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DAS „WIR“ NEU DEFINIEREN

Ein Aufruf Zur Menschlichen Revolution

Ein Gastbeitrag von Vanessa Frontzeck

Seit über 16 Jahren arbeite ich mit jungen Menschen – sei es in Schulen, therapeutischen Jugend-Wohngruppen oder als Jugend- und Familiencoach. Täglich begegne ich den Themen, die Menschen bewegen. Sehr häufig geht es dabei um das Gefühl, nicht angenommen zu sein, so wie man ist. Dieser Artikel ist deshalb ein leidenschaftlicher Aufruf, die essentielle Verbundenheit, die uns alle eint, wieder zu entdecken.

Die soziale Dimension der Trennung

Trennungen sind doof. Ich denke, das wissen wir alle spätestens seit unserem ersten Liebeskummer. Sie zerquetscht unser Herz, wir sind davon genervt, dass die Sonne weiter scheint und unsere Energie ist so Low-Level, dass selbst das kleinste Lächeln als eine unmögliche Hürde erscheint. Kurzum: Getrenntsein ist nicht schön. Und trotzdem leben so viele Menschen getrennt. Nicht unbedingt getrennt von einem Partner oder einer Partnerin (hier hat sich zumindest die Scheidungsrate in den vergangenen Jahren laut Statistischem Bundesamt verringert). Nein, ich rede von einer Trennung, die wir oft nicht bewusst auf dem Schirm haben: die Trennung zu unseren Mitmenschen. Lest den letzten Satz ruhig nochmal und überlegt, wo ihr diese Trennung (er)lebt.

Vom VAKOG-Modell

zur sozialen Harmonie

Wir alle haben unsere Prägungen, unsere Erlebnisse aus der Kindheit, die schön oder grausam oder einfach okay war, unsere angeborenen Attribute, unsere aus der eigenen Sozialisation entstandenen Charaktere und so weiter. Zusammengefasst: kein Mensch ist gleich. Das ist schon irgendwie verrückt oder?

Auch wie wir als Individuum mit Informationen umgehen, ist unterschiedlich. Das VAKOG-Modell, ein Konzept aus der Neurolinguistischen Programmierung (NLP), beschreibt, wie Menschen die Welt unterschiedlich wahrnehmen und verarbeiten – nämlich durch visuelle (V), auditive (A), kinästhetische (K), olfaktorische (O) und gustatorische (G) Sinne. Dieses Modell kann helfen zu verstehen, warum wir manchmal Schwierigkeiten haben, uns in andere hineinzuversetzen. Indem wir erkennen, dass jeder Mensch die Welt auf seine eigene Weise erlebt, können wir Trennung überwinden.

In einer Welt, die von Diversität geprägt ist, ist es unerlässlich, dass wir lernen, die Verbindung wieder mehr zu sehen und zu schätzen. Die Wissenschaft zeigt, dass unsere genetischen Unterschiede und die Vielfalt unserer Erfahrungen zu einer reicheren Gesellschaft beitragen. Studien in der Sozialpsychologie haben belegt, dass Gruppen mit einer breiten Palette von Fähigkeiten oft kreativere und innovativere Lösungen für Probleme finden. Und wenn wir eine Sache heutzutage dringend brauchen, dann sind es wohl Lösungen.

Die Kraft der Akzeptanz

Die Trennung, die wir von unseren Mitmenschen erleben, ist nicht nur ein persönliches Gefühl, sondern hat auch eine soziale Dimension. Soziologische Studien zeigen, dass soziale Isolation und das Gefühl der Entfremdung zu den größten Herausforderungen unserer Zeit gehören. Die Pandemie hat diese Trennung noch verstärkt und gezeigt, wie wichtig menschliche Verbindungen für unser Wohlbefinden sind. Es ist an der Zeit, dass wir Mauern, die wir aufgebaut haben, niederreißen und wieder lernen, die Gemeinschaft zu schätzen.

Ein Aufruf zum Handeln

Es ist an uns, die Initiative zu ergreifen und die Veränderung zu sein, die wir in der Welt sehen wollen. Wir können damit beginnen, indem wir unsere eigenen Vorurteile hinterfragen und uns bewusst für Empathie und Verständnis entscheiden. Jede:r von uns kann einen Beitrag leisten, indem wir uns für die Akzeptanz anderer entscheiden – ganz bewusst.

Zu sehr liegt der Fokus auf den Unterschieden; darauf, wer etwas wie besser oder schlechter oder anders macht, als wir selbst. Was die anderen haben oder eben nicht. Inwiefern die anderen anderer Meinung sind. Wo die anderen anders sind. Anders. Getrennt von uns. Und was ist das Resultat? Traurigkeit, Vereinsamung, Wut und massenweise undurchdachte, plumpe Kommentare in den Sozialen Medien, die mittlerweile ein großer Teil unserer Lebenswirklichkeit geworden sind.

Ich rufe dazu auf, es wieder anders zu machen. Wir müssen uns dafür noch nicht mal anstrengen, wir müssen uns nur dazu entscheiden.

NACHGEFRAGT:

Kannst du eine persönliche Erfahrung teilen, bei der das Überwinden von Vorurteilen oder das Erkennen gemeinsamer menschlicher Verbindungen zu positiven Effekten geführt hat?

In meinem Selbstverteidigungskurs kommen ganz unterschiedliche Menschen zusammen – sei es in Bezug auf das Alter, die Religion, die Sexualität oder körperliche und geistige Einschränkungen. Es gibt keine Ausgrenzung. Wir sind eine Gruppe, die zusammen trainiert, schwitzt, Spaß hat und auch nach dem Training etwas zusammen unternimmt. Wir unterscheiden uns nicht. Wir sehen uns als Kollektiv, das ein gemeinsames, verbindendes Hobby hat.

Chris Doser (43) aus Kempten

Ja, das erkenne ich immer wieder vor allem beim Feiern. Ich liebe es, feiern zu gehen und diese positive Stimmung, die lachenden Gesichter und das gemeinschaftliche Tanzen zu beobachten und zu spüren. Auf der Tanzfläche im Rhythmus der Musik fühle ich mich verbunden und das positive Gefühl trägt mich durch meine Woche.

Melanie Frontzeck (39) aus Kaufbeuren

Als junger Physiotherapeut habe ich oft erlebt, wie Vorurteile Menschen voneinander trennen können. Doch bei einem Patienten lernte ich, dass wir alle tiefe menschliche Verbindungen haben, die über äußere Unterschiede hinwegreichen. Seine Entschlossenheit, sich zu verbessern, und unsere gemeinsamen Gespräche über Leben und Träume haben mir gezeigt, wie wichtig es ist, Vorurteile abzubauen und aufeinander zuzugehen.

Eugen Bushtest (26) aus Leutkirch

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