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ERDRÜCKENDE ENERGIEPREISE

Die Wirtschaft fordert: Preise müssen sinken

DIE SITUATION DER ENERGIEPREISE IN GANZ EUROPA IST NACH WIE VOR BESORGNISERRE� GEND UND ERFORDERT POLITISCHES EINGREIFEN. FÜR DIE UNTERNEHMEN GRENZT DER ZUSTAND AN UNTRAGBARKEIT UND KRATZT BEREITS AN DER EXISTENZ VON BETRIEBEN.

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In den letzten Monaten haben die Energiekosten ein noch nie dagewesenes Niveau erreicht. Die internationale geopolitische Lage, der Krieg in der Ukraine, Spekulationen und Fragen im Zusammenhang mit der Gasversorgung (die auch für die Stromerzeugung benötigt wird) haben zu einem stetigen Anstieg der Kosten an der Strombörse geführt, was sich zwangsläufig auf die Kosten der Unternehmen und Haushalte auswirkt. Die Preiserhöhung trifft vor allem Unternehmen mit einem Stromvertrag mit variablen Preisen. Dieser Wert (PUN) wird von der nationalen Strombörse festgelegt und ist ständigen Schwankungen unterworfen. Der nationale Einheitspreis (PUN) ist der Referenzpreis für den Großhandelsmarkt in Italien. Sein Wert hängt von verschiedenen Faktoren ab, hauptsächlich von der Entwicklung des Stromverbrauchs, den Produktionskosten der Kraftwerke, dem Großhandelspreis auf anderen europäischen Märkten und auch von externen internationalen oder geopolitischen Faktoren.

DIE RECHNUNG

Die Stromrechnung setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen: Das Energieentgelt, das Entgelt für den Transport durch die nationalen Netze, Netzentgelte und Steuern. Die meisten variablen Preisangebote haben den durchschnittlichen monatlichen PUN als Referenzpreis. Bei einem solchen Tarif richtet sich der Preis nach dem Großhandelspreis. Die Umsatzmarge des Lieferanten wird zum PUN addiert. Zusätzlich zu den Kosten werden auch die Netzverluste auf den PUN-Preis aufgeschlagen. Heute hat der Strompreis ein Niveau erreicht, das in den letzten 10 Jahren nicht erreicht wurde, als die Preise zwischen 35 und 100 Euro/MWh schwankten. Im Jahr 2020 sank der Preis aufgrund der Pandemie und des daraus resultierenden Rückgangs der Energienachfrage auf 22 €/MWh. Ab 2021 begann der Preis stetig zu steigen, bis er sein derzeitiges hohes Niveau erreichte.

FÜR EINIGE BETRIEBE SIND DIE STROMPREISE BEREITS NICHT MEHR TRAGBAR.

MARTIN HALLER, LVH-PRÄSIDENT

DIE ENTSCHEIDENDEN FAKTOREN

Vor allem drei Faktoren haben zum Anstieg der Strompreise beigetragen. Zum einen sind es die steigenden Kosten für Gas, das in Italien zur Erzeugung von etwa 42 Prozent der ins Netz eingespeisten Energie verwendet wird. Dies ist auf strukturelle und geopolitische Faktoren zurückzuführen, insbesondere auf die Verringerung der Gaslieferungen aus Russland nach Europa. Hinzu kommt die Erhöhung des Preises für CO2-Emissionszertifikate durch die EU zur Unterstützung des „ökologischen Übergangs“ und zur Bekämpfung der globalen Erwärmung. Dies verteuert die Energie, die in Ländern wie Italien immer noch weitgehend durch die Verbrennung

Verdreifachte Stromkosten

©nevodka/Shutterstock

traditioneller Rohstoffe wie Gas und Kohle erzeugt wird. Und schließlich kommt der Anstieg der Energienachfrage aufgrund des plötzlichen Aufschwungs nach der Pandemie und der gleichzeitige Rückgang der weltweiten Gasreserven hinzu (verursacht sowohl durch die Ungewissheit des Aufschwungs als auch durch den Anstieg des Verbrauchs aufgrund eines besonders strengen Winters), welche weiter zu einem allgemeinen Anstieg des Preises für den „Energierohstoff“ beigetragen haben.

MÖGLICHE LÖSUNGEN

Den Prognosen der Analysten zufolge werden die Preise im Herbst weiter steigen, wenn nicht unverzüglich Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene ergriffen werden. Die derzeitige Aussetzung der Netzentgelte für Strom durch die italienische

Schulterschluss erforderlich ©Shutterstock

Regierung war eine erste Maßnahme zur Entlastung der Unternehmen, reicht aber nicht aus, um dem Anstieg der Energiekosten zu begegnen. Daher sind weitere Maßnahmen erforderlich, die hoffentlich in den kommenden Wochen insbesondere auf EU-Ebene ergriffen werden. Der lvh unterstützt seine Mitglieder neben der fachlichen Beratung durch seine politische Intervention.

10|2022

HERBERT DORFMANN EU-Parlamentarier

Sparen ja, aber was noch?

Die Energiekrise ist derzeit das wichtigste Diskussionsthema in Brüssel. Die horrend hohen Energiepreise bringen Familien in arge Schwierigkeiten und gefährden die Existenz von Unternehmen.

Wie sieht die Strategie der europäischen Energiepolitik aus?

Die Mitgliedsstaaten sollen im Winter den Energie- und Gasverbrauch um einen noch zu definierenden Prozentsatz senken. Dass diese Pflicht an Bürger und Betriebe weitergegeben würde, liegt auf der Hand, wie das geschehen soll, ist für mich allerdings ein Rätsel. Schließlich kann (und sollte) man nicht kontrollieren, wer wann wie oft und wie lange duscht oder die Waschmaschine einschaltet. Man kann aber öffentliche Räume weniger heizen, weniger kühlen oder Beleuchtungen reduzieren. Der hohe Preis wird zum Sparen beitragen, weil auch private Haushalte und Unternehmen alles tun werden, um ihren Energiebedarf zu reduzieren.

Welche Entscheidung ist in Ihren Augen unbedingt erforderlich?

Wir brauchen aber endlich einen Preisdeckel für Gas und damit auch für Strom in der EU. Vor allem an der Gasbörse in Amsterdam hat sich eine Spekulationsblase entwickelt, die wir zum Platzen bringen müssen. Es ist durch nichts zu rechtfertigen, dass heute unsere Gaslieferanten zehn mal so viel einstecken als noch vor einem Jahr. Täglich fließt eine halbe Milliarde aus der EU allein nach Norwegen. Der freie Markt ist ein hohes Gut, aber wenn er nicht mehr funktioniert, muss die Politik eingreifen. Leider weigern sich einige Staaten nach wie vor, hier durchzugreifen.

Wie sieht die zukünftige Energieversorgung aus?

Langfristig ist diese Krise sicher eine Chance, unsere Energieversorgung und unseren Verbrauch neu zu ordnen. Wir brauchen mehr Energieproduktion in Europa. Dazu müssen wir nachhaltige Energie wie Biomasse, Wasserkraft, Wind und Photovoltaik schnell ausbauen. Wir werden aber auch wieder mehr Atomstrom in der Eu produzieren müssen. In Südtirol müssen wir Energieversorgung wieder kleinräumiger denken. Wer seine Wärme aus dem Fernheizwerk im Dorf bekommt oder Strom selbst produziert, dam kann das Desaster, das die russische Regierung durch ihren Angriff auf die Ukraine angerichtet hat, wenig anhaben.

VORSCHLÄGE DER EU-KOMMISSION Entscheidungen sollen in den nächsten Wochen fallen

1. Stromverbrauch soll während Spitzenpreiszeiten um mindestens 5 Prozent sinken

Durch die Senkung der Nachfrage wird eine insgesamte Beruhigung des Marktes angestrebt.

2. 180 Euro/Megawattstunde: Befristete Erlösobergrenze für Stromerzeuger durch erneuerbare Energien, Kernenergie und Braunkohle

Für Stromerzeuger wie jene die Strom durch erneuerbare Energien, Kernenergie und Braunkohle erzeugen, soll eine befristete Erlösobergrenze von 180 Euro/Megawattstunde greifen. Erlöse oberhalb der Obergrenze werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten verwendet, um die Verbraucher bei der Senkung ihrer Energiekosten zu unterstützen.

3. Solidaritätsbeitrag auf Basis von Überschussgewinnen für Erdöl, Erdgas und Kohle

Es soll ein befristeter Solidaritätsbeitrag auf der Grundlage von Überschussgewinnen vorgesehen werden, die aus Tätigkeiten im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich erzielt werden, für welche die Erlösobergrenze für inframarginale Erzeuger nicht gilt.

4. Gaspreisdeckel prüfen

Als weiteren Eingriff in die Vorschriften für den Strommarkt schlägt die EU-Kommission zudem vor, einen Gaspreisdeckel einzuführen. Dieser und die anderen Vorschläge würden so erstmals regulierte unter den Kosten liegende Strompreise ermöglichen und regulierte Preise auch auf kleine und mittlere Unternehmen ausweiten.

MARCO GRANELLI Präsident der Confartigianato

Zeit für politische Intervention

Die hohen Energiekosten gefährden 881.264 Kleinst- und Kleinunternehmen mit 3.529.000 Beschäftigten, das sind 20,6 Prozent der Arbeitsplätze im italienischen Unternehmertum.

Welche Sektoren leiden besonders unter der Energielast?

Laut einer Confartigianato-Studie sind Wirtschaftszweige wie Keramik, Glas, Zement, Papier, Metallurgie, Chemie, Erdölraffination, Lebensmittel, Getränke, Pharmazeutika, Kautschuk und Kunststoffe sowie Metallerzeugnisse am stärksten von Energieabschaltungen oder gar Schließungen bedroht. Aber auch 16 andere Sektoren des verarbeitenden Gewerbes leiden unter den steigenden Energiepreisen, darunter die Textilindustrie, die Holzverarbeitung, das Druckgewerbe, elektrische Akkumulatoren und Haushaltsgeräte, Automotoren und Zubehör sowie die Wasser- und Abfallversorgung und -verwaltung

Werden die jüngsten Entscheidungen des Ministerrates fruchten?

Wir begrüßen das rechtzeitige Eingreifen der Regierung mit weiteren Maßnahmen zur Abmilderung der sehr schwerwiegenden Auswirkungen der Energiepreiserhöhungen auf die Unternehmen im Namen der Kontinuität und der Verstärkung früherer Maßnahmen. Die Maßnahmen des Dl Aiuti ter müssen jedoch durch einen Strukturplan für die Energiesicherheit begleitet und ergänzt werden. Positiv bewerte ich vor allem die Aufstockung der Steuergutschrift für nicht energieintensive Unternehmen im Oktober und November. Wir vertrauen darauf, dass diese Maßnahme im Parlament auf das gesamte vierte Quartal des Jahres ausgedehnt und somit kurz- und mittelfristige Effekte erzielt werden können.

Das Maßnahmenpaket sieht auch Hilfe für den Transportsektor vor…

Das ist korrekt. Es steht ein Fonds in Höhe von 100 Millionen Euro für diese Berufssparten bereit, um die anhaltenden Auswirkungen der exorbitanten Kostensteigerungen für Dieselkraftstoff abzufedern. Die Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen war und ist beeinträchtigt, da sie gezwungen sind, ihre Gewinnspannen zu verringern, um den ständigen Anstieg der Verbraucherpreise zu vermeiden.

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