LINKS! 9/2017

Page 1

Foto: DIE LINKE Nordrhein-Westfalen / flickr.com / CC BY-SA 2.0

Rentengerechtigkeit jetzt – auch für in der DDR Geschiedene!

Links!

im Digitalabo. Jede Ausgabe schon drei Tage früher im Mailpostfach! Jetzt kostenlos bestellen: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder 0351/84 38 9773.

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt September 2017

Trennungen sind eine schwierige, oft schmerzhafte Angelegenheit. So mancher Mensch hat noch Jahre danach Schwierigkeiten, damit umzugehen.

Kinder versorgten oder sich in Studium oder Fernstudium befanden. Ein im Westen üblicher Versorgungsausgleich findet nicht statt.

Oft sind es aber nicht nur der Schmerz im Herzen, die Enttäuschung, der gefühlte Verlust, sondern handfeste existenzielle Folgen, die aus einer Trennung oder Scheidung erwachsen. Das kann Menschen ein Leben lang begleiten. So ergeht es beispielsweise tausenden nach DDR-Recht geschiedenen Frauen. In diesem Sommer bekam ich einen sehr berührenden Brief einer 79 Jahre alten Frau aus der Lausitz. Ausführlich schilderte mir die alte Dame ihren Lebensweg, die Entbehrungen der Kriegs- und Nachkriegsjahre, ihre Berufs- und Familienarbeit und die damit verbundenen Lasten. Nun mag man sagen: Ja, so ging es vielen Frauen – und das stimmt auch. Das Problem liegt aber in den völlig unterschiedlichen Lebenswegen und Rechtsstellungen von Frauen in der alten Bundesrepublik und der DDR. Während Frauen im Westen in viel geringerem Umfang als in der DDR berufstätig waren, galt dort die gesetzliche Verpflichtung zur Unterhaltszahlung an geschiedene Frauen fort. In der DDR gab es nur sehr wenige Frauen, die nicht berufstätig waren, was einerseits zu finanzieller Unabhängigkeit vom Partner, andererseits aber auch dazu führte, dass Unterhaltszahlungen an geschiedene Partner im DDRRecht schlicht nicht vorgesehen waren. Lediglich für gemeinsame Kinder musste nach einer Trennung Unterhalt gezahlt werden. Hinzu kommt, dass die während einer nach DDR-Recht geschiedenen Ehe erarbeiteten Rentenansprüche nicht geteilt werden. Dadurch fehlen den Frauen natürlich jene Jahre in der Rentenberechnung komplett, in denen sie

So kommt es, dass tausende Frauen, die nach DDR-Recht geschieden wurden und nach 1990 keine Arbeit mehr fanden oder in Rente gingen, heute unter Altersarmut leiden – vermutlich bis ans Lebensende. DIE LINKE hat sich als einzige im Bundestag vertretene Partei immer wieder parlamentarisch und außerparlamentarisch für eine gerechte Überleitung von DDR-Renten stark gemacht. Auch in dieser Wahlperiode haben wir in mehreren Anträgen auf das Problem der in der DDR geschiedenen Frauen hingewiesen und eine gerechte Lösung gefordert. Darin haben wir unter anderem die Bundesregierung aufgefordert, schnellstmöglich ein Konzept für ein Entschädigungssystem vorzulegen. Wir wollen allen Menschen eine armutsfeste Rente ermöglichen und die ostdeutschen Biografien auch rentenrechtlich anerkennen. Wir fordern, dass die für die Betroffenen vorteilhafteren Regelungen des DDR-Rentenrechts, sofern sie nicht ins bundesdeutsche Alterssicherungssystem integrierbar sind, als besonderes zeitlich befristetes Entschädigungssystem geschaffen werden. Das wäre ein gerechter Schritt zur Bekämpfung von Altersarmut ostdeutscher Frauen und zur Anerkennung ihrer Lebensleistung. Am 24. September wird ein neuer Bundestag gewählt. Wir werden das Thema Rentenungerechtigkeit im Bundestag auch in der nächsten Wahlperiode wieder thematisieren. Das sind wir gerade den Frauen der Aufbaugeneration schuldig. • Katja Kipping


Links! 09/2017 Im Juli gab es in Schleswig-Holstein eine „erste Demonstration gegen Luxuswohnungen“, wie eine Tageszeitung titelte – organisiert in Kiel vom „Bündnis für bezahlbares Wohnen“. So wird ein Problem angegangen, dass in ganz Deutschland und in der ganzen kapitalistischen Welt virulent ist, ob auf Sylt, in Berlin, Lissabon oder München: Immer mehr Einheimische können sich in ihrer Stadt oder Region die teuren Wohnungen kaum noch leisten. Schon in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts war das Thema Mietspekulation aktuell. Damals wies die Stadt Dresden – heute kaum denkbar – Flächen aus, auf denen hochwertige Parkanlagen entstanden, um die Bebauung des Elbufers durch Spekulanten zu verhindern. „Bündnisse für bezahlbares Wohnen“ sollten sich also überall gründen. Ralf Richter hatte einige Fragen an Andreas Meyer von Attac Kiel, der zum Bündnis gehört. Im „echten Norden“ fällt der Name des „Bündnisses für bezahlbares Wohnen“ oft in Zusammenhang mit Ihrem Namen. Wie kam es zur Gründung? Ich habe mich in der Unterbringung der Flüchtlinge engagiert. Da habe ich gemerkt, wie unglaublich schwer es ist – wenn nicht nahezu unmöglich –, bezahlbaren Wohnraum zu finden, wenn man nicht viel Miete bezahlen kann.

Links! im Gespräch

„Wir würden gerne auch hier wohnen!“ In Kiel kämpft ein Bündnis um bezahlbaren Wohnraum für Normal- und Geringverdiener lerweile in Kiel, das ist ein Anstieg um 250 Prozent gegenüber 2014. Eine Ursache wird darin liegen, dass die Mieten trotz Mietpreisbremse steigen. Die Mietpreisbremse funktioniert überhaupt nicht. Schon deshalb nicht, weil es bei Verstößen keine Sanktionen gibt. In den letzten fünf Jahren allein betrugen die Mietpreissteigerungen in Kiel zwischen 15 und 25 Prozent. In Kiel kam es ebenso wie in Dresden zu einer katastrophalen Entscheidung hinsichtlich des kommunalen Wohnungsbestandes. Was ist da passiert?

renommierte Beispiele. Mitten in der Stadt verfällt ein Hochhaus, das einmal ein „Vorzeigeobjekt“ war. Doch zurück zur Gegenwart. Sie haben im Juli mit einer Demonstration großes Aufsehen erregt. Was war da los? Wir hatten Wind bekommen von einem Richtfest in der Altstadt für teure Luxuswohnungen. Der Quadratmeter kostet dort bis zu 6.000 Euro. Dorthin sind wir mit unseren Transparenten gezogen und haben darauf hingewiesen, dass in ganz Kiel gerade einmal zwei Prozent von sämtlichen Wohnungen, die hier in den letzten 15 Jahren gebaut wurden, mit einem Durchschnittseinkommen finanzierbar sind.

Seite 2

gen geworden waren, auf den „freien Markt“. … mit katastrophalen Auswirkungen auf die Mieterinnen und Mieter. Sie haben mit ihrer Demo ein Zeichen gesetzt und die Politik wohl auch etwas aufgeschreckt. Wenn in Dresden oder Leipzig gegen den Bau von Luxuswohnungen demonstriert werden würde, mit Transparenten wie „Wir würden hier auch gerne wohnen“, dürfte auch das für einigen Furor sorgen. Tatsächlich haben wir eine Einladung ins Rathaus bekommen. Hatten Sie denn die Demo zum Richtfest dort angemeldet? Die hätten wir sicher nicht genehmigt bekommen. Aber es fand eine Kundgebung in der Nähe statt, und nach der Kundgebung kann man nicht so genau kontrollieren, wohin die Teilnehmer laufen. Jedenfalls war die Polizei nach der Kundgebung verschwunden. Zum Abschluss: Was fordert ihr Bündnis? Wir wollen, dass es solche Bündnis-

Sind Sie selbst auch betroffen? Ich hatte das Glück, schon vor Jahrzehnten eine bis heute noch recht preiswerte Dreiraumwohnung zu bekommen. Daher war mir das Problem zunächst überhaupt nicht stark bewusst … Wer gehört heute zum Bündnis für bezahlbares Wohnen? Vielleicht noch zur Vorgeschichte: Es gab bereits ein kleines explizit linkes Bündnis, aber mir wurde schnell klar, dass wir mehr Partner brauchen. Darum habe ich letztes Jahr im Herbst – unter dem Eindruck der Wohnungssuche für die Flüchtlinge – versucht, welche zu finden. Derzeit umfasst das Bündnis 17 Organisationen. Dazu gehören beispielsweise der Paritätische, der Flüchtlingsrat, ver.di, Attac, die JusoHochschulgruppe, Grüne Jugend, Piraten und die Linksjugend SOLID, ASTA. Bezahlbaren Wohnraum zu finden ist in Städten ohnehin recht schwer. Das erleben nicht nur Studierende auch in Leipzig oder Dresden jedes Jahr. Wie ist die Lage in Kiel? Vielleicht nicht so extrem wie in München oder Berlin, aber man muss durchaus auch hier von Wohnungsnot sprechen. Als das Institut der Deutschen Wirtschaft – die Einrichtung ist linker Umtriebe unverdächtig – die Bedarfsdeckung an studentischem Wohnraum in 18 Universitätsstädten untersuchte, bildete Kiel das Schlusslicht. Wir verzeichnen einen starken Anstieg bei der Zahl der Wohnungslosen, insbesondere bei Menschen unter 25 Jahren. Etwa 900 Wohnungslose gibt es mitt-

Unter dem sozialdemokratischen Bürgermeister Gansel kam es 1999 zu Privatisierungsorgien. Verkauft wurden nicht nur die Stadtwerke und die Ostseehalle, sondern auch 9.600 Wohneinheiten. Bei uns kam die Aktiengesellschaft WCM zum Zuge. Danach – Sie kennen das in Dresden – wurden die Wohnungen immer weiterverkauft. Der Bestand wurde in „Wohnungspakete“ zerteilt und an die Deutsche Annington, Deutsche Wohnen AG oder Vonovia veräußert. Heute wissen viele Mieter gar nicht mehr, wem ihre Wohnung überhaupt gehört und wer für die Instandhaltung zuständig ist. Auch dafür haben wir in Dresden

Was ist mit Sozialwohnungen? Ihr Anteil fiel von 16 Prozent im Jahre 2005 auf sieben Prozent im Jahre 2015 – und hat sich damit mehr als halbiert. Eine Ursache dafür ist, dass die Sozialbindung gekürzt wurde. Sozialbindung heißt: Für einen bestimmten Zeitraum wird festgelegt, dass für einen bestimmten Wohnungsbestand nur geringe Mietpreissteigerungen möglich sind, die in der Regel deutlich unter den Mieterhöhungen für die übrigen Wohnungen liegen. In Kiel galt die Sozialbindung für fünfzig Jahre. Das hat der Landesgesetzgeber nun auf 35 Jahre verkürzt. Somit gelangten 2.500 Wohnungen, die einmal Sozialwohnun-

se wie in Kiel überall in Schleswig-Holstein gibt, wo das nötig ist. Es ist unser Ziel, bezahlbaren Wohnraum für alle einzufordern, die darauf angewiesen sind. Es muss also deutlich in den sozialen Wohnungsbau investiert werden. Aktuell kämpfen wir darum, und viele Parteien unterstützten uns darin, dass ein Flugplatzareal zu einem neuen Stadtteil wird. 1.800 bezahlbare Wohnungen könnten da entstehen, nach dem Grundsatz: Auf kommunalem Land baut die kommunale Wohnungsbaugesellschaft. Das ist unsere aktuelle Kampagne, über die wir gewiss auch unseren Bekanntheitsgrad steigern werden. Mehr kann man unter www. bezahlbar-wohnen.org nachlesen.


Die dritte Seite

Seite 3

09/2017 Links!

Neustart für Sachsens Solarbranche? Dr. Jana Pinka rekonstruiert das Hoffen und Bangen um SolarWorld in Freiberg Mitte Mai ereilte Freiberg, Sachsen und Deutschland eine bittere Nachricht: Frank Asbeck, Vorstandschef der Solarworld AG, kündigte die Insolvenz des letzten großen deutschen Solar-Herstellers an. Damit stand nicht nur eines der größten Wirtschaftsunternehmen in Mittelsachsen vor dem Aus, sondern auch ein überregional bedeutender TechnologieStandort für die Nutzung erneuerbarer Energieträger und die Produktion von Solar-Modulen. Die Arbeitsplätze der 1.200 Beschäftigten waren massiv bedroht. Die Linksfraktion forderte die Landesregierung und speziell das Wirtschaftsministerium per Dringlichkeitsantrag im Landtag auf, in Kooperation mit Thüringen sofort Maßnahmen zu ergreifen, um die Technologie- und Forschungsstandorte zu retten. CDU und SPD sowie die AfD-Fraktion lehnten die Dringlichkeit des Antrages allerdings ab.

Kurswechsel zu einer nachhaltigen Energie- und Klimapolitik einzuleiten. Wir wollen verhindern, dass einer der saubersten Energieträger an die Wand gefahren wird. Aber auch hier haben CDU, SPD und AfD mit fadenscheinigen „Begründungen“ die von uns geforderte staatliche Unterstützung für den Solarworld-Standort in Freiberg abgelehnt. Es sei ja kein Staatsbetrieb, wir lebten nicht mehr in der DDR und die Politik dürfe sich hier nicht einmischen – auf diesem Niveau bewegten sich die „Argumente“.

Am 16. August wurde nun eine Lösung präsentiert, die zum einen ein vorläufiges Aufatmen zulässt, zum anderen aber für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Freiberger und Arnstädter Standortes das endgültige Beschäftigungsaus bedeutet hätte wenn nicht, wie immer wieder von uns gefordert, eine Transfergesellschaft geschaffen worden wäre. Nach Zustimmung der Gläubiger zum Verkauf des Unternehmens gründete Frank Asbeck mit Unterstützung der Qatar Solar Technologies das neue Unter-

Doch das Thema war uns zu wichtig, weil in dieser Zeit die Insolvenz tatsächlich drohte. Wir gaben nicht auf und beantragten trotz der Sommerpause eine Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses. Uns ging es vor allem um Maßnahmen und Möglichkeiten, die der Freistaat ausloten kann, um die Arbeitsplätze zu sichern, Fachkräfte in der Region zu halten und den

Seien wir also optimistisch und hoffen, dass wir die Regierung – trotz der politischen Unkultur, die Sachsens CDU nährt, indem sie Oppositionsvorschläge immer wieder aus Prinzip abwiegelt – zum Handeln in die richtige Richtung beeinflussen zu können. Es wäre nicht das erste Mal, dass uns dies gelingt.

Vom Klären und Erklären Wer sich vor vierzehn Jahren noch im Baltikum an schönen, aber von Touristen kaum überlaufenen Städten erfreuen konnte und von den fast menschenleeren Ostseestränden schwärmte, dem war solches Vergnügen in diesem Jahr nicht mehr vergönnt. Estland, Lettland und Litauen waren mittlerweile der NATO und der EU beigetreten. Durch die Hauptstädte strömen die Touristen hinter den Fahnen der Fremdenführerinnen und Fremdenführer her. Die Ostseestrände sind besetzt wie ihre Pendants an der Adria. Die Preise steigen, der Wohlstand ebenso. Er sei den Menschen in diesen Ländern gegönnt. Die Bausünden, durch Bauboom in ehemaliger Idylle, sind aber auch nicht zu übersehen. Es ist laut geworden in den baltischen Ländern. Ein überschwänglicher Nationalismus gehört dazu. Entsprechende Denkmäler verbrauchen Fläche und wachsen in die Höhe. Man mag es, den Esten und Letten vor allem, verzeihen. Macht über ihr eigenes Schicksal war ihnen in der Geschichte kaum gegeben. Die Litauer hatten einst ein Reich von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Aber auch das ist

nehmen Solarworld Industries GmbH, das auch den Freiberger Standort, leider nur mit 294 Stellen, einschließt. Gefertigt werden hier zukünftig ausschließlich Solarmodule. Die Waferproduktion wird eingestellt. Die Transfergesellschaft ermöglicht es zwar zunächst, die Fachkräfte weiter zu beschäftigen und zu qualifizieren, um ihnen in der Region lohnende Perspektiven aufzuzeigen. Genauso brauchen wir aber auch ein „Solar-Cluster“ entsprechend dem „Silicon Saxony“. Es bleibt die Hoffnung, dass sich wenigstens ein Teil dieses wichtigen Technologiestandortes weiter behaupten kann. Die Staatsregierung und allen voran Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) fordern wir auf, dazu aktiv beizutragen und mit dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten in der Transfergesellschaft schnell neu anfangen können. Mögliche Bereiche wären Forschung und Entwicklung und/oder das Solar-Modul-Recycling.

lange her. Danach und davor teilten sie das Schicksal ihrer Nachbarn. Vornehmlich Deutschland und Russland besetzten abwechselnd die Region oder teilten sie unter sich auf. Beteiligt an Besetzung waren auch Schweden und Dänemark, in Litauen kurze Zeit auch Polen. Es ist hier nicht der Platz, diese Geschichte aufzuarbeiten. Neben den Touristen kamen jüngst noch andere Fremde: Die Einseitigkeit nationalen Stolzes, der sich gegen Russland und gegen die „kommunistische Gewaltherrschaft“ nach dem 2. Weltkrieg richtet, ist allgegenwärtig. Die NATO versucht Ängste vor Russland auszunutzen. Nicht zuletzt soll damit Russland in Schranken verwiesen werden, die dieses Land wohl gar nicht niederzureißen trachtet. Zum diesjährigen Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes, der die Aufteilung des Baltikums zwischen diesen Mächten zur Folge hatte und nach seinem Bruch erst die sowjetische, dann die deutsche Besetzung sowie schließlich den Anschluss an die Sowjetunion, kamen jede Menge Polittouristen. Der deutsche Außenminister und der deutsche Bundespräsident waren dabei. Es gab die üblichen an-

tikommunistischen Reden und Konferenzen, verbunden mit halbherzigen Beschwichtigungsversuchen gegenüber Russland und einem zu einseitigen Geschichtsverständnis der baltischen Völker. Abseits der großen Touristenpfade gab es freilich auch anderes zu entdecken. Ich war zum Beispiel in Liepaja. Wer kennt dieses verträumte Städtchen

an der lettischen Ostsee schon? Es hat einiges zu bieten. Zum Beispiel eine Orgel in einer lutherischen Kirche, die bis 1912 die größte Orgel der Welt war. Sie wird eben, wie die Kirche, vor dem Verfall gerettet. Die Stadt hat eine Universität und eine Kunstgewerbeschule für Bernsteinverarbeitung. Sie bietet aber auch noch sehr anderes. An der Ostseeküste wird ein beklemmend großes Fort mehr und mehr Opfer des Meeres. Gebaut von Russland in den Jahren 1893 bis 1906, aufge-

geben schon 1916, verrotten dort unzählige und beängstigend klobige Betonbunker. Man kann es positiv sehen als Sieg der Natur über den Menschen und seine Kriege. Schmerzhaft ist aber unweit davon ein anderer Gedenkort. In Liepaja wurden unter dem deutschen Namen Libau von 1941 bis 1944 über 7.000 jüdische Einwohner umgebracht; über 3.000 davon allein zwischen 15. und 17. Dezember 1941. Den jüdischen Familien wurde vom Stadtkommandanten das Verlassen ihrer Wohnungen verboten. Sie wurden abgeholt, vor die Stadt getrieben und ermordet: von SS, von Wehrmachtsangehörigen und von lettischen Freikorps. Das noch ziemlich neue Mahnmal ist ein aus Feldsteinen gebauter riesiger, auf die Erde gelegter siebenarmiger Leuchter. Es stockt der Atem, betritt man das Areal. Deutsche Schuld wird bedrückend sinnlich. In Sichtweite des Denkmals befindet sich eine Kläranlage. Sie war eher da und dient der Reinigung des Wassers von Schlamm und Gift. Gedenkstätten sind keine Kläranlagen, die den Schlamm und das Gift in der Geschichte von dieser trennen könnten. Gedenkstätten sind im günstigsten Fall „Erkläranlagen“, um künftig Schlamm und Gift in der Geschichte nicht zuzulassen. Man verlässt Liepaja in der Hoffnung, dass dies geschehen möge. Ein nebenan gelegenes gepflegtes Denkmal für die sowjetischen Helden bei der Befreiung der Stadt lässt Zuversicht aufkommen.


Links! 09/2017 Mit dem Eingeständnis eines Fehlers überraschte die Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke, Ende Juli die Öffentlichkeit. Die SPD-Politikerin distanzierte sich von einer Studie, die sie selbst in Auftrag gegeben und im Mai vorgestellt hatte. Bei der Präsentation hatte sie die Ergebnisse gegen Kritik verteidigt. Sie sehe, hieß es damals, „keinen Grund für Zweifel an Inhalt und Methodik der Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung“. Zwei Monate später wechselte sie auf die Seite ihrer Kritiker. Nun handelte es sich um eine „schlampige“ Arbeit, die erhebliche methodische Mängel aufweise. Das Geld für die Studie möchte Gleicke am liebsten zurückhaben. Ob es dafür eine rechtliche Handhabe gibt, will sie prüfen lassen. Ihre Kritiker triumphieren. Die einen begnügen sich mit dem öffentlichen Eingeständnis eines Fehlers, anderen geht das nicht weit genug: Sie fordern, wie der Generalsekretär der sächsischen CDU, Michael Kretschmer, eine Entschuldigung von der Ost-Beauftragten. Es sei „ein Skandal“, „wie die Ostdeutschen durch diese Studie unter Generalverdacht gestellt wurden“.

Hintergrund

Seite 4

Mehr Raum für politischen Streit Jochen Mattern über eine umstrittene Studie zu Rechtsextremismus in Ostdeutschland Vor allem stört DIE LINKE die Kurzschlüssigkeit, mit der die DDR für die rechtsextreme Gewalt verantwortlich gemacht wird. Mit den „Anmerkungen eines Historikers“ hat Ulrich van der Heyden im nd vom 12. August 2017 auf gravierende Fehler aufmerksam gemacht. In der Tat, die Verknüpfung von Rechtsextremismus und DDR ist der schwächste Teil der Studie. Dennoch geht die Kritik an den Aussagen zur DDR, so berechtigt sie ist, am Kern der Studie vorbei. Deren Wert besteht

Foto: Dierk Schaefer / flickr.com / CC BY 2.0

Der maßgebliche Grund für die heftigen Angriffe auf die Studie ist wohl der Zeitpunkt ihres Erscheinens. Über die Ursachen von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit wollten die Parteien, den Bundestagswahlkampf vor Augen, nicht reden. Das heikle Thema offen anzusprechen, könnte Stimmen kosten. Um den Ostdeutschen unliebsame Fragen zu ersparen, bildete sich eine ungewöhnliche Koalition heraus, die den Göttinger-Demokratieforschern unwissenschaftliche Methoden vorhält und eine pauschale Verunglimpfung der Ostdeutschen unterstellt. Selbst DIE LINKE schließt sich der Kritik von CDU und SPD an und bezeichnet die Studie als unseriös.

in einer Analyse der politischen Kultur in ausgewählten Regionen Sachsens und Thüringens. In Sachsen sind das die Kleinstädte Freital und Heidenau, beide nahe Dresden gelegen. Die Autoren stoßen, Thüringen einmal ausgeklammert, auf „Besonderheiten der politischen Kultur“, die ein wenig schmeichelhaftes Bild zeichnen von dem, was Wolfgang Thierse einmal „Sächsische Demokratie“ genannt hat. Zu deren Kennzeichen gehören u.a. eine von der „CDU dominierte poli-

tische Kultur, die das Eigene überhöht und Abwehrreflexe gegen das Fremde, Andere, Äußere kultiviert“; „die Neutralisierung politischer Konflikte durch den Appell an eine kollektive regionale Identität, um das Trennende zu überlagern; und zerbrechliche bzw. mangelnde „zivilgesellschaftliche Strukturen gerade im ländlichen Raum“. In der Kommunalpolitik dominiert laut der Studie die Auffassung, dass man sich „mit überparteilicher Sachpolitik zu befassen habe und dass parteipolitische Polarisierung dem städtischen Gemeinwohl schade“. Die Autoren sprechen von „einer problematischen gemeinschaftlichen Binnenintegration“, die „keine Konflikte und Kontroversen“ wünscht. „Dies hindert oftmals lokale Eliten wie z.B. Bürgermeister klar öffentlich Position zu beziehen.“ In Sachsen, heißt das, praktiziert man Politik als Sozialtechnologie. Was fehlt, ist eine „Regierung durch Diskussion“, eine vitale politische Streitkultur. „Die demokratische Selbstbestimmung der Gesellschaft“ ist im Freistaat „zu parlamentarischer Mitbestimmung“ (Hauke Brunkhorst) geschrumpft. Deshalb dominiert statt einer kollektiven Identität, die sich im Medium des politischen Konfliktes bildet, eine kulturelle bzw. religiöse Identität das Selbstverständnis der Bürgerschaft, die narzisstisch und partikular ist. Darauf gründet die „Sächsische Demokratie“. Anders als es die offizielle Selbstbeschreibung als „Freistaat“ will, folgt sie der konservativen Maxime: Viele Köche verderben den Brei! Die sächsische Demokratie ist partizipationsskeptisch und staatsfixiert. Trotz gegenteiliger Bekundungen zeigt sie sich an einer vitalen Bürgergesellschaft nicht interessiert. Der von der CDU dominierten Landespolitik macht der anarchische Gebrauch kommunikativer Freiheiten Angst. Sie will lieber alles unter Kontrolle haben.

Mindestens 150.000 sächsische Kinder in Armut Sozial-Skandal des Monats Dieser ist ein ständiger, meint Susanne Schaper In Sachsen leben etwas mehr als 600.000 Kinder unter 18 Jahren. Mindestens 150.000 von ihnen, also fast 25 Prozent, sind von Sozialleistungen abhängig und gelten somit als arm – und das in einer der reichsten Volkswirtschaften der Welt. Das ist ein immerwährender Skandal, um den sich die Regierung aber ebenso wenig schert wie um die betroffenen Kinder selbst. So lehnte die CDU-geführte Landtagsmehrheit erst jüngst einen Antrag der LINKEN ab, der einen Runden Tisch zur Bekämpfung von Kinderarmut ins Leben rufen sollte. Will man Armut bekämpfen, so muss man ihre Ursachen kennen. Bei der Kinderarmut ist es relativ einfach: Kinder sind arm, wenn ihre Eltern arm sind, das heißt, wenn diese nicht genügend eigenes Einkommen erzielen, um für sich und ihre Kinder zu sorgen. Allerdings wird Kinderarmut im Freistaat

nicht systematisch und gebündelt erfasst, weshalb sich eine Gesamtzahl betroffener Kinder nur aus der Kombination von Einzeldaten ermitteln lässt. 2016 lebten durchschnittlich 98.713 Kinder in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften und insgesamt 33.187 Kinder in Wohngeldhaushalten. Aktuell leben weitere 1.122 Kinder in Haushalten, die auf Sozialleistungen nach dem SGB XII, also auf Sozialgeld angewiesen sind. 2015 fielen zudem 13.191 Kinder unter 18 Jahren unter das Asylbewerberleistungsgesetz. Die Dunkelziffer liegt noch höher. Nicht erfasst werden Kinder, deren Eltern keine Leistungen beantragen oder Kinder von Studierenden, die auf Grund ihres BAföG-Bezuges keinen Anspruch auf Hartz IV oder Wohngeld haben. Es fehlen ebenso Kinder, deren Eltern ein paar Euro mehr verdienen als sie dürften, um Anspruch auf Sozi-

alleistungen zu haben. Das aber hilft ihnen nicht aus der Armut. Wir müssen deshalb davon ausgehen, dass die Zahl der sächsischen Kinder, die in Armut leben, über 150.000 liegt. Klarheit über die Datenlage könnte eine übersichtliche Statistik verschaffen, die das Problem im Ganzen erfasst. Unsere Forderung nach einem umfassenden Lebenslagenreport bleibt aktuell. Dann kann man Gegenstrategien entwickeln. Um Kinderarmut zu beseitigen, bedarf es aus unserer Sicht unter anderem einer eigenständigen Kindergrundsicherung in Höhe von mindestens 560 Euro, einer Erhöhung des Kindergeldes auf 328 Euro und einer nur hälftigen Anrechnung desselben auf den Unterhaltsvorschuss. Dass dieser im Übrigen jetzt an Kinder bis zum 18. Lebensjahr gezahlt wird und die Begrenzung der Bezugsdauer von nur sechs

Jahren abgeschafft ist, war ein überfälliger Schritt, um alleinerziehende Mütter und ihre Kinder vor Armut und Existenzangst zu schützen. Doch auch beim Unterhaltsvorschuss gibt es weiteren Änderungsbedarf: Beispielsweise ist nicht vermittelbar, dass ein bis dahin alleinerziehender Elternteil nach einer Heirat keinerlei Anspruch auf Unterhaltsvorschuss mehr hat, wenn der neue Ehepartner oder die neue Ehepartnerin zu viel verdient. Es kann nicht zwangsläufig davon ausgegangen werden, dass dann automatisch für den Kindesunterhalt gesorgt ist, selbst wenn das in den meisten Fällen der Fall sein dürfte. Kinder sind die Erwachsenen von morgen. Es liegt an uns, ihnen die bestmöglichen Voraussetzungen für ein sorgenfreies Leben zu schaffen. Deshalb muss Kinderarmut endlich bekämpft und verhindert werden.


Seite 5

Hintergrund

09/2017 Links!

„Der gelernte Bär tanzt für jeden, der ihn füttert“ Horst Schneider hat einige Anmerkungen zu Frank Richters Austritt aus der CDU

Richters Weg ist einerseits typisch für einen „Wende“-Politiker und hat gleichzeitig spezifische Züge. Er hatte in den achtziger Jahren in katholischen Einrichtungen Theologie studiert, war 1987 zum Priester geweiht worden und versah im „Wendeherbst“ die Aufgaben eines Vikars an der Dresdner Hofkirche. 1989 stand Frank Richter am Beginn einer Priesterlaufbahn, die keinen üblichen Verlauf nahm. Da er Priester an der Kathedrale in Dresden war, stand er dem Bischof nahe. Die Kathedrale und der Bischof Reinelt nahmen im Herbst 1989 einen besonderen Platz ein. Hier wurden wegweisende Ideen für die „friedliche Revolution“ in Dresden geboren und in Reden von der Kanzel der Kathedrale verkündet (manchmal auch parallel in anderen Kirchen). Am 8. Oktober 1989 schlug Frank Richters Stunde. Er befand sich unter den Demonstranten am Hauptbahnhof, als die „Gruppe der zwanzig“ entstand, über die es inzwischen viele Legenden gibt. Nach einer offiziellen Darstellung wurde er „Initiator der Deeskalation zwischen den Sicherheitsorganen und Demonstranten“. Er formulierte Forderungen, die am nächsten Tag auch dem Ober-

bürgermeister Wolfgang Berghofer vorgetragen wurden. Das war der Beginn des „Dresdner Weges“ im Herbst 1989. Niemand wird annehmen, dass Richter ohne Auftrag und Zustimmung des Bischofs gehandelt hat. Das wurde noch klarer, als Richter seinen Platz in der „Gruppe der zwanzig“ aufgab, um dem Katholiken Dr. Herbert Wagner die Grundlage für seine Karriere zum Dresdner Oberbürgermeister zu schaffen. Richter wurde für seine Verdienste um die friedliche (Konter-)Revolution hoch geehrt, 1995 mit dem Bundesverdienstkreuz, 1997 mit der sächsischen Verfassungsmedaille.

Austritts gefragt worden, und seine Antworten sind auch für viele, die mit Richter nichts am Hut haben, bemerkens- und prüfenswert. ln den DNN vom 16. August 2017 nannte er drei Hauptgründe. Erstens: Die Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien seien nicht mit seinen „friedenspolitischen Überzeugun-

Da zum Gelübde eines Priesters auch der Verzicht auf die Ehe gehört, geriet Richter in Widerspruch zu seiner Kirche und konvertierte zur protestantischen. Das brachte ihm Konflikte ein, bedeutete aber nicht den Abbruch seiner Karriere. Bis 2016 war er Direktor der Landeszentrale für politische Bildung. Dass ein Priester/ Pfarrer dieses politische Amt über Jahre ausübte, zeigt nicht nur, wie eng Staat und Kirche – wobei? – kooperieren. Wer die Rolle Richters in der Landeszentrale untersuchen will, braucht nur die Literaturliste zu überprüfen. Für Lügenstorys wurden Sonderdrucke noch jahrelang verteilt, als sie längst entlarvt worden waren. Richter war „his masters voice“, wer immer das jeweils gewesen ist, ob kirchliche oder staatliche Vorgesetzte. Die Mitgliedschaft in der CDU war offenbar zumindest für seine Funktion als Direktor der Landeszentrale für politische Bildung Bedingung. Nun folgte 2017 der Bruch. Richter ist verschiedentlich nach den Gründen seines

fen“? Heißt es nicht beim biblischen Micha „Schwerter zu Pflugscharen“? Zweitens: Richter kritisiert die sächsische Schulpolitik, insbesondere den Lehrermangel. Wer wird widersprechen? Nur, wann und warum ist denn diese Schulpolitik begonnen worden? Durch wen und wann erfolgten die „Abwicklung“ erfahrenen Lehrperso-

Foto: Metropolico.org / Wikimedia Commons / CC BY-SA 2.0

Der Austritt Frank Richters aus der CDU war den Medien eine breite Berichterstattung wert. Die Sächsische Zeitung wählte am 11. August 2017 als Titel: „Sachsen-CDU hadert mit Austritt von Frank Richter“. Die DNN hatten dem Vorgang noch mehr Platz gewidmet und schenkten dem Medienhelden am 16. August 2017 viel Platz für das Interview „Die Streitkultur ist eine Baustelle“. Warum diese Aufmerksamkeit und Aufregung wegen eines Parteiaustritts? Was macht Frank Richter so wichtig? Warum „hadert“ die CDU mit ihm?

gen“ vereinbar. Das ist eine Haltung, die Respekt verdient. Aber haben nur diese Waffen tödliche Wirkung? Verdienen die Rüstungshaie nur an diesen Waffen Blutgeld? ln wie viele Länder genehmigt die Merkel-Regierung die Ausfuhr mörderischer Waffen? Verwendet die Bundeswehr nur Platzpatronen? Hieß nicht die Losung der „revolutionären“ Bürgerrechtler in der DDR „Frieden schaffen ohne Waf-

nals und der Abriss der leistungsfähigen und international anerkannten Pädagogischen Hochschule? War das nicht eine verantwortungslose Aktion der Biedenkopf- Regierung? Gehörte Richter zu den Protestierenden? Drittens: Richter missfällt die Streitkultur. Da wird er viel Zustimmung finden. Selbst Bundespräsidenten von Richard von Weizsäcker bis Roman Herzog haben den miserablen Zustand der Streitkultur in Deutschland bemängelt. Aber war es nicht ein Generalsekretär der CDU, von Beruf Pfarrer, der die „Rote Socken- Kampagne“ erfand? Hat die sächsische CDU das nicht mitgemacht? lm Interview mit den DNN gibt Richter auch Persönliches preis. Richter wurde wie Hitler am 20. April geboren, wie „zum Glück“ auch sein Vater. Der 20. April wurde von anderen gefeiert. Deshalb weiß er: „Es gab in der DDR auch einen versteckten Nationalsozialismus“. Und wo ist der nach der „Wende“ geblieben? Ich beende meine Polemik mit einer fundamentalen Erkenntnis Frank Richters: „Demokratie beruht auf der prinzipiellen Partizipation aller, sonst verdient sie ihren Namen nicht.“ Preisfrage, die man auch in einer Bevökerungsbefragung stellen könnte: Wer ist denn alles der Überzeugung, dass seine „prinzipielle“ Teilnahme an der Politikgestaltung erwünscht ist?


Der erste Band von Marx’ ökonomischem Hauptwerk trägt den Untertitel „Der Produktionsprozess des Kapital“. Erstaunlicherweise ist der unmittelbare Produktionsprozess des in Hamburg verlegten „Kapital“ selbst bislang kaum untersucht worden. Der 150. Jahrestag der Erstveröffentlichung reizte den Hamburger Autor Jürgen Bönig, dieses Thema akribisch zu untersuchen. Dabei gelangte der Fachmann für Druckgeschichte zu erstaunlichen Entdeckungen. Fast minutiös leuchtet er einen Zeitraum von fünf Monaten im Leben von Karl Marx aus: Am 12. April 1867 hatte dieser in Hamburg das Manuskript des „Kapital“ an seinen Verleger Otto Meissner persönlich übergeben. An seinem Geburtstag, am 5. Mai 1867, trafen die ersten Andrucke des in Leipzig gesetzten und gedruckten Werkes in Hannover ein, wo sich Marx bei Ludwig Kugelmann aufhielt. Um den 9. September wurde dann der Band ausgeliefert. Ausgehend von einem sorgfältig analysierten Originalexemplar der Erstausgabe und unter Einbeziehung aller relevanten Ergebnisse der Marx-EngelsForschung rekonstruiert der Druckspezialist Böning den technischen Vorgang der Herstellung des „Kapital“. Erstmals wird deutlich, was tatsächlich geschah, als Marx in Hamburg eintraf. Die Abfolge und Dauer der Arbeitsschritte, nämlich das Auszeichnen des Manuskripts, Setzen, Korrigieren, Revidieren und Freigeben des Druckes mit anschließender Feststellung der noch vorhandenen Druckfehler, hatten durchaus Einfluss auf Inhalt und Gestalt des Werks. Sehr schön wird gezeigt, dass Otto Meissner manchmal etwas anderes will und tut als Marx meint und Marx etwas ande-

Hintergrund

Seite 6

Wie kam „Das Kapital“ eigentlich aufs Papier? Dr. Volker Külow hat nachgelesen res macht als er Engels schreibt. Dazu kommt, dass Marx den Umfang der Textmenge um die Hälfte falsch einschätzt und das Ausmaß der Arbeit nach der Manuskriptabgabe gravierend unterschätzt. Damit stand der ganze Druck unter dem Zwang, eine zu große Textmenge auf 50 Druckbogen unterzubringen und schnell damit fertig zu werden – eine Buchstabenwüste ohne erholsa-

me Oasen von Leerseiten und Zwischenräumen. Dazu war nur eine zeitgenössisch exzellente Druckerei fähig, die Meissner in Hamburg wohl nicht zur Verfügung stand. Deswegen wich er nach Leipzig zu „Otto Wigand’s Buchdruckerei“ aus, mit der ihn eine mehrjährige Geschäftsbeziehung verband. Angefangen von der

Foto: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, um 1885

Links! 09/2017

Im weißen Gebäude (Bildmitte) arbeiteten die Setzer über rund vier Monate am „Kapital“.

Schriftart bis zum Arbeitsumfang bei der Herstellung präsentiert das vorliegende Buch über den Druckprozess viele bislang nicht erforschte Details. Diverse Neuigkeiten über die Druckerei am Roßplatz 3b in Leipzig konnte der Autor dieser Zeilen zuarbeiten, da ihm nicht nur bei der Entdeckung der entsprechenden Bauakte das Finderglück hold war. Nunmehr wissen wir, dass die von Otto Alexander Wigand geleitete Druckerei 1857/1858 von seinem jüngeren Bruder Walther Wilhelm Wigand errichtet wurde und seinerzeit für Druckvorbereitung, Setzerei und Buchdruckerei drei Etagen mit einer Gesamtfläche von ca. 600 Quadratmetern zur Verfügung standen. Bönig hat darüber hinaus genau berechnet, dass die 800 Seiten des Endproduktes durchschnittlich 42 Zeilen und 75 Zeichen pro Zeile und eine Gesamtzeichenzahl – nach elektronischer Zählung – von 1.935.214 Zeichen umfassten. Das ergab bei einem Gewicht von ungefähr vier Kilogramm pro Seite insgesamt 3,2 Tonnen Blei. Dieser Stehsatz wurde nach dem Druck in Regalen abgelegt und für etwaige Nachauflagen aufbewahrt. Für die eigentlichen Satzarbeiten im Umfang von mehr als 2.000 Stunden waren vier bis fünf Setzer notwendig, deren Namen leider nicht überliefert sind. Ihrer sorgfältigen Arbeit, der Schriftauswahl und dem sauberen Druck auf einer Schnellpresse ist es jedenfalls maßgeblich zu verdanken, dass das Buch trotz eines relativ kleinen Schriftgrades von 9 Punkt und recht eng bedruckten Seiten zumindest in grafischer Hinsicht einigermaßen leicht lesbar war. Jürgen Bönig: Karl Marx in Hamburg. Der Produktionsprozess des „Kapital“. 184 Seiten, EUR 19,80, VSA: Verlag Hamburg.

Ein Buch, das die Jahrhunderte überdauert Die Lektüre des „Kapital“ war allezeit eine enorme intellektuelle Herausforderung. Wer die Quellen befragt und sich weder von Wunschvorstellungen noch von hagiographischen Deutungen blenden lässt, wird unmittelbar nach dem Erscheinen des Werkes selbst in den Führungszirkeln der sozialdemokratischen Emanzipationsbewegung nur wenige Personen finden, die neben den intellektuellen Voraussetzungen den Mut, die Gelegenheit und die Beharrlichkeit für die Lektüre von 796 Druckseiten komplexester Sachprosa mit 1.023 Fußnoten besaßen. Neben August Bebel und Wilhelm Bracke sind vor allem Josef Dietzgen, August Geib, Johann Most und Carl August Schramm zu erwähnen. Bracke gilt als der klarste Kopf unter den Genannten. Der charismatische, leider früh von der Schwindsucht dahin geraffte Sohn eines Braunschweiger Getreidehändlers war ein Multitalent der frühen sozialdemokratischen Bewegung, neben Bebel einer der ersten Arbeitervertreter im Reichstag, Korrespondenzpartner von Marx und späterer Adressat von dessen ebenso gerühmter wie selten genau gelesener Programmkritik. Bereits 1868 hatte er die Delegierten der in Hamburg tagenden Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins mit seinen Darlegun-

gen über das „Kapital“ derartig beeindruckt, dass sie einhellig beschlossen: „Karl Marx hat sich durch sein Werk ,Der Produktionsprozeß des Capitals‘ ein unvergängliches Verdienst um die Arbeiterklasse erworben“. Geradezu verwegen war es, wie er 1878 von der Rednertribüne des Deutschen Reichstages das Opus magnum von Marx gewürdigt hat. Bracke habe, so wird später Wilhelm Blos in seinen „Denkwürdigkeiten eines Sozialdemokraten“ berichten, jederzeit unvorbereitet eine erschöpfende Darstellung der Marxschen Werttheorie geben können. So sie es wollten, erfuhren die Akteure der frühen proletarischen Emanzipationsbewegung aus den Reden ihrer Parlamentsvertreter, den Pressefeuilletons der aufstrebenden Sozialdemokratie sowie aus Popularisierungen, die Marx’ schwierige Gedankengänge dem Verständnis auch des einfachsten Mannes und der einfachsten Frau anzupassen suchten, vom ersten Band des „Kapitals“. Eine der wirkungsmächtigsten Schriften dieses Genres hatte der sächsische Reichstagsabgeordnete Johann Most während einer Haftstrafe verfasst. Es trägt den Titel „Kapital und Arbeit. Ein populärer Auszug aus ,Das Kapital' von Karl Marx“ und erschien 1874

in Chemnitz. Dass sich Marx 1876 entre nous auf eine Überarbeitung für weitere Auflagen eingelassen hat, spricht für und nicht gegen die Qualität von Mosts Argumentation. Weitere „Kapital“-Popularisationen verdanken wir Edward Aveling, Carlo Cafiero, Gabriel Deville, Johann Georg Eccarius, Karl Kautsky, Paul Lafargue und Ferdinand Domela Nieuwenhuis. Avelings Handreichung erschien 1892 bereits mit dem zukunftsweisenden Titel „The Students’ Marx. An Introduction to the Study of Karl Marx’ ,Capital‘“. Aus Bebels Memoiren erfahren wir, dass auch er, ähnlich wie Most, erst in einer sächsischen Haftanstalt die Muße zu eingehender „Kapital“-Lektüre gefunden hat. Sie trug, blicken wir auf seinen Bestseller „Die Frau und der Sozialismus“, bemerkenswerte Früchte und leistete wohl den bedeutendsten Beitrag zur „Kapital“-Rezeption in der Sozialdemokratie. Es ist erstaunlich, dass der erste Band des „Kapitals“ zuerst ins Russische übertragen wurde (1872). Bis zu Engels’ Tod 1895 folgten Ausgaben in Französisch (1872−1875, 1885), Polnisch (1884−[1890]), Dänisch (1885), Spanisch (1886, unvollständig), Italienisch (1886), Englisch (1887, 1889, 1890 und 1891) und Hol-

ländisch (1894). Unter dem Titel „Kniga , živušaja v vekach“ [Ein Buch, das die Jahrhunderte überdauert] hat Anna Vasil’evna Uroeva die erstaunliche Verbreitung des „Kapitals“ mit lexikographischer Präzision beschrieben. Ihre Zwischenbilanz aus Anlass des Zentenariums umfasst 220 Ausgaben in 43 Sprachen. Erhellende Daten liefert der Index Translatonium, die Weltbiographie der Übersetzungen: Eine Auswertung des von der UNESCO aggregierten Datenfundus von zwei Millionen in der Zeitspanne von 1979 bis 2009 in allen Mitgliedsländern veröffentlichten Übersetzungen verzeichnet für den Zeitraum von 1979 bis 2009 weitere 226 „Kapital“-Ausgaben in Albanisch, Arabisch, Aserbaidschanisch, Assamese, Bengalisch, Bulgarisch, Chinesisch, Englisch, Farsi, Finnisch, Französisch, Griechisch, Hindi, Italienisch, Japanisch, Kasachisch, Katalanisch, Kirgisisch, Koreanisch, Lettisch, Malaiisch, Marathi, Mazedonisch, Moldawisch, Norwegisch, Oriya, Persisch, Polnisch, Portugiesisch, Russisch, Schwedisch, Serbo-Kroatisch, Sinhala, Slowakisch, Spanisch, Swahili, Tamilisch, Telugu, Tschechisch, Türkisch, Ukrainisch, Ungarisch, Usbekisch, Vietnamesisch, Weißrussisch und Mongolisch. • Manfred Neuhaus


In memoriam Volker Caysa

Seite 7

Foto: Hagen Wiel

Volker Caysa zum Angedenken Viel zu früh, im Alter von nur 60 Jahren, hat Volker Caysa den Kampf gegen eine tückische Krankheit verloren. „Philosophischer Kopf“ ist ein großes Wort. Es meint nicht den nach Studium, Promotion und Habilitation tätigen Hochschullehrer, wenngleich es diesen nicht ausschließt. Volker Caysa hat das Selbstverständnis des eigenen Philosophierens in einer Würdigung seines akademischen Lehrers Helmut Seidel beschrieben: „Man sollte nicht dem Irrglauben verfallen, dass angestellte Philosophiehistoriker schon Philosophen sind, man ist nicht Philosoph qua Amt, man ist es, weil man denkt.“ Auch ohne berufenes Lehramt hätte Seidel nichts anderes getan, „als die Angelegenheit der Polis zu diskutieren … Freilich hätte er mit irgendeiner Tätigkeit sein Leben sichern müssen, aber das Denken war sein Leben, seine Haltung.“ Hier spricht Volker Caysa nicht nur über den Lehrer, sondern beschreibt zugleich die fragile eigene Existenz.

Die Linke hat einen philosophischen Kopf verloren. Klaus Kinner und Manfred Neuhaus mit einem Nachruf

09/2017 Links! Dankesrede: „Ich selbst würde gern mehr Zeit haben für das, was Kurt Reiprich einmal als meine ,Fundamentalphilosophie' bezeichnet hat, und all die vorliegenden Teilstudien in einem systematischen Ganzen unter dem Titel ,Kritik der Ontologie des gesellschaftlichen Seins (Hegel-HeideggerLukácz-Bloch) ausführen.“ Es war ihm vergönnt, sein Opus magnum noch zu vollenden. Es trägt nun den Titel „Empraktische Vernunft“ und ist vor Jahresfrist erschienen. In unserer Trauer und Fassungslosigkeit beginnen wir, es als das Vermächtnis unseres Freundes zu begreifen.

Der Leipziger Privatdozent, dem in Deutschland die Berufung zum Professor versagt blieb, hat sein Brot viele Jahre als Gastprofessor in Łodz und Opole verdient. Er hinterlässt ein Werk, das eines hochbetagten kreativen Emeritus würdig wäre. Volker Caysa war ein humaner Aufklärer und aufgeklärter Humanist. Wir verdanken ihm wichtige Wortmeldungen im linken Diskurs. Nur wenige Autoren haben das Unabgegoltene im Leben und Werk Rosa Luxemburgs so erhellend und emphatisch beschrieben wie er. Wichtige Schriften sind „Geist der Leipziger Bloch-Zeit. Kulturphilosophische Reflexionen über Erinnerung und Geschichte“ (2003), „Körperutopien. Eine philosophische Anthropologie des Sports“ (2003), „Kritik als Utopie der Selbstregierung. Über die existenzielle Wende der Kritik nach Nietzsche“ (2005). Als ihm die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen dereinst ihren Wissenschaftspreis verlieh, bekannte er in seiner

Rosa Luxemburg – die Philosophin Unter diesem Titel ist soeben Heft 13 der Rosa-Luxemburg-Forschungsberichte erschienen. Es enthält drei Essays von Volker Caysa: Die Parrhesiastin, die Lebenskünstlerin und die Analytikerin des Empire. Darin unterbreitet der Autor sehr interessante Anregungen für neue Sichten auf Rosa Luxemburg, vor allem mit Freiheit, Demokratie, Frieden und Sozialismus verbundenes Hauptanliegen und die verschiedenen Facetten ihres Lebens und Wirkens. Die Fülle seiner klugen Erörterungen ermuntert zum Disput, der nun leider ohne ihn fortgeführt werden muss. In seinen neuen Essays denkt Volker Caysa über Ursprünge und Einflüsse der Gefühls- und Stimmungswelt Rosa Luxemburgs nach. Er pointiert ihre Stärke, selbst in existentieller Bedrohung fest und klar, gelassen und heiter zu sein (S. 42). Der Autor verweist auf Quellen ihrer Lebensform, die zum Beispiel an die altgriechische Philosophenschule, die Stoa, an die französischen Moralisten und an Goethe anknüpfen. Luxemburgs leidenschaftliches Engagement für Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse beruht auf der „Einheit von Individualismus, sozialem Engagement und Kultur, Freiheit, Gerechtigkeit und Schönheit“. Die Idee

eines bejahenswerten Lebens gelte dem Sozialismus als Kulturbewegung und einer sozialistischen Kultur der Zukunft (S. 58). In diesem Zusammenhang fehlt es nicht an charmanten Empfehlungen, die Spaltung in „soziale“ und „kulturelle“ Linke aufzuheben. Nicht zuletzt sei Luxemburgs Marxismus „nicht nur ein philosophisch-ökonomischer, sondern ein lebenskünstlerischer Marxismus, ein Marxismus als Lebenskunst“ (S. 59). Der erste Essay über die Parrhesiastin ist der philosophisch anspruchsvollste Text, eine um viele Gedankenassoziationen bereicherte Interpretation solcher Schlüsselbegriffe der Luxemburgischen Gedankenwelt wie Freiheit, Sozialismus, Demokratie und Partei. In mehreren Varianten wird der Mut zur Wahrheit und zum freimütigen Debattieren unterschiedlicher, auch völlig gegensätzlicher Meinungen verteidigt. Der Autor lässt sich von Hannah Arendt, Georg Lukács und Michel Foucault inspirieren, zieht Peter Nettl zu Rate und argumentiert anhand der „Breslauer Gefängnismanuskripte“ (S. 16). Editionsgeschichtlich fair und leserfreundlich wären zusätzliche Seitenangaben aus Band 4 der „Gesammelten Werke“ Rosa Luxemburgs von 1974 gewesen.

Die vielfältigen und zum Teil in kühnen Thesen komprimierten Gedanken des Autors werden gewiss ins Zentrum von künftigen Debatten über die Philosophin Rosa Luxemburg rücken, die sich selbst auf wissenschaftlichem Gebiet ja vor allem als Ökonomin und Wirtschaftshistorikerin verstanden hat. Dabei könnten und sollten Topoi wie der Mut und die realen Möglichkeiten für die Wahrheitssuche und ihr Aussprechen bei absoluter Freiheit der anders Denkenden und anders Handelnden weiter debattiert werden. Dies gilt gleichermaßen für Funktion und Rolle des Rechtsstaates und die jeweiligen historischen Bedingungen für das tatsächliche Funktionieren von Räten im Sinne zielgerichteter massendemokratischer Aktivitäten bzw. das Entstehen und Scheitern von Massenbewegungen für Freiheit und Gerechtigkeit. Äußerst anregend ist, wie Volker Caysa neue physische, soziale, psychologische und kulturelle Dimensionen der Kapitalakkumulation beschreibt. Seine Beobachtungen dazu unterbreitet er im dritten, Rosa Luxemburg als Analytikerin des Empire gewidmeten Essay. Im Fokus der Analyse steht der Biokapitalismus: „Es bildet sich ein neuer Imperialismus unter der Ideologie der de-

mokratischen Globalisierung heraus. Der neue Imperialismus ist ein ökologisch-solidarischer Biokapitalismus. Der globale Biokapitalismus in liberaldemokratischer Gestalt ist dadurch gekennzeichnet, dass er nicht mehr nur die äußere Natur als primäres Objekt der Ausbeutung betrachtet, sondern zunehmend wird die innere Natur des Menschen, die Natur, die wir selbst sind, der Leib, die Physis und Psyche des Menschen, zum Objekt der Ausbeutung und zum Mittel der Generierung von Mehrwerten. Das Genom-Projekt ist sein Banner. Das Human-Projekt der ,Körperutopien‘ ist der Gegenentwurf, in dem es darum geht, dass der Mensch Projekt seiner selbst und in diesem Sinne Subjekt wird und nicht nur ein biotechnisch unterworfenes Objekt bleibt.“ (S. 61). Alles in allem eine sehr geistvolle und anregende Untersuchung, die uns Volker Caysa für den Diskurs hinterlassen hat. • Annelies Laschitza Volker Caysa: Rosa Luxemburg – die Philosophin. Leipzig: Rosa-LuxemburgStiftung Sachsen 2017. 88 S. (Rosa-Luxemburg-Forschungsberichte. Hrsg. von Klaus Kinner und Manfred Neuhaus). ISBN 978-3-947176-00-1 EUR 2.50


Links! 09/2017

Seite 8

„Jetzt reden wir weiter“ DDR-Kombinatsdirektoren plaudern über ihre Erfahrungen - Ralf Richter hat mitgelesen Die Autorin Katrin Rohnstock verfolgt ein interessantes Geschäftsmodell: Sie ist Geschäftsführerin des Unternehmens Rohnstock Biografien und konzentriert sich ganz auf das Schreiben von Biografien. Seit 2012 legt sie den Fokus auf DDR-Wirtschaftsgeschichte. Mit ihrem aktuellen Buch kann man glücklich und unglücklich zugleich sein. Man bekommt einen gewissen Einblick in die DDR-Wirtschaftsgeschichte, wenngleich sich kein wirklicher Durchblick einstellen will. Das ist vielen Faktoren geschuldet. Einerseits ist das 250-Seiten-Buch zu schmal, um tiefgreifende Erkenntnisse zu vermitteln. Andererseits hat die Idee, „Salongespräche“ mit ehemaligen DDR-Kombinatsdirektoren zu führen, durchaus ihren Charme. Gleichzeitig ist sie nicht ganz unproblematisch. Der Arbeiter kommt allenfalls als anonyme Masse vor, und die Sichten der Direktoren auf die Kombinate – keiner der Beteiligten hat ein Kombinat von der Gründung bis zur Abwicklung erlebt – zeigen einen Ausschnitt im Ausschnitt. Gerade wenn man mit der DDR-Wirtschaft zu tun hatte, beispielsweise im Rahmen der wirtschaftspolitischen Arbeit in einer Blockpartei, dann stellen sich Fragen. Der Autor dieser Zeilen hat selbst erlebt, wie Anfang der 90er ehemalige Unternehmer, die in den 70er Jahren de facto enteignet wur-

Lyrisches Die Menschen und die Schrauben Diese Tage in einer Fabrik arbeiten viele Leute ob mit oder ohne Klage an einem Schraubenmeisterstück. Tausend gestern, Millionen heute, Milliarden morgen, Milliarden zu besorgen. Schrauben für jeden Gebrauch. Ein Hauch von Eden, von Stahl. Biegsam, hart, zart und kahl. Der Arbeitsleute Handgriff sitzt. Ergriffen nimmt ein jeder seine Hand und lässt ziehen, drehen, stempeln, prüfen, wählen, zählen, packen, liefern, zählen das Geld, um wieder und mehr zu ziehen, drehen, stempeln, prüfen, wählen, zählen, packen, liefern und zu zählen das Geld, um zu essen, wohnen, schlafen, lieben, wählen, zählen, packen, liefern, um zu ziehen, drehen, stempeln, prüfen, wählen, zählen, packen, liefern und zu zählen das Geld. Zu sein, um zu sein.

den, aber oft als stellvertretende oder technische Betriebsdirektoren blieben, ihre Unternehmen zurückhaben wollten. Viele waren in LDPD, NDPD und CDU organisiert. Diese Alt-Unternehmer bildeten die Keimzelle der ersten Unternehmerverbände, die nach 1990 mit Unterstützung der Liberalen etwa in Dresden gegründet wurden. Über diese Unternehmer der Einzelbetriebe der Kombinate erfährt man nahezu nichts. Es gibt eine Makroperspektive, allerdings kann das Format nicht sehr weit in die Tiefe gehen. Ohne Zweifel erfährt man viel Interessantes aus vielen Bereichen, es schwingt bei allen Beteiligten ein großer Stolz auf Erreichtes mit – trotz großer Widrigkeiten. Man kann im Nachhinein Verständnis für all die Mangelerscheinungen aufbringen, die es in der DDR gab. Die Wirtschaft stand vor einer Herkulesaufgabe. Nahezu 90 Prozent aller in der DDR verkauften Produkte wurden auf dem Boden der DDR hergestellt! Kann man sich das heute vorstellen? Wer hatte je ein Smartphone eines deutschen Herstellers in der Hand?

auf die Nerven gegangen wäre, dann wäre der Sozialismus nicht untergegangen. Immerhin wird erwähnt, wie stark die Betriebe unter der Embargopolitik litten; gleichzeitig werden die guten Beziehungen zu westdeutschen Managern hervorgehoben, von denen sogar einige – wie bei Volkswagen – aus Ostdeutschland stammten. Zu selten sind hingegen die Anekdoten, die es aber in sich haben. So frag-

Bei aller möglichen Kritik vermittelt das Buch verglichen mit vielen anderen Beiträgen zum Thema DDR einen objektiveren Blick und ist als zeitgeschichtliches Dokument wertvoll. Eine staatliche Wirtschaftspolitik auf der Grundlage der Planwirtschaft, die mit einer scharfen Embargopolitik belegt war und unter Devisenmangel litt, musste Unzufriedenheit bei der Bevölkerung produzieren, die nach westlichen Konsumgütern lechzte und sich nicht dafür interessierte, unter welchen Bedingungen diese entstanden.

Auch das ZK bekommt sein Fett weg, das klingt sinngemäß schon fast wie bei den Konzernlenkern in kapitalistischen Staaten, frei nach dem Motto: Wenn man uns hätte machen lassen und Honecker uns nicht mit seiner sozialen Wohnungsbaupolitik-Priorität

Die nächsten Tage in einer Fabrik arbeiten viele Leute mit großer Klage an einem Schraubenmeisterstück. Millionen gestern, keine heute, keine morgen? Milliarden zu besorgen. Schrauben für jeden. Ein Eden von Stahl. Biegsam, hart, zart und kahl. Der Arbeitsleute Handgriff sitzt nicht mehr. Vergriffen hat sich eines jeden Hand. Zu viel ziehen, drehen, stempeln, prüfen, wählen, zählen, packen, liefern, zählen das Geld, um wieder, um wieder, um wieder, um wieder zu essen, wohnen, schlafen, lieben, wählen, zählen, packen liefern und zu zählen das Geld. Es ist zu wenig, um zu wenig. Krisensitzung: Die verschiedenen Hände haben sich vergriffen. Wir müssen eine Hand sein! Passend wie das Produkt! Sein wie das Produkt! Das Produkt ist ein Meisterstück! Hergestellt in unsrer Fabrik! Die nächsten Tage in einer Fabrik

te Honecker bei der Präsentation des 32 Bit-Prozessors seinen Regierungsbeauftragten für Mikroelektronik, Karl Nendel: „Mal ehrlich, ist das wirklich unsere Leistung?“ – „Natürlich hat Mielke etwas mitgeholfen.“ – „Viel?“ – „Er hat die Unterlagen von Intel beschafft.“ Die Amerikaner wussten gut, wie die Gegenseite ihre Technik auseinander nimmt. Als die Spezialisten in Erfurt das Intel-Bauteil Schicht für Schicht abtrugen, stießen sie auf kyrillische Buchstaben. Der Text lautete: „Wann hört ihr endlich mit dem Klauen auf?“ Die Botschaft war an die Sowjets gerichtet – die DDR hatte man in Kalifornien nicht auf dem Zettel.

„Jetzt reden wir weiter!“ erschien in der edition berolina und kostet 9,99 Euro.

arbeiten viele Leute ohne Klage an einem Schraubenmeisterstück. Milliarden gestern, Millionen heute, Billionen morgen? Billionen zu besorgen. Schrauben. Stahl. biegsam, hart, zart und kahl. Die Schrauben sitzen nicht. Können nicht greifen. nicht ziehen, drehen, stempeln, prüfen, wählen, zählen, packen, liefern, zählen das Geld. Krisensitzung: Die Schrauben konnten nicht greifen. Wir müssen ein jeder verschieden handlich sein! Handlich wie das Produkt! Sein wie das Produkt! Das Produkt ist ein Meisterstück! Hergestellt in unsrer Fabrik! In der Fabrik arbeiten viele Leute an einem Schraubenmeisterstück. Billionen gestern, Billiarden heute, immer mehr morgen. Immer mehr zu besorgen. Schrauben. Stahl. biegsam, hart und kahl. Die Schrauben sitzen.

Greifen, für jeden Gebrauch. Ziehen, drehen, stempeln, prüfen, wählen, zählen, packen, liefern, zählen das Geld. Essen, wohnen, schlafen, lieben, wählen, zählen, packen liefern, zählen das Geld. Es ist zu wenig, aber es ist, um mehr zu sein. Wieder, wieder, wieder, wieder, wie der Mensch. • Enrico Pfau

Regierung für Gier Wirtschaft boomt Armut buht Hartgeldkalt-äugige Bundespolitik aus • Jürgen Riedel Pflegenotstand es geht um Menschen auf Kosten der Menschen • Janina Niemann-Rich


Der Band enthält 113 Texte, die einen detaillierten Einblick in die in heftigem Widerstreit ausgetragenen Auffassungen der deutschen Linken zum Verlauf und Charakter der russischen Oktoberrevolution 1917 geben. Knapp 20 Texte können als bekannt gelten, während der größere Teil zu den vergessenen zeitgenössischen Quellen gehört. Komplett unbekannt sind Texte, die der Stuttgarter Wochenzeitschrift „Der Sozialdemokrat“, 1914 unter der Patenschaft von Clara Zetkin von Friedrich Westmeyer gegründet und von Leo Jogisches zum Sprachrohr der Spartakusgruppe entwickelt, entnommen wurden. Insgesamt bilden die Beiträge aus dem „Sozialdemokrat“ und der „Sozialistischen Auslandspolitik“ den Grundstock des Bandes. Texte aus der „Leipziger Volkszeitung“ sowie aus Clara Zetkins „Frauen-Beilage“ zum gleichen Blatt und aus dem „Mitteilungs-Blatt des Verbandes der Sozialdemokratischen Wahlvereine Berlins und Umgegend“ runden die Dokumentation ab. Der „Prolog – eine Vorblende ins Jahr 1921“ reflektiert den leidenschaftlich geführten Streit um Rosa Luxemburgs Nachlass, insbesondere um beschlagnahmte und gestohlene Papiere und ihre „Russische Revolution“. Als Paul Levi 1921 ihr Fragment veröffentlichte, „erlebte diese Debatte“, wie Schütrumpf schreibt, „eine – zumindest soweit es Clara Zetkin betrifft – peinliche Nachauflage“, welche durch „die dort in die Welt gesetzten Legenden für die spätere ,linke‘ Verunglimpfung Rosa Luxemburgs prägend wurden“. Es geht vor allem um die von Mathilde Jacob, Vertraute Luxemburgs und Mitbegründerin der KPD, von Paul Levi, KPD-Vorsitzender 1919-1921, 1921 ausgeschlossen und nach Auflösung der USPD wieder der SPD zugehörig, und Zetkin geführte Auseinandersetzung – verknüpft mit der Kritik am gescheiterten mitteldeutschen Putsch der KPD von 1921.

Geschichte

Zeitgenössische linke Sicht auf 1917 Kurt Schneider rezensiert „Diktatur statt Sozialismus“ von Jörn Schütrumpf Der Hauptteil des Bandes „Pro und kontra BOLSCHEWIKI 1917/18“ umfasst 97 vergessene zeitgenössische Texte. Sie sind vor allem verfasst seitens der Verteidiger der Bolschewiki – Clara Zetkin, Franz Mehring, Paul Levi, August Thalheimer, Edwin Hoernle, Rudolf Breitscheid, Arthur Crispien und Alfred Henke – sowie der Kritiker Eduard Bernstein, Karl Kautsky, der keineswegs immer Lenin und die Bolschewiki abgelehnt hatte, und Heinrich Ströbel. Rosa Luxemburg als „Schutzhaft-Gefangene“ konnte sich lediglich über den illegalen

rückgekehrt, wurde er Mitglied der KPD und Mitgründer der kommunistischen Parteiorganisation in Mannheim. Als Politischer Sekretär der KPD-Bezirksleitung Baden war er zugleich verantwortlicher Redakteur der seit dem

„Spartacus“ anonym melden, „grenzte sich zwar von Ströbel, Bernstein und vor allem von dem ihr seit Beginn des Jahrzehnts verhassten Kautsky, ihrem einstigen Verbündeten, verbal ab“, so Schütrumpf, „stand aber inhaltlich ihnen deutlich näher als ihren Freunden Franz Mehring und Clara Zetkin“. Dass in der Haltung zur russischen Revolution unter den deutschen Linken unterschiedliche Auffassungen zutage traten, war nicht verwunderlich. Die Welt war seit 1914 im imperialistischen

1. Mai 1922 in Baden, Hessen und in der Pfalz erscheinenden „Arbeiter-Zeitung“. Wegen ihres gesellschaftskritischen Inhalts wurde Lechleiter 1923 zu einem Jahr und einem Monat Festungshaft verurteilt. Lechleiter, der bereits seit 1922 dem Stadtparlament Mannheim angehörte, wurde 1924 Abgeordneter des Badischen Landtags. Bald nach der Errichtung der faschistischen Diktatur verhaftet, durchlebte er Terror und Willkür in mehreren Konzentrationslagern. Nach seiner Freilassung leistete er umfassende illegale Widerstandsarbeit. Er formierte die kommunistische Mannheimer Widerstandsgruppe und trug maßgeblich dazu bei, Verbindungen zu Sozialdemokraten und parteilosen Arbeitern herzustellen und die Familien politischer Gefangener zu unterstützen. Nach dem Überfall

Krieg, die Sozialistische Internationale zusammengebrochen, ihre nationalen Gliederungen gespalten, nicht in der Lage, den Krieg mittels einer Revolution zu beenden. Entgegen der allgemeinen Auffassung, dass eine sozialistische Revolution nur in hochentwickelten kapitalistischen Ländern möglich ist, brach diese auf sich allein gestellt im rückständigen zaristischen Reich aus. Nicht zuletzt deshalb traten mit der Revolution 1917 ernsthafte Probleme auf, von deren Bewältigung nicht nur ihr Schicksal abhing. Nicht zu übersehen ist, dass die Beurteilung damaliger Auffassungen und Prozesse oft darunter leidet, dass sie aus der Sicht erst später gewonnener Erkenntnisse erfolgt. Die Frage ist: Was war entsprechend dem damaligen Wissenstand erkenn- und erreichbar, was konnte zu Recht als Fehler bezeichnet werden? Der Sozialismus als Gesellschaftssystem war bis dahin theoretisch konzipiert, die Notwendigkeit und die Spezifik einer längeren Übergangperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus noch nicht voll erkannt. Den Reifegrad, die Unterschiede und Widersprüchlichkeit der objektiven und subjektiven Bedingungen für die Verwirklichung revolutionärer Strategien zu beachten war unerlässlich. Was für ein hochentwickeltes Land wie Deutschland zutraf, konnte nicht schematisch auf andere Länder übertragen, objektiv notwendige Entwicklungsstufen durften nicht ignoriert werden. In diesem Sinne belegt die von Jörn Schütrumpf sorgfältig aufbereitete Quellen-Dokumentation die Einsicht in die Kompliziertheit des Entwicklungsweges der Arbeiterbewegung im 20. Jahrhundert. Jörn Schütrumpf (Hrsg.): Diktatur statt Sozialismus. Die russische Revolution und die deutsche Linke 1917/18. Karl Dietz Verlag Berlin 2017, 463 Seiten, ISBN 978-3-320-02331-7. 29,90 Euro.

„Der Bolschewik“, Boris Michailowitsch Kustodijew, 1920

Vor 75 Jahren ermordet: Georg Lechleiter Eine der stärksten Gruppen des deutschen Widerstandes gegen die faschistische Gewaltherrschaft war die in Mannheim von Georg Lechleiter gemeinsam mit Rudolf Langendorf und Jacob Faulhaber geleitete illegale Organisation. Am 14. April 1885 in Appenweiler/Baden geboren, trat Lechleiter, als Schriftsetzer in der Schweiz lebend, der Schweizer Sozialdemokratischen Partei bei. 1918 nach Deutschland zu-

09/2017 Links!

auf die Sowjetunion gab er die sich als „Informations- und Kampforgan gegen den Hitlerfaschismus“ bezeichnende Zeitung „Der Vorbote“ heraus. Durch einen organisierten Abhördienst ausländischer Radiostationen veröffentlichte „Der Vorbote“ außer Artikeln auch antifaschistische Stimmen aus unterschiedlichen Ländern. Die Basis der Gruppe lag in den Mannheimer Großbetrieben, darunter Benz, Lanz, Schiffswerft und Rheinhafen.

Foto: Landesarchiv Baden-Württemberg / Wikimedia Commons / CC BY 3.0

Seite 9

Im Februar 1942 gelang es der Gestapo, Georg Lechleiter und weitere Mitglieder der Widerstandsgruppe zu verhaften. In zwei großen Prozessen unter dem Vorsitz des Blutrichters Freisler wurden 19 Mannheimer Antifaschisten – Kommunisten, Sozialdemokraten und parteilose Hitlergegner – zum Tode und weitere Angeklagte zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt. Am 15. September 1942 wurden Georg Lechleiter und dreizehn Kampfgefährten in Stuttgart hingerichtet. Mit ihm starben durch faschistische Mörderhand: Philipp Brunnemer, Jacob Faulhaber, Johann Kupka, Anton Kurz, Rudolf Langendorf, Rudolf Maus, Ludwig Moldrzyk, Robert Schmoll, Alfred und Käthe Seitz, geb. Brunnemer, Daniel Seizinger, Eugen Sigrist und Max Winterhalter. Hans Becker und Franz Grund starben den Freitod, Willi Probst erlag der Folter. Weitere vierzehn Angeklagte der Gruppe Lechleiter standen am 21. Oktober 1942 vor dem Strafsenat in Stuttgart. Zum Tode verurteilt und am 24. Februar 1943 hingerichtet wurden Henriette Wagner, Ludwig Neischwander, Albert Fritz, Bruno Rüffer und Richard Jatzek. • Prof. Dr. Kurt Schneider


Rosa-Luxemburg-Stiftung

Links! 09/2017

Seite 10

Terminübersicht Leipzig, 15. September, Freitag, 11-14 Uhr n Gedenkveranstaltung In memoriam Prof. Dr. Werner Berthold*** RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Freund*innen und Kolleg*innen gedenken des leidenschaftlichen Hochschullehrers, Historikers und Jünger Klios sowie Mitbegründers der RosaLuxemburg-Stiftung (15. September 1923 − 8. April 2017). Mit Beiträgen von Prof. Helmut Richter, Prof. Dr. Mario Keßler, Dr. habil. Gerald Diesener, Dr. habil. Monika Giebas, Prof. Dr. Klaus Kinner und Prof. Dr. Manfred Neuhausmburg-Stiftung Sachsen. Infos: www.sachsen.rosalux.de Leipzig, 26. September, Dienstag, 18 Uhr n Vortrag und Diskussion Kritik der Aufklärung bei Fichte oder das Verlangen, Wissen und Handeln kritisch zu denken*** REIHE: Philosophische Dienstagsgesellschaft. Mit Dr. Jürgen Stahl (Philosoph), Moderation: Dr. Peter Fischer. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Fichte gilt vielen als ein „Antiaufklärer“. Dabei wurden Deutungsmuster transformiert: vom patriotischen über den nationalbewussten, weiter über den völkischen zum nationalistischen und rassistischen Diskurs – scheinbar nur kleine Abstufungen, vermittels derer man sich durch die historische Inanspruchnahme in der politischen Verantwortung abzusichern glaubte. Wird aber eine solche „antiaufklärerische“ Interpretation Fichte mit seinem Anspruch, die Menschen zur Urteilsfähigkeit und damit zur eingreifenden Teilhabe am gesellschaftlichen Lebensprozess zu erheben, gerecht?

Dresden, 27. September, Mittwoch, 19 Uhr n Lesung Flüchtlingsgespräche von Bertolt Brecht*** Im Rahmen der Interkulturellen Tage Mit Konrad Heinze (Politikwissenschaftler) und Mike Melzer (RLS Sachsen). Mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlages. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 27. September, Mittwoch, 19.30 Uhr n Vortrag und Diskussion Frühe Konzentrationslager in Sachsen Mit Anna Schüller (Historikerin) und Daniela Schmohl (Historikerin). Leipzig, Ort wird noch bekannt gegeben Leipzig, 28. September, Donnerstag, 18.30 Uhr n Vortrag und Diskussion Wie weiter? Betrachtungen nach der Bundestagswahl REIHE: Rosa L. in Grünau. Mit Stefan Hartmann (stellvertretender Vorsitzender DIE LINKE. Sachsen) KOMM-Haus, Selliner Str. 17, 04207 Leipzig Save the date: Bad Frankenhausen, 4. November, Sonnabend, 9-17 Uhr n Exkursion Werner Tübke und die Frühbürgerliche Revolution Panorama Museum, Am Schlachtberg 9, 06567 Bad Frankenhausen In einer Führung werden wir uns mit dem Schaffen Werner Tübkes und den historischen Ereignissen rund um Reformation und Bauernkrieg vertraut machen. Zusätzlich zur Führung vor

Ort werden wir einen Dokumentarfilm sehen. Wir fahren mit dem Bus ab Leipzig um 9 Uhr, es wird eine Zustiegsmöglichkeit in Halle/S. geben. Bustickets inklusive Eintrittsgeld kosten 16 € oder ermäßigt 11 €. Wir bitten um Anmeldung bis zum 9.10.2017 unter schmohl@rosalux-sachsen.de. Chemnitz, 11. November 2017, 11-18 Uhr n Symposium „Der Staat und die Linke Reflektionen zur Aktualität materialistischer Staatstheorie“ Eine Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. und des Student_innenrates der TU Chemnitz. Unter anderem mit Prof. Dr. Alex Demirovic (RLS) und Dr. Nadja Rakowitz (Geschäftsführerin des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte) TU Chemnitz, Strasse der Nationen 62, 09111 Chemnitz Naunhof, Mittwoch, 6. Dezember, 13 Uhr, bis Sonntag, 10. Dezember, 13 Uhr n Intensivwoche Politische Bildung – Grundlagen der politischen Bildungsarbeit Mit Claudia de Coster (Referentin für Politische Weiterbildung, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin) und Julia Lehnhof (freiberufliche Trainerin und Prozessbegleiterin Berlin) Freizeit- und Bildungszentrum „Grillensee“ Naunhof, Ammelshainer Str. 1, 04683 Naunhof Die Intensivwoche ist als Training angelegt, um einen möglichst hohen Grad an Praxisnähe im gemeinsamen Aneignungsprozess von Modellen, Techniken und Methoden zu erreichen. Die Teilnehmenden profitieren dabei von den unterschiedlichen Erfahrungsfeldern ihrer bisherigen Bildungsaktivitäten, die sie einbringen

können. Einige vertiefende Themen: n Vom Ziel über Inhalt zur Methode (ZIM-Logik; Konzeptentwicklung für Bildungsangebote durch Lernzielorientierung und didaktische Reduktion) n Lernsettings und Methoden in der politischen Bildungsarbeit n Grundlagen der Kommunikation n Umgang mit Zeit in der Gestaltung von Lernprozessen n Präsentation und Visualisierung n Zielgruppenbestimmung und -erreichung Kosten: 100 € / ermäßigt* 50 € (incl. Übernachtung im DZ und Vollverpflegung; je nach Verfügbarkeit ist gegen Aufpreis eine Übernachtung im Einzelzimmer möglich). Fahrtkosten sind von den Teilnehmenden zu tragen. * Als Ermäßigungsgründe gelten üblicher Weise der Status als Student_ in, Schüler_in, Erwerbslosigkeit. Darüber hinaus wissen wir um prekäre Einkommenssituationen auch bei Freiberuflichkeit. Wir setzen auf eine solidarische Selbsteinschätzung! Teilnahmebeiträge dürfen keine Barriere für die Teilnahme an politischen Bildungsveranstaltungen darstellen. Bitte bei uns melden, um bei Bedarf eine weitere Absenkung des Teilnahmebeitrags zu vereinbaren. Kontakt: Mike Melzer, (0371) 275 893 72, chemnitz@rosalux-sachsen.de Anmeldung bitte bis zum 30.10.2017 an chemnitz@rosalux-sachsen.de Die Anmeldung ist verbindlich und wird nach Eingang des Teilnahmebeitrags bestätigt. Die TeilnehmendenZahl ist auf 20 Personen begrenzt. Wir streben an, mindestens die Hälfte der Plätze mit Frauen zu besetzen. Bitte teilt uns bei der Anmeldung mit, ob Kinderbetreuung benötigt und falls ja, für wie viele Kinder welchen Alters. Wir werden uns bemühen, eine Betreuung sicherzustellen.

RLS-Wissenschaftspreis 2018 Die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e. V. verleiht regelmäßig einen Wissenschaftspreis. Er gründet sich auf ein Vermächtnis des deutschamerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers und Publizisten Günter Reimann (1904−2005). Gefördert werden Arbeiten jüngerer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Preisgeld von 1.500 € kann wahlweise für die Publikation der prämierten Arbeiten eingesetzt werden. In der diesjährigen Ausschreibung werden Abschlussarbeiten, d. h. Diplom-, Bachelor- und Masterarbeiten bzw. vergleichbare Werke im Mindestumfang von 50 Seiten, besonders berücksichtigt. Dissertationen können 2018 eingereicht werden. Wenn Du jünger als 39 Jahre bist und ein wissenschaftliches Werk geschaffen hast, das sich kritisch mit Fragen unserer Zeit auseinandersetzt und

originelle Überlegungen zu gravierenden gesellschaftlichen Problemen enthält, dann bewirb Dich mit • der in deutscher oder englischer Sprache verfassten Arbeit • einem Exposé über Inhalt, Zielsetzung und Methodik (max. 2 Seiten) • einem Gutachten oder einer Referenz (max. 2 Seiten) • einem kurzen Lebenslauf. Es können auch Personen und deren Arbeiten von Dritten vorgeschlagen werden. Eine Beschränkung auf bestimmte Fachgebiete gibt es nicht. Die Bewerbungsfrist endet am 31. Oktober 2017. Deine Arbeit kannst Du selbst digital einreichen. Der Wissenschaftspreis wird traditionsgemäß im Rahmen des Neujahrsempfangs der Stiftung verliehen. Weitere Informationen unter www.sachsen.rosalux.de

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­ lage von 10.950 Explaren gedruckt. Der Redaktion gehören an: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Thomas Dudzak, Ralf Richter Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, pixelio, iStockphoto

Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Telefon 0351-8532725 Fax 0351-8532720 Redaktionsschluss: 25.09.2017 Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 04.10.2017. Die Zeitung „Links!“ kann kostenfrei abonniert werden. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Erscheinen unserer Zeitung unterstützen. Kostendeckend für ein Jahresabo ist eine Spende in Höhe von 12 Euro. Sollten Sie an uns spenden wollen, verwenden Sie bitte folgende Konto­daten: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07 BIC: GENODEF1DRS Dresdner Volksbank Raiffeisenbank Aboservice: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder Telefon 0351-84389773


Seite 11

Rezensionen

09/2017 Links!

Das Beste vom Herrn Wollenberg Reinhard Ständer vom Musikmagazin „Folker“ ist beeindruckt von „Die Loewenzahnjahre“ Es gibt bedeutende Künstler, die kaum jemand kennt – „dank“ unserer Medien, die immer mehr große Kunst ignorieren und nur senden bzw. drucken, was angeblich massentauglich ist. Zu diesen Künstlern gehört seit Jahrzehnten der Folk- und Chanson-Poet JensPaul Wollenberg, ein Wahl-Leipziger, von dem kürzlich das Doppelalbum „Die Loewenzahnjahre 1990 – 2004“ erschien. Es enthält 32 Lieder seiner bisherigen zehn Alben, die von ihm im Löwenzahn-Verlag Leipzig erschienen. Dazu gehören seine Bands Wahdi alEhana, Pojechali, Funkner-Trio, Ex.ces und die Mitwirkung in der Leipziger Folksession Band.

nenen Buch „Volkes Lied und Vater Staat“ von Wolfgang Leyn, an dem ich mitwirken durfte. Geboren in Speyer (BRD), wuchs JensPaul Wollenberg im idyllischen Harzer Städtchen Quedlinburg auf, arbeitete u.a. als Postbote und gründete 1978 seine erste Gruppe: Quitilinga. Aufgrund der provozierenden Erscheinung des Sängers, seiner aufmüpfigkritischen Songs und spektakulären Auftritte wurde die Gruppe durch die

DDR-Staatsmacht immer wieder verboten und trat danach zur Tarnung stets unter neuem Namen auf, beispielsweise als Münzenberger Gevattern Kombo. Natürlich wurden sie dabei von einer ganzen Reihe Spitzeln überwacht. 1988 war Wollenberg der Kleinstadt überdrüssig und zog nach Leipzig. Nach der Wende trat er vermehrt als Straßenmusiker auf, auch mit seiner Lebensgefährtin, der Künstlerin Uta Pilling oder dem BajanSpieler Valeri Funkner. Nach und nach

Den Großteil der Titel hat er selbst geschrieben, es gibt aber auch Texte von Goethe, Hesse, Villon, Wedekind oder Hoffmann von Fallersleben, dem Dichter der deutschen Nationalhymne, der aber vor allem wegen seiner gesellschaftskritischen Liedtexte erwähnenswert ist: „Der deutsche Philister das bleibet ein Mann, auf den die Regierung vertrauen noch kann, der passet zu ihren Beglückungsideen, der lässt mit sich alles gut willig geschehn“. Verse aus dem 19. Jahrhundert, die aktuell sind – leider. Und das nicht nur in diesem Lied. Die ganze DDR-Folkloreszene war ob dieser doppeldeutigen Zeilen so beliebt, weil sich die Verhältnisse aus früheren Jahrhunderten trefflich auf die DDR übertragen ließen, was sich in vielen Fällen nicht geändert hat. Ausführlich nachlesen kann man das im 2016 erschie-

erschienen viele Alben des Ausnahmekönners unter den Kleinkünstlern. Wollenbergs Vortragskunst ist beeindruckend. Er singt nicht einfach, er lebt seine Texte aus, von Morbidem, Zärtlichem, Bösartigem, Verzweifeltem, Skurrilem, Traurigem, Berührendem. Beispiele dafür sind unter anderem der ironische „Tantenmörder“, die „Ratten“, die „Seifenblasenliga“ oder die „Ballade am Kiosk“. In „Europa“ heißt es: „Dein Leichentuch stinkt gegen den Himmel, verflucht wer im Abendland lebt, ein Fetzen von Erdteil historischem Schimmel, wie peinlich an Asien geklebt, Europa … doch ordentlich bist du gewebt“. Aus der Reihe der schon zu DDR-Zeiten beliebten Räuberlieder kommt das köstliche „Die Räuber aus dem Böhmerwald“ mit der musikalisch herausragenden Leipziger Folksession Band, in der Musiker der legendären „Folkländer“ dabei waren und die es nur einige Jahre gab. Leider gibt es aus der Zeit vor 1990 nur spärlich Mitschnitte, deshalb ist auch die Originalaufnahme von „La Marmotte“, in den 80ern gern gespielt, besonders hervorzuheben. Alles in allem bietet das Doppelalbum einen passablen Querschnitt durch das Schaffen des brillanten Songpoeten. Wer mehr von ihm hören möchte, sollte sich die Originalalben besorgen, sofern sie noch erhältlich sind. www.loewenzahn-verlag.com Bestell-Nummer: LZ 20171

Optimistische Vision eines linken Weltbürgers Theodor Bergmanns Versuch, eine ferne Entwicklung zu verstehen. Von Wulf Skaun Dies ist ein inspirierendes Buch. Es könnte allen Mut machen, die eine gerechtere Welt jenseits kapitalistischer Profitmaximierung und gescheitertem Staatssozialismus anstreben. Außergewöhnlich ist es auch, weil sich sein Autor selbst als Hundertjähriger noch „kritischer Kommunist“ nannte und die Schlappe des stalinistisch verfassten Kommandosozialismus mit einer bei Engels geliehenen Ansage erledigte: „Dann fangen wir von vorne an.“ Theodor Bergmann ist in seiner theoretischen und praktischen Beschäftigung als Wissenschaftler und Autor immer wieder der Frage nachgegangen, „was es an Alternativen zum Kapitalismus gibt“. Dass diese existieren, galt dem entschieden Linken, dessen organisatorische Heimat von der Kommunistischen Partei-Opposition (KPO) an der Seite August Thalheimers über die nach 1945 wirkende Gruppe Arbeiterpolitik als Nachfolgeorganisation der KPO bis hin zur PDS in den 1990er

Jahren und seit 2007 der Linkspartei reichte, als evident. Also suchte er systematisch nach Ansätzen, wie und wo Prozesse vom Aufbau einer nichtkapitalistische Gesellschaft kündeten. In den letzten Jahren studierte er unter diesem Blickwinkel die Entwicklung Chinas. Ganz im Widerspruch zu vielen Linken, die die Volksrepublik bereits als kapitalistisch verorten, fügte sich dem früheren Professor für Internationale Agrarpolitik an der Universitär Hohenheim ein anderes Bild. Intensives Quellenstudium und mehrere Studienreisen gestatteten ihm, seine Kenntnisse im Buch „Der chinesische Weg“ darzulegen. Wie er seine Auskünfte vorsichtig als Versuch deklarierte, „eine ferne Entwicklung zu verstehen“, so zurückhaltend fasste er seine Schlussfolgerungen: „Ich glaube nicht, dass sie dort den Kapitalismus wiederherstellen.“ Man lese selbst, wie sorgfältig er dieses Fazit anhand faktenreicher Analy-

sen chinesischer Entwicklung auf den Feldern Wirtschaft, Landwirtschaft, Politik/Außenpolitik, Sozialentwicklung, Handel, Parteipolitik und anderen vorbereitet. Und weil Bergmanns ganzheitliches dialektisches Denken ihm die Feder führt, verhandelt er die Sachverhalte in ihrer widersprüchlichen Geschichte und Gegenwart, um von daher perspektivische Deutungen zu wagen. Außerdem erfährt der Leser biografische Informationen über die Spitzenreformer der KP Chinas. Die Charakteristik der neben China verbliebenen drei, vier Staaten mit eigenständiger sozialistischer Orientierung nährt des Autors Hoffnung über mögliche Alternativen zum Kapitalismus. Bergmanns dialektische Betrachtungen vermitteln aber nicht nur Einblicke in gesellschaftliche und politische Entwicklungslinien der Volksrepublik jenseits einer klassischen kapitalistischen Marktwirtschaft. Indem er diese in die globalen historischen Zusam-

menhänge einbettet, mit Fokus auf das Werden und Vergehen des einstigen sozialistischen Weltsystems, erfahren ostdeutsche Linke auch manches Bemerkenswerte über sich und ihre Denk- und Deutungsmuster. Will heißen: DDR-sozialisierte Anhänger des bärtigen Welterklärers aus Trier erleben bei Bergmanns Parforceritt durch die Revolutionsgeschichte des 20. Jahrhunderts manchen Aha-Effekt. Mich hat auch beeindruckt, wie der Stuttgarter seine Sicht vorträgt: erwägend, unaufgeregt, dem Faktum vertrauend, fernab jeder Belehrung, mit heiterer Gelassenheit, immer optimistisch. Da offeriert ein altersweiser kommunistischer Hochschullehrer seine Weltanschauung nicht ex cathedra, sondern gespeist aus dem Erfahrungsschatz eines seiner jüdischen Herkunft wegen seit jungen Jahren Umgetriebenen, der sich die Welt mit eigenen Augen angeschaut hat. Ein großartiges Vermächtnis des am 12. Juni verstorbenen Gelehrten.


Manana Menabde ist ein nachdenklicher Mensch, eine musische Multikünstlerin, der es scheinbar spielerisch gelingt, Musik, Poesie, Malerei und Schauspiel unter einen Hut zu kriegen. Wenn sie die Bühne betritt, behutsam ihre Konzertgitarre stimmt und mit einem kleinen Schmunzeln das Publikum begrüßt, fühlt man sich sofort eingeladen. Ein faszinierender atmosphärischer Zauber umgibt einen, wenn Manana annähernd morphische Stimmungen heraufbeschwört, indem sie in feinsinnig-einzigartiger Vortragsweise georgische sowie russische Chansons und Romanzen mit unverwechselbarem, von dezentem Belcanto ornamentierten Gesang beinahe zelebrierend darbietet. Sie spannt einen Bogen zwischen menschlicher Tiefe, urwüchsiger Lebensfreude und orientalisch anmutender Exotik, behutsam, getragen und rhythmisch umgarnt durch ihr eigenwilliges Gitarrenspiel. Geboren 1948 in Tbilissi als Tochter kultur- und kunstliebender Eltern, entwickelte sie rasch ein großes Musikbewusstsein, waren ihre Großmutter Tamara und deren drei Geschwister doch Chormitglieder der damals sehr gefeierten „Ischchnelischwestern“. Deren Aktivismus und Leidenschaft war es zu verdanken, dass die altehrwürdigen georgischen Großstadtromanzen nicht in Vergessenheit gerieten. Bereits 1952 erschien in der Zeitschrift „OGONJOK“ eine erste Nachricht über die vierjährige Enkeltochter von Tamara Alexandrowa Ischchneli Manana, die das gesamte Repertoire ihrer Großmutter singenderweise beherrschte. Von 1963 bis 1966 war sie als Gesangsolistin im sehr bekannten Orchester des Polytechnischen Instituts unter Leitung von Soso Tugushi aktiv, welches sich dem Jazz und Unterhaltungsmusikgattungen widmete. Mit fünfzehn Jahren hatte sie das Glück, Jacques Brel persönlich kennenzulernen. Im Nachbarhaus wohnte eine georgisch-französische Familie, bei der Brel während seiner Gesangstournee Unterkunft genoss. Die Begegnung mit dem „kettenrauchenden Weltstar“ war für das Mädchen sehr bedeutsam, eine Art prägende Bestätigung dafür, wie ein Mensch mit seinem Talent umgehen sollte. 1967 begann Manana ein Studium im Staatlichen Theaterinstitut in Tbilissi, wo sie mit dem Regisseur Shota Rustaveli und dem Dramaturgen Michail Tumanischwili Workshops abhielt. Zeitgleich war sie als Gesangsolistin mit dem Orchester „RERO“ unter Leitung von Konstantin Nikolaus Pevsner durch die Sowjetunion und ihre „Bruderländer“ auf Tournee. 1971 setzte sie ihr Regiestudium im Moskauer Theaterinstitut fort. Ab 1972 gab sie unzählige Solokonzerte mit russischen Romanzen, Liedern von Alexander Vertinsky und dem russisch-georgischen Songpoeten Bulat Okudshawa, dem Enkel von Galaktion Tabidze, der oft als der georgische Rilke bezeichnet wurde. Okudshawa lernte sie 1981 persönlich kennen, während eines Jubiläumskonzertes ihrer Großmutter im Zentralen Haus der Künste. Als Manana Bulats Lieder auf der Bühne sang, ahnte sie nicht, dass der Meister im Publikum zugegen war. Nach dem Konzert betrat er die Büh-

Die letzte Seite

Seite 12

Foto: privat

Links! 09/2017

Intensiv und doch gelassen: Manana Menabde Jens-Paul Wollenberg portraitiert die unglaublich vielseitige georgische Künstlerin ne, bedankte sich, und weil er ihre Interpretationen seiner Texte wunderbar fand, bat er sie, diese weiter zu singen. Es folgten mehrere Auftritte in Rundfunk und Fernsehen. 1977 gründete sie mit den jungen georgischen Musikern David Malayonia, Zaza Miminoshvilli und Galina Sulagvelidze das Liedtheater „ENKENI“. Nebenher wirkte sie im sehr erfolgreichen Spielfilm „Der Tag ist länger als die Nacht“ von Lana Gogoberidze mit. Sie komponierte die Filmmusik und übernahm die Rolle eines fahrenden Gauklers. Zwischen 1975 und 1985 wurden Mananas Lieder von BBC London und dem Moskauer Sender „Radio Svoboda“ in England und in der UdSSR ausgestrahlt. 1983 gab es eine Liveübertragung eines Konzerts im Zentralen Staatlichen Fernsehen Kiew. Zwischen 1986 und 1988 nahm sie die Arbeit mit einer experimentellen Theatergruppe unter der Leitung von Oleg Kisilov auf, wo sie basierend auf der Methode von Michael Tschechow plastische Bewegungen kreierte, die es erlaubten, Testpassagen pantomimisch darzustellen. 1991 zog es Manana nach Berlin, wo viele Konzerte, Ausstellungen, künstlerische Projekte, Installationen und Performances realisiert wurden. So trat sie unter anderem im Bertolt-Brecht-Zentrum auf, war beim Chansonfest zu erleben und wurde auf den Kleinkunstbühnen und in Szenecafés gefeiert. Ihr kleiner Abstecher nach Leipzig ermöglichte es mir, Manana persönlich kennenzulernen, da sie in der „Ost-

wind-Reihe“, die ich in den Neunzigern moderierte, einen bejubelten Konzertabend bestritt. Im selben Jahr erhielt sie ein Stipendium der Heinrich-BöllStiftung und wurde als Special Guest zum World Festival nach Stuttgart eingeladen, wo sie mit dem berühmten amerikanischen Jazz- und KlezmerMusiker Giora Feidman und dessen Trio „JAM“ ein Konzert gab. 1994 produzierte sie mit der georgischen Jazzband „ADIO“ eine CD, und von 1995 bis 2000 stellte sie erneut ihre Vielfältigkeit unter Beweis: Mit der Keramikmeisterin Daniella Schultz arbeitete sie künstlerisch zusammen. Von 1996 bis 1997 wurde ihre Musik auf den Kanälen des MDR und des WDR vorgestellt, nachdem sie bereits ein Jahr zuvor das georgische Jazz-Ensemble „Shin“ gegründet hatte – bestehend aus dem Gitarristen Zaza Miminoshvili und dem Bassisten Zurab Gagnidze, der auch als sensibler Begleitsänger agierte. 1998 erschien ihr Buch „Und die Zeit verging“, aus dem sie in verschiedenen deutschen Zeitschriften in der Übersetzung der Slawistik-Expertin Hannelore Umbreit die Parabeln „Via Regia“, „Wunder und Zeichen“ und anderes veröffentlichte. 2001 wurden ihre Grafiken in Berlin unter dem Titel „Kaukasische Motive“ ausgestellt. Gleichzeitig erschienen Gedichte, Prosastücke und Parabeln in georgischen Zeitungen: „Dämmerung“, „Arili“, „Kalmasoba“ und „Iboria“. Zwischen 2001 und 2002 gab sie Kammerkonzerte in St. Petersburg und Moskau, und sie veröffentlichte die Alben „Dreams Georgia“ und „SAMI“. 2003 erschein ihr autobiogra-

fischer Roman „Mittwoch, ein Tag zum Fliegen“ in georgischer Sprache, und ein Jahr später war sie schon wieder musikalisch unterwegs, mit dem Programm „Manana Menabde singt Bulat Okudshawa“, das auch als CD auf den Markt kam. Es folgten Konzerte in Berlin, Leipzig, Hamburg, München, Wuppertal etc., und immer wieder lud man sie auf Gastspielreisen nach Russland und in die Ukraine ein, um Aufnahmen für Rundfunk und Fernsehen zu machen. Wieder in Leipzig, kam es zu einem Wiedersehen mit der dort ansässigen Multi-Instrumentalistin Ingeborg Freytag, mit der sie von 1994 bis 2000 ein sehr intensives Programm darbot. Freytag wurde bekannt durch mehrere Solo- und Duoprojekte und leitet bis heute das Chanson-Ensemble „Pojechaly“, dem ich angehöre. Von 2004 bis 2005 begann Manana am „Theater der Musik und Poesie“ von Helena Kamburova neue Horizonte zu erobern, indem sie ihre Erfahrungen mit der Methode plastischer Bewegungen weiterentwickelnd einbrachte. Von 2006 bis 2007 experimentierte sie mit dem Komponisten und Dramaturgen David Malazonia an dem georgischen Ethno-Jazz-Projekt „Akedana“. Das Resultat dieser Arbeit wurde im Studio des staatlichen Konservatoriums in Tbilissi festgehalten und auf CD produziert. Danach nahm sie das russischsprachige Album „Der Weg in zwei Finale“ auf und begann die Arbeit am Buch „Das Verb“, das hauptsächlich Prosa und kurze Gedichte beinhaltet. In ihrer Prosa bevorzugt Manana eine Art Gelegenheitspoesie, die sich darauf konzentriert, überflüssige Textpassagen auszukoppeln. Hierbei kommen groteske und absurde Elemente nicht zu kurz, ebenso wenig politische Satire. Von 2006 bis 2010 produzierte sie drei weitere Alben in Georgien. 2012 gab sie Solokonzerte im „Theater der Musik und Poesie“ und im „Haus der Wissenschaften“, und sie leitete Workshops an der Theaterschule für dramaturgische Künste. Ab 2013 konzentrierte sie sich wieder auf ihre Fotoarbeiten, die sie als Aquarelle bezeichnet. Durch eine raffinierte Entwicklungstechnik, deren Rezeptur ihr Geheimnis bleibt, verleiht sie den Bildern malerische Atmosphären. 2014 folgte die Präsentation ihre Buches „Und die Zeit verging“ in Tiflis. Dass Manana auch sozial engagiert ist, bewies sie oft bei Benefizveranstaltungen. So trat sie 2015 im „Schota Rustaweli Theater“ zugunsten leukämiekranker Kinder auf. 2016 wurden ihre Parabeln und Gleichnisse in Kiew präsentiert und im Juni 2016 begann die Aufführung ihres Theaterstücks nach Motiven des Manuskripts „Und die Zeit verging“. 2017 wurde „Ist das wahr“ aufgeführt, bevor sie in Deutschland mehrere Konzerte gab. Wenn man Manana fragt, woher sie die Kraft für ihre vielfältigen künstlerischen Aktivitäten schöpft, so kann sie sich eines kleinen Lächelns nicht erwehren und antwortet gelassen, dass diese Kreativität ihren Ursprung in tiefer Spiritualität finde. Nun ja, ich glaube, da schwingen noch andere Energien in Mananas Kosmos.


09/2017 Sachsens Linke!

Seite 1

September 2017

Aktuelle Informationen stets auch unter www.dielinkesachsen.de

Foto: Jakob Huber/Campact / filckr.com / CC BY-NC 2.0

Sachsens Linke

Im Dienst der Konzerne? Immer mehr Abgeordnete stehen auf den Gehaltslisten der Unternehmen In der vergangenen Wahlperiode bezogen Abgeordnete des Bundestages schätzungsweise 37,6 Millionen Euro aus Nebeneinkünften (Studie der Otto-Brenner-Stiftung, www.gleft. de/1Sp). 80 Prozent davon entfällt auf Abgeordnete der Union. Auf die Abgeordneten der Linksfraktion hingegen nur 2,2 Prozent. Die Abgeordneten müssen ihre Nebeneinkünfte lediglich in einem 10-Stufen-Modell einordnen. In der höchsten Stufe werden alle Einkünfte über 250.000 eingruppiert. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Einkünfte höher waren.Die Zahl der Abgeordneten mit entgeltlicher Nebentätigkeit stieg von 159 auf 193. Die mit einer Funktion in einem Unternehmen sogar von 230 auf 280. Spitzenverdiener CDU/CSU Mehr als die Hälfte der Abgeordneten mit Funktionen in Unternehmen und drei Viertel derer mit Beteiligung an Kapital- und Personengesellschaften sind von der Unionsfraktion. Auch in der SPD üben mehr Abgeordnete Funktionen in Unternehmen aus oder gehen bezahlten Nebentätigkeiten nach (Anstieg von 154 auf 204 seit 2012). In der Riege der Spitzenverdiener mit Einkommen über 250.000 Euro ist die Union wieder unter sich. Die höchsten Nebeneinkommen hat Philipp Graf Lerchenfeld (CSU): mindes-

tens 1,9 Millionen Euro kamen in der Wahlperiode dazu. Eine der wenigen Frauen unter den „Aufstockern“ ist Dagmar Wöhrl. Die CSU-Politikerin verdiente mit Unternehmensposten zwischen 617.000 und 900.000 Euro. Strohmänner im Wirtschaftsausschuss Ex-Verkehrsminister und Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses Peter Ramsauer (CSU) erhält vom Lobbyverein der arabischen Industrie- und Handelskammern monatlich zwischen 3.500 und 7.000 Euro. Für Unternehmensposten erhielt Ramsauer zwischen 96.000 und 185.000 Euro, für „Strategieberatungen“ zwischen 266.000 und 570.000 Euro. Dazu kommen gut dotierte Vorträge. Der frühere Forschungsminister Heinz Riesenhuber (CDU) kassierte seit 2014 u.a. von der Schweizer Beteiligungsgesellschaft HBM Healthcare Investments AG mindestens 455.000 Euro. Weitere acht (stellvertretende) Mitglieder im Ausschuss verdienen parallel zu ihrer Abgeordnetenentschädigung (Abgeordnetenwatch). Nebenjobs bei Unternehmen verbieten – Einkünfte offenlegen! Das Grundgesetz sagt: „Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine

angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung“. Diese beträgt derzeit 9.541 Euro. Dazu kommen 4.305 Euro steuerfreie Kostenpauschale, über die die MdB nicht Rechenschaft ablegen müssen. Von „Unabhängigkeit“ kann angesichts von Nebeneinkünften in Millionenhöhe keine Rede sein. DIE LINKE fordert deshalb: n Unternehmens- und Lobbyistenspenden sollen verboten werden. DIE LINKE ist die einzige Partei, die auf solche Spenden verzichtet. n Ein Beschäftigungsverbot von Abgeordneten bei Unternehmen und Lobbyorganisationen und umgekehrt. n Abgeordnete sollen genau angeben müssen, wieviel Geld sie von wem und vor allem wofür bekommen. n Ein Verbot des Einsatzes von Wirtschaftslobbyisten in Ministerien. n Ein verbindliches und transparentes Lobbyregister. Wer trotzdem intransparent bleibt, muss mit Sanktionen rechnen. n Einen Wechsel wie den von Eckart von Klaeden aus dem Kanzleramt direkt zur Daimler AG gäbe es mit der LINKEN nicht. Wir fordern eine „Abkühlphase“ von mindestens drei Jahren, bevor Minister oder Staatssekretäre in ein Unternehmen wechseln können, mit deren wirtschaftlichen Interessen sie zuvor befasst waren.

Die soziale Alternative Quälend langsam tickte die Uhr an diesem Sonntagabend. Wo normalerweise der Tatort flimmern sollte, sollte nun ein Krimi der anderen Art laufen: ein Wahlkrimi. Merkel gegen Schulz. Das Kanzlerduell. Doch das Stück, das dann zur Aufführung kam, war nur eine halbseidene Telenovela über gute und schlechte Zeiten in Zeiten der großen Koalition. Wer auch immer sich ein Momentum für den dahinplätschernden Bundestagswahlkampf gewünscht hatte, wurde enttäuscht. Zu unsicher wirkte Schulz, zu wenig wagte er sich aus der großkoalitionären Deckung. Warum Schulz zum Kanzler wählen? Weil er anders aussieht als Merkel? Anders klingen jedenfalls wollte er nicht. So verlor zum ersten Mal ein Duellant gegen eine rhetorisch schwache Angela Merkel. Was bleibt aus der Debatte? Nicht viel. Fast die Hälfte der Zeit wollten die Moderatoren über Asyl, Zuwanderung und Terror reden. Teils mit strunzdummen Fragen. Die Kandidierenden ließen sich darauf ein, und so blieben wesentliche Themen auf der Strecke. Rente? Arbeit? Umverteilung von oben nach unten? Die soziale Schere in diesem Land, die unter Merkel immer weiter aufgegangen ist? Nichts. Wer dazu etwas hören wollte, der musste am nächsten Tag ins Vorabendprogramm schalten oder auf das Länderspiel verzichten. Denn dort standen Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht als VertreterInnen der LINKEN im Duell der vermeintlich kleinen Parteien. Und bezogen klar Stellung für soziale Gerechtigkeit. Ja, wer sich die tristen 90 Minuten Merkel gegen Schulz angetan hat, der ist am Ende überzeugt worden. Es gibt sie, die soziale Alternative zu Angela Merkels Politik. Sie heißt: DIE LINKE.


Sachsens Linke! 04/2017

Seite 2

Leserbriefe Zu „Vor 150 Jahren in Leipzig gedruckt: ,Das Kapital Band I‘“ (Links! 0708/2017, S. 8)

Es gibt keine „sozialistische Marktwirtschaft“ Was mir zuerst Karl Marx heute sagt, ist der prinzipielle Unterschied zwischen Gebrauchswert und Preis und damit zwischen der Produktion zur Bedürfnisbefriedigung und der zur Einkommenserzielung. Zu ersteren gehören gegenwärtig u.a. die Gemeingüterökonomie (Commons, Allmende), Gemeinschaftsgärten, Repaircafes, der geldlose Teil der auf Teilen statt Tauschen beruhenden Wirtschaft usw. Letzteres schließt Personen aus, die nicht ausreichend verkaufbare Waren erzeugen können, fördert ökologisch und sozial schädliche Arbeit und führt zur wachsenden Kluft zwischen Armen und Reichen. Somit gibt es keine „sozialistische Marktwirtschaft“. Uwe Schnabel, Coswig Zu „Religionen – mehr als Opium fürs Volk?!“ (Links! 6/2017)

Löscht ein Gebet Kriegsverbrechen aus? Fast zweitausend Jahre sind vergangen, und an der unheiligen Allianz zwischen Staat und (christlichen) Kirchen hat sich nichts geändert. Simone Hock stellt fest, „dass Religion heute alles andere als unpolitisch ist“. Das ist unbestreitbar. Fragen sind: Ist das erst heute so? Und: ln welchem Sinne, für welche Zwecke und in wessen Interesse sind christliche Kirchen aktiv politisch tätig? Tatsache ist: Seitdem Kaiser Konstantin aus dem anfangs verfolgten Christentum im 4. Jahrhundert eine Staatskirche machte, gibt es das Bündnis von Staat und Kirche in unterschiedlichster Form, aber immer zum gleichen Zweck: Priester hatten die Ausbeuterordnung und ihre Kriege als Gottes Wille und Fügung zu segnen. Das gilt auch für die Anhänger Luthers, auch mit der Lutherbibel in deutscher Sprache. Ich habe meine christliche Bildung in der Nazizeit erhalten und bin 1943 von Pastor Treu in der Görlitzer Paterskirche konfirmiert worden. Seine wichtigste „göttliche“ Botschaft war, den Heldentod für Hitler zu sterben. Die Schriften von Kardinal Bertram und Bischof Dibelius (der Hitler 1933 in Potsdam gesegnet hatte) sind nachlesbar. Die Schuldbekenntnisse einiger Theologen nach 1945 sind längst vergessen. Die Kirchen waren auch an der Zersetzung und Bekämpfung des Sozialismus beteiligt. Papst und Zar stehen schon im ersten Satz des Manifests nebeneinander. Jetzt gibt es Streit, wer mehr bei der Beseitigung der sozialistischen Saaten geleistet hat, der polnische Papst oder selbsternannte „Bürgerrechtler“ vom Typ Eppelmann und Gauck. Sie sind mit Bibelsätzen angetreten wie „Schwerter zu Pflug-

scharen!“ und „Frieden schaffen ohne Waffen!“ Pfarrer Gauck propagierte als Präsident Bundeswehreinsätze weltweit. Die Bundeswehr kommt ohne Gottes Segen, den Militärbischöfe spenden, nicht aus. Zum Schluss: Lässt uns die Teilnahme Obamas und Merkels am Kirchentag vergessen, dass beide Kriegsherren sind? Warum wurde z. B. zu den Drohnenmorden nichts gefragt? Löscht ein Gebet Kriegsverbrechen aus? Horst Schneider, Dresden

Nie wieder Krieg! Das war einst die reale Einschätzung und Forderung einer ehemaligen Arbeiterpartei, die damit auch die Sehnsüchte des gemeinen Volkes respektierte und im Gegeneinander vertrat! Was aber geschieht gegenwärtig? Ein gemeinsamer Ministerrat von Paris und Berlin, in welchem auch die SPD vertreten ist, ignoriert eine Friedensinitiative, erneuert aber die Bestrebungen der CDU-Kanzlerin, welche Aufrüstung und Modernisierung der Rüstung in allen Zweigen fordert. Mit ihrer Federführung im Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat formiert sie gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten, einem Politneuling, Schwerpunkte in der Rüstung, wobei die Entwicklung eines neuen Kampfjets als Teil einer „neuen Generation gemeinsamer Kampfflugzeuge“ Vorrang haben wird! Dieses Vorhaben und die aggressiven Ziele der NATO sind für angebliche Terrorbekämpfung nutzlos, aber gefährliche Waffen in den Händen von Kriegstreibern, die neuerdings dem Weltgendarm Trump Gehör schenken, dabei die Sorgen und Ängste ihrer Völker ignorieren. Den Sehnsüchten und Forderungen der Völker entsprechend sollte der Schwerpunkt besser auf dem Klima-Abkommen liegen. Hermann Thomas, Wilsdruff

Panzer der Erzgebirgskaserne in Marienberg für Litauen-Einsatz verladen Nach Clausewitz ist der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Dafür werden mit der Entsendung der Marienberger Soldatinnen und Soldaten sowie den Panzern die Voraussetzungen geschaffen. Anstatt sich mit aller Entschiedenheit und mit einer klugen Diplomatie für die Beseitigung von Krisenherden einzusetzen, gießt die gegenwärtige Koalitionsregierung Öl ins Feuer. Laut 2+4-Vertrag haben NATO-Truppen östlich der Elbe nichts zu suchen! Auch deutsche Politiker wie Frank-Walter Steinmeier schlossen mit dem gewählten Präsidenten der Ukraine, Wiktor Janukowytsch, ein Abkommen, um am nächsten Tag dem Mob auf dem Maidan zu applaudieren. Zwielichtiger geht es nicht. Dann heuchelt man noch Empö-

rung über Reaktionen Moskaus. Gorbatschows Vorschlag für ein gemeinsames „Haus Europa“ wurde bewusst abgelehnt, dafür werden ein aggressives Verhalten gegenüber Russland an den Tag gelegt und die Wirtschaft schädigende Embargos verhängt. Da war der alte Bismarck weiter, der sich für stabile Beziehungen Deutschlands zu Russland eingesetzt hat. Matthias Schwander, Chemnitz

Wie könnte die Erinnerung an Helmut Kohl wachgehalten werden? ln Dresdner Medien werden Vorschläge erörtert, wie an Helmut Kohl erinnert werden könnte. Die Ehrenbürgerschaft scheidet aus, weil sie weder rechtlich möglich noch bei Verstorbenen üblich ist. Eine Straße oder einen Platz nach ihm zu benennen ist möglich, wirft aber Fragen auf: Was wird mit jenen, die tatsächliche Verdienste um Dresden haben, deren Andenken aber getilgt ist? Dr. Rudolf Friedrichs zum Beispiel war nach dem Krieg mit unvergesslichen Verdiensten um die Stadt Oberbürgermeister und sächsischer Ministerpräsident. Der friedliche Charakter der „Wende" ist nicht Kohls Verdienst. Ich wüsste einen Vorschlag, der niemandem wehtun kann. ln der Dresdner Rede am 19. Dezember 1989, der wichtigsten und folgenreichsten seines Lebens, hat Kohl einen Schwur geleistet: „Ich gehöre zu jener Generation, die nach dem Krieg geschworen hat – wie auch hier –: ,Nie wieder Krieg, nie wieder Gewalt!‘ Und ich möchte hier vor Ihnen diesen Schwur erweitern, indem ich Ihnen zurufe: Von deutschem Boden muss in Zukunft immer Frieden ausgehen.“ Dieser Satz war die Hauptbedingung dafür, dass Deutschlands Nachbarn der „Wiedervereinigung“ zustimmten. Dieser Satz ist in den 2+4-Vertrag eingegangen. Dieser Satz war Staatsdoktrin beider deutscher Staaten seit dem Treffen Schröders mit Honecker in Güstrow. Tatsächlich nahm Deutschland bis zum Ende der Amtszeit Kohls an keinen militärischen Aktionen out of area teil. Wer kann gegen eine riesige Erinnerungstafel mit Kohls Text sein? Horst Schneider, Dresden Zu „Ehe allein reicht nicht!“ (Links! 7-8/2017)

Diskriminierung von Menschengruppen bleibt Voraussetzung und Ausdruck des Weiterbestehens von Ausbeuterordnungen Ein rot-rot-grünes Bündnis hat ein neues, gutes Gesetz verabschiedet, was nicht allen in Deutschland gefällt,

jedoch einer Minderheit hilft, sich gegen eine spezielle Diskriminierung zu wehren. Die strukturelle Diskriminierung durch Reichtum muss eine Mehrheit ertragen, alle Menschen in unserer Gesellschaft, die nicht zu den Reichen gehören. Und die Reichsten sind vor jeglicher Diskriminierung gefeit. Soziale und rechtliche Benachteiligung von Menschengruppen war und bleibt doch Voraussetzung und Ausdruck des Weiterbestehens von Ausbeuterordnungen. Und dagegen tritt unsere Partei auf allen Flächen, in allen Randgebieten und Winkeln menschlichen Zusammenlebens an. Waldemar Peine

Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­lage von 10.950 Explaren gedruckt. Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt, Ralf Richter, Stathis Soudias. Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, pixelio, iStockphoto Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Telefon 0351-8532725 Fax 0351-8532720 Redaktionsschluss: 25.08.2017 Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 04.10.2017.


09/2017 Sachsens Linke!

Seite 3

Landesarbeitsgemeinschaft Bildung gegründet Mitgründerin Anne Holowenko ruft zur Mitarbeit auf

Da das Thema Bildung einen zentralen Punkt in allen Lebensbereichen darstellt, möchte die LAG sowohl das Thema der frühkindlichen Bildung, als auch die Schul- und Hochschulbildung und natürlich das lebenslange Lernen, z.B. in Form von Weiterbildung, als relevante Themen bedienen. Bessere Bedingungen für SchülerInnen und Studierende, kleine Klassen, kurze Wege, verbesserte Arbeitsbedingungen für LehrerInnen mit einer gerechten Entlohnung, eine attraktivere LehrerInnenausbildung und eine transparente Elternmitwirkung sind weitere Bereiche, in denen dringender Handlungsbedarf besteht. Die Themen Integration, Inklusion

und politische Bildung werden als ständige Begleiter einer gut durchdachten Bildungspolitik in allen Bereichen präsent sein. Aber auch neue

politik einen zentralen Platz innerhalb unserer Partei einnehmen. Die immer schlechter werdenden Bedingungen, unter denen Kinder lernen müssen,

Foto: any.user / flickr.com / CC BY-NC-ND 2.0

Am Freitag, dem 9. Juni 2017, wurde die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Bildung der Partei DIE LINKE Sachsen neu gegründet. Dazu trafen sich GenossInnen und Interessierte aus allen Teilen Sachsens in Dresden, um zu klären, wie eine produktive Zusammenarbeit innerhalb der Gruppe aussehen soll. Der designierte landesweite Zusammenschluss tritt mit dem Ziel an, die vielen Kompetenzen im Bereich Bildung innerhalb unserer Partei zu bündeln, um gemeinsam für ein gerechteres Bildungssystem zu kämpfen. Dazu braucht es natürlich ein solides Netzwerk, das nun aufgebaut werden soll.

Formen des Lernens und alternative Schulkonzepte sollen diskutiert und bewertet werden. Angesichts der prekären Situation an den Schulen, auch im Vorfeld des neuen Schuljahres 2017/2018, mit tausenden unbesetzten Stellen in allen Schulbereichen, sollte Bildungs-

sind für viele Eltern ein Ärgernis und sorgen für großen Zulauf an den Schulen in freier Trägerschaft. Es kann keine Lösung sein, Schulen dieses Typs in weiten Teilen des Landes die verfehlte Politik des Kultusministeriums kompensieren zu lassen. Bildung ist keine Ware und darf

nicht zu einer Frage der finanziellen Leistungsfähigkeit der Eltern werden. Wir brauchen gute Bedingungen für alle Schülerinnen und Schüler! Eine demokratische Schule mit inklusiven Bildungsangeboten und längerem gemeinsamen Lernen sind zentrale Forderungen linker Bildungspolitik. Diese möchten wir stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken, indem wir unsere LAG zum Beispiel bei thematischen Veranstaltungen auch außerhalb der Partei bekannt machen. In der konstituierenden Sitzung wählten die zwölf anwesenden Gründungsmitglieder zunächst Eva Wolf (Stadtverband Chemnitz), Kerstin Popp (Stadtverband Leipzig) und Anne Holowenko (Stadtverband Dresden) als Sprecherinnen. Zwei Posten im SprecherInnenrat blieben vakant und sollen in den nächsten Sitzungen nachbesetzt werden. Es sind vierteljährliche Treffen geplant, die Termine dazu werden auf der Homepage veröffentlicht. Wir freuen uns über weitere InteressentInnen, damit unsere Landesarbeitsgemeinschaft möglichst breit aufgestellt in die Partei hineinwirken kann. Bitte schreibt uns bei Interesse an einer Mitwirkung eine Mail an bildung@ dielinke-sachsen.de. Wir freuen uns auf euch!

Kann es auch eine Regierung ohne CDU/CSU geben? Paul Hösler berichtet für die linksjugend [‘solid] Westsachsen von einer Diskussion in Borna Unter dem Motto „#R2G – Kann es auch eine Regierung ohne CDU/CSU geben?“ lud die linksjugend [‘solid] Westsachsen am 5. Juli zur Podiumsdiskussion in den Goldenen Stern in Borna (bei Leipzig) ein. Dafür saßen Katja Kipping (DIE LINKE.), Monika Lazar (Bündnis ‘90/Die Grünen) und Simone Raatz (SPD) auf dem Podium, um sich den Fragen der linksjugend und der anwesenden Bürger*innen im Landkreis Leipzig zu stellen. Als linksjugend stellten wir an uns selbst den Anspruch, drei Frauen* aus den Bundestagsfraktionen für unser Vorhaben zu gewinnen. Das Interesse an einem Mitte-LinksBündnis auf Bundesebene hat seit den Koalitionen in Thüringen und in Berlin wieder zugenommen. Im Fokus standen dabei die persönlichen Sichten der Politikerinnen* auf Themenfelder der linksjugend [‘solid] Sachsen für die Bundestagswahl 2017.

Eines der prominentesten Themen ist dabei die Zukunft Europas. Die drei Politikerinnen* diskutierten kontrovers über die Konstituierung der Europäischen Union, die „Pulse of

Europe“-Bewegung und generell die Rolle der Nationalstaaten im europäischen Raum. Gerade im Hinblick auf die Kompetenzverteilung der europäischen Gremien wurden Differenzen

deutlich. Einigkeit herrschte aber darüber, dass Renationalisierung keine Alternative ist. Die Antwort muss ein Zugeständnis an die europäische Idee sein, hin zu einem solidarischen Europa. Für uns als Jugendorganisation steht darüber hinaus auch die Jugendpolitik im Vordergrund. Ein Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern muss gebrochen werden, der Investitionsstau an den Schulen ist zu groß – das ist Konsens. Dennoch bleibt die Frage, wie politische Bildungsarbeit auch im ländlichen Raum gestaltet werden kann. Hier müssen Konzepte gefunden werden, die vor allem eines verhindern: den Aufwuchs rechtspopulistischen Gedankenguts. Obwohl sich die Parteien in anderen Feldern unterscheiden, blieb nach der Veranstaltung der Eindruck: Wenn es um Europa und die Förderung von Jugendpolitik geht, sind die Gemeinsamkeiten viel größer als die Unterschiede.


Sachsens Linke! 09/2017

Einladung

Aus dem Kreistag Termine

Einladung zur Gesamtmitgliederversammlung am Sonnabend, dem 21. Oktober 2017 in der „Lindenklause“ 09366 Stollberg OT Mitteldorf, Lindengasse 4

5. Diskussion

Beginn: 9 Uhr, Ende: ca. 16 Uhr Vorläufige Tagesordnung:

Die konkretisierte Tagesordnung und der Zeitplan werden zur Gesamtmitgliederversammlung beschlossen.

1. Begrüßung

Der Kreisvorstand hat beschlossen:

2. Abstimmungen zur Tagesordnung, Geschäftsordnung und den Arbeitsgremien

1. Die Einladung der Mitglieder des Kreisverbandes der LINKEN.Erzgebirge erfolgt nur durch die Landeszeitung.

3. Berichte und Diskussion zu den Berichten des Kreisvorstandes, der Schatzmeisterin und der Kreisfinanzrevisionskommission 4. Vorstellung, Anfragen und Wahlhandlung für die Ämter der/des Kreisvorsitzenden, Geschäftsführers/ in, Schatzmeisters/in, Jugendpolitischen Sprechers/in, neun Mitglieder des Kreisvorstandes, fünf Mitglieder für die Kreisfinanzrevisionskommission, sechs Delegierte für den Bundesparteitag, acht Delegierte für die Landesseniorenkonferenz

6. Beschlussfassung 7. Schlusswort

2. Die Koordinierungsräte und die Ortsverbände sind für die Information an alle Mitglieder der LINKEN.Erzgebirge verantwortlich. 3. Mitglieder, die mehr als vier Monate lang keinen Beitrag bezahlt haben, erhalten kein Stimmrecht und können an den Wahlen nicht teilnehmen. Grundlage ist § 4 Abs. 3 der Bundessatzung. Wir freuen uns auf euer Kommen und auf eine erfolgreiche Gesamtmitgliederversammlung!

Naturschutzzentrum im Erzgebirge ist Vorbild für Sachsen Als gemeinnützige GmbH gibt es das Naturschutzzentrum Erzgebirge mit Sitz im Schlettauer Ortsteil Dörfel. Ich bin seit dieser Wahlperiode dort Aufsichtsratsmitglied. Das Verständnis für betriebswirtschaftliche Dinge vorausgesetzt, interessiert mich als Naturfreundin vor allem die fachliche Arbeit. Laut Gesellschaftsvertrag sind „Gegenstand der Gesellschaft alle Aufgaben des Naturschutzes und der Landschaftspflege, die dazu beitragen, die natürlichen Lebensgrundlagen für die freilebende Tier- und Pflanzenwelt als Grundlage für die eigene menschenwürdige Existenz zu schützen, zu erhalten und gegebenenfalls wiederherzustellen.“ Viele kleine und kleinste Flächen, die Schützenswertes enthalten, werden gepflegt; dies ist nicht mit großräumigen Maschinen möglich, sondern muss vielfach mit spezieller Technik und viel Handarbeit erfolgen.

Seite 4

DIE LINKE. Kreisverband Erzgebirge

Freiwilligendienste und Saisonarbeitskräfte müssen organisiert werden. Eine sehr wichtige Aufgabe ist die Umweltbildung, die besonders Kinder an die Geheimnisse und Schönheiten der Natur heranführen soll. Dazu können Schulklassen oder andere Gruppen in gut ausgestatteten Bungalows übernachten und werden bestens verpflegt. Seit einigen Jahren laufen auch grenzüberschreitende Projekte mit den tschechischen Nachbarn. Alles kostet Geld. Vieles läuft über projektgebundene Fördermittel, die großen bürokratischen Aufwand erfordern. Vieles muss über längere Zeiträume vorfinanziert werden. Daran müsste sich in Sachsen einiges ändern. Der Erzgebirgskreis ist im Land so ziemlich der einzige, der ein derartiges Naturschutzzentrum betreibt und großzügig unterstützt. • Renate Harmel

Integrationskonzept auch mit LINKER Handschrift Im Integrationskonzept des Erzgebirgskreises wird formuliert: Sachsen braucht Zuwanderung. Umfangreiches Material dokumentiert eine für unseren Erzgebirgskreis besorgniserregende demografische Entwicklung. Eine mögliche Lösung wäre es, Zuwanderer aufzunehmen und zu integrieren und das gleichzeitig als Chance und Daueraufgabe zu begreifen. Für uns bedeutet Integration einen gleichberechtigten Zugang aller bei uns lebenden Menschen zur Gesellschaft. Sie bedeutet einen barrierefreien Zugang zu Bildung, zum Spracherwerb, zum Arbeitsmarkt, zu den Behörden und zur Gesundheitsfürsorge. Wir treten ein für eine offene und faire Kommunikation von Bürgern und Zuwanderern sowie für einen Austausch auf der Grundlage humanistischer, demokratischer und emanzipatorischer Werte. Deshalb lehnen wir auch die Entwicklung von Parallelgesellschaften ab. Die Zielgruppen Asylbewerber, geduldete Zuwanderer und Flüchtlinge – also eine Mehrheit der Zuwanderer – fehlen allerdings in diesem Konzept. Der Asylbeirat nahm am 29. März 2017 zur Definition ZIELGRUPPE im Entwurf des Konzeptes folgenden Satz auf: „Mit dem Integrationskonzept werden Rechte von Personen nicht eingeschränkt und es erfolgt auch keine Ausgrenzung.“ Damit wurde ein Kompromiss gefunden, mit dem wir LINKE leben können. Wenn die Integration eine Daueraufgabe und ein ständig wirkender Prozess sein soll, dann muss er in den Kommunen dauerhaft organisiert werden. Das beinhaltet die Stabilisierung ehrenamtlicher Helferkreise, den Ausbau der Patenschaften, den zivilgesellschaftlichen Dialog, die Auseinandersetzung mit fremdenfeindlichen Ansichten – also die Schaffung wirksamer Strukturen durch die gemeindlichen Verwaltungen. Es war unsere Absicht als LINKE, diesen Aufgabenbereich für die Kommunen im Konzept zu formulieren. Manche freiwillige Helfer fühlen sich in ihren Hilfsbemühungen noch immer alleingelassen. Man sollte wissen, dass in diesem Konzept ein relativ professionelles Dienstleistungsangebot auch für Zuwanderer und Flüchtlinge zu finden ist. Die Koordinierung der Arbeit von ehrenamtlichen Helfern, den Hilfsdiensten und den gemeindlichen Verwaltungen dient in besonderem Maße dem sozialen Frieden und den uns befohlenen Schutzbedürftigen. Unsere Fraktion hält das vorliegende Konzept für eine konkrete und brauchbare Arbeitsgrundlage mit den Migranten. • Herbert Kragl

Wahlkampftour 13.9., 10 bis 13 Uhr: Wochenmarkt Stollberg, Infostand mit Jörn Wunderlich 15.9., 10 bis 13 Uhr: Wochenmarkt Thalheim, Infostand mit Jörn Wunderlich 15.9, 13:30 bis 15:30: Uhr EDEKA Markt Auerbach, Infostand 20.9., 10 bis 14 Uhr: Wochenmarkt Ehrenfriedersdorf, Infostand mit Klaus Tischendorf 21.9., 13 bis 17 Uhr: Geyer, Infostand 22.9., 10 bis 14 Uhr: Markt Schneeberg, Straßencafé mit Klaus Tischendorf

Familienfest 23.9., 10 bis 16 Uhr, Markt Annaberg Buchholz

Wandern mit LINKS 16.9., 10 Uhr: „Röhrgrabenwanderung“. Treffpunkt: Gaststätte „Burg“, August-Bebel-Str. 4 in Ehrenfriedersdorf. Streckenlänge/Zeitrahmen: ca. 8 km und ca. 5 Stunden mit Pause Verpflegung: Rucksackverpflegung

Wahlparty 24.9., 17 Uhr Gaststätte „Bánya Csárda“, Dörrerweg 1, Bad Schlema

Infos wwwdielinke-erzgebirge.de www.facebook.com/dielinke.erzgebirge


Seite 5

DIE LINKE. Kreisverband Zwickau

09/2017 Sachsens Linke!

Wahlkampfauftakt im Kreisverband Sandro Tröger, Rico Gebhardt und Sabine Zimmermann warben beim Kreisparteitag für einen engagierten Wahlkampf, berichtet Mike Hirsch Der 9. Kreisparteitag am 19. August stand ganz im Zeichen des vor uns liegenden Wahlkampfes. Der Kreisvorsitzende der LINKEN in Zwickau, Sandro Tröger, stimmte uns ein: „Es ist an uns, die Menschen davon zu überzeugen, dass wir Ihre Interessenvertretung sind!“ Im Anschluss an seine Rede konnten wir fünf neue Mitglieder in unseren Reihen begrüßen.

schen in Armut leben, würden Waffen in Krisengebieten exportiert, fehlten der Respekt für alte Menschen und eine bedingungslose Grundsicherung. Diese Zustände gelte es zu bekämpfen.

Sabine Zimmermann bestätigte die Ausführungen ihres Vorredners. Ergänzend betonte sie, dass die Agenda 2010 den Weg für einen immensen Niedriglohnsektor und somit steigende Armut frei gemacht hat.

Rico Gebhardt betonte anschließend, wie wichtig es ist, im Wahlkampf Gesicht zu zeigen und für eine starke LINKE im Bundestag zu kämpfen. Unter der Großen Koalition ist die Anzahl der Euro-Millionäre von 900.000 auf 1,6 Millionen angewachsen. Dennoch müssten in einem der reichsten Länder der Erde immer noch Men-

Beispielhaft hierfür sei, dass Leiharbeiter in großen Konzernen bis zu 50 Prozent weniger Lohn bekommen als die Stammbelegschaft. Hartz IV gehört abgeschafft und ersetzt durch eine sanktionsfreie Grundsicherung. Gleichzeitig hob sie den großen Verdienst unserer Partei an der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes hervor. Ziel bleibt es, diesen auf 12 Euro anzuheben. Auch auf das Thema Rente ging sie ein: „Wir sind für ein Rentensystem in Deutschland, in das alle einzahlen.“ In der anschließenden Mitgliederdiskussion wurde mehrheitlich der Beschluss gefasst, den Antrag des Kreisvorstandes auf teilweise Refinanzierung der Wahlkampfkosten durch freiwillige Mitgliederspenden zu unterstützen.

Mitgliederversammlung der LINKEN Crimmitschau Am 26. August traf sich der Ortsverband Crimmitschau zur Mitgliederversammlung. Der Ortsvorsitzende Jürgen Schunn wertete die Oberbürgermeisterwahl in Crimmitschau aus. Mit fast 20 Prozent Wählerstimmen für unseren OB-Kandidaten Kevin Scheibel, der gegen den langjährigen Amtsinhaber sowie den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der Mehrheitsfraktion „Für Crimmitschau“ antrat, können wir durchaus zufrieden sein. Dank des klugen und offenen Auftretens unseres Kandidaten sind wir gut bei den Wählerinnen und Wählern angekommen. Kevin präsentierte sich erfolgreich bei Wählerforen, bei Gesprächen mit Jugendlichen, bei Senioren, beim Interessenverband der

Selbständigen und beim Freie PresseWählerforum. Wir haben viel Akzeptanz und Sympathie bei den Wählern für unsere politische Arbeit im Ortsverband gewonnen. Jürgen Schunn dankte nochmals allen im Wahlkampf aktiven Genossen. Vielfältige Anregungen für den Bundestagswahlkampf gab Kreisverbandsvorsitzender Sandro Tröger. Dabei ging es um Themen wie die ungleiche Vermögensverteilung in Deutschland, die europäische Zinspolitik und ihre Auswirkungen für uns, die absehbare Entwicklung der Renten in den nächsten Jahrzehnten, die Entwicklung der Mieten auf dem Wohnungsmarkt, den Arbeitsmarkt mit

den Aspekten Leiharbeit, Zeitarbeit, Mindestlohn und um die Krankenversicherung sowie das Gesundheitswesen. Es wurde deutlich, dass trotz der Brisanz und Aktualität dieser Schwerpunkte in der politischen Diskussion bei vielen Menschen noch Ruhe und Zurückhaltung herrschen. Eine richtige Wahlkampfstimmung ist noch nicht zu spüren. In der Diskussion wurde das auch bei uns thematisiert. Genossen schätzten ein, dass bei uns noch viel zu wenig mit den Menschen darüber gesprochen wird. Bei der Frage, wer denn die Gespräche führen soll, waren wir schnell wieder in der Realität. Nur wir selbst können das tun, und da steht immer die Frage, wie viel Kraft wir dafür haben.

Aus dem Stadtrat berichtete Wolfgang Spiegelberg über die Vereidigung des neuen Oberbürgermeisters, zum Stand des Haushaltes 2017, zur Entwicklung der Elternbeiträge für die Kindertagesstätten im Jahr 2018, zum Stand verschiedener Investitionsmaßnahmen sowie zum Problem des seit über 20 Jahren geschlossenen Heimatmuseums. • Wolfgang Spiegelberg, Jürgen Schunn

Mitgliederversammlung in WilkauHaßlau 20. September 2017, 18 Uhr, Kleingartenanlage Am Schmelzbach, Kreuzung Griesheimer Straße/B93

Kreisvorsitzender Sandro Tröger, Landesvorsitzender Rico Gebhardt und Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann konnten beim Kreisparteitag auch neue Genossinnen und Genossen begrüßen.

Als Gast begrüßen wir Franz Sodann, den Kulturpolitischen Sprecher unserer Landtagsfraktion. Er wird uns einen Überblick über seine Themen und seine Arbeit im Landtag und im Wahlkreis geben. Im Anschluss gibt es eine Diskussion rund um Fragen der Kultur, die Gedenkstättenförderung, Museen und Bibliotheken und darüber, was sonst noch auf den Nägeln brennt. Alle Interessierten innerhalb und außerhalb der Partei sind herzlich eingeladen!


Sachsens Linke! 09/2017

Seite 6

DIE LINKE. Kreisverband Meißen

Des Meißner Literaturfests langer Schatten Reinhard Heinrich weiß, was den Kreisvorsitzenden der CDU betrübt Unlängst hat der CDU-Kreisvorsitzende Reusch in der Sächsischen Zeitung einen Leserbrief veröffentlicht. Er zeigt sich betrübt, dass Frank Richter so öffentlich aus der CDU ausgetreten ist. Er versteht wohl nicht, dass Frank Richter spätestens seit der Anbahnung von Gesprächen der Demonstranten mit Wolfgang Berghofer und Hans Modrow 1989 auf der Prager Straße in Dresden eine öffentliche Person ist. Frank Richter, damals Kaplan der Kathedrale Dresden, übernahm Verantwortung nicht nur für seine katholischen Brüder und Schwestern, sondern für die reale, vor die Hunde gehende Ordnung und Sicherheit im wankenden Staat. An einem konkreten Ort, wo sein „Gott ihn hingestellt“ hatte. Er ging zu Menschen in Gefahr

und half ein Blutbad zu vermeiden, unter Einsatz seiner eigenen Gesundheit und Unversehrtheit. War das nicht öffentlich? Er übergab seinen führenden Platz in der „Gruppe der Zwanzig“ dann an seinen Glaubensbruder Herbert Wagner (CDU), damals Ingenieur im VEB Komplette Chemieanlagen, später langjähriger Oberbürgermeister in Dresden. Frank Richter hätte das vermutlich leicht selbst werden können. Aber die Gefahr war vorbei und er zog sich bescheiden zurück. Wieder stirbt der Dialog zwischen Regierenden und Bürgern. Wieder gehen Dresdner, mit der Erinnerung an 1989, öffentlich auf die Straße. Mit dumpfen Parolen und Stammtisch-Argumenten. Unzufrieden und außerstande, die Ursachen zu durchschauen. Und Anti-

Demokraten dazwischen. Und wieder kämpft Frank Richter um den öffentlichen Dialog. Aber kein Berghofer und kein Modrow stehen mehr in Verantwortung. Die jetzigen Regierenden haben es „nicht nötig“, an dem von Richter wieder angeregten Gespräch teilzunehmen. Dafür hagelt es einen Shitstorm unter der Gürtellinie mit Duldung der Oberen. Seine Partei – in unangefochten führender Rolle seit 25 Jahren – hat Besseres zu tun als mit Unzufriedenen zu reden. Frank Richter sieht sich verlassen und arbeitet künftig nicht mehr für den Freistaat. Seine öffentliche Niederlage bringt er noch nicht öffentlich in Zusammenhang mit seiner Partei. Zum Literaturfest wird DAS BUCH („Unter Sachsen“) von der „Staats-

macht“ verteufelt. Da die örtliche CDU aber schlecht Bücher verbieten kann, setzt sie immerhin ein Verbot der Diskussion dieses Buches im Rathaus durch. Sehr öffentlich. Wie schön, wenn man Macht hat. Dialog ist was für Weicheier. Hier reicht es dem christlichen Demokraten. Was hier öffentlich verhindert wird – und der Kreisvorsitzende schweigt öffentlich dazu – stellt eine Absage an BürgerDemokratie dar. So haben wir 1989 nicht gewettet, liebe Blockpartei! Die Haltung „Heute gehört uns das Rathaus!“ und „Die Stadt sind wir!“ bleibt von der Partei unwidersprochen. Herr Reusch erschrickt erst, als Frank Richter nach dieser Demokratiefraktur seinen Austritt aus der CDU öffentlich erklärt und begründet.

DIE LINKE und die „kleinen Dinge“ Klar, Weltfrieden und soziale Gerechtigkeit stehen immer oben auf unserer Agenda. Doch viele Bürgerinnen und Bürger haben uns Kommunalpolitiker auch gewählt, weil sie wissen, dass die LINKE eine Partei für den Alltag ist. Das praktizieren wir in Großenhain seit Jahren. Besonders die Menschen mit Handicap liegen uns am Herzen, denn ihre Lobby ist nicht besonders groß. Kerstin Lauterbach, unsere

Landtagsabgeordnete vor Ort, und der Ortsvorstand der LINKEN haben da schon einige Erfahrung. Nehmen wir nur unsere Rollstuhlwanderungen, die wir in diesem Jahr zum neunten Mal vorbereiten, oder das Zeitungprojekt der Lebenshilfe, das wir unterstützen. Vor einiger Zeit wandten sich Senioren des Civitate-Pflegheims an uns, weil sie sich beim Überqueren der B 101 unsicher fühlen. Ein Zebrastreifen

Frühstück mit Flair Es ist inzwischen eine Tradition, dass Kerstin Lauterbach das internationale Workcamp in der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain besucht. Jedes Jahr im Sommer arbeiten Jugendliche aus verschiedenen Ländern unter fachlicher Anleitung an der Errichtung eines Natur- und Geschichtslehrpfades auf dem Gelände des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers. Bei einem gemeinsamen Frühstück kam sie mit den Teilnehmern aus Mexiko, Slowenien, Italien, Spanien, Russland, Tschechien; Ukraine und aus der Türkei, vor-

wiegend auf Englisch, ins Gespräch. Bei dieser Gelegenheit informierte sich Kerstin Lauterbach auch über die gegenwärtigen Arbeitsbedingungen des Fördervereins und den Verlauf der Arbeiten am Lehrpfad. Es gibt noch eine Reihe von Problemen, die geklärt werden müssen. Dazu wird sie demnächst das Gespräch mit dem Geschäftsführer der Stiftung Sächsischen Gedenkstätten und dem Landratsamt suchen. • Harald Kühne

sollte her. Gut, das hat sich zerschlagen, aber auf Initiative der LINKEN wurde mit Heim und Stadtverwaltung an einer Alternativlösung gearbeitet. Vor einigen Tagen fand gemeinsam mit Kerstin Lauterbach ein „Testlauf“

Bunt, ja bunt ... … sind alle meine Städte; bunt, ja bunt sind jeder Mast und Baum. So etwa könnte man singen, wenn man durch Stadt und Land fährt. Überall hängen Plakate mit Sprüchen oder Bildern zur Bundestagswahl. Aber wer denkt, in unserem Kreis Meißen gebe es viel davon, der muss mal nach Berlin fahren. Dort ist fast jeder Mast mehrfach bunt behängt und auf Grünflächen zwischen den Fahrbahnen stehen die Großaufsteller dicht an dicht. Ist man dort im Auto unterwegs, wie ich vor kurzem, dann erwischt man nur einen kurzen Blick darauf und kann sich die Zusammenhänge selbst basteln. Ob sie dann passen, das liegt im Auge des Betrachters: Sagt Christian Lindner was zur Ökologie oder ist Martin Schultz für den Feminismus? Will Angela Merkel Sozialismus oder tritt Sahra Wagenknecht ein für Frieden? Doch halt, das Letztere stimmt sogar, denn das ist schon lange eine Aussage der LINKEN. Nun gut, ein paar Wochen werden wir die „geschmückte“ Landschaft schon noch ertragen und lesen, was die Bewerber nach der Wahl alles tun wollen. Wenn wir es uns merken, können wir zumindest überprüfen, was davon auch Wahrheit wird. Das könnte man auch als einzigen nützlichen Grund für die Materialschlacht ansehen, die ansonsten nur viel Geld und Ressourcen kostet und

statt. Es gibt noch Einiges zu tun, doch die alten Leutchen fühlten sich ernst genommen und ein „kleines“ Problem wurde gelöst. • Harald Kühne (Text und Foto)

die Landschaft nicht unbedingt hübscher macht. Denn bunt macht die Natur die Umwelt auch und das sogar kostenlos. • Michaela Vogel

Nachtrag zu Venezuela Oder: Warum ein Bürgerkrieg so wünschenswert ist. Für Leute, die von Öl etwas verstehen „Es ist nicht möglich, die aktuelle Krise in Venezuela noch das ChavezRegime zu verstehen, ohne zu verstehen, wie dieses Land war vor der ,bolivarischen Revolution‘ und was seine geopolitischen Bedeutung für die USA ist. Venezuela sitzt auf den größten nachgewiesenen Ölreserven der Welt. Es sind 298.300.000.000 Barrel oder 17,5% allen Öls in der Welt. Öl ist von dort innerhalb von nur vier oder fünf Tagen in die großen Raffinerien in Texas zu versenden. Im Vergleich dazu ist das Öl vom Nahen Osten 35 bis 40 Tage per Schiff unterwegs, zum größten Verbraucher von Öl in der Welt.“ (Leonardo Boff, Vertreter der kath. Befreiungstheologie aus Brasilien, aus dem Portugiesischen von Reinhard Heinrich)


Seite 7

DIE LINKE.Kreisverband Bautzen

09/2017 Sachsens Linke!

15 Ideen für die Oberlausitz Meine 15 Ideen für die Oberlausitz habe ich aus vielen Gesprächen bei meiner Sommertour zusammengefasst. Vor allem im Tourismus gibt es noch viel Potential in der Lausitz. Dafür müssen aber der Bund und das Land endlich Geld in die Hand nehmen und die Region bei den Herausforderungen des Strukturwandels unterstützen. 1. Wir brauchen einen Staatsvertrag zur Seenlandentwicklung zwischen Sachsen und Brandenburg. 2. Der Lausitzfonds zum Strukturwandel muss aufgestockt werden. 3. Die Eigenmittel bei Fördermittelanträgen müssen für Kommunen aus

den Kreisen Bautzen und Görlitz angeglichen werden.

an einem Wegeleitsystem ausgehend von den Autobahnabfahrten.

4. Es braucht eine S-Bahn-Verbindung von Dresden in das Lausitzer Seenland.

8. Das Klein-Klein bei der touristischen Vermarktung muss aufhören.

5. Das Lausitzer Seenland muss eine eigenständige touristische Destination werden. 6. Die Industriekultur muss als eigenständige Kategorie in die Tourismusstrategie des Freistaates Sachsen aufgenommen werden. 7. Die touristische Beschilderung muss verbessert werden. Es fehlt vor allem im Bautzner Oberland bislang

Schmetterbälle und Platterregen sich jedoch leider nicht auf das Wetter. Das hielt die Sportler nicht ab, den Grill aber wohl vom Brennen. Dem engagierten Einsatz einiger Feuerexperten verdankten die Sportler schließlich ihre wohlverdienten Grillwürste. Das von der Sächsischen Jugendstiftung e.V. geförderte und vom Kamenzer Haus der Begegnung unterstützte Turnier wird 2018 sicher seine Fortsetzung erleben, bei hoffentlich besserem Wetter. • Jens Dietzmann

Foto: privat

Bei der Volleyballistischen Aktion im Alten Stadtbad Kamenz wechselten sich Sonnenschein und Regen munter ab. Das interkulturelle Volleyballturnier war durch die linksjugend [´solid] Kamenz lange vorbereitet worden. Von der Hüpfburg bis zum Grillen war an alles gedacht. In packenden Spielen auf sehr hohem Niveau stellte sich das afghanische Team als Sieger heraus, gefolgt vom Team Spielfrei auf Platz 2 und dem Team Victory auf dem dritten Platz. Die sonnige Stimmung übertrug

Urlaub mal ganz anders! Für meine Familie und mich war es das hoffentlich nicht letzte Mal, dass wir Pfingsten mit der LINKEN am Werbellinsee verbracht haben. Leider erfuhr ich erst im vergangenen Jahr von einer Genossin, die seit vielen Jahren teilnimmt, was „Pfingsten am Werbellinsee“ überhaupt ist. Daraufhin haben wir uns gleich angemeldet. Wir waren überrascht von der guten Organisation, der Versorgung und den vielen Angeboten für jede Altersgruppe: Fußball, Volleyball, Tanzabende, Schwimmen, Baden, Kabarett, Podiumsdiskussionen, Musik, Skat und Kinderbetreuung mit Spielstraße ... Die familiäre Atmosphäre und der herzliche Umgang gaben uns schnell das Gefühl, als wären wir

schon oft dabei gewesen. Leider soll diese Veranstaltung aus Kosten- und Beteiligungsgründen nicht mehr durchgeführt werden. Wir glauben: Wenn auch unser Landesverband sich wieder stärker beteiligen würde und man in allen Landesverbänden Werbung bei den jüngeren Genoss*innen machen würde, gäbe es kein Problem. In meinem Ortsverband Hoyerswerda kann keiner der jüngeren Genoss*innen etwas mit dieser Veranstaltung anfangen. Es ist doch aber wichtig, dass wir nicht nur zur Parteiarbeit zusammenkommen, sondern uns auch ein paar schöne Tage gönnen. Oder? • Marcel Ritter

9. Es braucht eine einheitliche Tarifzone von Görlitz bis Dresden. 10. Der ÖPNV im ländlichen Raum muss ausgebaut werden. 11. Es sollten ein „Oberlausitzer Kulturbus“ eingerichtet und Angebote ausgebaut werden, damit auch die Menschen aus dem ländlichen Raum die Chance haben, Kulturangebote wahrzunehmen und danach mit dem ÖPNV wieder nach Hause zu kommen.

12. Es braucht einen pädagogisch betreuten Jugendclub im Bautzner Gesundbrunnenviertel. Die bisherigen Angebote reichen nicht aus. 13. Die Ferienfreizeitangebote müssen ausgebaut und gefördert werden. 14. Der soziale Arbeitsmarkt muss gestärkt werden, wir brauchen öffentlich bezahlte Arbeitsplätze in der Jugendund Kulturarbeit. 15. Die Mittel der Städtebauförderung müssen auch für Kleinstädte, Dörfer und kleinere Kommunen zugänglich sein. • Caren Lay

Rechte Szene in Bautzen kann und will keine Deeskalation Schon vor knapp einem Jahr erwiesen sich die Versuche des Bautzener Landrates Harig und des Bautzener Oberbürgermeisters Ahrens, nach der damaligen Hetzjagd auf Ausländer in Bautzen mit Nazis zu reden oder zu verhandeln, als untauglich die Lage zu entspannen. Die jüngsten Ausschreitungen auf dem Kornmarkt zeigen das noch einmal sehr deutlich. Unverständlich daher das Handeln des Herrn Witschas, der sich erneut dem ExNPD-Mann Wruck anbiedert, denn die rechte Szene in Bautzen kann und will nicht zur Deeskalation beitragen. Sie kann es nicht, da die hiesige Neonaziszene längst nicht mehr eine überschaubare Gruppe ist, die auf einen „Häuptling“ hört, sondern sie besteht aus vielen „Häuptlingen“, die sich von derartigen Gesprächen nicht beeindrucken lassen und vor Gewalt und Selbstjustiz gegenüber Ausländern und Andersdenkenden nicht zurückschrecken. Es ist aber auch nicht zu erwarten, dass die NPD, deren politisches Konzept auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlich demokratischen Grundordnung ausgerichtet ist und verfassungsfeindliche Ziele beinhaltet, ein zuverlässiger Verhandlungspartner für demokratische Parteien sein will! Gerade von der Zuspitzung der Lage erwartet die rechtsradikale Szene „Wasser auf ihre Mühlen“. Daher ist der Erklärungsversuch des Vize-Landrats Udo Witschas, „zur Deeskalation der Lage“ beitragen zu wollen, zum Scheitern verurteilt. Sein Verhalten ist daher entweder politisch naiv oder das Ergebnis problematischer Toleranz rechten Gedankengutes. Beides stellt seine Eignung als Vize-Landrat in Frage. Landrat Harig hat daher die notwendige Klarheit zu schaffen. • Heiko Kosel, MdL

Es läuft etwas gewaltig schief im Kreis Bautzen, wenn der Vertreter des Landrates, Witschas, feststellt, er sei nicht zuständig für Rechtsextremismus. Der Verfassungsschutz habe ihn nicht informiert, dass es im Landkreis Bautzen 250 Rechtsextreme gibt. Monatlich gibt es Auseinandersetzungen insbesondere auf dem Kornmarkt und rechtsextreme Aufmärsche in Bautzen, da darf der VizeLandrat nicht wegschauen! Es ist ein unglaublicher Vorgang, dass Herr Witschas drei Stunden lang mit dem NPD-Vorsitzenden spricht und mit ihm Gedanken über weitere Asylbewerber austauscht, statt sich als zuständiger Beigeordneter mit den betroffenen Ausländern zu unterhalten. Wer auf dem rechten Auge blind ist, braucht sich über die Auswüchse rechter Gewalt in Bautzen und anderswo nicht zu wundern. Die Zustände in Bautzen sind ein Ergebnis des jahrelangen Wegschauens der politischen Verantwortlichen im Land Sachsen, im Landkreis und in der Stadt Bautzen. Hier gibt es erheblichen Handlungsbedarf aller demokratischen Kräfte und der Stadtgesellschaft. Es reicht eben nicht, Integrationsleitlinien und eine Abteilung Integration im Ausländeramt zu installieren. Integration muss auch gewollt sein. Diese Verantwortung beginnt bei der Verwaltungsspitze des Landkreises und der Stadt und endet nicht bei der Eingliederung der anerkannten Ausländer und der Asylbewerber in das tägliche Leben durch die hauptamtlichen und ehrenamtlichen Betreuer. Gerade letztere brauchen Rückhalt aus der Politik, die sie in ihrer täglichen aufopferungsvollen Arbeit viel zu oft vermissen. • Marion Junge, MdL & Ralph Büchner, Vorsitzender der Kreistagsfraktion


Sachsens Linke! 09/2017 Am 22. Juni 2017 debattierte der Bundestag das von der Bundesregierung vorgelegte Gesamtkonzept Elbe (Drucksache 18/11830). CDU/CSU, SPD und LINKE stimmten ihm zu, die Grünen enthielten sich. Das Konzept entstand in vierjähriger Arbeit unter Einbeziehung aller Beteiligten. Damit soll erstmals ermöglicht werden, dass die Zukunft der Binnenelbe als Bundeswasserstraße sowie als wertvoller Naturraum unter Einbeziehung der Interessen der Anwohner und der regionalen Wirtschaft geplant wird. Die ökologischen und ökonomischen Belange sollen gleichbedeutend nebeneinander stehen. Auch Vorschläge der LINKEN wurden aufgegriffen. In den Bereichen Wasserwirtschaft, Naturschutz, Stromregelung, Sohlstabilisierung und Verkehr wurden die Ziele jeweils so formuliert, dass alle einzelnen Vorschläge einvernehmlich zu einem parteiübergreifenden Kompromiss zusammengeführt werden konnten, aus dem nun konkrete Maßnahmen erarbeitet werden müssen.

Seite 8

Gesamtkonzept für die Elbe kommt André Hahn über die Schiffbarkeit der Elbe und lärmgeplagte Anwohner Aue. Damit will der Bund als Eigentümer und Betreiber der Bundeswasserstraße Elbe Planungssicherheit für alle Beteiligten unter seiner Federführung schaffen. Aber es gibt auch noch offene Fragen. Darauf wies Herbert Beh-

Bild: Claus-Dieter Hampel

Das Gesamtkonzept – sofern es umgesetzt wird – bildet die Leitlinie für eine nachhaltige Entwicklung der Elbe in den kommenden 20 bis 30 Jahren. Übergreifende Ziele sind die Erosionsbekämpfung, die Optimierung des Hochwasserschutzes, die Reduzierung der Schadstoffeinträge, die Verbesserung der Schifffahrtsverhältnisse sowie die Erhaltung und Wiederherstellung von Habitaten und Lebensraumtypen in Gewässer, Ufer und

Gut gedacht, schlecht gemacht Jörn Wunderlich über das neue Gesetz zum Unterhaltsvorschuss „Soziale Gerechtigkeit“ wird dieser Tage – es ist Wahlkampf – wieder großgeschrieben. Das neue Unterhaltsvorschussgesetz ist ein Paradebeispiel für die Augenwischerei und fehlgeleitete Politik der Großen Koalition. Wichtigste Änderung ist die Altersentkopplung. Während der Bezug früher nur bis zu 72 Monaten und maximal bis zum Ende des 12. Lebensjahres gewährt wurde, hat man diese Grenzen nun aufgelöst. Ein positiver Ansatz. Ich kämpfe seit 2005 dafür. Man könnte sagen: Mensch, dass ich das noch erleben durfte! Leider konnten sich die ehemalige Familienministerin Manuela Schwesig und die Koalition nur zu einer Light-Version durchringen, und das sehr verspätet. Ende 2016 war es endlich soweit. Die Änderungen sollten zu Anfang 2017 greifen. Daraus wurde nichts. Es hieß, dass es Verzögerungen gebe, das Gesetz wenigstens rückwirkend zum Jahresanfang in Kraft treten zu lassen. Am 1. Juni beschloss der Bundestag endlich die Änderungen. Einen Tag später ging das neue Unterhaltsvorschussgesetz durch den Bundesrat. Aber auch dann ging es nicht schnell. Der Bundespräsident unterzeichnete das Gesetz erst am 14. August.

rens für die Fraktion DIE LINKE hin. Es liegt eben noch kein abgeschlossenes Konzept vor, sondern man befindet sich in einem dynamischen Prozess. Ein Konflikt betrifft die von Tschechien und auch der deutschen Binnenschiff-

Allein in Mitteldeutschland sind mehr als 15.000 Anträge eingegangen – das zeigt, wie notwendig und prekär die Situation in der Region ist. Schuld ist auch die Niedriglohn-Politik der östlichen Bundesländer, allen voran in Sachsen. Unterhaltspflichtige, die nicht genug verdienen, können ihren Zahlungspflichten nicht nachkommen. Leidtragende sind die Kinder, die unterhalb der Armutsgrenze aufwachsen. Die Perspektiven in der Gesellschaft nach Stand und Elternhaus sind schlecht. Das belegen vielfache Studien. Nichts also mit sozialer Gerechtigkeit: Die Politik der großen Koalition ist wie ein Riese, der eine Weltwanderung machen will: Er nimmt sich ein Ziel vor, setzt an und zieht gleich wieder zurück. Freilich erzählt er dann abends in der Kneipe, wie viel er geschafft hat. Und so ist es leider in allen Bereichen. Ob in der Renten-, Familien- oder Sozialpolitik: Überall werden notwendige Veränderungen nicht angegangen. Nur wenn es um Milliarden für Banken und Kriegsindustrie geht, scheint alles reibungslos zu funktionieren. Damit muss Schluss sein. Wir als LINKE sind in der Pflicht, als starke Kraft etwas zu verändern!

fahrt geforderte Mindestfahrinnentiefe von 1,40 m an 345 Tagen im Jahr und das im beschlossenen Konzept enthaltene Ziel, keine Ausbaumaßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse an der Elbe vorzunehmen. Damit ist klar, dass es eine vollständige und vor allem ganzjährige Schiffbarkeit der Elbe nicht geben wird. Die Tschechische Republik fordert aber mit Verweis auf den Versailler Vertrag den Zugang des Landes über die Elbe zum Hamburger Hafen. Und sie hält an ihrem umstrittenen Vorhaben zum Bau einer Staustufe auf der Elbe bei Děčín fest. Hierzu müssen nun Vereinbarungen mit unserem Nachbarland getroffen werden. Die Binnenschifffahrt ist im Vergleich mit Bahn- und LKW-Transporten ein ökologischer Verkehrsträger, und gerade die Anlieger an den Straßen und Bahngleisen entlang der Oberelbe leiden schon heute unter dem überdurchschnittlichem Lärm und den Schadstoffen, welche die Güterzüge verursachen. Ob die nun in Rede stehende neue, das Osterzgebirge unterquerende Bahntrasse zwischen Heidenau und Usti nad Labem die richtige Lösung ist, muss – auch in der sächsischen LINKEN – noch diskutiert werden. Die vom Bahnlärm betroffenen Menschen fordern zu Recht schnelle Abhilfe und wollen sich nicht bis zur geplanten Fertigstellung einer neuen Trasse (frühestens im Jahr 2035) vertrösten lassen, zumal Kosten und Finanzierung noch völlig ungeklärt sind.


09/2017 Sachsens Linke!

Seite 9

NO WAR IN KOREA Ralf Richter hat erlebt, was einem widerfährt, der mitten in Dresden vor einem neuen Korea-Krieg warnt

und berührt das Blatt Papier. Als seine Frau uns fotografiert, frage ich ihn, woher er kommt: „Costa Rica!“ Die interessantesten Reaktionen kommen von den Asiaten. Niemand kommt aus einer Reisegruppe auf mich zu, aber bei Familien, die auf eigene Faust reisen, ist das anders. Zuerst fragt mich ein Mann, „welches Korea“ ich meine und welche Beziehung ich zu Korea habe. Ein zweiter südkoreanischer Familienvater bittet sofort darum, mich fotografieren zu dürfen und sagt: „Thank you! Trump no good!“ Schließlich der Höhepunkt: Ein Paar steuert mich zielstrebig an. Er ist Journalist, sie hat die amerikanische Staatsbürgerschaft und arbeitet

Foto: privat

Es ist ein Test. Frank Richter, langjähriger Chef der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen, hat öffentlich beklagt, dass unter der CDU-Herrschaft seit einem Vierteljahrhundert die allgemeine, politische, kulturelle und ethische Bildung in Sachsen vernachlässigt wurde. Ich werde mich mit einem A4-Blatt aufstellen, auf dem vier Wörter stehen, und damit die Probe aufs Exempel machen. Reichlich drei Stunden lang stehe ich im August im Herzen Dresdens am „Denkmal für den permanenten Wiederanfang“ in der Nähe der Frauenkirche – und erlebe wirklich Erstaunliches, das zwar nicht repräsentativ ist, aber die Aussage des CDUKritikers unterstreicht.

Wer reagiert jetzt, wo ein neuer Korea-Krieg sich rasch sich zum Dritten Weltkrieg auswachsen könnte, überhaupt mitten in Dresden auf das Schild „NO WAR IN KOREA“? 30 Kilometer sind es von den nordkoreanischen Atomanlagen bis zur chinesischen Grenze. Weiterhin gibt es eine Grenze zu Russland. 40 Kilometer liegt die südkoreanische Metropole Seoul von Nordkorea entfernt. Zehn Millionen Südkoreaner leben dort, 25 Millionen im Großraum von Seoul. Ein Angriff der USA und Verbündeter auf Nordkorea würde sofort auch China, Japan, Russland und Südkorea zu Kriegsparteien machen. Weltkriege müssen nicht immer in Europa beginnen. „NO WAR IN KOREA“ heißt für mich auch: Kein Dritter Weltkrieg! Während ich die Menschen beobachte, fällt mir auf, dass zunächst vor allem die Kinder etwas wissen wollen: „Was steht da auf dem Schild?“ – „Kein Krieg in Korea.“ Das war's. Keine weitere Reaktion. Den Kindern wird nichts erklärt und die Eltern haben

offensichtlich keine Meinung. Ältere Frauen, vielleicht um die 80, nicken mir zustimmend zu. Plötzlich kommt ein Riese auf mich zu gewalzt, er trägt das T-Shirt eines Dresdner Stadtreiseunternehmens, baut sich gefährlich nah vor mir auf und blafft mich an: „Warum denn kein Krieg in Korea? Sollen die Amis den Verrückten doch platt machen! Dann ist Ruhe!“ Ich bin erst einmal perplex, aber keine Frage: Der Mann meint es ernst. Mit Atomwaffen hat das große Kind kein Problem: „Sollen sie doch gleich die Neutronenbomben nehmen, da bleibt die Infrastruktur intakt und die Leute sind weg – saubere Lösung!“ Dieser Mann kümmert sich also in Dresden täglich um Touristen, auch um asiatische. Ein Trio beobachtet mich für längere Zeit neugierig. Zwei junge Frauen und ein junger Mann. Die Frauen, so um die zwanzig Jahre alt, sind auffallend gut gekleidet – und sie wollen etwas wissen. Vermutlich sind es Studentinnen, deren Eltern genug Geld ha-

ben, um ihre Kinder auf eine Weltreise schicken zu können. Schließlich fasst sich eine ein Herz und fragt mich: „Sagen Sie bitte, was soll das eigentlich bedeuten? Was bezwecken Sie?“ Ich bemerke, dass die jungen Frauen ehrlich neugierig sind und absolut keine Ahnung davon haben, was auf der koreanischen Halbinsel auf dem Spiel steht. Ich versuche, es ihnen ein wenig zu erklären. Sie hören aufmerksam zu, machen große Augen und bedanken sich, bevor sie sich – nachdenklich geworden – entfernen. Eine Gruppe Inder kommt vorbei. Einer ruft: „No war in Korea? I agree!“ (Ich bin einverstanden.). Ein Tscheche meint: „Sie haben recht!“ Und aus einer englischen Gruppe höre ich, wie eine Diskussion anfängt, als sie an mir vorüber ziehen: „Oh, diese zwei verrückten Kerle, wo soll das bloß hinführen?“ Eine Familie kommt vorbei. Vater, Mutter und Tochter – der Vater sagt auf Englisch, dass er sich mit mir gern fotografieren lassen möchte

gelegentlich in einem Waisenhaus in Nordkorea. Beide sind Christen, und sie klären mich auf über das „Welttreffen“ der Herrnhuter, an dem sie teilnehmen werden. Er macht sofort ein Videointerview und platziert mich vor der Frauenkirche. Wir führen ein langes Gespräch über Nord- und Südkorea und über die Konsequenzen eines Angriffs der Amerikaner: Er wäre eine Katastrophe für beide Koreas, für Asien, für die Welt, da sind wir uns einig. Die Koreaner sind Kriegsgegner, auch die Lateinamerikaner und Inder, Tschechen und Engländer haben eine klare Meinung „zu Korea“ – nur die Einheimischen interessieren sich entweder nicht dafür, sind ahnungslos oder vertreten seltsame Ansichten. Dresden hat neuerdings einen KoreaPlatz und einen Oberbürgermeister, der mit einer Koreanerin verheiratet ist. Für die Masse der Einheimischen aber ist Korea gleich Samsung ohne jegliches Interesse oder Verständnis für Land und Leute.


Sachsens Linke! 09/2017 Vom 22. Juli bis zum 1. August 2017 war eine Delegation von 19 Mitgliedern der linksjugend ['solid] Sachsen nach Polen gereist. Elf Tage, drei Städte, 8-stündige Stadtführungen, ewige Zugfahrten – es hat sich gelohnt! In Wrocław, Kraków und Warszawa lernten wir viel über die Geschichte und die Kultur Polens. Besondere Schwerpunkte waren das jüdische Leben, der Zweite Weltkrieg und die Zeit des Ostblocks. Infolge der Umbrüche 1989, so stellten wir fest, wurde Polen durch Einzug des Kapitalismus noch schwerer getroffen als Ostdeutschland: Industrie wurde abgebaut, Arbeitsplätze und soziale Sicherheit verschwanden. In Wrocław und Kraków trafen wir unsere junge und progressive Schwesterorganisation Razem. Diese neue Partei gibt es erst seit zwei Jahren, sie ist die einzige links von den Neoliberalen. Wir sprachen intensiv über gemeinsame Ziele, über die politische Lage und die Zukunft Europas. In Polen zermürbt die allein regierende PiS (quasi deren AfD) die Demokratie und schürt den Natio-

Auf Bildungsreise in Polen Werner Kujat blickt zurück auf eine eindrucksvolle Ausfahrt nalismus – in Zusammenarbeit mit der einflussreichen katholischen Kirche. In vielen Kirchen wird offen für rechts-konservative Parteien geworben und linken Parteien und Organisationen vorgeworfen, die „alten Kommunisten“ zu verkörpern. Inhaltlich stehen Razem der linksjugend bei den Themen Feminismus, soziale Gerechtigkeit, Laizismus, Migration und Europa recht nahe. Das Programm der LINKEN stimmt zu etwa 75 Prozent mit dem von Razem überein.

Von Kraków aus besuchten wir die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Wir waren erschüttert. Alle Menschen sollten einmal in ihrem Leben Auschwitz besuchen. An einem weiteren Tag besichtigten wir das Gelände des Arbeitslagers Monowitz. Dort hat die I.G. Farben mit Zwangsarbeit und Unterstützung der SS Millionenumsätze gemacht. Bis heute haben die Nachfolger der I.G. Farben (z.B. die Bayer AG) keine Entschädigungszahlungen an die Opfer geleistet.

Make Solidarity great again!

Foto: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, um 1885

Die Linksjugend Sachsen beteiligt sich mit einer eigenen Kampagne am Wahlkampf

Pfingstcamp-Jubiläum naht! Das Pfingstcamp 2017 der linksjugend [‘solid] Sachsen fand in diesem Jahr vom 2. bis 5. Juni im tschechischen Doksy statt. Auch wenn es schon ein paar Monate her ist, möchten wir uns nochmal herzlich bei allen Menschen bedanken, die unser inzwischen 19. Pfingstcamp ermöglicht haben – von der Aufbaucrew über das AwarenessTeam, die Technikbetreuung, das Radio, die Licht- und Toncrew, der Künstler_innen- und Referent_innenbetreuung bis hin zu den Sanitäter_innen und allen anderen, die sich im Vorder- und Hintergrund die Nächte um die Ohren geschlagen haben, um das Pfingstcamp zum einzigartigen Event zu machen. Besonderer Dank gilt den Prinzess_innen, die beinahe rund um die Uhr als Ansprechpartner_innen fungierten. Mit 619 Menschen war das Camp wieder sehr gut besucht. Dank des sehr guten Wetters (Dank an die Chemtrailbrigade Böhmen) gab es allerdings weniger Pulkbildung und somit genug Raum, unsere neuen Locations wie den After-Hour-Space zu besuchen. Wie immer hatten wir ein breites Angebot an Workshops, Vorträgen und prakti-

Seite 10

Jugendverband

schen Angeboten, die gut besucht waren. Neben den üblichen Verdächtigen konnten wir viele tolle neue Leute, in den Teams und als Teilnehmende, begrüßen. Auch das Musikprogramm war großartig. Auf zwei Bühnen waren Bands und Künstler_innen aller möglichen Musikrichtungen vertreten, außerdem gab es mehrere Mittagskonzerte. Besonders gefreut haben wir uns über die rege Beteiligung mehrerer sächsischer Technocrews, dem Nonplusultra der linken sächsischen Hardcoreszene und dem all-female Hip Hop Abend am Sonntag! Auch wenn es nie ganz leicht ist, wenn viele unterschiedliche Menschen an einem Ort zusammenkommen, um sich gemeinsam zu bilden und zu feiern, so versuchen wir dennoch jedes Jahr, einen Ort ohne Sexismus, Rassismus, Homophobie, Antisemitismus und andere Diskriminierung zu schaffen. Ein Spoiler für nächstes Jahr sei gestattet: Es findet wieder ein Pfingstcamp statt und wir feiern unser 20-jähriges Jubiläum. Wenn du Interesse hast, mitzuwirken, melde dich unter kontakt@ linksjugend-sachsen.de

Zum CSD in Leipzig am 15. Juli startete die Linksjugend mit einer buchstäblich knallbunten Aktion in den Wahlkampf. So ließen wir zwei Banner von der S-BahnStation Wilhelm-Leuschner-Platz herunter, flankiert von Rauch in den Regenbogenfarben. Die vorbeitanzende Menge war sichtlich begeistert von diesem Akt zivilen Ungehorsams, bedankte sich mit Applaus, viele zückten ihre Kameras und ein uns unbekannter Mensch folgte sogar spontan aufs Dach, um uns zu unterstützen. Damit haben wir unserer Kampagne „Make Solidarity great again“ einen würdigen Anfang gegeben, der vor allem Spaß gemacht hat. Solidarität kann eine mächtige Waffe sein, das wurde wenige Tage vor dem CSD auch klar, als die „Ehe für Alle“ endlich beschlossen wurde. Viele setzten sich für die Ehe für Alle ein, auch wenn sie selbst nicht einmal heiraten wollen. Gegen diese breite Unterstützung in der Gesellschaft konnte sich auch die Union nicht länger stellen. Da knüpft unsere Kampagne an: Solidarität zu allen Menschen, die weniger Privilegien genießen als die Mehrheitsgesellschaft und tagtäglich Diskriminierungen erfahren müssen. Es gilt, sich in unsicheren Zeiten wie diesen wieder zu verbünden, denn letztlich wollen wir alle nur eines: Das schöne Leben! … und dafür ist genug von allem da. Wir sind im Wahlkampf viel auf kleineren Festivals in Sachsen

Den Abschluss fand unsere Reise in Warszawa. Hier erhielten wir spannenden Input über das Protestcamp gegen die Abholzung des letzten Urwalds Europas im Białowieża-Nationalpark, einen Blick auf feministische Perspektiven in Polen und den Czarny Protest für die Selbstbestimmung von Frauen* und von der Zeitschrift Krytyka Polityczna Einblicke in das schwierige Unterfangen, unabhängigen linken Journalismus in Polen zu betreiben. Auf dieser Reise haben wir auch die polnische Küche ausführlich getestet und uns das eine oder andere Pivo mit neuen Freundinnen und Freunden gegönnt. Ermöglicht wurde die Fahrt in Kooperation mit dem Ring politischer Jugend Sachsen e. V. und durch den besten Reiseleiter der Welt, unseren Jugendkoordinator Jakob Müschen. Chapeau und vielen Dank! Die nächste Reise, diesmal in die Ukraine, ist schon geplant. Denn auch international gilt: Make #solidarity #greatagain! präsent. Denn dort finden sich natürlich viele junge Menschen auf einem Haufen, der eine oder andere nimmt dann auch eine unserer Bauchtaschen mit oder lässt sich unseren Eiskaffee schmecken. Wir versuchen diesen Wahlkampf möglichst nachhaltig zu führen, so werden die Bauchtaschen und Mehrwegbecher im besten Fall über Jahre genutzt und sind oft als Werbeträger sichtbar. Außerdem haben wir den papierlosen Wahlkampf ausgerufen. Das heißt, es gibt kein Material von uns, das – abgesehen von toten Bäumen – keinen „Nutzen“ hat. Unsere Inhalte bringen wir wie schon 2014 einfach auf der Rückseite der Aufkleber unter, weiterführendes dann online. Auf geht‘s! • Jacob Wagner

Bald ist Landesjugendplenum Am letzten September-Wochenende 2017 trifft sich in der Gedenkstätte Bautzner Straße (Bautzner Straße 112a, 01099 Dresden) eine illustre Truppe aus dem gesamten Bundesland, um sich den wichtigen Fragen des Lebens zu widmen: beispielsweise der, aus welchen Personen der neue Beauftragtenrat der Linksjugend Sachsen bestehen wird. Außerdem werden andere Posten neu besetzt, der Wahlkampf begossen, getanzt und sich nice Bildung gegönnt. Da dieses Event, gemeinhin als Landesjugendplenum bekannt, nur mit Mitstreiter_innen funktioniert, möchten wir alle jungen Menschen, die dies lesen, animieren, sich unter http://gleft.de/1RI anzumelden. Wir freuen uns auf Dich! • Marius für den Beauftragtenrat


Seite 11

09/2017 Sachsens Linke!

DIE LINKE im Europäischen Parlament

Vom EU-Rüstungshaushalt zur Aufrüstung Europas

European United Left /  Nordic Green Left European Parliamentary Group

Die EU-Abgeordnete Sabine Lösing kritisiert die Europäisierung der Militärpolitik, die zugleich eine Militarisierung der Europapolitik ist.

Ein EU-Verteidigungsfonds soll in der Haushaltsperiode von 2021 bis 2027 insgesamt 38,5 Milliarden Euro umfassen. Jährlich 500 Millionen sollen für ein „Forschungsfenster“ bereit stehen. Fünf Milliarden sind für die Anschaffung von Militärgerät vorgesehen. So droht der Grundsatz, keine EU-Gelder für Militärausgaben zu verwenden, endgültig ausgehebelt zu werden. Er leitet sich ab aus dem eigentlich eindeutigen Artikel 41(2) des Lissabon-Vertrages: „Die operativen Ausgaben im Zusammenhang mit der Durchführung dieses Kapitels [EUAußen- und Sicherheitspolitik] gehen ebenfalls zulasten des Haushalts der Union, mit Ausnahme der Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen.“ Am 7. Juni 2017 legte die Kommission weitere Details vor: Der Start des Fonds soll um zwei Jahre auf 2019 vorverlegt und bis einschließlich 2020

zunächst ein Betrag von 2,59 Milliarden Euro bereitgestellt werden, 590 Millionen aus dem EU-Haushalt und zwei Milliarden von den Mitgliedsstaaten. Danach soll es bei 5,5 Milliarden Euro jährlich bleiben, davon 1,5 Milliarden aus dem EU-Haushalt, der Rest von den Mitgliedsstaaten. Eine entsprechende Verordnung soll 2018 von Parlament und Rat durchgewinkt werden. Damit wäre der Weg frei, um im Folgejahr unter dem Begriff „European Defence Industriel Development Programme“ de facto einen Rüstungshaushalt ins Leben zu rufen. Damit

wird nicht nur der Verwendung von EU-Geldern für die Aufrüstung Europas Tür und Tor geöffnet. Das bedeutet auch den großangelegten Einstieg der EU-Kommission in die Rüstungspolitik. Das „Reflexionspapier über die Zukunft der Europäischen Verteidigung“ präsentiert drei mögliche Szenarien einer künftigen EU-Militärpolitik: Erstens den Status Quo mit Verteidigungsfonds und gemeinsamem Hauptquartier, bei dem die Kommission die mangelnde Effizienz und die un-

Foto: Airwolfhound / flickr.com / CC BY-SA 2.0

Seit Jahren versucht die EU-Kommission, ihre Rolle in der EU-Militärpolitik auszubauen. Mit dem Brexit wird der bislang größte Gegner einer gemeinsamen Verteidigungspolitik die EU verlassen. Die Wahl Donald Trumps dient als zusätzliche Rechtfertigung eines eigenen EU-Militärapparates. Hierfür unterbreitete Kommissionschef Juncker verschiedene Vorschläge.

Pannenflieger als Milliardengrab: Airbus A400M

zureichende Fähigkeit zu umfassenden Einsätzen bemängelt. Das zweite Szenario sieht einen umfangreicheren Verteidigungsfonds vor und den Aufbau der Fähigkeit, größere Operationen durchführen zu können. Im von der Kommission präferierten Szenario würde die EU über ähnliche Fähigkeiten für High-End-Operationen verfügen wie die NATO, es würde eine umfassende Europäische Verteidigungsunion mit einer weitgehend europäisierten Beschaffungspolitik und einem europaweiten Rüstungsmarkt geben. Hierdurch würde, so das Kommissionpapier, der „beste Gegenwert für das ausgegebene Geld entstehen.“ Als Begründung für die massive Europäisierung der Militärpolitik führt die Kommission an, sie würde den Apparat effizienter machen. Tatsächlich geht es aber vor allem um einen schlagkräftigeren Militärapparat. Darüber hinaus scheint es keineswegs ausgemacht, dass durch europaweite Beschaffungsprojekte Kosten gesenkt werden könnten. Die Erfahrungen etwa mit dem Airbus A400M deuten in eine andere Richtung. Zentraler Kritikpunkt ist aber, dass diese „Effizienz“ auf Kosten demokratischer Kontrollmöglichkeiten geht. Bei allen Diskussionen über eine Europäisierung der Militärpolitik fehlen Überlegungen, wie dabei die Kontrollbefugnisse des EU-Parlamentes über die EU-Militärpolitik gestärkt werden können.

Bist Du nicht für uns, bist Du gegen uns Die Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine werden ständig diskutiert. Wir wollten uns ein Bild vor Ort machen und reisten im Juli für fünf Tage nach Kiew. Linke Aktivist*innen sowie die örtliche Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützten uns. Am 7. Juli führten uns zwei junge Aktivist*innen der Parteiorganisation „Soziale Bewegung“ durch Kiew, zeigten uns Orte früherer Auseinandersetzungen wie den Maidan sowie heutige Orte der Linken. Wir sprachen über die Folgen eines Gesetzes zum „Verbot kommunistischer Symbole“, das entscheidende Teile der ukrainischen Geschichte ausblendet und nach dem etwa die öffentliche Zurschaustellung von Hammer und Sichel mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft wird. Ein junger Aktivist, der selbst Opfer eines Überfalls geworden

war, berichtete uns von der ständigen rechten Bedrohung, von Repressionen und der Untätigkeit der Strafverfolgungsbehörden. Wir besuchten ein linkes Kulturzentrum und beobachteten eine Demonstration der ultra-rechten Partei Swoboda. Am Abend waren wir wieder bei der „Sozialen Bewegung“, die aus einer Graswurzelbewegung entstand und deren Programm viele Übereinstimmungen mit dem der LINKEN aufweist. Sie möchte eine Partei werden und dennoch unabhängig bleiben, was sehr schwierig ist. In der Ukraine gibt es keine staatliche Parteienfinanzierung, Parteien werden zumeist von Oligarchen finanziert. Wer Kritik am Staat äußert, auch wenn er lediglich den Krieg in der Ostukraine kritisiert, gilt als pro-russische/r Separatist*in. Für die Regierung gebe es nur „schwarz und weiß“. „Bist du

nicht für uns (national eingestellt), bist du gegen uns (für den Verlust der Gebiete im Osten).“ Dieser Nationalismus hat die Gesellschaft durchdrungen, er macht es schwer, sich politisch alternativ zu betätigen. Deshalb müsse zuerst die soziale Ungleichheit im Land beseitigt und dann der Krieg beendet werden, so die „Soziale Bewegung“. Wir trafen auch Juri, einen Minenarbeiter und Gewerkschaftsführer aus Krivoy Rig. Er erzählte vom Kampf der Arbeiter*innen in der Minenstadt. Dort werde inzwischen ein Zehntel des Bruttoinlandsproduktes produziert. Er möchte durch eine Studie herausfinden, wohin die Gewinne fließen, die anscheinend nicht bei den Angestellten landen. Später informierten Queer-Aktivist*innen uns über den Stand der Minderheitenrechte und ihre Arbeit. Leider spaltet der Krieg im

Osten auch diese Szene. Ein Großteil der Minderheiten ist selbst national eingestellt, um von der Mehrheit akzeptiert zu werden. Den Abschluss bildete ein Besuch bei Amnesty International, die auch in der Ukraine Menschenrechtsverletzungen bekämpfen. Die Reise vermittelte den Eindruck eines tief gespaltenen Landes. Der Nationalismus wird von den Herrschenden genutzt, um ihre Macht zu stabilisieren. Vom Krieg und der ohnmächtigen, nationalistisch agierenden Regierung unbeeindruckt versuchen jedoch junge Linke Vielfalt und eine offene Demokratie zu befördern. Angesichts der gesellschaftlichen Situation und der geringen Ressourcen ist das fast ein unmögliches Unterfangen. Deshalb ist unsere Unterstützung weiterhin nötig. • Dr. Cornelia Ernst, Björn Reichel


Sachsens Linke! 09/2017

Seite 12

DIE LINKE im Bundestag

Ideen für die größte Baustelle Europas

Von Caren Lay

Die Lausitz und Leipzig haben eine Gemeinsamkeit: Beide haben ein Seenland und damit ein beliebtes Erholungsziel (nicht nur) für Sächsinnen und Sachsen. Trotzdem sind beide unterschiedlich – aber nicht aus Sicht der Landesregierung. Eine Kleine Anfrage der LINKEN im Landtag ergab, dass die Regierung beide Regionen vergleichbar einordnet und somit keinen besonderen Förderbedarf für das Lausitzer Seenland erkennt. Jedoch: Wer einmal das Lausitzer Seenland besucht hat, weiß: diese Sichtweise ist problematisch.

über die lokalen Bürgermeister und unsere Kommunal- und Landtagsabgeordneten bis zum touristischen Kleinunternehmer. Aus diesem Austausch entstanden fünf Ideen, mit denen man für das Seenland endlich spürbare Entwicklungsbeschleunigung schaffen könnte: 1. Wir brauchen einen Staatsvertrag zur Seenlandentwicklung zwischen Sachsen und Brandenburg. Bisher macht Brandenburg auf seiner Seite sehr viel und Sachsen sehr wenig.

2. Der Lausitzfonds zum Strukturwandel muss deutlich aufgestockt werden. Statt den bisherigen elf Millionen fordern wir im Bundestag 250 Millionen für die Lausitz und das rheinische Revier. 3. Die Eigenmittel bei Fördermittelanträgen müssen für Kommunen aus den Kreisen Bautzen und Görlitz angeglichen werden. So sehr die Erhöhung der Förderquote auf 85 Prozent (Bautzen) und 90 Prozent (Görlitz) zu begrüßen ist, so unverständlich bleibt, war-

um eine Kommune wie Elsterheide im Seenland fünf Prozent mehr Eigenmittel erbringen soll als eine Kommune im Landkreis Görlitz. 4. Es braucht eine S-Bahn-Verbindung von Dresden in das Lausitzer Seenland. 5. Das Lausitzer Seenland muss eine eigenständige touristische Destination werden, nur so kann dieses Generationenprojekt endlich vernünftig vermarktet werden.

Nicht von ungefähr spricht man bei der Tagebaunachfolgelandschaft in der Lausitz von der größten Baustelle Europas. Nur wird sie so nicht behandelt. Im Gegenteil: Man überlässt ein Generationen- und Mammutprojekt den Kleinstkommunen vor Ort und wenigen lokalen Akteuren, die damit konzeptionell, aber vor allem finanziell nur überfordert sein können. Und so geht es zwar voran im Lausitzer Seenland, aber die Schritte sind winzig klein und das Tempo kaum messbar. Im Rahmen meiner Sommertour habe ich in den letzten Jahren und auch in diesem Jahr das Lausitzer Seenland besucht und dabei immer wieder alle Akteure vor Ort an einen Tisch geholt: von der Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft

Im Osten sind Frauen arm dran Arbeit schützt vor Armut nicht. Es gibt zweifelsohne Situationen, in denen sich Armut aufgrund von verschiedenen gesellschaftlichen Gegebenheiten verstärkt, in denen nicht einzelne Lebensentscheidungen, sondern das gesellschaftliche Ganze über einzelne Schicksale entscheidet. Frauenarmut ist so ein Beispiel für die Verstärkung von Armutslagen. Vor allem im Osten Deutschlands gibt es viele teilzeitbeschäftigte Frauen, Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen. Hier ist es gar nicht so einfach, „was arbeiten“ zu gehen, um davon die eigene Familie zu ernähren. Solche Verhältnisse fördern Frauen- und damit auch Kinderarmut und führen letztlich in die Altersarmut. Das Beispiel Sachsen illustriert die Lage von Frauen im Osten am besten: Im Freistaat leben fast 1,8 Millionen Frauen. Etwa 64 Prozent der 25- bis 45-jährigen Frauen haben Kinder unter 18 Jahren, 96.000 davon Kinder unter drei Jahren. Zwei Drittel dieser Frauen gehen trotz Kleinkindern einer Teilzeit-

beschäftigung nach. Insgesamt sind 79 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten in Sachsen Frauen. Im Osten gibt es überdurchschnittlich viele Alleinerziehende – auch ein Armutsfaktor: In Sachsen waren zum Beispiel 59 Prozent aller Frauen, die 2015 ein Kind zur Welt brachten, nicht mit dem Vater des Kindes verheiratet. Zwei Dinge lassen sich daraus schließen: Einerseits haben wir im Osten eine lobenswerte Tendenz zur Vielfalt an Lebensentwürfen, die nicht unbedingt das klassische Familienmodell favorisiert, andererseits aber wird gerade diese Vielfalt gesellschaftlich sanktioniert: durch viel niedrigere Löhne und damit später geringere Renten für Frauen, durch Teilzeitarbeit und befristete Beschäftigung. In der Armutsforschung spricht man oft von der Feminisierung von Armut, also davon, dass vor allem Frauen von Armut betroffen sind. Wenn man von solchen Dingen hört, neigt man dazu, an Entwicklungsländer zu denken und nicht an Deutschland, nicht an eines der reichsten Länder auf der Welt. Die Re-

gierungspolitik hat immer breitere Bevölkerungsschichten in die Armut gestürzt und die Armut der Ärmsten noch verschärft. So etwas kann DIE LINKE nicht akzeptieren! Die weit geöffnete Schere zwischen Armen und Superreichen muss durch eine sozial gerechte Umverteilungspolitik geschlossen werden. DIE LINKE fordert deshalb u.a. nicht nur Lohngerechtigkeit in Ost und West, sondern vor allem auch Geschlechtergerechtigkeit bei den Löhnen und Renten! Es ist längst überfällig, dass Frauen für gleiche Arbeit genauso viel verdienen wie Männer und ihnen der Aufstieg in Führungspositionen erleichtert wird. Um dies zu gewährleisten, müssen vor allem im Osten mehr allgemeinverbindliche Tarifverträge eingeführt, der gesetzliche Mindestlohn auf 12 Euro angehoben und Leiharbeit und Werkverträge verboten werden. Ein erster Schritt in Richtung Frauenförderung müssen spezifische Landeskonzepte zur Bekämpfung von Frauenarmut sein. Solche Konzepte müssen regional-spezifisch sein und die Viel-

schichtigkeit von Armutslagen berücksichtigen. Lange Erwerbsarmut führt irgendwann zu Altersarmut. Ein Kernpunkt unserer Ostdeutschland-Politik ist die Herstellung von Rentengerechtigkeit! Die gerechte Angleichung der Ost-Renten ist ein gebrochenes Versprechen der großen Koalition, denn der Rentenwert ist für Ostdeutsche im Durchschnitt um sechs Prozent geringer als der für Westdeutsche. Die steuerfinanzierte Angleichung des Rentenwerts (Ost) an den Rentenwert West unter Beibehaltung der Umrechnung (Höherwertung) der Entgelte würde das Versprechen erfüllen und die Ungerechtigkeiten auflösen. Es heißt, die Fortschrittlichkeit einer Gesellschaft ließe sich daran ablesen, wie sie ihre Frauen behandelt. Wer nach Ostdeutschland kommt, kann derzeit nicht von rapidem Fortschritt reden. Wer den Fortschritt allerdings will, muss DIE LINKE wählen! • Susanna Karawanskij, MdB


Kommunal-Info 7-2017 5. September 2017 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V.

Gebietsreformen Gutachten über die Wirkungen von Gebietsreformen an der Uni Potsdam vorgestellt Seite 3

Vorschau auf Veranstaltungen Intensivseminar zur Bürgerbeteiligung am 10./11. November Intensivseminar zum Thema Zeitsouveränität am 24. bis 26. November

Seite 4

Die Kreisumlage

Status - Funktionen- Umlagegrundlagen Im Unterschied zu den Städten und Gemeinden erfüllen die Landkreise besondere Aufgaben, die in § 2 Abs. 1 der Sächsischen Landkreisordnung geregelt sind: soweit die Gesetze nichts anderes bestimmen, erfüllen die Landkreis danach alle überörtlichen und alle die Leistungsfähigkeit der einzelnen kreisangehörigen Gemeinde übersteigenden Aufgaben in eigener Verantwortung. Für die Erfüllung dieser besonderen Aufgaben erheben die Landkreise von ihren Städten und Gemeinden eine Kreisumlage, da die Landkreise über keine eigenen Steuerquellen verfügen1 und auch die staatlichen Zuweisungen und sonstigen Einnahmen nicht ausreichen, um die Kreisaufgaben zu erledigen.2 Die Kreisumlage kommt einer Steuer gleich und hat mit dem Beitragsrecht nichts zu tun. Sie ist „kein (Mitglieds-) Beitrag oder eine beitragsähnliche Abgabe im Sinne des Äquivalenzprinzips.“ (a.a.O., S. 464) Von den Gemeinden wird die Pflicht zur Zahlung der Kreisumlage als eine „Weggabe von Eigenem“ empfunden. Sie befänden sich daher in einer vergleichbaren psychologischen Situation wie Steuerpflichtige bei der Erhebung direkter Steuern. Von daher sehen sich bei der Entscheidung über die Kreisumlage jene Kreisräte mitunter in einer Interessenkollision, die als Bürgermeister oder Gemeinderäte im Kreistag sitzen. Da sie jedoch keine individuellen Sonderinteressen verfolgen, indes als Interessenvertreter einer Bevölkerungsgruppe in Erscheinung treten, führt dieser Interessenkonflikt in der Kreistagssitzung nicht zum Ausschluss wegen Befangenheit.

Status der Kreisumlage

Die Kreisumlage nimmt bei den finanziellen Einnahmen der Landkreise einen bedeutenden Stellenwert ein, sie „ist das einzige nennenswerte gestaltbare Einnahmeinstrument der Landkreise.“ Neben den Landeszuweisungen bildet die von den kreisangehörigen Gemeinden erhobene Kreisumlage eine Haupteinnahmequelle der Landkreise.3 Ursprünglich als subsidiäres Deckungsmittel angelegt, muss die Kreisumlage „in Zeiten zunehmender Ausgaben dazu herhalten, die strukturellen Defizite im Bereich der Landkreiseinnahmen auszugleichen.“ (a.a.O., S. 417) Ähnlich der gesetzlichen Bestimmungen anderer Bundesländer wird in § 26 des Sächsischen Finanzausgleichsgesetzes zwar vorgegeben, dass die Landkreise von den kreisangehörigen Gemeinden eine Kreisumlage erheben, „soweit ihre sonstigen Erträge nicht ausreichen, um ihren Finanzbedarf zu decken“. Da die Landkreise jedoch über keine beachtenswerten eigenen Finanzquellen verfügen, bleibt als finanzielle „Stellschraube“ letztlich die Kreisumlage. Den Kreisen ist jedoch die Möglichkeit verwehrt, etwa durch die eigene Aufnahme von Krediten die Kreisumlage absenken zu wollen, da die Finanzierung des Kommunalhaushalts aus Krediten kommunalrechtlich als letztrangige Einnahmemöglichkeit infrage kommt.4 Unzulässig wäre auch, die Liquiditätsreserve anzugreifen, um so die Kreisumlage abzumildern. Ebenso sind die Landkreise nicht verpflichtet, Vermögen („Tafelsilber“) zu veräußern, um so den Gemeinden bei

der Kreisumlage entgegenzukommen. (a.a.O., S.467) Die Kreisumlage nimmt allerdings an den Einnahmen der Landkreise in den einzelnen Ländern einen recht unterschiedlichen Anteil ein. Für das Jahr 2015 werden folgende Zahlen genannt: Saarland 57,9%; NRW 54,9%; Hessen 52,9%; Bayern 51,6%; B.-Württemberg 38,8%; Rh.-Pfalz 34,2; Niedersachsen 33,4; Brandenburg 29,8%; S.-Holstein 29,6%; S.-Anhalt 27,4%; Sachsen 25,8; Thüringen 25,8%; Meckl.-Vorpommern 24,8%. (a.a.O., S. 481) Zu beachten ist hierbei, dass die Kreisumlage immer im Zusammenhang mit dem kommunalen Finanzausgleich zu sehen ist, der von Land zu Land sehr unterschiedlich gestaltet ist und wo insbesondere die Finanzausgleichsmasse der Schlüsselzuweisungen zwischen Gemeinden und Landkreisen auch ganz unterschiedlich aufgeteilt ist. Eine gleichbleibende Finanzausstattung angenommen, gilt dann als allgemeine Faustregel: Mit zunehmendem Anteil der Landkreise an der Finanzausgleichsmasse kann die Kreisumlage abgesenkt werden, wobei ein niedrigerer Anteil der kreisangehörigen Gemeinden an den Schlüsselzuweisungen zu einer Verminderung der der Umlagegrundlagen für die Kreisumlage führt, also eine Erhöhung des Anteils der Kreise an der Finanzausgleichsmasse unter sonst gleichen Bedingungen nicht im gleichen Anteilsverhältnis eine Kreisumlagesenkung bringt. (a.a.O., S. 480) Auch die Kreisumlagesätze zwischen den Ländern weichen dadurch stark voneinander ab, was ursächlich außerdem von der unterschiedlichen

Gewichtung der Umlagegrundlagen wie in länderweise unterschiedlichen Aufgabenzuweisungen auf die Kreisebene abhängt. Für 2015 werden für die Länder folgende durchschnittliche Hebesätze für die Kreisumlage angegeben: B.-Württemberg 32,17%; Bayern 47,81%; Brandenburg 45,38%; Hessen 56,9%; Meckl.-Vorpommern 45,66%; Niedersachsen 50,29%; NRW 47,98%; Rh.-Pfalz 43,78%; Saarland 59,9%; Sachsen 32,19%; S.-Anhalt 44,25%; S.-Holstein 36,82%; Thüringen 41,99%.

Funktionen der Kreisumlage

Die Kreisumlage soll grundsätzlich zwei Funktionen erfüllen: (1)eine redistributive (umverteilende) Ausgleichsfunktion im Verhältnis der umlagepflichtigen Gemeinden untereinander; (2)eine fiskalische (Finanzierungs-)Funktion für die Kreisaufgaben. Die umverteilende Ausgleichsfunktion soll das Ziel verfolgen, die Finanzkraftunterschiede zwischen den kreisangehörigen Gemeinden abzumildern. Das geschieht dadurch, dass finanzstarke Gemeinden absolut einen größeren Anteil ihrer Finanzmittel an die Kreisumlage abzuführen haben als finanzschwächere Gemeinden. In eineigen Ländern ermöglichen die Finanzausgleichsgesetze, durch differenzierte Kreisumlagesätze für die kreisangehörigen Gemeinden die Ausgleichsfunktion zu verstärken, indem finanzstärkere Gemeinden mit einem höheren Kreisumlagesatz belegt werden und so stärker herangezogen werFortsetzung auf folgender Seite


Kommunal-Info 7/2017 den als finanzschwächere Gemeinden. „Am einfachsten und klarsten sind die Regelungen in Baden-Württemberg und Sachsen gehalten. Hier ist der Umlagesatz für alle kreisangehörigen Gemeinden und alle Bestandteile der Bemessungsgrundlage der Kreisumlage gleich hoch.“ (a.a.O., S. 481) Durch die Finanzierungsfunktion soll sichergestellt werden, dass mittels der Kreisumlage die den Landkreisen zugewiesenen Aufgaben erledigt werden können. Die Landkreise müssen dabei nicht nachweisen, dass die Kreisumlage für ganz bestimmte Kreisaufgaben verwendet wird. Hingegen steht den Landkreisen die Kreisumlage als allgemeines Deckungsmittel zur Verfügung. Grundsätzlich können so mit der Kreisumlage alle Aufgaben der Landkreise finanziert werden, wenn sie rechtlich zulässig sind. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat dazu festgestellt: „Mit der Kreisumlage soll, ohne dass eine Zurechnung zu bestimmten Aufgaben erfolgt, also ohne Berücksichtigung des Gesichtspunktes von Leistung und Gegenleistung und insofern steuerähnlich, der anderweitig nicht abgedeckte Finanzbedarf des Kreises von den Mitgliedskörperschaften nach ihrer finanziellen Leistungskraft befriedigt werden.“5 Ebenso steht es im Ermessen der Landkreise, eigenständig darüber zu entscheiden, welche freiwilligen Aufgaben sie übernehmen, in welcher Qualität und Quantität sie diese ausführen und mittels der Kreisumlage finanziert werden. Jedoch muss die Wahrnehmung freiwilliger Aufgaben und deren Finanzierung auch in den Kompetenzbereich der Landkreise fallen, muss es sich der Natur nach um überörtliche und die Leistungsfähigkeit der einzelnen kreisangehörigen Gemeinde übersteigende Aufgaben handeln. (a.a.O., S. 465)

Umlagegrundlagen

Auf welche Einnahmen der kreisangehörigen Gemeinden bei der Bestimmung der Umlagegrundlagen für die Kreisumlage zurückgegriffen wird, ist in den Finanzausgleichsgesetzen der Länder bestimmt. In Sachsen gilt für die Landkreise nach § 26 des Sächsischen Finanzausgleichsgesetzes (SächsFAG), dass die Kreisumlage durch Anwendung eines Prozentsatzes (Umlagesatz) auf die Umlagegrundlagen der kreisangehörigen Gemeinden bestimmt wird. Der Umlagesatz ist in der Haushaltssatzung des Kreises für alle Gemeinden eines Landkreises gleich festzusetzen. Ergibt sich eine negative Umlagegrundlage, hat die kreisangehörige Gemeinde einen Erstattungsanspruch. In diesem Fall hat die kreisangehörige Gemeinde gegenüber dem Landkreis einen Zahlungsanspruch. Umlagegrundlagen sind: Die Steuerkraftmesszahl nach § 8 SächsFAG: die Steuerkraftmesszahl wird berechnet, indem die Steuerkraftzahlen der Grundsteuern, der Gewerbesteuer und der Gemeindeanteile an der Einkommensteuer und Umsatzsteuer zusammengezählt werden; Die allgemeinen Schlüsselzuweisungen nach § 9 SächsFAG: sind Finanzmittel des Freistaates an die Kommunen als allgemeine, ungebundene

Seite 2 Deckungsmittel zur Erfüllung der kommunalen Aufgaben. Mit dem Begriff „Schlüsselzuweisungen“ wird gemeint, dass diese Mittel über einen pauschalen Schlüssel verteilt werden. Hauptansatzfaktor ist die Einwohnerzahl der Gemeinde, wobei die mit zunehmender Einwohnerzahl wachsende Ausgabenlast je Einwohner berücksichtigt wird, die sich aus der zentralörtlichen Funktion der Gemeinden ergibt. In einem Nebenansatz für Schüler wird die Summe von Schülerzahlen je Schulart mal kostenspezifischer Prozentsatz je Schulart zur Grundlage genommen. Abgezogen von der Umlage werden die sog. Finanzausgleichsumlage nach § 25a SächsFAG (eine Sonderabgabe der finanzstarken, abundanten Gemeinden an den Freistaat, umgangssprachlich auch „Reichensteuer“ genannt) und die Auflösungsbeträge des Sonderpostens nach § 23 Absatz 2 Satz 4 SächsFAG (Kommunales Vorsorgevermögen). Im Unterschied zu manch anderen Bundesländern gehen in Sachsen alle Umlagegrundlagen (Steuerkraftmesszahl, allgemeinen Schlüsselzuweisungen) vollständig ohne prozentuale Abschläge in die Berechnung des Umlagesatzes der Kreisumlage ein.

Grenzen für Kreisumlagesätze

Verschiedentlich wurde in der Vergangenheit versucht, ein absolute Grenze für Kreisumlagesätze zu definieren. Da jedoch die Bemessungsgrundlagen und die Aufgabenbelastungen der Landkreise sowie ihr Anteil an den Schlüsselzuweisungen zwischen den Bundesländern recht unterschiedlich ausfallen, ließ sich eine absolut quantifizierbare Grenze für Kreisumlagesätze nicht definieren. Indes kann qualitativ eine verfassungsrechtlich gebotene Grenze des Umlagesatzes bestimmt werden, unabhängig von der Betrachtung des Aufgabenbestandes der Landkreise und der Gemeinden. So würde durch eine Kreisumlage in die gemeindliche Finanzhoheit dann übermäßig eingegriffen, „wenn den kreisangehörigen Gemeinden kein substanzieller Finanzspielraum zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung ihrer Aufgaben mehr verbleibt.“ (a.a.O., S. 488) Ob das aber gegeben ist, lässt sich nicht losgelöst von den individuellen Verhältnissen der Landkreise und Gemeinden ermitteln, unterliegt also der Einzelfallprüfung. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 31.01.2013 festgestellt6, dass die Kreisumlage dann gegen Artikel 28 Abs. 2 Grundgesetz (Kommunale Selbstverwaltung) verstoße, wenn die gemeindliche Ebene strukturell unterfinanziert ist und die gemeindliche Steuerhoheit entwertet wird. Beim Finanzbedarf der Aufgabenerfüllung gebe es zwar „kein Vorrangprinzip zugunsten der gemeindlichen Ebene“, es gelte hier der Grundsatz des „finanziellen Gleichrangs … für das vertikale Verhältnis des umlageberechtigten Kreises zu den umlageverpflichteten kreisangehörigen Gemeinden“. Das Recht des Landkreises zur Erhebung der Kreisumlage dürfe dieser nicht beliebig ausweiten, „vielmehr muss er die grundsätzlich gleichrangigen Interessen der kreisangehörigen

Gemeinden in Rechnung stellen…, der Kreis seine eigenen Aufgaben und Interessen nicht einseitig und rücksichtslos gegenüber den Aufgaben und Interessen der kreisangehörigen Gemeinden durchsetzen darf.“ Die Gemeinden müssen „mindestens über so große Finanzmittel verfügen, dass sie ihre pflichtigen (Fremd- wie Selbstverwaltungs-)Aufgaben ohne (nicht nur vorübergehende) Kreditaufnahme erfüllen können und darüber hinaus noch über eine »freie Spitze« verfügen, um zusätzlich freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben in einem bescheidenen, aber doch merklichen Umfang wahrzunehmen.“ Der Landkreis dürfe nicht mit Verweis auf die eigene miserable Haushaltslage mit der Kreisumlage in den Kernbereich der gemeindlichen Selbstverwaltung eingreifen. „Ist die eigene Finanzausstattung des Kreises unzureichend, so muss er sich seinerseits an das Land (den Landesgesetzgeber) halten; er kann seine Finanznot nicht auf die kreisangehörigen Gemeinden abwälzen.“ Der Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie wäre aber erst dann verletzt, „wenn die Gemeinde strukturell und auf Dauer außerstande ist, ihr Recht auf eine eigenverantwortliche Erfüllung auch freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben wahrzunehmen.“ In seiner Entscheidung vom 16.06.2015 hat das Bundesverwaltungsgericht7 allerdings hervorgehoben, dass für einen Landkreis bei einer defizitären Haushaltslage die Rechtspflicht besteht, sofern alle anderen Möglichkeiten erschöpft sind auch die Kreisumlage so weit zu dehnen, um eine Verringerung des Haushaltsdefizits zu erreichen. Die Grenze für den höchstmöglichen Kreisumlagesatz liege aber dort, wo die Leistungsfähigkeit der zahlungspflichtigen Gemeinden endet. Im konkreten Fall, der Gegenstand des Urteils war, hätte eine Kreisumlage von 70% festgesetzt werden müssen, um für den Landkreis den Haushaltsausgleich erreichen zu können. Nach Berechnungen der zuständigen Rechtsaufsichtsbehörde wurde jedoch ein Hebesatz von 35,5% ermittelt, der die tatsächliche Leistungsfähigkeit der kreisangehörigen Städte und Gemeinden berücksichtigte.

Anweisungen durch Rechtsaufsicht

Bisher war nicht geklärt, ob die Befugnisse der Kommunalaufsicht im Rahmen der Haushaltsgenehmigung auch eine konkrete Erhöhung der Kreisumlage einschließen können. Mit seiner Entscheidung vom 16.06.2015 hat das Bundesverwaltungsgericht8 diese Möglichkeit unter bestimmten Voraussetzungen bejaht. Gleichzeitig wurde die bisherige Position bekräftigt, dass die Kommunalaufsicht nicht im Wege einer „Einmischungsaufsicht“ in Entscheidungsspielräume eindringen darf, die den kommunalen vorbehalten sind. „Einnahmen- wie ausgabenseitig Maßnahmen zum Haushaltsausgleich zu ergreifen, ist Aufgabe der Entscheidungsgremien des kommunalen Aufgabenträgers. Innerhalb eines bestehenden Gestaltungsspielraums ist es der Kommunalaufsicht untersagt, der Kommune bestimmte Maßnahmen al-

ternativlos vorzuschreiben. Auf der Ausgabenseite ist die Aufsichtsbehörde grundsätzlich darauf beschränkt, eine Reduzierung der Mittel für freiwillige Leistungen insgesamt anzumahnen, ohne konkrete Mittel oder einzelne Ansätze vorzuschreiben. Entsprechendes muss für die Einnahmenseite gelten.“ Jedoch kann anderes gelten, so im Leitsatz des Urteils, „wenn angesichts des absehbaren zeitlichen Auslaufens einer realisierbaren Handlungsmöglichkeit keine realisierbare Alternative mehr besteht.“ Im konkreten Fall, der im Urteil verhandelt wurde, hielt das Gericht das Eingreifen der Kommunalaufsicht mit einer Auflage zur Erhöhung der Kreisumlage um 3% deshalb für gerechtfertigt, da mit Herannahen eines Fristablaufs keine andere Alternative mehr gegeben war. „Weist die Kommunalaufsicht den Kreis zu einer konkret bemessenen Umlageerhöhung an und hat der Kreis bislang keine hinreichenden eigenen Ermittlungen zum Finanzbedarf aller betroffenen kommunalen Träger durchgeführt, dann muss sie ihrerseits gewährleisten, dass der angewiesene Umlagesatz auf ausreichende Feststellungen gestützt werden kann. Sie darf den Kreis nicht zu einer rechtswidrigen Maßnahme anhalten, sondern hat allein auf die Einhaltung seiner Verpflichtungen hinzuwirken. Kommt der Kreis der Anweisung nicht nach und muss diese im Wege der kommunalrechtlichen Ersatzvornahme umgesetzt werden, dann wirkt die getroffene Maßnahme für und gegen den Kreis, als wenn dieser sie selbst getroffen hätte.“ Grundsätzlich gilt aber: Bei der Erhebung der Kreisumlage besteht im Hinblick auf die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz lediglich eine staatliche Rechts-, aber keine Fachaufsicht. AG 1 Die einzige Steuer, die den Landkreisen zufällt, ist die Jagdsteuer (§ 8 Sächsisches Kommunalabgabengesetz), die aufgrund ihres geringen Steueraufkommens wie die Hundesteuer bei den Gemeinden unter den Begriff der „Bagatellsteuern“ fällt. 2 In der Jubiläumsausgabe 100 Jahre Deutscher Landkreistag hat der kommunale Spitzenverband in der Aug./ Sept.-Ausgabe 2016 seiner Zeitschrift „Der Landkreis“ 2 Artikel zur Entwick-

Fortsetzung: Seite 3 unten links

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushalts finanziert.


Kommunal-Info 7/2017

Seite 3

Wirkungen von Gebietsreformen „Wirkungen von Gebietsreformen“, so lautete das Thema der diesjährigen Fachtagung des Kommunalwisschaftlichen Instituts (KWI) der Universität Potsdam am 9. Juni 2017. Wie der Teilnehmerliste zu entnehmen war, wurden von dem Thema vor allem Kommunalpolitiker/innen aus dem Land Brandenburg angelockt, wo bekanntlich die Kreisgebietsreform ansteht und darüber teilweise recht emotionale Debatten geführt werden. Am Vormittag wurde ein Gutachten zum Thema vorgestellt, das im Auftrag des Ministeriums des Inneren und für Kommunales Brandenburg erstellt wurde. Ein Gast von der Universität Lausanne referierte zum Thema „Gemeinden und Gebietsreformen in der Schweiz“. Der Nachmittag wurde mit einem Grußwort des Brandenburgischen Innenministers Karl-Heinz Schröter eröffnet. Die anschließende Podiumsdiskussion stand unter der Überschrift „Wie geht es weiter in Brandenburg?“. Im Podium hatten als Diskussionspartner auch der Minister und ein Landrat Platz genommen.

Gutachten über Wirkungen

Über die Probleme Brandenburgs hinaus bleiben die Aussagen aus dem o.g. Gutachten von allgemeinem Interesse. Mit dem Gutachten wurde das Ziel verfolgt, „zentrale Erkenntnisse über die Effekte von Gebietsreformen systematisch und umfassend darzustellen und auszuwerten.“ Dazu gehöre auch die kritische Auseinandersetzung mit bestehender Forschung sowie mit zentralen methodischen Problemen bisher durchgeführter Untersuchungen, da die Befunde mitunter widersprüchlich seien. Im Kern gehe es um eine Bestandsaufnahme und Systematisierung bisheriger Forschung über die Effekte von Gebietsreformen. Eigene empirische Untersuchungen wurden für das Gutachten nicht angestrengt. Es wurden vorhandene Studien unter drei wesentlichen Wirkungsdimensionen von Gebietsreformen unter die Lupe genommen: Leistungsfähigkeit, Verwaltungs- und Veranstaltungskraft; Einsparungen, Skalenerträge, WirtFortsetzung von Seite 3

Kreisumlage ... lung der Kreisfinanzen und zur Kreisumlage publiziert, verfasst von Matthias Wohltmann, wo eine umfassende Wertung der Kreisumlage vorgenommen wird. Im nachfolgenden Beitrag zur Kreisumlage wird hauptsächlich auf diese Artikel zurückgegriffen und daraus zitiert (a.a.O., Seitenangabe) 3 Vgl. Deutscher Landkreistag, www. landkreistag.de/themen/kreisfinanzen. html. 4 Siehe § 73 Abs. 4 Sächsische Gemeindeordnung, Grundsätze der Einnahmebeschaffung. 5 In: Der Landkreis, Jg. 2005, S. 652f. 6 BVerwG, Urteil vom 31.01.2013-8 C 1.12. 7 BVerwG, Urteil vom 16.06.2015-10 C 13.14. 8 Ebenda.

schaftlichkeit; Integrationsfähigkeit, Partizipation, demokratische Kontrolle. Bei den zugrunde gelegten Studien wurde festgestellt, dass es im Wirkungsbereich der Leistungskraft, Verwaltungs- und Veranstaltungskraft, Professionalität und Aufgabenwahrnehmung mehr Studien über Gebietsreformen gebe, die positive Effekte feststellen, und einen geringeren Anteil von Studien, die keine positiven Wirkungen nachweisen. In der Literatur kristallisiere sich ein recht klarer Konsens heraus, dass Gebietsfusionen die institutionelle Kapazität der Kommunen stärken, was u.a. in robusteren Organisationsstrukturen der Verwaltung, einem höheren Professionalisierungsgrad der Mitarbeiter, verbesserten Fähigkeiten für strategische Politikgestaltung und die Bearbeitung komplexer Probleme im Territorium, dem Abbau von Leistungsbeschränkungen und Anhebung von Standards sowie (teils) erhöhter Kundenorientierung sichtbar werde. Hinsichtlich der tatsächlich realisierten Service- und Effektivitätsverbesserungen gibt es positive Befunde, aber auch einige kritische Bilanzen, etwa über Gebietsreformen in den Niederlanden. Dagegen fallen die Befunde zu Einsparungen, Skalenerträgen und Wirtschaftlichkeit heterogener und teils widersprüchlich aus. Hier zeige sich, dass es zwar unter bestimmten Bedingungen zu Kostenreduzierungen und Wirtschaftlichkeitsgewinnen gekommen ist, dies jedoch nicht durchweg oder überwiegend der Fall ist. Dabei seien die konkreten Kontextbedingungen und Durchführungsprozesse der Reform für die Erklärung der Befunde sehr wichtig. Bezüglich der Auswirkungen von Gebietsfusionen auf politische Teilhabe und Integrationsfähigkeit kommen die Studien zu dem Schluss, dass die Gebietsgröße einen allenfalls moderaten Effekt auf lokale Demokratie habe. Bedeutsamer seien andere Erklärungsfaktoren, wie individuelle sozioökonomische Merkmale (Geschlecht, Bildungsgrad etc.). Zwar gäbe es einige indirekte und wenige di-

rekte Effekte der Gebietsgröße auf verschiedene Aspekte von Partizipation. Aber insgesamt dürfe der Einfluss von Gebietsveränderungen auf die Ausübung demokratischer Teilhaberechte nicht überschätzt werden. Soweit sog. „demokratische Kosten“ anfallen, sind diese gering bis marginal; teils existierten sie überhaupt nicht. Allerdings ließen sich auch die angenommenen positiven Auswirkungen von Gebietsvergrößerungen auf demokratische Beteiligung, Politikinteresse und -kompetenz der Bürger empirisch nur bedingt, teilweise gar nicht nachweisen. Hinsichtlich der politischen Beteiligung und des lokalen Engagements zeige sich, dass weiterhin Personen für Mandate kandidieren, auch wenn sich deren Zahl reduziert habe. Zwar seien ein Aufgabenzuwachs und größerer Koordinationsbedarf spürbar. Jedoch komme es auch zur Professionalisierung der Kreistagsarbeit, zu regionaler Arbeitsteilung und zum Bedeutungszuwachs der kommunalpolitisch zu entscheidenden Sachverhalte. Eine teilweise befürchtete generelle Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit oder grundlegende Bedrohung des Ehrenamts sind nicht festzustellen. Hinsichtlich der lokalen Identitätsbildung gibt es einige kritische Befunde, wobei „Kreisidentitäten“ von allenfalls untergeordneter Bedeutung seien (im Unterschied zu Gemeindeidentitäten), da Kreisverwaltungen keine typischen Kontaktverwaltungen sind.

Empfehlungen

Ziele überdenken und Prioritäten setzen Gebietsreformen seien geeignet, die Handlungs- und Leistungsfähigkeit kommunaler Körperschaften zu verbessern und – mit Einschränkungen – sei es möglich, damit auch eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns zu ermöglichen. Hierbei wäre es erfolgversprechender, bei tendenziell gleichbleibendem Ressourceneinsatz auf eine Verbesserung des Service und der Qualität der Leistungen zu setzen als auf Einsparungen, auch wenn diese grundsätzlich möglich sind.

Angesichts der zentralen Herausforderungen durch Digitalisierung, demografischen Wandel und Fachkräftemangel (auch in der Verwaltung), finanzieller Nachhaltigkeit sei es legitim, der Sicherung der Funktions-, Leistungs- und Zukunftsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung angesichts zunehmender Erwartungen höchste Priorität einzuräumen. Dabei sollten die negativen Auswirkungen auf die demokratische Teilhabe so weit wie möglich begrenzt werden, insbesondere durch Vermeidung von übergroßen Gebietszuschnitten, wo dies administrativ und ökonomisch zu verantworten ist. Umsetzungsprozess der Reform Die Wirkungen von Gebietsreformen folgen nicht einem Automatismus allein aus der Zusammenlegung von Gebietseinheiten. Um die potenziell möglichen Gewinne zu realisieren, aber auch um negative Effekte zu vermeiden, müsste ein besonderes Augenmerk auf die Umsetzung des Reformprozesses, auf flankierende und Kompensationsmaßnahmen gelegt sowie gewährleistet werden, damit die kommunalen Akteure im Rahmen ihrer Selbstverwaltungshoheit motiviert werden können, die gegebenen Verbesserungspotenziale auch tatsächlich zu nutzen. Hierzu kommen u.a. finanzielle Unterstützung zur Bewältigung der reformbedingten „Transformationsphase“ (,‚Anschubfinanzierung“), Überlegungen hinsichtlich der Anpassungen des kommunalen Finanzausgleichs, aber auch organisatorische Maßnahmen (der internen Verwaltungsmodernisierung), professionelle Personalentwicklung und eine aktive Informations-/Kommunikationspolitik infrage. Verwaltungsmodernisierung und Digitalisierung Die Gewinne der Gebietsreform ließen sich schneller und nachhaltiger erreichen, wenn die territoriale Strukturveränderung mit begleitenden Maßnahmen der internen Verwaltungsmodernisierung, Personal- und Führungskräfteentwicklung sowie Digitalisierung der Verwaltungsarbeit verknüpft würde. Diese Maßnahmen trügen nicht nur dazu bei, mögliche größenbedingte Negativeffekte zu vermeiden, sondern auch den generell kritisierten Rückstand der deutschen öffentlichen Verwaltung in Sachen Digitalisierung zu verringern. Es gelte, die verbesserte Leistungs- und Reformkapazität der größeren Strukturen und damit die Chance zu nutzen, sie zu „Innovationszentren“ der öffentlichen Verwaltung zu entwickeln. Einsparungen nicht an erster Stelle Leistungsfähigere Kreise können Fortsetzung auf folgender Seite


Kommunal-Info 7/2017

Seite 4

Vorschau auf Veranstaltungen Intensivseminar

(Bürger-) Beteiligung in der Kommunalen Politik Freitag, 10.11.2017 ab 17:00 Uhr bis Sonnabend 11.11.2017, ca 17:00 Uhr

in Freiberg

KLEWADO - Gästehaus für Ideen, Hainichener Straße 201

Zum Inhalt:

Immer wieder gibt es die Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung in der Politik. Dieses Seminar soll kommunale Mandatsträgerinnen und Mandatsträger ermutigen, die Menschen ihrer Gemeinde mehr in die Prozesse der politischen Entscheidungsfindung einzubinden. Hierzu werden die Vorteile von Beteiligungsprozessen kurz dargelegt, sowie in einer schrittweisen Anleitung die wichtigsten Etappen zum Start und zur Durchführung erläutert. Anhand von Fallbeispielen wird zudem ein analytischer Einblick in aktuelle Beispiele von Beteiligungspraxis in deutschen Kommunen gewährt. Referent: Frank Kutzner (Dipl.-Wirtsch.-Ing., Planer, Moderator, parlamentarisch-wissenschaftlicher Berater) Teilnahmegebühr: 20 EUR

Intensivseminar

Zeitsouveränität Zeit besser nutzen und den Alltagsstress verringern Freitag, 24.11.2017 ab 17:00 Uhr bis Sonntag, 26.11.2017 ca 14:30 Uhr

in 01468 Moritzburg

Tagungsherberge Moritzburg e.V., Bahnhofstr. 9

Zum Inhalt:

Fraktions-, Gemeinderats- und Ausschusssitzung. Dazu Einladungen, Gespräche, Vorbereitungszeit. In der Kommunalpolitik und besonders im Ehrenamt ist Zeit ist ein wertvolles Gut. Wie schaffen wir es, der Hetzerei und Fremdbestimmung aktiv entgegen zu steuern? Ist es möglich, seine eigenen Belastungsgrenzen zu berücksichtigen und den eigenen Tagesrhythmus bei der Arbeitsplanung mit einzubeziehen? Wie kann ich meine Energie bündeln und den Alltag bewältigen? Das Seminar unterstützt dabei, durch praxisnahe Übungen und kritische Reflexionen Zeit auf die richtige Art und Weise zu nutzen Referent: Dr. Christian Wirrwitz (Dozent, Trainer, Coach) Teilnahmegebühr: 20 EUR Anmeldungen und weitere Informationen unter: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. 01127 Dresden, Großenhainer Straße 99 Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Fortsetzung von Seite 3

... Gebietsreformen mehr und bessere Dienstleistungen anbieten und zusätzliche Aufgaben übernehmen. Hierzu können aber u.a. mehr und besser qualifiziertes Personal sowie Investitionen in die Modernisierung der internen Verwaltungsprozesse (etwa IT-Ausstattung) erforderlich sein. Deshalb sollten Gebietsreformen nicht in erster Linie mit der Erwartung und dem Ziel, Einsparungen zu realisieren, durchgeführt werden. Insbesondere dann, wenn sie mit Funktionalreformen und einer Erweiterung/ Verbesserung des Leistungsspektrums

einhergehen, sei in den substanziellen Ausgabenpositionen sogar mit einer Erhöhung (im Vergleich zum vorherigen Zustand) zu rechnen, was aber der Zielstellung entspräche, starke und gestaltungsfähige Kommunen zu schaffen. Im Bereich der Verwaltungskosten seien dagegen aufgrund von Bündelungs- und Synergieeffekten, die aber vor Ort aktiv realisiert werden müssen, eher Reduzierungen zu erwarten. Bürgernahe Verwaltung Um das Ziel einer bürgernahen Verwaltung zu erreichen, sollten bei Gebietsreformen „Kompensationsmaßnahmen“ ins Auge gefasst werden, um möglichen Negativeffekten der grö-

ßeren Flächenausdehnung entgegenzuwirken. Zu denken ist hierbei zum einen an dezentrale und/oder mobile Bürgerbüros und Außenstellen der Verwaltung (letztere jedoch in begrenztem Umfang), und zum anderen an eine entschlossene Umsetzung der Digitalisierung, so dass die persönliche Präsenz und Kommunikation des Bürgers mit der Kreisverwaltung durch elektronische Prozesse zunehmend ersetzt werden kann. Allerdings ist bei der Errichtung von Außenstellen zu bedenken, dass diese im Zielkonflikt mit dem Effizienzgebot und auch der Professionalisierung der Verwaltung stehen kann.

Bürgerbeteiligung und Transparenz Um Bürgerpartizipation innerhalb großflächiger Kommunalstrukturen sicherzustellen und dem befürchteten Verlust an demokratischer Partizipation entgegenzuwirken, sollten neue Beteiligungsformen (e-Democracy; Nutzerbeiräte /Informationsrechte, Nutzung von Open Data etc.) sowie verschiedene Formen der subgemeindlichen Politikbeteiligung zur Anwendung kommen. Dabei sollten hinreichend große Gestaltungsspielräume vor Ort bestehen und auf eine Umsetzung von Beteiligungsergebnissen geachtet werden, damit Partizipation nicht als reine „Symbolpolitik“ wahrgenommen werde, was Politikverdrossenheit eher verstärken als reduzieren könnte. Allerdings sind zu komplexe Strukturen zu vermeiden, da sie zu Effizienzproblemen und Transparenzdefiziten infolge der „Überinstitutionalisierung“ der Kommunallandschaft führen. Daraus können sich Verluste demokratischer Verantwortlichkeit und Kontrolle ergeben, was im Ergebnis eher die Demokratiequalität kommunaler Selbstverwaltung verringere als erhöhe. Professionalisierung und Unterstützung ehrenamtlicher Politik Um den Aufwandszuwachs für die ehrenamtliche Politik infolge der gestiegenen Entscheidungsbefugnisse und -materien handhabbar zu machen, sollte die ehrenamtliche Arbeit vereinfacht und unterstützt werden. Auch hier sollte verstärkt auf digitale Lösungen zurückgegriffen werden, die die Sitzungsvorbereitung, Informationsverarbeitung etc. erleichtern. Insgesamt sollte die Professionalisierung der Kreistagsarbeit, etwa durch entsprechende organisatorische und personelle Unterstützung, vorangetrieben werden. Auf diese Weise sollte den neuen Kreistagen politisch-institutionell stärkeres Gewicht verliehen werden, das auch ihrer (anzustrebenden) funktionalen Aufwertung und ihrem kommunalpolitischen Bedeutungszuwachs entspricht. Für eine verstärkte Professionalisierung der Ratsarbeit spricht auch die Beobachtung, dass Gebietsreformen teils mit einem Machtzuwachs der Verwaltung im Verhältnis zur ehrenamtlichen Politik, aber auch mit einer Stärkung des politischen Gewichts der nun geringeren Anzahl an Landräten auf der Landesebene einhergehen. Deshalb sollte der Unterstützung der Mandatsträger durch flankierende Maßnahmen besondere Beachtung im Reformprozess entgegengebracht werden. Politische Repräsentation der „Randgebiete“ Da teilweise beobachtet wurde, dass Gebietsfusionen innerhalb eines Zentrum-Peripherie-Gefälles Teilhabeprobleme der Randgebiete im Vergleich zum Zentrum mit sich bringen können, sollte der Stärkung der „Peripherie“ in solchen Konstellationen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Auf die politische Repräsentation der „Randgebiete“ sollte dabei ebenso geachtet werden wie auf ihre infrastrukturelle Anbindung. Eine zu starke Zentralisierung von politischer Entscheidungsmacht an einzelnen „zentralen Orten“ zulasten der „Peripherie“ sollte vermieden werden.


August 2017

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

ParlamentsReport Ein beispielloses Sündenregister

wer weiß eigentlich noch, dass sich nahe der Stadt Frankenberg einst das KZ Sachsenburg befand? Im Juli habe ich mit meinem Kollegen Franz Sodann das Gelände besichtigt. Äußerlich erinnert nichts an ein Konzentrationslager. Das Areal verfällt, es ist auch kleiner als bekannte Gedenkstätten. Die Gefahr ist groß, dass vergessen wird, was dort geschah. In der ehemaligen Textilfabrik internierten SA und SS zwischen 1933 und 1937 mehr als 2.000 Regimegegner. Wie viele genau durch Zwangsarbeit, Folter und auf anderem Wege umgebracht wurden, ist unbekannt. In Sachsenburg wurden auch SS-Wachmannschaften für andere Lager ausgebildet. Wir haben die Lehrerin Anna Schüller und die Lagerarbeitsgemeinschaft KZ Sachsenburg getroffen. Sie gleichen aus, was der Staat bisher versäumt, forschen, klären auf, entwickelten ein Konzept für eine Gedenkstätte. Damit stehen sie allerdings weitgehend allein. Die Stadt Frankenberg verfolgt Abrisspläne, etwa für die ehemalige Kommandantenvilla. Immerhin soll der Stadtrat nun das Gedenkstättenkonzept prüfen. Klar ist aber: Finanzieren kann die Stadt es nicht. Das ist aber auch nicht nötig. Wir wollen, dass in Sachsenburg eine Gedenkstätte entsteht. Das haben wir auch mit einem Antrag im Landtag gefordert. Die Staatsregierung muss auf die Gedenkstättenstiftung einwirken, damit die den Gedenkort erschließt, fördert und betreut, die Stadt und die Lagerarbeitsgemeinschaft unterstützt. Das ehemalige KZ Sachsenburg ist schon jetzt nach dem Gedenkstättengesetz eine institutionell zu fördernde Einrichtung – dieser Auftrag muss sofort erfüllt werden!

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

Die Regierungskoalition verwies erwartungsgemäß auf den „Bildungsmonitor“ der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, der Sachsen bescheinigt, bundesweit das beste Bildungssystem zu haben. Die Methodik der Untersuchung ist umstritten. Die SPD-Bildungspolitikerin Sabine Friedel kommentierte sie wie folgt: „Diese ,Studie‘ möchte ich nicht kommentieren.“ Die Regierung lobt sich dennoch. Allerdings betrachtet die Erhebung das Thema Bildung in einem verengten Blickwinkel: „Der Bildungsmonitor bewertet, wie erfolgreich jedes Bundesland sein Bildungssystem so ausgestaltet, dass daraus optimale Wachstums- und Beschäftigungsimpulse entstehen. Aus Bildungsprozessen entsteht Humankapital.“ Für Sodann wirft das die eigentliche Frage auf, die bei allen Debatten um Lehrerstellen vernachlässigt wird: Was macht Bildung eigentlich aus? Sodann: „Es geht eben nicht um das Individuum Mensch, es geht um die Durchtrimmung eines Bildungssystems mit dem Blickwinkel der Effektivität. Das hat mit Humboldt, Pestalozzi, Salzmann, Schiller und der Aufklärung so viel zu tun wie Cindy von Marzahn mit einer Eins in Allgemeinbildung. Mir wird auch für meine Kinder bange, dass ich sie einem Schulsystem aussetzen muss, das gnadenlos mehr und mehr auf Elite getrimmt wird, Wissen eintrichtert, das Humankapital schnellstmöglich in der Wertschöpfungskette ausspuckt, und zwar mit dem antrainierten Traum: Auto, Haus, Familie, Kinder, deren Ausbildung,

Konsum, Tod, und dabei wirklich vergisst, was uns auch ausmachen sollte, was wir ebenso lernen und fördern müssen, nämlich Empathiefähigkeit, Gerechtigkeitssinn, Freundlichkeit, Ehrlichkeit, Verantwortungsbewusstsein, Solidarität, Sinn für Schönheit.“

nisterin Brunhild Kurth keineswegs allein für die Misere verantwortlich ist. „2009 kündigte Ministerpräsident Tillich an, dass im öffentlichen Dienst die Beschäftigtenzahl von 88.000 auf 70.000 gesenkt werden solle. Allen war klar, dass dies nur auf Kosten der Leh-

Irina Neszeri für DIE LINKE Nordhrein-Westfalen / flickr.com / CC BY-SA 2.0

Liebe Leserinnen und Leser,

„26 Jahre CDU in Sachsen - fehlende Klassenräume, Lehrermangel, Planungsrückstand beim Schulhausbau, Klassenzusammenlegungen, Unterrichtsausfall, im Schnitt 52 Prozent Seiteneinsteiger bei Neueinstellungen besonders im Grundschulbereich, im ländlichen Raum bis über 70 Prozent, 8,2 Prozent Schulabgänger ohne Abschluss, bundesweit die geringsten Pro-Kopf-Ausgaben bei den allgemeinbildenden Schulen, Lehrerinnen und Lehrer, die nach dem Studium das Land verlassen – alles Dinge, über die wir im Haus bereits diskutiert haben und immer weiter diskutieren werden; denn eine Lösung dieser Probleme ist bei weitem nicht in Sicht.“ LINKENKulturpolitiker Franz Sodann hielt der Staatsregierung zum Beginn der aktuellen Bildungsdebatte im Landtag ihr Sündenregister vor. Dass das Schuljahr dennoch mit Ach und Krach beginnen konnte, sei „das Verdienst der Lehrerinnen und Lehrer, die bis zum Anschlag versuchen, den Unterricht aufrecht zu erhalten. An dieser Stelle ein großes Dankeschön!“

Der Staat muss schnell dafür sorgen, dass wir die Freiheit gewinnen, über das Lernen und Lehren nachzudenken – und nicht nur über die Rahmenbedingungen. Für Cornelia Falken, bildungspolitische Sprecherin, gehören dazu mindestens eine langfristige Personalplanung und eine gerechte Vergütung der Lehrkräfte aller Schularten, etwa über eine Ausgleichszahlung zum Beamtenverhältnis. LINKEN-Fraktionschef Rico Gebhardt verwies darauf, dass die Kultusmi-

rerschaft und der Polizei gehen könnte.“ Davon ausgehend exekutierte Finanzminister Unland eiskalt den Stellenabbau. Gebhardt: „Wäre es nicht an der Zeit, dass die Männer, die das zu verantworten haben, nämlich der Finanzminister und der Ministerpräsident, sich endlich hinstellen und zu ihrer Verantwortung stehen?“ Sie haben das wieder nicht getan – ein weiterer Beleg dafür, dass der CDU die Verantwortung für die Bildungspolitik entzogen werden muss. Spätestens 2019, nach dann fast 30 Jahren CDU-Herrschaft in Sachsen.

Das spricht für sich! „(1) Alles staatliche Handeln muss dem inneren und äußeren Frieden dienen und Bedingungen schaffen, unter denen gesellschaftliche Konflikte gewaltfrei, friedlich und tolerant gelöst werden können. (2) Das Land schützt das friedliche Zusammenleben der Menschen und tritt der Verbreitung rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankenguts entgegen. (3) Im Rahmen dieser Staatszielbestimmung ist es die Pflicht des Landes und die Verpflichtung aller im Land, rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Aktivitäten oder Bestrebungen sowie eine Wieder- und Neubelebung

oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankengutes nicht zuzulassen. Das Land fördert und unterstützt Menschen und Vereinigungen, die sich diesen Aktivitäten und Bestrebungen entgegenstellen und deren ehrenamtliches Engagement.“ Sätze wie diese wollte die Linksfraktion in die Landesverfassung aufnehmen (Drucksache 6/8130) – nicht in irgendeine, sondern in die sächsische. Dafür erhielten wir keine Unterstützung, nicht von CDU und SPD, schon gar nicht von der AfD und leider auch nicht von den Grünen.


Seite 2

PARLAMENTSREPORT

Vertrauter Feind? Udo Witschas ist inzwischen wohl der bekannteste Vize-Landrat der Republik. Angesichts der Auseinandersetzungen zwischen teils neonazistisch eingestellten Einheimischen und jungen Geflüchteten auf dem Bautzener Kornmarkt setzte er sich mit dem damaligen NPD-Kreischef Marco Wruck in Verbindung – vorgeblich, um zu „deeskalieren“. Das war entweder naiv – die rechte Szene kann an einer Entspannung nicht interessiert sein. Oder aber Witschas pflegt eine problematische Toleranz derselben. Beides stellt seine Eignung in Frage. Der Inhalt der Nachrichten, die Witschas und Wruck über facebook austauschten, ist inzwischen bekannt. Belegt ist, wie vertraulich ein stellvertretender CDU-Landrat und ein führender Nazi offenbar nicht nur ihre Öffentlichkeitsarbeit abstimmten. CDU-Politiker Witschas bat den Protokollen zufolge sogar den NPD-Mann, ihm mit Nazi-Spitzeln Informationen über Flüchtlingshelfer und ein soziokulturelles Zentrum zu beschaffen. Auch als ihre Vertraulichkeit kritisiert wurde, blieben die beiden in enger Abstimmung. Witschas zu Wruck: „Ich habe nie ein abwertendes oder unsittliches Wort zu Ihnen verlauten lassen. Hierdurch wirft man mir vor Sie zu wertschätzen – dies habe ich

absichtlich nicht dementiert!“ Für Rico Gebhardt, den Vorsitzenden der Linksfraktion im Landtag, ist klar: „Herr Witschas ist eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.“ Sachsens CDU-Landeschef Stanislaw Tillich sei „besorgt“ und fordere Aufklärung, wurde berichtet. Bis heute aber ist unklar, ob er den Umgang von

Freund kommuniziert und mit ihm gemeinsame Sache gegen Geflüchtete und ihre Unterstützer macht, ist untragbar.“ Harig müsse ein Disziplinarverfahren einleiten und dafür sorgen, dass Witschas bis zur Klärung aller Vorwürfe sein Amt nicht ausübt. Harig aber blieb offenbar ebenso passiv wie Tillich.

„Mit Herrn Wruck würde ich mich gern mal treffen, habe überhaupt nichts gegen ihn. Kinderlieb scheinen wir ja beide zu sein, ich hab grad vier am Abendbrottisch sitzen gehabt :-)“ Witschas (CDU) zur Lebensgefährtin von Wruck (damals NPD) Landrat Michael Harig (CDU) mit Witschas befürwortet. Harig entzog seinem Stellvertreter zwar die Zuständigkeit für die Ausländerbehörde, ließ ihn ansonsten aber unbehelligt. Und weil Witschas für das Jugendamt zuständig bleibt, ist er weiter für unbegleitete minderjährige Geflüchtete verantwortlich. Das sei eine „Scheinlösung“, findet Rico Gebhardt: „Wer als Vizelandrat mit einem kreisbekannten führenden Nazi wie mit einem guten

Inzwischen hat Witschas selbst die Landesdirektion gebeten, zu prüfen, ob er seine Dienstpflichten verletzt hat. Diese Entscheidung hängt möglicherweise damit zusammen, dass demnächst eine Sondersitzung des Kreistages stattfinden soll, bei der LINKE, SPD und Grüne Witschas‘ Abwahl beantragen wollen. Die CDU stehe, so heißt es, zu ihm. Ihr wäre es anzurechnen, wenn Witschas im Amt bliebe.

Armer Leute Sache gilt nichts in Sachsen Der fünfte „Armuts- und Reichtumsbericht“ der Bundesregierung zeigt: Seit 2000 sind die Einkommen immer ungleicher verteilt. SPD-Bundeskanzler Schröder verkündete 2003, was CDU/ FDP und CDU/SPD im Bund durchzogen: die Agenda 2010. In deren Folge sind die Reichen reicher und die Armen ärmer geworden. Die Bundesregierung bekennt: „Trotz der guten wirtschaftlichen Lage und der deutlichen Beschäftigungszuwächse zeigt sich aktuell aber kein Rückgang der Armutsrisiko-

quote.“ Wer arm ist, auch trotz Arbeit, profitiert nicht vom Aufschwung. „Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt“, frohlockte Schröder 2005. Sachsens CDU-geführte Regierungen priesen Niedriglöhne als Standortvorteil. Bis heute weigern sich CDU und SPD, die Folgen anzuerkennen. Die Linksfraktion hat im Landtag verlangt (Drucksache 6/10440), dass die Regierung darlegt, wie sie Armut abbauen und die Ungleichheit verringern will. Ein erster Schritt bestünde darin, Lebenslagen in Sachsen zu untersuchen, wie die Bundesregierung es für die Bundesebene getan hat. Doch schon zur Analyse ist man nicht bereit. LINKEN-Sozialpolitikerin Susanne Schaper beschrieb, wie groß das Problem ist. Etwa ein Fünftel der sächsischen Bevölkerung erzielt ein Haushaltseinkommen, das weniger als 60 Prozent des mittleren Werts beträgt. Der offiziellen Statistik gelten sie nicht als „arm“, sondern als „armutsgefährdet“. „Mit diesem Sprachgebrauch versucht auch die sächsische Regierung, das Problem herunterzuspielen. Gewiss, Armut ist relativ, aber überall gilt die Definition des Europäischen Rates von 1984. Demnach sind Menschen arm, wenn sie über so geringe Mittel verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die als Minimum annehmbar ist“, so Schaper. Das bedeute gesellschaft-

liche Ausgrenzung, weniger Freiheit, schlechtere Gesundheitsversorgung. „Es geht auch nicht nur um diejenigen, die arm sind, sondern auch um diejenigen, denen Armut droht. Die wissen, wenn sie ihren Job verlieren, haben sie zwölf Monate Zeit, dann fallen sie ins Loch. Oder die wissen, dass sie weiterarbeiten müssen, solange sie irgendwie können, denn ihre Rente wird nicht reichen. Dann schuften beispielsweise Lausitzer Heizungsbauer nach dem 70. Geburtstag weiter.“ Besonders schlimm ergehe es den Kindern. In Sachsen lebten mindestens 150.000 in Armut. Es gibt auch dazu keine offizielle Statistik. Aber eine Analyse der Fallgruppen untermauert die Zahl. Zu betrachten sind mindestens die Kinder in Hartz-IVBedarfsgemeinschaften, in Wohngeldund Sozialhilfehaushalten und jene, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass Familien auch arm sind, wenn ihr Einkommen ein paar Euro über den Bedarfsgrenzen liegt. Der CDU fiel dazu nicht viel mehr ein, als das Thema herunterzuspielen. Ihr Sozialpolitiker Alexander Krauß bezeichnete unsere Zahlen zur Kinderarmut als „Lüge“. Arme Leute Sache gilt nichts, sagt der Volksmund. Auf diese sächsische Regierung trifft das zu. Sie wird es jedenfalls nicht sein, die für mehr Gerechtigkeit sorgt.

August 2017

1.000 Zeichen

Parlamentspräsident (CDU) für LINKEN Antrag „Eher schneit es nach oben, bevor hier einem Antrag der Opposition zugestimmt wird!“, hat sich der LINKEN-Abgeordnete Klaus Bartl empört. Dabei war man sich in der Sache einig: 1992 beschlossen Bundestag und Bundesrat die Neuverteilung der Bundesbehörden und -institutionen. Für den Bundesgerichtshof wurde beschlossen: „Neue Zivilsenate gehen nach Karlsruhe und dafür kommt jeweils ein bestehender Strafsenat von Karlsruhe nach Leipzig“. Dennoch wurde kein einziger BGH-Strafsenat nach Leipzig verlegt. Bundesbehörden sind im Osten noch immer unterrepräsentiert. Das solle sich ändern, forderte die Linksfraktion im Juni per Landtags-Antrag. Zwei Monate später zogen die Koalitionsfraktionen mit einem inhaltsgleichen Papier nach. Das wurde jetzt beschlossen, der Vorschlag der Linksfraktion abgelehnt. Wir haben trotzdem erreicht, was wir wollten! Kleines Bonmot: Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU) stimmte unserem Antrag zu – ob aus Versehen oder aus Überzeugung, ist unklar. Seniorinnen und Senioren besser beteiligen! CDU und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart: „Wir halten es für notwendig, dass in jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt Gremien der Seniorenmitwirkung bestehen.“ Zudem will man prüfen, ob ein Seniorenmitwirkungsgesetz erstellt werden soll. Passiert ist nichts. Die Linksfraktion hat ein solches Gesetz vorgelegt, das niedergestimmt wurde. Nun haben wir per Antrag die Staatsregierung aufgefordert, Seniorinnen und Senioren besser teilhaben zu lassen – mittels eines unabhängigen Landesrates, einer bessere Ausstattung der Landesseniorenvertretung und eine Beauftragte bzw. einen Beauftragten beim Landtag. „Es muss Schluss sein mit dem Prüfen. Oder sagen Sie klar, wenn Sie schon nichts vorlegen, dass Sie es nicht wollen“, hielt der seniorenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Horst Wehner, CDU und SPD vor. Während die Bevölkerung altere, seien die meisten älteren Menschen länger fit und aktiv. Sie wissen am besten, was für ein selbstbestimmtes Leben notwendig ist. Die Koalition lehnte ab. Auch deshalb gehört sie abgelöst!


August 2017

PARLAMENTSREPORT

Braucht Sachsen nur fünf Ministerien und einen Halbtags-Ministerpräsidenten? Zu später Abendstunde hat der Landtag ein brisantes Dokument behandelt: den Abschlussbericht der „Kommission zur umfassenden Evaluation der Aufgaben, Personal- und Sachausstattung“ (Drucksache 6/5473). Das Papier, das eine von der Staatsregierung eingesetzte Kommission erarbeitet hat, war da schon 14 Monate alt und auf Betreiben der CDU mehr als zwanzigmal von Ausschuss-Tagesordnungen geflogen. Das alles geschah nicht zufällig. Denn das Dokument belegt das personalpolitische Versagen der CDU-geführten Staatsregierung – nicht nur an den Schulen und bei der Polizei, sondern in nahezu der kompletten Landesverwaltung!

Die CDU hat unser Land sehenden Auges in die Katastrophe gesteuert, Fachkräfte aus dem Land getrieben, die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes beschädigt, den Beschäftigten Arbeitsverdichtung und gesundheitliche Schäden zugemutet und das Ansehen des Freistaates in der Bevölkerung sinken lassen, weil Verwaltungsakte länger dauern, Gerichte überlastet sind, staatliche Aufgaben nur noch unter größtem Einsatz oder nicht mehr zu erfüllen sind.

Der Bericht hat es offen gelegt: Wenn nicht unverzüglich gehandelt wird, ist die Handlungsfähigkeit des Staates in akuter Gefahr. Schon ab diesem Jahr müssten bis 2030 jährlich 2.700 Neueinstellungen erfolgen, um den Personalbestand wenigstens zu halten. Nico Brünler, Sprecher der Fraktion DIE LINKE für Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, ist trotzdem pessimistisch: „Nichts deutet darauf hin, dass die CDU-geführte Regierung daran arbeitet. Finanzminister Unland behauptet lieber weiter, dass der Personalbestand zu groß sei – bezogen auf die Einwohnerzahl im Vergleich zu westdeutschen Flächenländern.“ Sachsen habe demnach noch immer 8.500 Beschäftige zu viel! Brünler: „Wenn der Ministerpräsident schon glaubt, dass solche absurden Zahlenspiele politisches Handeln ersetzen können, dann sollte er Unlands Maßstäbe wenigstens konsequent durchsetzen. Sachsen kann demnach mit lediglich fünf Staatsministerien und einem Halbtags-Ministerpräsidenten auskommen.“ Wir sind gespannt, ob die Regierung ihre eigene Kommission ernst nimmt und schleunigst ihre Aufgaben erledigt: Fachkräftegewinnung, Demografie-Brücken, langfristige Personalentwicklung, Gesundheitsund Wissensmanagement. Vor allem müssen die Aufgaben der Staatsverwaltung evaluiert werden, wovon die Kommission abgehalten wurde. Von wem? Klar: von der CDU.

German Embassy London / flickr.com / CC BY 2.0

Mehr als die Hälfte der Landesbediensteten wird bis 2030 aus Alters-

gründen ausscheiden. Anstatt dieser vorhersehbaren Entwicklung rechtzeitig und planvoll zu begegnen, hatte Ministerpräsident Tillich die Ziel-Zahl von 70.000 Bediensteten ausgegeben, hinter der nie ein Konzept stand.

Drei Viertel für einen Volksentscheid zum längeren gemeinsamen Lernen In zwei Jahren erwarten wir ein Jubiläum: Sachsens Schulsystem wird 100 Jahre alt! Klingt komisch, ist aber so: Das gegliederte Schulwesen, das Kinder nach der vierklassigen Grundschule aussortiert, beruht auf dem „Weimarer Schulkompromiss“ von 1919. Ist es noch zeitgemäß? Eher nicht. Die CDU-geführte Regierung will am überholten Status Quo festhalten. Wir sind dafür, die Eltern später entscheiden zu lassen, ob ihr Kind am Gymnasium oder an der Oberschule weiter lernen soll. Denn vor dem zehnten Lebensjahr lässt sich noch nicht sagen, welcher Bildungsweg zu einem Kind passt. Eltern, Lehrer, Schüler, Vereine, Gewerkschaften, Wirtschaft und Handwerk fordern die Gemeinschaftsschule, in der alle Abschlüsse möglich sind. Das längere gemeinsame Lernen gehört endlich ins sächsische Schulgesetz! Das renommierte Forschungsinstitut Kantar Emnid hat eine repräsentative Stichprobe aus den wahlberechtigten Sächsinnen und Sachsen zur Gemein-

schaftsschule befragt. Die Ergebnisse sind eindeutig: 64 Prozent der Befragten halten es für falsch, dass die Schüler nach Klasse 4 auf die Schulformen Oberschule und Gymnasium verteilt werden. Zwei Drittel unterstützen den Vorschlag, die Schülerinnen und Schüler gemeinsam an einer Schule lernen zu lassen, wo alle Abschlüsse angeboten werden. Selbst die Anhänger der CDU sagen mehrheitlich „ja“ zur Gemeinschaftsschule. Davon spre-

chen sich 51 Prozent für ein gemeinsames Lernen bis zur achten Klasse aus. Die Menschen im Freistaat gaben noch ein eindeutiges Votum ab: Drei Viertel würden dafür unterschreiben, dass ein Volksentscheid über das längere gemeinsame Lernen stattfindet. In der Anhängerschaft aller großen Parteien gibt es dafür eine Mehrheit. Auch wir streben ein solches Volksbegehren an!

Seite 3

1.000 Zeichen Bei Katastrophen gezielt helfen Ob Naturkatastrophen wie die Flut 2002 oder schlimme Verkehrsunfälle wie das Busunglück bei Münchberg im Juli: In Großschadenslagen brauchen die Opfer schnell Hilfe, auch psychologische. Was kaum jemand weiß: „In Sachsen existieren eine Reihe guter ehrenamtlicher regionaler Strukturen, die die psychosoziale Notfallversorgung vor Ort sicherstellen. Diese Strukturen wären mit einer Großschadenslage allerdings überfordert.“ Das sagt die Initiativgruppe „Landeszentralstelle Psychosoziale Notfallversorgung“. Die Staatsregierung will keine Defizite erkennen und schafft keine Landeszentralstelle. Dabei könnte die für Koordination sorgen – in elf Ländern gibt es eine solche Struktur. „Die Frage ist, warum man in Sachsen mal wieder Spitzenreiter der Arroganz sein will und glaubt, es besser zu wissen“, so Susanne Schaper, Gesundheitspolitikerin der Linksfraktion. Die CDU plakatiert vor der Bundestagswahl: „Denen den Rücken stärken, die für uns stark sind.“ Nur eine Phrase? Wir werden sehen, denn die Linksfraktion fordert per Gesetzentwurf, eine Landeszentralstelle zu schaffen. Naturschutzgebiete schützen! Die Nationalparkregion Sächsische Schweiz, das Biosphärenreservat Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft, die Naturschutzgebiete Königsbrücker Heide und Gohrischheide sowie die Elbniederterrasse Zeithain: Sachsen verfügt über wundervolle Großschutzgebiete, in denen wir uns erholen können. Verwaltet werden sie vom Staatsbetrieb Sachsenforst, der wirtschaftlich arbeiten muss – Naturschutzbelange bleiben da erfahrungsgemäß auf der Strecke. Dementsprechend ist in den vier durch Sachsenforst verwalteten Großschutzgebieten erst ein Bruchteil der nötigen Erhaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen umgesetzt“, kritisiert Kathrin Kagelmann, Sprecherin der Linksfraktion für ländliche Räume. Gemeinsam mit der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, um die Zuständigkeit neu zu ordnen. Sie soll vom Staatsbetrieb Sachsenforst auf das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie übergehen – also zu einer Naturschutzbehörde wandern.


PARLAMENTSREPORT

Seite 4

August 2017

„Sieh, das Gute liegt so nah“ Auch 2017 waren Abgeordnete der Linksfraktion auf Sommertour – sie haben viel zu berichten. Ein Beispiel ist Dr. Jana Pinka, Sprecherin für Umweltpolitik und Ressourcenwirtschaft.

Plenarspiegel

August 2017 Die 58. und 59. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages fanden am 30. und 31. August 2017 statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit folgenden parlamentarischen Initiativen vertreten: Aktuelle Debatte „Schulchaos beenden – der CDU die Verantwortung für die Bildungspolitik entziehen!“ Gesetzentwürfe „Gesetz für ein tolerantes und friedliches Zusammenleben in einem weltoffenen Sachsen“ (Drs 6/8130) „Gesetz über die Weiterbildung und das lebenslange Lernen im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/9883) „Gesetz zur Neuordnung der Schutzgebietsverwaltung im Freistaat Sachsen“, Gesetzentwurf der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN (Drs 6/9993) „Gesetz über die psychosoziale Notfallversorgung im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/10491) Anträge „CDU/SPD–Koalitionsversprechen erfüllen: Endlich politische Partizipation von Seniorinnen und Senioren im Freistaat Sachsen nachhaltig stärken!“ (Drs 6/10441) „Bundesversprechen einhalten: Leipzig als Justizstandort im Osten stärken – endlich weitere Strafsenate des Bundesgerichthofes in Leipzig einrichten!“ (Drs 6/9903 „Stellungnahme ,Armut und Reichtum in Sachsen – Ziele und Vorhaben der Sächsischen Staatsregierung zum Abbau sozialer Ungleichheit sowie von Armut und Ausgrenzung‘ erstellen!“ (Drs 6/10440) Alle Drucksachen unter www.edas.landtag.sachsen.de

Mehr als 20 Termine in neun Städten bzw. Gemeindeverbänden habe ich während meiner diesjährigen Sommertour absolviert. Vom 3. bis zum 13. Juli war ich unterwegs, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Bei den Besuchen in Kommunalverwaltungen, Unternehmen und Vereinen informierte ich mich über Aufgaben, Ziele und Probleme vor Ort und erläuterte Schwerpunkte meiner Arbeit im Landtag. Unter dem Motto „Sozial, regional, umweltbewusst, nachhaltig“ standen in diesem Jahr Wasser- und Windkraft, aber auch soziale und integrative Projekte im Fokus. Gemeinhin heißt es ja: Reisen bildet. Aber: „Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah.“ Das behauptete schon Goethe, und ich kann ihm nur zustimmen. Unterwegs in der Umgebung von Freiberg habe ich erneut verinnerlicht, wie lehrreich und schön unsere Region ist. Die Tour führte mich nicht nur in große Höhe auf eine Windkraftanlage, sondern auch zu ausgeklügelter Messtechnik im tiefen Bauch der Talsperre Rauschenbach und zum Klärwerk nach Hohentanne.

Technologiebereich an Entwicklungen auf den Markt gebracht haben. Zudem war ich Gast in den Agrargenossenschaften Eppendorf und Burkersdorf – dort erlebte ich, wie sich die LandwirtInnen in der Pflanzen- und Tierproduktion rund um die Uhr engagieren, um gesunde Lebensmittel anzubieten. Ich sah aber auch, welche Wirkungen der finanzielle Druck auf Landwirte in einer Geflügelmastanlage haben kann. Doch dieses Resümee zog ich schon – die „Geizist-geil“-Mentalität muss überwunden werden. Wir müssen es schaffen, eine gesunde und bezahlbare Ernährung für alle Menschen zu gewährleisten! Auch die BürgermeisterInnen verdienen große Wertschätzung. Dort, wo ich Station machte, zeigten sie mir Highlights ihrer Orte, sprachen aber

auch Probleme und Unzulänglichkeiten an, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen. Einige „Hausaufgeben“ nehme ich zur Bearbeitung in den Landtag mit. Und ich erlebte zudem den Einsatz zahlloser Bürgerinnen und Bürger, die sich ehrenamtlich und selbstlos in den unterschiedlichsten Vereinen für ein buntes, abwechslungsreiches und integratives Miteinander engagieren. Sommertour-Tagebuch: bit.ly/2vFqoUr Bild: Das „Tier von hier“ ist eine Vermarktungsstrategie der Agrozucht Burkersdorf GmbH. Regionale Fleischprodukte kommen auf direktem Weg bei den VerbraucherInnen in der Region an. Im Bild: Vorstandsvorsitzender Dr. Gunter Martin, Stallmeisterin Anemaria Chaveco und ihre „Kuhleginnen“.

Auch in diesem Sommer wurde mir wieder bewusst, wie wichtig der Klein- und Mittelstand für die Wirtschaft im ländlichen Raum ist – er gibt Menschen eine Möglichkeit, ihr Leben durch Einkommen zu sichern. Daher gilt mein Dank allen UnternehmerInnen, die sich dafür einsetzen und hierfür auch oft zurückstecken müssen. Ich war sehr beeindruckt, was sie im

Antje Feiks folgt auf Falk Neubert In der Linksfraktion steht ein erneuter Personalwechsel an. Falk Neubert war seit 1994 als Mitarbeiter und seit 1999 als Abgeordneter Teil der Linksfraktion, wo er vor allem mit Jugendpolitik, Medien und Hochschulen befasst war. Nun wechselt er ins rot-rot-grün regierte Thüringen, wo er als Referatsleiter Öffentlichkeitsarbeit/Strategie im Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie unter Heike Werner arbeiten wird. Auf seinen Platz nachrücken wird Antje Feiks, die zum 1. September

ihr Mandat angenommen hat. Feiks wurde 1979 in Riesa geboren. Sie wuchs in Dresden auf, war in jungen Jahren im Leistungssport aktiv (Eiskunstlaufen, Eisschnelllauf) und absolvierte nach dem Abitur einen einjährigen Studienaufenthalt in den USA. Danach studierte sie Betriebswir tschaf ts lehre und schloss mit Diplom ab. Danach war sie für verschiedene Reiseveranstalter tätig, bevor sie 2006 nach Dresden zurückk e h r t e und in der Landesgeschäf ts stelle der LINK EN

tätig wurde. Seit 2009 ist sie die Landesgeschäftsführerin. In die Politik war sie ab 1997 über den Jugendverein Roter Baum und das Umfeld der PDS gelangt. Herzlich willkommen!

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.