LINKS! Ausgabe 9/2016

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Kann die SPD-Basis CETA noch kippen?

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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt September 2016

Bei den Verhandlungen zu Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) und Kanada (CETA) könnte uns eine Vorentscheidung bevorstehen, die vor allem von der SPD-Basis abhängen wird. Offiziell soll der transatlantische Handel erleichtert werden. Zudem sollen ausländische Firmen einen leichteren Marktzugang bekommen, etwa durch einen Schutz vor nachteiligen Gesetzesänderungen – langfristig getätigte Investitionen könnten durch einen Federstrich einer neuen (linken) Regierung unrentabel werden. Die Befürworter prophezeien Wachstumsimpulse, Arbeitsplätze, höhere Einkommen und niedrigere Preise.Es gibt aber auch Kritik: Die Verhandlungen bleiben geheim. Transparenz bei der Gesetzgebung ist aber die Voraussetzung, als Öffentlichkeit eine Meinung äußern zu können, bevor das Paket „eingetütet“ ist. Der Vertragstext zu CETA lässt erahnen, worum es bei TTIP geht: Für öffentliche Dienstleistungen und Daseinsfürsorge gibt es eine grundsätzliche „Liberalisierungsverpflichtung“. Alles, was nicht ausgeklammert wird, muss tendenziell privatisiert werden. Bei Arbeitsschutznormen und Umweltstandards werden nur „Bemühungen“ versprochen, ohne Sanktionen bei Verstößen. Deshalb warnen Umwelt- und Verbraucherschützer beiderseits des Atlantiks davor, dass die mühsam erkämpften Standards auf den kleinsten gemeinsamen Nenner abgesenkt werden. Ein besonders kritisches Kapitel ist die Privilegierung von Konzernen durch Investoren-Sonderklagerechte bei Gesetzesänderungen. Die Problematik solcher Sonderrechte ist spätestens bekannt, seitdem Vattenfall die Bundesrepublik vor einem US-Schiedsgericht auf knapp fünf Mrd. Euro verklagt, die ihm durch den vorzeitigen Atomausstieg an Gewinn entgehen würden. Aktuell scheint TTIP auf Eis gelegt, es wird von Experten bereits als gescheitert betrachtet – vor allem weil die amerikanische Seite nicht einmal mehr zu kleinsten Zugeständnissen bereit ist. Kompromisse wären jedoch die Voraussetzung dafür, dass das Abkommen durch das

EU-Parlament und gegebenenfalls die nationalen Parlamente käme, sowie der Öffentlichkeit vermittelt werden könnte. Die kanadische Seite zeigt sich dagegen beim schon weiter fortgeschrittenen Handelsabkommen CETA flexibel, was gerade in der SPD zu einer Diskussion darüber führt, ob das Abkommen mitgetragen werden könnte. Auf großen Druck, auch durch die LINKE, werden statt privater Schiedsgerichte nun öffentliche Investitionsgerichtshöfe mit verbeamteten Richtern und öffentliche Verhandlungen angedacht. Dies ändert aber nichts daran, dass Konzerne in Geheimverhandlungen Schadensersatz von Staaten einklagen könnten. Mit CETA würde ein paralleles Rechtssystem entstehen, maßgeschneidert nach Konzerninteressen. Demokratische Entscheidungen, Menschenrechts-, Arbeits- und Umweltstandards zu verbessern, würden zu riskant und teuer. Über die Investorenklagerechte hinaus stehen auch bei weiteren Punkten unverbindliche und kosmetische Änderungen im Raum, die nichts an der Ausrichtung ändern. Nur dank starken Protests sollen nun nicht nur das EU-Parlament, sondern auch die nationalen Parlamente gefragt werden. Aber das kann Jahre dauern, das Abkommen würde vorläufig gelten und Fakten schaffen. Eine Rücknahme wäre unwahrscheinlich, selbst bei späterer Ablehnung durch Bundestag oder Bundesrat. Zudem ist eine spätere Kündigung des Abkommens für ein Land bei 20 Jahren Übergangsfrist und bei gleichzeitigem ZwangsAustritt aus der EU kaum realistisch. Nicht zuletzt sind auch nachträgliche Veränderungen des Vertrags ohne jede demokratische Kontrolle möglich. Die aktuell beworbenen Kompromisse im Detail kratzen zwar nicht an der Substanz von CETA, würden der SPD-Spitze jedoch eine gesichtswahrende Zustimmung erlauben, falls ihr die Basis am für den 19. September angesetzten Parteikonvent nicht einen Strich durch die Rechnung macht. Es gilt, erneut öffentlich ein deutliches Zeichen zu setzen – gegen TTIP und CETA und für Demokratie, Menschenrechte und Umweltschutz! Deshalb muss es gelingen, am 17. September auf sieben dezentralen Anti-TTIP/ CETA-Demonstrationen erneut hunderttausende Menschen auf die Straße zu bekommen. Für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen unterstützt DIE LINKE das breite Bündnis, das viele tausend Menschen auf dem Leipziger Marktplatz versammeln will. • Axel Troost


Links! im Gespräch

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Genosse, wo bist Du heute? Wie die DDRJugendhochschule eine Finnin nicht loslässt Obwohl es viele FDJ-Blauhemden in der Einrichtung gab, war sie in der DDR fast unbekannter als im Ausland: Die Rede ist von der Jugendhochschule Wilhelm Pieck in Bogensee bei Berlin. Ende der 80er Jahre studierte an der wichtigsten Kaderschmiede der Freien Deutschen Jugend auch eine junge Finnin das Fach Marxismus-Leninismus. Kirsi Marie Liimatainen hat unter dem Titel: „Comrade, where are you today?“ (Genosse, wo bist Du heute?) einen Film gemacht, in dem sie sich auf interkontinentale Spurensuche nach ihren einstigen Mitstudenten machte. Studenten aus über 80 Nationen studierten in der Endphase der DDR an der „Wilhelm Pieck“. Premiere hatte der Film am 11. August im Berliner Kino Babylon, wobei u.a. auch die LINKEN-Politikerin Dagmar Enkelmann anwesend war. Den Freundeskreis der Jugendhochschule, der nächstes Jahr zum zwölften Treffen zusammen kommt und der das Filmprojekt unterstützte, ist im Internet unter www.Jugendhochschule. org zu finden. Ralf Richter erreichte die Regisseurin telefonisch in Finnland, wo die sonst in Berlin wohnende Schauspielerin gerade an einem Theaterprojekt arbeitet. Du hast Dich nach Jahrzehnten auf die Suche nach ehemaligen Mitstudenten an der Jugendhochschule Wilhelm Pieck gemacht. Wie kam eine junge Finnin überhaupt dorthin? Für ein Kind der Arbeiterklasse in den 70er Jahren in Tampere war die Auswahl an Weltbildern ziemlich unkompliziert: Entweder man ging zur Kirche oder zu den Kommunisten. Spielte vielleicht auch die Familientradition eine gewisse Rolle? Natürlich. In meiner Familie hat man sich gedacht, dass das Paradies auf der Erde besser ist als eines nach dem Tod. Darüber habe ich auch später häufig mit meinen Großeltern gesprochen, die auch Kommunisten waren. Wie verlief Deine Entwicklung? Mit acht Jahren war ich in der Pionierorganisation und später bei der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis war es fast schon

Tradition, dass man nach dem Gymnasium entweder nach Moskau oder in die DDR an die Jugendhochschule geht, für ein Jahr. Ihr wusstet also über die Wilhelm-Pieck-Jugendhochschule schon mehr als der normale FDJ‘ler in der DDR … Ich habe von Bekannten viele Geschichten gehört über die Zeit in Bogensee. Einige waren zum Beispiel ´84 oder ´86 dort gewesen, also die Älteren

Ich war zwanzig Jahre alt und fest davon überzeugt – in so einer Phase war ich damals –, ich könnte die Welt verändern. So war ich ganz aktiv in der Hausbesetzerszene, und wir haben dann sofort eine Pressemitteilung geschrieben, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Studenten und die jungen Leute nicht genug Wohnungen haben. Dann bin ich in den Hungerstreik getreten, weil die Regierung die Gesetze für Langzeitarbeitslose und jugendliche Arbeitslose verschlechtern

Natürlich haben mich am meisten die internationalen Studenten beeindruckt. Sie haben erzählt, wie das Leben ist in Südafrika, Chile, Bolivien oder Nicaragua ist. Besonders interessant aber war auch der Austausch mit den westdeutschen und den dänischen Studenten. Mit diesen hat man doch gewisse Parallelen gesehen aus finnischer Perspektive.

Marxismus-Leninismus im Vordergrund, aber es wurde auch viel über die aktuelle Situation in unseren Ländern gesprochen. Und so war es für uns zum Beispiel besonders interessant, zu erfahren, welche Bedingungen in den arabischen Ländern herrschten, während wir über Finnland und die Bedingungen dort erzählen konnten.

Gab es keine Schweden? Schweden habe ich keine gesehen und später habe ich aus

Der Zusammenbruch der sozialistischen Staaten in Europa folgte nicht lange nach Deinem Besuch in der Jugendhochschule. Wie hat man das in Finnland erlebt? Neben den Berichten aus den Medien bekam ich viele Briefe von ehemaligen deutschen Mitstudenten. Ich habe dann auch lange Gespräche mit meinen Großeltern über diese Situation geführt, um heraus zu bekommen, was sie über das Ganze denken. Ich war froh, weil ich dachte, jetzt können mich meine Freunde aus der DDR besuchen. Der zweite Gedanke war dann aber, was wird jetzt? Woran haben wir geglaubt? Es war ein Schock …

Von links nach rechts_ Kirsi Marie Liimatainen (Regisseurin), Nils Ebert (W-film), Dagmar Enkelmann (Vorstandsvorsitzende Rosa-Luxemburg-Stiftung) bei der Filmpremiere in Berlin.

in der Jugendorganisation. Die haben auch immer von den anderen internationalen Studenten dort erzählt. Du hättest aber auch die Option gehabt, nach Moskau zu gehen – warum bist Du nicht dorthin gefahren? Auch das hat mit meinen Großeltern zu tun, so war meine Großmutter von dem Sozialismus dort enttäuscht. Es gab ja bei uns diese Vorstellungen von dem idealen Land, wo alle gleichberechtigt und die Arbeiter an der Macht sind – aber wer dann die Sowjetunion erlebte, war ernüchtert, und deshalb wollte ich das ideale Land lieber in der DDR finden. Allerdings gab es für Kommunistische Partei Finnlands viel Unterstützung aus der Sowjetunion und dies wurde auch anerkannt. Was hast Du vom Besuch der Jugendhochschule in der DDR erwartet?

wollte. Weiterhin war ich auf allen möglichen Demos, und da hat dann so ein Studium an einer Jugendhochschule sehr gut gepasst zu meinem Alter und meiner Welterveränderungsphase – ich wollte endlich genau wissen, was der Marxismus-Leninismus ist. Gab es da auch einen Einfluss aus der Familie? In den Bücherschränken meiner Familie hatte ich verschiedene Bücher von Marx und Lenin gesehen, aber ich habe sie nicht gelesen. Obwohl ich also seit Langem Teil der linken Bewegung war, wusste ich nicht so richtig, welche Philosophie dahinter steckte, und somit war es an der Zeit mehr darüber zu erfahren. Es war also eine logische Konsequenz Deines bisherigen Lebensweges, dass Du in die DDR und an die dortige Jugendhochschule kommen musstest. Was hat Dich dort besonders beeindruckt?

den Archiven erfahren, dass die Schweden keine Leute mehr geschickt haben, weil sie so enttäuscht waren. Der Sozialismus in der DDR war letztlich doch nicht das, was sich schwedische Kommunisten vorgestellt hatten. Welche Aufgabe hat aus Deiner Sicht die Jugendhochschule? Als Zwanzigjährige habe ich darüber nicht viel nachgedacht. Später aber wurde mir erst die Genialität des Grundgedankens bewusst: Jugendliche aus der ganzen Welt kommen zusammen und diskutieren, wie sie die Welt verändern können, regen sich gegenseitig an einem geschützten Ort an, von dem man nur in den linken Kreisen Kenntnis hatte. Was habt ihr dort gelernt? Natürlich standen wissenschaftliche Philosophie und

Wir mussten in uns gehen und uns fragen, wie man noch weiterhin Linke sein kann. Es war gut, darüber miteinander zu sprechen. Manche in meinem Bekanntenkreis haben komplett dicht gemacht. Die sind nicht mehr aktiv und wollen gar nicht mehr darüber sprechen. Dann brach die finanzielle Unterstützung für die linke Bewegung in Skandinavien weg und schließlich stand die Frage: Wie kann man sich gegenüber den Wählern jetzt noch behaupten? Die sagten, der Sozialismus ist doch zusammengebrochen und ihr wollt jetzt, dass wir für diesen Sozialismus stimmen? Von den einst großen linken Parteien in den 70er Jahren in Skandinavien blieb danach nicht mehr wirklich viel übrig. Dein Film wurde nur in sehr wenigen Kinos gezeigt. Wann kommt die DVD heraus? Und könntest Du Dir vorstellen, zum Beispiel in Dresden bei einer Filmvorführung in der Rosa-Luxemburg-Stiftung als Gesprächspartnerin dabei zu sein? Natürlich. Ich wohne in Berlin, und von dort ist es nicht weit. Die DVD soll zum Anfang des nächsten Jahres erscheinen.


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Verpflichtende Geschichte

Geschichte ist in Sachsen seit dem Beginn des Schuljahres 2016/2017 wieder ein „verpflichtendes“ Unterrichtsfach. Bislang hatten die Zehntklässler in der Oberschule, vormals Mittelschule, zwischen Geografie und Geschichte wählen können. Die Regelung stammte von 2006. Von der Möglichkeit der Abwahl eines Faches versprach sich die damalige CDU-SPD-Landesregierung eine Entlastung der Schülerinnen und -schüler von unnötigem Wissen. Nach Angaben aus dem Kultusministerium hatten zuletzt 6.541 von insgesamt 12.975 Schülerinnen und Schülern das Fach Geschichte in Klasse 10 abgewählt. Eine Dekade später kehrt Sachsen, abermals unter einer CDU-SPD-Regierung, zur alten Regelung zurück. Fortan absolvieren die Schülerinnen und Schüler im Realschulbildungsgang der Oberschule wieder Geografie und Geschichte. Das hat für sie zwei zusätzliche Unterrichtsstunden zur Folge. Als Ausgleich bleibt ihnen der Vertiefungskurs Wirtschaft erspart. Die Wiedereinführung eines verpflichtenden Geschichtsunterrichts in Klasse 10 der Oberschule ist Teil einer verstärkten Förderung von politischer Bildung, mit der die Landesregierung auf den Unmut in der Bevölkerung reagiert. Als Ursache für die Unzufriedenheit mit der Politik im Freistaat haben Re-

„Wenn alles unveränderlich wäre, ließe sich alles in eine unveränderliche Ordnung der Vernunft bringen, wäre jedes Geheimnis ungeboren, jede Frage gefragt, das Unvorhergesehene vorausgesehen, Außervernünftiges nicht denkbar.“ Das stellt Jurij Brezans Krabat erschrocken fest. Nur die Vernunft, nur Vorhergesehenes, keine Veränderung für ewig? Keine Phantasie, nichts Neues, keine Überraschungen – ziemlich langweilig. Oder noch schlimmer? Wenn das so wäre, wäre alles nur mit sich selbst identisch, so wie wir es wahrnehmen und ihm Sinn geben in einer unveränderlichen Ordnung. Nichts wäre uns fremd und wert, es weiter

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gierungspolitiker eine „mangelnde Identifikation mit der parlamentarischen Demokratie“ ausgemacht, die wiederum auf eine „mangelnde politische Bildung und Bindung“ zurückzuführen sei. Von einer Aufwertung des Geschichtsunterrichts versprechen sich die Koalitionäre, den Mangel an politischer „Bildung und Bindung“ beheben zu können. Eine „umfassende Behandlung“ der Geschichte des 20. Jahrhunderts in der Schule, so der Ministerpräsident, habe den Jugendlichen „den Unterschied zwischen Freiheit und Demokratie auf der einen Seite und Totalitarismus und Diktatur auf der anderen Seite“ bewusst zu machen und

so eine positive Haltung zur sächsischen Demokratie zu befördern. Als verpflichtend will auch die AfD den Geschichtsunterricht verstanden wissen. Anders als CDU und SPD plädiert die Partei jedoch für eine intensivere Behandlung des 19. Jahrhunderts in der Schule. Zur Begründung heißt es im Programm zur Landtagswahl 2014: „Wir wollen einen deutlichen Schwerpunkt auf das 19. Jahrhundert und die Befreiungskriege gesetzt wissen. Die Grundlagen unseres Staates wurden in den Jahren 1813, 1848 und 1871 gelegt. Unsere Nationalsymbole sollen im Unterricht erklärt werden. Das Absingen der

Nationalhymne bei feierlichen Anlässen soll wie in den USA selbstverständlich sein“ (Am Rande sei vermerkt, dass der Plural Befreiungskriege sich nur auf den antinapoleonischen Befreiungskampf beziehen kann, denn weder die Revolution von 1848 noch der Krieg gegen Frankreich 1871 waren Befreiungskriege). Das Interesse der Parteien für die schulische Auseinandersetzung mit Geschichte zeugt von einem Funktionswandel des Geschichtsunterrichts: Er dient (wieder) der Legitimation aktuellen politischen Handelns. Geschichte, die nach Auschwitz eine gesellschaftskritische Funktion ausübte, gerät unter parteipolitischem

Einfluss wieder zu einer positiven Bezugsquelle für die Politik. Schülerinnen und Schüler, heißt es bei der AfD, sollen auf „ein positives Identitätsgefühl“ – ein nationalstaatliches – verpflichtet werden. Gegen einen Geschichtsunterricht als „ein Mittel der Nationsbildung“ hat die sächsische Union gewiss nichts einzuwenden. Das dokumentieren ihre Beschlüsse auf vergangenen Parteitagen. Wenn die Landesregierung im Unterschied zur AfD den Akzent auf eine „umfassende Behandlung“ des 20. Jahrhunderts in der zehnten Klasse der Oberschule setzt, dann geschieht das aus aktuellen Gründen: Mittels des Kontrastes zu totalitären Herrschaftsformen, zu denen die Landesregierung auch die DDR zählt, sollen die „Bindungskräfte“ der Jugendlichen zur staatlichen Ordnung gefestigt werden. Auf die soziale Spaltung und den Rechtsruck in der Gesellschaft antworten die konservativen Kräfte in typischer Manier: nicht mit einer Politik sozialer Gerechtigkeit, sondern mit vermehrten erzieherischen Anstrengungen und Appellen an die Moral und das Gemeinschaftsgefühl. Hier ordnet sich der Geschichtsunterricht ein: Er ist erzieherischer Bestandteil einer Identitätspolitik, die danach trachtet, Andere bzw. Fremde stabil abzugrenzen. Jochen Mattern

zu erkunden. Allem aber, das diese Bedingung nicht erfüllt, könnten wir keine Bedeutung zumessen. Es wäre fremd, ohne Sinn für uns. Es erschiene uns gefährlich, zerstörerisch und wäre also abzuweisen. Schwierig zu verstehen? Ich versuche es am Beispiel: Die deutsche Sprache. Wer zu uns kommt, muss sie lernen, sonst kann seines Bleibens nicht sein. Die Dazukommenden lernen eine Fremdsprache. Was für sie Fremdsprache, ist für uns Muttersprache. „Mutter“Sprache. Das schmeckt wie bei Muttern, das kümmert sich um uns und unsere Gedanken wie eine Mutter. „Mutter“ ist das Unveränderliche in unserem Leben, so auch die Muttersprache; wie auch der „Vater“ – und das Vaterland. Abweichungen sind landläufig „stief–“ und wenn man sie auch noch so liebt. „Stief-“ kommt vom germanischen „steupa-“ und hatte dort die Bedeutung „abgestutzt, beraubt“. Die Sache wird wieder philosophisch: Stutzt uns das Fremde ab, sind wir angesichts des Fremden der Gefahr

der Beraubung ausgesetzt, der Gefahr der Beraubung unserer Identität, des Vernünftigen, der Sicherheit des Vorhersagbaren? Bleiben wir für eine Antwort bei der Sprache. So sehr uns die Muttersprache als Konstante in unserem Leben erscheinen mag: Sie ist alles andere als konstant, weil in ständiger Veränderung begriffen. Diese Veränderung hat

durch diese Anreicherungen konnte die deutsche Sprache überhaupt überdauern. Hätten sich die Muttersprachlerinnen und Muttersprachler dagegen gewehrt, wäre die Sprache unbrauchbar geworden, wäre gestorben. Allerdings ist die deutsche Sprache, wie jede andere auch, daraus nicht zu einem ungeordneten, verwirrenden Gemisch von Eigenem und Fremden geraten. Jede Sprache eignet sich das zunächst Fremde auf eigene Art und Weise an. Feilt es sich zurecht. Das Fremde wird so ebenfalls zum Eigenen. Das Fremdwort kann man noch als solches Erkennen. „Administration“ ist uns zwar verständlich, „Verwaltung“ scheint uns dagegen vertrauter. Das Lehnwort hat sich bereits bis zur Unkenntlichkeit seiner Herkunft angepasst. Das „Banner“ ist uns so geläufig wie die „Fahne“. Es klingt nur feierlicher. Klappt es gar nicht mit dem Fremden, brauchen wir es jedoch auch für uns, wird eben Glied für Glied übersetzt und aus dem lateinischen „conscientia“ wird das „Ge-

wissen“. Wir kommen nicht aus ohne das Fremde, das Andere. Wir können es nicht abweisen. Unsere Welt ist kein festgeleimtes Puzzle, in dem jedes Teil seinen unveränderlichen Platz hat. Die Welt ist vielmehr ein buntes Kaleidoskop. Mit jeder Erdumdrehung ordnen sich die Steinchen neu und es entstehen wieder und wieder bunte Bilder einer faszinierenden, aber ständig in Veränderung befindlichen Wirklichkeit. Manche wollen allerdings davon nichts wissen. Deshalb nennen sich „die Identitären“ „Identitäre“. Nur das Eigene, vermeintlich Identische gilt. Multikulturelles, das Fremdes zulässt und gar schätzt, erscheint ihnen einzig zerstörerisch. Viele Kulturen ja, Austausch, gegenseitige Beeinflussung, nein. Bei Jurij Brezan geht es für sie so weiter: „Kein Himmel, keine Hölle. Und keine Furcht.“ Wären Identitäre darob nicht beneidenswert? Nein und nochmals nein. Für Brezan folgt aus „keine Furcht“: „freilich auch keine Hoffnung“. Das heißt aber doch: auch keine Zukunft!

Die Sache mit der Identität verschiedene Ursachen und vielfältige Folgen. Eine wesentliche Ursache ist die Begegnung mit Anderen, mit dem Fremden, mit dem nicht Identischen. Solche Begegnungen sind in dieser bunten und zugleich einen Welt unvermeidbar. Begegnung führt zu Austausch. Die Ergebnisse werden sprachlich fixiert. Deshalb strotzt unsere Sprache nur so von Fremdwörtern, Lehnwörtern, Lehnübersetzungen. Nur


Hintergrund

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Der „Linkstick“ der alten Dame Mühsam bahnt sie sich an zwei Krücken den Weg in die Leipziger Harkortstraße 10. Bei Vorträgen der Rosa-LuxemburgStiftung ist sie oft anzutreffen. „Das ist Frau Stein aus Berlin“, macht uns Professor Klaus Kinner bekannt. Der vormalige Geschäftsführer der RLS-Dependance kennt sie seit Jahren. Er weiß, dass die alte Dame mit dem gebeugten Rücken Stammgast bei der Philosophischen Dienstagsgesellschaft ist. Man begrüßt sie freundschaftlich, mit einem Hauch diskreter Ehrfurcht. Das ist der Hauptstädterin Aufmerksamkeit genug. Später wird sie unter vier Augen, auf sich bezogen, Nietzsche zitieren: „Nah hab den Nächsten ich nicht gerne ... Wie würd‘ er sonst zu meinem Sterne?“ Keine Regel ohne Ausnahme. Sie empfängt mich im Hotel „Am Bayerischen Platz“, wo sie immer absteigt. „Hier hat auch Marx genächtigt“, deutet sie ihre Gesinnung an. „Ticken Sie auch links?“ Ich nicke. „Dann können wir doch Du sagen. Ich heiße Regina“. Dass man sie in jungen Jahren als schwierig,

schweigsam und zurückhaltend kannte, konterkariert Regina Stein jetzt à tempo. Sie erzählt lebhaft, mit Sinn für Selbstironie und Wortwitz, mit beneidenswertem Gedächtnis für Fakten und Namen, sie lacht, und sie hält inne, wenn Erinnerung an persönliche Schicksalsschläge alte Wunden aufreißt. Den Verlust des einzigen Sohnes 2006 sucht sie, auch in seinem Sinne, mit der ihr eigenen Hingabe für alles Fortschrittliche und Gerechte zu verarbeiten. Die Berlin-Leipzig-Abstecher erfüllen sie. „Ich bin Mitglied des RosaLuxemburg-Vereins. Hier fühle ich mich angenommen. Es ist ein bisschen Heimat für mich“. Regina Stein wird am 16. September 1928 in Leipzig als zweite Tochter des karthographischen Kupferstechers Johannes Stein geboren. Die Eltern gehören dem linken Flügel der SPD an. Der bildungsbeflissene Vater führt die Kinder an die humanistische Literatur heran. Dass die ältere Tochter Lehrerin, die jüngere Bibliothekarin wird, gefällt ihm ebenso wie deren früher Beitritt zur SPD. „Ich

war schon 1945 mit 17 Mitglied, dann automatisch in der SED und bleibe meinen politischen Überzeugungen heute in der Partei DIE LINKE treu“, erklärt die Langzeitgenossin nicht ohne Stolz. „In der DDR war ich keine gute Genossin“. Sie weiß, dass sie Widerspruch erntet, wenn sie Gründe für ihre Selbstdiagnose nennt: immer zu sagen, was sie dachte; Kritikwürdiges ohne Ansehen der Person zu äußern; bloßen Äußerlichkeiten zu misstrauen; opportunistisch-karrieristisches Verhalten und jede Charakterlosigkeit sichtbar zu verachten. „Ich habe vor der Wende weder ein Parteiabzeichen getragen noch eine Fahne herausgehängt“. Flagge zeigen hieß für sie, Hand anlegen, Probleme lösen helfen und Gutes im Kleinen tun. Sie nahm es hin, wenn später Obere an der Parteihochschule Karl Marx über sie urteilten, sie erfülle ihre fachlichen Aufgaben gut, doch ihre politische Einstellung kenne man nicht. Bevor Regina Stein ihre Arbeitswelt, die Welt der Bücher, betreten konnte, hatte sie einige

Hürden zu nehmen. Nach der Mittleren Reife absolvierte sie sogenannte Jugendeinsätze in Leipzig, lernte Russisch an der Fremdsprachenschule, arbeitete als Dolmetscherin am Städtischen Theater, verkaufte Literatur im „Internationalen Buch“. Eine Bewerbung bei der Deutschen Bücherei trug ihr das Plazet des Generaldirektors Heinrich Uhlendahl und eine der wenigen Lehrstellen ein. 1951 erhielt sie das Diplom einer „Bibliothekarin mit wissenschaftlicher Ausrichtung“. „Dann hatte ich eine schöne Zeit am Institut für Marxismus-Leninismus in Berlin. Bruno Kaiser, der den Nachlass von Georg Herwegh ausgegraben hatte, leitete die Bibliothek. Erich Wendt, Leiter der Lenin-Abteilung am Institut, vielen als erster Ehemann Lotte Ulbrichts bekannt, half mir 1957, noch einmal fünf Jahre am neuen Institut für Bibliothekswissenschaft zu studieren“. An die letzten Jahre ihrer beruflichen Laufbahn, 1971 bis 1988 in der Bibliothek der Parteihochschule, erinnert sich Regina Stein ungern. „Unter dem Direktorat von

Hanna Wolf herrschte nicht die warmherzige Atmosphäre wie am Institut für M-L. Die Spottnamen ,Wolfsburg‘ und ,Hanna, die Selbstherrliche‘ sagen viel über das ,genössische‘ Klima aus. Ich selbst galt als unsichere Kantonistin“. In Einig-Deutschland sei sie nicht wirklich angekommen, gesteht sie. In der DDR ohne Parteiamt, hat sie ein solches erstmals mit 60 als Vize-Vorsitzende ihrer WBO ausgeübt. Sie war und ist aktiv im Wohngebietsausschuss, in der Volkssolidarität, als Schöffin. Sie engagiert sich für soziale, kulturelle, ökologische Projekte, unterstützt einschlägige Vereine und Stiftungen. Bei Greens Green ist sie Ehrenmitglied. Besonders ans Herz gewachsen sind ihr die SOS-Kinderdörfer. „Für sie habe ich bisher 15.000 Euro beisammen“. Regina Stein freut sich auf den nächsten Besuch in der Harkort 10. „Ich komme, solange ich mobil bin“. Am 16. September begeht sie ihren 88. Geburtstag. Die „Luxemburger“ aus Leipzig gratulieren von Herzen. Salut, liebe Regina! Wulf Skaun

Langzeitarbeitslosigkeit – hilft da noch was? So heißt eine Veranstaltung des DGB Südwestsachsen am 21.09. im Gewerkschaftshaus Zwickau. Vorab befragten wir den Regionsgeschäftsführer Südwestsachsen, Ralf Hron. Wer in Hartz IV gelandet ist, kommt nur schwer wieder raus. Wo liegt das Problem? Im SGB II-Bereich erleben wir eine Zunahme von Langzeitarbeitslosigkeit, während die Arbeitslosigkeit insgesamt abnimmt. Obwohl es viele offene Stellen gibt, können Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, immer schlechter vermittelt werden. Sie haben sehr oft sogenannte multiple Hemmnisse, es gibt also verschiedene Gründe für ihre Nichtbeschäftigung, z.B. Krankheiten, niedriges Qualifikationsniveau, fehlende Mobilität. Alleinerziehende sind besonders betroffen. Insgesamt bekommen bestimmte Personengruppen auf dem von Konkurrenz und Arbeitsdruck geprägten Markt Beschäftigungsprobleme. Wie ist die Lage in Sachsen? In den fünf Arbeitsdirektionsbereichen in Südwestsachsen haben wir einen stabilen Arbeitsmarkt. Die sozialversicherungspflichte Beschäftigung nimmt leicht zu. Gleichzeitig bekommen viele Personen aus dem Bereich des Arbeitslosengeldes II immer größere Probleme. Dabei muss auch auf das Problem der Zwangsverrentungen hingewiesen werden.

Wäre ein öffentlicher Beschäftigungssektor eine Lösung? Öffentliche Beschäftigung ist sinnvoll, wenn sie auf einzelne Personen zugeschnitten ist, an den individuellen Problemen ansetzt. Außerdem muss dieser Beschäftigungssektor mit den Arbeitsmarktakteuren abgesprochen sein, um reguläre Arbeit nicht zu gefährden. Auch die fachgerechte Betreuung und das Management solcher Maßnahmen bei sozialen Trägern entsprechend finanziert und abgesichert werden.

Langzeitarbeitslosigkeit , Niedriglöhne, Befristungen verursachen Altersarmut. Abgesehen von höheren Löhnen und Entfristungen: Was müsste sich ändern? Durch Niedriglohn und massenhaft verbreitete Zeiten von Arbeitslosigkeit droht Altersarmut in unseren Regionen. Frauen sind besonderes betroffen. Die Grundfrage ist das Lohnniveau, damit die Tarifbindung der Unternehmen und die leider immer noch verbreitete gesellschaftliche Akzeptanz von Arbeit, die nicht zum Leben reicht. In die-

sem Zusammenhang steht unmittelbar die politisch flankierte Schwächung von betrieblicher Mitbestimmung. Um die Rentenkassen stabil und das Rentenniveau auf einem erträglichen Niveau von etwa 50 % zu halten, muss aber vor allem über die Einnahmenseite der gesetzlichen Rentenversicherung nachgedacht werden. Es müssen alle Einkommensarten einbezogen werden. Es nützt auch nichts, heute niedrigere Beitragssätze zu erzwingen. Der DGB hat hierzu ein Finanzierungskonzept vorgelegt. Auch dem Letzten in der

Politik müsste dämmern, dass Finanzmarktprodukte kein solides Absicherungsmodell sind. Eine Aufwertung von betrieblicher Zusatzrente, die bei uns ja selten anzutreffen ist, ist sicher sinnvoll. Wir müssen aber auch die Rentenkasse von versicherungsfremden Leistungen, wie z. B. der Mütterrente, befreien. Eine bessere Anrechnung von Kindererziehungsleistungen, auch von sozialer Arbeit, ist sozial gerecht und volkswirtschaftlich angesagt. Diese Leistungen aber müssen durch alle Steuerzahler erbracht werden.


Geschichte

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„Es ist, als wäre man in einer Zeitschleife gefangen“

Wie hast Du damals die Situation erlebt? Die Zeit nach der Wende war in Hoyerswerda geprägt vom Wandel. Viele Menschen, die sich die Einheit gewünscht hatten, wurden ihre ersten Opfer. Das Gaskombinat „Schwarze Pumpe“, größter Arbeitgeber in der Region, entließ massenhaft Menschen oder setzte sie auf Kurzarbeit. Das führte zu einer Kettenreaktion in Betrieben und Einrichtungen, die ebenfalls von der Kohle abhängig waren. Die Menschen machten Bekanntschaft mit Arbeitsund Perspektivlosigkeit, gesellschaftliche Isolierung war die Folge, da viele mit der Arbeit auch alle sozialen Kontakte verloren. Die Stimmung war angespannt, besorgt und gereizt. Viele Menschen waren nur mit sich beschäftigt, versuchten, sich im neuen Gesellschaftskonzept zurechtzufinden. Man darf nicht vergessen, welch gewaltige Veränderungen auf sie zukamen: Gesetze, Währung, Arbeitslosigkeit auf der einen Seite und die Sorge um das persönliche Leben andererseits, all das verlangte vielen viel Kraft ab. Ein latent immer vorhandener Neid und rassistische Vorurteile gegen „Gastarbeiter“ brachen sich immer öfter Bahn. In der Stadt kam es nun häufiger zu Pöbeleien gegen vietnamesische GastarbeiterInnen, die versuchten, sich mit dem Verkauf von Zigaretten über Wasser zu halten. Auch die mosambikanischen GastarbeiterInnen wurden als Konkurrenz angesehen, die sozialistisch verordnete Solidarität mit ihnen war nun nicht mehr notwendig. Die ersten offen rechtsextremen Jugendbewegungen konnte man schon bald beobachten. Häufig wurden sie aus dem Westen mit Geld und Propagandamaterial unterstützt. Es gründete sich eine überwiegend aus Rechtsextremen bestehende Bürgerwehr, die „Neue Ordnung“. Sie übernahm die Absicherung von Naziveranstaltungen und der Wahlkampfveranstaltungen der DVU, der Republikaner und der NPD, patrouillierte in Wohngebieten und machte Jagd auf Linke, Punks und Ausländer. Viele Bürger wa-

ren das erste Mal rechter Propaganda ausgesetzt, zudem war die damalige Asylkrise auch in Hoyerswerda angekommen. Die ersten Asylbewerber trafen ein und wurden zu Hunderten in Wohnblocks gestopft. Es gab keine Rücksicht auf Herkunft, Glaube oder persönliche Befindlichkeiten. Die Asylbewerber lebten zusammengepfercht und hielten sich oft den ganzen Tag vor den Häusern auf. Es gab so gut wie keine soziale Betreuung, keine Beschäftigungsangebote, keine Möglichkeit zu arbeiten oder selbstbestimmt zu leben. Sie durften nur mit Gutscheinen in einer nahegelegenen Kaufhalle einkaufen. Niemand erklärte ihnen, was sie zu tun hätten oder wie die Gesellschaft funktionieren sollte, in der sie jetzt lebten. Sie hatten keinen Kontakt zu Deutschen und konnten sich nicht verständigen, denn es gab auch keine Sprachkurse. Es kam häufig zu Auseinandersetzungen, sowohl untereinander als auch mit Deutschen, die mit der zunehmenden Vermüllung, Aggressivität, kulturellen Unterschieden und Gewalt ebenfalls völlig allein gelassen wurden. Integration in die Gesellschaft war ja nicht gewollt. Alle Seiten waren mit der Situation überfordert. Gleichzeitig kam es auch noch zu massiven Umbrüchen im Rechtswesen, zu Einsparungen bei der Polizei und zu einer Art „rechtsleerem Raum“, da weder Polizei noch Justiz noch Verwaltung wussten, wie man sich verhalten sollte. Es entstand ein soziales Pulverfass. Man muss sich auch vor Augen führen, dass CDU/CSU-Politiker und die Medien in der damaligen Asyldebatte zusätzlich eskalierend wirkten, allein durch den Sprachgebrauch: „Das Boot ist voll“/„Asylflut“/„Asylanten-

schwemme“/„Asylmissbrauch“ etc. Durch die Unionsparteien und führende Zeitungen wie die BILD wurden täglich Neid, Angst und Hass auf Ausländer geschürt. Das war die Situation in Hoyerswerda im September 1991. Ein Funke genügte. Mit dem Pogrom entluden sich der ganze Zorn, der Neid, die Unsicherheit, die Angst, das eigene Gefühl der Unzulänglichkeit, wenn man zu den Verlierern der Wende gehörte. Man wandte sich nicht nur gegen „die Ausländer“, sondern auch gegen „die da oben“, die einem die Situation eingebrockt hatten, sich aber nicht sehen ließen. Und weil man „die da oben“ nicht vertreiben konnte, hielt man sich an die, die man sah. Hat Sachsen aus dem Pogrom gelernt? Einige BürgerInnen und PolitikerInnen haben gelernt. Im Freistaat und in Hoyerswerda gab es lange keine Aufarbeitung. Vielmehr war man geneigt, das Pogrom als Bestätigung des „Volkszornes“ zu verkaufen und nicht als Ergebnis der eigenen falschen Politik und Kriegsrhetorik gegen Migranten. In Hoyerswerda war es lange sehr schwierig, das Thema anzusprechen. Viele BürgerInnen fühlten sich zu Unrecht unter Generalverdacht gestellt und angeprangert. Ich habe erlebt, wie BILD, Spiegel & Stern in dieser Zeit agiert haben, um das Ereignis auszuschlachten. Dieselben Medien, die vorher monatelang Angst, Vorurteile und Hass geschürt hatten, schickten nun ihre Reporter nach Hoyerswerda, um der geschockten Republik das Bild vom wilden, unzivilisierten Ostdeutschen zu präsentieren und das Problem des Rechtsextremismus als „rein ostdeutsch“,

bedingt durch Plattenbau und Sozialisation in der DDR-Kinderkrippe, zu verkaufen. Eine kritische Reflexion des eigenen Anteils an der Eskalation kam weder von den Parteien noch von den Medien, jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern. Der allgemeine Konsens im tiefschwarzen Sachsen und besonders in Hoyerswerda war eine Opferhaltung: Die Ausländer waren schuld, die Medien waren schuld, die DDR war schuld, weil sie ihre BürgerInnen zu verkappten Rassisten erzogen hatte, und all das diente als Rechtfertigung der eigenen unmenschlichen Politik. Es hat Jahre gedauert und brauchte auch ganz besonders die Arbeit der Initiative „Pogrom 91“, um eine kritische und ehrliche Auseinandersetzung mit den Geschehnissen anzustoßen. Bei einigen Menschen hat ein Umdenken eingesetzt. Besonders in Hoyerswerda haben viele, die sich dem Bündnis „Hoyerswerda hilft mit Herz“ angeschlossen haben, dies vor allem getan, weil sie wollen, dass sich so etwas nicht wiederholt. Auch für mich war das eine Motivation. Politisch hat sich – vor allem in der CDU – kaum etwas geändert. Man setzt auf ausgrenzende Rhetorik, auf restriktive Asylpolitik und Patriotismus. Mit welchen Gefühlen denkst Du an den Jahrestag? Vor allem mit Sorge. In letzter Zeit nehmen auch in Hoyerswerda rechtsextreme Aktivitäten wieder zu. Die Rechtsextremen sind überwiegend gewaltbereit, es gibt es keinen ausreichenden Verfolgungsdruck durch die Justiz. Ich wünsche mir, dass Hoyerswerda sich klar zum Jahrestag positioniert. Nicht, weil das von außen erwartet wird. Nicht wegen des

Bild: Ute Donner

Grit Maroske wurde 1969 in Mecklenburg geboren. Sie ist seit ihrer Jugend politisch aktiv, setzt sich u.a. für sozialverträglichen Stadtumbau, Integration und gegen Rassismus ein. Sie ist Mitbegründerin des Bürgerbündnisses „Hoyerswerda hilft mit Herz“ und lebt als freie Autorin in Hoyerswerda. Simone Hock sprach anlässlich des 25. Jahrestages der rassistischen Ausschreitungen in der Stadt mit ihr.

Imageproblems. Wir haben es bis heute nicht geschafft, trotz großer Anstrengungen und vieler engagierter BürgerInnen, Privatinitiativen, Vereinen und Institutionen, dass wir sagen können: Hoyerswerda ist weltoffen, gastfreundlich. Wichtig ist eine Botschaft aus der Bürgerschaft: Wir haben unseren Anteil an den Ereignissen von 1991 erkannt, wir akzeptieren ihn als Teil unserer Geschichte und werden alles tun, damit so etwas nie mehr geschieht. Was tun gegen Rassismus? Der Kampf gegen Rassismus ruht auf drei Säulen – Bildung und Information, Begegnung und Dialog, Konsequenz und Klarheit. In den letzten Jahren gab es dazu viele Ansätze und engagierte Projekte durch die RAA, das Bündnis „Hoyerswerda hilft mit Herz“, die KUFA, das OSSI, durch Schulen, Kirchgemeinden, Privatinitiativen. Wichtig wären eine massivere Förderung der Kinder- und Jugendsozialarbeit, eine bessere Unterstützung aller ehrenamtlichen Projekte, aber auch Bildungs- und Fortbildungsaktionen, eine Verstärkung der Anstrengungen bei Demokratieförderung und politischer Bildung und eine einheitliche Positionierung aller Stadträte, Geschäftsleute, Meinungsbildner, Aktivisten und BürgerInnen. Wir haben gelernt, dass Unsicherheit, Ressentiments, Angst sich durch Begegnung abbauen lassen. Wir haben gelernt, dass viele Menschen gern helfen, wenn man ihnen die Gelegenheit gibt, selbst wenn sie kritisch zur Asylpolitik stehen. Wir haben gelernt, dass es wichtig ist, Menschen zuzuhören und ihre Befindlichkeiten in die Politik zu tragen – das betrifft Einheimische wie Zugewanderte. Wir haben gelernt, dass wir im Kampf gegen Rassismus erfolgreich sind, wenn wir den Rahmen dazu schaffen, Fremden auf der menschlichen Ebene zu begegnen. Was bewegt Dich, wenn Du an gestern und heute denkst? Es erschreckt mich, wie sehr sich manche Parolen und Handlungsweisen gleichen. Es ist, als wäre man in einer Zeitschleife gefangen. Andererseits gibt es heute ein viel stärkeres persönliches Engagement für Asylsuchende. Das war damals anders. Da waren wir nur wenige, und wir wurden nicht wahrgenommen. Viele, die sich heute engagieren, tun das vor allem, damit sich ein Pogrom wie 1991 nicht wiederholt. Neugierig, offen, mit Herzblut und Kreativität bringen sie Deutsche und Fremde zusammen. Das macht mir Hoffnung.


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Rosa-Luxemburg-Stiftung

Termine Dresden, 5. September, Montag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Die Mosaiklinke. Was ist und was denkt sie? REIHE: Zukunft denken. Linke Perspektiven***. Mit Dr. Mario Candeias (Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse der RLS). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 8. September, Donnerstag, 20.00 Uhr Film und Diskussion: Wenn das Land zur Ware wird. Globalisierungskritisches Filmfestival Leipzig – globaLE***. Mit Luz Kerkeling (Aktivist und Filmemacher). Eine Veranstaltung von globaLE e.V. mit Unterstützung u.a. der RLS Sachsen. Neues Schauspiel Leipzig, Lützner Straße 29, 04177 Leipzig Mexiko, BRD / 2013 / 71 min / Dorit Siemers und Luz Kerkeling / original mit dt. UT. Ihre Ländereien wecken in zunehmendem Maß die Begehrlichkeiten von Politik und Wirtschaft. Das Gemeindeland, bislang gemeinschaftlich, selbst organisiert und für den eigenen Bedarf bewirtschaftet, wird zunehmend in eine Ware konvertiert. Ölpalmenplantagen, Autobahnen, touristische Ausflugsorte und die unter immensem Druck erzwungene Zusammenfassung von Dörfern in sogenannte „Landstädte“ sind nur einige Beispiele für neoliberale und technikgläubige „Entwicklungsprojekte“, die direkt oder indirekt die Lebensgrundlagen und Lebensweisen der Menschen angreifen und die Umwelt schädigen. Freiberg, 12. September, Montag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Angst vor einer „Islamisierung Europas“? Mit Florian Illerhaus (Religionswissenschaftler), Moderation: MdL Falk Neubert. Eine Veranstaltung der RLS Sachsen und des Büros von MdL Falk Neubert. Brauhof Freiberg, Körnerstraße 2, 09599 Freiberg Chemnitz, 13. September, Dienstag, 18.30 Uhr Vortrag und Diskussion: „Die

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e. V.,

Freiheit ist unser Gefährte…“ – Das Verhältnis der Kommunistischen Partei Spaniens zu den internationalen Freiwilligen*** in der “„¡No pasarán!“ – Vortragsreihe zum Spanischen Krieg (1936 – 1939). Mit Dr. Werner Abel (Historiker) und der Gruppe QUIJOTE. Eine gemeinsame Veranstaltungsreihe des Rothaus e.V., VVN-BdA und RLS Sachsen. Rothaus, Lohstraße 2, 09110 Chemnitz Dresden, 14. September, Mittwoch, 19.00 Uhr Podiumsdiskussion: Direkte Demokratie - Chancen und Risiken. Eine Veranstaltung des WIR e.V., der GMS Sachsen e.V. und der RLS Sachsen. Mit Eberhard König, Sprecher der Gemeinschaft für Menschenrechte im Freistaat Sachsen e.V. (GMS); Antje Feiks (Landesgeschäftsführerin DIE LINKE.Sachsen); Max Schoene (Politikwissenschaftsstudent); Franziska Fehst (Moderation). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Chemnitz, 14. September, Mittwoch, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Gleichstellung macht noch keinen Feminismus!*** in der Reihe “Rosa trifft Lila”. Mit Jana Hoffmann, Referentin für feminstische Politik in der Bundestagsfraktion DIE LINKE. Komplex, Zietenstraße 32, 09130 Chemnitz Leipzig, 15. September, Donnerstag, 20.00 Uhr Film und Diskussion: Landraub - Die globale Jagd nach Ackerland Globalisierungskritisches Filmfestival Leipzig – globaLE***. Mit Henry Schuermann (Misereor) und Mike Nagler (Attac). Eine Veranstaltung von globaLE e.V. mit Unterstützung u.a. der RLS Sachsen. UT Connewitz, Wolfgang-Heinze-Straße 12a, 04277 Leipzig Österreich / 2015 / 95 min / Kurt Langbein / original mit dt. UT. Ackerland wird immer wertvoller und seltener. Jedes Jahr gehen etwa 12 Millionen Hektar Agrarfläche durch VerKleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus gedruckt.

siegelung verloren. Der Film portraitiert die Investoren und ihre Opfer. Ihr Selbstbild könnte unterschiedlicher nicht sein. Die einen sprechen von gesundem Wirtschaften, Sicherung der Nahrungsversorgung und Wohlstand für alle. Die anderen erzählen von Vertreibung, Versklavung und vom Verlust der wirtschaftlichen Grundlagen. Chemnitz, 17. September, Samstag, 12.00 Uhr Eröffnung der Interkulturellen Wochen Chemnitz***: „Vielfalt. Das Beste gegen Einfalt“. Eine Veranstaltung der Stadt Chemnitz mit Unterstützung des Frauenzentrums Lila Villa des Vereins akCente e. V., dem Verein AGIUA e. V., dem Migrationsbeirat der Stadt Chemnitz und der RLS Sachsen. Neumarkt, 09111 Chemnitz Dresden, 20. September, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Wir sind das Volk – Wer ist das Volk? REIHE: Junge Rosa. Sie richtet sich speziell an Jugendliche und junge Erwachsene***. Mit Dr. Dirk Wagner, Historiker. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Dresden, 21. September, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: „Die Szene ist nicht mehr das, was sie einmal war“. Israelische Jugendkulturen im Crashkurs. Im Rahmen der Interkulturellen Tage***. Mit Gabriel S Moses (Comiczeichner und Schriftsteller, geboren in Jerusalem). Eine gemeinsame Veranstaltung des WIR e.V. und der RLS Sachsen. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Chemnitz, 21. September, Mittwoch, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion:„Die Wende für uns” - Biographien vietnamesischer Vertragsarbeiterinnen der DDR***. Im Rahmen der Interkulturellen Wochen. Mit Katrin Viezens (M.A. und Mitarbeiterin des Forschungsprojektes SIMBBE). Soziokulturelles Zentrum querbeet, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter. Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773 Redaktionschluss: 25.08.2016 Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 01.10.2016.

26 Jahre sind seit dem Fall der Berliner Mauer vergangen. Doch was bedeutet das Ende der DDR für die Menschen, die im Rahmen des zwischenstaatlichen Regierungsabkommens der DDR und Vietnam angeworben wurden, um hier zu arbeiten und sich zu qualifizieren? Und wie geht es ihnen heute? Leipzig, 22. September, Donnerstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Faulender Kapitalismus? Jour fixe - Ein ungewöhnlicher Gesprächskreis. Mit Volker Külow und Christoph Türcke. Moderation: Klaus Kinner und Manfred Neuhaus. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Volker Külow und Christoph Türcke stellen die zum 100. Jahrestag erschienene kritische Neuausgabe von W. I. Lenins Imperialismusstudie vor. Leipzig, 22. September, Donnerstag, 20.00 Uhr Film und Diskussion: BOZA. Globalisierungskritisches Filmfestival Leipzig – globaLE***. Eine Veranstaltung von globaLE e.V. mit Unterstützung u.a. der RLS Sachsen. Schaubühne Lindenfels, KarlHeine-Straße 50, 04229 Leipzig Tunesien / 2014 / 55 min / Walid Fellah / original mit dt. UT. „Boza“ ist ein Wort in der westafrikanischen Sprache Bambara und bedeutet „Sieg“. „Boza“ rufen auch MigrantInnen aus Ländern südlich der Sahara, wenn sie es nach oft jahrelangen vergeblichen Versuchen geschafft haben, die militärisch bewachte europäische Außengrenze zu überwinden. Der tunesische Filmemacher Walid Fellah begleitete einige u.a. mit seiner Kamera auf ihren klandestinen Reiserouten. Cunnersdorf, 23. September, Freitag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Bedingungsloses Grundeinkommen für alle – Hängematten bald ausverkauft?***. Mit Markus Härtl (BGE-Rheintal Schweiz) und Ronald Blaschke (Mitbegründer und Sprecher Die Zeitung „Links!“ kann kostenfrei abonniert werden. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Erscheinen unserer Zeitung unterstützen. Kostendeckend für ein Jahresabo ist eine Spende in Höhe von 12 Euro. Sollten Sie an uns spenden wollen, verwenden Sie bitte folgende Kontodaten:

Seite 6 vom bundesweiten Netzwerk Grundeinkommen). Eine gemeinsame Veranstaltung des Alte Schule e.V. und der RLS Sachsen. Alte Schule Cunnersdorf, Schulweg 10, 01920 Schönteichen, OT Cunnersdorf Leipzig, 27. September, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Walther Eucken – Das komplizierte Verhältnis von Freiheit und Ordnung. REIHE: Philosophische Dienstagsgesellschaft***. Mit Dr. Uwe Dathe (Jena), Moderation: PD Dr. Peter Fischer. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 29. September, Donnerstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Rosa Luxemburg und Georg Lukács. Ständiges Rosa-LuxemburgSeminar. Mit PD Dr. Volker Caysa. Moderation: Prof. Dr. Klaus Kinner. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 29. September, Donnerstag, 20.00 Uhr Film und Diskussion; Cowspiracy - The Sustainability Secret. Globalisierungskritisches Filmfestival Leipzig – globaLE***. Eine Veranstaltung von globaLE e.V. mit Unterstützung u.a. der RLS Sachsen. Heizhaus Grünau, Alte Salzstraße 63, 04209 Leipzig USA / 2015 / 91 min / Kip Andersen und Keegan Kuhn / original mit dt. UT. Anschließend Diskussion mit Gästen. Der Film rückt den Einfluss der Viehwirtschaft auf die Umwelt in den Blick. Kernaussage des Filmes ist, dass die weltweite Fleisch- und Fischindustrie einen weit größeren Einfluss auf klima- und umweltschädigende Treibhausgase hat als sämtliche anderen Abgasemissionen zusammengenommen. Dennoch findet diese bemerkenswerte Tatsache kaum oder keine Beachtung bei führenden Umweltorganisationen. Deren Standpunkte zum Thema werden explizit beleuchtet, darunter Greenpeace, Sierra Club, Surfrider Foundation und Rainforest Action Network. *** in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e.V. Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07 BIC: GENODEF1DRS Bank: Dresdner Volksbank Raiffeisenbank Aboservice: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder 0351-84 38 9773


Geschichte/Rezensionen

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Feindbild Russland Nicht genug Sitzplätze gab es in der Halle der internationalen Bücher auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse, als der Österreicher Hannes Hofbauer sein neuestes Werk vorstellte: „Feindbild Russland – Geschichte einer Dämonisierung“ heißt es, und erschienen ist es beim Promedia Verlag in Wien. Vielleicht ist das kein Zufall: Die Hauptstadt des alten ÖsterreichUngarn war immer geprägt durch enge Verbindungen zum Osten. In der gegenwärtigen Zeit spielt es auch wieder eine Rolle in der Migrationsdebatte, wo sich Wien mehr oder weniger den Visegrad-Staaten anschließt, wenn es nicht gar eine Sprecher-Rolle einnimmt. In Wien ist man, wenn man dem Außenminister glauben will, deutlich näher in den Positionen von Prag, Bratislawa, Budapest und Warschau als an der von Berlin. Wenn das geballte Wissen über die Entstehung des „Feindbildes Russland“, das der Autor in umfangreicher Recherche in dankenswerter Weise zusammen getragen hat, auch nur ansatzweise in das linke Bildungsprogramm der Rosa-Luxemburg-Stiftung aufgenommen würde, könnte es einen wertvollen Beitrag zur Völkerverständigung leisten – und mehr: Denn es vergeht nahezu kein Tag in den deutschen Hauptmedien, in denen keine russophobe Meldung an prominenter Stelle abgesetzt wird. Die Wurzeln liegen tief, und der Russenhass wurde ausgerechnet durch die Polen in Europa verbreitet. Die Universität Krakau spielte darin eine unrühmliche Rolle, wie Hofbauer herausfand. Sechs Kriege hat es von 1492 bis 1582 gegeben, zwischen Polen/Litauen auf der einen

und Russland auf der anderen Seite. Der polnische Philosoph und Mathematiker Jan Glogawa (im deutschen Sprachraum als Johannes von

deutschen Studenten aufgegriffen, die es dann als Gelehrte im deutschen Sprachraum verbreiteten. Für die Westeuropäer lagen bereits

katholischen Propaganda gleichermaßen als hassenswert. Wer das liest, fühlt man sich vielleicht an die Kommentare zum Treffen Putins mit Erdo-

Glogau bekannt) war es, der 1494 den Ptolemäus-Atlas um ein „asiatisches Sarmatien“ ergänzte und damit wohl als erster die Orientalisierung Russlands betrieb. Damals etablierte sich die Krakauer Uni bereits als Anti-Moskauer Ideologieschmiede – das dort verbreitete Weltbild des „asiatischen Barbaren“ wurde von

im 16. Jahrhundert die östlich von Polen-Litauen siedelnden Slawen „außerhalb des christlichen Erdkreises“, weshalb sich Polen-Litauen und Livland als letztes Bollwerk der Christenheit in Szene setzten. Nachdem die Türken 1526 im ungarischen Mohacs siegten und nun Wien in Gefahr war, galten Türken und Russen der

gan in St. Petersburg erinnert … Da der Slawe im Osten kein Christ – jedenfalls kein „richtiger Christ“ – ist, unternahm der Papst 1596 einen genialen Schachzug, der auch Grundlage für den heutigen UkraineKonflikt ist: Er verkündete die Katholisierung der orthodoxen Kirche im litauisch-polnischen

Herrschaftsgebiet und gemeindete damit die Ukraine in den „westlichen Kulturkreis“ ein. 400 Jahre später, so Hofbauer, kämpfen die Nachfahren der Popen mit Hass und Verbitterung um die Rückgabe der griechisch-katholischen Gotteshäuser in der Westukraine. Eine kurze Phase der Russlandfreundlichkeit erfasste den Adel in Westeuropa nach 1815 – hatte doch der Zar ihre Besitzstände gerettet. Doch damit war es mit den Polenaufständen von 1830 vorbei. Es waren exilpolnische Intellektuelle, die in jener Zeit ein gefälschtes „Testament Peters des Ersten“ in Umlauf brachten, um die angeblichen russischen Expansionspläne der Russen zu enthüllen … Und in London entwarf Halford Mackinder 1904 mit einer „Heartland-Theorie“ eine Blaupause zum Umgang mit Russland für das gesamte 20. Jahrhundert, lange bevor Reichswehr und Wehrmacht in Russland einmarschierten. In einer Denkschrift vom September 1914 sprach der Stahlbaron Alfons Thyssen Klartext: „Russland muss uns die Ostseeprovinzen, vielleicht Teile von Polen und (das) Dongebiet mit Odessa, Krim und asowsches Gebiet abtreten, um auf dem Landwege Kleinasien und Persien zu erreichen“. Der Mann wäre heute sicher Stratege im NATO-Generalstab und Beraterin von Frau von der Leyen. „Feindbild Russland“ kostet gedruckt 19,90 Euro und als E-Book 15,99 Euro. Wer die deutsche Russlandberichterstattung mitsamt ihrem ideologischen Unterbau und den historischen Hintergründen verstehen will, kommt um dieses Buch, das im wahrsten Sinne des Wortes Grundlagenwissen vermittelt, nicht herum. Ralf Richter

Geschichte der Kaderschmiede für DDR-Grenztruppen Auf einem schmalen Grat zwischen Fach- und Sachbuch balanciert die von dem Publizisten Peter Lapp als gleichermaßen kritische wie subjektive Sicht eines Westdeutschen „mit Osterfahrung“ auf die Ausbildung und Erziehung „sozialistischer Grenzoffiziere“ an der Offiziershochschule „Rosa Luxemburg“ angelegte Schrift. Neben offiziellen Veröffentlichungen der DDR-Grenztruppen oder Dokumenten des Bundesarchivs wurden auch Arbeiten und Erlebnisberichte ehemaliger Offiziersschüler sowie leitender Offiziere ausgewertet (u.a. Veröffentlichungen der Dresdner Studiengemein-

schaft SICHERHEITSPOLITIK), für deren Mitwirkung sich der Autor ausdrücklich bedankt. Durch diese Kombination hebt sich die Studie deutlich sowohl von den einseitig-negativen „West“-, als auch den einseitig-positiven „Ostveröffentlichungen“ ab, wobei letztere oft aus dem Kreis der ehemaligen „Kameraden“ stammen und zwangsläufig subjektiv bleiben müssen. Diese erste vollumfassende Darstellung der 1963 gegründeten und 1984 von Plauen (Vogtland) nach Suhl (Thüringer Wald) verlegten Einrichtung zeichnet ein hinreichend genaues Bild der Institutionenstruktur, der Bewerberauswahl, des Lehr-

körpers, der Ausbildungsarten und -profile, des Binnenklimas und der Überwachung durch den DDR-Geheimdienst. Ausgebildet wurden dort Kommandeure der Grenztruppen, Politoffiziere, Fähnriche (eine zwischen Unteroffizieren und Offizieren etablierte Laufbahn mit Fachschulabschluss) und Offiziere auf Zeit, ferner wurden Kurse zur Erlangung der Hochschulreife angeboten. Es wird deutlich, dass die DDRGrenztruppen nicht das Pendant zum mit Polizeiaufgaben betrauten Bundesgrenzschutz (BGS) waren, da sie als Militärformation unter dem Kommando des Verteidigungsministers stand. Im Kriegsfall

waren Kampfhandlungen auszuführen, wofür man z. B. mit Schützenpanzern ausgerüstet war. Über die Jahre veränderte sich das Ausbildungsprofil kaum, notwendige Reformen wie z.B. die Einführung von Lehrveranstaltungen zum Staats- und Völkerrecht kamen entweder halbherzig oder zu spät. Sicher auch deshalb, weil es wohl zu wenige „Grenzer“ wie den später vom BGS übernommenen und gerne von Lapp zitierten bzw. interviewten Hauptmann Andreas Rudolph gab, der die harte militärische Ausbildung meisterte, „aber das eigenständige Denken beibehalten habe“. Gesellschaftlich fand der Dienst bei

den DDR-Grenztruppen selten die offiziell versprochene Anerkennung. Man muss es den Grenztruppen dennoch hoch anrechnen, dass sie sich 1989 trotz der anders gerichteten Ausbildung nicht gegen den Bürgerwillen instrumentalisieren ließen, sich in ihrer absoluten Mehrheit besonnen verhielten und den Vorrang der Politik vor dem Militärischen uneingeschränkt akzeptierten. Dr. Michael Eckardt Lapp, Peter Joachim: Offiziershochschule „Rosa Luxemburg“: Kaderschmiede der DDR-Grenztruppen. Aachen, Helios Verlags- und Buchvertriebsgesellschaft.


Die letzte Seite

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Dick Gaughan – schottischer Sänger mit irischen Wurzeln den sollte. Dem schottischen Folksänger gelang es scheinbar spielerisch, Attribute wie Aufruhr, Schmerz, hoffnungsvolle Wärme mit einem Hauch der Melancholie vergangener Zeiten in einem Lied unverkrampft unter einen Gut zu bringen. Seine Songs sind wie unaufdringliche Aufforderungen zur Revolution, gewaltfrei, harmonisch, virtuos und manchmal viel zu schön in ihrer widerspenstigen Rauheit. Da scheint die wärmebringende Sonne die raue schroffe Keltenlandschaft und gibt jedem Trost, der es vermag, sich die Zeit zu nehmen, eine Platte von ihm zu später Stunde zu genießen, auch ohne die politischen Inhalte zu beachten. Doch gerade die sind es, die ihn als kämpferischen Poeten, Liedermacher und Sänger auszeichnen.

einem knappen Jahr die Gruppe, spielte kurzzeitig als Gastmusiker in der Band „High Level Reaters“ und begab sich wieder auf Solopfade, bis es sich für ihn ergab, 1977 nochmals in einem Bandprojekt mitzuwirken. Die Folk-RockBand „Five Hand Reel“, die ihn als Sänger und Gitarristen einstellte, wurde schnell als die erfolgreichste im keltischen Sprachraum gefeiert. Zwischen 1976 und 1978 entstanden drei hochkarätige Langspielplatten. Doch der „Einzelkämpfer“ entschloss sich, dem stressigen Bühnenrummel ausgesetzt, nun doch endgültig (wie er meinte), allein weiter zu machen. 1978 erarbeitete Dick Gaughan ein Soloprojekt, das er dem schottischen Altmeister Ewan MacColl widmete und das als Schallplatte mit dem

in seinem Windmühlenstudio das Doppelalbum „Folk Friends 2“ zu produzieren. Seitdem wurde Dick Gaughan auch in Deutschland bekannt und als Geheimtipp in der dortigen Folkszene bezeichnet. Es folgten unzählige Auftritte in den Studentenkellern, und 1982 führte es ihn auch in die DDR. Anlass war das Festival des politischen Liedes, wo er die Bekanntschaft mit „Wacholder“ aus Cottbus machte, einer der wichtigsten Vertreter-Bands der DDRFolkbewegung. Dieser Band gelang es auch, trotz einiger Schwierigkeiten mit den DDRKulturbehörden, eine zweiwöchige Tournee mit Dick als „Stargast“ durch die gesamte DDR zu organisieren. 1983 kam es beim BRD-Label „Folk Freak“ im Vertrieb beim Verlag „Pläne“ zu einer Platten-

Titel „Songs of Ewan MacColl“ im gleichen Jahr auf den Markt kam. 1981 produzierte er das wunderbare Album „A Handful of Earth“ das ihn nun als einen ganz eigenwilligen Protagonisten auszeichnete. Durch seine einzigartige Gitarrentechnik, die mittels offener Saitenstimmung an das Spiel einer volkstümlichen keltischen Harfe erinnert, und seine unnachahmlichen Interpretation alter irisch-schottischer Balladen sowie Songs mit sozialkritischem Inhalt gelang ihm ein unvergleichbares Meisterwerk. Im selben Jahr lud ihn Hannes Wader in die BRD ein, um mit diesem und anderen internationalen Kollegen wie Derroll Adams, Davey Arthur, Alex Campbell, Guy und Candie Carawan, Ramblin‘ Jack Elliott, Wizz Jones und anderen

produktion: „A Different Kind of Love Song“ (ein anderes Liebeslied), die als seine bedeutendste Platte galt. Auf ihr sind Lieder vertreten, die sich brisanten Themen widmen, die bis zum heutigen Zeitpunkt an Aktualität nichts einbüßen. In dem Song „Revolution“ heißt es: „Ich komme wie ein neugeborener Komet / Wie die Sonne am Morgen aufgeht … / Ich komme weil die Tyrannei meinen Samen / In den heißen Wüstenstürmen verpflanzte …/ Ich komme weil die Herrscher mit jedem Befehl / Meinen Zorn entfesselten / Ich komme weil Tyrannen immer glauben / Dass die Menschheit nur ihr Thron sei … / Und ihr, all ihr gesegneten Geldsäcke / Ihr Banditen gesalbt und gekrönt / Eure falschen Türme der Gerechtigkeit / Und Moral wer-

Stuart Chalmers / flickr.com / CC BY-ND 2.0

Das britische Folkrevival, das sich der Wiedergeburt von längst totgeglaubtem Volksliedgut widmete, wurde nicht etwa durch massentaugliche Medien ins Leben gerufen. Vielmehr spielte der Umstand eine wesentliche Rolle, dass sich dem kommerziell orientierten Mainstream eine Art Feldforschung von unten entgegensetzte. Junge, meist linksorientierte, mitunter auch schon gestandene Barden entdeckten in diesen alten Liedern rebellische Eigenschaften, denen spätestens in den Sechzigern eine beachtliche Aufmerksamkeit widerfuhr. Speziell die Lieder Schottlands und Irlands, deren keltische Sprache beide Regionen in ihrer konkreten Unverblümtheit verband, gewann rasch an Beliebtheit, zumal diese bis dahin noch nie so aufsässig interpretiert worden waren und somit den Nerv der Zeit trafen. Die wohl berühmteste Folkband aller Zeiten, „The Dubliners“, genoss bereits Mitte der Sechziger einen hohen Grad an Popularität. Ihre meist frechen, bierseligen, derb vorgetragenen Songs tauchten sogar in den einschlägigen Hitparaden auf, weil die Band die Gabe besaß, mit ihrer Rauheit die damalige Beatgeneration euphorisch zu begeistern. Ernstzunehmende Kollegen dieses Genres waren, um nur einige zu nennen, „The Chieftains“, die es sich zur Aufgabe machten, die urbane Tiefe als den Ursprung der keltischen Seele musikalisch zu ergründen, oder der aus Glasgow stammende Alex Campbell, der als Pionier der schottischen Folkmusik gilt, ebenso Ewan MacColl, der Mann, der einst mit tragbarem Tonbandgerät durch die Lande zog, um authentische Originalaufnahmen von den Liedern zu machen, die die Bergbauarbeiter in den Minen sangen, die Eisenbahner, die Hafenarbeiter oder die Seeleute, und die er dann in einer speziellen Radiosendung des BBC ausstrahlen ließ, oder die er selbst bearbeitete, um sie in die Repertoire zu integrieren. Jüngere Gruppen, zum Beispiel „The Battlefield Band“, fanden in diesen Aufnahmen ihre Inspiration und bearbeiteten diese Songs aufs Neu, interpretierten sie live oder auf ihren Platten zeitgenössischer. Einer, der zu diesem Zeitpunkt ebenfalls zur jüngeren Generation des schottischen Folkrevivals gehörte, war Richard Peter Gaughan, der später unter dem Namen Dick Gaughan der Bedeutendste seiner Zunft wer-

Dick Gaughan kam am 17. Mai 1948 in Glasgow als Sohn irischstämmiger Eltern zur Welt. Knapp zwei Jahre später zog die Familie in eine Hafenstadt in der Nähe von Edinburgh. Dick begann seine musikalische Laufbahn bereits als Jugendlicher, trat in zunächst lokal gelegenen Folkclubs auf, bevor er sich Anfang der Siebziger entschloss, hauptberuflich als Sänger und Instrumentalist zu arbeiten. Sein Debütalbum „No More Forever“ erschien 1972 und beinhaltete noch hauptsächlich traditionelles Liedgut. Mit Gleichgesinnten gründete er kurze Zeit später die Band „Boy oft he Lough“, der es gelang, kurz nach dem Erscheinen ihrer ersten LP international gefeiert zu werden. Doch um sich weiterhin zu profilieren, verließ er nach

den zu Boden stürzen …“ Dieses Gedicht aus dem Buch „Amerikanische Arbeiterlieder aus dem 19. Jahrhundert“ vertonte Dick speziell für diese Platte. Ebenso stimmt der Song „Denk noch einmal nach“ nachdenklich. Er folgt einem Gedicht von Jewtuschenko „Meinst Du, die Russen wollen Krieg?“, in dem er sich der leider oft erhobenen Behauptung, dass die Russen seien die bösen Eroberer, entgegenstellte. „Denkst Du, sie wollen das noch einmal erleben? Die Vernichtung, das Blutvergießen, das Leid und die Schmerzen? Jeder dritte Tote des Zweiten Weltkrieges war ein Russe.“ Als einen Höhepunkt seiner Arbeit bezeichnete Dick Gaughan die Produktion des Albums „True and Bold“ (Wahr und unerschrocken) von 1986. Auf dieser Platte spiegelt sich der unbeugsame Geist der Minenarbeiter Schottlands, speziell während des Arbeitskampfes der Jahre 1984 und 1985. Diese Platte zu machen war für Gaughan, wie er einmal sagte, ein wahrhaftiger Liebesdienst. Im Prozess seiner Recherchen kam er diesen Minenarbeitern so nahe wie nie zuvor. Während der großen Streiks 1984 und 1985 wuchsen sein Respekt und seine Hochachtung für den Wert der Arbeit und ihre Stärke, für die allumfassende solidarische Gemeinschaft, die von den Minenarbeitern und deren Familien verkörpert wurden. Dick Gaughan selbst äußerte über sein Werk: „Diese Platte ist ein Ausdruck von Solidarität und Dankbarkeit mit den edelsten Menschen, die ich jemals kennengelernt habe. Es geht in den Liedern um Kampf, Gefahr, Tod, Liebe und all die anderen Aspekte menschlicher Erfahrungen, vor allem handeln sie von der Hoffnung und Zuversicht, dass wir zusammen die Welt verändern können, für eine lebenswerte Zukunft, auch für unsere Kinder.“ 1995 ließ er sich überreden, mit dem Musiker Davy Steele doch noch einmal eine Band zu gründen. Doch auch „Clan Alba“ verließ er bald. Sehr hörenswert ist auch die Scheibe, die er gemeinsam mit dem irischen Multiinstrumentalisten und Sänger Andy Irvine aufnahm: „Parallel Lines“. Und so scheint hier ein Zitat des Dichters Hugh MacDiarmid zuzutreffen: „Schottischer Stahl geschmiedet mit irischem Feuer ist die Waffe, die ich begehre“. So schließt sich der Kreis. Jens-Paul Wollenberg


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September 2016

Sachsens Linke

Wir werfen wieder einen Blick ins Innere des Versandgroßhändlers Amazon und auf eine spannende Plakatausstellung. Außerdem geht es um allerlei spannende Bücher und um die Sommertour unserer Europaabgeordneten

Cornela Ernst, um die neuesten Aktivitäten des Jugendverbands und um den Bundeshaushalt.

Und Caren Lay erinnert zum 25. Jahrestag an die rassistischen Ausschreitungen in Hoyerswerda.

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Türkei im Ausnahmezustand – und die EU schaut zu „Komm, lass uns lieber reingehen“. Das sagt man an einem Sommerabend vorm Hotel in Diyarbakir, wo man sicher nicht als Tourist die antike Innenstadt bewundern will. Attentate, Ausgangssperren, Verhaftungen und Tränengas sind in Alltag. Kein Putschversuch, „nur“ ein Wahlsieg der Kurden-Partei HDP durchkreuzte damals Erdogans Träume von einer islamisch geprägten, präsidialen türkischen Republik. Was sich nach den Wahlen vom 1. November 2015 in den kurdischen Regionen abspielte, war die Ausübung unerklärten Kriegsrechts. Enteignungen von Grundstücken, auf denen ausgebrannte Wohnhäuser stan-

tenden in Angriff zu nehmen, verbündeten sich die EU-Mitgliedstaaten mit Erdogan für ihre Abschottungspolitik. Mitte März wurde der EU-Türkei-Deal vom Europäischen Rat verabschiedet. Wäre er ein Abkommen, hätte das die Mitbestimmung des Parlaments zur Folge gehabt. So blieb er eine Erklärung, ein heißgestrickter Verrat an Menschenrechten. Die Debatte um das Ende der Beitrittsverhandlungen ist scheinheilig – der Beitritt steht nicht auf der Agenda. Noch 2004 gestaltete die CDU ihren Europawahlkampf mit dem Einsatz für einen christlichen Gottesbezug in einer Europäischen Verfassung und leitete ab, dass

weiß schon, was Despoten vorhaben. Neuwahlen braucht Erdogan nicht. Nach der Immunitätsaufhebung genügen nach türkischem Wahlrecht regionale Nachwahlen, was insbesondere in den destabilisierten kurdischen Gebieten schwierig ist. Der andere Weg, den Erdogan gehen kann, wäre ein Referendum zur Einführung einer präsidial geführten Türkei. Jetzt nutzt er den Ausnahmezustand, um staatliche Strukturen weitgehend ohne parlamentarische Kontrolle umzubauen. Obwohl er angekündigt hat, dass die Bürger*innen keine Einschränkungen zu erwarten haben, wird sich vor allem seine Enteignungswelle gegen Institutionen,

dem Schwule verfolgt und getötet werden und radikalisierte AKP-Anhänger aller politischen Opposition den Tod wünschen, ist zuerst für syrische Flüchtlinge aus der Hölle von Aleppo ein Problem und ebenso für die kurdische Opposition in Syrien und im Irak. Letztlich beteiligt sich die EU am Aufstieg eines islamistisch geprägten Herrschaftsregimes, das sie andererseits vorgibt, im Innern zu bekämpfen. Man wird das Gefühl nicht los, dass sich die EU-Mitgliedstaaten vor den Wahlen 2017 in Frankreich und Deutschland keinen Millimeter bewegen wollen. Zu diesem Durchwursteln kommen die unbewältigte Eurokrise und das

den, folgten dem Krieg gegen die Zivilbevölkerung, der offiziell militanten PKK-Kämpfern galt. Eine Aufklärung steht aus. Letztlich erfasste die staatliche Repression die gesamte Gesellschaft. Nach der Verfolgung in- und ausländischer Journalist*innen wurden Menschen, die den Aufruf „academics for peace“ unterstützt hatten, angegriffen, Redaktionsgebäude erstürmt, Menschenrechtsanwälte erschossen. Die Immunität von 138 Parlamentsabgeordneten wurde aufgehoben. In der HDP trifft es fast alle Mandatsträger, sie rechnen nun mit mehrjährigen Haftstrafen. Nichts an diesen Entwicklungen hat die EU daran gehindert, Erdogan als Verbündeten zu pflegen. Statt eine Politik gegen Fluchtursachen und für einen humanen Umgang mit Flüch-

die Türkei nicht in die EU gehört. Eine säkulare Türkei gab es für sie offenbar nicht. Diesmal ist die Ablehnung des Beitritts eine Reaktion auf Erdogans Säuberungswellen nach dem gescheiterten Putsch und die mögliche Einführung der Todesstrafe. Doch die Türkei ist Mitglied des Europarates und hat die Grundwertecharta unterzeichnet, die sich nicht mal kurzzeitig aussetzen kann. Beitrittsverhandlungen aus menschenrechtlichen Gründen abbrechen zu wollen, aber den Flüchtlingsdeal aufrecht zu erhalten, ist keine überzeugende Politik. Unterdrückung von Andersdenkenden, Frauen, Schwulen, Lesben, Medien, ein Ende des Laizismus in staatlichen Institutionen, eine islamische Republik, ein Ausbau seiner Regionalmacht zwischen dem Nahen Osten und Europa – wer

die er der „Parallelstruktur“ seines Intimfeindes Gülen zurechnet, fortsetzen. Dass die EU diesen Prozess der autokratischen Herrschaftsübernahme stützt, ist mit Blick auch auf andere Regime nicht verwunderlich. Allerdings ist die Verflechtung der türkischen Gesellschaft innerhalb vieler europäischer Mitgliedsländer – auch in Deutschland – ungleich größer als zum Beispiel mit den Golfstaaten. Insofern hat die Nachbarschaftspolitik mit der Türkei nicht nur geopolitisch eine besondere Bedeutung. Die Türkei ist geografisch, historisch und kulturell ein Teil Europas. Die Traditionen der auf Laizismus setzenden Staatsgründung durch Atatürk stehen derzeit auch ideologisch in der Türkei zur Debatte. Das tief gespaltene Land, in dem kürzlich eine kurdische Hochzeit angegriffen wurde, in

Demokratiedefizit der EU. Das alles ist Treibstoff für alle islamophoben Parteien und Strömungen von Le Pen bis Wilders, von UKIP bis AfD, von Lega Nord bis zur Goldenen Morgenröte. Es ist weder hilfreich, den Islam aus der eigenen Umklammerung durch seine ideologischpolitische Vereinnahmung im Islamismus zu befreien, noch bringt diese Entwicklung Licht in das politische Projekt des Islamischen Staates, sein Wirken mitten in Europa. Es werden nur Millionen Muslime in Mithaftung genommen für alles, was in unseren Gesellschaften so schiefläuft. Stattdessen brauchen wir Muslime in Europa, ob langjährig mit uns lebend oder hinzugezogen, als Verbündete. Das ist kein Spaziergang, doch soziale und kulturelle Integration ist keine Einbahnstraße. Martina Michels, MdEP

TTIP und CETA stoppen!

Was soll man davon halten? Sigmar Gabriel geht öffentlich auf Distanz zu den lange gegen die Interessen einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung durchgeprügelten TTIP-Verhandlungen. Frankreich will deren Ende beantragen. Selbst in den USA steht der Prozess auf tönernen Füßen. Ist TTIP am Ende? Wohl kaum. Gabriels Distanz zu TTIP ist taktischer Natur. Im Vorfeld zweier Landtagswahlen und nach einer Reihe von Wahlgängen, bei denen die SPD ordentlich einstecken musste, versucht er mit dem Kurswechsel Bürgernähe zu demonstrieren, auch in der Suche nach potentiellen Bündnispartnern jenseits der CDU. Es war aber dieser Wirtschaftsminister, der der Bevölkerung noch vor kurzem vorwarf, TTIP nicht zu wollen, weil sie „reich und hysterisch“ sei. Und es ist dieser SPD-Vorsitzende, der mit einem ZickZack-Kurs gerade gewonnenes Vertrauen in den Weg der SPD regelmäßig wieder zerstört. Die Nagelprobe eines Kurswechsels zu TTIP wird deshalb das Verhalten der SPD in Bezug auf ein anderes Abkommen sein. Just in der Woche nach dem 17. September, an dem ein breites Bündnis in sieben deutschen Großstädten gegen TTIP und CETA mobilisieren wird, stimmt die SPD über ihre Zustimmung zu CETA ab. Sollten sie dieses Abkommen durchgehen lassen, ist alles weitere Reden über Kurswechsel sinnlos. Erhöhen wir also den Druck: In Leipzig wollen wir als Teil des Bündnisses Flagge zeigen. Ich hoffe auf euch und einen starken LINKEN Block auf der Demo. Also: Auf nach Leipzig am 17. September! TTIP und CETA stoppen!


Sachsens Linke! 09/2016

Meinungen

Zu „Zwischen den Kriegen Spanien und die Pariser Weltausstellung von 1937“ (Links! 07-08/2016, S. 7) Leider enthält der Artikel neben vielen richtigen und wichtigen Aussagen mehrere Fehler. Der harmloseste ist noch „April 1936“ statt „April 1937“. Die UdSSR hat im Gegensatz zu den westeuropäischen Großmächten Großbritannien und Frankreich die spanische Republik mit zivilen Hilfsgütern für die notleidende Bevölkerung und später auch mit Waffen unterstützt. Der Nichtangriffsvertrag UdSSR-Drittes Reich wurde erst 1939 geschlossen. 1937 gab es einen entsprechenden Vertrag zwischen Polen und dem Dritten Reich. Dieser führte dazu, dass bei der Zerschlagung der CSR Polen sich einen Teil einverleibte. Die UdSSR bot den Westmächten ein gemeinsames Vorgehen gegen die Nazis an. Diese lehnten ab. Sie wollten, dass die Nazis die Linken in Spanien und der UdSSR bekämpfen, die Nazis sie selbst aber nicht angreifen. Auch das Angebot der UdSSR an die CSR und später an Polen, sie mit zu verteidigen, wurde abgelehnt. Deshalb zwangen die Westmächte die UdSSR in den Vertrag mit den Nazis, wenn die UdSSR nicht schon 1939 den faschistischen Überfall riskieren wollte. Uwe Schnabel, Coswig Zum Brexit (Sachsens Linke! 07-08/2016, S. 4, 11, 12) Nicht nur die Lissabon-Verträge, sondern auch die vorhergehenden Verträge legten die EU als Wirtschafts- und Fiskalunion fest. Vorrang des Marktes vor sozialer Sicherheit und Demokratie („marktkonforme Demokratie“), wirtschaftliche Ausplünderung, Waffenexporte, militärische Interessendurchsetzung, Geflüchtetenbekämpfung und Druck auf Staaten, die sich nicht unterwerfen wollen, sind wesentliche Bestandteile der EU-Politik. Europa umfasst auch einen Großteil Russlands. Der Einsatz für eine neue soziale Idee, für soziale Rechte und Sicherheiten der einfachen Menschen, für Weltoffenheit und für ein demokratisches Europa kann also nur gegen die EU erfolgen und sollte sich nicht

auf die EU beschränken. Sonst überlassen wir die mehr als berechtigte EU-Kritik den Rassisten und Nationalisten und treiben die sozial Benachteiligten in ihre Arme. Unter Führung der Brexit-GegnerInnen verhandelt Britannien jetzt den Austritt. Dass sie eine Verzögerungstaktik betreiben und dass die reicheren Brexit-GegnerInnen eine neue Volksabstimmung fordern, ist verständlich. In der EU wurde auch bisher genau solange abgestimmt, bis das Ergebnis den Herrschenden passte. In der Labour-Partei wollen die EU-AnhängerInnen ihren relativ linken Vorsitzenden mit allen Tricks loswerden. Was spricht somit für ein Bündnis mit diesen für die EU, statt des Einsatzes für ein soziales und demokratisches Europa in einer solidarischen Welt gegen die EU? Rita Kring, Dresden Zu „Patriotismus fürn Arsch“ in „Sachsens Linke!“ 0708/2016 „Die Linken und die Nation“ ist ja regelmäßig wiederkehrendes Thema zu diversen internationalen Sportereignissen, im nd schon mal zugespitzt worden mit der Frage: „Darf man als Linker ein deutsches Tor bejubeln?“ – Man kann auf so was warten. Aber aus der „wissenschaftlich“ begründeten Ablehnung der Nation in „Patriotismus fürn Arsch“ (die Nation als bürgerliches Konstrukt) folgt doch zwingend, dass die Argumentation dann gegen jede Nation gelten muss – oder fast gegen jede. Würde sich der Autor zutrauen, das auch etwa einem Franzosen, einer Kubanerin oder einem Israeli zu erklären – natürlich in Bezug auf deren jeweilige Nation? Oder handelt es sich bei dem Text schlicht um ein „antideutsches“ Pamphlet, so dass ich mich fragen muss, was dieses in einer Zeitschrift der LINKEN soll? Horst Hesse, Leipzig Zu „Nicht Braunkohle, sondern aktive Politik ist die Brücke!“ (Parlamentsreport Juni 2016, S. 1) In Vorbereitung der Reform des EEG haben sich viele Interessengruppen und Lobbyisten zu Wort gemeldet. Tat-

Impressum

Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.

Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V.,

Seite 2 sächlich hat die Energiewende sehr viele „Baustellen“. Sie umfasst die verschiedenen Bereiche der Stromerzeugung, den Ausbau des Stromnetzes, den Ausstieg aus den AKW, die generelle Senkung des Energieverbrauchs, die Senkung des C02–Ausstoßes durch Braunkohlekraftwerke und den gesamten Verkehr bis hin zu den Strompreisen, die von Industrie und den Normalkunden zu bezahlen sind. In Sachsen und Brandenburg steht allerdings der Kampf um die Braunkohle im Vordergrund. Aktivisten von „Ende Gelände“ fordern den unverzüglichen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung, wobei unklar bleibt, was „unverzüglich“ bedeutet. Bei einem kurzfristigen Ausstieg aus der Braunkohle besteht allerdings die Gefahr des Blackouts, da die Stromerzeugung aus Wind und Sonne vom Wetter und Tageszeit abhängen. Ich befürworte deshalb ausdrücklich die Forderung der Linksfraktion im Landtag, für ein „Gesetz zur Bewältigung des Strukturwandels“ zu sorgen und einen Braunkohle-Strukturwandelförderfonds vorzuschlagen. Bei der EEG-Reform ist das zukünftige Fördersystem umstritten, da befürchtet wird, dass die sogenannten „Erneuerbaren“ ausgebremst werden. Hier stehen sich Befürworter des festen Vergütungssystems von Windstromanlagen (die auch als Gelddruckanlagen gelten) und der Förderung für Strom nur noch über Ausschreibungsverfahren gegenüber. Erst die Zukunft wird zeigen, ob die Einführung des Ausschreibungsverfahrens tatsächlich zum Ausbremsen der „Erneuerbaren“ führt (Ergänzend sei gesagt, dass man Energie nicht erneuern kann, nur umformen, und es gibt auch keine Regenerative Energie, was wörtlich zurückerzeugen heißt). Den alternativen Energien gehört die Zukunft, wann aber können sie die Stromversorgung zu 100 % decken? Für positiv im Sinn der Bürger halte ich das Gesetz über Mindestabstände von Windkraftanlagen zu Wohnbebauungen vom Bayerischen Landtag, d. h. die 10 H- Regelung. Längst ist nachgewiesen, dass der Aufenthalt in der Nähe von Windrädern die Menschen krank machen kann. Die wichtigste Frage für die

Bürger – welche Entwicklung ist bei den Strom- und Energiepreisen aus dem neuen EEG zu erwarten? –, ist nicht beantwortet. Hier wird sich wahrscheinlich die Aussage der Energieexpertin Claudia Kemfert vom DIW bewahrheiten. Sie kritisiert, dass mit dem neuen EEG neue Kostentreiber beschlossen wurden und die Preise eher nach oben gehen. Siehe nd vom 08.07.2016. Dipl.-Ing. Joachim Loos, Bautzen „Uns fehlen die Brot-undButter-Themen“: Zum Interview mit Sebastian Scheel in der Freien Presse vom 16.06.2016 DIE LINKE ist eine „plurale“ Partei, so wird es immer wieder von Führungskräften und Abgeordneten betont. Dennoch wäre es hilfreich und wünschenswert, wenn es vorher Rücksprachen und Abstimmungen mit Einigung gäbe, ob ein solches Interview in dieser Weise gegeben werden sollte. Ich meine, dieses Interview ist nicht hilfreich sowohl für die innere Auseinandersetzung um die zweckmäßige politische Strategie wie auch hinsichtlich einer Verbesserung der Außenwirkung der (sächsischen) LINKEN. Mindestens in zwei Dingen hat Sebastian Scheel recht: DIE LINKE ist auf die gegenwärtigen Auseinandersetzungen mit dem sich verstärkenden Rechtstrend in der Gesellschaft schlecht vorbereitet. Und „der Staat“ hat längst versagt in der Verteilungsfrage. Abgesehen von Gysis Bemerkung über die Kraft- und Saftlosigkeit der aktuellen LINKEN – sie ist auch seine Erbe (!) –, erschließt sich mir nicht, was der Tortenwurf auf Sahra Wagenknecht wesentlich mit dem inneren Strategiestreit der LINKEN zu tun haben soll. Sebastian Scheel stellt (wieder mal) „Reformer“ und „Dogmatiker“ gegenüber. Das wird dem „pluralen“ Charakter der Partei nicht gerecht. Er „vertieft“ dies noch in der Gegenüberstellung von „Werte vor sich her tragen“ und „für Probleme der Leute Lösungen anbieten“, was dann offenkundig den o. g. zwei Gruppen zugeordnet ist, wobei die „Reformer“ natürlich an den Lösungen für die Leute dran sind. Und wenn „Dogmatiker das Ruder übernehmen“, dann werde DIE LINKE zur Sekte. Diese Feststellung konterkariert sowohl den Pluralismus wie die demo-

kratische Willensbildung. Mit einem derart oberflächlichen Reflexionsniveau kann man m. E. die gegenwärtigen Probleme der (sächsischen) LINKEN nicht hinreichend erfassen. Wer die gegenwärtige problematische Situation der LINKEN nur als Gegensatz von „Reformern“ und „Dogmatikern“ reflektieren kann, ist selber ein „Dogmatiker“. Nicht genug damit, kommt nun das „Staatsverständnis“ zur Sprache, wiederum als platter Gegensatz von „an der Seite stehen und rummosern“ oder „etwas ändern wollen“. Sebastian Scheel sieht ein „linkes Lager“ offenkundig staatstragend parteipolitisch als „RotRot-Grün“. Das ist nicht „links“, es ignoriert die vielen wirklich linken Initiativen und Bewegungen in der Gesellschaft, die parlamentarisch gar nicht vorkommen. Das ist nicht „links“, wenn man, der historischen und wissenschaftlichen Tradition gemäß, dies mit „sozialistisch, solidarisch, sozial, humanistisch, antimilitaristisch“ verknüpft. Gerade wurde auf dem Bundesparteitag mehrfach, und nicht nur von Führungskräften, deutlich festgestellt, dass weder die SPD noch die GRÜNEN gegenwärtig Positionen vertreten, die einer solchen Überlegung zu einer solchen Lagerbildung eine sachliche Grundlage gäben. Sebastian Scheel scheint keine wirkliche Kenntnis der Arbeit manch anderer Abgeordnetenbüros ebenso wie der Arbeit mancher Landesweiter Zusammenschlüsse zu haben. Da ist etwa die LAG Hartz IV, in der einige Mitglieder sehr aktiv in der ALG II -Beratung sind. Auch die Gemeinde- und Stadträte dürften genug „Brot- und Butterthemen“ haben. Wenn diese bei Abgeordneten nicht ankommen und auch nicht in Orientierungspapieren der Parteiführung(en), dann muss endlich mehr über die Arbeitsweisen in dieser Partei zwischen Ehrenamt und (abhebendem) Berufspolitikbereich nachgedacht werden. Sebastian Scheel selbst scheinen die „Brot- und Butterthemen“ abhandengekommen zu sein. Er nennt zwar wichtige Dinge, aber es bleibt blutlos abstrakt. Wie also macht man Vermögenssteuer, Reichtums(ver) teilung, Rente usw. zu einem „Brot- und Butterthema“? Ralf Becker, Zwickau

Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus gedruckt.

Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio.

Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 01.10.2016.

Der Redaktion gehören an:

Kontakt:

Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt, Ralf Richter, Stathis Soudias.

kontakt@dielinke-sachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720 Redaktionsschluss 25.08.2016


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Bilder einer Ausstellung – aktueller denn je! Vom 13. Bis 25. August fand in Leipzig die III. Internationale Plakatausstellung statt. Gezeigt wurden 95 von über 1.100 eingereichten Plakaten aus aller Welt. Das Museum für Galvanotechnik stellte seine Ausstellungsräumlichkeiten zur Verfügung. Nicht zuletzt auch durch die Nutzung der Galvanotechnik für die Drucktechnik wurde Leipzig zu einem Zentrum der polygrafischen Industrie und zur Buchstadt. In dem zur Ausstellung gehörenden Werbeflyer sind kritische Worte zur Nutzung von Plakaten in der Ge-

sellschaft zu lesen, die ich ungekürzt wiedergeben möchte: „Plakatflächen und Anschlagsäulen gehören dem kommerziellen Plakat. Ihre Sprache ist entsprechend. Die mediengerechte Gestaltung tritt in den Hintergrund, fachliche Qualifikation scheint nebensächlich zu sein … Die beliebige und kenntnisfreie Benutzung der modernen Technik mag ihren Teil dazu beitragen. Man muss, um Drucken zu können, nicht mehr z. B. eine hochentwickelte Technik des Galvanisierens zur Verfügung haben. Ein Tastendruck in der Hand ei-

nes Laien genügt, schon ist ein gedrucktes Werk im Gange. Gutes Papier, gute Farbe und alle Schriften der Welt, Fonts genannt, was will man mehr. Ach ja, und ein paar illustrative Zutaten, sogenannte Cliparts, sind im Internet schnell gefunden. Fertig. Gestaltung ist da nur noch lästiger Aufwand.“ Die Ausstellung zeigte das Gegenteil. Die Arbeiten aus 21 Ländern zeigen, „dass große Themen und soziales Engagement Plakate entstehen lassen, die ein Spiegelbild zeitgemäßer Kunst sind. Wenn auch vorläufig Plakate dieser Art vorwiegend

in Kunstausstellungen zu sehen sind, wird ihnen doch ein Weg in die Öffentlichkeit nicht für immer verwehrt sein.“ Schauen wir uns Plakate bei den Linken an, können wir sicher auch ähnliche Kritik äußern. Darum hier einige Plakate aus der Ausstellung als Anregung für linke Me-

Hier spricht die Amazon-Belegschaft Der Internetriese Amazon will ein positives Bild von sich in der Öffentlichkeit zeichnen. Dafür fährt er riesige Imagekampagnen. Das dient aber einzig und allein dem Selbstzweck, keine Kunden zu verlieren. Denn das einzige, was für Amazon wirklich zählt, sind Einnahmen. Moral und Ethik bleiben auf der Strecke, nicht nur den eigenen Mitarbeitern gegenüber, sondern auch in Bezug auf die Produkte, die auf der Internetseite angeboten werden. Zwei Beispiele sollen das verdeutlichen. Ein Mitarbeiter stieß, während er eine aktuelle Bestellung bearbeitete, auf ein verdächtig klingendes Buch. Dessen Name: „Die Freiwilligen der Waffen-SS – Idee und Opfergang“ von Felix Steiner. Daraufhin las sich der Mitarbeiter die Rückseite des Buches durch, um zu überprüfen, inwieweit man auf eine illegale Verherrlichung des Nationalsozialismus im Buch schließen kann. Da auch der Klappentext auf eine Verherrlichung hindeutete, ging der Mitarbeiter zu sei-

nem vorgesetzten Manager und schilderte sein Problem. Dieser Manager wollte in dem Augenblick selbst keine Entscheidung treffen und gab die Anweisung, das Buch weiterzubearbeiten. Er schrieb sich noch den Titel auf, um ihn zur Überprüfung an die Abteilung Qualitätssicherung weiterzugeben. Dann fragte der Manager den Mitarbeiter noch, wie er denn überhaupt auf die Idee gekommen sei, dass ein illegaler Inhalt vorliegen könnte. Daraufhin schilderte der Mitarbeiter den Vorgang und wurde anschließend scharf darauf hingewiesen, dass er so etwas bitte in Zukunft zu unterlassen habe, da die bestellte Ware das Versandlager zu einem bestimmten Zeitpunkt verlassen und durch solches Verhalten unnötige Verzögerungen auftreten könnten. Außerdem gehöre das Lesen von Klappentexten nicht zur eigentlichen Aufgabe des Versandmitarbeiters und verstoße somit gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten. Für das Buch gibt es auch eine Bewertung eines Amazon-

dienmacherInnen. Ralf Fiebelkorn Bilder: Jochen Fiedler Abbildung: David Criado. „Mehr als 2500 Geflüchtete sind in diesem Jahr bei dem Versuch gestorben, das Mittelmeer zu überqueren“

Wo bleiben Ethik und Moral?

Kunden. Aus ihr lässt sich erkennen, welche Klientel dieses Buch kauft und liest. Der Kunde findet die Waffen-SS nur ironischerweise schlecht und freut sich gleichzeitig, dass dieses Buch politisch unkorrekt ist. Das Werk ist in Deutschland frei verkäuflich, allerdings wird vielen Menschen unwohl, wenn sie zur Verbreitung von menschenverachtender Ideologie beitragen sollen. Einem anderen Kollegen fiel während der Arbeit ein anderes Buch ins Auge, das aber nicht zu der Bestellung gehörte, die er zu bearbeiten hatte. Es trägt den Titel „Family Nudes“. Darin sind nackte Kinder und Erwachsene abgebildet, in verschiedenen Posen. Zusammen mit einem anderen Kollegen sah sich dieser Mitarbeiter das Buch an, um es dann einer Vorgesetzten zu melden. Anstatt sich aber mit dem Problem auseinanderzusetzen, musste sich auch dieser Kollege rechtfertigen, aus welchem Grund er in seiner Arbeitszeit ein Buch angeschaut habe. Außerdem gab die Vorge-

setzte an, dass sie auf den Bildern nichts Verwerfliches erkennen könne. Daraufhin ging der Mitarbeiter zur Abteilung für Qualitätssicherung, um es dort zu melden. Dort wurde ihm bestätigt, dass dieses Buch schon mehrfach zur Überprüfung vorgelegen habe und immer wieder freigegeben werde. Amazon ist der Meinung, dass dieses Buch als Kunst einzustufen sei. Es gibt auch noch andere Bücher in gleicher Manier, die alle bei Amazon frei zu erhalten sind. Aber auch für dieses Buch gilt, dass vielen Menschen sehr unwohl wird, wenn sie an seinem Verkauf beteiligt sind. Ob diese Art von Büchern wirklich als Kunst einzustufen ist oder nicht, wurde in den Medien ausführlich im Rahmen der Edathy- Affäre diskutiert. Meine Meinung ist folgende: Wenn Nacktheit öffentlich dargestellt wird, dient sie dazu, sexuelle Erregung zu stimulieren. Wenn Kinder auf Fotos oder Filmmaterial öffentlich nackt dargestellt werden, liegt der Verdacht nah, dass sie sexuel-

le Erregung bei Pädophilen und Kinderschändern hervorrufen sollen. Daher ist öffentliches Bild- und Filmmaterial von nackten Kindern, sei es nun Kunst oder nicht, als kinderpornografisch zu werten und zu verurteilen. Auch sollten sich die Eltern, die diese Bilder freigeben, fragen, ob ihre Kinder diese Fotos einmal gutheißen werden, wenn sie älter sind. Beide Vorfälle ereigneten sich in unterschiedlichen Schichten mit unterschiedlichen Vorgesetzten. Die Reaktion darauf war jedoch identisch: Die Mitarbeiter wurden beschuldigt, ihrer Arbeit nicht nachzugehen. Anstatt sich mit der ethischmoralischen Seite dieser Vorfälle zu befassen oder diese Ware sogar aus dem Sortiment zu entfernen, geht man lieber auf die Mitarbeiter los, die Bedenken äußern. Amazon will seine Produkte verkaufen, um jeden Preis. Da bleibt für Ethik und Moral kein Platz. Beide Bücher kann man zum jetzigen Zeitpunkt immer noch bei Amazon bestellen. Hector


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Anmerkungen zum Weißbuch 2016 sagen ein flaues Gefühl? Fallen mir doch Auslandseinsätze ein, wo z. B. ein Bundeswehroberst im afghanischen Kunduz einen Luftschlag befahl, bei dem vornehmlich Zivilisten starben. Egal unter wessen Führung sie standen, nach Abzug fremder Truppen aus den Kriegsgebieten (Irak, Afghanistan) hat sich die Sicherheitslage nicht wirklich verbessert. Oft zitiert wird die Bedeutung der NATO für die deutsche Sicherheitspolitik: „Die Festigung des Zusammenhalts und die Stärkung der Handlungsfähigkeit von NATO und EU (!) sind für Deutschland von herausragender Bedeutung“. Ist die Nennung der EU in

diesem Zusammenhang ein Hinweis auf deren Militarisierung? Natürlich werden neue Konflikte ausgemacht, wie auch der Hinweis auf neue Bedrohungen nicht fehlt. Beispiel Russland: Hier gehört zu Recht die Annexion der Krim kritisiert, aber einseitig wird es, wenn man sich angesichts der Einkreisung Russlands durch die NATO über dessen Erhöhung militärischer Aktivitäten an den Außengrenzen der EU wundert und eine Modernisierung der russischen Streitkräfte beklagt. Neu beschrieben werden „Herausforderungen aus dem Cyber- und Informationsraum“. Cyberangriffe auf Staaten und

kritische Infrastrukturen seien keine Fiktion mehr. Zudem sind islamistische Terroranschläge die Deutschland erreicht haben, in die Herausforderungen künftiger Sicherheitspolitik eingerastet worden. „Wirksame Rüstungskontrolle, Transparenz und Vertrauensbildung sowie eine restriktive Rüstungsexportpolitik bleiben Voraussetzung, Mittel und Grundlage friedlicher Streitbeilegung und Abrüstung“. Hier sind wir beim Wohlklang der Worte, die Praxis der Rüstungsexporte ist alles andere als restriktiv. Von einem Verbot, wie es bislang nur eine Partei fordert, will man nichts wissen.

Wir. Dienen.Deutschland. / flickr.com / CC BY-ND 2.0

Weder liest es sich als Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ noch als Lenins „Dekret über den Frieden“: das „Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“. Kriegerisch, gewalttätig, war es immer. Angela Merkel schrieb einführend: „Die Welt im Jahr 2016 ist eine Welt in Unruhe“. Auslandseinsätze der Bundeswehr, völkerrechtswidrige Grenzverschiebungen, das Drehen an der Rüstungsspirale und der Zuwachs an terroristischer Gewalt gehören verstärkt zur Tagespolitik. Verteidigungsministerin von der Leyen hinterließ: „Deutschland beweist in den aktuellen Krisen, dass es zu seiner sicherheitspolitischen Verantwortung steht. Und auch, dass wir zu führen bereit sind“. Auf Hochglanzpapier gedruckt, mit wohlklingenden Worten versehen und illustriert mit keinesfalls nur waffenstarrenden Fotos haben wir es hier mit dem „obersten sicherheitspolitischen Grundlagendokument der Bundesrepublik“ zu tun. Sicherheitspolitik wird darin sehr komplex verstanden. Im Teil II geht es um die Bundeswehr, ihre Aufgaben und ihren Auftrag, um Vorgaben für ihre Fähigkeiten. Viel Text. Was steckt dahinter? Des Öfteren ist die Rede davon, Deutschland sei bereit, Führung zu übernehmen. Warum bekomme ich bei solchen Aus-

Leipziger politische Opfer (1933 – 1945) Als der Leipziger Historiker Dr. Dieter Kürschner 2013 verstarb, befand sich in seinem Nachlass das Manuskript „Leipziger politische Opfer des Nationalsozialismus 1933 – 1945“. Es war ein Fundus, der nicht nur für die regionale Geschichtsschreibung von Bedeutung ist. Indem Dr. Manfred Hötzel und Frank Kümmerle, unterstützt von fünf Leipziger Antifaschisten, das Manuskript zur Druckreife bearbeitet und veröffentlicht haben, hat Dieter Kürschner die verdiente Anerkennung erfahren. Kürschner, bis 1990 Oberstleutnant der NVA, war langjährig mit der Bewahrung des Andenkens an die Opfer der faschistischen Gewaltherrschaft befasst, wovon zahlreiche seiner Publikationen zeugen. Zu erinnern ist an seine Berufung Anfang der 1990er Jahre als sachkundiger Bürger in die Kommission Straßenum- und Neubenennung des Leipziger Stadtrates. Hierüber heißt es im Vorspann: „Mit großem Einsatz verteidigte Kürschner nach Antifaschisten benannte Straßennamen. Manche bilderstürmische Attacke auf Straßennamen aus der DDR konnte er, gestützt auf große Sachkenntnis, mit Ruhe und

gelegentlich auch Ironie, abwehren, aber auch vertretbare Kompromisse eingehen“. In den Jahren danach war Kürschner Mitglied der Arbeitsgruppe Gedenkbuch, gebildet auf Beschluss des Stadtrates vom 13. September 2000. Sie hatte die Aufgabe, die Namen aller durch das faschistische Regime ermordeten Leipzigerinnen und Leipziger mit den wichtigsten biografischen Daten zu verzeichnen. Am 27. Januar 2010 wurden unter dem Titel „Gedenk- und Totenbuch der Leipziger Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft von 1933 bis 1945“ die ersten Ergebnisse der Stadt übergeben. Über nahezu zwei Jahrzehnte publizierte Kürschner regelmäßig in LEIPZIGS NEUE. Das dem Druck zugrundeliegende Manuskript stammt vom April 2012. Vorangestellt sind ihm das Vorwort der Herausgeber, die Kurzbiografie des Autors, Erläuterungen sowie eine Einleitung von Dieter Kürschner, datiert vom 7. April 2012, ergänzt durch Worterklärungen, Abkürzungsverzeichnis und Personenregister. Den Kurzbiografien liegt ein einheitliches Schema zugrunde. In der Regel enthalten

sie Name, Geburtstag und -ort, Todestag, Beruf, politische Tätigkeit, Wohnanschrift, Verhaftungsgrund, Urteil und Haftort sowie einen Literatur- und Quellennachweis. Die verzeichneten Personen sind in Leipzig geboren, haben längere Zeit in Leipzig gearbeitet, gelebt oder sind als Nicht-Leipziger in Leipzig verurteilt, ermordet, hingerichtet oder umgekommen. Ebenso ist der Begriff „politisch“ weit gefasst, „zunächst natürlich als politischer Widerstand gegen den Nationalsozialismus in jeder Form“. Weiter wird vermerkt: „Aber auch Menschen, die keinen direkten Widerstand geleistet haben und eher als unpolitisch zu sehen sind, aber letztlich aus politischen Gründen wegen ihrer Rasse, ihres Geschlechtes, ihrer Weltanschauung und ihres sozialen Verhaltens verfolgt und ermordet wurden, sind erfasst“. Insgesamt verzeichnet die Dokumentation rund 550 politische Opfer. Gemäß diesem Anliegen ist der Band, dessen Druck die F. C. Flick Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz unterstützt hat, gegliedert in 1. Politische Opfer der NS-Gewaltherrschaft; 2. Leip-

ziger Opfer in der Strafeinheit 999; 3. Opfer der NS-Militärjustiz; 4. Gefallene und gestorbene Leipziger Spanienkämpfer; 5. von Leipziger Militärgerichten zum Tode verurteilte und hingerichtete Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere; 6. Im April 1945 bei Massakern Ermordete. Hinzu kommen sieben Anlagen zu Statistiken, Überlebenden, Straßennamen, Denkmale, Opfer unter den Zeugen Jehovas (Bibelforscher) und „Wirtschaftsverbrechern“ u.a.m. Kürschner verweist darauf, dass sich die Untersuchungen zu den in Leipzig verurteilten ausländischen Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen etc. noch in den Anfängen befinden. Der Haupttitel „Totschweigen ist die passive Form von Rufmord“ lässt einmal mehr die Frage entstehen, wann es endlich in Leipzig einen zentralen Ort der Erinnerung an alle Opfer in den Jahren 19331945 geben wird, einen Ort antifaschistischer Gedenk- und Erinnerungsarbeit. Die von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten betriebene Geschichtspolitik weist aus, dass 85 % der Fördermittel für den Unterhalt und die Pflege des Gedenkens an die Opfer der „SED-Diktatur“,

Neben klassischen Sicherheitsaspekten finden auch der Klimawandel und die Migration Aufnahme ins Weißbuch. So heißt es u.a., Deutschland werde sich dafür einsetzen, den Klimawandel als sicherheitspolitisches Thema in internationalen Organisationen (UN, EU, G7) zu verankern. Und zur Migration wird bei allen Problemen betont: „Migration an sich ist kein Risiko für die Sicherheit Deutschlands. Im Gegenteil. Unser Land ist aufgrund seiner demografischen Entwicklung auf legale, rechtmäßige Zuwanderung angewiesen“. Damit sind die WeißbuchAutoren immerhin weiter als die völkischen Rechtsausleger, die sich derzeit wieder in deutschen Parlamenten breit machen. Zum lieben Geld wird festgestellt: Man braucht mehr. Mit Berufung auf den NATO-Gipfel in Wales (2014), wo eine Annäherung an das Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung vorzuhalten, verweist man auf den Einzelplan 14 für 2016 und auf den 49. Finanzplan bis 2019, womit eine Trendwende zu einer verbesserten Finanzausstattung der Bundeswehr eingeleitet wurde. Ob die im Weißbuch abgesteckten Ziele, die Auslandseinsätze und das deutsche Agieren Europa und die Welt sicherer machen, man wird es erleben. Oder auch nicht. René Lindenau

aber nur 15 % für den Erhalt von Erinnerungsstätten an die Zeit des NS-Regimes aufgewendet werden. Angesichts derartiger Praktiken insbesondere in osteuropäischen Ländern hat die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FJR) im Mai dieses Jahres das Europäische Parlament und die Verantwortlichen in allen europäischen Ländern dazu aufgerufen, dem Geschichtsrevisionismus entgegenzutreten und die Ehre der Widerstandskämpfer und Opfer des Nazismus zu verteidigen. Dem entspricht die Publikation. Sie ist in erster Linie Arbeitsmaterial für Historiker, für Geschichtsinteressierte, Heimatforscher und Studenten sowie Grundlage für Projektarbeiten. Kurt Schneider Dieter Kürschner: Totschweigen ist die passive Form von Rufmord. Leipziger politische Opfer des Nationalsozialismus 1933 1945. Herausgegeben von Manfred Hötzel und Frank Kimmerle. Als Manuskript gedruckt, mit Unterstützung von F. C. Flick Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz. Edition Hamouda, Leipzig, März 2016. 245 Seiten, 24,90 Euro.


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Pokégutmensch Go! Es schien tagelang weit und breit kein anderes Thema mehr zu geben: Pokémon Go. Kleine Monster suchen, sie fangen, und sammeln. Was viele begeistert, fällt anderen nach einer Woche schon ziemlich auf die Nerven. Wir waren im Sommer an einem See, um Enten zu füttern. Eine Gruppe von Jugendlichen kam uns entgegen. Mit dem Smartphone vorm Gesicht nahmen sie Kurs auf den nächsten „PokéStop“. Man muss nicht gleich alles verteufeln. Aber man sollte das Ganze weiterdenken und weiterentwickeln. Wenn man also mit einem Spiel die Leute dazu bringt, an die frische Luft zu gehen und sich zu bewegen, wozu kann man sie dann noch animieren? Wie wäre es zum Beispiel, wenn man fürs Blutspenden seltene Monster bekommt, oder dafür, dass man sich als Stammzellenspender typisieren lässt?

Es könnten Pokébälle verdient werden, wenn man sich bei der Bildung einer Rettungsgasse vorbildlich verhält, oder das Reißverschlussverfahren im Autoverkehr einhält. Die Möglichkeiten wären unerschöpflich, und anstatt nur durch die Gegend zu laufen, würde man etwas Gutes tun. Man könnte Sternenstaub bekommen, wenn man einen Organspendeausweis beantragt, Bonbons bei Spenden an krebskranke Kinder. Oder Power-Ups für seine Monster, wenn man sich ehrenamtlich engagiert. Alles wäre möglich. Um bei Pokémon ein Ei auszubrüten, muss man zwei bis zehn Kilometer laufen. Es muss ja nicht gleich der Erstgeborene geopfert oder eine Niere gespendet werden, um bei dem Spiel weiter zu kommen, aber man könnte doch Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft bewerten

– etwa wenn man jemandem etwas Freundliches sagt, ihm ein Kompliment macht oder ihn an der Kasse im Supermarkt vor lässt, weil er es gerade eilig hat. Meist ist es nur eine Kleinigkeit, eine winzige Aufmerksamkeit, die bei anderen Menschen große Wirkung erzielt. Ein nettes Wort zum Nachbarn. Ein Lächeln. Eine freundliche Geste. Wenn man den Gedanken zu Ende denkt, braucht man im Grunde dafür keine App und keine Monster, die man hochzüchten muss, und keine virtuellen Arenen, um gegen andere zu kämpfen. Es reicht aus, kein Arsch zu sein und anderen Leuten nicht mit negativem Gelaber die Stimmung vermiesen. Das sind Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein sollten, die aber immer mehr in Vergessenheit geraten. Höflich sein. Hilfsbereit sein. Freundlich sein! Sahin Karanlik

Achtung: Werbung in eigener Sache! Peter Porsch: Linke Dispute. Anregungen, Polemiken und Kopfnüsse aus linker APOZeit. 162 S., brosch., 12,99 Euro, ISBN 978-3-94518762-3.

Fred Schaerli / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0

Das Büchlein erschien Ende Juni 2016 im verlag am park. Sämtliche Verkaufserlöse helfen, unsere Zeitung zu erhalten.

„Mit dem Maß, mit dem ihr messet, wird man euch wieder messen“ (Lukas 8.36) Seit der „Wiedervereinigung“ sind 26 Jahre vergangen. Eine ehrliche, auf Fakten begründete Gesamtbilanz der Folgen für die DDR-Bürger existiert nicht. Der Siegesrausch von 1989/90 ist im politischen, militärischen und ökonomischen Aberwitz verraucht. Außenminister Steinmeier beklagte, dass die Welt aus den Fugen geraten sei, aber er vermied, etwas zu Ursachen und Folgen zu sagen. Statt den Bürgern eine ehrliche Bilanz vorzulegen, werden sie mit staatlich verordneten „Diktaturenvergleichen“ bombardiert, deren Hauptinhalt die Verteufelung der DDR ist. Die Organisatoren der „Erinnerungsschlacht“ scheinen nicht zu wissen, dass die DDR-Bürger 1990 nicht ihr Gedächtnis verloren oder verkauft haben. Die Sieger verlangen von den Besiegten, dass sie sich verhalten wie „Hans im Glück“, der noch zufrieden ist, wenn er alles verliert. Stattdessen müssten ehrliche und nüchterne Vergleiche darüber angestellt werden, was die Deutschen in Ost und West

seit 1990 gewonnen oder verloren haben, statt über „Ostalgie“ zu räsonnieren. Erstaunlicherweise gab es vor 1990 Versuche für solche Vergleiche. Eine Gegenüberstellung versuchte der bekannte Publizist Sebastian Haffner im STERN vom 10. September 1970. Er zählte zunächst die Freiheiten in der BRD auf, wie die des Gewerbes, der öffentlichen Kritik, die Möglichkeit, zwischen Parteien zu wählen, die Freiheit des Reisens und Auswanderns u.a. Haffner stellte dieser Reihe die Freiheiten in der DDR gegenüber: Die Freiheit von Furcht um den Arbeitsplatz, von Mietwucher, von Inflation, von beruflicher Benachteiligung von Frauen, die Freiheit, unabhängig von der sozialen Herkunft an Bildung und Kultur teilzuhaben und schließlich die Freiheit von aufdringlicher Reklame. Dieser Vergleich wurde in ein Schulbuch übernommen und die Schüler sollten die Frage beantworten: „Welche Freiheit ist mehr wert: Die Freiheit der öffentlichen Kritik oder die Freiheit von Mietwucher?“ Es wäre interessant zu

erfahren, wie Schüler von heute diese Frage beantworten würden. Wichtiger ist: Damals gab es noch nicht die Order eines Bundespräsidenten, der BRD alle Freiheiten anzudichten, die DDR als Land der Unfreiheit zu verketzern. ln dem Lehrbuch, in dem Sebastian Haffner zitiert wurde, kam auch der Philosoph Ernst Bloch mit einem Text zu Wort, den die ZEIT vom 10. Oktober 1960 unter dem Titel „Die beiden Staaten könnten manches voneinander lernen“ abgedruckt hatte. Zu den Positiva der DDR zählte Bloch: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, die kostenlose ärztliche Versorgung, die geringe Kriminalität. Nach dem Text Blochs wurden die Schüler aufgefordert: „Sammelt Ausschnitte, die über das Leben der DDR berichten. Erst eine Vielzahl von Informationen kann ein sachgerechtes Urteil über das Leben in der DDR ermöglichen“. Wer findet 2016 in Sachsen ein Lehrbuch, in dem „sachgerecht“ über die DDR geurteilt wird? Machen wir die Probe aufs Exempel. 2016 wird von der Landeszentrale für po-

litische Bildung kostenlos das „Handbuch für die politische Jugend- und Erwachsenenbildung“ mit dem Titel „Lernfeld DDR-Geschichte“ angeboten. Das Buch erhält seinen besonderen Glanz durch das Geleitwort Rainer Eppelmanns, des obersten Kommandeurs zur Interpretation der DDR-Geschichte. Er hat entdeckt: „Die vier Jahrzehnte währende SED - Diktatur hinterlässt bis heute seine Spuren in unserer (?) Gesellschaft und in den Köpfen der Menschen“. Ein „weichgespültes“ (?) Bild der Vergangenheit möchte er nicht. Die Autoren erfüllen seinen Wunsch. Sie schrieben über „Herrschaft und Repression in der DDR-Gesellschaft“, „DDR-Gefängnisse“, über „Die Stasi-Unterlagen als Quelle in der Bildungsarbeit“ usw. Nur die Geschichte der DDR und das Leben ihrer Bürger bleibt Geheimnis. Es gibt viele Umfragen über die „Ostalgie“. Sie lösen bei den Abrechnern mit der DDR keine Freudentänze aus. Wäre es nicht an der Zeit, eine ehrliche Bilanz zu ziehen: Was ha-

ben beide deutsche Staaten in die Einheit eingebracht? Was ist aus dem Erbe in den Jahren seit 1990 geworden? Ich habe hunderten älterer Bürger die Frage gestellt: ln welchem Staat haben Sie sich wohler gefühlt? (Für Willy Brandt war das die entscheidende Frage für die Beurteilung eines Politikers). Ich verrate meine Erfahrungen nicht. Jeder kann sie selbst machen. Stattdessen schlage ich vor, den Gewinn oder Verlust für die Lebensqualität seit der „Wende“ zu prüfen. Gewinn: „freie Marktwirtschaft“/Konsumgesellschaft, „Reisefreiheit“, Besitz harter Währung, Chance für Teilnahme an Profitmacherei. Verlust: Volkseigentum/Rückkehr der Ausbeutung, Ende der Friedensperiode (für alle Deutschen), Verlust des Rechts auf Arbeit/soziale Sicherheit, Abwicklung von Wissenschaftlern und „Staatsnahen“. Jeder kann den Vergleich für sich selbst durchführen und den Satz Willy Brandts dabei nicht vergessen: Der Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts. Prof. Dr. sc. phil Horst Schneider


Sachsens Linke! 09/2016

Jugend

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Mit dem Fahrrad für Klimagerechtigkeit! Termine Vom 31. Juli bis zum 3. August war ich mit dem Fahrrad unterwegs, um ein Zeichen gegen Klimawandel und Kohleverstromung zu setzen. Die rund 280 km lange Tour mit dem Titel „Keep it in the ground – Biketour“ führte mich durch das Vogtland, Nordböhmen und das Erzgebirge. Mein Ziel war zunächst Horní Jiřetín, ein kleines Städtchen bei Litvínov, das durch den naheliegenden Braunkohletagebau bedroht ist. Bis dorthin fuhr ich von Plauen über Sokolov und Chomutov. Neben traumschöner Natur war allerdings immer wieder die Kohleindustrie auf meiner Route zu sehen. Nordböhmen ist ein echtes Kohlezentrum – eine Region wird zum Klimakiller. In Horní Jiřetín traf ich Aktivist*innen der Gruppe Limity jsme my, die mir einiges über

die Region erzählen konnten. Ein weiterer deutsch-tschechischer Austausch mit dem Fahrrad ist bereits vorgesehen. Natürlich mit dem Ansinnen, ein Zeichen zu setzen: Keep it in the ground! Fossile Brennstof-

fe müssen im Boden bleiben! Für viele im Vogtland und Erzgebirge ist die Kohleindustrie in Nordböhmen aufgrund der deutsch-tschechischen Grenze weit weg. Der Klimawandel und seine Ursachen dürfen aber

nicht länger hinterm Tellerrand der Leute liegen, sondern müssen ins Bewusstsein der Menschen eindringen. Der Klimawandel ist ein Problem, das uns alle angeht. Paul Gruber

Stolpersteine in Sachsen wieder erstrahlen zu lassen. So sind einige von uns schon am 26. Juni auf dem Weg gewesen, die in der Dresdner Neustadt verlegten Steine zu putzen. Die erste sachsenweite Putzaktion gab es am 23. Juli, wo wieder einige in Dresden und andere im Landkreis Leipzig auf einer Route von Markkleeberg über Großpösna, Wurzen, Grimma, Colditz, Bad Lausick und Frohburg bis nach Borna unterwegs waren. Zu unserer Freude wurden die Mitglieder des LAK Shalom auch von anderen Linksjugend- sowie Parteimit-

gliedern und nicht organisierten Antifaschist*innen unterstützt. So konnten an einem Tag insgesamt etwa 130 Stolpersteine, Gedenktafeln und Mahnmale geputzt werden. Oftwerden Stolpersteine zu bestimmten Tagen, wie dem 9. November, dem Gedenktag an die Reichspogromnacht, gereinigt. Leider werden dabei viele Stolpersteine vergessen, teils wurden sie seit ihrer Verlegung nicht mehr geputzt. Wir meinen: Erinnerung kennt kein Datum! Wann immer es uns möglich ist, wollen wir an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. Des-

Mit Ball und Köpfchen gegen Rassismus Vom 22. bis 24. Juli fand in Kittlitz bei Löbau das alljährliche „Fußball grenzenlos“-Turnier statt. Seit über zehn Jahren organisiert der „Augen auf e. V.“ ein Fußballturnier am Samstag und Sonntag sowie Workshops und Vorträge sowie ein 3-EckSoccer-Turnier statt. Die Workshops führten Praxis und Theorie zusammen. So hielt zum Beispiel MdL Mirko „Schulle“ einen Vortrag zum Thema „Was geht in Kurdistan?“ Neben dem Tagesprogramm darf eine ordentliche Abendgestaltung nicht fehlen. So konnten alle den Abend mit Kino

und Bands ausklingen lassen. Das Highlight war jedoch sicher die Schallplattendisko. Das Turnier wird von unterschiedlichen Vereinen und Organisationen, dieses Jahr auch der linksjugend Sachsen, unterstützt. Das Turnier lebt jedoch vor allem durch die vielen ehrenamtlichen Helfer_innen. So war zum Beispiel die Linksjugend Görlitz vor Ort und hat sich neben einem Workshop zur Beutelgestaltung an der Orga beteiligt. Dafür gab es neben einem großen Dankeschön auch eine kleine Medaille. Vielleicht

hat der eine oder die andere ja nächstes Jahr Lust, vorbei zu kommen. Refugees welcome! Franziska Fehst

wegen bitten wir euch: Wann immer ihr einen Stolperstein findet, putzt ihn! Wir möchten euch auch dazu einladen, am 21. September um 11:30 Uhr nach Dresden-Löbtau auf die Stollestraße 40 zu kommen. An diesem Tag werden in Dresden weitere 21 Stolpersteine verlegt. Wir als LAK Shalom übernehmen die Patenschaft für den Stolperstein von Arthur Weinek, einen kommunistischen Widerstandskämpfer und Arbeiterfunktionär, der am 03.12.1943 verhaftet und am 16.08.1944 hingerichtet wurde. LAK Shalom

Bild: Das Bekleidungslabel Lonsdale sponsert T-Shirts – der Verkaufsgewinn fließt komplett an den „Augen auf e. V.“

dem soll die Wahl der neuen Schatzmeister*in sowie der Delegierten für den Länderrat, das föderale Gremium der Linksjugend [´solid], und für den Landesrat der sächsischen LINKEN stattfinden. Gerade die Frage, ob ein Wahlkampf der Linksjugend [‘solid] Sachsen stattfinden soll und wenn ja, wie dieser ausgerich-

16. September: DrinkIn gegen das Alkoholverbot Görlitz. Flashmob gegen das repressive Genussverbot in Görlitz! 15:30 Uhr, Marienplatz. 17. September: Demo STOP TTIP & CETA. Bundesweite Großdemo in sieben Städten, unter anderem in Leipzig vom Bündnis „TTIP und CETA stoppen“, unterstützt durch Linksjugend und LINKE. 12 Uhr, Wilhelm-Leuschner-Platz, Leipzig. 18. September: Stadtjugendtag Dresden. Der Stadtjugendtag ist das höchste Organ des Stadtverbandes linksjugend [‘solid] Dresden und bietet Raum für Anträge und Debatte von allen Mitgliedern und Sympathisant*innen. 14 Uhr in der Wir AG, Martin-Luther-Str. 21. 27. September: Ökotalk mit Marco Böhme. Thema diesen Monat ist der fahrscheinlose ÖPNV. Talkgast ist ein Verkehrsexperte aus Tallinn, wo bereits alle Bürger*innen fahrscheinlos Bus und Bahn fahren können. 19 Uhr im Interim, Demmeringstr. 32. 08.-09. Oktober: Stadtjugendplenum und -tag Leipzig. Der Stadtjugendtag ist das höchste Organ des Stadtverbandes Linksjugend Leipzig. Interim, Demmeringsstr. 32.

Ende Oktober: Zweites Landesjugendplenum Das zweite Landesjugendplenum in diesem Jahr wird vom 28.–30. Oktober in Leipzig stattfinden. Es stehen sowohl wichtige Anträge als auch Wahlen an. Der Beauftragtenrat bietet mit einem Leitantrag zur Bundestagswahl 2017 die Möglichkeit, sich mit einem möglichen Jugendwahlkampf auseinanderzusetzen. Außer-

9. September: Wie immer öffentliche BR-Sitzung in Leipzig. 12 Uhr im Büro von Franz Sodann (MdL), Mariannenstr. 101. 16.-18. September: Aktionswochenende auf Wasserschloss Oberau. Themenschwerpunkt wird die Bildungspolitik sein. Auch die Landesarbeitskreise sollen die Möglichkeit bekommen, das Programm zu gestalten und sich zu vernetzen. Infos: linksjugend-sachsen.de

„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“ (Thalmud) Habt ihr sie schon mal gesehen, diese kleinen in den Gehweg eingelassenen Messingplatten? Oft sind sie von Laub oder Dreck bedeckt. Die Rede ist von Stolpersteinen, die mittlerweile in 1099 Orten Deutschlands und in zwanzig Ländern Europas verlegt wurden. Sie wurden an den letzten frei gewählten Wohnorten der Menschen verlegt, die im Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden. Sie sind aber leider schon nach einiger Zeit ohne Pflege nicht mehr gut erkennbar. Daher haben wir es uns zum Projekt gemacht, möglichst viele

6. September: Neumitgliedertreffen. Gemütliche Runde für Neu- und Altmitglieder sowie Interessierte der Linksjugend Leipzig. 18 Uhr vor dem LinXXnet, Bornaische Str. 3d

tet wird, ist spannend und bietet Raum für Diskussionen zur Ausrichtung des Landesverbandes. Ebenfalls steht zur Debatte, ob die Linksjugend auf Landesebene eine*n eigene*n Jugendkandidat*in ins Rennen um den Einzug in den Bundestag schickt. Hier ist jede*r Bewerber*in unter 35 Jahren eingeladen, sich vorzustellen

und sich für ein Jugendvotum zu bewerben. Die Einladungen werden Ende September verschickt. Die Deadline für Satzungsänderungsanträge ist der 26.09. Wer ihren/seinen Antrag oder ihre/seine Kandidatur als Anhang der Einladung sehen möchte, schickt diese bis zum 26.09. an kontakt@linksjugendsachsen.de.

10. Oktober: Regionaljugendplenum Westsachsen. Das Regionaljugendplenum ist das höchste Organ auf Kreisebene. Die linksjugend [‘solid] Westsachsen berät über ihre Satzung und die Wahl ihrer Jugenddelegierten für den Kreisverband der LINKEN. Borna. 28.-30. Oktober: Landesjugendplenum + Landesjugendtag in Leipzig. Landesvollversammlung aller, die die Linksjugend Sachsen super finden. Spannende Debatten, wichtige Wahlen, tolle Themen, einfach ein Muss ;) Mehr Infos folgen.


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

09/2016 Sachsens Linke!

Cornelia Ernst und Katrin Werner auf Sommertour Auch in diesem Jahr reisten die Bundestagsabgeordnete Katrin Werner und die Europaabgeordnete Dr. Cornelia Ernst im Rahmen ihrer gemeinsamen Sommertour Ende Juli quer durch Rheinland-Pfalz. Die Politikerinnen nutzten die Tour, um sich vor Ort einen ausführlichen Überblick zu verschaffen und mit Bürger*innen in einen Dialog zu treten. Die thematischen Schwerpunkte lagen auf den Bereichen Behinderten-, Flüchtlings- und Energiepolitik. Während der Tour sammelten die Parlamentarierinnen wichtige Impulse für ihre politische Arbeit, sie konnten zahlreiche Kontakte knüpfen. Ein herzlicher Dank gebührt allen Genoss*innen der beteiligten Kreisverbände sowie natürlich auch allen besuchten Einrichtungen, Initiativen und Organisationen für die interessanten Gespräche und Einblicke. Den Auftakt der diesjährigen Sommertour bildete am 22. Juli die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt Mainz. Vormittags trafen sie sich mit dem Regionalmitarbeiter*innen der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Sebastian Frech, sowie Andreas Thomsen, um Kooperationsmöglichkeiten im Bereich der Politischen Bildung zu erörtern. Anschließend stand die innerparteiliche Bildungsarbeit im Vordergrund. Dabei wurde besprochen, wie innerparteiliche Bildungsangebote in Rheinland-Pfalz ausgeweitet und beworben werden können. Konkret wurde unter anderem vereinbart, noch in diesem Jahr zwei Neumitgliederseminare zu veranstalten. Abgeschlossen wurde der Tag durch das Sommerfest des Kreisverbandes DIE LINKE. Mainz/Mainz-Bingen, das mit Grußworten der Abgeordneten eröffnet wurde. Bei bestem Wetter und in lockerer Atmosphäre wurden viele interessante Gespräche mit interessierten Bürger*innen geführt. Der zweite Tag der Sommertour führte nach Trier. Dort waren wir Teil einer anregenden Diskussion zum jüngst verabschiedeten Aktionsplan Inklusion der Stadt Trier und dem Bundesteilhabegesetz. Anschließend wurde dieser Tag in entspannter Atmosphäre durch das Sommerfest der Linksfraktion im Trierer Stadtrat, inklusive Grußworte, abgerundet. Die nächste Station der Sommertour war Koblenz. Zunächst trafen sich Katrin Werner und Cornelia Ernst im Vorort St. Sebastian mit dem neu gegründeten Verein „Internationales Kulturzentrum (IKZ)“, Refugee Solidarity Koblenz und anderen Flüchtlingsinitiativen. Beide Abgeordnete bewerteten

dieses Treffen mit sehr engagierten Menschen, die Integration leben und essentielle Arbeit im Bereich Aufklärung und Hilfe für Migrant*innen und Geflüchtete leisten, als äußerst interessant. Im Anschluss folgte ein Treffen mit dem Landessprecher*innenrat

nächsten Tag ging es in Richtung Umwelt-Campus Birkenfeld. In Gesprächen mit dem Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) und dem Präsidium informierten sich Katrin Werner und Cornelia Ernst über den Umwelt-Campus. „Insbesondere die Forschungsprojek-

den von Jugendlichen gegründeten Verein informierten. Den Abschluss bildete eine Abendveranstaltung zum Thema Brexit und Flüchtlingspolitik bei den Genoss*innen des Kreisverbands DIE LINKE Ludwigshafen, Rhein-Pfalz-Kreis. Schon eine Woche Sommer-

Respekt und Menschenwürde“. Mehr als 150 Menschen setzten ein starkes Zeichen gegen Rassismus und die sogenannte Identitäre Bewegung. Letztere versuchte in den vergangenen Monaten in der Region durch öffentlichkeitswirksame Kleinaktionen ihren Menschenhass Treffen mit Vertretern von Flüchtlingsinitiativen

der Linksjugend [‚solid] Rheinland-Pfalz in Koblenz, bei dem sich über weitere Vernetzungsmöglichkeiten und die aktuelle politische Arbeit ausgetauscht wurde. Den Abschluss des Tages bildete eine spannende Podiumsdiskussion zur aktuellen Flüchtlingspolitik, insbesondere zum sogenannten EUTürkei-Deal. Auf dem Podium saßen – neben Cornelia Ernst – Tuna Firat von der SPD und Erdinc Deniz vom IKZ. Moderiert wurde die von der Linksjugend [´solid] Koblenz organisierte Diskussion von Jochen Bülow, dem Vorsitzenden des Kreisverbandes der Linken Neuwied. Von Koblenz ging es tags darauf gemeinsam weiter in die Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende (AfA) in Trier. Dort konnten die beiden Politikerinnen die Einrichtung besichtigen und sich bei deren Leiter, FrankPeter Wagner, vor Ort eingehend über die Arbeit der AfA informieren. Außerdem stand ein Besuch der Spielstube des DRK in der AfA auf dem Programm. Dort wurden die Abgeordneten von Ulrike Ruff und Hubert Oos empfangen und nutzten die Gelegenheit für eine Spielzeugspende. Abgeschlossen wurde der Tag durch einen Besuch bei den Stadtwerken Trier. Hier stellten die beiden Vorstände Dr. Olaf Hornfeck und Arndt Müller das Engagement der Stadtwerke im Bereich Erneuerbare Energien vor und führten durch das energieautarke Hauptklärwerk Trier. Am

te zur Energiewende sind vorbildlich“, kommentiert Cornelia das Treffen. „Allerdings muss das Land hier noch stärker in die Forschung investieren“. Anschließend ging es weiter zu einem Termin mit der ElisabethStiftung des DRK, die nicht nur bei der Berufsqualifizierung von Menschen mit Behinderungen,

tour und noch kein bisschen müde: Am siebten Tag führte der Weg schon frühmorgens ins pfälzische Lambsheim zur GAIA MBH. Die Geschäftsführer präsentierten ihre vielfältigen Projekte im Bereich Erneuerbare Energien, machten aber zugleich auch auf die Probleme aufmerksam, die durch

zu verbreiten. An diesem Tag wurde deutlich, dass dies nicht ohne Widerspruch bleibt. Wie im letzten Jahr war die gemeinsame Sommertour ein voller Erfolg. Insbesondere der konstruktive Austausch und die Verständigung mit unseren Partner*innen, Aktiven und Expert*innen war sehr berei-

Conny Ernst diskutiert mit Jochen Bülow zum EU-Türkei-Flüchtlingsdeal.

sondern auch bei der Integration von Geflüchteten unabdingbare Arbeit leistet. Am 28. Juli begann der sechste Tag der gemeinsamen Sommertour mit einem Gespräch mit der Energieagentur Rheinland-Pfalz in Mainz in Ludwigshafen. Um 15 Uhr stand ein Treffen mit Fallschirm Mensch e.V. in der Mainzer Flüchtlingsunterkunft „Housing Area“ auf der Agenda, bei dem sich Dr. Cornelia Ernst und Katrin Werner als Schirmherrinnen näher über

die EEG-Reform der Bundesregierung und die Pläne der Landesregierung zur Erhöhung des Mindestabstandes von Windkraftanlagen entstehen. Die Abgeordneten und die Geschäftsführung sind sich einig, dass Unternehmen, die im Bereich der Erneuerbaren Energien tätig sind, durch die geplanten Gesetzesänderungen in Form der Sonnensteuer bestraft werden. Nachmittags folgte die Demonstration „Konz steht auf für

chernd. Wir bedanken uns herzlichst bei allen Mitstreiter*innen und Organisator*innen, die an der erfolgreichen, spannenden und konstruktiven Tour mitgewirkt haben. Sarah Schwarzrock, Europabüro Rheinland-Pfalz


Sachsens Linke! 09/2016

DIE LINKE im Bundestag

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Hoyerswerda: War da nicht was? Jahren CDU-Regierung liegt auch in diesem Bereich meterdick auf dem Land und behindert alle Initiativen, die eine tie-

auch hier voran gehen und eine offensive, kritische Erinnerungskultur einfordern, die nicht nur danach fragt, was

sichtbarer als in Hoyerswerda. Denn es gibt viele positive Entwicklungen in der Stadt: Das Projekt „Wider das Verges-

fere Auseinandersetzung mit den unrühmlichen Teilen der eigenen Historie fordern. Ministerpräsident Tillich gestand zwar in diesem Jahr endlich ein, dass Sachsen ein Problem mit Rassismus habe, das auch er selbst lange nicht sehen wollte. Die Aufarbeitung der rassistischen Vorfälle aus Vergangenheit und Gegenwart will die CDU aber auch weiterhin lieber verhindern. Wir als LINKE sollten daher

war, sondern immer auch die Frage nach dem Warum stellt. Im Fall Hoyerswerda ist das sicher ein schwieriger Prozess, denn über viele Jahre herrschte dort eine Kultur der Verharmlosung, der Verdrängung und des Verschweigens, in der der Ruf der Stadt mehr interessierte als die Schicksale der angegriffenen und vertriebenen Opfer. Die Chancen einer offensiven Erinnerungskultur sind dabei paradoxerweise nirgendwo

sen“ zur Erinnerung an den Holocaust, durchgeführt von der Stadt, VVN-BdA, RAA und drei Schulen, geht in sein 21. Jahr. In jedem Schuljahr werden ZeitzeugInnen oder deren Kinder in die Schulen geholt. Oder das Bündnis „Hoyerswerda hilft mit Herz“, das zeitweilig in drei örtlichen Aufnahmeeinrichtungen ehrenamtlich Hilfe geleistet hat. Nicht zuletzt konnten Anti-Asyl-Proteste trotz mehrfacher Versuche in der Stadt nie-

Markus Spiering / flickr.com / CC BY-NC-ND 2.0

„Mensch und Natur vor der Kamera“, „Soziale Netzwerke – Sinn oder Unsinn?“, „Geldanlagen auf dem Grauen Kapitalmarkt – Welche Risiken gibt es?“. Das ist der Veranstaltungskalender der Stadt Hoyerswerda für den Zeitraum 17. bis 21. September 2016. Fehlt da nicht was? Vor 25 Jahren, im September 1991, gab es in Hoyerswerda tagelange rassistische Ausschreitungen. Zum ersten Mal nach der Wende wüteten Rassisten im Schutz der Massen gegen AsylbewerberInnen und VertragsarbeiterInnen, fackelten deren Unterkunft ab. Es war der Auftakt für weitere rassistische Verbrechen in Rostock, Solingen, Mölln etc. Die Lücke im städtischen Veranstaltungskalender ist vielsagend. Bis heute tut man sich in Hoyerswerda schwer mit der Erinnerung an jene Septembertage. Dabei könnte man mit einer offensiven Erinnerungskultur beispielgebend sein für andere Orte in Sachsen, die sich erst vor kurzem in die Reihe der Orte mit rassistischen Ausschreitungen eingereiht haben. Vor kurzem erst wurde in Heidenau der erste Jahrestag der rassistischen Gewaltorgie vor der geplanten Flüchtlingsunterkunft in einem ehemaligen Baumarkt begangen. Dies nicht ohne den Hinweis des zuständigen Bürgermeisters, dass Demonstrationen „niemandem etwas bringen würden“. Dass Sachsen in Fragen kritischer Erinnerungskultur Entwicklungsland ist, wissen wir längst. Der Mehltau von 26

mals wirklich Fuß fassen – ganz anders als zum Beispiel im nur 36 Kilometer entfernten Bautzen, wo es über Jahre ein hohes rechtes Demonstrationsaufkommen gibt. Es ist deswegen noch lange nicht alles gut in Hoyerswerda. Das belegen allein die Zahlen der Beschädigungen und Angriffe auf mein Büro. Dass die Täter bis auf eine Ausnahme nicht ermittelt werden konnten, zeigt ein anderes Problem. Der 25. Jahrestag der rassistischen Ausschreitungen könnte doch für die Stadt ein Anlass für eine Bilanz sein: was sich in Hoyerswerda denn nun tatsächlich geändert, ob und was sich verbessert hat. Es könnte die Chance sein, darüber zu sprechen, ob man aus den Ereignissen des September 1991 gelernt hat und wo die Stadt heute steht. Es wäre eine Chance für eine Stadt, die in den letzten 25 Jahren bundesweit oft auf fünf Tage ihrer Geschichte reduziert wurde, andere, positive Geschichten zu schreiben. Zu sagen: „Schaut her, es hat lange gedauert, aber wir haben etwas erreicht“. Damit aus „Hoyerswerda? Das war doch das mit den Nazis“ vielleicht „Hoyerswerda? Das war doch das mit den Nazis, aber heute …“ wird. Hoyerswerda aber vergibt diese Chance. Und damit auch die Möglichkeit zur Vorbildwirkung. Das ist schade und müsste nicht so sein. Umso wichtiger, dass wir vor Ort die Perspektive der kritischen Erinnerung eröffnen. Ja, da war was, 1991 in Hoyerswerda. Also lasst uns darüber reden! Caren Lay

Die Debatte zum Bundeshaushalt 2017 beginnt Es ist mal wieder soweit: Die Beratungen zum Bundeshaushalt beginnen, diesmal für 2017. Der Haushalt ist in Zahlen gegossene Politik. Nur das, was in den Haushaltsplänen des Bundes geschrieben steht, wird politische Realität. Deshalb sind die Haushaltsberatungen besonders interessant, weil sich dort abzeichnet, was im Folgejahr die Agenda bestimmen wird. Als Mitglied des Haushaltsausschusses für die Fraktion DIE LINKE möchte ich einen kurzen Überblick über den Bundeshaushalt 2017 verschaffen, um dann meine politische Einschätzung zu skizzieren. Laut Regierungsentwurf will die Bundesregierung im Wahljahr 2017 328,7 Milliarden Euro für Politik, Verwaltung und Personal ausgeben. Das sind 11,8 Mrd. Euro bzw. 3,7 % mehr als für das Jahr 2016 vorgesehen sind. Dies soll ausschließlich aus den laufenden Staatseinnahmen fi-

nanziert werden, auf eine Nettokreditaufnahme wird wie in den letzten drei Jahren verzichtet. Die „Schwarze Null“ bleibt das bestimmende Dogma der Großen Koalition im Bereich der Ausgabenpolitik. Traditionell stellt der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales den größten Einzeletat des Gesamthaushaltes. Mit 138,6 Mrd. € beansprucht das Arbeits- und Sozialministerium rund 42 % der Staatsausgaben. Schon den zweitgrößten Etat weist das Verteidigungsministerium mit 36,6 Mrd. € aus – mehr als 11 % des Gesamthaushaltes. Jeder zehnte Euro aus der Staatskasse wird demnach für die Bundeswehr und ihre zivile und militärische Ausstattung ausgegeben. Politisch ordnet die Bundesregierung abermals jeden potenziellen politischen Gestaltungsspielraum der „Schwarzen Null“ unter. Es wird verwaltet und

nicht gestaltet. Das Eigenlob der Großen Koalition auf den wiederholt ausgeglichenen Bundeshaushalt ist zudem ziemlich vermessen, da sie diesen auch der für sie günstigen Zinsentwicklung zu verdanken hat. Schwerer wiegt: Die Koalition bringt weder den Mut auf noch ist sie willens, den jahrelangen Investitionsstau durch eine gerechtere Steuer- und Finanzpolitik zu beseitigen. Noch immer werden Einkommen aus Kapital geringer besteuert als Arbeitseinkommen, noch immer existiert keine verfassungskonforme Erbschaftssteuer, weil das Finanzministerium Lobbyinteressen vor das Gemeinwohl stellt. DIE LINKE wird auch in diesem Jahr ein Steuerkonzept vorlegen, das die drastische Einkommensungleichheit in unserem Land bekämpft, indem einkommensschwächere Schichten geringer und einkommensstärkere Schichten stärker mit Steuern

und Abgaben belastet werden. Zudem soll eine bedenkliche Trendwende in der Außen- und Sicherheitspolitik zementiert werden. Zwar steigen die Ausgaben im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und der Bekämpfung von Fluchtursachen um 580 Mio. Euro, gleichzeitig zeichnet sich jedoch ein langfristiger Anstieg der Ausgaben für militärische Beschaffungen und Militärforschung ab. Rund 2,3 Mrd. Euro sollen Ministerin von der Leyen für 2017 zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Nach einem jahrelangen Stagnieren der Größe des Verteidigungsetats steigt dieser erstmals beachtlich an. Niemand bestreitet, dass Deutschland sicherheitspolitische Antworten auf die Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus finden muss. Ob allerdings die Beschaffung neuer Schützenpanzer, Kampfflugzeuge und Mehrzweckkampfschif-

fe einen einzigen terroristischen Anschlag verhindern wird, wage ich sehr zu bezweifeln. DIE LINKE lehnt eine Ausweitung des Militäretats und eine Verstärkung der Kampfbereitschaft der Bundeswehr ab. Die zusätzlichen Milliarden Euro für das Verteidigungsministerium wären im Bereich der zivilen Außenpolitik und internationalen Flüchtlingshilfe besser aufgehoben. Zusätzlich wäre dem Ziel näher zu kommen, 0,7 % des Bruttoinlandproduktes in Entwicklungszusammenarbeit zu investieren. Dazu haben sich Deutschland und andere Industriestaaten im Rahmen der Millenniumsziele der UN verpflichtet. Michael Leutert


Kommunal-Info 7-2016 30. August 2016 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Kommunalwald Gemeinsamer Forstausschuss warnt vor deutschem Sonderweg Seite 3

Planungshoheit Planungspflicht der Gemeinden für Außenbereich vorgesehen Seite 3

Veranstaltungen

September-November

Kommunalpolitische Tage in Landkreisen Jugendseminar: Teihabe junger Menschen in den Kommunen Seite 4

Petitionen an Kommunen gerichtet Das Recht, sich mit einer Petition an zuständige Verwaltungsstellen und an Volksvertretungen zu wenden, ohne anschließend Benachteiligungen befürchten zu müssen, gehört zu den elementaren demokratischen Grundrechten. Grundlegende Bestimmungen sind hierzu in Artikel 17 des Grundgesetzes (GG) und ebenso Artikel 35 der Sächsischen Verfassung (SächsVerf) enthalten. Diese verfassungsrechtlichen Bestimmungen bilden auch die Grundlage für das kommunale Petitionsrecht, das in Sachsen in § 12 der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO) bzw. § 11 der Sächsischen Landkreisordnung (SächsLKrO) dargestellt ist. In der SächsGemO heißt es dazu: „Jede Person hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen in Gemeindeangelegenheiten mit Vorschlägen, Bitten und Beschwerden (Petitionen) an die Gemeinde zu wenden. Dem Petenten ist innerhalb angemessener Frist, spätestens aber nach sechs Wochen, ein begründeter Bescheid zu erteilen. Ist innerhalb von sechs Wochen ein begründeter Bescheid nicht möglich, ist ein Zwischenbescheid zu erteilen.“ Bezogen auf Angelegenheiten eines Landkreises enthält § 11 der SächsLKrO eine gleichlautende Bestimmung.1

Berechtigte Personen

In der bis 2013 geltenden Fassung des § 11 der SächsGemO hatte es noch geheißen, jeder Einwohner habe das Recht, sich mit Petitionen an die Gemeinde zu wenden. Doch das kommunale Petitionsrecht nur auf Einwohner zu begrenzen, stellte nach den Verfassungsbestimmungen des GG und der SächsVerf eine unzulässige Einschränkung dar. Bei der Novellierung

der SächsGemO im November 2013 hat der Sächsische Landtag auch für das kommunale Petitionsrecht verfassungsmäßige Konformität hergestellt, wonach nunmehr unzweifelhaft klargestellt wurde, dass „jedermann“ bzw. „jede Person“ sich mit Petitionen an die Gemeinde wenden kann. Demnach steht das Petitionsrecht sowohl Deutschen als auch Ausländern, Staatenlosen und Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit unabhängig davon zu, ob sie sich in der Gemeinde aufhalten oder dort wohnen. Soweit Minderjährige selbst in der Lage sind, Vorschläge, Bitten und Beschwerden vorzutragen, sind sie hinsichtlich des Petitionsrechts nicht nur grundrechtsfähig, sondern grundsätzlich auch befugt, dieses Recht selbständig geltend zu machen, ohne sich durch ihre Erziehungsberechtigten vertreten lassen zu müssen. Das Petitionsrecht steht gemäß Artikel 19 Abs. 3 GG und Artikel 37 Abs. 3 SächsVerf auch allen inländischen juristischen Personen des Privatrechts zu, z. B. rechtsfähigen Vereinen, Aktiengesellschaften, GmbH usw., sofern ihre Anteile nicht von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts gehalten werden wie z.B. städtische Verkehrsbetriebe GmbH, Stadtwerke AG usw. Hingegen sind juristische Personen des öffentlichen Rechts (z.B. Gemeinden, Städte, Landkreise, Zweckverbände) prinzipiell nicht grundrechtsfähig und können daher auch nicht das Petitionsrecht für sich in Anspruch nehmen. Wiederum können Mandatsträger und Bedienstete der Gemeinde grundsätzlich das kommunale Petitionsrecht in Anspruch nehmen. Allerdings darf dies nicht dazu führen, dass sie als Mitglieder des Gemeinderats die bestehen-

den Vorschriften über die Ausübung von Mitgliedschaftsrechten im Gemeinderat umgehen. So kann z.B. ein Gemeinderatsmitglied nicht über eine Petition die Aufnahme eines Verhandlungsgegenstandes auf die Tagesordnung des Gemeinderates erwirken wollen. Im übrigen kann ein Gemeinderat über das Fragerecht nach § 28 Abs. 5 SächsGemO in der Gemeinderatssitzung oder im Ausschuss effektiv mehr erreichen als über das Petitionsrecht. Gemeindebedienstete haben bei Geltendmachung des Petitionsrechts ihre dienstrechtlichen Verpflichtungen zu beachten.

Zum Begriff der Petition

Unter dem Petitionsbegriff werden Vorschläge, Bitten und Beschwerden zusammengefasst. Vorschläge sind als Empfehlungen zu verstehen, um künftig etwas Bestimmtes zu tun oder zu unterlassen. Eine Bitte meint das Gleiche, aber mit etwas verbindlicherem Nachdruck. Dagegen wird mit einer Beschwerde ein vergangenes Verhalten kritisiert oder missbilligt und eine Korrektur verlangt. Im Prinzip kann jeder formlose Antrag, der etwas Bestimmtes zu tun oder zu unterlassen verlangt als eine Petition verstanden werden. Im Unterschied zum Verwaltungsund Rechtsbehelfsverfahren muss beim Einreicher einer Petition keine eigene Betroffenheit und kein eigenes Rechtsschutzbedürfnis vorliegen. Deshalb ist es auch möglich, mit Petitionen für andere, für die Allgemeinheit oder für das Gemeinwohl einzutreten. Keine Petitionen sind Meinungsäußerungen, Belehrungen, Auskunftsersuchen und förmliche Rechtsbehelfe. Sind also keine Vorschläge, Bitten oder Beschwerden enthalten, fehlt die

charakteristische Eigenschaft einer Petition. Bloße Meinungsäußerung (Mitteilungen, Belehrungen, Kritiken, Vorwürfe, Wertschätzungen) stellen für sich keine Petition dar. Auch bloße Ersuchen um Auskunft oder Einsichtnahme erfüllen nicht die Voraussetzung einer Petition. Mit dem Petitionsrecht soll neben den förmlichen Rechtsbehelfsverfahren die Möglichkeit für ein zusätzliches Anrufungsverfahren eröffnet werden, das ergänzend eingreift, und zwar auch dann, wenn förmliche Rechtsbehelfe überhaupt nicht oder nicht mehr möglich sind. So sind alle formlosen Anträge und alle formlosen Rechtsbehelfe wie Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerden, Gegenvorstellungen usw. vom Petitionsbegriff erfasst.2

Gemeinschaftliche Petitionen

Vorschläge, Bitten und Beschwerden können nicht nur von einem einzelnen Berechtigten, sondern auch von jedem „in Gemeinschaft mit anderen“ an die Gemeinde gerichtet werden können. Solche Sammelpetitionen können in verschiedener Form eingereicht werden: Mehrere Personen legen als gemeinsame Absender eine gemeinsam unterzeichnete Petition vor (z.B. die Bewohner A, B und C des Wohngrundstücks Lindenstraße 1 an die Gemeinde X). Eine Petition wird von einem oder mehreren Betreibern eingereicht, und es wird eine Liste mit Unterschriften von Personen beigefügt, die diese Petition unterstützen. Ebenfalls kann eine Petition unter einem Gesamtnamen oder einer Sammelbezeichnung eingereicht und von Personen unterzeichnet werden, die Fortsetzung auf folgender Seite


Kommunal-Info 7/2016 unter dem Gesamtnamen zusammengefasst sind (z.B. die Anlieger der Uferstraße in X oder die Schüler der kommunalen Berufsschule in Y). Alle diese Varianten stellen zulässige Formen einer gemeinschaftlichen Petition dar. Von der jeweiligen Form der Sammelpetition hängt es ab, wer über die Erledigung der Petition zu unterrichten ist. Bei Einwohneranträgen nach § 23 SächsGemO und Bürgerbegehren nach § 25 SächsGemO, die die erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen (z.B. das erforderliche Unterschriftenquorum) und deshalb als unzureichend zurückgewiesen werden müssen, ist eine Umdeutung in eine Petition möglich. So könnte den Betreibern dieser Initiativen über die formale Zurückweisung ihres Begehrens hinausgehend ein auf ihr sachliches Anliegen bezogener Bescheid erteilt werden. Da aber nicht ohne weiteres angenommen werden kann, dass die Initiatoren von Einwohnerantrag und Bürgerbegehren einer Umdeutung zustimmen, wäre es erst nach Abgabe einer entsprechenden Erklärung der Vertreter grundsätzlich vertretbar, auch Einwohneranträge und Bürgerbegehren in Petitionen umwandeln.

Form und Adressat der Petition

Während für Petitionen nach Artikel 17 GG und Artikel 35 SächsVerf ausdrücklich die Schriftform gefordert wird, bedarf die kommunale Petition nach § 12 SächsGemO keiner bestimmten Form. Deshalb kann diese sowohl schriftlich wie mündlich vorgebracht werden. Um eine mündliche Petition weiter bearbeiten zu können, muss sie aber durch Niederschrift in der Gemeindeverwaltung schriftlich festgehalten werden. Da für Petitionen keine besondere Schriftform vorgeschrieben ist und bei schriftlicher Einreichung auch keine eigenhändige Unterschrift verlangt ist, kann die Petition zweifellos auch mittels Telefax, E-Mail oder auf ähnliche Weise eingereicht werden. Nach vorherrschender Meinung in der verfassungsrechtlichen Literatur sind auch fremdsprachige Petitionen zulässig und von den entsprechenden Stellen zu behandeln, die Amtssprache deutsch ist nicht zwingende Voraussetzung.3 Als kommunale Petitionsadressaten gelten „die Gemeinde“ bzw. „der Landkreis“ . Die Petitionen sind normalerweise an die Gemeindeverwaltung bzw. an den Bürgermeister als an deren Leiter zu richten. Unschädlich ist es aber, die Petition an den Gemeinderat zu adressieren, da Zustellungen an dieses kollektive Organ automatisch an die Gemeindeverwaltung bzw. an den Bürgermeister gelangen. Vorschläge, Bitten und Beschwerden an Gemeinderatsfraktionen oder an einzelne Mitglieder des Gemeinderats sind jedoch nicht als an „die Gemeinde“ gerichtet anzusehen und sind deshalb keine Petitionen im Sinne von § 12 SächsGemO.

Unzulässige Petitionen

Wurde auf eine Petition bereits ein ordnungsgemäßer Bescheid erteilt und wird die gleiche Petition nochmals bei der gleichen Stelle eingebracht, besteht kein Anspruch auf sachliche Prüfung

Seite 2 und auf einen Bescheid. Dennoch sind solche wiederholten oder gar „querulatorischen“ Petitionen nicht unzulässig und sind daher von den Adressaten entgegenzunehmen. Jedoch genügt es in diesen Fällen dem Petenten mitzuteilen, es werde mit der Sache keine nochmalige inhaltliche Befassung stattfinden. Nur ausnahmsweise kann in extremen Fällen nicht mehr zumutbarer Querulanz oder bei vielfacher Wiederholung der gleichen Petition gänzlich von einer Antwort abgesehen werden. Umstritten sind beleidigende, bedrohende oder erpresserische Petitionen, zumal dann, wenn ihr Inhalt gegen Strafgesetze verstößt. Teilweise werden in Rechtsprechung und Literatur Petitionen mit beleidigendem, bedrohendem oder die Strafgesetze verletzendem Inhalt für unzulässig erklärt. Die Gegenmeinung geht davon aus, dass eine Petition mit beleidigendem, bedrohendem oder strafbarem Inhalt auch dann noch zulässig ist, wenn trotz beleidigender oder ungebührlicher Äußerungen klar erkennbar Vorschläge, Bitten oder Beschwerden an den Adressaten formuliert werden. Eine Erledigungspflicht soll - bei Großzügigkeit der Beurteilung - nur dann entfallen, wenn der Adressat selbst Opfer einer groben Ungebührlichkeit oder Beleidigung ist. Ebenso umstritten sind Petitionen, die sich mit ihren Vorschlägen, Bitten

Stelle. Darüber hinaus sind die Einreicher solcher Petitionen darüber zu unterrichten. Für die Erledigung der in die Zuständigkeit der Gemeinde fallenden Petitionen gilt grundsätzlich die allgemeine gesetzliche Zuständigkeitsverteilung. Für die Prüfung und die Entscheidung über die Petition ist danach in seinem jeweiligen Zuständigkeitsbereich entweder der Gemeinderat, ein beschließender Ausschuss oder der Bürgermeister zuständig. Den Bescheid an den Petenten erstellt in jedem Falle der Bürgermeister, bei Entscheidung durch den Gemeinderat oder einen Ausschuss dann als Beschlussvollzug. Wendet sich jemand mit einer Petition in einer reinen Ortschaftsangelegenheit an die Gemeinde, für die nach § 67 SächsGemO bzw. nach Hauptsatzung der Ortschaftsrat zuständig ist, hat die Gemeinde diese Petition an die zuständige Ortschaft zur Erledigung weiterzureichen.

oder Beschwerden darauf richten, tatsächlich Unmögliches oder rechtlich Verbotenes zu erreichen. Dennoch geht die vorherrschende Meinung davon aus, solche Petitionen grundsätzlich zuzulassen, denn es könne nicht erwartet werden, dass jeder Petent die Übersicht besitzt, einschätzen zu können, was tatsächlich unmöglich oder rechtlich verboten ist.4

hieraus die Verpflichtung des Bürgermeisters, die Behandlung der Petition im Gemeinderat (bzw. im zuständigen Ausschuss) vorzusehen, also als Beratungspunkt auf die Tagesordnung zu setzen. Werden mit Petitionen berechtigte Interessen einzelner berührt, ist nach den Grundsätzen des § 37 SächsGemO ggf. in nichtöffentlicher Sitzung zu beraten, Petitionen im Interesse der Allgemeinheit oder des Gemeinwohls sind dagegen immer in öffentlicher Sitzung zu behandeln. Der Bescheid auf eine Petition ist dem Einreicher in angemessener Frist, spätestens aber nach sechs Wochen zu erteilen. Damit soll verhindert werden, dass eine Petition ins Leere läuft, indem eine Beantwortung auf unbestimmte Zeit verschoben wird. Der Einreicher soll innerhalb eines für ihn überschaubaren Zeitraumes mit einer Antwort auf seine Petition rechnen können. Ist innerhalb der sechswöchigen Frist ein Bescheid nicht möglich, ist ihm ein Zwischenbescheid zu erteilen, der über den Verfahrensstand informiert. Für den Bescheid zur Petition darf keine Gebühr verlangt werden, da die mit einer Kostenpflicht ggf. verbundene Einschränkung mit dem Wesensgehalt des Petitionsrechts unvereinbar wäre.

Zuständigkeiten

In § 12 SächsGemO heißt es, es besteht das Recht, sich mit Vorschlägen, Bitten und Beschwerden „in Gemeindeangelegenheiten“ an die Gemeinde zu wenden. Deshalb kann eine Behandlung von Petitionen, die an die Gemeinde gerichtet sind, auch nur dann durch die Gemeinde erfolgen, wenn es sich um Angelegenheiten handelt, die in die Entscheidungskompetenz der Gemeinde fallen. Das können freiwillige Aufgaben, Pflichtaufgaben oder Weisungsaufgaben sein. Werden nun Petitionen an die Gemeinde gerichtet, die nicht unter die „Gemeindeangelegenheiten“ fallen, sondern etwa in den Zuständigkeitsbereich des Landkreises, des Landes oder des Bundes fallen, besteht für die Gemeinde die Pflicht zur Entgegennahme und Weiterleitung an die zuständige

Behandlung und Bescheid

Das Petitionsrecht erschöpft sich nicht darin, mit Anregungen und Beschwerden bei den zuständigen Stellen vorstellig zu werden, sondern schließt das Recht auf Prüfung und auf einen Bescheid ein. Soweit für die an die Gemeinde gerichteten Petitionen der Gemeinderat (bzw. ein Ausschuss des Gemeinderats) zuständig ist, folgt

Nach § 12 SächGemO ist dem Petenten ein „begründeter Bescheid“ zu erteilen. Hierzu genügt es, wenn die Antwort zumindest eine knappe, aber aus sich heraus verständliche Begründung enthält. Ist auf die Petition hin ein entsprechender Bescheid erfolgt, dann gilt das Petitionsrecht als erschöpft. Ein darüber hinaus gehender Anspruch auf weitere sachliche Prüfung und Weiterverfolgung besteht nicht.

Petitionsausschuss

Nach § 12 Abs. 2 kann der Gemeinderat für die Behandlung von Petitionen, die in seine Zuständigkeit fallen, einen Petitionsausschuss bilden. Ob jedoch dafür ein Bedürfnis besteht, entscheidet der Gemeinderat nach eigenem Ermessen. Hierbei spielt eine Rolle, ob die Größe der Gemeinde und die Zahl der bisher eingegangenen Petitionen die Entlastung durch einen besonderen Petitionsausschuss überhaupt rechtfertigen oder ob die Behandlung von Petitionen nicht auch schon bestehenden Ausschüssen des Gemeinderats zugewiesen werden kann oder ein Petitionsausschuss mit anderen Ausschüssen kombiniert werden kann. Wird ein eigenständiger Petitionsausschuss eingerichtet, kann dieser als (vor-)beratender Ausschuss oder als (abschließend entscheidender) beschließender Ausschuss gebildet werden. Wird kein besonderer Petitionsausschuss gebildet, so kann sich der Gemeinderat die abschließende Entscheidung über Petitionen nach Vorberatung im jeweils fachlich zuständigen Ausschuss vorbehalten. Der Gemeinderat kann aber auch festlegen, dass bestehende beschließende Ausschüsse im Rahmen ihrer jeweiligen Entscheidungskompetenz zur abschließenden Entscheidung über Petitionen ermächtigt werden oder alle weitergehenden Entscheidungen über Petitionen vorbereiten, die im Kompetenzbereich des Gemeinderats verbleiben sollen. A.G. —— 1 Alle folgenden Erläuterungen zum Petitionsrecht in der Sächsischen Gemeindeordnung beziehen sich deshalb sinngemäß auch auf Kreisangelegenheiten entsprechend der Sächsischen Landkreisordnung. 2

Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar, G § 12, Randnummer (Rn) 11. 3 Vgl. ebenda, Rn 16. 4 Vgl. ebenda, Rn 18 ff.

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.


Kommunal-Info 7/2016

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„Kommunalwald“ warnt vor deutschem Sonderweg

Der Gemeinsame Forstausschuss „Deutscher Kommunalwald“ warnt die Politik vor einem deutschen Sonderweg bei der Ausweisung von Wildnisgebieten. Das Bundesumweltministerium (BMUB) und Umweltverbände arbeiten auf die Errichtung von Wildnisgebieten in Deutschland hin. Im Fokus stehen 337 große Waldgebiete. Bis 2020 sollen Kommunen 10 % ihrer Wälder aus der forstlichen Nutzung nehmen und für Wildnis zur Verfügung stellen. „Obwohl auf europäischer Ebene der Stilllegung von Wäldern eine klare Absage erteilt wird, sollen in Deutschland große Waldgebiete in Wildnis umgewandelt werden. Die Wildnispläne des BMUB lassen dabei wissenschaftliche und internationale Entwicklungen weitestgehend außer Acht. Deshalb lehnen waldbesitzende Kommunen einen deutschen Sonderweg ab. Sollten die Pläne des BMUB verwirklicht werden, müssen sich Bürger, Waldbesitzer und Kommunen auf gravierende Veränderungen einstellen. Wildnis nach EU-Standards bedeutet: Verbot von Tourismus, Forst-, Land- und Weidewirtschaft, Jagd, Waldbrand- und Borkenkäferbekämpfung, Beeren- und Pilze sammeln. Gebäude und Straßen müssen in den Kernzonen entfernt werden“, so der Vorsitzende des Gemeinsamen Forstausschusses „Deutscher Kommunalwald“, Verbandsdirektor Winfried Manns (Mainz) und der Hauptgeschäftsführer des Deut-

schen Städte- und Gemeindebundes (DStGB), Dr. Gerd Landsberg, anlässlich der Bundestagung des Gemeinsamen Forstausschusses „Deutscher Kommunalwald“ am 27. Juni 2016 in Iphofen. Bereits im Jahr 2009 habe das EU-Parlament in der Begründung zur Entschließung über Wildnisgebiete darauf hingewiesen, dass das Konzept Wildnis im urbanen europäischen Raum an seine Grenzen stoße: „Wir müssen die Natur schützen, jedoch durch menschliche Nutzung“. Die Fläche Europas sei zu klein, um Bürgern den Zugang zu bestimmten Gebieten zu verbieten. In der „EU-Strategie für Wälder und den forstbasierten Sektor“ des Europäischen Parlaments vom 28. April 2015 2 werde ausdrücklich die große Bedeutung einer nachhaltigen Forstwirtschaft genannt. Forstwirtschaft sei unverzichtbar, um die gesellschaftspolitischen Ziele der EU bei der Energiewende, dem Klimawandel und der biologischen Vielfalt zu erreichen. Bestätigt fühlen sich die kommunalen Waldbesitzer in ihrer Kritik jetzt auch durch das im Mai 2016 veröffentliche Umweltgutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen ( SRU) . Zwar begrüße der SRU mehr Wildnis in Deutschland, weise aber gleichzeitig auf die Probleme hin. So stehe der mit der Ausweisung von Wildnisgebieten einhergehende Nutzungsverzicht im Konflikt mit den wirtschaftlichen Interessen der Flächennutzer. Durch die Aufgabe der Bewirtschaftung entstän-

Rezension zu „Flüchtlingsrecht“ Herausgegeben vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsor-

ge e.V., ist im Juni des Jahres „Flüchtlingsrecht“ in der Reihe „Textausgaben zum Sozialrecht“ im Lambertus-Verlag in erster Auflage erschienen. Dem Charakter der Reihe entsprechend, handelt es sich bei der Publikation um eine Sammlung von relevanten Gesetzen und Verordnungen zu Einreise und Aufenthalt von geflüchteten Menschen in Deutschland. Dr. Elke Tießler-Marenda, Referentin für Migration und Integration im Deutschen Caritasverband, gibt einführend einen Überblick über die Systematik der Aufnahme von Geflüchteten und der Gewährung von internationalem Schutz und Asyl. Auf der Ebene internationaler Abkommen finden sich die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), zudem die für das Gemeinsame Europäische Asylsystem elementare Dublin-III-Verordnung.

den Einkommensverluste. Diese beträfen insbesondere die Forstwirtschaft und die Holzverarbeitung, aber auch die Landwirtschaft, die Fischerei und bestimmte touristische und sportliche Nutzungsformen. Wirtschaftliche Konflikte könne es aus Sicht des SRU auch mit Kommunalwäldern geben. So erwirtschafteten einige Kommunen einen nicht unerheblichen Teil ihrer Einkünfte durch die Holznutzung. Die regionale Wirtschaft könne über indirekte Effekte negativ betroffen sein. Beispielsweise könne es sein, dass das Holzangebot reduziert werde, mit Auswirkungen auf die zuliefernden und weiterverarbeitenden Betriebe, wie Sägewerke und Holztransportunternehmen, bei denen es zu Einkommensverlusten kommen kann. Unterstützung erwarten die kommunalen Waldbesitzer vom Bundesland-

wirtschaftsministerium, das weitere obligatorische Stilllegungen von Waldflächen nicht für sinnvoll hält. „Wir haben das Bundeslandwirtschaftsministerium jetzt gebeten, ein geeignetes Institut mit der Berechnung der volkswirtschaftlichen Gesamtkosten der Wildnispläne des BMUB zu beauftragen. Wir wollen wissen, wie viel Wildnis mit der angespannten öffentlichen Haushaltslage von Bund und Ländern noch vereinbar ist“, so Manns und Dr. Landsberg. Von den 11,4 Mio. Hektar Wald in Deutschland sind 48% Privatwald. 29% des Waldes sind im Eigentum der Länder, 19% im Eigentum von Körperschaften und 4% im Eigentum des Bundes. (DStGB-Pressemitteilung Nr. 202016 vom 27.06.2016 unter www.dstgb. de/dstgb/Homepage/Publikationen/ Pressemitteilungen/)

DStGB begrüßt kommunale Planungshoheit

wirtschaftsbetrieben nicht die Entwicklungsmöglichkeiten genommen werden, sollte im Rahmen einer Neuregelung allerdings eine Ausnahmeregelung vorgesehen werden. Die Neuregelung müsste folglich eine angemessene Größe von Tierhaltungsanlagen definieren, ab der die Entprivilegierung erst greift. Die bereits im Jahr 2013 im Bauplanungsrecht vorgenommene Begrenzung der Außenbereichsprivilegierung für große gewerbliche Tierhaltungsanlagen (§ 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB) hat sich im Übrigen aus kommunaler Sicht grundsätzlich bewährt. Die Frage, ab wann die räumliche Aufteilung einer Stallanlage dazu führt, dass ein Ansiedlungsvorhaben im Außenbereich doch wieder als privilegiert zulässig betrachtet werden darf, muss allerdings in der Praxis präzise beantwortet werden können. Dies ist derzeit nicht der Fall. In der Planungspraxis kommt es immer wieder zu „Umgehungsversuchen“ durch Aufteilung von Mastställen in mehrere, räumlich voneinander getrennte Einheiten. Daher ist der Gesetzgeber aufgefordert, diesbezüglich eine klarstellende Regelung zu treffen. (Deutscher Städte- und Gemeindebund, www.dstgb.de/)

Bundesbauministerin Dr. Barbara Hendricks hat vorgeschlagen, dass zukünftig die privilegierte Zulässigkeit von Tierhaltungsanlagen im planerischen Außenbereich (§ 35 BauGB) weitgehend abgeschafft und durch eine Planungspflicht der Gemeinden ersetzt werden soll. Danach sollen sowohl gewerbliche wie auch landwirtschaftliche Tierhaltungsanlagen ab einer bestimmten Größe nur noch gebaut werden dürfen, wenn die Gemeinde eine entsprechende Bauleitplanung durchgeführt hat. Dieser Ansatz ist grundsätzlich zu begrüßen, da er die kommunale Planungshoheit stärkt. Durch kommunale Bauleitplanung kann einer ungesteuerten Zersiedelung des Außenbereichs gerade durch große Stallanlagen für die gewerbliche Intensivtierhaltung (insbes. Schweine- Geflügelmast) entgegengewirkt werden. Die Gemeinden können – unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger – unterschiedliche Nutzungsbelange abwägen und im Ergebnis die zukünftige Siedlungsentwicklung gezielt steuern. Um sicherzustellen, dass kleinen LandBetreffend der nationalen Asylgesetzgebung wurden das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG), das Asylgesetz (AsylG, vormals Asylverfahrensgesetz), das Aufenthaltsgesetz (AufenthG), die Aufenthaltsverordnung (AufenthV) und die Beschäftigungsverordnung (BeschV) aufgenommen. Weiterhin enthält die Sammlung Auszüge relevanter Gesetzestexte mit Themenbezug, namentlich das Grundgesetz(GG), die Sozialgesetzbücher (SGB) II, III, V, VIII und XII, das Bundesmeldegesetz (BMG) und das Bundesfreiwilligendienstgesetz (BFDG). Alle aufgenommenen Gesetze und Verordnungen sind auf dem Stand des Asylpakets II, welches am 17.03.2016 in Kraft getreten ist. Die Arbeit mit der Textausgabe wird durch ein umfangreiches und mit praxisnahen Begriffen versehenes Stichwortverzeichnis erleichtert, Gestaltung und Satz sind ansprechend zurückhal-

tend und angenehm zu lesen. So empfiehlt sich „Flüchtlingsrecht“ als praktisches Nachschlagewerk für Hauptamtliche in der Flüchtlingssozialarbeit und Verwaltung als auch kommunalpolitischen Mandatsträger*innen gleichermaßen. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. (Hrsg.): Flüchtlingsrecht, 1. Auflage 2016, Lambertus Verlag, 676 Seiten ISBN 978-3-7841-2783-5 15,90 EUR (12,90 EUR für DV-Mitglieder) Konrad Heinze, Chemnitz


Kommunal-Info 7/2016

Davon, was einen Studenten bewegt, ein Buch zu verfassen Mit Konrad Heinze, den Lesern der Kommunal-Info als Verfasser mehrerer Beiträge zur kommunalen Asylpolitik bekannt, wurde von Ellen Hieber von der Initiative Europastudien e.V., einem studentischen Verein an der TU Chemnitz ein Gespräch geführt, das im ES-Spiegel. Das Magazin der Europa-Studien am 15.04.2016 veröffentlicht wurde. Nachfolgend mit freundlicher Genehmigung daraus einige Auszüge. Ellen Hieber: Als ich im Januar dieses Jahres die Einladung zu einem Seminar namens „Teilhabe junger Menschen in der Kommune“ erhielt, hörte ich das erste Mal von dem Kommunalpolitischen Forum Sachsen e.V. (KFS). Als ich ein wenig auf der Homepage des Vereins herumstöberte, fiel mir eine Publikation auf: Kommunale Asylpolitik – ein Leitfaden. Vor allem der Name des Autors ließ mich stutzen: Konrad Heinze? Ist das nicht ein Student der Politikwissenschaften an der Technischen Universität Chemnitz? Ich traf mich auf ein Gespräch mit ihm... Wie es eigentlich zu diesem Interesse an der Thematik Flucht und Asyl kam, kann Konrad selbst nicht mehr nachvollziehen. Er erinnert sich daran, dass 2013 der große Lampedusa-Vorfall war, an welchem er einen Missstand auf ganz vielen Ebenen ausmachte: auf der borniert rechtlichen, juristischen als auch auf der menschlich, ethischen Ebene – und nicht nur auf europäischer. Immer wieder setzt er an, möchte eine Erklärung geben, aber der eigentliche Auslöser? „Das klingt profan, aber ich weiß nicht mehr, was der Auslöser war, irgendwann habe ich es einfach gemacht.“ Und was will das Buch? Konrads Idee war es, eine Art Kompendium zu schreiben: Angefangen bei Definitionen zu Migration und Flucht, über die Fragen nach den Regelungen auf der EU- und Bundesebene hin zu der konkreten Frage, wie Asylpolitik in den Kommunen funktioniert. Das Buch spiegelt quasi die Erfahrungen wider... „Irgendwo läuft immer irgendetwas gut, aber nirgends so richtig alles. Und es gibt immer dieses eine Ding, was in der einen Kommune, in der einen Gemeinde besonders gut läuft und Beispiel für andere sein kann.“ Auf die Frage, ob er Angst hatte, jemals als vermessen wahrgenommen werden zu können, da er als Student ein Handbuch publiziert für Menschen, die in dem Bereich schon sehr lange tätig sind, antwortet er: „Ständig.“ Aber er hat versucht seine Draufsicht zu kompensieren, indem er mit der Zielgruppe des Buches – kommunalpolitischen Mandatsträger*innen, Hauptund Ehrenamtlichen im Bereich Asyl – in engem Austausch stand und Nachfragen und Kritik gerne zuließ. ,,Das Buch soll keine wissenschaftliche Expertise sein, sondern ein Handbuch.“ Auch im Vorwort des Buches steht, dass ihm der Austausch mit den Leser*innen besonders wichtig sei: Wenn Menschen das Buch lesen und explizit

Seite 4 sagen: „Da stimme ich nicht zu, da wir in Kommune XY das so und so machen“ – dann soll das Konrad gesagt werden... Wir kommen auf die Vernetzung zwischen Ehrenamt, Kommunen und Verwaltungen zu sprechen, die von Landkreis zu Landkreis sehr unterschiedlich sei. Es gebe in manchen Gemeindeverwaltungen Abwehrhaltungen gegenüber bürgerschaftlichem Engagement. Dort ist dann das Mieten des Gemeindesaals für Sprachkurse ein Unding. Gleichzeitig lobt Konrad das ehrenamtliche Engagement: „Ehrenamtliches Arbeiten ist derzeit unschätzbar. Ohne dieses würde nichts funktionieren: Die Leute würden stellenweise nicht vom Bahnhof bis zur Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) kommen, es gäbe den Willkommensdienst nicht. Die Leute würden stellenweise, gerade wenn ihnen unterstellt wird, dass sie aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen, keinen Sprachkurs erhalten, es gäbe keine nennenswerten Integrationsleistungen, wenn sich nicht Ehrenamtliche für Alltagsbegleitung hergeben würden.“ Es ist ein Spagat. Laut Konrad gibt es eine enorme staatliche Versorgungslücke, die von Ehrenamtlichen gefüllt werde. Und dann setze ein Teufelskreis ein, wie in jedem Bereich der sozialen Arbeit. „Na wenn die das machen, dann brauchen wir es ja nicht mehr zu machen!“ Konrad engagiert sich selbst ehrenamtlich. Neben seiner Tätigkeit im KFS ist er beim Orga-Kreis der örtlichen Save-Me-Kampagne und zudem gibt es in seinem Wohnhaus zwei Wohngemeinschaften für geflüchtete Menschen, eine weitere ist gerade am Entstehen – da verschmelzen die Grenzen zwischen ehrenamtlichem Engagement und guter Nachbarschaft. Schon öfter habe ich von der ironischen These gehört, dass auch die Wissenschaft von dem Themenkomplex Flucht und Migration überrascht worden sei. Und auch wenn sein Buch keine wissenschaftliche Expertise darstellt, befrage ich Konrad dazu. Er meint, dass es schon immer Thema gewesen sei, vor allem im englischsprachigen Raum. Er nennt zum Beispiel das Forced Migration Review, das an der Universität Oxford angesiedelt ist. Auch in Deutschland gibt es Migrationsforschung, Forscher*innen, die sich dem Thema verschrieben haben. Auch das Netzwerk Flüchtlingsforschung, das sich im letzten Jahr etabliert hat, hat sich diesem Thema gewidmet. Es fehle aber an einer Würdigung und finanziellen Ausstattung von Grundlagenforschung. Aber diese will er nicht betreiben. Er möchte weiterhin in der politischen Bildungsarbeit und Erwachsenenbildung tätig sein. So wie er das jetzt schon beim KFS macht mit dem modularisierten Bildungsangebot „Kommunale Asylpolitik. Austausch, Bildung & Vernetzung“. Es bleibt nur noch eine Frage offen: wo gibt es das Buch zu kaufen? Über den Buchhandel und über Amazon erhält man es für 6.90 EUR , bei Seminaren zur kommunalen Asylpolitik kostenlos. Weitere Informationen gibt es auf der Webseite des Kommunalpolitischen Forum Sachsens: www.kommunalforum-sachsen.de

Veranstaltungen des KFS September – November 2016

Kommunalpolitischer Tag Landkreis Erzgebirge

Sonnabend, 24.09.2016, 10:00-16:00 Uhr Förderprogramme für Kommunen GDZ Annaberg Adam-Ries-Straße 16, Annaberg-Buchholz u.a. mit folgenden Themen: Recherche zu Fördermitteln: Was wird in Sachsen gefördert? Wie kann ich für mein Vorhaben Gelder akquirieren? Finanzierung der Flüchtlings- und Integrationsarbeit in der Kommune „LEADER“-Förderung in Sachsen für den ländlichen Raum

Intensivseminar für junge Kommunalpolitiker*innen 14.-16.10.2016, Freitag ab 17:00 Uhr bis Sonntag ca. 14:00 Uhr Rhetorik und Öffentlichkeitsarbeit für Gemeinderätinnen „Alte Schule Cunnersdorf“, Schulweg 10, Schönteichen

Kommunalpolitischer Tag Landkreis Zwickau Sonnabend 15.10.2016, 10:00 bis 18:00 Uhr Kommunalpolitik für den ländlichen Raum Marienthaler Straße 164 b, Zwickau

Themen: Kommunalpolitische Herausforderungen 2016-2019 Zukunft Mobilität im ländlichen Raum Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum Kommunale Finanzen Beteiligungsmöglichketen in der Kommune

Kommunalpolitischer Tag Landkreis Mittelsachsen Sonnabend 22.10.2016, 10:00 - 17:00 Uhr Kommunalpolitik für den ländlichen Raum „Treibhaus e.V.“, Bahnhofstraße 56, Döbeln

Themen: Kommunalpolitische Herausforderungen 2016-2019 Flüchtlingsarbeit im Landkreis Mittelsachsen Zukunft Mobilität im ländlichen Raum Kommunalpolitische Beteiligungsmöglichkeiten Öffentliche Daseinsvorsorge: Krankenhäuser & Ärztezentren im Landkreis

Jugendseminar Teilhabe junger Menschen in der Kommune (Teil II)

18.-19.11.2016, Freitag ab 17:00 Uhr bis Sonnabend ca. 17:00 Uhr Jugendherberge, Augustusburger Straße 369, Chemnitz Themen: Was passiert im Jugendhilfeausschuss? Jugendbeteiligung ganz praktisch Beteiligung von Kinder und Jugendlichen bei der Planung von Spiel- und Freizeitanlagen Was geht alles noch?“- Einblick in die Arbeit der Servicestelle Kinder- und Jugendbeteiligung Wie kommt Jugendbeteiligung überhaupt an? Haben Jugendliche das Gefühl beteiligt zu werden? Wie gestaltet man Jugendbeteiligung effektiv?

Kommunalpolitischer Tag Landkreis Nordsachsen Sonnabend, 19.11.2016, 10:00-16:00 Uhr „Bürgerhaus Eilenburg“, Franz-Mehring-Straße 23, Eilenburg

Themen: Über die Zusammenarbeit von Fraktionen in kommunalen Vertretungen Wirksame Maßnahmen zur Integration von Flüchtlingen

Um die organisatorische Vorbereitung zu erleichtern, wird um rechtzeitige Anmeldung gebeten. Anmeldungen und weitere Informationen unter: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. 01127 Dresden, Großenhainer Straße 99 Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de


August 2016

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

ParlamentsReport Wie Kapitän Smith auf der Titanic 2009 benannte Stanislaw Tillich das bis jetzt einzige konkrete Ziel seiner Regierungsarbeit. Weil Sachsens Bevölkerung schrumpfe, müsse die Staatsverwaltung effizienter werden, der Personalbestand von 87.000 auf 70.000 sinken. Tillich wusste, was er tat. Er wusste, was nötig sein würde, um das

bereit ist, obwohl das Haushaltsvolumen einen Rekordwert erreicht: 2017 liegt es bei 18,4 Milliarden Euro, 2018 sogar bei 18,7 Milliarden Euro. Der Freistaat erwirtschaftet jedoch nur rund die Hälfte seiner Einnahmen selbst – der Rest kommt von der EU, vom Bund und von anderen Bundesländern.

Liebe Leserinnen und Leser, na, haben Sie schon Angst? Seit Wochen redet das Land, angeheizt vor allem von der CDU, über Burkas, das Rucksackverbot beim Oktoberfest, den Bundeswehreinsatz im Innern, Videoüberwachung mit Gesichtserkennung, Nahrungs- und Trinkwasservorräte. Sie fürchten sich nicht? Ich gratuliere zum kühlen Kopf! Wer mir Angst macht, sind CDU-Innenminister mit unausgegorenen Vorschlägen. Ihre Vorstöße zielen nicht auf die Wurzeln von Terror, sondern nur auf dessen Auswüchse. Sie jagen dem Phantom Sicherheit hinterher, ohne Aussicht, es zu erreichen. Burka-tragende Terroristen sind bisher nicht bekannt. Bomben passen auch in Plastikbeutel. Computer können nur bekannte Gesichter identifizieren. Und so weiter. Am Ende leiden die Bürgerrechte, Angst kommt auf. Darüber freuen sich nur die AfD und die Drahtzieher von Anschlägen. Zeitgemäßer Zivilschutz zur Katastrophenabwehr ist sinnvoll. Ansonsten aber sollte Gelassenheit regieren, nicht Hysterie. Gut ausgebildete Polizisten, Staatsanwälte und Richter sind die besten Antworten auf Gefahren – da gibt es gerade für die CDU viel zu tun. Sie sollte weniger über Burka und Niqab nachdenken, die zahlenmäßig eine verschwindend kleine Rolle spielen, und lieber dafür kämpfen, dass Muslimas auf den Arbeitsmarkt gelangen können. Bisher versperrt ihnen zum Beispiel die „Kirchenklausel“ im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz den Zugang zum sozialen Bereich. Denn viele Einrichtungen stehen in kirchlicher Trägerschaft, sortieren Bewerber*innen nach Konfessionszugehörigkeit aus. Das wäre gut für die Integration – und ein Beitrag im Kampf gegen Terroristen, die ihren Nachwuchs im Heer der Ausgegrenzten rekrutieren. Wer aber Panik schürt und das normale Leben angreift, hilft Terroristen, ihre Ziele zu erreichen.

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

zu erreichen. Die größten „Personalkörper“ unterhält der Freistaat bei Bildung, Sicherheit und Justiz. Wer dort planlos einspart, schädigt schnell die staatliche Handlungsfähigkeit. Die Folgen dieser Fehleinschätzung erleben wir heute. Das neue Schuljahr startete mit einer wenig überraschenden, aber dennoch erschreckenden Nachricht: Beinahe jede zweite neu eingestellte Lehrkraft ist nicht pädagogisch ausgebildet. Das haben die immer zahlreicheren „Seiteneinsteiger*innen“ mit den „Neulehrern“ gemein, die nach 1945 das Schulwesen wieder aufbauten. Schon diese Analogie zeigt, wie es um das Schulwesen bestellt ist. Ihr Ziel, 1.200 neue Lehrkräfte einzustellen, hat die Kultusministerin trotzdem verfehlt. Auch diese Zahl hätte freilich nur die Altersabgänge ausgeglichen, nicht aber den Bedarf befriedigt, der durch steigende Schülerzahlen weiter wächst. Auch sonst zeigt sich an allen Ecken personalpolitischer Staats-Verfall. Schuld sind auch falsche Entscheidungen der ersten sächsischen CDU/ SPD-Koalition (2004-2009). Mit dem Doppelhaushalt 2017/18 versucht die CDU-geführte Regierung nun endlich, die selbst verursachten Schäden einigermaßen zu reparieren. Bei der Polizei wird sich die Lage wegen der immer noch zu geringen Zahl an Neueinstellungen und der naturgemäß mehrjährigen Ausbildungsdauer aber frühestens in zehn Jahren entspannen. Wiederaufbau – das ist alles, wozu die Koalition

„Wenn Sie nun als Reparaturbrigade die eigenen Ruinen wieder instand setzen, ist das zwar besser als nichts, aber auch kein Grund, in überschwänglichen Jubel auszubrechen“, befand Oppositionsführer Rico Gebhardt bei der ersten Landtags-Debatte zum Doppelhaushalt 2017/18. Er fragte den Ministerpräsidenten rhetorisch, ob er sich erinnere, wann die Linksfraktion im Landtag zum ersten Mal vor drohendem Lehrermangel gewarnt habe. Die Antwort: 2006. Zehn Jahre lang haben die CDU-geführten Regierungen selbstherrlich alle Warnungen in den Wind geschlagen. Nun stehen sie vor ihrem Scherbenhaufen, und die Kultusministerin barmt, dass sie die Fehler der Vergangenheit nicht heilen könne. Finanzminister Georg Unland (CDU) aber wirkt im Angesicht der Gefahr weiter wie dereinst Kapitän Edward J. Smith auf der Brücke der Titanic: gänzlich unbesorgt, als gebe es keine Eisberge. Im Parlament singt er weiter sein altes Lied: Sachsen habe „bereits jetzt schon überdurchschnittliche Ausgaben in vielen Personalbereichen“. So bereitet er argumentativ die nächsten Streiche seines Spar-Schwertes vor, mit dem er Begehrlichkeiten abzuwehren pflegt – im Sinne seines Ziels, möglichst viel Geld zu bunkern, koste es, was es wolle. Sein neuestes Argument: Wenn der Staat zu viele Absolventen sächsischer Schulen und Hochschulen für seinen darbenden Dienst abwerbe, gefährde das die Nachwuchssicherung der sächsischen Unternehmen. Ja, und was heißt das? Sollen staatliche Aufga-

ben vorauseilend abgeschafft oder „auf Vorrat“ privatisiert werden? Die Antwort bleibt Unland schuldig, kaschiert das mit dem unzulänglichen Hinweis, dieser Aspekt müsse in der Debatte „eine Rolle spielen“. Und Stanislaw Tillich, der als Regierungschef die Richtlinien der Regierungspolitik bestimmt? Ja, ist der überhaupt noch Regierungschef? Man hört ihn kein Machtwort sprechen, nicht für genug Lehrkräfte, nicht für mehr Polizei-Anwärterstellen, nicht für irgendetwas sonst. Vor der Verantwortung drücken aber kann er sich nicht. Seit 1999 gehört er dem Kabinett an, seit 2008 ist er Ministerpräsident. Die „Fehler der Vergangenheit“, von denen die Kultusministerin spricht, sind auch seine Fehler. Auch er war und bleibt ein Vertreter der Ideologie der schwarzen Null, die dazu geführt hat, dass wichtige Investitionen in die Zukunft unterlassen worden sind. Sie nachzuholen, soweit das überhaupt möglich ist, wird nun richtig teuer. Dabei gibt es in Sachsen immer mehr Großbaustellen – auch soziale: Eine ist die weiterhin große Zahl von Langzeitarbeitslosen, gegen die Tillichs Regierung nichts unternimmt. Die Linksfraktion fordert einen öffentlich geförderten sozialen Arbeitsmarkt, der diejenigen integriert, die bisher außen vor bleiben. Das hilft Einheimischen wie Geflüchteten gleichermaßen. „Sachsen braucht wie Europa eine soziale Offensive, um die Existenzängste wachsender Teile der Bevölkerung an der Wurzel zu packen“, fordert Rico Gebhardt. Das Geld sei vorhanden. Die Linksfraktion werde mit Änderungsanträgen zum Etat-Entwurf zeigen, wie das umsetzbar ist. Und auch in der Personalpolitik wird die größte Oppositionsfraktion weiter gegen das Prinzip „hilflos, planlos, verantwortungslos“ kämpfen.


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August 2016

Arglosigkeit oder nicht: Kopftuch-Fotos förderten Hetze In anderen Zeiten als diesen wären die „Kopftuch-Bilder“ des Sächsischen Wirtschaftsministeriums wohl unbeachtet geblieben. Schließlich geht es dabei „nur“ um einen Delegationsspiegel für eine gemeinsame Wirtschaftsreise deutscher Regierungen und Unternehmen in den Iran, die im späten Frühjahr stattfand. Die Broschüre, die längst von der Webpräsenz der Deutschen Außenhandelskammern (AHK) verschwunden ist, sorgte für einigen Wirbel. Denn darin wurden sächsische Delegationsteilnehmerinnen, anders als die sachsenanhaltischen, mit Kopftuch präsentiert – ein beinahe skurriler Anblick. Die Nachricht verbreitete sich auf einschlägigen islam- und fremdenfeindlichen Netz-Präsenzen wie ein Lauffeuer. All den Panikmacher*innen, Vereinfacher*innen und Hetzer*innen kam sie wie gerufen, konnten sie doch damit ihre abstruse Sicht belegen, „die Politik“ unterwerfe sich „der Islamisierung“. Die Fotoauswahl stützte auch das Geschäft derer, die sich nicht für Gleichstellung interessieren, aber ihre Motive nutzen, um das anti-islamische Ressentiment zu verstärken. So schadet der Vorgang der notwendigen Debatte über kulturelle Einflüsse, die Menschen islamischen Glaubens zu uns bringen.

sönlichen Bezug zum religiösen Symbol Kopftuch haben, mit einem solchen präsentiert werden, verletzt das deren Recht auf Selbstbestimmung und zeugt von wenig Selbstbewusstsein“. Die Bekleidungsvorschriften in der islamischen Republik, die von dortigen Frauenrechtler*innen kritisiert werden, erstreckten sich

Autos beschlagnahmen ließ, deren Fahrerinnen kein Kopftuch trugen“.

Sarah Buddeberg, Gleichstellungspolitikerin der Linksfraktion, wollte vom Wirtschaftsministerium wissen, wie es zu den Fotos kommen konnte. „In diesem Fall ist die Grenze zur Anbiederung eindeutig überschritten worden. Wenn Frauen, die keinen per-

schließlich nicht auf in ausländischer Verantwortung erstellte Druckwerke. „Die Abbildungen mit Kopftuch wirken wie ein Kotau vor einem frauenverachtenden Regime, das beispielsweise Medienberichten zufolge im vergangenen Jahr mehr als 40.000

tuch zu verwenden“. Bei der Fotoauswahl habe sich eine „technische Panne der AHK“ ereignet, weshalb nicht alle Teilnehmerinnen mit Kopftuch abgebildet wurden. Zwei Tage später dementierte der Leiter der AHK Iran, Rene Harun, diese Sicht-

Das Haus von Martin Dulig (SPD) verstrickte sich in Widersprüche. Zunächst teilte man mit, die AHK habe beabsichtigt, „in ihrer Broschüre generell die für Visaerteilung angefertigten Fotografien mit Kopf-

weise. Es habe keine technische Panne gegeben; die AHK habe nicht verlangt, Bilder mit Kopftuch zu verwenden. Buddeberg fragte nach. Die Staatsregierung korrigierte sich und argumentierte, dass man bei der Entscheidung, Reise-Teilnehmerinnen mit Kopftuch abzubilden, den „Empfehlungen“ der bei der Reise federführenden Industrie- und Handelskammer zu Schwerin gefolgt sei. Deren Teilnehmer*inneninformation enthielt an mindestens zwei Stellen die Formulierung „Reiseteilnehmerinnen müssen auf den Passbildern sichtbar ein Kopftuch tragen“ – bei den Vorgaben für die Visa-Erteilung und eben in Bezug auf den Delegationsspiegel. „Welche rechtlichen und sonstigen Erfordernisse die IHK zu Schwerin zu der Empfehlung, die Passbilder der Reiseteilnehmerinnen mit sichtbaren Kopftüchern auch für den Delegationsspiegel zu verwenden, geleitet haben“, weiß die Staatsregierung nach eigenem Bekunden nicht. Sie folgte der Empfehlung blind, in der Annahme, „dass der Delegationsspiegel diesbezüglich einheitlich gestaltet wird“. So setzte sie sich auch nicht dafür ein, dass auch die sächsischen Teilnehmerinnen die Möglichkeit erhielten, ohne Kopftuch abgebildet zu werden. Zur Religionsfreiheit gehört die Wahlfreiheit für Frauen, ein Kopftuch zu tragen oder nicht. Diesen Grundsatz sollten die Vertreter deutscher Regierungen auch im Ausland selbstbewusst vertreten, im Großen wie im Kleinen.

Unterlassene Hilfeleistung an der Demokratie

Die Landtagsmehrheit hat sich dementsprechend erneut dagegen entschieden, die Volksgesetzgebung wieder zu beleben. Ein Gesetzentwurf von LINKEN und GRÜNEN (Drucksache 6/1088), der einen Vorstoß für mehr direkte Demokratie unternahm, fiel bei CDU und SPD durch. Die Koalition bekundet offenherzig, dass mit ihr bis 2019 keinerlei Verfassungsänderungen zu machen seien – sie will nicht einmal darüber reden. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Wir werden prüfen, ob wir mehr Möglichkeiten

der direkten Demokratie schaffen können“. Übersetzung: Wir konnten uns nicht einigen und haben einen Prüfauftrag vereinbart, um Aktivität vorzutäuschen. Übrigens: Auch die AfD, die sich oft in gewohnt manipulativer Weise als Vorkämpferin der direkten Demokratie inszeniert, verweigerte dem Entwurf ihre Zustimmung. Was stand noch gleich auf deren Wahlplakaten? „Die Schweiz ist für Volksentscheide. Wir auch!“ Mehr ist dazu nicht zu sagen. Mehr Demokratie / CC BY-SA 2.0 / flickr.com

Die sächsische Volksgesetzgebung, die laut Verfassung dem Parlament gleichrangig sein soll, liegt im Koma. Im letzten Vierteljahrhundert gab es im Freistaat nur einen einzigen Volksentscheid. Alle anderen Versuche scheiterten an den Vorgaben in Verfassung und Gesetz, die sich in der Praxis als unrealistisch herausgestellt haben – zuletzt im Jahr 2003. In Sachsen führen erst 450.000 Unterstützungsunterschriften ein Volksbegehren zum Erfolg, sodass ein Volksentscheid stattfindet. Nicht nur diese Hürde ist viel zu hoch, schon angesichts des Bevölkerungsrückgangs. Der diente den CDU-geführten Regierungen indes oft als Rechtfertigung für Kürzungen. In der Demokratiefrage aber ignorieren ihn die Koalitionen geflissentlich.

Das alles ist ein weiterer Beleg für die These, dass Sachargumente bei Mehrheitsentscheidungen im sächsischen Parlament in der Regel keine Rolle spielen. Sieben von acht Sachverständigen hatten im Entwurf von LINKEN und GRÜNEN einen Schritt in die richtige Richtung gesehen. Die Debatte ist auch keineswegs neu. Schon 1993, 1999, 2004, 2010 und 2015 hat die Linksfraktion per Gesetzentwurf gefordert, Volksanträge, Volksbegehren und Volksentscheide

zu erleichtern. Über die Jahre sind die Forderungen weiterentwickelt worden. Sie lauten nun unter anderem: Das Quorum für Volksanträge wird von 40.000 auf 35.000 Unterschriften, für Volksbegehren von 450.000 Unterschriften auf 175.000 Unterschriften gesenkt. Die Bürger*innen sollen den Landtag per Volksantrag veranlassen können, sich mit einem Thema zu befassen, ohne dass sie einen förmlichen Gesetzentwurf vorlegen müssen. Und: Der Landtag soll ein von ihm beschlossenes Gesetz einem Volksentscheid überantworten dürfen, damit die Bevölkerung das letzte Wort bekommt. „Die beste Antwort auf das Unbehagen über einen abgehobenen Politikbetrieb ist mehr direkte Bürgermitsprache“, meint Klaus Bartl, Rechtsexperte der LINKEN. CDU, SPD und AfD wollen das nicht. „Dero Gnaden haben entschieden, dass die Verfassung in dieser Wahlperiode nicht geändert wird. Die sogenannte Demokratieoffensive von Ministerpräsident und Koalition ist nur Geschwafel“, so Bartl. Solange die CDU mit Hilfe anschmiegsamer Koalitionspartner Sachsen dominiert, wird dem Koma-Patienten nicht geholfen werden. Bis dahin besteht seine einzige Möglichkeit, wieder ins Leben zu treten, darin, dass er aus eigenem Antrieb erwacht.


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Wieviel Personal braucht Sachsens Polizei?

Die theoretische Begründung für die Personalreduzierung geht auf das sogenannte „Seitz-Gutachten“ von 2004 zurück (Prof. Helmut Seitz, Demographischer Wandel in Sachsen). Darin werden die vereinfachenden und in der Polizeiwissenschaft stark umstrittenen Thesen vertreten, dass mit einer Abnahme der Gesamtbevölkerung im gleichen Maße die Kriminalität sinken müsse. Zudem würde die Bevölkerung in Sachsen immer älter und ältere Menschen träten seltener kriminell in Erscheinung. Deshalb werde auch die Belastung der Polizei schrittweise zurückgehen. Diese Überlegungen lassen eine Vielzahl an Faktoren unberücksichtigt, z. B. die besondere Belastung durch fremdenfeindliche Demonstrationen und Gewalttaten und den Umstand, dass Sachsen zwei Außengrenzen zu Nachbarstaaten hat, mit einem hohen Wohlstandsgefälle gegenüber der Bundesrepublik. Die Zielgröße für die sächsische Polizei wurde entsprechend dem Seitz-Gutachten für das Jahr 2025 mit 11.280

festgesetzt. Berechnet wurde diese Zahl ausschließlich aus haushaltspolitischer Sicht durch eine Übertragung der Polizeidichte (Polizeibedienstete je 1.000 Einwohner) der sogenannten finanzschwachen Flächenländer West (u. a. Saarland, Schleswig-Holstein) auf die Bevölkerungszahl Sachsens. Mittlerweile ist selbst der Staatsregierung aufgegangen, dass diese Zielgröße der Personalstellen nicht zu halten ist. Wegen der akuten Überlastung der Polizei wurde der geplante weitere Stellenabbau ausgesetzt und eine Fachkommission zur Evaluierung der Polizeireform eingesetzt, die in ihrem Abschlussbericht als neue Zielgröße 14.000 Bedienstete empfiehlt. An der grundlegenden Herangehensweise zur Berechnung der neuen Zahl hat sich nicht viel geändert. Wieder gilt die durchschnittliche Polizeidichte der finanzschwachen Flächenländer West als Maßstab. Sie wird jetzt erweitert um das Bundesland Bayern und ergänzt um einen sogenannte „Zukunftsaufschlag“, der mit keinem Wort inhaltlich begründet wird. Da zur Berechnung die Zahlen von 2014 herangezogen wurden und mittlerweile ohne Ausnahme alle Bundesländer erklärt haben, ihr Polizeipersonal und damit die Polizeidichte zu erhöhen, hat sich das Ergebnis der Fachkommission bereits wenige Monate nach der Veröffentlichung überlebt. Die einzig sinnvolle Herangehensweise, um einen tatsächlichen Personalbedarf zu ermitteln, wäre eine wis-

senschaftlich Aufgabenkritik, in der ermittelt wird, welche Aufgaben die Polizei mit wieviel Personal erfüllen soll. DIE LINKE hat eine solche Evaluation gefordert. In Ansätzen und mit ihren begrenzten Ressourcen hat die Gewerkschaft der Polizei (GdP) eine erste Personalbedarfsuntersuchung unternommen und kam als Gegenentwurf zur Fachkommission auf einen Bedarf von ca. 15.000 Stellen.

innenpolitische Sprecher der CDUFraktion, Christian Hartmann, forderte unlängst 750 Neueinstellungen ab 2018. Auch wenn die LINKE stets mindestens 800 gefordert hatte, sollte dieser Vorstoß unterstützt werden, ohne jedoch zu vergessen, dass für diese Anhebung der Auszubildendenzahl auch die entsprechende Ausbildungsinfrastruktur geschaffen werden muss. Mit 750 Neueinstellungen pro

Bild: Marco Barnebeck(Telemarco) / pixelio.de

Noch im Jahr 2000 waren bei der sächsischen Polizei ca. 15.300 Bedienstete beschäftigt. Mittlerweile sind es noch gut 12.900. Verantwortlich für diesen Stellenabbau ist eine jahrelange Fehlplanung CDU-geführter Regierungen. Es begann mit diversen Polizeireformen, setzte sich im sogenannten Stellenabbaukonzept fort und fand 2011 im Konzept „Polizei.Sachsen.2020“ ihren vorläufigen Höhepunkt.

Da es mindestens drei Jahre dauert, bis ein/e Polizist/Polizistin ausgebildet ist, und weil die Polizei dringend Entlastung benötigt, sollte die Staatsregierung unverzüglich den Einstellungskorridor deutlich vergrößern. Der

Jahr würden dennoch erst 2025 die geforderten 2.000 zusätzlichen Polizeibeamten in Sachsen ihren Dienst verrichten. Enrico Stange, MdL

Sommertour „Gesund und regional“: Was tun gegen die Milchpreiskrise? Meine Sommertour während der Parlamentsferien nutzte ich auch in diesem Jahr, um mit den Menschen in meinem Heimatwahlkreis Mittelsachsen ins Gespräch zu kommen. In den letzten Wochen bestimmte der Verfall des Milchmarktpreises auch die Diskussion im Sächsischen Landtag. Auf Druck unserer Linksfraktion gab es Gespräche mit den Landwirten im Fachausschuss und eine Debatte im Plenum. Dauerhafte strukturelle Probleme in der landwirtschaftlichen Produktion und ein vermeintlich notwendiger globaler Handel mit Lebensmitteln motivierten mich, meine Sommertour 2016 unter das Motto „Gesund und regional“ zu stellen. Mich interessierte, welche bäuerlichen Produkte in der Region entstehen und durch die Verbraucher*innen erworben werden können. Ich habe viel dazu gelernt – beispielsweise den unterschiedlichen Umgang mit dem Boden, der Pflanze, dem Nutztier, dem Produkt. Ich habe große Rinderställe mit mehreren hundert, aber auch kleine mit weniger als hundert Kühen besucht. Während der eine Landwirt die gewonnene Milch an eine große Molkerei liefert und hofft, dass diese möglichst viel davon verwertet und in den Großhandel bringt, versucht der andere sein Glück selbst in der

Weiterverarbeitung seiner hochwertigen Milch, produziert Joghurt oder Käse und vermarktet sie im Hofladen oder auf dem Markt in der Stadt. Beide Wege sind möglich, und trotzdem hatte ich den Eindruck, dass beide Landwirte von der Krise nicht in gleichem Maße betroffen sind. Im Gegenteil: Offenbar hat der Landwirt, der auf hohe Exportmengen gehofft hat, größere Existenzprobleme als der, der auf seine Region setzt. Lokalisierung statt Globalisierung, das könnte langfristig offenbar auch landwirtschaftlichen Erzeugern eine

gute Perspektive sein. Was wir politisch hierzu brauchen, sind stärkere Binnenmarktförder- und -schutzmechanismen, um regionale Produkte auch nachhaltig zu vermarkten. Denn gesund sind sie hoffentlich alle, die vom Groß-, aber auch die vom Kleinbauern. Und nachhaltig heißt nicht nur, eine biologische Produktionsweise nachzuweisen, sondern auch den Weg zwischen der Milchproduktion und dem Kunden zu verkürzen. Die „Geiz ist geil“-Zeit muss vorbei sein. Eine breite Kommunikationsstrategie unter dem Motto „Was sind

uns die Lebensmittel aus der Region – vom Bauern nebenan – wert?“ ist das Gebot der Stunde. Die strukturellen Fehlentwicklungen in der Agrarwirtschaft ernsthaft anzugehen wird politische Aufgabe aller Ebenen sein. Ich konnte auf meiner Tour mehrfach erleben, dass einige landwirtschaftliche Großbetriebe die Zeichen der Zeit immer besser erkennen und Möglichkeiten finden, nachhaltig zu wirtschaften und gleichzeitig zu versuchen, den Verfall des Milchpreises aus eigener Kraft zu kompensieren. Unter anderem ist die Agrargenossenschaft Bergland Clausnitz e.G. für mich ein perfektes Beispiel, wie man mit Pflanzen- und Tierproduktion, Erzeugung erneuerbarer Energien, Direktvermarktung, Vermietung, Tourismusförderung und Forschungsprojekten das Verantwortungsbewusstsein der Menschen zum nachhaltigen Wirtschaften umsetzen kann. Dabei werden hochwertige Lebensmittel erzeugt und regional vermarktet sowie aktiver Umweltschutz betrieben – ganz ohne den Einsatz fossiler Brennstoffe oder von Atomenergie. Dr. Jana Pinka, MdL Sommertour-Tagebuch: www.jana-pinka.de


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August 2016

Teure Selbstinszenierung einer Staatspartei

Die 38. Sitzung fand am 11. August 2016 statt. Sie diente der Einbringung des Regierungsentwurfs für den Doppelhaushalt 2017/2018, des Haushaltbegleitgesetzes und des Finanzausgleichsgesetzes. Folglich gab es keine weiteren Drucksachen; die Erwiderung von LINKEN-Fraktionschef Rico Gebhardt auf die Ausführungen des Finanzministers findet sich unter linksfraktionsachsen.de. Die 39. und die 40. Sitzung fanden am 31. August sowie am 1. September statt und sind Gegenstand der kommenden Ausgabe.

Termine Regionaltour „Regionen der Zukunft – Sachsen. Hier leben. Hier bleiben.“ Nächste Tourwochen: Region Riesa-Meißen (05.09.–09.09.16), Vogtland (12.09.–14.09.16). Infos: www.linksfraktionsachsen.de/ regiotour.php und www.facebook. com/hierlebenhierbleiben 9. Armutskonferenz »Kinderarmut bekämpfen – soziale Herausforderung ersten Ranges« 10.09.2016, 10 Uhr, Neues Rathaus Leipzig, Großer Ratssaal Fachgespräch »Leaderregionen im Freistaat Sachsen – Mittelsachsen – Leaderregion Silbernes Erzgebirge« 14.09.16, 18 Uhr, Hotel Regenbogenhaus, Brückenstraße 5, 09599 Freiberg

Den Wasserfluten von 2013 folgte im Freistaat die Orden-Flut. Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) verlieh zwischen 2013 und 2015 in 38.433 Fällen den „Sächsischen Fluthelferorden“. Klar, auch die Linksfraktion achtet das Engagement der vielen Helferinnen und Helfer, die sich im Kampf gegen die Schlamm- und Wassermassen verdient gemacht haben. Fraglich ist für Schollbach allerdings, ob es der massenhaften Vergabe von Orden bedarf, um ihre Leistung zu würdigen. Schließlich nütze die Orden-Flut vor allem der CDU-geführten Staatsregierung, deren Vertreter die Auszeichnungen in öffentlichen Veranstaltungen verleihen konnten, mit Pomp und zahlreich anwesender Parteiprominenz. Die Herstellung der Orden verursachte Kosten in Höhe von 268.619 Euro, zu tragen durch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Auch Lutz Bachmann, ein mehrfach vorbestrafter Krimineller, wurde ausgezeichnet. Als Schollbach von der Regierung wissen wollte, wer den Flutorden neben ihm noch erhalten hat, zeigte man ihm zwar die Listen, verbot aber deren Veröffentlichung. Dagegen geht Schollbach im Organstreitverfahren vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof vor. Denn Schollbach sieht sich von der CDUgeführten Regierung in seiner Arbeit als Oppositionsabgeordneter behindert, wenn sie einer öffentlichen Diskussion ihrer Entscheidungen ausweicht. Diese Taktik verfolgt sie auch in einem weiteren Fall von peinlicher Selbstinszenierung, für den ebenfalls ein sechsstelliger Betrag aufgewendet worden ist: die Veröffentlichung der Tagebücher des Ex-Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (ebenfalls CDU). Für ihre Aufbereitung flossen 307.900 Euro aus der

Fachdiskussionsforen „Solidarische Finanzierung des ÖPNV als Alternative zu immer weiter steigenden Fahrpreisen“ 26.09.16, 19 Uhr, „Wir AG Dresden“, Martin-Luther-Str. 21, 01099 Dresden; 27.09.16, 18 Uhr, Bühne auf dem Lindenauer Markt in Leipzig

Veranstaltungs-Infos: gleft.de/1aJ

Zur Rolle von Ministerpräsident Tillich auf dem Weg zu diesem publizistischen Rohrkrepierer ist Streit zwischen dem heutigen und dem früheren Regierungschef entbrannt. Zunächst dankte Biedenkopf seinem Nachfolger schon im Tagebuch-Vorwort für dessen Entscheidung, „die Publikation des Tagebuches zu seiner Sache“ zu machen. Die Staatskanzlei ließ Schollbach auf dessen Nachfrage, wie das konkret abgelaufen sei, nur wissen, Tillich sei Biedenkopfs Wunsch nach einer Aufbereitung und Publikation der Erinnerungen „bekannt“ gewesen. Der Abgeordnete zog auch in dieser Sache vor Gericht, um genauere Auskünfte zu erstreiten; in diesem Fall ist ebenfalls im Laufe des Jahres mit einem Urteil zu rechnen. Interessanterweise erzählte Biedenkopf der „Sächsischen Zeitung“ zwischenzeitlich in einem Interview, das

Tagebuchprojekt sei „ein Projekt des Freistaates“; Tillich habe es anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Freistaates selbst vorgeschlagen. Das widerspricht der Aussage der Staatskanzlei, Tillich sei lediglich Biedenkopfs Wunsch bekannt gewesen. Der Alt-Regierungschef wörtlich: „Das Land sollte die Kosten für die Bearbeitung und die Veröffentlichung der Texte und den Erwerb der Rechte übernehmen. Die Kosten für die Neuauflage des ersten Bandes haben wir selbst übernommen. Inzwischen lehnt der Ministerpräsident die weitere Erfüllung unserer Vereinbarung ohne Begründung ab. Hätten wir das gewusst, hätten wir Tillichs Angebot nie angenommen“. Die Staatskanzlei widerspricht in ihrer Antwort auf eine weitere Nachfrage Schollbachs: Tillich habe Biedenkopf keineswegs ein Angebot gemacht; es seien mit Biedenkopf auch keine Vereinbarungen getroffen worden, „aus denen sich eine Verpflichtung zur Publizierung von dessen Tagebüchern ergibt“. Umso spannender ist nun der Ausgang des Organstreitverfahrens. Keine Informationsdefizite gibt es indes bezüglich zweier Staats-Partys zur Verkaufsförderung für die Ladenhüter, die Schollbach ebenfalls aufdeckte. Im September 2015 fand in der Vertretung des Freistaates in Berlin eine Sause für geladene Gäste statt, für die 6.089,05 Euro aufgewendet wurden – davon 4.642,05 für Catering und Getränke. Der Freistaat finanzierte zudem nicht nur die Reiseund Übernachtungskosten für Kurt Biedenkopf, sondern auch für dessen Ehefrau, die Privatperson Ingrid Biedenkopf. Am 4. Februar 2016 feierte man erneut, diesmal in Prag, und Biedenkopf erhielt aus der Staatskasse sogar ein Honorar von 595 Euro für die Vorstellung seiner Bücher. Danach wurden tatsächlich fünf Exemplare verkauft! Jetzt fehle nur noch, dass Ingrid Biedenkopf für ihre bloße Anwesenheit bei solchen Veranstaltungen aus Steuermitteln entlohnt wird, meint Schollbach. Dem Ex-Ministerpräsidenten wird oft der Status eines Ehrenmannes zugeschrieben. Müsste er sich diese peinlichen Steuergeld-Zweckentfremdungen dann nicht verbitten? Die Kosten der CDU-Selbstdarstellungsmaßnahmen fallen jedenfalls der Staatskasse zur Last. Wer zu lange an der Macht bleiben darf, verliert offenbar den Blick dafür, was sich gehört und was nicht.

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden

Thomas Kretschel / kairospress / CC BY-SA 3.0

„15 Jahre Crostwitzer Schulstreik –Aktion von historischer Größe mit Spuren über Schulpolitik hinaus” 30.09.16, 14 Uhr, Crostwitz, Mehrzweckhalle Jednota

Staatskasse an die CDU-nahe KonradAdenauer-Stiftung. Die Rechtfertigung: „staatspolitisches Interesse“, man wolle die Memoiren „einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen“. Deren Begeisterung blieb freilich aus, denn Biedenkopfs eitle Selbstbeweihräucherung hat einen recht überschaubaren Unterhaltungswert (Kostprobe: „Jetzt kann ich in Deutschland und Europa eine wichtige Rolle spielen. Die Menschen werden die Kraft spüren“). Bis Ende 2015 wurden von beiden Bänden jeweils weniger als 1.000 Exemplare verkauft – inklusive zahlreicher Tagebücher, die Biedenkopf selbst erwarb und dann verschenkte, etwa an die Abgeordneten des Landtages.

Bro37 / CC BY-SA 3.0

Plenarspiegel August 2016

Seit mehr als einem Vierteljahrhundert regiert die CDU den Freistaat. Immer wieder werden Fälle bekannt, in denen sie Steuermittel für ihre parteipolitische Profilierung nutzt. Das ruft ebenso regelmäßig den LINKEN-Abgeordneten André Schollbach auf den Plan, der dann von der Staatsregierung Stellungnahmen einfordert. Immer öfter muss er vor Gericht darum kämpfen, dass seine Kleinen Anfragen vollständig beantwortet werden. Denn im Moment des Verdachts hüllt sich die neue Staatspartei verschämt in Schweigen.

Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig


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