ausnahmslos allen in Sachsen lebenden Menschen ein angst- und gewaltfreies Leben zu ermöglichen – unabhängig davon, welche sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität sie nun einmal haben.

Es sei eine Mindestforderung an jegliche Kultur, dass niemand Angst haben müsse, dass alle sich frei bewegen können. Nötig sei eine klare Absage an Gewalt und Diskriminierung, denen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgeschlechtliche, Transgender, Intergeschlechtliche und queere Menschen (LSBTTIQ) immer noch begegnen. „Deshalb braucht Sachsen als gleichstellungspolitisches Entwicklungsland einen mutigen Aktionsplan und es ist gut, dass endlich ein Schritt in diese

Richtung unternommen worden ist.“ Buddeberg dankte allen Haupt- und Ehrenamtlichen in der LSBTTIQ*Community, die für die Qualifizierung des Plans bereitstanden und ihn nun mit Leben erfüllen, und auch der SPDStaatsministerin Petra Köpping samt ihrem Ministerium. „Nicht danken möchte ich jenen Teilen der CDU, die das Projekt torpediert und den Plan verwässert haben. Dadurch bleibt er hinter den Erwartungen zurück.“ Erstens fehle die Datengrundlage, was auch vermerkt ist: „Spezifische Studien zu Lebenslagen und Diskriminierungserfahrungen von LSBTTIQ* liegen nicht vor“. Die Linksfraktion fordert deshalb eine Studie, die dieses Defizit ausgleicht. Zweitens bleibe der Plan schwammig und ohne abrechenbare Maßnahmen. „Sachsen braucht einen mutigeren Aktionsplan. Der ist kein Sonderprogramm für eine Minderheit, sondern eine Antwort auf die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen“, so Buddeberg. Die CDU dürfe dieses Gesellschaftsbild nicht länger bekämpfen – Wahlergebnisse hin oder her.

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In einer Landtagsdebatte auf Antrag der Linksfraktion stellte Sarah Buddeberg, Sprecherin für Gleichstellungs- und Queerpolitik, deshalb klar: Tillich solle tatsächlich darüber nachdenken, wie er die Mehrheit

ansprechen will. „Die Lösung kann aber nicht darin bestehen, die Diskriminierung von Minderheiten hinzunehmen. Wenn ein schwules Pärchen sich montagabends in Dresden nicht angstfrei bewegen kann, wenn ein Oktoberfestportal Warnhinweise an Schwule und Lesben ausgibt, auf dem Fest ein bisschen zurückhaltend zu sein, dann frage ich: Ist das die Kultur, die es vorbehaltlos zu verteidigen gilt? Will die CDU weiter so tun, als gebe es kein Problem, weil ihre Führung glaubt, dass die Mehrheit ihrer Mitglied- und Anhängerschaft es selbst nicht hat?“

Schwerste Straftaten bleiben unentdeckt

Diese Staatsregierung provoziert Revolten! Die JVA Chemnitz ist mit 106 Prozent sachsenweit am stärksten überbelegt, dort sammeln sich die meisten Überstunden im Justizvollzug. Im ersten Halbjahr 2018 sollen 75 neue Haftplätze im offenen Vollzug hinzukommen. Die JVA hat dem Justizministerium gemeldet, dass dafür 15 weitere Stellen benötigt werden. Bewilligt werden: null. Das Ministerium begründet das damit, dass der offene Vollzug weniger Personal braucht als der geschlossene. Der Rechtspolitiker der Linksfraktion Klaus Bartl fragt sich, weshalb dann ein Drittel aller sächsischen Plätze im offenen Vollzug unbesetzt sind. „Aber davon abgesehen: In unerträglicher Ignoranz nimmt das Justizministerium in Kauf, dass sich die Lage in der JVA Chemnitz weiter aufheizt. Die Anstalt läuft am Limit.“ Zum Ende des ersten Halbjahres waren im Justizvollzug insgesamt 76.940 Überund Mehrarbeitsstunden aufgelaufen,

in der JVA Chemnitz kamen allein im Juli 432 Überstunden hinzu. Schon jetzt werden Aufschlüsse und Lockerungen, wie zum Beispiel Ausführungen, reduziert. Bartl: „Die Staatsregierung provoziert Revolten!“ Die Personalplanung des Ministeriums hat mit der Realität wenig zu tun. Man verweist darauf, dass die JVA Chemnitz mit 0,46 Arbeitskraftanteilen (AKA) je Haftplatz über dem landesweiten Durchschnitt von 0,35 AKA liege. Allerdings ist ein Personalschlüssel von 0,37 die untere Schmerzgrenze für den ordnungsund rechtmäßigen Betrieb des Strafvollzugs – so die Sachverständigen in einer Anhörung des Rechtsausschusses. Auch rechnet das Ministerium in die 121 theoretisch einsatzbereiten Stellen im allgemeinen Vollzugsdienst der JVA Chemnitz viele Beschäftigte ein, die wegen ihrer Qualifikation, ihres Gesundheitszustandes oder aus anderen Gründen nur bedingt oder

nicht für den Stationsdienst und den Kontakt mit Gefangenen geeignet sind. Die reale Personalausstattung dürfte also ein Drittel niedriger sein als auf dem Papier – von Krankenständen und Urlaubsansprüchen des einsetzbaren Personals zu schweigen. Die JVA Chemnitz vollzieht für die Freistaaten Sachsen und Thüringen fast alle Arten der Haft an Frauen, gleich welchen Alters, einschließlich des Jugendarrests und der Maßregel der Sicherheitsverwahrung. Wie keine andere JVA in Sachsen betreut und verantwortet die Anstalt den Resozialisierungsprozess unterschiedlichster Personengruppen mit individuellen Bedürfnissen. Die Linksfraktion fordert das Justizministerium auf, im Interesse der Bediensteten wie der Gefangenen endlich eine realistische Personalberechnung vorzulegen und die JVA Chemnitz wie alle sächsischen Anstalten auskömmlich auszustatten.

Die CDU und Sicherheit – beides scheint klar verbunden. Dabei ist Sachsens CDU-geführte Regierung kein Garant der Sicherheit: Selbst die Rechtsmedizin fällt ihrer Kürzungspolitik zum Opfer. Das Institut für Rechtsmedizin in Chemnitz fiel weg, nur eine Außenstelle des Leipziger Instituts ist übrig. Dort arbeiten zwei Sektionstechniker und zwei Schreibkräfte. Insgesamt versorgen die 14 Rechtsmedizinerinnen und -mediziner in den Instituten für Rechtsmedizin (RMI) der Uni Leipzig und am Dresdner Universitätsklinikum etwa vier Millionen Menschen! Dabei weiß jeder, dass kapitale und andere Verbrechen ohne schlagkräftige Rechtsmedizin nicht aufgeklärt werden können. Schätzungsweise bleiben in Deutschland jährlich 2.000 Morde unentdeckt. Obergerichte mussten schon der Schwerstkriminalität Verdächtige entlassen, weil Gutachten nicht vorlagen. Die Institute für Rechtsmedizin leiden unter chronischem Geldmangel. Investitionen blieben jahrelang liegen, der laufende Betrieb funktioniert nur durch Arbeit am Limit. Zahlungen, die sie für ihre Dienstleistungen nach dem Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz erhalten, reichen nicht. Zweckgebundene Zuschüsse aus dem Landeshaushalt fehlen. Die Linksfraktion will pro Institut eine Soforthilfe von 500.000 Euro für die Haushaltsjahre 2017 und 2018 (Drucksache 6/10716). Auch später soll die Finanzierung sicher sein. Diese Forderungen entsprechen der Einschätzung der Institute. Die Direktorin des RMI Dresden, Christine Erfurt, beziffert das Defizit ihres Hauses auf „zwischen 400.000 und 600.000 Euro“ im Jahr. Für das Leipziger Institut erklärte der Dekan der Medizinischen Fakultät, Michael Stumvoll, ein „Zuschuss in der Größenordnung von 500.000 Euro“ pro Jahr sei notwendig. Das Wissenschaftsministerium räumt zwar ein, dass diese Defizite bestehen, vertröstet aber auf den Doppelhaushalt 2019/2020. Justizminister Gemkow setzt seine Hoffnung ganz auf steigende Vergütungssätze im Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz, die aber nicht in Sicht sind. LINKEN-Rechtsexperte Klaus Bartl: „Andere Bundesländer sorgen längst mit Landesmitteln dafür, dass die Rechtsmedizin ordentlich arbeiten kann. In Sachsen scheitert das am Finanzminister und am Ministerpräsidenten.“ Diese Regierung ist ein Sicherheitsrisiko!


September 2017

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Stillstand statt Volldampf Die Hälfte der Wahlperiode ist rum – die Linksfraktion hat per Großer Anfrage (Drucksache 6/8865) nachgehakt, was in der Verkehrspolitik geschafft ist. Die Staatsregierung weiß das in vielen Fällen selbst nicht. Spärlich sind die Fortschritte, obwohl seit drei Jahren eine „Strategiekommission“ arbeitet. Baustellen gibt es zuhauf: Mobilität wird teurer. Allein in Leipzig stieg der Preis einer Einzelfahrkarte seit 2007 um 40 Prozent! Auch müssen Eltern immer mehr für den Schulbus berappen, obwohl sie nicht dafür verantworlich sind, dass Schulen geschlossen worden sind. Sie zahlen für lange Wege - in Nordsachsen 87 Euro pro Schuljahr, in Dresden 223,80 Euro und in Meißen gar 251,63 Euro. „Wenn Sie schon eine wohnortnahe Schulbildung nicht ermöglichen können, dann sorgen Sie wenigstens für Kostensenkungen!“, fordert Marco Böhme, Mobilitätspolitiker der Linksfraktion, die Regierung auf. Die hält einen Schulweg von 60 Minuten für „zumutbar“ und meint, ihr sei kein Fall bekannt, bei dem es länger dauere. Dabei werden die Schulwege gar nicht systematisch erfasst …

fehlen. Die Vorgabe des Personenbeförderungsgesetzes, den öffentlichen Nahverkehr bis 2022 barrierefrei zu machen, wird wohl verfehlt – es gibt nicht einmal eine Übersicht darüber, welche Haltestellen schon umgebaut sind. Gleichzeitig schleift die Verkehrssicherheitsarbeit: Noch nie gab es in Sachsen so viele Fahrradunfälle, statistisch gesehen stirbt an jedem dritten Tag ein Mensch bei einem Pkw-Unfall, Kontrollen von Lkw und Fernbussen wurden zurückgefahren. Und obwohl sogar Fahrverbote drohen, hat die Staatsregierung kein Auge auf verkehrsbedingte Luftverschmutzung oder Lärmbelastung. Ebensowenig weiß sie, wer welche Schienenpersonennahverkehrslinien betreibt – obwohl sie

jährlich eine halbe Milliarde Euro an die Zweckverbände überweist. Auf die Frage, wie die medizinische und soziale Infrastruktur insbesondere im ländlichen Raum besser erreichbar werden soll, folgt die Antwort: Die Staatsregierung veranlasst keine gesonderten Maßnahmen. Böhme: „Das nenne ich ,gelungene‘ Landesentwicklung. Das Ergebnis haben wir bei der Bundestagswahl gesehen.“ Sachsen braucht einheitliche Tarife für Bus und Bahn, bezahlbare Mobilität und gut angebundene ländliche Regionen. CDU und SPD jedoch werden wohl warten, was die „Strategiekommission“ beschließt und sonst nichts tun. Die Landtagswahl rückt inzwischen näher.

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Regierungsprojekte wie ein „Bildungsticket“ für Schüler und Azubis oder ein „Sachsentarif“, der den Tarifdschungel beseitigt, stocken. Ländliche Gebiete werden abgehängt, Umsteigemöglichkeiten zwischen Bus- und Bahnverkehr

Achtung, Schildbürger in Grimma unterwegs!

In Grimma gibt es zwei ausgelastete Fußballstadien am Rande der Altstadt und in unmittelbarer Nähe der Mulde – das „Stadion der Freundschaft“ und das „Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion“. Der Stadtrat hat beschlossen, „zur Belebung der Innenstadt“ einen REWEMarkt einzurichten, und zwar auf dem Gelände des bisherigen Jahn-Stadions. Das Grundstück wurde für 1,6 Millionen Euro an REWE verkauft. Um den Verlust des Jahn-Stadions auszugleichen, soll es auf dem Gelände der ehemaligen Husaren-Kaserne neu entstehen – für

4,5 Millionen Euro. Das kann die Stadt nur bezahlen, wenn sie die Einnahme aus dem Grundstücksverkauf erhält. Die restlichen 3,6 Millionen Euro sollen aus Fördermitteln des Freistaats kommen, die für flutsichere Umbauten vergeben werden. Die fließen aber nur, wenn sowohl das Jahn-Stadion komplett abgerissen als auch das „Stadion der Freundschaft“ zurückgebaut wird – zu einer Anlage für Leichtathletik und Schulsport. Laut Fördermittelbescheid sind Tribünen, Trainerbänke, Kassenhäuser und das Clubhaus samt Umkleidekabinen abzubrechen. „Es ist nicht zu vermitteln, dass Teile des Stadions der Freundschaft abgerissen werden sollen. Damit ginge ein Symbol der Grimmaer Sporttradition

Groundhopping Merseburg / flirckr.com/ CC BY-NC 2.0

In Grimma droht Fördermittel-Irrsinn. Dagegen wendet sich jetzt eine Petition. Ihr Ziel: das „Stadion der Freundschaft“ zu erhalten. Dahinter steckt eine unglaubliche Geschichte.

verloren. Außerdem würden wir ohne Not ein funktionstüchtiges Stadion opfern“, meint die Grimmaer Abgeordnete der Linksfraktion, Kerstin Köditz. Hinzu kommen weitere Ungereimtheiten. „Dabei spreche ich noch nicht einmal von Verkehrsproblemen oder der Konkurrenz für den Einzelhandel in der Altstadt, wenn der REWEMarkt errichtet wird. Gravierender ist der Umstand, dass der Hochwasserschutz leidet. Bisher kann das JahnStadion notfalls Wasser zweitweise aufnehmen, ein geschlossenes Gebäude lässt es im Zweifel in der Altstadt höher steigen. Die Flutschutzmauer, die für 50 Millionen Euro zwischen der Altstadt und der Mulde errichtet wird, ist übrigens zu niedrig, um Fluten im Ausmaß wie der von 2002 abzuhalten.“ Zudem wird die Verlagerung des Jahn-Stadions sehr teuer. Am neuen Standort befand sich eine chemische Wäscherei, das Grundwasser ist mit Trichlorethan belastet und kann nicht für die Bewässerung benutzt werden. Dadurch steigen die Betriebskosten auf etwa 100.000 Euro im Jahr, wozu der FC Grimma ein Zehntel beisteuert. Den Rest sollen die Bürgerinnen und Bürger tragen. Köditz: „Wir erleben eine Serie von Schildbürgerstreichen.“ Das „Stadion der Freundschaft“ muss erhalten bleiben! Die Linksfraktion fordert, dass das Innenministerium und die CDU-SPD-Mehrheit im Petitionsausschuss alle Hebel in Bewegung setzen.

Schutz gegen Naturkatastrophen: CDU sagt hü und hott Die Linksfraktion ist selten einer Meinung mit dem Ministerpräsidenten. In diesem Fall aber wollten wir sogar einen Landtagsbeschluss in seinem Sinne herbeiführen. Es geht um eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden, die durch Hagel, Sturm, Starkregen, Überschwemmung, Erdbeben, Erdsenkung oder Schneedruck verursacht werden. Nicht alle Immobilien-eigentümer können sich ausreichend dagegen versichern. In bestimmten Gebieten ist es unmöglich oder unbezahlbar, eine Police zu bekommen. In Deutschland ist nicht einmal die Hälfte der Hausbesitzer ausreichend versichert, in Sachsen waren es 2016 nur 45 Prozent. Dabei gehen Klimaforscherinnen und -forscher davon aus, dass Extremwetterereignisse häufiger auftreten werden. Im Osten Deutschlands ist insbesondere mit mehr Sommergewittern zu rechnen, starker Hagelschlag inklusive. Die finanziellen Folgen lasten dann auf den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, staatliche Hilfen und Fördergeld in Millionenhöhe fließen. „Wir müssen immer wieder feststellen, dass zumeist der Steuerzahler für die Schadensbehebung nach Extremwetterereignissen aufkommt. Die Versicherungsunternehmen sind darüber hoch erfreut, denn sie sind aus der Verantwortung raus“, so Dr. Jana Pinka, Umweltpolitikerin der Linksfraktion. Tillich wirbt nun auf der Bundesebene für einen flächendeckenden Versicherungsschutz – die Linksfraktion forderte seine Regierung per Antrag auf (Drucksache 6/10012), im Bundesrat entsprechend aktiv zu werden. Appelle und Freiwilligkeit führten nicht zum Erfolg, so Janina Pfau, Sprecherin für Verbraucherschutz. „In der Schweiz funktioniert die Elementar-Pflichtversicherung bereits seit mehr als 80 Jahren. Hierbei zahlen alle Eigentümer von Gebäuden, sowohl Privatpersonen als auch Gewerbetreibende und kommunale Eigentümer, in die Pflichtversicherung ein und leisten damit ihren Anteil zum Solidarprinzip.“ Auch in der DDR gab es ein solches Modell. Die Linksfraktion will die Eigenvorsorge aller Gebäudeeigentümer flächendeckend möglich machen, zu vertretbaren, nach Risiko gestaffelten Tarifen. CDU und SPD unterstützten den Antrag allerdings nicht. Was zählt nun mehr - das Wort des Regierungschefs oder das Votum „seiner“ Parlamentsfraktion?


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September 2017

Fast drei Viertel aller Eingaben abgeschmettert

Plenarspiegel

September 2017

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Die 60. und die 61. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages fanden am 27. und 28. September 2017 statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit folgenden parlamentarischen Initiativen vertreten: Aktuelle Debatte „Lieber gleichberechtigt als später – Landesaktionsplan zur Vielfalt von Lebensentwürfen jetzt konsequent umsetzen!“ Große Anfrage „Mobilität in Sachsen“ (Drs 6/8865), dazu Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE in Drs 6/10872 Anträge „MinisterpräsidentenVersprechen erfüllen – Bundesratsinitiative zur Einführung eines flächendeckenden Versicherungsschutzes gegen Elementarschäden endlich auf den Weg bringen!“ (Drs 6/10012) „Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Rechtsmedizin erhalten: Akute Finanzierungslücken der Rechtsmedizinischen Institute in Sachsen schon für die Jahre 2017/2018 und die Zukunft schließen!“ (Drs 6/10716) Sammeldrucksache 6/10765 mit den Anträgen der Fraktion DIE LINKE „Situation und Perspektive der Schulchöre an den Schulen im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/2989) „Einsatz von Pflanzenschutzmitteln insbesondere mit den Wirkstoffen Clomazone und Glyphosat stärker reglementieren und Auswirkungen weiter erforschen“ (Antrag von LINKEN und GRÜNEN, Drs 6/2666) Alle Drucksachen unter www.edas.landtag.sachsen.de

Im vergangenen Jahr wurden 485 Petitionen an den Sächsischen Landtag eingereicht, 396 vom Petitionsausschuss behandelt. Allerdings konnte nur 37 Petitionen abgeholfen werden; in 359 Fällen – das sind fast 75 Prozent – nicht. Dieses Arbeitsergebnis ist mangelhaft. Die Bürgerinnen und Bürger wenden sich mit konkreten Anliegen an die Politik, und in der Regel erhalten sie eine gesetzlich begründete Ablehnung. Das frustriert und schnell entsteht der Eindruck, die Politik mache, was sie wolle. Bei vielen Eingaben wurde keine Abhilfe geschaffen, weil die Regierungskoalition abblockte. Zu den umfangreichsten Anliegen gehörte die Sammelpetition „Absenkung der Klassenobergrenzen“ mit 9.822 Unterschriften. Die Petenten begehrten, dass Klassen, in denen Integrationskinder lernen, per Gesetz verkleinert werden. Aus unserer Sicht ist das pädagogisch sinnvoll, um die individuelle Förderung aller Kinder zu gewährleisten. Ende November 2016 erhielten die Petenten allerdings die Antwort des Petitionsausschusses, dass derzeit der Schulgesetzentwurf der Staatsregierung im Gesetzgebungsverfahren stecke und der Landtag entscheiden werde. Warum hat die Koalition dieses Anliegen dann nicht in der Novelle des Schulgesetzes berücksichtigt? Ignoriert wurde auch

das Schülerbündnis „Bildung gegen Rassismus“, das fünf Punkte zur politischen Bildung in die SchulgesetzDebatte einbrachte. Die Petenten wollten ihr Anliegen in einer Anhörung im Petitionsausschuss darlegen. Als Bearbeiterin der Petition habe ich die Anhörung beantragt. Die Koalitionsmehrheit lehnte ab. Dabei sollten alle Abgeordneten im Petitionsausschuss immer versuchen, im Sinne der Petenten eine optimale Lösung zu finden, anstatt parteipolitische Spielchen zu treiben. Die Befugnisse nach dem Petitionsausschussgesetz und der Geschäftsordnung sollten auch der Opposition zustehen! Angesichts dieser Verweigerungshaltung der Regierungskoalition muss man sich nicht wundern, dass immer weniger Bürgerinnen und Bürger am Petitionsverfahren teilnehmen. 2010 wurden noch 1.219 Petitionsschreiben eingereicht, 2016 waren es weniger als die Hälfte. Das ist ein Alarmsignal. Die Fraktion DIE LINKE fordert deshalb, das Petitionsgesetz zugunsten der Petenten zu überarbeiten. Der Petitionsausschuss sollte bürgerfreundlicher, transparenter und öffentlicher arbeiten. Das Petitionsrecht, das aus dem Jahr 2008 stammt, muss dringend modernisiert werden! Marion Junge, MdL

Neue Fachbereiche Die Linksfraktion hat nun entschieden, in welchen fachpolitischen Bereichen unsere beiden jüngst nachgerückten Abgeordneten sich bis zum Ende der Wahlperiode engagieren werden. Nach dem Wechsel des langjährigen LINKEN-Abgeordneten Falk Neubert ins thüringische Sozialministerium waren das Feld der Medienpolitik sowie die Wissenschafts- und Hoch-

schulpolitik neu zu vergeben. Antje Feiks, die im September für Falk Neubert nachgerückt ist, wird sich fortan um die Medienpolitik kümmern. René Jalaß, der schon vor einigen Monaten für Sebastian Scheel in den Landtag nachgerückt war und sich bisher mit Netz- und Drogenpolitik befasst hat, übernimmt zusätzlich die Funktion des Sprechers für Wissenschafts- und Hochschulpolitik.

Termin Fraktionsfachgespräch „Anonyme Spurensicherung für Opfer sexualisierter Gewalt“ 24. Oktober 2017, 16-19 Uhr Sächsischer Landtag, A 467 Direkt nach einer Gewalterfahrung sehen sich Opfer sexualisierter Gewalt oftmals außerstande, Anzeige zu erstatten. Zeit ist jedoch ein zentraler Faktor bei der Beweissicherung. Die verfahrensunabhängige Spurensicherung setzt dort an und ermöglicht es, Beweise sofort zu sichern, während die Entscheidung über eine Anzeige auch später noch getroffen werden kann. Mit Expert*innen und dem Fachpublikum debattieren wir, ob und wie ein landesweites Netzwerk für anonyme und verfahrensunabhängige Spurensicherung aufgebaut werden kann.

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig


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