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Diagnose Post-Covid

Ein mühsamer Kampf zurück ins Leben

Hält eine Corona-Erkrankung länger als drei Monate an, spricht man von Post-Covid. Laut einer aktuellen Studie* gibt es alleine in Deutschland eine Million Betroffene. Seit drei Jahren kämpft die Duracherin Andrea Portsidis um die richtige Behandlung, finanzielle Unterstützung oder gegen Unverständnis seitens Coronaleugner:innen. Den elementaren Kampf führt sie allerdings gegen sich selbst, besser gesagt gegen ihren Körper. Er arbeitet gegen sie. Die Ärzt:innen haben ihr gesagt, dass ihre Post-Covid-Erkrankung noch ein paar Jahre andauern wird. Spricht man die Montagsdemonstrationen der Querdenker-Szene an, hat sie kein Verständnis. Sie hatte lange Zeit Angst davor, ihre Krankheit in der Öffentlichkeit zu thematisieren, doch ein Bedürfnis ist stärker: anderen Patient:innen Mut zu machen. Die 61-Jährige hat mir ihre Geschichte erzählt.

Ich sinke immer weiter ein in das Ledersofa. Nicht aus Langeweile oder Müdigkeit, sondern aufgrund einer Art Schockstarre. Zwei Stunden lang höre ich zu und versuche zu verstehen, warum diese Welt so paradox ist. Warum die Krankheit Post-Covid einen Menschen so hart trifft, einen anderen gar nicht und wieder jemand anderes sie leugnet. Diese Frau, die mir gegenüber sitzt, strahlt so viel Positives aus, obwohl ihr so viel Schlimmes begegnet ist. Ich danke ihr von Herzen, dass sie mir trotz der Anstrengung ihre kostbare Zeit schenkt und mich ihre Geschichte auf Papier bringen lässt. Ich muss an dieser Stelle eine Trigger-Warnung aussprechen. Psychische wie auch physische Erkrankungen bis hin zur Todesangst werden detailliert beschrieben. Menschen, die sich mental nicht in der Lage fühlen, damit konfrontiert zu werden, sollten diesen Artikel bitte nicht lesen.

Im Februar 2020 habe ich mich beim Babysitten mit Covid angesteckt. Die Familienmitglieder hatten zu dieser Zeit eine Lungenentzündung. Ein paar Tage später ging ich mit meinem Mann spazieren; auf einer kleinen Anhöhe habe ich keine Luft mehr bekommen, als würde mir jemand ein Messer ins Herz stechen. Ab diesem Zeitpunkt habe ich mich schwer krank gefühlt, bin trotzdem am nächsten Tag zur Arbeit gegangen, bis ich nach drei Treppenstufen fast umkippte. Als ich dann zu meinem Hausarzt fuhr, hat er mich sofort in die Notaufnahme geschickt: Verdacht auf Herzinfarkt. Zu diesem Zeitpunkt war Covid noch nicht ganz greifbar. Ich hatte das Gefühl, dass man mich auf den Kopf stellt, durchschüttelt und in meinem Körper nichts mehr wie zuvor an seinem Platz ist. Ich erbrach eine Menge Blut, konnte nicht stehen, sitzen oder laufen. Ich hatte eine Nierenkolik, unfassbare Schmerzen im ganzen Körper, Schwindel und immer wieder Atemnot. Das führt zu Panik. Es gab Momente, da dachte ich, ich sterbe. Unzählige Male wurde ich in die Notaufnahme gebracht. Im Juli wollte ich unbedingt wieder arbeiten gehen, aber die Wiedereingliederung klappte nicht. Als Jugendpflegerin im Rathaus der Gemeinde Waltenhofen und selbständige Traumatherapeutin konnte ich meiner Arbeit einfach nicht mehr nachgehen. Ich habe meinen Jahresurlaub genommen mit der Hoffnung, dass ich nach einer Ruhephase wieder in meine Berufe einsteigen kann. Keine Chance. Die Stelle als Jugendpflegerin musste ich erst einmal aufgeben und meine Praxis ruht. Der Kampf um eine finanzielle Unterstützung für meine Therapie oder die Rente ist mühsam, doch zum Glück bekomme ich wenigstens Arbeitslosengeld.

ICH STAND IN KEMPTEN VOR EINEM SCHILD UND KONNTE NICHT MEHR ZUORDNEN, IN WELCHER STADT ICH BIN.

Eines Tages stand ich vor einem Schrank und mir fiel das Wort dafür nicht mehr ein. Durch ein MRT musste ausgeschlossen werden, dass ich Alzheimer habe. Die Viren können entzündliche Prozesse im Gehirn auslösen. Eine Situation hat mir wirklichAngst gemacht: Ich stand in Kempten vor einem Schild und konnte nicht mehr zuordnen, in welcher Stadt ich bin. Zusätzlich wurde bei mir das Alien-Hand-Syndrom festgestellt; ich sagte meiner Hand: „Greif das Glas“, aber durch die neurologische Störung griff ich immer daneben.

Letztes Jahr im September gab es einen Lichtblick; ich bekam einen Platz in der Post-Covid-Ambulanz des Universitätsklinikums Augsburg. Ein großer Segen! Hier wurde mir so gut geholfen, dass ich seitdem erste Erfolge feiern kann, zum Beispiel ein Stockwerk ohne Pause hochzulaufen. Meine Lungenfunktion hat sich auch verbessert. Meine Atemphysiotherapeutin Nadine F. und meine Ergotherapeut:innen David K. und Alice-Sofia G. lindern die Symptomatik und helfen mir mit wertvollen Tipps, die ich Zuhause anwenden kann. Ich empfehle allen Betroffenen dort hinzugehen.

DURCH DIE AUSÜBUNG MEINES EHRENAMTES IST ES IN MIR DRIN HELL GEBLIEBEN.

Mein Verein „Herzenswünsche Allgäu e. V.“ sorgt dafür, dass meine psychische Gesundheit nicht auch noch angegriffen wird. Gemeinsam mit meinem Team erfülle ich kranken Kindern Herzenswünsche. Eine Fahrt mit dem Feuerwehrauto oder einen Besuch im Europapark. Durch die Ausübung meines Ehrenamtes ist es in mir drin hell geblieben. Kürzlich hat sich ein krankes Mädchen gewünscht, anderen kranken Kindern einen Wunsch zu erfüllen. Das trifft mich mitten ins Herz und lässt mich weitermachen. Diese ehrenamtliche Tätigkeit tut mir gut und ich kann ihr in meinem Tempo nachgehen.

Auch wenn es für mich anstrengend ist, ist es mir wichtig, hier meine Geschichte zu erzählen. Ich will mit den Betroffenen teilen, was mir geholfen hat. Zum Beispiel, wenn ich am ganzen Körper das „Blaue-Fleck-Gefühl“ habe, dann helfen mir Retterspitz-Umschläge. Hochdosiertes Vitamin C ist im Moment auch sehr effektiv gegen meine Schmerzen und Entzündungen. Es ist wichtig, dass sich die Betroffenen darüber austauschen, was ihnen hilft. Wer mit mir in Kontakt treten möchte, darf mir gerne eine E-Mail schicken: a.traumatherapie@gmx.de

Ich habe schon oft überlegt, mit meiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Doch die Angst davor, wie sie ausgelegt wird, war größer. Heute habe ich eine andere Sichtweise. Wenn du eine Chemotherapie aufgrund von Krebs hast, verlierst du die Haare – man sieht es dir an. Uns Long- oder Post-Covid-Betroffenen sieht man es in vielen Fällen nicht an, trotzdem sind wir schwerkrank. Mir geht es darum, dass, wenn sich viele zusammentun, zum Beispiel auch die Chancen auf Fördergelder steigen und diese werden dringend für Studien, Medikamente und Therapien gebraucht.

DIE DEMONSTRATIONEN DER CORONALEUGNER:INNEN WAREN SCHLIMM. WIE EIN SCHLAG INS GESICHT, MIR KAMEN OFT DIE TRÄNEN.

Das Gefühl, dass man uns nicht glaubt, verletzt. Es gab eine Situation, in der ich direkt konfrontiert wurde. Ich habe einen Bekannten, einen Querdenker darum gebeten, zu unser aller Schutz eine Maske aufzusetzen. Seine Reaktion: „Das ist lächerlich, ich zieh so etwas nicht auf. Lass dich doch nicht so verarschen, du hast doch nichts, das ist irgendetwas anderes.“ Das hat einen Mix an Gefühlen in mir ausgelöst: Wut, Traurigkeit, Ohnmacht, Hilflosigkeit. Die Demonstrationen der Coronaleugner:innen waren schlimm. Wie ein Schlag ins Gesicht, mir kamen oft die Tränen. Ich verstehe nicht, warum Menschen gegen etwas demonstrieren, was Leben zerstört. Ich weiß nicht, ob ich ohne meine drei Impfungen überhaupt noch hier wäre. Diese Menschen lassen nicht mit sich reden. Selbst wenn du sie an das Bett von Covid-Betroffenen setzt, würde es an ihrer Meinung nichts ändern. Zum Glück habe ich gelernt, mich davon emotional abzugrenzen.

Eine Situation hat mich besonders berührt, als ich mal wieder im Klinikum Kempten lag und zum Schutz der Patient:innen niemand in die Notaufnahme durfte. Ich kam damit einigermaßen klar, aber um mich herum wurden Menschen beatmet, weinten vor Einsamkeit und Todesangst und baten inständig, ihre Familien sehen zu dürfen. Die Pfleger:innen waren sehr mitgenommen, weil sie ihnen nicht helfen konnten. Ich höre und spüre diese Situationen heute noch.

NICHT JEDER TAG IST GUT, ABER ES GIBT ETWAS GUTES AN JEDEM TAG.

Im Moment muss ich noch eine Menge Schmerztabletten nehmen, immer dann, wenn die Schübe kommen. Sie äußern sich unter anderem in Muskelschmerzen, aber zum Glück werden die zeitlichen Abstände dazwischen immer größer. Ich höre auf dem linken Ohr nichts mehr; trotz Cortisonspritzen kommt das Hören auf dem Ohr nicht zurück. Wenn ich einen heftigen Schub habe, brauche ich absolute Ruhe. Am Anfang konnte ich nur zehn Minuten am Stück laufen, heute bin ich stolz auf eine halbe Stunde. Auch wenn mein Leben ziemlich auf den Kopf gestellt wurde und ich vieles, was ich geliebt habe, aufgeben musste, habe ich andere Freuden behalten und welche dazugewonnen. Das gibt mir Freude und Kraft. Die Natur, ein Besuch in der Kinderklinik, blühende Blumen in meinem Garten und mein Dankbarkeitstagebuch; hier schreibe ich jeden Tag rein, was mir Gutes an diesem Tag begegnet ist. Kleine Glücksmomente, für die ich dankbar bin. Nicht jeder Tag ist gut, aber es gibt etwas Gutes an jedem Tag. Wenn man das verinnerlicht, wird vieles leichter.

Ich lasse mich von dieser Krankheit nicht unterkriegen. Ich versuche aus jedem Tag das Beste und Unmögliches möglich zu machen. Meine Vision ist es, dass ich eines Tages wieder auf dem Grünten stehe. Mein Mann muss zwar den Rucksack tragen, aber ich werde es aus eigener Kraft dort hoch schaffen.

Vielen Dank, liebe Andrea, dass du so mutig bist und mit den Leser:innen deine Geschichte teilst. Auch deine Arbeit für Herzenswünsche Allgäu ist unglaublich inspirierend. Ich nehme das zum Anlass, auch einen Herzenswunsch zu äußern: Ich wünsche mir, dich auf einer Wanderung auf den Grünten zu treffen. Vielleicht erfüllst du mir den ja ganz bald.

POST-COVID AUS SICHT EINER ÄRZTIN

STEFANIE BADER IM INTERVIEW

Stefanie Bader ist Oberärztin der Pneumologischen Hochschulambulanz an der Universitätsklinik Augsburg. Mit dem Schwerpunkt Post-Covid hat sie jeden Tag mit Patient:innen wie Andrea Portsidis zu tun. Im Interview gibt sie uns einen Einblick, auf welche Symptome die Betroffenen achten sollten, welche Zielgruppe besonders gefährdet ist und welche Behandlungsmethoden helfen können.

Wie erkennt man die Krankheit Long- beziehungsweise Post-Covid?

Definiert ist die Erkrankung als ein Syndrom, das durch spezielle Symptome wie Atemnot, Kurzatmigkeit, Husten, muskuläre Schmerzen, Kopfschmerzen, Riechstörungen, Konzentrationsstörungen und Erschöpfung gekennzeichnet ist. Dies im zeitlichen Zusammenhang mit einer SARS-CoV2-Infektion, die drei Monate nach Erkrankung noch besteht und länger als zwei Monate anhält.

Wie viele Menschen leiden seit Beginn der Pandemie daran?

Circa 15 Prozent entwickeln ein Post-Covid-Syndrom; dies hat sich im Verlauf der Pandemie etwas reduziert. Wahrscheinlich weil eine Veränderung des Virus stattgefunden hat. Gemutmaßt wird auch, dass durch die breite Anwendung der Impfung das Post-Covid-Syndrom in der Inzidenz reduziert wurde. Aktuell sind circa 700 Patient:innen bei uns in der Post-Covid-Ambulanz angebunden, aber es gibt weiterhin Neuvorstellungen.

Was für Behandlungsmöglichkeiten gibt es und wie sehen die Erfolgschancen aus?

Aktuell gibt es noch keine spezifische Therapie. Etabliert sind Physiotherapie, Atemtherapie, Gehirnleistungstraining, neurokognitive Ergotherapie, Schmerztherapie, Post-Covidspezialisierte Rehabilitationsmaßnahmen, Energiemanagement, Coping-Verfahren und moderates Ausdauertraining. Falls es zu Organschäden gekommen ist oder behandelbare Einschränkungen vorliegen, so gilt die Therapie nach entsprechender Leitlinie.

Gibt es eine bestimmte Risikogruppe?

Die Datenlage ist noch unklar, aber es zeichnet sich ab, dass eher jüngere Menschen unter 60 Jahren betroffen sind.

Was raten Sie Menschen, die von Longund Post-Covid betroffen sind?

Eine schwierige Frage, da wir ja immer gleichauf mit der Erkrankung sind. Wir können noch nicht sagen, woher die Erkrankung kommt, was wir genau dagegen tun können und wie lange die Verläufe sind. Wir sehen einige Fälle, die mit der Zeit beschwerdefrei sind, gleichzeitig sehen wir Patient:innen, die weiterhin auch nach zwei, drei Jahren Beschwerden haben. Im Prinzip kann ich alle nur um Geduld bitten und zu den oben genannten Therapien raten.

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