Geisterhäuser/Leerstand

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Geister häuser

WORKSHOP #3

Eine Betrachtung durch Kinderaugen


Geister häuser Eine Betrachtung durch Kinderaugen


VORWORT


Geisterhäuser Luzia Bösch, 8 Jahre Als ich von diesem Projekt erfuhr, wollte ich sofort dabei sein. Ich war schon gespannt, was mich erwartete. Würden es verfallene Häuser mit alten Möbeln und zerbrochenen Fensterscheiben sein und wohnten dort wirklich Geister? Im ersten Haus führte eine „schiefe“ Treppe in den oberen Stock. Ich hatte Angst, dass die durchhängenden Decken vielleicht einstürzen könnten und die Kaminlöcher sahen aus wie Geister. Im Klo fanden wir einen kaputten Schuh, das war wirklich eklig. Zum Haus gehörte auch eine Stickerei. Überall lagen Röhrchen mit Fäden herum. Das zweite Haus war vis-à-vis vom ältesten Haus Lustenaus, dem Amannhaus. Es kam mir vor, als ob vor kurzem noch Leute darin gewohnt hätten. In diesem Haus war früher auch ein Stall. Während unseres Workshops besuchten wir dann noch Vanessa im Gemeindearchiv. Dabei forschten wir nach, wer früher in diesen Häusern gelebt hat. Auf dem Schulweg komme ich an einem Geisterhaus vorbei. Ich überlege dann, ob wohl noch jemand darin wohnt. Jetzt blühen im Garten schöne Blumen. Manchmal pflücke ich eine und schenke sie meiner Mama. Schade, dass in den Gärten der leer stehenden Häuser keine Kinder spielen dürfen. Viele schöne Häuser werden leider abgebrochen und die Erwachsenen bauen dann Blöcke. Dort haben die Kinder nicht mehr viel Platz zum Spielen.


Geisterhäuser Kurt Fischer, Bürgermeister von Lustenau Alte Häuser – oft seit Jahren unbewohnt – erzählen Geschichten, bergen Geheimnisse, Rätselhaftes. Dem berechnenden Blick der Erwachsenen bleibt dieser Zauber oft verborgen. Ganz anders der unverstellte Blick von Kinderaugen: ihnen erschließt sich eine geheimnisvolle Welt, sie sind den Geheimnissen auf der Spur, können sich für die Geschichte(n) der alten Häuser begeistern und bringen Leben in die verlassenen Räume. Ich danke den Kindern des Projekts „Geisterhäuser“ für die wertvollen Einblicke. Das eine oder andere „Geisterhaus“ – Teil des quantifizierten Leerstands von Lustenau – wird vielleicht gerade dadurch mit neuem Leben erfüllt und im Idealfall auch zur „Huomat“ von Kindern. Den Erwachsenen im Projektteam danke ich für die Begleitung der Kinder auf dem Weg zu den Häusern und auf ihren Erkundungen in den Häusern. Schön, dass Kinder auf diese Weise zu Wort kommen und dass das W*ORT einmal mehr gezeigt hat, wie wertvoll seine Grundidee ist: Es eröffnet Kindern einen Ort für Sprache und Dialog und gibt ihrem Denken und Schaffen Raum.


E I N THEM A – ZWE I W EG E DREHEN BITTE © Günter König

Also: Staunen, drehen, staunen, drehen. Und wieder von vorne. Vorsicht Schwindelgefahr. Viel Spaß.

26 E I N GU TE R RAT

24 NU TZE N STATT LE E R STE HE N LASSEN

12 LE E R STA ND I N ZA HLE N

10 WE ITE R FÜ HR E NDE BE TRACHTU NG

6 VOR STU DIE

2 VORWORT LEERSTAND

Zahlen und Fakten über den Leerstand

I N H A LT S V E R Z E I C H N I S

Wie ihr vielleicht schon erkannt habt, kann man dieses Buch aus zwei Richtungen lesen. Im Teil „Geisterhäuser“ erfahren wir, wie sich Kinder mit dem Thema Leerstand auseinandersetzen und dabei Spannendes entdecken. Der Teil „Leerstand“ gibt einen faktischen Einblick in das Thema und zeigt, wie wir Lustenauer damit umgehen könn(t)en.


GEISTERHÄUSER

VORWORT

2 E INLE ITU NG

8 WORKSHOP 1 GÄ NSLE STR ASSE

12 WORKSHOP 2 HOFSTE IGSTR ASSE

26 WOR KSHOP 3 BA DLOCHSTR ASSE

46 DAS W * ORT

59 Mit Skizzen, Zeichnungen und spannenden Geistergeschichten


Leerstand ist ein sehr emotionales Thema. Längst ist vielen bewusst, dass es nicht mehr zum guten Ton gehört, eine Immobilie leer stehen zu lassen. Es ist jedoch nicht unsere Absicht, hier mit dem Finger auf jemanden oder etwas zu zeigen.

EINLEITUNG

Wir wollen das Thema spielerisch angehen, indem wir Emotionales mit noch mehr Emotion anreichern. Wer kann das besser als Kinder? Sie verfügen über einen erfrischenden, unverfälschten und direkten Blick auf die Welt, in der sie leben. Eine Welt, die in ihrem Alter noch überschaubar klein ist. Sie reicht von der Nachbarschaft, in der sie wohnen und zur Schule gehen, bis zu den Orten, wo sie sich mit Freunden treffen und draußen spielen. Diese Welt wird daher intensiver wahrgenommen, prägt und beschäftigt Kinder weitaus mehr als Erwachsene oft ahnen. Wir nutzen diesen besonderen Blickwinkel und setzen Kinder als Vermittler ein, um ein wichtiges, aber schwieriges Thema der Siedlungsentwicklung aus Fachgremien und Ausschüssen herauszuholen und zu jenen zu bringen, die es wirklich betrifft: die Eigentümerinnen und Eigentümer leer stehender oder teilweise leer stehender Gebäude. Wir möchten sie dazu anregen, über diesen Zustand nachzudenken und eventuell etwas daran zu ändern.

Außerdem möchten wir den Kindern sowie den Leserinnen und Lesern Baukultur vermitteln. Oftmals sind leer stehende Häuser alt und entsprechen vielleicht nicht mehr den aktuellen Wohnstandards. Doch was bedeutet das? Wurde früher schlechter gewohnt? Oder nur anders? Häuser sind Zeitzeugen, die viel erzählen können. Wir wollen diese spannenden Geschichten an die Kinder weitergeben und ihren Horizont erweitern, ihre Welt ein kleines Stückchen größer machen. Wir möchten ihnen zeigen, dass auch Altes und heute Ungewöhnliches einen Wert und Reiz hat. Sie sollen ein Bewusstsein dafür entwickeln, wo und wie sie leben und wohnen, ein Gefühl und ein Interesse für ihr Umfeld bekommen und im besten Fall lernen, wie wichtig es ist, als Einzelne dieses Umfeld aktiv mitzugestalten. Die Workshop-Reihe kann gerne fortgesetzt werden.



„Kinder sind den Geheim nissen der Geisterhäuser auf der Spur, sie haben einen Blick für das Rätselhafte und ein gutes Ohr für Geschichten.“

EINLEITUNG

Kurt Fischer, Bürgermeister von Lustenau

Ab Mitte 2016 wurden Kinder verschiedenen Alters in drei Workshops eingeladen, leer stehende Häuser – Geisterhäuser – mit uns zu erkunden. Das Projekt basiert auf einer Idee des Fotografen Lukas Hämmerle und wurde in Kooperation mit dem W*ORT, der Marktgemeinde Lustenau, dem Historischen Archiv Lustenau und der Architektin Julia Kick entwickelt und begleitet. Nach einer Einführung in das Thema machten sich die WorkshopteilnehmerInnen mit Julia Kick, Lukas Hämmerle und der Historikerin Vanessa Waibel vom Historischen Archiv Lustenau auf den Weg in die Geisterhäuser. In Kleingruppen gingen sie auf die Suche nach Geisterspuren und Indizien. Daten, Fakten und Namen, die auf liegengebliebener Post, Bildern und an Postkästen gefunden wurden, waren Ausgangspunkte für eine detailliertere Recherche im Gemeindearchiv. Die Kinder versuchten mittels digitaler Recherche, vor allem aber mit alten Adressbüchern, mehr über die BewohnerInnen und HausbesitzerInnen herauszufinden. Vanessa lieferte ihnen außerdem interessante Details und Geschichten über das Leben und Wohnen im alten Lustenau.


GEISTERHÄUSER

Die gesammelten Informationen dienten als Inspiration für fiktive Geschichten der Kinder, die sie im W*ORT zu Papier brachten. Fantasiereich, gruselig und brutal, manchmal auch recht faktisch – in den Erzählungen über die Geister, die früher oder sogar jetzt noch in unseren drei ausgewählten „Geisterhäusern“ verweilten und verweilen, ist von allem etwas dabei. Dieses Buch zeigt Auszüge ihrer kreativen Arbeiten. Wer tiefer in das Thema Leerstand in Lustenau eintauchen möchte, kann das Buch einmal umdrehen. Von hinten (oder vorne) gelesen, liefert es Zahlen, Fakten und Lösungsansätze zum Thema Leerstand. Auf diese Weise möchten wir Leerstand von verschiedenen Richtungen betrachten, um so der Komplexität des Themas gerecht zu werden – ohne jedoch den Anspruch auf eine wissenschaftliche Arbeit zu erheben.

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Workshops und Analyse konzentrierten sich auf Wohngebäude. Typisch für Lustenau erhielten viele Häuser Stickerei-Zubauten.


WORKSHOP #3


GEISTERHÄUSER

Gänslestraße Workshop 1


Workshop 1 Gänslestraße Laut historischen Karten (Quelle Vogis) geht die Grundsubstanz des Hauses vermutlich auf die Zeit zwischen 1872 und 1887 zurück. 1901 wurde laut Bauakt bereits der Anbau eines Ladens und Schopfes bewilligt, 1912 wiederum der Zubau eines Stickereilokals. So hat sich sein Erscheinungsbild über die Jahre verändert, auch BewohnerInnen und BesitzerInnen haben gewechselt. Im Erdgeschoss war offenbar lange Zeit eine Fahrradreparaturwerkstatt untergebracht. Der letzte Müller der angrenzenden Hagenmühle habe außerdem in dem Haus gewohnt.

WORKSHOP 1

Inzwischen stehen Haus und Stickerei leer. Das Gebäude weist erhebliche bauliche Mängel auf und wird über kurz oder lang etwas Neuem Platz machen müssen. Der jetzige Besitzer hat uns für unser ungewöhnliches Projekt großzügig Einlass gewährt.


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GEISTERHÄUSER

Bild oben: © IGAL – Interessengemeinschaft Ahnenforscher Ländle Bild links: © Historisches Archiv Lustenau


Dreizehn Kinder der Volksschule Kirchdorf haben von 20. bis 23. Juni 2016 ihre Vormittage mit uns verbracht, geforscht, gegruselt und geschrieben. Unterstützt wurden sie dabei von der Volksschullehrerin Gudrun Kick, der Leiterin vom W*ORT Gabi Hampson sowie von Vanessa Waibel, Lukas Hämmerle und Julia Kick.

Am nächsten Tag lud uns Vanessa in das Gemeindearchiv ein. Sie zeigte uns alte Pläne, erklärte uns, was eine Flurküche ist, und illustrierte uns anhand eines Modells, wie Lustenau früher ausgesehen hat, als unser Geisterhaus noch voller Leben war. Außerdem versuchten wir mit Hilfe alter Adressbücher herauszufinden, wer früher in dem Haus gewohnt und gearbeitet hat.

WORKSHOP 1

Nach einer kurzen Einführung im W*ORT haben wir uns gemeinsam auf den Weg zu unserem ersten Geisterhaus gemacht. Alle waren gespannt und voller Erwartungen. Was würden wir finden? Würden wir tatsächlich Geisterspuren zu Gesicht bekommen? Vielleicht sogar einen Geist höchstpersönlich antreffen?

In Gruppen aufgeteilt, betraten wir aufgeregt die Gänslestraße 1. Sogleich wurden unsere Erwartungen übertroffen. Es gab so viel zu entdecken. Alte Werkzeuge, schräge Treppen, Schatztruhen, Bücher, eine alte Urkunde, unbekannte Stickereiutensilien, Kinderkleidung, unheimliche Seile, die von der Decke hingen, blaues Blut an der Wand, Geheimzeichen in Holzbalken und vieles mehr. Wir waren begeistert, die Fantasie der Kinder begann zu sprudeln. Einige konnten abends kaum schlafen.

„Die wichtigste aller Fragen war: ‚Aber warum stehen die Häuser leer, wenn doch Menschen nach Häusern suchen?‘ Es ist wunderbar, das Leuchten der Kinder augen, die Faszination über die kleinen Dinge, die sie bei der Erkundung der Häuser entdeckt haben, und die unglaubliche Fantasie, die sie haben, mitzuerleben.“ Gabi Hampson, Leiterin vom W*ORT


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WORKSHOP 1

Am dritten Tag begannen wir zu schreiben. Allein oder in Gruppen entstanden unterschiedliche, fantasiereiche Geschichten rund um unser Haus und seine früheren BewohnerInnen. Zum Abschluss durften wir am vierten Tag noch einmal zurück in die Gänslestraße und lasen im ganzen Haus verteilt unsere Geschichten vor. Wir danken Bernd Hagen, dass wir das Haus besuchen und uns damit beschäftigen durften. Es hat sehr viel Spaß gemacht.

TAG 20. bis 23. Juni 2016

KLASSE VS Kirchdorf, Lustenau

BETREUUNG Gabi Hampson, Julia Kick, Gudrun Kick, Vanessa Waibel

KINDER Aurelia, Bayram, Ela, Emil, Karim, Linus, Livia, Lucia, Luzia, Nisa, Nithar, Shalimar, Timo

FOTOGRAFIE Lukas Hämmerle


GEISTERHĂ„USER

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Die Kinder sind mit Begeisterung dabei, notieren und skizzieren ihre Erlebnisse.

Der Blick in den verwunschenen Garten und seltsame Utensilien in der Stickerei. Bobinen und Schiffchen sind den Kindern unbekannt.


WORKSHOP 1


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GEISTERHÄUSER


WORKSHOP 1

Der Graffitigeist

Das Muttertagsgeschenk

von Karim Rehman und Emil Schmalfuß

von Ela Warenitsch und Lucia Schäfer

Emil, Karim und Timo liefen an der Hagenmühle vorbei. Sie wollten Graffiti sprühen. Die drei nahmen die Farben gelb und rot und sprühten einen Monsterkopf. Auf einmal schossen Pfeile aus der Stirn des Monsters heraus. Emil rief: „Schnell in das Haus da! Hier her!“

Im Jahre 1999 wurde Paul geboren. Paul hatte mit drei Jahren einen schweren Unfall, seine Eltern sind dabei ums Leben gekommen. Frau Meier und Herr Meier besuchten Paul im Kinderheim und beschlossen, ihn mit zu sich nach Hause in die Gänslestraße zu nehmen.

Die drei folgten der Stimme. „Hiiilfeee ei…ein Geist“, riefen die drei. „Bitte lauft nicht weg“, sagte der Geist. „Ich will euch nichts tun.“ „Ok, aber dann sagst du uns, wie du heißt“, sagte Karim. Der Geist antwortete: „Ich heiße Odi. Ich möchte euch helfen, den Graffitigeist zu vertreiben. Ich war einmal der Müller von der verlassenen Fabrik. Ich kann euch Mehl geben, damit könnt ihr den Graffitigeist besiegen.“ Sie schnappten sich einen Mehlsack und überschütteten den Graffitigeist damit. Der Geist verschwand daraufhin für immer. Die drei kamen Odi noch oft besuchen.

Fünf Jahre später Paul lebte immer noch bei den Meiers. „Paul! Es gibt Essen, komm hoch!“, rief Pauls Mutter genervt. Paul kam so schnell es ging, denn er hinkte stark mit dem linken Bein. Karl Meier war Arzt und hatte ein dickes Doktorbuch auf dem Dachboden. „Du hast einen gelähmten Fuß!“, schrie Herr Meier wütend. „Wir hätten dich nie zu uns nehmen sollen!“, stimmte Frau Meier zu. Seitdem behandelten sie Paul nicht mehr so wie früher. Er bekam kein Essen mehr, sie schlugen ihn und sperrten ihn ein. Am Muttertag bastelte Paul in der Werkstatt ein schönes Herz für Rosa Meier. Am selben Abend beschlossen Rosa und Karl Meier umzuziehen. Aber ohne Paul. Sie sperrten Paul in die Werkstatt, warfen das Herz in die alte Stickerei und zogen um. Paul starb bald darauf. Doch sein Geist blieb im Haus und half kleinen Kindern mit so grausamen Eltern.


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GEISTERHÄUSER


Spukgeister

Der furchterregende Traum

von Luzia Bösch

von Linus Niederwieser

Ich war im Dachboden. Auf einmal waren Glöcklein zu hören. Das war gruselig. Und im Haus waren zwei Fenster zersprungen. Im Dachboden waren römische Zeichen. Das ist ziemlich komisch. Da war bei der Stickerei auch noch eine Tür ohne Glas. Und als wir das zweite Mal im Dachboden waren, war das Jesus Bild zerrissen. Ich bin mir sicher, dass da ein Geist wohnt. Ich glaube, dass es ein Spukgeist ist.

Es war eine kalte Nacht: Frau Höllenstein machte sich fertig fürs Bett. Sie nahm ihre runde Brille ab, legte sich ins Bett und zog die Decke über sich. Nur ihr Kopf schaute noch heraus. Plötzlich hörte sie seltsame Geräusche. Sie versuchte das Knistern, Kreischen und Knacken zu ignorieren, doch es wurde immer lauter. „Seltsam“, dachte Frau Höllenstein. Ängstlich stand sie auf, um nach dem Rechten zu sehen. Weil sie nur das Geräusch im Kopf hatte, vergaß sie ihre Brille und fand den Lichtschalter nicht. Sie stolperte über Möbel und Teppiche. Das Geräusch wurde immer lauter. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie ihre Brille vergessen hatte. Schweißgebadet drehte sich Frau Höllenstein um und griff nach ihrer Brille. Sie setzte ihre Brille auf und erblickte direkt vor ihrer Nase einen halbdurchsichtigen, furchterregenden Geist. Vor Schreck fiel sie um. Als sie ihre Augen öffnete, lag sie in ihrem Bett und es war acht Uhr morgens. Frau Höllenstein dachte erleichtert: „Es war alles nur ein Traum.“

Der Geist

WORKSHOP 1

von Livia Gruber Es war einmal ein Geist. Er lebte in einem verlassenen Geisterhaus. Er zeichnete gerne, aber bei den Geistern war das ganz anders als bei uns Menschen. Geister haben zum Beispiel blaues Blut. Und wir haben rotes Blut. Und bei diesem Geist war das dann so: Er malte durchsichtig. Das sah dann so aus:

Aber wenn er mit einem Pinsel malte, dann ging es.


24 | 25 Liegengebliebene Post lieferte Indizien fĂźr die Recherche im Gemeindearchiv.


WORKSHOP #3


GEISTERHÄUSER

Hofsteigstraße Workshop 2


Workshop 2 Hofsteigstraße

WORKSHOP 2

Die erste Aufzeichnung zu dem Haus in der Hofsteigstraße 47, das gegenüber von Lustenaus ältestem Haus, dem Ammannhaus, liegt, ist aus dem Jahr 1808. Im Gemeindeplan von 1857 ist es als „Stalden 180“ zu erkennen. Mit Wohn- und Wirtschaftstrakt ist es ein für die damalige Zeit typisches Bauernhaus. In den Wohntrakt gelangt man durch die charakteristische Flurküche, in der noch heute ein mit Holz beheizter Herd steht. Gleich nebenan ist die Stube mit Kachelofen und dahinter liegendem Schlafzimmer. Auch dieses Haus hat später einen kleinen Stickerei-Zubau bekommen. Der Stall mit seinen Futterfensterchen, eine Tenn, eine Grube und ein Brunnen im Garten sind noch erhalten. Das Haus ist ein schöner, stummer Zeuge früheren Wohnens und Arbeitens und erinnert an die alte Struktur Lustenaus als Straßensiedlung.


GEISTERHÄUSER

© IGAL – Interessengemeinschaft Ahnenforscher Ländle

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Gemeindeplan Lustenau 1857, © Historisches Archiv Lustenau

Das Haus wird durch die typische Flurküche betreten.


WORKSHOP 2

Im Zuge des Sommerprogramms vom W*ORT fand der zweite Workshop „Geisterhäuser“ von 25. bis 28. Juli 2016 statt. An einem heißen Sommerabend trafen sich Lukas Hämmerle, Vanessa Waibel, Gudrun und Julia Kick sowie Corinna Kronlachner mit den Kindern im Garten des schönen, alten Hauses in der Hofsteigstraße 47. Die freundlichen Besitzer leisteten uns Gesellschaft und öffneten uns großzügig Tür und Tor. Während sich über Lustenau ein Gewitter zusammenbraute, konnten es die Kinder wieder kaum erwarten, das Haus zu erkunden. Dieses Mal mussten sie etwas genauer hinsehen. Die Spuren und Hinweise, die es zu entdecken gab, waren umso feiner, weil das Haus relativ leer war. Ein geheimnisvoller Schlüssel ohne Schloss, Blütenblätter in einer Schale, der Fetzen einer Todesanzeige, Fotos von verschwommenen Gestalten, Leintücher unterm Dach, eine Inschrift im Kachelofen, eine Pokemonkarte im Stall? Wie passt das alles bloß zusammen?

Wir hielten die Eindrücke in unseren Notizbüchern fest und wechselten dann die Straßenseite. Rund um das Ammannhaus ging die Erkundung weiter. Vanessa erzählte uns schaurige Geschichten von einem früheren Bewohner, der alte, kranke Hunde tötete und kochte. Benni wusste, dass einmal ein riesiger Ochs in dem Stall gehaust haben soll. Überall hingen Geweihe an den Wänden, und unter dichtem Gestrüpp fanden wir einen alten Grabstein. Julia erklärte uns, dass das Wohnhaus aus Holz „gestrickt“ ist – eine spezielle Bauweise von Holzhäusern. Mit vielen spannenden Eindrücken machten wir uns nach Hause auf, um dem Gewitter gerade noch zu entkommen. Wir freuten uns schon auf die kommenden Tage.


Die Kinder kรถnnen es kaum erwarten. Aufgeregt betreten sie das Haus.


Am zweiten Tag durften wir Vanessa im Archiv besuchen und forschten genauer über die Hofsteigstraße 47 und das Ammannhaus nach. Am nächsten Tag begannen wir zu schreiben. Unterschiedlichste fiktive Gruselgeschichten entstanden rund um die beiden Häuser. Außerdem malten wir viel. Manche Kinder zeichneten sogar einen Grundriss von unserem Geisterhaus. Am letzten Tag veranstalteten wir zum Abschluss eine kleine Ausstellung mit einer Lesung im Gewächshaus, zu der wir die Eltern der Kinder einluden.

WORKSHOP 2

Wir bedanken uns herzlich bei der Familie Peschl, die uns Einblicke in ihr schönes, altes Haus gewährt hat, sowie bei Anna Jenni, dass wir rundum das Ammann Haus schleichen durften.

TAG 25. bis 28. Juli 2016 BETREUUNG Julia Kick, Gudrun Kick, Corinna Kronlachner, Vanessa Waibel FOTOGRAFIE Lukas Hämmerle

KINDER Benjamin, Benjamin, Emily, Ferhad, Ghosun, Jana, Lelia, Luzia, Mathias, Sarah, Selina, Simon, Victoria

Das Haus ist leer. Doch die Kinder finden Indizien, dass vor Kurzem noch jemand hier gewohnt haben muss.


Das Ammannhaus wurde in den 1650er-Jahren auf bereits bestehenden Grundmauern errichtet. Teile davon lassen sich auf das Jahr 1452 datieren. Es wurde im Jahr 1978 unter Denkmalschutz gestellt.

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WORKSHOP 2

Die Kinder erkunden die letzten Winkel des Hauses.


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„Alte Bauten sind oft wertvolle Zeugnisse ihrer Zeit und haben eine wichtige Funktion im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung. Der Teil der Hofsteigstraße mit dem Ammannhaus und dem „Geisterhaus“ in der Hofsteig straße 47 ermöglicht heute noch einen Einblick in das Lustenauer Ortsbild vergan gener Zeiten.“ Vanessa Waibel, Historisches Archiv Lustenau


WORKSHOP 2

Neben forschen, notieren und schreiben darf im Geisterhaus auch ein bisschen „geblödelt“ werden.


Nicht nur Lukas macht Bilder. Auch die Kinder dokumentieren fleiĂ&#x;ig mit verschiedenen Kameras.



Die etwas andere Hausbesichtigung Heute ist der große Tag. Heute besichtige ich das älteste Haus Lustenaus gemeinsam mit einer kleinen Gruppe. Von außen erschien es sehr märchenhaft, doch wer weiß? Okay, märchenhaft nehme ich zurück, denn als wir den ersten Raum besichtigten, roch es schon sehr nach Ofen. Ich wusste auch wieso: Ein alter Ofen stand mitten im Raum. Ein reiches Mädchen mit langen blonden Haaren meldete sich kreischend: „Oh, mein Gott! Der Ofen muss weg! Und hier nützt mein Parfum nicht viel, puh!“ Sie war ziemlich tussihaft. Wir gingen in den nächsten Raum. Zumindest glaubte ich das. Ich war allein. „Hallo?“, rief ich. Keine Antwort. Ich blieb stehen und starrte traurig auf eine glänzende Holzdiele. Ich glaube, ich starrte dort zehn Minuten lang hin, als plötzlich etwas Weißes darauf erschien. Ich drehte mich um. Etwas schien sich zu bewegen. „Ich bilde mir das nur ein“, dachte ich mir. Ich eilte die Treppe hinauf, unter der ein Katzenklo stand, das ziemlich stank.

Schließlich kam ich auf den Dachboden. Hier war es kalt und gruselig. Da entdeckte ich ein weißes Tuch, auf dem Bluttropfen waren. Mit etwas Fantasie ließ sich daraus ein Totenkopf bilden. Dann sah ich eine weiße Schnur. Ich folgte ihr und kam zu einer Matratze, die über und über mit Laken bedeckt war. Darauf lag ein Skelett. Ich wollte es anfassen, doch da war es schon verschwunden. Ich ging zurück zur Haustüre und hinaus in den Garten. Endlich frische Luft. Ich konnte meine Gruppe noch nicht sehen. Dann kam ich zu einem Brunnen. Darauf saß eine Schnecke und döste. „Das würde ich jetzt auch gerne machen“, dachte ich. Auf einer Seite des Brunnens war die Zahl 1930 eingraviert. Also musste er 1930 erbaut worden sein. Suchend lief ich weiter, als ich plötzlich Stimmen aus dem Hühnerstall hörte. Dort fand ich zum Glück meine Gruppe wieder. Die Gruppenleiterin rief: „Es ist schon spät! Wir müssen los!“

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von Jana Riedesser


WORKSHOP 2


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Kleine Geistergeschichten

WORKSHOP 2

von Benjamin Alge und Julius Fink

Spuki hat Angst vor der Ratte Rati. Er ruft: „Hilfe!“

Die Spinne hat Angst vor Spukine.

Fledi und Rabi sind Freunde. Sie leben im Geisterhaus.

Spuki hat auch einen Freund. Er heißt Pupsi.


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WORKSHOP 2

Das Geisterhaus

Der adoptierte Geist

von Luzia Bösch und Lelia Truong

von Selina Richter

Es ist Mittag. Julia und Jonas sind die Eltern von Lina und Lena. Ihr größter Wunsch ist es, in der Nachbarschaft das Geisterhaus zu besichtigen. „Dürfen wir spielen gehen?“, fragten Lina und Lena nach dem Essen. Zwei Minuten später spielten sie im Garten Verstecken. Plötzlich hatten sie eine Idee. Sie rannten ins Haus und schnappten sich die Taschenlampen. Als ihre Eltern schlafen gingen und nur noch die Zwillinge wach waren, war es bereits elf Uhr abends. Sie schlichen sich mit ihren Taschenlampen in den Garten und betraten das Haus. Sie gingen die Treppe nach oben und waren im Dachboden. Über den Köpfen der Mädchen hingen viele Spinnennetze. „Hilfe! Was war das? War das ein Geist, eine Fledermaus, eine Hexe oder eine Mumie?“ Lina drehte sich ganz langsam um. „W... W... Was ist das?“, fragte Lina ihre Schwester Lena. „Eine Mumie!“, schrie Lena. Die Kinder rannten so schnell sie konnten. Sie wollten hinaus, aber sie fanden den Weg nicht. Als die zwei Mädchen schon fast aufgegeben hatten, hörten sie die Stimmen ihrer Eltern. Gott sei Dank kamen sie aus diesem Haus wieder heraus.

Es ist ein schöner Tag im Jahr 1994. In der Hofsteigstraße 47 läutet bei Familie Hagen das Telefon. Es ist Mathildes Schwester Romania. „Mathilde, bitte pass auf meinen Sohn auf, solange mein Zustand noch so schlimm ist!“, bettelte sie. Mathilda hatte zwar keine Lust, aber ablehnen konnte sie auch nicht. Am nächsten Tag reiste Zdravko mit dem Zug an. Als er bei der Pflegefamilie ankam, war er sehr unsicher. Otto und Ernst waren auch nicht gerade begeistert von ihm. Seit er bei der Familie angekommen war, wurde er nicht mehr gut behandelt. Er wurde geschlagen und bekam nicht mehr viel zu essen. Eines Tages passierte ihm ein Missgeschick und er wurde auf den Dachboden gesperrt. Als es ihm zu blöd wurde, nahm er sich ein Seil mit einer Säge daran, sägte ein kleines Loch in den Boden und stahl den Schlüssel seines Stiefvaters. Damit brach er die Tür auf und versuchte zu fliehen, doch sein Pflegevater erwischte ihn und ertränkte ihn im Brunnen neben dem Haus. Als Zdravko tot war, vergrub sein Pflegevater ihn hinter dem Haus. Seitdem spukt Zdravko in diesem Haus und versucht immer noch, sich an bösen Menschen zu rächen.


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GEISTERHÄUSER


WORKSHOP #3


GEISTERHÄUSER

Badlochstraße Workshop 3


Workshop 3 Badlochstraße

WORKSHOP 3

Nicht unweit des früheren Grenzübergangs „Unterfahr“ wurde das Haus Badlochstraße 1 im Jahr 1837 als Wohnhaus mit Wirtschaftstrakt erbaut. 1878 erhielt auch dieses Haus einen Anbau mit Stickerei und weiterem Stadel. Die Stickerei wurde später noch einmal für den Einbau einer 10-Yards-Maschine erweitert. Das Haus ist ein schöner Zeuge, der zeigt, wie der Wandel in Lustenau durch die Textilindustrie vonstattengegangen ist und das Leben und Wohnen beeinflusst hat. Häuser wie dieses sind spannende Raumwunder, die durch ihre Grundsubstanz (Holzbau, großzügige Wirtschaftstrakte) Veränderungen zuließen. Wenn mehr Wohnraum benötigt worden ist, sind – oft in Eigenleistung – Dachräume oder Wirtschaftsräume ausgebaut worden. Die räumlich großzügigen Stadel und Stickereien könnten auch in Zukunft Platz für interessanten, individuellen Wohnraum bieten.


© IGAL – Interessen-

gemeinschaft Ahnenforscher Ländle

Ein früherer Besitzer war aktiver Bienenzüchter. Im Garten wurde deshalb einst ein Bienenhaus errichtet.

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WORKSHOP 3

An einem seltsam föhnigen Novemberabend trafen wir uns mit der 2b der Mittelschule Rheindorf in der Finsternis der Badlochstraße. Christine Grabher und Markus Ratz, die Klassenvorstände der 20 Buben und Mädchen, gaben letzte Anweisungen zum Gebrauch der mitgebrachten Taschenlampen im Haus. Die Jugendlichen teilten sich in Gruppen auf und machten sich gemeinsam mit Gabi, Julia, Markus, Vanessa und Christine auf, das Haus zu erkunden. Schnell war jede Gruppe für sich alleine. In dem verwinkelten, überraschend großen Haus verloren sich die Stimmen und Lichter der vielen Jugendlichen in der Dunkelheit. Im Schein der

Taschenlampen und Handys waren die Blicke fokussierter, denn die Orientierung in den vielen Räumen war nicht einfach. Seltsame Dinge rückten ins Licht: ein altes Motorrad, ein komischer Papierkopf mit Hut, eine Pistole. Echt? Zum Glück nicht. Stickereien, alte Briefe, Fotografien, ein einzelnes Messer in der Küche. Ein Keller, dahinter noch ein Keller, und noch ein Keller. Plötzlich blitzten die Lichter der anderen Gruppe quer durch den Stadel, denn von ganz oben, hinter einer geheimen Tür, blickte man wieder nach ganz unten in die Garage. Spannend, dieses Haus.


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WORKSHOP 3

Eine Woche später trafen wir uns alle wieder bei Vanessa im Archiv, die uns auch dieses Mal mit interessanten Informationen versorgte. Die Geschichtslehrerin Karin Olivotto war diesmal auch dabei. Eifrig wurde der komplette Stammbaum der Bewohner mit Hilfe der alten Adressbücher und auch des Internets erforscht. Nach langem Rätselraten, wer denn nun wer gewesen war, konnte die komplette Linie von den Erbauern des Hauses bis zu den jetzigen Besitzern verfolgt werden. Inspiriert freuten wir uns auf unser nächstes Treffen, bei dem zu schreiben begonnen wurde. Verschiedenste spannende und gruslige Geschichten entstanden. Natürlich waren allesamt fiktiv. Teilweise waren die Geschichten jedoch so glaubhaft, dass wir sicherheitshalber ein paar Namen änderten, um keine Gerüchte über die netten Besitzerinnen und Besitzer und deren Familie zu streuen. Wir bedanken uns ganz herzlich bei ihnen, speziell bei Herma, dass sie uns ihr schönes Elternhaus gezeigt und sogar ein bisschen für uns eingeheizt hat, ansonsten hätten wir es wahrscheinlich nicht so lange ausgehalten und viel Spannendes vielleicht nicht entdeckt. Danke.

TAG 22., 24. und 29. November 2016

KLASSE 2b, Mittelschule Rheindorf

BETREUUNG Christine Grabher, Julia Kick, Gabi Hampson, Markus Ratz, Vanessa Waibel

KINDER Acelya, Ahmed, Alissa, Anna-Maria, Antonio, Aysin, Carina, Constantin, Deha, Duygu, Elias, Elias, Fridolin, Janine, Lena, Luca, Mikail, Nikolai, Severin, Yusuf

FOTOGRAFIE Lukas Hämmerle

Ein exotisches Bild an der Wand weckt unser Interesse. Was es damit wohl auf sich haben mag?


GEISTERHÄUSER

„Als wir das Haus betraten, war es zuerst düster. Aber als das Licht anging, begann das Abenteuer. Das Haus war unheimlich für manche, aber es machte jedem Spaß, es zu durchsuchen. Mit vielen Ideen für unsere Geschichten verließen

Nikolai Schelling, 12 Jahre

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wir das Haus.“


Der Geist im Haus von Aysin Turan

WORKSHOP 3

An einem warmen Frühlingsabend beschloss Irma, einen Spaziergang zu machen. Sie ging, wie so oft, beim Haus in der Badlochstraße 1 vorbei. Da fiel ihr ein, dass in der Badlochstraße schon lange niemand mehr wohnte. Doch wieso brannte denn das Licht? Sie beschloss, nachzuschauen… Da sie sich nicht traute, alleine hineinzugehen, rief sie eine Freundin an. Nach einer Weile kam ihre Freundin und die beiden suchten nach dem Schlüssel. Er war unter dem Teppich. Aufgeregt sperrten sie die Tür auf und gingen hinein. Alles war dunkel. Sie schauten sich erst einmal ein bisschen um. Danach schlichen sie zum Dachgeschoss. Die Lichter gingen nicht an, doch Irmas Freundin war schlau und hatte ihre Taschenlampe mitgebracht.

Bis jetzt ging alles gut, doch plötzlich sahen sie einen Schatten vorbeihuschen. Und nochmal! Da war es wieder! Nach ein paar Sekunden hörten sie ein schauriges Wispern. Das konnte nicht gut gehen. Die Herzen der beiden Freundinnen pochten vor Angst. Die Schritte näherten sich. Doch selbst mit der Taschenlampe war nichts zu sehen. Plötzlich ging das Licht von selbst an. Sie hörten immer noch das Wispern des Ungeheuers. Dann lief eine Maus an ihnen vorbei und machte die gleichen Geräusch , die sie vorher gehört hatten. Nachdem sie wussten, dass es nur eine kleine Maus war, ließ die Angst nach.


GEISTERHÄUSER

Badlochstraße Hallo, mein Name ist Luisa. Ich passe schon lange auf das Haus meiner Eltern auf. Jeden Tag komme ich vorbei und schaue, ob alles in Ordnung ist. Als ich wieder einmal nach dem Haus schaute, bemerkte ich merkwürdige Dinge: Die Zeitung, die gestern noch auf der Couch gewesen war, lag nun zerfetzt und zerrissen auf dem Boden. Nachdenklich hob ich die zerfetzte Zeitung auf und warf sie in den Müll. Am nächsten Tag entschied ich mich, über Nacht im Haus zu bleiben, um herauszufinden, wer das mit der Zeitung gewesen war. War es vielleicht ein Einbrecher oder doch nur eine Ratte? Erschöpft legte ich mich ins Bett. Als ich aus meinem Nickerchen erwachte, schienen Sonnenstrahlen in mein Gesicht. Verträumt starrte ich auf die Uhr und bemerkte erschrocken, dass ich schon längst bei der Arbeit sein müsste. „Ich dachte, ich hätte den Wecker gestellt?“, schoss es mir durch den Kopf. Hastig zog ich mich an und machte mich schnell auf den Weg. Am nächsten Morgen hatte ich die komischen Vorfälle schon längst wieder vergessen und beschloss, im Haus meiner Eltern wieder einmal den Dachboden zu putzen. Dabei öffnete ich einen Schrank und entdeckte eine Pistole. Ich dachte nicht lange nach und verräumte die Pistole an einem sicheren Ort, und zwar in meinem früheren Schlafzimmer. Doch als ich am frühen Abend die Küche betrat, lag die Pistole mit den Patronen auf dem Boden. Ich erschreckte mich zu Tode. „Bin ich jetzt ganz verrückt? Ich habe die Pistole doch in mein Schlafzimmer gelegt?“, dachte ich mir. Als ich tief in meinen Gedanken gefangen war,

klopfte es an der Tür. Mein Herz pochte in meinem Oberkörper wie noch nie. Ich nahm all meinen Mut zusammen und öffnete die Tür. Niemand war zu sehen. Ich dachte mir: „Das habe ich mir sicher nur eingebildet.“ So legte ich mich gemütlich auf die Couch und genoss den Fernsehabend. Plötzlich war es dunkel. Der Strom war weg, der Fernseher und die Lichter erloschen. Ich suchte eine Taschenlampe und versuchte auf dem Weg zum Sicherungskasten, nicht zu stolpern. Als ich vorsichtig die Treppe hinunterlief, hörte ich seltsame Geräusche. Für einen Moment war ich wie eingefroren. Langsam lief ich zum Sicherungskasten, um den Strom und das Licht wieder einzuschalten. Es war wieder hell im Haus. Als ich erneut hinaufgehen gehen wollte, sah ich, wie sich der Schrank bewegte. Ängstlich öffnete ich den Schrank und fand eine Notiz. Darauf stand: „Dreh dich um!“ Zitternd drehte ich mich um und sah eine Gestalt, die meiner Mutter ähnelte. Ich traute meinen Augen kaum. Ich bekam Gänsehaut und wurde ganz blass im Gesicht. Sie sagte mit leiser Stimme: „Es tut mir leid, dass ich mich nicht mehr von dir verabschieden konnte. Pass auf dich auf!“ Dann verschwand die Gestalt wieder. Jetzt begriff ich es: Alles, was mir in den letzten Tagen passiert war, waren Zeichen meiner verstorbenen Mutter. Sie wollte Abschied von mir nehmen, indem sie sich bemerkbar machte. Da jetzt alles geklärt war, konnte ich wieder in Ruhe schlafen.

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von Acelya Demiral und Alissa Thalmann


Der Geist im Haus

WORKSHOP 3

von Lena Castrignano Wie jeden Mittwochnachmittag ging Herta König auch diese Woche in das Haus in der Badlochstraße 1, um nach dem Rechten zu sehen. Herta goss die Pflanzen und putzte die Spinnweben weg. Als sie einen Schrank öffnete, um ihn zu putzen, fiel ihr ein schweres Buch auf den Kopf. Sie war neugierig und öffnete es hastig. Da flog eine weiße, menschliche Rauchwolke aus dem Buch heraus, doch Herta bemerkte es nicht. Außerdem waren die Seiten des Buches unbedruckt. Sie hatte eine Idee und schüttete einige Tropfen Waschmittel auf die Buchseiten. Sogleich erschien eine Schrift. Als Herta sie lesen wollte, da klingelte das Telefon. Sie wunderte sich, denn ihres konnte es nicht sein. Das lag nämlich daheim auf dem Küchentisch. Nein, es klingelte das alte Telefon im Haus, das schon längst abgeschaltet war. Mit zitternden Händen nahm Herta ab. Eine tiefe Stimme warnte sie: „Komm sofort aus meinem Haus heraus! Oder du wirst es bereuen!“ Schockiert legte Herta auf. Blitzschnell machte sie alle Fenster zu und sperrte alle Türen ab.

Nach einer Weile klingelte es erneut. Dieselbe Stimme sagte zu ihr: „Zu spät! Ich bin schon drinnen!“ Sie hörte schaurige Geräusche. Also versteckte sich Herta unter ihrem alten Kinderbett. Sie zitterte am ganzen Körper. Herta hörte Schritte. Sie wollte den Eindringling aufhalten, weil es das Haus war, dort in dem aufgewachsen war, aber sie traute sich nicht aus ihrem Versteck heraus. Plötzlich verstummten die Schritte und die Geräusche. Herta beruhigte sich wieder und ging nach Hause. „Jetzt werde ich wohl schon alt“, schoss es ihr durch den Kopf. „Das habe ich mir sicher nur eingebildet“. Damit vergaß sie die komischen Vorfälle und ging ins Bett. Am nächsten Morgen ging sie wieder ins Haus und fing an, aufzuräumen. Auf einmal hörte sie dieselben Geräusche wie am Vorabend noch einmal. Sie bekam schweißnasse Hände. Herta wollte wieder hinausgehen, aber die Türen waren verschlossen und sie hatte keinen Schlüssel mitgenommen. Herta schrie so laut sie konnte um Hilfe und rannte im ganzen Haus herum. Dann wurde ihr schwindelig. Sie ließ sich auf das Sofa fallen und wurde ohnmächtig.


GEISTERHÄUSER

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Im Schein der Taschenlampen erkunden die Kinder das verwinkelte Haus.

Am nächsten Morgen glaubte sie, dass es nur ein Traum gewesen war. Herta ging ins Badezimmer, um die Badewanne zu putzen. Danach sah sie, dass der Spiegel dreckig war, also putzte sie den Spiegel auch. Da sah sie auf einmal einen Mann hinter sich. Sie erschrak und fragte ängstlich: „W-w-wer b-b-bist d-d-du?“ Der Mann sagte streng: „Ich heiße Dionis Hollenstein und habe dieses Haus gebaut. Wer bist du?“ Herta sprach langsam: „Ich heiße Herta König und passe im Moment auf das Haus auf. Ich putze es und gieße die Pflanzen.“ Dionis wurde stumm. Auf einmal fragte er fröhlich,

leise und erleichtert: „Passt du auf mein Haus auf?“. „Ja, ganz genau“, antwortete Herta fröhlich. Dann erinnerte sie sich wieder an das Buch. Sie rannte nach unten zum Schrank und sah das Buch am Boden liegen. Herta kniete sich hin und las: „Tagebuch von Dionis Hollenstein.“ Da war ihr alles klar. Ab jetzt waren sie Freunde. Dionis konnte von nun an im Haus wohnen und dabei helfen, es ein bisschen zu putzen. Also war es so, als ob das Haus immer noch Dionis gehören würde.


Die verzwickte Kurve

WORKSHOP 3

von Fridolin Grabner Ich komme jeden Monat für zwei Tage nach Lustenau und putze das Haus, das ich von meinem Opa geerbt habe. Apropos, ich bin Philipp und wohne in Deutschland. Dieses Mal war alles ein bisschen anders. Als ich das Haus betrat, fiel mir gleich auf, dass das Bild von meinen Großeltern woanders hing und die Urkunde von meinem Opa auf dem Boden lag. Außerdem hatte die Scheibe einen Sprung. Jemand musste im Haus gewesen sein. In der Nacht schlief ich sehr schlecht. Als ich mitten in der Nacht erwachte, hörte ich Motorradgeräusche. Ich dachte, ich hätte es mir nur eingebildet, aber ein bisschen später hörte ich sie wieder. Verschlafen stand ich auf und ging in die Stickerei. Da entdeckte ich, dass das alte Puch Motorrad verschwunden war. Als ich auf die Straße hetzte, um zu sehen, wer es gestohlen hatte, sah ich eine weiße, verschwommene Gestalt, die damit davon fuhr. Ich wollte sofort die Polizei anrufen, aber was sollte ich ihnen erzählen? Ich hatte doch keine Ahnung, wen ich gesehen hatte.

Plötzlich blitzte mir ein Gedanke durch den Kopf: „Wie war mein Opa gestorben?“ Ich suchte ein bisschen im Internet und fand eine Anzeige: „Tragischer Motorradunfall! In der Nacht vom 7. Dezember kam ein Familienvater ums Leben. Der Motorradlenker verlor die Kontrolle über sein Motorrad und krachte in eine Leitplanke. Er verlor sein Leben an Ort und Stelle. Alle Einsatzkräfte kamen zu spät. Wir trauern um Hermann Hollenstein.“ Also war es vielleicht mein Großvater? Ich ging in der nächsten Nacht an den Unfallort und tatsächlich: Er war dort und versuchte diese Kurve zu fahren, ohne in die Leitplanke zu krachen. Er scheiterte aber immer und immer wieder.


Das W*ORT

Das W*ORT ist ein Treffpunkt aller Generationen, die ihre Fähigkeiten, Zeit und Kuchen bringen – jeder das, was er am besten kann, was er gerne tut und gerne weiter schenkt. Wir nähen, erzählen, wir schreiben Geschichten, spielen Theater, lachen, essen, basteln, drucken, musizieren,… und immer sind die Kinder und das W*ORT im Mittelpunkt. Teilnehmen können einzelne Kinder, aber auch für Schulklassen gibt es immer wieder Angebote.

Café Donschta: Jeden Donnerstag, außer an Feiertagen, ist das W*ORT Café offen. Betrieben von ehrenamtlichen Wirtinnen gibt es immer hausgemachten Kuchen, guten Kaffee und nette Gespräche. Auch für die ganze Familie und für Erwachsene organisiert der Verein Veranstaltungen – vom Familienbrunch, Konzertabenden bis zu orientalischen Cafes ist alles dabei. Eine Vielfalt, die sich in unseren Besuchern spiegelt. Das W*ORT ist ein Möglichkeitsort, der durch das Engagement der vielen Ehrenamtlichen wächst und gedeiht. W*ORT | w<ort bewegt | w=ort verbindet | w“ort bildet – freiwillig

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Das W*ORT ist ein spezieller Ort in Lustenau, wo Erwachsene Kindern ihre Zeit schenken und versuchen, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Die Sprache steht im Mittelpunkt des Miteinanders. Kreative Potenziale werden geweckt, Ideen gewonnen und nicht selten aus diesem Zusammenspiel gute Produkte hervorgebracht.


FRANZ WIESINGER

VANESSA WAIBEL

MARKUS RATZ

CORINNA KRONLACHNER

GUDRUN KICK

LUKAS HÄMMERLE

CHRISTINE GRABHER

DA NK E

Architektin

JULIA KICK

Gemeindeplanung

BERNHARD KATHREIN

Leiterin vom W*ORT

GABI HAMPSON

Gestaltung

JULIA GRIDLING

Gemeinderätin

CHRISTINE BÖSCH-VETTER

Öffentlichkeitsarbeit

JUDITH BÖSCH

PROJE K TTE A M

WORKSHOP #3

Das Kapitel Geisterhäuser ist nun zu Ende.


Das Kapitel Leerstand ist nun zu Ende.

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

1. Auflage, Juni 2017 500 Stück

AUFLAGE

Sandra Bauer

LEKTORAT

Bulu, Buchdruckerei Lustenau

DRUCK

Lukas Hämmerle

FOTOGRAFIE

Büro Julia, buerojulia.at

GESTALTUNG

Julia Kick Architektin, juliakick.com

INHALTE/REDAKTION

Marktgemeinde Lustenau

HERAUSGEBER

IM PRE SSU M

GEISTERHÄUSER


WORKSHOP #3

Leer stand Eine Betrachtung in Zahlen


Leer stand Eine Betrachtung in Zahlen


VORWORT


Leerstand in der Gemeindeentwicklung Bernhard Kathrein, Gruppe Planung und Entwicklung Der bestehende und potentielle Leerstand stellt uns in der Gemeindeentwicklung vor große Herausforderungen. Dies war für uns der Anstoß, dieses wichtige Thema zu bearbeiten. Derzeit wird Leerstand oft noch als Problem des privaten Eigentümers angesehen und nicht als Aufgabe der Gesellschaft. Leerstand ist jedoch ein vielschichtiges, soziales, kulturelles und ökonomisches Problem, denn Grund und Boden sind begrenzt. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, die bestehenden Bauflächen effizienter zu nutzen. Eine dichte Stadt bedeutet gleichzeitig eine ökologische und leistbare Stadt: geringe Kosten für Infrastruktur, optimale Ausnutzung der vorhandenen Flächen und schnelle, kostengünstige Mobilität. Inzwischen wurde die Notwendigkeit eines strategischen Umgangs mit Leerstand auf unterschiedlichen Ebenen erkannt. Während unserer Arbeit hat unter anderem auch das Land Vorarlberg das Thema intensiver aufgegriffen. Mit Hilfe verschiedenster Instrumente können wir die Leerstandssituation verbessern. Wenngleich es keine Patentlösung gibt, so eignet sich insbesondere eine angepasste Kombination aus Beratung, Information, Finanzierungs- und Planungshilfen sowie rechtlichen Hilfsmitteln. Dieses Buch soll das Bewusstsein für das Thema Leerstand schärfen.


E I N THEM A – ZWE I W EG E DREHEN BITTE

Also: Staunen, drehen, staunen, drehen. Und wieder von vorne. Vorsicht Schwindelgefahr. Viel Spaß.

59 DAS W * ORT

46 WORKSHOP 3 BA DLOCHSTR ASSE

26 WORKSHOP 2 HOFSTE IGSTR ASSE

12 WOR KSHOP 1 GÄ NSLE STRASSE

8 E I NLE I TU NG

2 VORWORT GEISTERHÄUSER

I N H A LT S V E R Z E I C H N I S

Wie ihr vielleicht schon erkannt habt, kann man dieses Buch aus zwei Richtungen lesen. Im Teil „Geisterhäuser“ erfahren wir, wie sich Kinder mit dem Thema Leerstand auseinandersetzen und dabei Spannendes entdecken. Der Teil „Leerstand“ gibt einen faktischen Einblick in das Thema und zeigt, wie wir Lustenauer damit umgehen könn(t)en.


LEERSTAND

VORWORT

2 VORSTU DI E

6 WE ITE R FÜ HR E NDE BE TR ACHTU NG

10 LE E R STA ND I N ZA HLE N

12 NU TZE N STATT L EE R STE HE N LASSE N

24 E IN GU TE R R AT

26

Zahlen und Fakten über den Leerstand

© studio 22

© Nussbaumer Photography


Vorstudie

VORSTUDIE

„Leer stehende Gebäude und Wohnungen im Siedlungsgebiet tragen nicht nur zur zunehmenden Zersiedelung im Außenbereich bei, sondern beeinträchtigen auch das innerörtliche Erscheinungsbild einer Gemeinde. Darüber hinaus ist Leerstand vor allem auch ein wirtschaftliches Problem. Die Thematik betrifft sowohl die Eigentümer der Immobilie als auch die Kommune“, schreibt Franz Wiesinger von der Abteilung Planung und Entwicklung der Marktgemeinde Lustenau im April 2015. Aus diesem Grund versuchte die Gemeinde Lustenau im Rahmen einer ersten Analyse, Leerstandsdaten zu erheben. Das Adress-, Gebäude- und Wohnungsregister (AGWR) wurde mit dem Zentralen Melderegister synchronisiert, wodurch Rückschlüsse auf die zu dem gegebenen Zeitpunkt aktuellen Haupt- bzw. Nebenwohnsitzmeldungen in den betrachteten Nutzungseinheiten ermöglicht wurden.

Von 9.889 Nutzungseinheiten der Kategorie Wohnungen bzw. Wohnungen/Arbeitsstätten wiesen im April 2015 in ganz Lustenau 886 keine Wohnsitzmeldungen auf. Diese Nutzungseinheiten können somit zu diesem Zeitpunkt als Wohnungsleerstand gewertet werden und weisen mit rund 9 % ein beträchtliches Ausmaß auf. Davon abgezogen wurden jene Datensätze, die eine Mindestgröße an Nutzfläche unterschreiten, offensichtlich fehlklassifiziert wurden bzw. bei der Verortung keine reale Adresse aufwiesen. Somit konnten 830 Datensätze (8,4 %) eindeutig zugeordnet werden und weisen zusammen eine Wohnnutzfläche von ca. 71.340 m2 auf.


9 %

886

6|7

Nutzungseinheiten der Kategorie Wohnungen bzw. Wohnungen/Arbeitsstätten ohne Wohnsitzmeldung

886 71.340 m2 Wohnnutzfläche leer stehend


VORSTUDIE

Zur Auswertung der räumlichen Streuung der Leerstände im Gemeindegebiet wurden die Zählsprengel der Statistik Austria als Gliederungsstruktur verwendet. Um die einzelnen Teilräume miteinander vergleichen zu können, wurde eine Normalisierung der Leerstandsdaten mit den Bevölkerungsdaten aus dem Zentralen Melderegister vorgenommen. Dadurch wird die leer stehende Wohnnutzfläche im Verhältnis zur Bevölkerungszahl sichtbar. Die größten Leerstände im Verhältnis zur Einwohnerzahl liegen im Zählsprengel „Stickereizentrum“ mit 5,06 m2 je EinwohnerIn vor, dicht gefolgt von 4,96 m2 je EinwohnerIn im Sprengel „Rathaus“. Die Leerstandsdichte nimmt in den peripheren Zählsprengeln ab.

Diese Auswertungsergebnisse können als erste Annäherung an ein komplexes Problem betrachtet werden. Es ist eine Momentaufnahme, die mit zahlreichen Unsicherheiten behaftet ist. Zudem bleibt der Begriff „Leerstand“ undefiniert. Die Unternutzung von Gebäuden, Grundstücken und Siedlungsgebieten wird nicht betrachtet.


8|9

L E E R S TA N D


WEITERFÜHRENDE BETR ACHTUNGEN

Weiterführende Betrachtungen Die Vorstudie macht deutlich, dass aufgrund der Größenordnung eine weiterführende Betrachtung und Auseinandersetzung mit der Thematik Leerstand notwendig ist. Mit dieser Aufgabe wurde im Frühjahr 2016 die Architektin Julia Kick beauftragt. Parallel zu weiteren Analysen basierend auf einem aktualisierten Datensatz vom April 2016, arbeitete sie an einer Workshop-Reihe mit Kindern. In diesen Workshops wurde das Thema Leerstand aus dem Blickwinkel der Kinder betrachtet und somit nicht nur analytisch, sondern auch emotional und spielerisch bearbeitet. Dieses Buch möchte sich dem Leerstand aus verschiedenen Richtungen nähern, um der Komplexität des Themas gerecht zu werden. Aus diesem Grund lässt es sich aus zwei Richtungen lesen, erhebt jedoch nicht den Anspruch auf eine wissenschaftliche Arbeit. Gemeinsam mit der Gemeinde wurde definiert, dass sich die weitere Betrachtung auf Gebäude, nicht auf einzelne Wohneinheiten, konzentriert. Damit soll insbesondere der Aspekt des Erscheinungsbildes der Gemeinde behandelt werden, welches durch Leerstand zunehmend beeinflusst wird. Die Substanz unbewohnter Gebäude leidet. Den überwiegend älteren, leer stehenden Häusern droht Verfall und Abbruch. Das baukulturell wertvolle Erbe, verschwindet dadurch mehr und mehr. Kollektive Erinnerungen und Orientierungspunkte, die für die Identität einer Gemeinde und die Identifikation der BewohnerInnen mit der Gemeinde enorm wichtig sind, gehen verloren.

Gleichzeitig erhöht sich der Siedlungsdruck an den Rändern der Gemeinde. Die Lustenauer Bevölkerung wird bis zum Jahr 2050 im Vergleich zu 21.897 EinwohnerInnen im Jahr 2015 um weitere 5.141 Personen wachsen (Quelle: Statistik Austria, Regionale Bevölkerungsprognose 2015 bis 2050). Das entspricht einem prozentuellen Zuwachs von 23,5 %. Im Idealfall finden diese Menschen auf bereits gewidmetem Gebiet innerorts Platz. Eine weitere Zersiedelung wäre für die Gemeinde kostenintensiv, da neue Verkehrs- und Infrastrukturnetze gebaut werden müssten. Eine Verdichtung nach innen macht hingegen die vorhandenen Netze rentabler. Der öffentliche Verkehr benötigt mehr Dichte, um gut funktionieren zu können und endlich eine Alternative zum Individualverkehr darstellen zu können. Freie Flächen innerorts sind allerdings rar bzw. werden aufgrund der aktuellen Zinssituation gehortet.

„Den überwiegend älteren, leer stehenden Häusern droht Verfall und Abbruch. Das baukulturell wert volle Erbe verschwindet dadurch mehr und mehr.“ Julia Kick, Architektin


L E E R S TA N D

Es herrscht ein Missstand zwischen öffentlichen und privaten Interessen. Auch innerfamiliär bestehen oftmals Verständigungsschwierigkeiten, die ebenfalls zu Leerstand führen können. Erbstreitigkeiten oder versäumte, frühzeitige Kommunikation unter den Generationen verhindern eine rechtzeitige und sinnvolle Übergabe und Übernahme von Immobilien. Dieses Buch soll das Bewusstsein für das Thema Leerstand schärfen. Es zeigt Möglichkeiten auf, um Besitzerinnen und Besitzer leer stehender Immobilien dazu anzuregen, mehr aus ihrem Besitz zu machen.

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Hinsichtlich der Nachverdichtung wird die Leerstandsthematik daher immer wichtiger. Als Leerstand können nicht nur komplett leere Häuser angesehen werden. Den viel größeren, und dadurch fast wichtigeren, Teil macht der partielle Leerstand – die Mindernutzung – von Raum und Grundstücken aus. Die Gründe für Leerstand und teilweisen Leerstand sind vielschichtig. Die angesprochene Zinssituation führt zu Baulandhortung und zu einer großen Nachfrage an Investorenwohnungen. Viele Eigentümer fühlen sich jedoch vom österreichischen Mietrecht ungenügend geschützt, um ihre Immobilie gerne zu vermieten. Zudem können sich bei Vermietung steuerrechtliche Nachteile ergeben, die durch die Mieteinnahmen kaum aufgewogen werden können. Viele entscheiden sich dafür, ihr Eigentum oder zumindest Teile davon leer stehen zu lassen.


Leerstand in Zahlen

L E E R S TA N D I N Z A H L E N

Aus dem bereits angesprochenen Datensatz, der aus der Zusammenführung des Melderegisters mit dem Adress-, Gebäude- und Wohnungsregister (Stand April 2016) resultierte, ließen sich für ganz Lustenau 5.098 Gebäude für Wohnzwecke extrahieren. Davon entfallen 74,1 % auf Gebäude mit einer Wohnung und 24 % auf Gebäude mit zwei und mehr Wohnungen. 0,2 % sind als „nie existent“ klassifiziert und können als Fehler im Datensatz gewertet werden. 1,7 % erscheinen als „Abbruch“ in der Liste. Der Abbruch von Gebäuden ist bei der Gemeinde anzeigepflichtig. Aus der späteren Feldstudie ist erkennbar, dass diese tatsächlich bereits abgerissen wurden und gerade durch Neubauten ersetzt werden oder vermutlich kurz

vor Abbruch stehen. 100 % dieser Abbruchgebäude stehen leer. Von den weiteren Berechnungen wird der Anteil der Abbruchgebäude sowie der Anteil der „nie existenten“ Gebäude ausgegrenzt. Die absolute Zahl von 68 zum Abbruch gemeldeten Gebäuden ist beachtlich und macht den Wandel unseres gebauten Umfeldes deutlich. Weiters ist erkennbar, dass der überwiegende Teil der Wohngebäude in Lustenau Gebäude mit nur einer Wohnung – Einfamilienhäuser – sind.


L E E R S TA N D

Welche Gebäude in Lustenau werden genauer betrachtet?

5.098 _

3.786

74,1 %

12 | 13

Gebäude für Wohnzwecke

24 %

86

1,7 %

1.226

0,2 %

9

? Gebäude mit einer Wohnung

Gebäude mit zwei oder mehr Wohnungen

Gebäude im Abbruch

Gebäude hat nie existiert


Wie entwickelt sich Lustenaus Bevölkerung?

Von den verbleibenden 5.012 Gebäuden (abzüglich der Gebäude „Abbruch“ und „nie existent“) für Wohnzwecke weisen 236 (4,7 %) keine Meldung (weder Haupt- noch Nebenwohnsitz) auf und können somit als Leerstand gewertet werden. 5,2 % aller Einfamilienhäuser stehen leer sowie 3,1 % der Gebäude mit zwei oder mehr Wohnungen. Leerstand ist somit ein bei Einfamilienhäusern häufiger auftretendes Phänomen.

25.071 22.979

L E E R S TA N D I N Z A H L E N

Wie viele dieser Gebäude stehen leer? 5.012

236

4,7 % 3.786 5,2 %

198 1.226 3,1 %

38

Leer stehende Gebäude gesamt in Lustenau

Leer stehende Gebäude mit einer Wohnung

Leer stehende Gebäude mit zwei oder mehr Wohnungen

27.038

2050

2040

2030

24.737

2020

2015

21.897


L E E R S TA N D

Aus dem Datensatz kann außerdem die „Nettogrundfläche“ der leer stehenden Gebäude ausgelesen werden. Diese beträgt 35.623 m2. Leider ist aus dem Datensatz nicht ersichtlich, um welche Art von Fläche es sich bei besagter „Nettogrundfläche“ handelt. Führt man eine kurze Kontrollrechnung durch und geht von 130 m2 pro leer stehendem Gebäude aus, erhält man eine ähnliche Zahl von 30.680 m2.

Möchte man den Leerstand in Wert umlegen und annehmen, dass 35.623 m2 mit einem Mietzins von 7,- Euro pro m2 (Richtwert für mittleren Wohnwert gemäß Hypo Vorarlberg „Richtpreise 2017 für Vorarlberg“) vermietet werden, verzichten die BesitzerInnen leer stehender Gebäude pro Jahr auf 250.000 Euro Mieteinnahmen.

828

Personen

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Wie viele Menschen könnten in den leer stehenden Gebäuden wohnen?

Das Zahlenspiel lässt sich fortsetzen: Bei einer durchschnittlichen Wohnfläche von 43 m2 pro Person in Vorarlberg (Stand 2015, Statistik Austria) würden 35.623 m2 laut Liste Platz für 828 Personen bieten. Das bedeutet, dass das Bevölkerungswachstum von Lustenau bis 2020 (ein Anstieg von 4,9 % gegenüber 2015) alleine mit Hilfe der leer stehenden Gebäude aufgefangen werden könnte, ohne dafür neue Flächen zu verbrauchen oder neue Infrastruktur zu benötigen.

43 m / 2

Person

35.623  m2 Nettogrundfläche


L E E R S TA N D I N Z A H L E N

Weiters lässt sich herausfiltern, in wie vielen Gebäuden lediglich eine Person gemeldet ist. Von den 5.012 Gebäuden für Wohnzwecke weisen 631 Gebäude eine Meldung (Hauptwohnsitz) auf. Das bedeutet, dass 12,6 % „Einpersonenhäuser“ sind, wobei dies hauptsächlich ein „Einfamilienhausproblem“ ist. Während nur 2,2 % aller Gebäude mit zwei oder mehr Wohnungen von einer Person bewohnt werden, ist dies bei 16,0 % aller Gebäude mit einer Wohnung der Fall. Im teilweisen Leerstand bzw. in den mindergenutzten Gebäuden steckt somit noch weit mehr Potential als im kompletten Leerstand.

5.012 12,6 %

631

In wie vielen Gebäuden lebt nur eine Person? 3.786 Alle Gebäude mit einer Meldung

16 %

604

1.226 2,2 %

27

Gebäude mit einer Wohnung und einer Meldung

Gebäude mit zwei oder mehr Wohnungen und einer Meldung


L E E R S TA N D

Betrachtet man wieder die Nettogrundfläche der Einpersonenhäuser, so liegt diese laut Liste bei 76.185m2. Die Kontrollrechnung mit 130 m2 pro Einheit ergibt sogar 82.030 m2. Auch die Umlegung der 76.185 m2 auf Personen ergibt, dass zusätzlich zu der einen bereits gemeldeten Person pro Einheit für weitere 1.140 Personen Platz in den teilweise leer stehenden Gebäuden. Gemeinsam mit dem kompletten Leerstand könnte somit das Bevölkerungswachstum bis 2025 (plus 9,2 %) aufgefangen werden. Hier verzichtet man jährlich auf 343.364 Euro Mieteinnahmen. Die Gefahr, dass Einpersonenhäuser zu leer stehenden Gebäuden werden, ist groß. In diesen Häusern steckt ein großes Potential, dem in der Leerstandsdiskussion oft zu wenig Beachtung geschenkt wird. Die Bausubstanz noch

bewohnter Häuser ist meist besser als jene von leer stehenden Gebäuden. Leider wird innerfamiliär oft der Zeitpunkt verpasst, für die nächste Generation im Haus Platz zu machen oder ein gemeinsames Projekt wird aus Bequemlichkeit nicht angegangen. Oft fehlt auch die Bereitschaft der gegenwärtigen BewohnerInnen zur Veränderung. Das Resultat sind im schlimmsten Fall neue Einfamilienhäuser am Siedlungsrand, wo der Boden noch erschwinglich ist. Während ältere Gebäude und die dazugehörigen Grundstücke oftmals noch das räumliche Potential für Mehrgenerationenhäuser aufweisen, ist dies bei neu gebauten Einfamilienhäusern kaum noch der Fall. Durch steigende Grundstücksund Baukosten wird genau an jenem Raum und Platz gespart, der zukünftig eine flexible und somit nachhaltige Nutzung von Gebäuden ermöglichen würde.

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Wie viele Menschen könnten in leer stehenden und mindergenutzten Gebäuden wohnen? Wie hoch wären die Mieteinnahmen?

43 m / 2

Person

84.675 m2 Nettogrundfläche

=

1.969 Personen

= 592.725,Mieteinnahmen jährlich


Betrachtet man den Leerstand noch einmal im Detail, bezogen auf dessen Alter und Baujahr, wird deutlich, dass es sich zu großen Teilen um einen sehr alten Gebäudebestand handelt. 34,3 % des Leerstands wurde vor 1919 erbaut. Aber auch die Zeit von 1945 bis 1970 ist mit insgesamt 39,3 % stark vertreten. Geht man von einer Nutzungsdauer von 100 Jahren aus, bleiben diesen Gebäuden immer noch 28 bis 53 Jahre, bei entsprechender Pflege und Sanierung auch weit mehr.

Aus der Vorstudie der Gemeinde Lustenau geht hervor, dass die zentralen Wahlsprengel eine hohe Dichte an Leerständen aufweisen. Aus diesem Grund wurde die Gegend „Stickereizentrum“ einer näheren Betrachtung unterzogen. Mit insgesamt 400 Gebäuden für Wohnzwecke repräsentiert der gewählte Bereich 7,8 % der Gebäude Lustenaus. Im Vergleich zu ganz Lustenau weist er einen relativ hohen Anteil an Gebäuden mit zwei und mehr Wohnungen auf (35 % im Stickereizentrum verglichen mit 24 % in ganz Lustenau). Laut Datensatz sind 4,3 % dieser Gebäude mit mehreren Wohnungen leer stehend (weisen keine Meldung auf), sowie 11,1 % der Einfamilienhäuser. Das ist doppelt so viel im Vergleich zu ganz Lustenau.

L E E R S TA N D I N Z A H L E N

Wie alt sind die leer stehenden Gebäude?

34,3 %

vor 1919

14,8 %

1919–1944 1945–1960 3 %

1961–1970

2,5 %

10,2 %

1971–1980 1981–1990

0,4 %

19,1 %

1991–2000 2001–2010 seit 2011 ohne Angabe

2,5 % 34,3 %

2,5 %

10,6 %


Wie sehen die Zahlen im Gebiet „Stickereizentrum“ aus?

5.107 7,8 %

18 | 19

400 Gebäude für Wohnzwecke im Stickereizentrum

253 393 8,7 %

34

11,1 %

28 140 4,3 %

6

Leer stehende Gebäude gesamt im Stickereizentrum

Leer stehende Gebäude mit einer Wohnung

Leer stehende Gebäude mit zwei oder mehr Wohnungen


L E E R S TA N D I N Z A H L E N

Ein Abgleich mit dem Ortsplan zeigt leider, dass einige der leer stehenden Gebäude laut Liste in der Realität nicht mehr existieren. Zu 3 (10,7 %) der leer stehenden Einfamilienhäuser gibt es keine Meldung, 2 (33,3 %) der Mehrfamilienhäuser gibt es im Ortsplan nicht. Nach Abzug dieser „Blindgänger“ verbleiben noch immer 25 leer stehende Einfamilienhäuser (9,9 %) und 4 Häuser mit mehreren Wohnungen (2,3 %). Das Thema Leerstand kann anhand des Datensatzes grob umrissen werden. Wie groß jedoch der Graubereich ist, lässt sich nach einer kleinen Feldforschung nur erahnen: 8 der 29 Gebäude sehen bewohnt aus – das sind 27,6 %. Weitere 18 Gebäude im Gebiet Stickereizentrum weisen zwar eine Meldung auf, sehen jedoch von außen unbewohnt aus. Das sind weitere 62 % des laut Liste ausgewiesenen Leerstands.

Der Versuch, die Thematik in Zahlen zu fassen, ist schwierig aber wichtig. Die Absicht dieses Buches ist nicht, auf einzelne Häuser oder Besitzer mit dem Finger zu zeigen, sondern herauszufinden, in welcher Größenordnung das Phänomen existiert und wie es in der Siedlungsstruktur von außen wahrgenommen wird. Eine Außenwahrnehmung – resultierend aus der Feldforschung – ist, dass Leerstand nicht immer Verwahrlosung bedeutet. Einige der leer stehenden Häuser sind gepflegt. Sie haben erstaunlich schöne Gärten, die teilweise tatsächlich genutzt wirken. Diese Häuser sind vom Erscheinungsbild her keine Störung des Ortsbildes. Doch im sozialen Gefüge entstehen Lücken – Nachbarn fehlen. Anteilnahme, Austausch und Zuwendung sind soziale Grundbedürfnisse des Menschen, die auch durch nachbarschaftliche Kontakte abgedeckt werden.


L E E R S TA N D

Wie hoch sind die Abweichungen der Zahlen im Stickereizentrum in der Realität?

34 _

3

2

Leer stehende Gebäude mit einer Wohnung

Leer stehende Gebäude mit zwei oder mehr Wohnungen

Leer stehende Gebäude nicht existent

20 | 21

Leer stehende Gebäude


L E E R S TA N D I N Z A H L E N

Ein weiterer Aspekt des Leerstands sind unbebaute Grundstücke im ansonsten überbauten, innerörtlichen Gemeindegebiet. Die Gesamtfläche des Wahlsprengels Stickereizentrum beträgt 455.252 m2. 10 % dieser Fläche (45.669 m2) sind unbebaute Grundstücke. 25 % dieser Fläche (113.639 m2) sind von einem Gebäude überbaut. Das bedeutet, dass 65 % des Gebietes auf unbebaute Restflächen entfällt. Die Bauflächenzahl (Verhältnis der überbauten Fläche zur Nettogrundfläche) liegt somit bei 25. Das gesamte Gebiet ist als Baufläche-Mischgebiet bzw. Kerngebiet gewidmet.


22 | 23

L E E R S TA N D

65 % Wie viel Grund und Boden ist leer?

295.944 m2

10 % 25 % 113.639 m2

Bebaute Grundstücke

Restfläche unbebaut

45.669 m2 Leer stehende Grundstücke


N U T Z E N S TAT T L E E R L A S S E N

Nutzen statt leer stehen lassen

Aus Alt mach Neu

Umnutzung

Dazu

Ein altes Haus wird hergerichtet und erstrahlt in neuem Glanz. Die Kubatur und Nutzung bleibt weitestgehend erhalten, Bauteile werden ausgetauscht und technisch auf den neuesten Stand gebracht. Das Erscheinungsbild ändert sich nicht grundlegend, kollektive Erinnerungen und Baukultur werden bewahrt. Diese Art der Sanierung bietet sich vor allem bei erhaltungswürdiger, besonderer Bausubstanz an.

Ein vormals nicht zu Wohnzwecken genutztes Gebäude wird adaptiert und umgenutzt. Aus einer Stickerei werden Wohnungen, aus einem Stadel wird ein Wohnhaus. Durch ihre räumliche Andersartigkeit ermöglichen diese Gebäude reizvolle, spannende Wohnsituationen. Die Nutzung und somit die Wirkung des Gebäudes ändert sich. Bauten, die aufgrund veränderter gesellschaftlicher und ökonomischer Strukturen in unserem Siedlungsgebiet überflüssig geworden sind, können auf diese Weise als Zeitzeugen erhalten und zukünftig weiterhin sinnvoll genutzt werden. Diversität und Abwechslung im Siedlungsbild bleiben bestehen.

Gebäude, die in ihrer Größe und räumlichen Struktur modernen Wohnbedürfnissen nicht mehr entsprechen, können durch Zubauten und Erweiterungen ergänzt werden. Der Bestand kann so weiterhin genutzt werden. Oft reichen kleine Änderungen und Investitionen aus, um im bestehenden Siedlungsgebiet kostengünstig Wohnraum für die Zukunft schaffen zu können. Durch größere Zubauten lassen sich bestehende Gebäude so weit adaptieren, dass Platz für zwei Wohneinheiten entsteht.


Daneben

Aus eins mach zwei

Zwischennutzung

Auf vielen Grundstücken, die mit einem Einfamilienhaus bebaut sind, hätte noch ein zweites Gebäude Platz und es würde immer noch ein Garten übrig bleiben. Die Dichte in bereits erschlossenen Einfamilienhausgebieten könnte somit, trivial gesagt, leicht verdoppelt werden. Folglich wären auch Erschließung, Infrastruktur und öffentlicher Verkehr gleichmäßiger und besser ausgenützt, ohne überlastet zu werden. Möchte man sein Heim aus emotionalen Gründen nicht umbauen, besteht bei dieser Variante immerhin trotzdem die Möglichkeit, zum Beispiel für Familienmitglieder Wohnraum zu schaffen.

Zahlreiche Einfamilienhäuser stehen teilweise leer und sind untergenutzt. In vielen Fällen wäre es ohne großen Aufwand möglich, aus einer Wohneinheit zwei Wohneinheiten zu machen. In manchen Fällen müssten Anpassungen vorgenommen werden (z.B. externe Treppenhäuser), um dies zu ermöglichen. Bei Neubauten wäre es sinnvoll, die Option der Teilung bei der Planung im Vorhinein zu berücksichtigen. Entstehen dadurch, wie bei „Dazu“ und „Daneben“, Mehrgenerationenhäuser, bringen solche Wohnkonstellationen auch einen sozialen Mehrwert mit sich.

Wenn Gebäude zeitweise leer stehen (vielleicht bis entschieden wird, was damit in Zukunft geschehen soll), könnte Zwischennutzung ermöglicht werden. Der Bedarf an temporärem Wohnoder Arbeitsraum ist nämlich durchaus vorhanden. Eine leer stehende Stickerei wäre zum Beispiel ein ideales Atelier für junge Künstler, ein optimales Büro für Start-ups oder eine passende Werkstatt für Modelleisenbahner. In bewohnbaren Häusern fänden Flüchtlinge vorübergehend ein dringend benötigtes Zuhause.

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Ein Haus von 1959 wird durch einen ebenerdigen, barrierefreien Zubau ergänzt. Die Oma macht Platz für Enkelin mit Familie. Ein Generationenhaus entsteht. Architektur: Julia Kick Architektin © Nussbaumer Photography

In einer ehemaligen Stickerei finden sechs Lofts Platz. Möglichst viel der industriellen Substanz wurde erhalten und die nötigen Maßnahmen gesetzt, um den besonderen Raum bewohnbar zu machen. Architektur: Architekturwerkstatt Dworzak – Grabher GmbH © Günter König


L E E R S TA N D

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Ein gut 150 Jahre altes Rheintalhaus wird liebevoll restauriert. Neue Teile passen sich dem Bestand an, mit viel Einsatz werden verborgene Schichten freigelegt und erhalten. Architektur: planDREI Hammerer GmbH und Holzbau Stephan Muxel © studio 22

Die neue Service-Stelle Der Marktgemeinde Lustenau ist es ein Anliegen, den Leerstand und wenig genutzte Gebäude zu aktivieren. Die Bevölkerung soll motiviert und unterstützt werden, ihre Immobilien durch Renovierung, Umbau, Umnutzung oder Teilung zu verwenden anstatt leer stehen zu lassen. Dies soll möglichst durch qualitativ hochwertige Planung und Gestaltung von Fachleuten passieren. So soll Baukultur in Lustenau erhalten und für die Zukunft geschaffen werden. Ein Netzwerk an ArchitektInnen, PlanerInnen und RechtsberaterInnen steht gemeinsam mit dem Bauamt Lustenau hilfesuchenden Immobilienbesitzern zur Verfügung.

Neben kostenlosen Erstberatungen durch die Fachpersonen wird außerdem die Serie „Ein guter Rat – vor Ort“ starten. Bauherren, die bereits erfolgreich saniert haben, machen ihr Vorzeigeprojekt anderen Interessierten für ein paar Stunden zugänglich und plaudern aus dem Nähkästchen. Erfahrungen können so direkt unter Betroffenen ausgetauscht werden. Wir sind überzeugt, so einen weiteren Schritt in Richtung qualitätvoller Siedlungsentwicklung mit Hilfe guter Baukultur machen zu können. Kontakt: Bauamt der Marktgemeinde Lustenau Rathausstraße 1, 6890 Lustenau T +43 5577 8181-502, einguterrat@lustenau.at


WORKSHOP #3

Leer stand Eine Betrachtung in Zahlen


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