Klettern Itw Christophe Dumarest Sept 13

People „Genau dort fühle ich mich gut.“ Dumarest‘sche Wohlfühlatmosphäre in der Nordwand der Grandes Jorasses.

100 prozent alpin Die Liste seiner extremen Neutouren und Wiederholungen ist lang, doch für Christophe Dumarest zählen weniger Grade und Leistungen als der ästhetische und emotionale Wert seiner Touren.

Der franzö­sische Spitzenalpinist und Bergführer im Porträt.

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Foto: Pascal Tournaire

Text: lucia prosino

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Ein weiteres Vorbild für Christophe ist der 2004 tödlich verunglückte Patrick Berhault, der ihn vor allem mit seinen Enchaînements inspirierte. Seit 2006 hat Christophe sich immer wieder solche Verknüpfungen von Routen ausgedacht, wobei er großen Wert auf Ästhetik und einen historischen Kontext legt. 2008 traversierte er mit Patrick Gabarrou vom Monte Rosa zum Matterhorn und überschritt dabei einige der schönsten Berge im Wallis. Einige seiner Enchaînements hat Christophe in Filmen dokumentiert, um seine Eindrücke mit anderen Menschen zu teilen. Aus seiner zwölftägigen Aneinanderreihung von acht Nordwänden quer durch die Dauphiné mit Aymeric Clouet entstand der Film „Les Méridiens des Écrins“. Eine wunderschöne Hommage an Walter Bonatti ist der bereits erwähnte Film „La voie Bonatti“, der Christophes Enchaînement von drei großen Routen des Italieners im Montblanc-Massiv begleitet. Für einige Szenen der preisgekrönten Dokumentation schlüpften Christophe und sein Kletterpartner Yann Borgnet sogar in die Alpinbekleidung der 50er-Jahre und kletterten mit der damaligen Ausrüstung.

Ein Päuschen in Ehren beim Enchaînement am Fiz-Massiv 2012.

Rechts: Ebendort im Traumkalk von Entre les Gouttes (7c+, 300 m).

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Berge als Lehrmeister Sein Vater nahm Christophe bereits als Kind zu zahllosen Ausflügen, Abenteuern und Besteigungen mit in die Berge. Die erste Skitour machte Christophe mit sechs Jahren, seinen ersten Viertausender bestieg er noch vor seinem zehnten Geburtstag.

Wenn man schon in so jungen Jahren so viele beeindruckende Sonnenuntergänge

Hinter dem hochbegabten Athleten verbirgt sich ein äußerst kreativer und sensibler Mensch, der gerne Witze reißt und begierig ist, seine Erfahrungen mit anderen zu teilen. Christophe ist es wichtig, anderen Menschen eine Botschaft zu vermitteln – unter anderem, wie man eine Balance im Leben erreicht. Am Ende seines Films „La voie Bonatti“ beschreibt er seinen Zugang zum Bergsteigen: „Ich fühle mich einfach wohl, wenn ich in den Bergen bin, und ich denke, dass es vielen Menschen genauso geht. In mich selbst gekehrt in einer unbeschädigten Naturlandschaft zu sein, das sind für mich immer wieder einzigartige Erlebnisse, die sich nicht in Worte fassen lassen, die mir aber enorm viel Energie geben. Deshalb suchen viele Menschen solche Momente, in denen sie mit den Elementen verschmelzen und ihre eigene Identität, ihre Balance finden, immer wieder.“

Im hier und jetzt Wann und wo er sich behaglich fühlt, darin unterscheidet Christophe sich allerdings von den meisten Zeitgenossen. Wenn er als Motivationstrainer vor Firmen spricht, benutzt er gerne ein Foto, das auch auf der Startseite seiner Webpage (und unserem Aufmacher) zu sehen ist. Das Bild zeigt ihn und Aymeric Clouet in der Gabarrou-Apertet (6b, A1, 90 Grad, 850 m) in der Nordwand der Grandes Jorasses. Auf dem atemberaubenden Luftbild verstecken sich die Kletterer in der bedrohlich wirkenden Wand, nur Christophes rote Jacke macht ihn sichtbar – in starkem Kontrast zu der Düsterkeit eines heraufziehenden Sturms.

Doch Chris­tophe besteht darauf, dass er in diesem Moment glücklich war. „Genau dort in dieser Wand und auch bei solchen Bedingungen fühle ich mich gut. Ich teste meine Grenzen aus und lebe den Moment.“

„Vor jeder aktion steht immer ein traum.“ die Träume werden Christophe sicher nicht ausgehen

Fotos: Marc Daviet (2, oben), Bruno Peyronnet (re. unten)

rankreich ist bekannt für seine außergewöhnlichen Kletterer und Alpinisten. Einer von ihnen ist Christophe Dumarest.

Seit zehn Jahren sorgt er in der französischen Alpinszene mit Erstbegehungen und Wiederholungen extremer Routen für Aufsehen. Seine 2005 mit Patrick Gabarrou und Phillipe Batoux eröffnete Route Heidi (M5+, A3, 5c, 850 m) in der Nordwand der Grandes Jorasses wurde vom Französischen Alpinverband mit einem Crystal FFME als beste Erstbegehung des Jahres ausgezeichnet. Tifenn (6, A1, M8+, 1100 m), eine gewaltige Neutour durch die Nant-Blanc-Flanke der Aiguille Sans Nom, die er 2007 mit Thomas Emonet kletterte und nach seiner Lebensgefährtin benannte, wurde bis dato nicht wiederholt. Über die Landesgrenzen hinaus ist der 33-jährige Bergführer jedoch relativ unbekannt. Das liegt daran, dass es nicht sein Ding ist, in einem fort Höchstleistungen aneinanderzureihen und diese postwendend in die Welt hinauszuposaunen. „Ich bin ein Alpinist, dem es schwer fällt, sich selbst als professionellen Bergsteiger zu sehen“, sagt Chris­tophe und ergänzt, „ich denke nicht, dass mein Alpinismus Pionierarbeit ist, und er wird ganz sicher nicht die Welt verändern.“ Bescheidene Worte.

Seine Grenzen hat er in den letzten zehn Jahren reichlich ausgetestet. 2004 gelang ihm mit dem französischen Nachwuchs-Alpinkader in Norwegen an der TrollryggenWand eine Wiederholung respektive Neueröffnung der Rimmon Route (6+, 900 m), die seit einem Felssturz im Jahr 1998 als unbegehbar galt. 2005 eröffnete er mehrere extreme Routen im Montblanc-Gebiet und im Wallis und kletterte mit den Petit-Brüdern die Eternal Flame (7b, A2) am Name­ less Tower im Karakorum. Es folgten weitere Expeditionen nach Alaska, Kanada, Tibet, Madagaskar, Indien und Patagonien. Dort glückte Christophe 2008 mit Aymeric Clouet am Fitz R0y die Erstbegehung von Le Chercheur d‘absolue (7a, A2, 600 m). Und an

der Grand Dru schaffte er 2012 zusammen mit Yann Borgnet eine freie Begehung der klassischen Lesueur Route (M8+, 900 m). auf bonattis spuren A propos Klassiker. Generell fühlt sich Christophe von geschichtsträchtigen Routen angezogen. Die früheren Alpinisten-Generationen spielen eine wichtige Rolle für seine Herangehensweise ans Bergsteigen.

Er will ihr Vermächtnis erhalten. Neben dem „Abenteurer“ Walter Bonatti bewundert er besonders Erhard Loretan für seine starke Ethik und Patrick Gabarrou, den er als 13-Jähriger kennenlernte und mit dem er heute eine Seilschaft bildet, der schon zig Erstbegehungen gelungen sind.

Christophe und Yann Borgnet im 50‘sLook beim Dreh von „La voie Bonatti“. klettern 29

Schatten des Mont Blanc liegt ein verstecktes Kleinod: das Platé desert. Es war eine wundervolle Reise entlang dieser Festung.“ Genau diesen versteckten oder vergessenen Schmuckstücken der Natur gilt sein Augenmerk. Was ihn unter den vielen talentierten Bergsteigern hervorhebt, ist seine Fähigkeit, große sportliche Leistungen so zu verknüpfen, dass sie einen ästhetischen oder historischen Zusammenhang bekommen.

Manchmal geht es ihm aber „nur“ ums Naturerlebnis. Kurz nach der Fiz-Trilogie kletterte er mit Yann Borgnet drei bis zu 400 Meter hohe Wände im Vercors an einem Tag. Die großen Distanzen dazwischen legten sie zu Fuß zurück – nicht um ihre außergewöhnliche Ausdauer zu beweisen, sondern um „eine Herausforderung leichten Herzens anzugehen. Es war einfach eine gute Gelegenheit, um unseren Entdeckerdrang in der Natur zu stillen.“ Mehr Zeit in der Heimat zu verbringen, bedeutet nicht, dass Christophe gar nicht mehr zu Expeditionen auf anderen Kontinenten aufbricht. Zuletzt reiste er im Herbst 2012 mit Thomas Vial­letet nach China, wo ihnen im Siguniang-Massiv eine feine Erstbegehung gelang. In der Nordwand des zuvor unbestiegenen, 5650 Meter hohen Chang-gou (alias Lara Peak) eröffneten sie an einem Tag Largo‘s Route (ED-, WI 6, M5, 5c, 800 m), die Christophe nach seinem Sohn benannte.

Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Laune. Christophe Dumarest kennt beides nicht. Oben auf dem Fitz Roy, rechts am Brouillardgrat des Mont Blanc während des Bonatti-Enchaînements 2010.

und Morgendämmerungen, perfekte Bergprofile und eindrückliche Landschaften erlebt, bekommt man ein tieferes Verständnis für die Natur und wird von ihr geprägt. „Ich hatte zwar noch keine Vergleichsmöglichkeit, weil ich ja nichts anderes kannte, aber ich fühlte schon damals, dass die Berge mir Energie und Selbstvertrauen geben.

Klar, war es manchmal hart, ich war ja noch ein Kind, aber es gefiel mir“, erzählt Christophe. Auf seiner Webseite findet sich

Kurzbiografie

„mein alpinismus ist keine Pionier­­arbeit und wird sicher nicht die welt verändern“ ein Satz des Philosophen Plotin, der diese charakterbildende Eigenschaft von Natur in Christophes Sinn beschreibt: „Jede Seele ist und wird dazu, was sie erblickt.“ Die Idee, sich mit dem Bergsteigen selbst zu formen und immer wieder neu zu erfinden, übt auf Christophe bis heute einen großen Reiz aus. Mit diesem Ziel rief er auch 2008 mit Aymeric Clouet das Projekt „Shining Wall“ ins Leben. Kennengelernt hatten sich die beiden 2004 im FFME-Team und sich bald darauf zur „ACDC-Seilschaft“ (nach ihren Initialien) zusammengetan.

Ziel des Projekts war, die legendäre „Shining Wall“ des Gasherbrum IV, erstbegangen 1985 von Wojciech Kurtyka und Robert 30 klettern

Schauer, als letzte von fünf Etappen zu durchsteigen. Ausgehend vom MontblancMassiv wollten sie über Alaska und Patagonien nach Tibet reisen und insgesamt fünf große Wände durchsteigen. Inzwischen hat er dieses Projekt zwar ad acta gelegt, trotzdem steht es exemplarisch für die Faszination, die ungewöhnliche Ideen und große Expeditionen auf Christophe ausüben.

Abenteuer vor der Haustür Nach der Geburt seines Sohnes im Jahr 2010 entschloss Christophe sich, mehr Zeit in den europäischen Bergen zu verbringen.

Auf große Abenteuer verzichtet er deshalb keineswegs. Im Juli 2012 umrundete er bei-

spielsweise mit Yann Borgnet und Rémi Duhoux in acht Tagen das selten besuchte Fiz-Massiv in der Haute Savoie, das unter Geologen für sein karstiges Hochplateau, das „Platé desert“, bekannt ist. Dabei reihten sie acht Routen aneinander, darunter Biografiz (8a, 330 m) an der Paroi d‘Anterne, Entre les gouttes (7c+, 300 m) an der Paroi d‘Ayères und Albatros (7b+, 300 m) am Croix de Fer. Wenn er mit leuchtenden Augen von dieser Unternehmung spricht, wird klar, dass es ihm auch bei diesem beachtlichen Enchaînement nicht so sehr um die sportliche Leistung, sondern vorrangig um das Gesamterlebnis ging. „Als wildes und scheinbar uneinnehmbares Bollwerk erhebt sich das Fiz-Massiv mit beeindruckender Strenge und steht den großartigsten mittelalterlichen Festungen in nichts nach. Im Herzen der Festung, zwischen den Tälern der Giffre und der Arve und im

Fotos: Archiv Dumarest (ganz li.), Pascal Tournaire (oben), Christoffer Sjöström (re.)

Christophe Dumarest Werdegang: 18. Februar 1980 geboren und aufgewachsen in Annecy war Christophe bereits als Kind viel mit seinen Eltern im Gebirge unterwegs. 2003/2004 war er Mitglied von Frankreichs Alpinem Jugend-Natio­ nalteam, seit 2008 ist er Bergführer.

Heute lebt Christophe mit Lebensgefährtin Tifenn und ihren Kindern Largo (3) und Jasmine (3 Monate) in Villaz in der Nähe von Annecy.

Erstbegehungen: Patagonic, Mont Blanc, 2004; Miséricorde, Täschhorn, 2005; Le Grand Dièdre, Grandes Jorasses, 2006; Jean- Chri, Mont Blanc, 2007; Pigeon Feather, Bugaboos, Kanada, 2009; Destruction Massive, Droites, 2013; PaccalaDry, Aravis, 2013.

Wiederholungen: Weg durch den Fisch, Marmolada, 2004; Voie Lafaille, Dru, 2005; Eternal Flame, Karakorum, 2005; Gousseault-Desmaison, Grandes Jorasses, 2011; Voie Lesueur, Dru, 2012.

Sponsoren: Lafuma, Petzl, Julbo, Gore-Tex, Beal, Scarpa, Tingerlaat Web: www.christophedumarest.com

Träume leben Wie es oft der Fall ist, wenn man Zeit mit Menschen verbringt, die weit gereist sind und ihren Horizont erweitert haben, kommt man mit Christophe schnell ins Diskutieren, wie man sein Leben wohl am besten lebt. Und auch als Bergführer ist es ihm wichtig, seinen Kunden mehr zu bieten als eine sichere Führung.

Ist man mit ihm in den Bergen unterwegs, lernt man eine Menge. Vor allem eines: Antizipation. Einen Routenverlauf richtig zu lesen oder einen heraufziehenden Sturm zu erkennen, bevor man in eine gefährliche Situation gerät.

Ein Lernen, das sich auf den Alltag übertragen lässt. Sich informieren, vorbereiten und dann mit wachen Sinnen leben. Christophe würde noch hinzufügen: träumen. „Vor jeder Aktion steht immer ein Traum“, lautet sein Motto. Die Träume werden ihm ganz sicher nicht ausgehen.