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„IMMER WIEDER SCHEITERT DIE ÜBERGABE AM

PRINZ-CHARLES-SYNDROM“

Neue Arbeitskultur Ver Ndert Unternehmensnachfolgen

von Anke Roser

Dieses Mal geht es in unserer Serie „Arbeit im Wandel“ um das Finden und Verwirklichen von Nachfolgeregelungen in Unternehmen. Dafür haben wir mit der Managementtrainerin, Wirtschaftsmediatorin, systemischen Coachin, Autorin und Nachfolge-Expertin Elisa M. Trunk gesprochen, die in Kempten das Unternehmen E. T. Consulting führt. Wie sich „New Work“ auf die Unternehmensnachfolge auswirken kann, woran Übergaben oft scheitern und wann eine Unternehmensgründung einer -übernahme vorzuziehen ist, lest ihr im Interview.

Frau Trunk, Sie beobachten und begleiten seit Jahrzehnten Unternehmensnachfolgen. Was hat sich in den letzten Jahren geändert?

Die signifikanteste Veränderung ist wohl das Verständnis von Unternehmensführung. Diejenigen, die ihre Firma übergeben wollen, kommen oft aus einer Zeit, in der der Chef das letzte Wort hatte und das Unternehmen eher patriarchalisch geführt hat. Dagegen ist es für heutige Nachfolgerinnen und Nachfolger zunehmend selbstverständlich, den Mitarbeitenden eine stärkere Beteiligung zu ermöglichen.

Klar, auch hier gibt es noch traditionellere Vorstellungen mit hierarchischen Strukturen, daneben aber auch Unternehmen, in denen sich der Chef quasi selbst ‚abschafft‘. Ich habe Unternehmen gesehen, in denen die Mitarbeitenden unternehmerische Verantwortung übertragen bekommen und sogar am Unternehmensvermögen beteiligt werden. Das erfordert einen völlig anderen Führungsstil.

Sie schreiben aktuell ein Buch über das Geheimnis erfolgreicher Unternehmensübergaben. Wie ist die Lage in Deutschland, stehen viele Übergaben an? Und stehen genügend Nachfolgende bereit?

Es sind extrem viele Übergaben in der Pipeline: Laut der DatenPlattform Statista stehen in den Jahren von 2022 bis 2026 in Deutschland insgesamt 190.000 Familienunternehmen zur Übergabe an. Ungefähr zwei Drittel der kurzfristig geplanten Nachfolgen wurden bereits endgültig vereinbart, das übrige Drittel steht noch vor einer ungewissen Zukunft.

Ein großes Problem: Es gibt zu wenig geeignete Kandidatinnen und Kandidaten. Das Gründungs- und Nachfolgeinteresse ist hierzulande gering – auch weil Bürokratie und Steuerrecht so komplex sind. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass jeder vierte kurzfristige Nachfolgewunsch unerfüllt bleibt. Besonders düster sieht es bei externen Übergaben aus.

Oft erlebe ich in diesem Zusammenhang, dass sich Unternehmensinhaber zu spät Gedanken um ihre Nachfolge machen. Sie haben manchmal unrealistische Vorstellungen, was die potenziellen Nachfolgerinnen beziehungsweise Nachfolger angeht, aber auch bezüglich des Preises, den sie sich erhoffen. Es steckt so viel Herzblut und nicht selten das ganze Leben im Unternehmen – wie soll das in Form von Geld abgebildet werden?

Sie haben für Ihr Buch mehrere Unternehmensinhaber und Nachfolger:innen interviewt. Welche unterschiedlichen Modelle und Vorgehensweisen haben Sie dabei kennengelernt?

Eine große Bandbreite! Da gibt es Unternehmer, die nur scheinbar aufhören und sich – je nach Größe des Unternehmens – in den unterschiedlichsten Gremien weiterhin tummeln. Das kann unter Umständen gutgehen – aber nur, wenn ehrlich und transparent kommuniziert wird und alle ihre Rollen und Aufgaben kennen. Ich habe aber auch Unternehmerinnen und Unternehmer kennengelernt, die sich sehr früh darüber im Klaren waren, wann sie aufhören wollen und dann vollkommen abgeben. Die machen dann in der folgenden Lebensphase etwas ganz anderes und erfüllen sich damit nicht selten einen lange gehegten Wunsch.

Aus ihrer Erfahrung als Mediatorin und Beraterin: Was sind die größten Probleme bei einer Übergabe?

Die erste Problematik liegt nach meiner Erfahrung im zu langen Warten, in der Ungewissheit, wann sich der Senior, die Seniorin zurückziehen will. Vor allem innerhalb der Familie scheitert die Übergabe nicht selten am zögerlichen Verhalten der Übergebenden, man nennt das auch Prinz-Charles-Syndrom.

Das zweite Problem, das ich sehr oft erlebe, sind verdeckte Konflikte, die schon lange schwelen und nie gelöst wurden, jetzt aber durch die Herausforderung der Nachfolge auf den Tisch müssen. Die dritte Herausforderung ist häufig die Dialogunfähigkeit der bisherigen Führungsperson, die ja lang alles alleine entscheiden konnte. In meiner Beratung versuche ich immer deutlich zu machen, welche Vorteile es hat, wenn alle Betroffenen zu Beteiligten gemacht und in den Prozess einbezogen werden.

Gibt es auch Situationen, in denen eine Unternehmensnachfolge keinen Sinn macht und man lieber eine Neugründung bevorzugen sollte?

Diese Frage stellt sich nur aus der Perspektive der Übernehmenden. Wenn jemand eine Firma führen möchte, ist es eine berechtigte Überlegung, ob die Rahmenbedingungen bei einer Nachfolge wirklich passen oder zu viele Kompromisse nötig sind.

Bei einer Neugründung ist man keinem außer sich selbst Rechenschaft schuldig. Man kann ganz neue Partnerschaften eingehen und radikal innovativ sein. Bei einer Nachfolge dagegen ist das Unternehmen schon im Markt eingeführt, man hat einen bestehenden Kundenstamm und erfahrene Mitarbeitende –auch ein Vorteil.

Welche Nachfolgeregelung hat Sie in Ihrer Berufslaufbahn ganz besonders beeindruckt? Und liegt dort vielleicht das Geheimnis für eine gelungene Nachfolge?

Ich bin ein großer Fan von ‚New Work‘. Dieser Begriff beschreibt den strukturellen Wandel in unserer Arbeitswelt – bedingt durch die Digitalisierung und die veränderten Bedürfnisse der nachfolgenden Generationen. Vor allem aber beschreibt er eine Grundhaltung, die den Menschen die nötige Freiheit verschafft, zu erkennen, was sie wirklich tun möchten. Oder anders gesagt: New Work bedeutet das Ende der klassischen Lohnarbeit zugunsten von mehr Unabhängigkeit, Selbstbestimmtheit des Einzelnen und gemeinschaftlicher Teilhabe.

In vielen Firmen habe ich genau diese Wünsche der Unternehmerinnen und Unternehmer gehört: Sie wollen Mitarbeitende, die mitdenken, selbstbestimmt sind, mitgestalten und in ihrem Kompetenzbereich Verantwortung übernehmen. Dabei muss allerdings allen klar sein, dass das ein Prozess ist, der Zeit braucht. Selbst Institutionen wie die IHK und die KfW sprechen davon, dass eine vollständige Übergabe und Neuorganisation mindestens drei Jahre dauert. Ich würde sagen, dass man sich sogar bis zu fünf Jahre Zeit nehmen sollte, um aus alten Denkgewohnheiten auszusteigen und ganz neue zu etablieren.

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