Ostdeutsches Energieforum September 2015 - Sonderausgabe der Leipziger Volkszeitung

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Verlagsbeilage • 16. September 2015

ENERGIE

Zwischen Himmel

und Erde

Punktsieg für Bayern: Statt Überlandleitungen sollen nun Erdkabel – wie auf diesem Titelbild zu sehen – grünen Strom nach Süden bringen. Die Technik ist nicht nur teuer, sondern auch nicht ausreichend erprobt. Die Zeche zahlen die Verbraucher. Ein Tiefschlag für die ostdeutschen Bundesländer: Sie schultern schon heute höhere Netzentgelte. Die Prognose des Netzwerks Agora Energiewende, wonach die EEG-Umlage von heute 6,17 Cent pro Kilowattstunde in Zukunft auf sieben bis acht Cent pro Kilowattstunde steigen wird, ist ein zusätzlicher Hieb für die neuen Bundesländer. Ein Grund mehr, dass Politiker und Unternehmer beim 4. Ostdeutschen Energieforum in Leipzig den Schulterschluss proben.


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ENERGIE REPORT

MITTWOCH, 16. SEPTEMBER 2015 | NR. 216

Erntezeit für Windbauern

Des einen Freud, des anderen Leid: Immer mehr Versorger wollen Kraftwerke wegen schlechter Erlöse abschalten. Wirtschaftsexperten schlagen Alarm.

D

ie Windenergie in Deutschland hat in den ersten sechs Monaten des Jahres die Leitungen geflutet wie noch nie: Fast 40 Terawattstunden (TWh) Regenerativstrom speisten die Dreiflügler bis Ende Juni gemäß einer Bilanz des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE) ins Netz – rund 13,5 Prozent des Bruttostromverbrauchs. Insgesamt hatten die Erneuerbaren-Anlagen damit einen rechnerischen Anteil an der Stromversorgung deutscher Firmen, Verwaltungen, Infrastruktureinrichtungen und Privathaushalte von 32,5 Prozent. Im Gesamtjahr 2014 hatten die Stromverbraucher ihren Energiebedarf noch mit Grünstrom aus deutscher Erzeugung zu knapp 28 Prozent decken können. Unterm Strich ist die Grünfärbung des Stroms allerdings etwas geringer, da

Deutschland jährlich in zunehmendem Maße mehr Strom erzeugt als verbraucht. Im vergangenen Jahr waren es beispielsweise schon rund 30 TWh, die so in den Stromexport über die Bundesgrenzen abflossen. Zugenommen hat der Erneuerbaren-Anteil im ersten Halbjahr 2015 vor allem dank einer guten Windernte von 39,15 TWh, davon 2,15 TWh aus Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee. Die wachsende Konkurrenz durch Wind- und Sonnenstrom bringt jedoch immer mehr konventionelle Kraftwerke in die wirtschaftliche Schieflage. Allein im Juni haben die Betreiber bei der Bundesnetzagentur weitere 16 unrentable Kraftwerksblöcke zur Stilllegung angemeldet, die meisten davon im Großraum Berlin. Die Meiler, von denen der größte Teil Vattenfall gehört,

sollen allesamt endgültig abgeschaltet werden. Wie aus den aktualisierten Zahlen der Marktaufsicht hervorgeht, liegen inzwischen 69 sogennante Stilllegungsanzeigen für Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 14 400 Megawatt vor. Zwei Drittel davon sollen dauerhaft vom Netz gehen, für die übrigen Blöcke hoffen die Betreiber auf bessere Zeiten und wollen sie nur vorübergehend stilllegen. „Der Anteil der Kraftwerke, die rund um die Uhr Strom erzeugen können, wird in den nächsten Jahren weiter stark sinken“, sagt Hildegard Müller, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energieund Wasserwirtschaft. Hinzu kämen Verzögerungen beim dringend notwendigen Netzausbau. „In der Summe empfinden wir die Situation als besorgniserregend.“

Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zahlt ein Durchschnittshaushalt mittlerweile rund 270 Euro im Jahr für die Energiewende. Die Gesamtkosten summieren sich demnach auf jährlich rund 28 Milliarden Euro. Größter Block sei die Umlage für die Förderung erneuerbarer Energien mit 21 Milliarden Euro. Mit weiteren vier Milliarden Euro schlage allein der Netzausbau zu Buche. Die Energiewirtschaft warnt davor, dass die von der Bundesregierung unter dem Stichwort „Strommarkt 2.0“ geplanten Reformen einen weiteren Kostenschub auslösen könnten. Nach den bisherigen Plänen von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel soll es keine Extra-Vergütung für das Vorhalten von Kraftwerken geben (Kapazitätsmarkt). Der SPDChef setzt auf die Marktkräfte und

hofft, dass Preisspitzen an Tagen mit hohem Bedarf an konventioneller Energie genügend Investitionsanreize liefern werden. Während immer mehr Windräder und Fotovoltaikanlagen in Betrieb gehen, kommt der Bau von Stromleitungen nicht hinterher. Bis 2016 rechnet die Bundesnetzagentur mit Fertigstellung von 40 Prozent der erforderlichen 1900 Leitungskilometer. Am Steuerhebel sitzen die Bundesländer, die für die langwierigen Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren verantwortlich sind. Die Netzagentur führt hingegen Regie für die nach dem Atomausstiegs-Beschluss neu auf den Weg gebrachten Stromautobahnen. Mittlerweile werden diese in ganz anderen Dimensionen entworfen und projektiert. Nach Informationen der FAZ rech-

net der neueste Netzentwicklungsplan (NEP) 2024 mit 2750 Kilometer neuen Höchstspannungsleitungen, die regenerative Energie von Nord und Ost nach Süd transportieren sollen. Zusätzlich müssen nach den neuesten Plandaten 3050 Kilometer bestehende Leitungen optimiert oder verstärkt werden. Die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber veranschlagen den Bedarf noch deutlich höher. Hiobsbotschaften lassen sich auch aus den sogenannten EnergiewendeIndizes der Beratungsgesellschaft McKinsey lesen: Demnach wird die EEG-Umlage von heute 6,17 Cent pro Kilowattstunde bis zum Jahr 2023 auf sieben bis acht Cent pro Kilowattstunde ansteigen – vor allem getrieben durch den Ausbau der Offshore-Windenergie.

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Zwischen Kumpel und Klimaziel Die Bundesregierung will keine Strukturbrüche im strukturschwachen Osten

Die Energiewende ist ein anspruchsvoller Transformationsprozess, der nur im Dialog mit allen Beteiligten und natürlich mit den Bundesländern erfolgreich sein kann. Dieser Dialog sei nicht immer einfach, aber nötig, sagt die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Iris Gleicke. Der Klima-Kompromiss der Bundesregierung hat starke Auswirkungen auf die BraunkohleFörderung. Der Energieriese RWE wird im Rheinischen Revier bis zum Ende des Jahrzehnts zehn bis 15 Prozent weniger Braunkohle verstromen – infolge dessen fallen 1000 Jobs weg. Vattenfall will dem fossilen Energieträger ganz abschwören und seine Aktivitäten in Ostdeutschland einstellen. 8000 direkte und weitere 16 000 indirekte Arbeitsplätze hängen in Brandenburg und Sachsen an der Kohle. Wie schafft die Bundesregierung den Spagat zwischen Kumpel und Klimaziel? Wir haben klare energiepolitische Zielsetzungen für die Energiewende und zu diesen stehen wir. Die Energiewende ist ein langfristiger Prozess, in dem für die konventionelle Stromerzeugung und damit auch für die Braunkohlestromerzeugung auf absehbare Zeit weiterhin Bedarf besteht. Gleichzeitig steht die Bundesregierung zu ihrem Ziel, bis zum Jahr 2020 die CO2-Emissionen um 40 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu reduzieren. Dazu muss auch der Energiesektor seinen Beitrag leisten. Wir haben in konstruktiven Gesprächen mit den betroffenen Landesregierungen, Unternehmen, Betriebsräten und der IG BCE eine ausgewogene Lösung gefunden. Mit dem am 1. Juli 2015 vorgestellten Eckpunktepapier und dem vorgeschlagenen Mix aus Maßnahmen in der Braunkohleverstromung, der Kraft-Wärme-Kopplung und einer höheren Förderung für Energieeffizienz erreichen wir die Klimaziele und verhindern zugleich Strukturbrüche. Ostdeutschland ächzt unter den Stromkosten allgemein, der Angst vor einem Aus der Braunkohle-Förderung, der Blockade Bayerns im Hinblick auf den Netzausbau und die hohen Netzentgelte. Man zahlt hier höhere Kosten für die Versorgungssicherheit als in einzelnen Regionen Westdeutschlands. Auch aus diesem Grund proben die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Bundesländer beim Leipziger Energieforum den Schulterschluss. Wie lange wird ihre Geduld und Solidarität noch strapaziert?

Die EEG-Reform 2014 und die Einigung vom Juli zeigen, dass eine Verständigung auch bei schwierigen Themen möglich ist. Wir haben beim Thema Braunkohle einen Kompromiss erzielt, der sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvolle und sozial verträgliche Lösungen beinhaltet. Beim Thema Netzausbau gehen wir einen neuen Weg. Über den Vorrang von Erdkabeln vor Freileitungen sorgen wir für mehr Akzeptanz beim Leitungsausbau, was unter anderem von Bayern ausdrücklich unterstützt wird. Und natürlich ist nicht zuletzt das Thema Stromkosten zentral. Bei den Netzentgelten beobachten wir eine unterschiedliche Entwicklung in verschiedenen Regionen. Manche ostdeutschen

„Wir brauchen einen fairen, technologieneutralen Wettbewerb.“ Iris Gleicke, Parlament. Staatssekretärin

Regionen gehören zu den Netzgebieten mit höheren Netzentgelten. Um die Netzkosten auch zukünftig fair auf viele Schultern zu verteilen und das Netzentgeltsystem „energiewendetauglich“ zu halten, wollen wir das Netzentgeltsystem überarbeiten. Die Energiewende bringt immer mehr Stadtwerke in große Not. Ihre Kraft-WärmeKopplung-Anlagen (KWK) rechnen sich unter den niedrigen Börsenpreisen für Strom nur schwer. Die Bundesregierung hat versprochen, den in ihrer Existenz gefährdeten Bestandsanlagen zu helfen, die Umstellung von kohle- auf gasgefeuerte KWK zu fördern und auch beim Neubau die Fördersätze maßvoll anzuheben. Was heißt das konkret? Auch zu diesem Thema konnten wir im Juli wichtige Weichenstellungen treffen. Die Stadtwerke sind wichtige Akteure der Energiewende und durch ihre regionale Verankerung zugleich nah am Endkunden. Das Thema Kraft-Wärme-Kopplung spielt für viele Stadtwerke eine wichtige Rolle. Wir werden künftig die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung noch enger und besser an den Zielen der Energiewende ausrichten. Bei der Diskussion um Energiequellen, Netze

und Speicher kommt ein Punkt oft zu kurz: die Energieeffizienz. Die Quote für Energiesanierung in Gebäuden liegt bei unter einem Prozent. Die Bundesregierung will zwei Prozent schaffen. Die Deutsche EnergieAgentur, bei der die Bundesregierung Gesellschafter ist, mahnt, dass in diesem Punkt viel Potenzial brach liegt. Wird die Bundesregierung diesbezüglich nachbessern? Energieeffizienz ist die zweite Säule der Energiewende. Klar ist: Wir müssen hier noch weiter vorankommen, und daran arbeiten wir. Rund 40 Prozent der Energie in Deutschland wird im Gebäudebereich verbraucht. Hier liegt ein großes Potenzial. Wir haben im Dezember 2014 den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz beschlossen und klare Maßnahmen definiert, die teilweise auch bereits umgesetzt sind. Um vielleicht ein Beispiel zu nennen: Wir haben zum 1. August 2015 die Förderbedingungen des sehr erfolgreichen Programms der Kreditanstalt für Wiederaufbau „Energieeffizient Sanieren“ noch attraktiver gestaltet. Wer sein Haus oder seine Wohnung energetisch saniert, kann künftig eine noch bessere Förderung durch die KfW erhalten. Dies gilt sowohl für zinsverbilligte Kredite als auch für Investitionszuschüsse. Stichwort Speicher: Pumpspeicherwerke sind derzeit die einzige Großtechnologie, die überschüssigen Strom dauerhaft speichern kann. Sie passen damit perfekt ins Konzept der Energiewende. Und doch werden sie kaum genutzt. Die 22 deutschen Pumpspeicherkraftwerke haben eine Gesamtleistung von rund 6,3 Gigawatt und sind damit ein kleiner Fisch in der hiesigen Elektrizitätswirtschaft. Warum bleibt den Pumpspeicherwerken kaum Platz am Markt, obschon ihre Bedeutung in punkto Netzstabilität immens gestiegen ist? Je mehr erneuerbarer Strom fließt, desto flexibler muss das Stromsystem werden. Pumpspeicher sind hierfür eine von mehreren Möglichkeiten. Wichtig sind in erster Linie Fortschritte beim Netzausbau sowie eine stärkere Flexibilisierung von Erzeugung und Nachfrage. Mit sinkenden Preisdifferenzen an der Strombörse ist das Marktumfeld für Pumpspeicher schwieriger geworden. Das zeigt aber auch: Der Markt stellt anderweitig genügend kostengünstige Flexibilität bereit. Damit die Energiewende für die Bürger erschwinglich bleibt, muss ein fairer, technologieneutraler Wettbewerb über die günstigste Flexibilitätsoption entscheiden.


ENERGIE REPORT

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Alarmzeichen aus Leipzig Nach der EEG-Reform ist der Strommarkt-Umbau für Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die wichtigste Baustelle bis zur Wahl. Der Staat will sich so gut es geht heraushalten – für das Einmotten alter Kohlemeiler aber viel Geld zahlen. Den ostdeutschen Ministerpräsidenten passt das gar nicht. In Leipzig reden sie Klartext. Profiteure und Zahler des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) Salden der Mittelzuflüsse und -abflüsse in Millionen Euro

-29 -225 -221 -225 -355 -536 -567 -623 -1152 -1567 -3100

2013 838 675 562 493 435

671 541 296 295 224 -105 770

-2964

-157 -271 -246 -418 -463 -436 -923 -1080

Quelle: bdew | Grafik: Patrick Moye

2014

Brandenburg Schleswig-Holstein Mecklenburg-Vorp. Sachsen-Anhalt Niedersachsen Thüringen Bayern Bremen Sachsen Saarland Rheinland-Pfalz Berlin Hamburg Hessen Baden-Württemberg Nordrhein-Westfalen

Geber-Länder

Bundesland

Nehmer-Länder

B

undeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) verzichtet bei der Reform des Strommarktes endgültig auf die von den Konzernen geforderten Sonderprämien für konventionelle Kraftwerke. „Kapazitätsmärkte führen sehr häufig zu Überkapazitäten, weisen eine hohe Komplexität auf und bergen eine erhebliche Gefahr von Regulierungsversagen“, heißt es in einem von der Branche mit Spannung erwarteten ersten Entwurf für das neue Strommarktgesetz. Er lag der Deutschen Presse-Agentur vor. Die großen Konzerne wie Eon, Vattenfall und RWE, deren Gewinne und Aktienkurse durch den Ökostrom-Boom leiden, wollten hohe Prämien erhalten, wenn sie unrentabel gewordene Kraftwerke im großen Stil in eine Strommarkt-Reserve packen. Nach der EEG-Reform gilt der Strommarkt-Umbau als Gabriels wichtigstes Vorhaben bis zur nächsten Bundestagswahl 2017. Um die gefährdeten Klimaschutzziele bis 2020 noch zu schaffen, werden alte Braunkohle-Kraftwerke in eine Reserve geschickt, wo sie nach vier Jahren stillgelegt werden. Die Betreiber erhalten dafür hohe Millionenprämien. Die Maßnahme soll 12,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid einspa-

Stanislaw Tillich Die Energiewirtschaft in Deutschland benötigt langfristig verlässliche Rahmenbedingungen, um die Energiewende erfolgreich umsetzen zu können. Der Meinungsaustausch zwischen Unternehmen und Vertretern der Politik bietet dazu auf dem Ostdeutschen Energieforum 2015 eine geeignete Basis. Ein wichtiger Faktor im Rahmen der Energiewende ist die Gewinnung und Verstromung von Braunkohle. Die Braunkohle ist Partner der erneuerbaren Energien. Beides sind heimische Energieträger, sie vermindern unsere Importabhängigkeit, senken die Ausgaben für importierte Energieträger und sorgen für Wertschöpfung in den Regionen. Der Abbau der Braunkohle erfolgt dabei nach hohen Umwelt- und Sozialstandards. In Sachsen haben wir einen hochmodernen Kraftwerkspark. Es darf auch nicht vergessen werden, dass der Rückgang der CO2-Emissionen in der deutschen Energiewirtschaft zum überwiegenden Teil auf diesen Strukturwandel zurückzuführen ist. Ich werde mich daher auch künftig gegen „Schnellschüsse“ einsetzen, die einseitig zu Lasten der heutigen Kohlereviere in der Lausitz und im Leipziger Raum gehen. Auch wenn der Anteil der Braunkohle an der Stromerzeugung unverändert bleibt, kann die kostengünstige Braunkohle steigende Strompreise für Unternehmen, Bürger und Kommunen nur dämpfen. Neben Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz brauchen wir eine ehrliche Diskussion um einzelne Preisfaktoren wie die bundesweit uneinheitlichen Netzentgelte. Überfällig ist auch eine spürbare Senkung der EEG-Umlage. Seit Anfang 2014 befindet sich das EEG-Konto mit den Einzahlungen der Stromkunden schon im Plus und hatte dieses Jahr im Frühsommer einen bisher nie erreichten Überschuss von rund fünf Milliarden Euro. Hier wäre schon letztes Jahr eine deutliche Senkung der EEG-Umlage notwendig gewesen.

ren. Gabriel, der zuvor mit einer doppelt so strengen Strafabgabe für alte Kohlemeiler an Union, Gewerkschaften und Ländern gescheitert war, will nun dafür sorgen, dass die Braunkohleindustrie sich tatsächlich auch an die Vorgaben hält. Ist bei einer Überprüfung zum 30. Juni 2018 absehbar, dass die 12,5 Millionen Tonnen CO2-Einsparung von 2020 an zusätzlich nicht erreicht werden, müssen die Betreiber von Braunkohle-Kraftwerken der Regierung einen Vorschlag machen, mit welchen Maßnahmen sie ab 2018 jährlich bis zu 1,5 Millionen Tonnen Kohlendioxidemissionen zusätzlich einsparen werden. „Sofern ein abgestimmter Vorschlag (...) nicht oder nicht rechtzeitig vorgelegt wird, kann das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie durch Rechtsverordnung (...) weitere installierte Leistung im Klimasegment binden“, geht aus einem Referentenentwurf hervor. Bei der Kraftwerksreform setzt die Bundesregierung nun auf eine Strompreisbildung möglichst ohne staatliche Eingriffe. Das sei gegenüber „einem wie auch immer gearteten Kapazitätsmarkt mit geringeren Kosten und Kostenrisiken verbunden“. Allerdings wird künftig zeitweise mit hohen Preisschwankungen an der

Strombörse gerechnet. Die Strommarktreform ist nötig, weil sich durch die Zunahme von Wind- und Solarstrom viele fossile Kraftwerke nicht mehr rechnen – und die Versorgungssicherheit im Zuge des Atomausstiegs gefährdet sein könnte. Es soll aber vor allem im Süden Gaskraftwerke geben, die als Reserve einspringen, wenn es Engpässe im Stromnetz gibt. Diese Netzreserve wird über Ende 2017 hinaus verlängert und 2022 überprüft. Das Instrument soll künftig 80 Millionen Euro im Jahr kosten. In puncto Braunkohle üben Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg den Schulterschluss. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) verweisen auf die Bedeutung der Braunkohleverstromung für die strukturschwache Lausitz und die geringen Kosten der so gewonnenen Energie. „Hier wird politisch eingegriffen mit der Folge, dass diese Arbeitsplätze gefährdet sind“, sagt Tillich. Woidke warnt vor einer Deindustrialisierung bei einem überstürzten Kohleausstieg. „Diese Region hat ihre Erfahrung gemacht in den neunziger Jahren mit Deindustrialisierung, mit Arbeitslosenzahlen von 40 bis 50 Prozent.“

Dietmar Woidke Ich freue mich auf das Ostdeutsche Energieforum in Leipzig, weil es einmal mehr dazu beitragen wird, die starke Stimme der Ostländer gemeinsam zu erheben: Denn eine erfolgreiche Energiewende kann uns nur gelingen, wenn ihre Lasten auch bundesweit fair verteilt werden. Seit Langem ist die Energiewende als eine der größten Herausforderungen unserer Gegenwart in aller Munde. Neben den sauberen erneuerbaren Energien dürfen wir aber nicht verschweigen, dass wir die Braunkohle weiterhin als Brückentechnologie brauchen werden, denn die Alternativen liegen auf der Hand: Atomstrom aus Frankreich und Polen. Auch gibt es noch jede Menge Baustellen, die im Interesse aller neuen Bundesländer dringend abzuarbeiten sind. Die Mehrbelastung Ostdeutschlands durch das überholte System der Netzentgelte muss ein Ende haben. Vor allem aber steht auch viel auf dem Spiel, was Brandenburg und Sachsen als energiepolitische Partner im Lausitzer Braunkohlerevier betrifft. Dazu zwei Kernbotschaften: 1. Auch wenn über das Ende der Kohleverstromung längerfristig Konsens herrscht, darf der Weg dorthin weder zu einem neuen Strukturbruch in der Lausitz, noch zu Beeinträchtigungen der Versorgungssicherheit oder der Wettbewerbsfähigkeit führen. Und 2. Die Lausitz braucht schnellstmöglich Klarheit darüber, wie es nach dem beabsichtigten Rückzug von Vattenfall weiter geht. Auch vor diesem Hintergrund sind klare energiepolitische Rahmenbedingungen auf Bundesebene überfällig! Jetzt wird es endlich Zeit für einen echten Lackmustest in der Frage, wie diese nationale Aufgabe Energiewende im Rahmen eines zukunftsfesten „Strommarktes 2.0“ zum Erfolg werden kann.

Reiner Haseloff Die Energiepolitik ist ein wichtiges Zukunftsfeld. Was hier beschlossen oder unterlassen wird, ist oft von herausragender Bedeutung, besonders für die ostdeutschen Länder. In zentralen Bereichen der Energiepolitik haben wir gleiche oder ähnliche Interessen. Deshalb begrüße ich das Ostdeutsche Energieforum und erhoffe mir, dass wir von Leipzig aus ein kraftvolles Signal aussenden. Wo ein Land allein auftritt, wird es schnell überhört. Wenn die ostdeutsche Wirtschaft aber gemeinsam ein Statement abgibt, dann kann man es nicht so leicht als Einzelmeinung abtun. Wir müssen gemeinsam alles dafür tun, dass unsere Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben. Bezahlbare Energiepreise für Firmen und Verbraucher stehen ganz oben auf der Agenda. Die Energiewende ist ein Jahrhundertprojekt, das nur mit der Gestaltung der deutschen Einheit vergleichbar ist. Die Belastungen, die diese Herausforderung mit sich bringt, müssen gerecht verteilt werden. Stichwort Netzentgelte: Es ist unakzeptabel, dass die Netzpreise auch wegen der stärker ausgebauten erneuerbaren Energien im Osten deutlich höher liegen als in den wirtschaftsstarken Verbrauchszentren im Süden Deutschlands. Eine faire Lastenverteilung ist deshalb unabdingbar. Mögen die regenerativen Energien auch eine hohe Erzeugungsleistung erbringen, so ist diese wetterabhängig und nicht verlässlich abrufbar, wenn sie tatsächlich benötigt wird. Als Garant für die Grundlast sind wir deshalb noch über Jahrzehnte auf die Braunkohle angewiesen, auch wenn das manche nicht wahrhaben wollen. Ich bin deshalb froh, dass die ursprünglich angestrebte Klimaabgabe für Braunkohlekraftwerke vom Tisch ist. Ein legitimes Landesinteresse will ich nicht verhehlen: Es geht um Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze in Sachsen-Anhalt, aber auch in anderen Ost-Ländern.

© VNG Norge AS/Helge Hansen/Montag

Spaltet sich der Strommarkt? Setzt Bayern die Blockade neuer Stromtrassen fort, könnte es in Deutschland bald zwei Preiszonen geben, warnt der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz. Die Stromversorgung in Deutschland war im vergangenen Jahr so zuverlässig wie noch nie seit Beginn der systematischen Erfassung. Die durchschnittliche Unterbrechungsdauer pro Endverbraucher habe 2014 exakt 12,28 Minuten betragen und sei damit auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der Messungen vor neun Jahren, teilt die Bundesnetzagentur mit. Doch die Übertragungsnetzbetreiber müssen immer öfter eingreifen, um das Netz stabil zu halten. Mit welchen Folgen, skizziert 50HertzChef Boris Schucht. Ihre Netze gelten als Herzstück der Energiewende. Doch ihr Ausbau kommt nur schleppend voran. Bundesweit regt sich Widerstand gegen neue „Monstertrassen“. Sie warnen vor dem Zerfall Deutschlands in zwei Preiszonen, falls der innerdeutsche Netzengpass nicht behoben werde. Was bedeutet das konkret für den überversorgten Osten und den unterversorgten Süden? Sie haben recht, der Netzausbau verläuft immer noch etwas schleppend. Dennoch gibt es auch Projekte, die gut vorankommen, zum Beispiel die Südwest-Kuppel-

„Der Netzausbau zwischen Nord- und Süddeutschland dient der Systemstabilität.“ Boris Schucht, Geschäftsführer 50Hertz

leitung, auch bekannt als Thüringer Strombrücke, da machen wir gute Fortschritte. Eines ist aber klar: Wir haben zunehmend öfter die Situation, dass in unserem Netzgebiet im Nordosten Deutschlands mehr Strom produziert wird, als hier verbraucht beziehungsweise mit den bestehenden Leitungen in den verbrauchsstarken Süden transportiert werden kann. Deshalb müssen wir immer stärker in die Stromerzeugung eingreifen, um das Netz stabil zu halten. Allein im ersten Halbjahr 2015 in einer Größenordnung von 3850 Gigawattstunden, wodurch Kosten in Höhe von rund 130 Millionen Euro entstanden sind. Diese Kosten, die Jahr für Jahr mit steigender Tendenz anfallen, zahlt am Ende der

Stromkunde. Wenn sich an dieser Engpass-Situation nichts ändert, könnte die Europäische Kommission die Aufteilung Deutschlands in zwei Strompreiszonen erwirken. Dadurch würden die Strompreise mittelfristig in ganz Deutschland steigen. Das alles macht volkswirtschaftlich offenkundig sehr wenig Sinn. Auch deshalb ist der Netzausbau und insbesondere die östliche Gleichstrompassage so wichtig. Droht in letzter Konsequenz auch die Drosselung des Ausbaus erneuerbarer Energien im Norden? Wenn wir beim Netzausbau nicht weiter vorankommen sollten, steht die Sinnhaftigkeit des künftigen Ausbaus der Erneuerbaren im Nordosten in der Tat infrage. Generell ist es so, dass die Ausbauziele für die erneuerbaren Energien der Bundestag als Gesetzgeber festlegt. Inwiefern eine Regionalisierung des Zubaus geschieht, ist ebenfalls auch abhängig von den Rahmenbedingungen, die die Politik vorgibt. Klar ist allerdings, dass die Energieausbeute zum Beispiel bei Wind im Norden Deutschlands beträchtlich höher ist als im Süden. Von daher macht es Sinn, hier vermehrt auf Windkraft zu setzen, was ja auch geschieht. Sie haben einen Alternativvorschlag gemacht, wollen die geplante Gleichstromverbindung von Sachsen-Anhalt durch Thüringen nach Bayern über bestehende Wechselstromtrassen führen. Gleichstrom und Wechselstrom auf einem Mast – gibt es noch weitere technische Varianten? Eine Bündelung von Gleichstrom und Wechselstrom auf einem Mast ist zwar technologisches Neuland, aber durchaus möglich – jedoch nicht auf den bestehenden Masten, weil sie nicht für diese speziellen Anforderungen ausgelegt sind. Das heißt, die Masten einer bestehenden Wechselstromleitung müssten gegen neue, rund 15 Meter höhere und stärkere Masten ausgetauscht werden, die beide Systeme gleichzeitig tragen können. Derzeit gibt es hierzu Untersuchungen der TU Ilmenau. Eine solche Hybrid-Lösung wäre eine gute Ergänzung zur beabsichtigten vorrangigen Erdverkabelung der Gleichstromverbindungen von Nord nach Süd, die deutlich teurer ist. Wir haben damit neben einer kompakten Frei-

leitung in einer neuen Trasse als Alternative Hybridleitungen in bestehenden Trassen und die Erdverkabelung als technische Varianten zur Auswahl. Nun muss die Politik entscheiden.

Ostdeutsches

Energieforum 2015

LEIDENSCHAFT FÜR ERDGAS

Abgesehen von der Netzblockade kommt die Energiewende in Ostdeutschland voran. Inzwischen stehen in der Regelzone Ihres Unternehmens – die Berlin, Hamburg und die ostdeutschen Bundesländer umfasst – mehr erneuerbare Energieanlagen als konventionelle Kraftwerke. Der Ökostrom-Anteil am Verbrauch liegt bei 42 Prozent. Wie viel Luft haben Sie noch nach oben? Ohne einen zeitnahen Netzausbau würden sich die schon beschriebenen Probleme mit den sehr teuren Eingriffen in die Fahrweise von Kraftwerken und Windanlagen bei einem weiterhin so rasanten Erneuerbaren-Zubau noch deutlich verschärfen. Wenn der Ausbau der Netzinfrastruktur und insbesondere der östlichen Gleichstromleitung planmäßig realisiert werden kann, stellt ein wachsender Anteil an Strom aus erneuerbaren Energien aber kein Problem dar. Und dies ist gerade für den Osten Deutschlands positiv, vor allem wirtschaftlich, denn hier ist die Vorzeigeregion Deutschlands bei der Umsetzung der Energiewende. Mit Blick auf die Zukunft richtet sich Ihr Blick gen Norden. Ihr Unternehmen zieht Seekabel nach Dänemark und Schweden, um die Offshore-Energie zu pushen und die erneuerbaren Energien an die schwedischen Wasserspeicher anzubinden. Ist im Norden gut Staat zu machen? Unsere Projekte Combined Grid Solution zwischen Deutschland und Dänemark sowie Hansa PowerBridge von Deutschland nach Schweden werden einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Energiewende noch weiter voranzutreiben. Skandinavien ist mit den großen Stauseen der natürliche und kostengünstige Großspeicher für Zentraleuropa. Damit kann nach unseren Analysen der Bedarf an Saisonalspeichern bis über das Jahr 2030 hinaus abgedeckt werden. Diese Projekte sind aber nur möglich, weil sich die Zusammenarbeit mit den dänischen und schwedischen Netzbetreibern so gut gestaltet und die Projekte von den betroffenen politischen Akteuren sehr wohlwollend begleitet werden.

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ENERGIE REPORT

Unterirdisch

schlägt

MITTWOCH, 16. SEPTEMBER 2015 | NR. 216

überirdisch

Die Uhr tickt: 2022 sollen in Deutschland die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen. Damit dann nicht die Lichter ausgehen, sollen Stromautobahnen Windenergie aus dem Norden Deutschlands in den Süden fließen lassen. Doch einer wehrte sich lange gegen das Vorhaben. Landespatron Horst Seehofer (CSU) wollte in seinem Bayern keine der als Monstertrassen geschmähten Leitungen mit ihren hohen Masten dulden. So rang er Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) einen Kompromiss ab: Vor allem Erdkabel sollen nun den Grünstrom in den Südstaat bringen. Was nach politischem Geniestreich klingt, hat einen großen Makel. Die Technik ist teuer und kaum in großem Maßstab erprobt. Für einen Kilometer überirdischer Leitung sind laut Netzbetreiber Tennet 1,5 Millionen Euro fällig, für Erdkabel aber je nach Beschaffenheit des Bodens aktuell drei bis acht Mal so viel. 3500 Kilometer neue Trassen plant Berlin, davon 2000 Kilometer Korridore mit Gleichstrom. Die transportieren die Energie effizienter als traditionelle Wechselstromleitungen. Fazit: Ein Korridor kann sich zwar für eine Freileitung eignen, nicht aber für Erdkabel. Und umgekehrt. Die Neuplanungen bedeuten drei Jahre Zeitverlust, heißt es bei Tennet. Dass die Stromautobahnen 2022 ans Netz gehen, sei jetzt endgültig vom Tisch.

enviaM-Gruppe stellt Weichen auf Grün Energieversorger investiert in Ausbau erneuerbarer Energien in Ostdeutschland Das Ostdeutsche Energieforum ist das einzige Branchentreffen in der Region. Es leiste einen wichtigen Beitrag, um auf die besonderen Interessen der Energiewirtschaft in den neuen Bundesländern aufmerksam zu machen, sagt Tim Hartmann, Vorstandsvorsitzender des Chemnitzer Energieversorgers enviaM.

aber genauso wesentliche politische Weichenstellungen im Netzbereich an. Ostdeutschland ist beim Ausbau der erneuerbaren Energien anderen Regionen weit voraus. Als Vorreiter der Energiewende sind die Auswirkungen der geplanten gesetzlichen Neuregelungen bei uns am stärksten spürbar.

Ihr Unternehmen versorgt 1,4 Millionen Kunden mit Energie. In Ihrem Interesse suchen Sie den gesellschaftspolitischen Dialog auf dem Ostdeutschen Energieforum in Leipzig. Was brennt Ihnen aktuell unter den Nägeln? Mit welchem Ziel fahren Sie nach Leipzig? Im letzten Jahr habe ich dafür geworben, dass Ostdeutschland in der Energiepolitik stärker mit einer Stimme sprechen sollte, um bundesweit mehr Gehör zu finden. Hier hat sich seitdem einiges getan. Dies ist erfreulich. Denn auch 2015 stehen eine Reihe politischer Entscheidungen auf dem Programm, die für die Energieversorgung im Osten von grundlegender Bedeutung sind.

Primär setzen Sie sich vehement für eine Reform der Netzentgelte ein. Warum? Der starke Ausbau von Sonne, Wind und anderen erneuerbaren Energiequellen in den neuen Bundesländern erfordert hohe Investitionen in den Netzausbau, hier insbesondere in den Verteilnetzen, an die über 90 Prozent der Erneuerbare-Energien-Anlagen angeschlossen sind. Die Netzentgelte liegen dadurch im Osten um bis zu 40 Prozent höher als im Westen. Dies stellt eine enorme Belastung für die Region dar. Deshalb ist eine Reform der Netzentgelte dringend erforderlich.

Der Osten wird durch die Energiewende stärker belastet als der Westen, da hier die Entwicklung der erneuerbaren Energien sehr viel schneller voranschreitet. In welchem Maß sind ostdeutsche Belange von anstehenden Gesetzesinitiativen des Bundeswirtschaftsministeriums betroffen? In den letzten Monaten bestimmte vorrangig die Zukunft der Energieerzeugung und hier insbesondere der ostdeutschen Braunkohle die politische Diskussion. Daneben stehen

Wie könnte eine faire Verteilung der durch die Energiewende verursachten Lasten erreicht werden? In diesem Zusammenhang werden in Ostdeutschland immer wieder bundeseinheitliche Netzentgelte gefordert. Diesen Ansatz halte ich inhaltlich für falsch. Er ist nach allem, was ich sehe, nicht mehrheitsfähig. Die neuen Bundesländer haben ihr Stromnetz nach der Deutschen Einheit grundlegend modernisiert und seit der Energiewende viel in die Erschließung der erneuerbaren Energien investiert. Dies steht in den al-

Berlin diskutiert. Dies ten Bundesländern teilfreut uns. Denn nach eiweise noch bevor. Die daner von uns in Auftrag mit verbundenen gegebenen Studie könnInvestitionen würden im ten die NetzausbaukosFalle der Einführung bunten, die durch den Ausdeseinheitlicher Netzentbau der erneuerbaren gelte auch von den ostEnergien hervorgerufen deutschen Verbrauchern werden, auf diese Weise bezahlt. Damit ist nieum bis zu zwei Drittel mandem geholfen. Wir verringert werden. haben deshalb alternatiGleichzeitig wird die ve Vorschläge zu einer fairen Lastenverteilung „Eine Reform der Wirtschaftlichkeit der ErNetzentgelte ist neuerbare-Energien-Ander Energiewende in die lagen nur geringfügig bepolitische Diskussion eindringend einflusst und damit deren gebracht. Ein Beispiel ist erforderlich.“ Ausbau nicht gebremst. die Abregelung von EinTim Hartmann, speisespitzen bei WindVorstandschef enviaM EnviaM als Regionalversorund Photovoltaikanlagen. ger Nummer eins in den Bisher sind wir als Netzbetreiber dazu verpflichtet, den Netz- neuen Bundesländern wird in diesem ausbau an der maximalen Einspeise- Jahr nicht mehr an der Strompreisleistung einer Anlage auszurichten. schraube drehen. Worauf müssen sich Diese wird jedoch nur an wenigen Ihre Kunden im kommenden Jahr Stunden im Jahr erreicht. Schon der einstellen? Verzicht auf fünf Prozent der jährlich Dazu kann ich derzeit keine Aussage erzeugbaren Energie, ohne ausglei- treffen. Bekanntlich ist ein Großteil chende Vergütung für die Anlagen- des Strompreises fremdbestimmt. So betreiber, würde den erforderlichen wissen wir zum Beispiel noch nicht, Netzausbau spürbar reduzieren. wie sich 2016 Steuern, Abgaben und Auch eine Beteiligung der Anlagen- Umlagen entwickeln werden, die bei betreiber an den von ihnen verur- einem durchschnittlichen enviaMsachten Netzausbaukosten wäre ein Privatkunden in der Grundversorgung knapp die Hälfte des StromSchritt in die richtige Richtung. preises ausmachen. Diese werden Inwieweit findet Ihr Vorschlag, die erst im Herbst bekanntgegeben. Betreiber neuer Anlagen für erneuerbare Energien über Baukostenzuschüsse an Sie haben angekündigt, Ihr Unternehmen dem von ihnen verursachten Netzausbau künftig noch konsequenter grüner zu zu beteiligen, in Berlin Gehör? machen, also an der Energiewende Unser Vorschlag wird momentan in- auszurichten. Welche Aktivitäten planen tensiv von verschiedenen Stellen in Sie in den einzelnen Geschäftsfeldern?

Die Verteilnetze sind das Rückgrat der Energiewende. Um die reibungslose Einspeisung der erneuerbaren Energien zu gewährleisten, bauen wir unsere Netze weiter zielgerichtet aus. Dafür werden wir in den kommenden Jahren jährlich rund 300 Millionen Euro in die Hand nehmen. Darüber hinaus investieren wir sehr viel stärker in die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Auch im Vertrieb stehen die Zeichen auf Grün. Hier sind wir schon heute der größte regionale Ökostromanbieter in Ostdeutschland. Ihr Unternehmen hat Anteile an drei neuen Windparks erworben. In den nächsten Jahren wollen Sie 250 Millionen Euro in den Kauf oder Bau neuer Windkraftanlagen stecken. Politisch ist das gewollt – auch von Ihren Kunden? Oder anders gefragt: Sehen Sie die Akzeptanz für die Energiewende in Ostdeutschland gefährdet? Nach der von uns gemeinsam mit der Universität Leipzig herausgegebenen Langzeitstudie „Energiewelt Ost“ ist die Zustimmung in den neuen Bundesländern zur Energiewende aktuell so hoch wie seit drei Jahren nicht mehr. Allerdings sind die Ostdeutschen nach wie vor unzufrieden mit deren Umsetzung. Dies kann und darf nicht so bleiben. Um die Akzeptanz vor Ort für den Ausbau der erneuerbaren Energien zu steigern, wollen wir Stadtwerke, Kommunen und Bürger an unseren Windenergieprojekten beteiligen. Damit unterscheiden wir uns grundlegend von

anonymen Investmentfonds aus dem Ausland, die nur auf ihren eigenen Profit achten. Sie betrachten den Bereich Energieeffizienz als wesentlichen Hebel der Energiewende. Wo sehen Sie hier den größten Handlungsbedarf? Ohne eine Steigerung der Energieeffizienz werden wir die Ziele der Energiewende nicht erreichen. Deshalb bieten wir unseren Kunden immer mehr Dienstleistungen an, die darauf zielen. Darüber hinaus haben wir erste Energieeffizienzwerke für Unternehmen und Stadtwerke ins Leben gerufen. Diese sollen den Informations- und Erfahrungsaustausch fördern. Allerdings dürfen wir nicht übersehen, dass die CO2-Vermeidung im Strombereich mehr als doppelt so teuer ist wie im Verkehrs- und Wärmebereich. Vor allem hier sollte die Politik deshalb den Hebel verstärkt ansetzen. Bei aller Konzentration auf die Erneuerbaren: Wie stehen Sie zur Zukunft der Braunkohle? Die Stromerzeugung aus Wind- und Photovoltaikanlagen ist witterungsbedingt stark schwankend. Gleichzeitig stehen Speichermöglichkeiten in der erforderlichen Größenordnung nicht zur Verfügung. Deshalb sind wir bis auf weiteres auf konventionelle Kraftwerke angewiesen. Die Braunkohle ist ferner ein wichtiger Beschäftigungsfaktor für die betroffenen Regionen. Ihr Erhalt ist notwendig, um hier Strukturbrüche zu vermeiden.

Dena macht Druck

Die Energiewende ist in einer Umbruchphase. Dena-Chef Andreas Kuhlmann nimmt den Mobilitäts- und Wärmesektor in die Pflicht. Für eine erfolgreiche Energiewende ist ein Transformationsprozess in allen Energiesektoren notwendig. Derzeit konzentriert sich die Debatte noch stark auf die Umgestaltung des Stromsystems. Es sei aber Zeit, auch andere Bereiche in den Fokus zu rücken. Im Mobilitätssektor oder auch im Wärmebereich stecke ein enormes Potenzial, sagt Andreas Kuhlmann, Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur (Dena). Die Energiewende ist eine große umweltpolitische Herausforderung. Welchen Sektor sehen Sie in Deutschland besonders gefordert? Jetzt geht es darum, vorhandene Energieeffizienzpotenziale zu erschließen – und zwar in allen Sektoren. Mit dem Nationalen Aktionsplan für Energieeffizienz hat die Bundesregierung eine sehr gute Grundlage geschaffen. Das müssen wir jetzt mit ganzer Kraft Schritt für Schritt erfolgreich umsetzen. Es schadet auch nicht, wenn wir mehr darüber reden würden.

Das Stromangebot in Deutschland schwankt inzwischen so stark wie das Wetter. Damit in Haushalten und Unternehmen dennoch nie das Licht flackert oder Maschinen ausfallen, ist es nötig, künftig die Stromnachfrage stärker nach dem aktuellen Energieangebot zu steuern. Dieses sogenannte Lastmanagement ist für das Stromsystem allerdings noch wenig entwickelt. Was können wir diesbezüglich von anderen Ländern wie Dänemark, Schweiz oder Frankreich lernen? Es ist richtig, dass die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien schwankt. Aber hierfür gibt es Lösungen wie etwa die Flexibilisierung der Stromnachfrage – also das Lastmanagement. Es ist zunächst einmal wichtig, den Markt in Deutschland darauf vorzubereiten. Das bedeutet, Unternehmen, die über flexible Lasten verfügen, über diesen neu entstehenden Markt zu informieren. Hier ist die Dena bereits sehr aktiv, zum Beispiel mit Pilotprojekten in Bayern und Baden-Württemberg. Wir versuchen unter anderem, über solide Informationen und vorbildliche Beispiele, Vertrauen in dieses

Sie plädieren für eine neue Marktsegment aufEffizienzwende. Fast drei zubauen. Und wir freuen Viertel aller Betriebe haben uns über die positive Rein den vergangenen zwei sonanz. Fazit: Es geht weJahren Maßnahmen niger, als manch eine Stuergriffen, um ihren Stromdie berechnet hat, aber verbrauch zu reduzieren – mehr, als viele befürchten. mehr als je zuvor. Im Man muss sich allerdings Branchenvergleich ist die darum kümmern. In manMetallindustrie besonders chen Punkten sind unsere aktiv. Wie steht es um den Nachbarländer tatsächlich Mittelstand, der vor allem in schon etwas weiter. Sie „Unsere Ostdeutschland von haben bereits verschiedeNachbarländer Bedeutung ist? ne Schritte unternommen, um flexiblen Lasten den sind tatsächlich Auch der Mittelstand nutzt bereits die SteigeZugang zu den Regelleisschon etwas rung der Energieeffizienz tungsmärkten zu erleichweiter.“ als zentrales Mittel, seine tern. Ende letzten Jahres Wettbewerbsfähigkeit zu hat die Dena dazu eine Andreas Kuhlmann, sichern. Noch aber ist der Analyse vorgelegt: So haDena-Geschäftsführer Anteil der Unternehmen, ben Dänemark, die Schweiz und Frankreich die erforder- die kürzlich Energieeffizienzmaßnahlichen Mindestgrößen für Angebote men umgesetzt haben, bei kleinen von Regelleistung gesenkt oder die (mit 62 Prozent) und mittleren UnterDauer der Zeiträume verkürzt, in de- nehmen (mit 84 Prozent) geringer als nen die Leistung zur Verfügung ste- bei großen (mit 95 Prozent). Als Grund hen muss. Wir sollten prüfen, inwie- hierfür nennen viele kleine und mittweit wir in Deutschland ähnliche An- lere Unternehmen hohe Investitionskosten sowie fehlenden Bedarf und passungen vornehmen können.

Notwendigkeit. Dies resultiert oft aus mangelnder Kenntnis über die eigenen Effizienzpotenziale. Um diese Hemmnisse zu überwinden, unterstützt das Bundesministerium für Energie und Wirtschaft speziell kleine und mittlere Unternehmen mit geförderten Energieberatungen. Und wir als Dena helfen dabei gerne mit. Neue Fenster, neue Heizung, neues Dach: Die Dena forciert die energetische Sanierung und Modernisierung. Laut einer neuen Dena-Umfrage unter Bewohnern von Effizienzhäusern würden 94 Prozent der Befragten energetische Modernisierungsmaßnahmen weiterempfehlen. Kritiker bezweifeln das KostenNutzen-Verhältnis. Wie entkräften Sie die Argumente der Zweifler? Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Wenn 94 Prozent derjenigen, die bereits modernisiert haben, positive Erfahrungen gemacht haben, dann ist das bedeutender als manch ein kritischer Kommentar von der Seitenlinie. Klar ist: Die „Hauswende“ ist ein wichtiger Teil der Energiewende. Es gibt hier große Effizienzpotenziale, in

Einfamilienhäusern genauso wie in Büros, Schulen oder Werkstätten. Übrigens auch in den Liegenschaften des Bundes, der Länder und der Kommunen. Die Dena hat über 400 Modellvorhaben der energetischen Sanierung begleitet – mit Energieeinsparungen von bis zu 80 Prozent. Die Auswertungen haben gezeigt, dass gut geplante und sauber umgesetzte Sanierungen wirtschaftlich sinnvoll sind. Und: Nach unseren Umfragen loben Effizienzhausbewohner besonders die verbesserte Wohnqualität. Natürlich kann nicht jeder eine Komplettsanierung umsetzen. Was energetisch und wirtschaftlich sinnvoll ist, muss für jedes Gebäude individuell entschieden werden. Ohne Beratung ist das schwierig. Wir empfehlen deshalb, sich einen Energieexperten ins Haus zu holen und eine Vor-Ort-Energieberatung zu machen. Qualifizierte Fachleute finden sich unter www.energieeffizienz-experten.de. Und das Beste ist: Die Bundesregierung beteiligt sich ganz erheblich an den Kosten dafür.


ENERGIE REPORT

NR. 216 | MITTWOCH, 16. SEPTEMBER 2015

Ostdeutschland bleibt Kohleland Für die Konzerne selbst ist Braunkohle jedoch attraktiv: Die große Menge an Gratiszertifikaten des EU-Handelssystems für Verschmutzungsrechte senkt den CO2-Preis stark. Dadurch werden die umweltschonenden, aber teureren Gaskraftwerke schneller aus dem Markt gedrängt als die Braunkohlemeiler. Außerdem sind die Tagebaue als energieintensive Betriebe aktuell von der Erneuerbare-Energie-Umlage ausgenommen. Nicht nur im strukturschwachen Osten ist zudem die Zahl der im Tagebau beschäftigten Menschen ein sattes Pfund: Rechnet man Zulieferer und Servicefirmen mit ein, hängen etwa 25 000 Arbeitsplätze in der Lausitz von der Braunkohle ab. Eine vom Bundesinnenministerium in Auftrag gegebene Studie war zu dem Ergebnis gekommen, dass dies auch so bleibe: „Ostdeutschland wird auch in Zukunft als Vorreiter der Energiewende innerhalb Deutschlands eine gesonderte Rolle einnehmen.“ Der Vorschlag von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), ältere Braunkohlemeiler mit einer Klima-Abgabe zu belegen, hatte lange für Verstimmung gesorgt. Anfang Juli entschieden die Spitzenpolitiker der Großen Koalition: Die Abgabe kommt nicht. Um die Klimaziele für 2020 zu erreichen, sollen stattdessen Kraftwerksblöcke mit einer Kapazität von 2,7 Gigawatt Strom früher vom Netz genommen werden. Sie sollen nur noch als Kapazitätsreserven dienen, wenn es im Zuge der Energiewende Engpässe geben sollte. Die Stromkonzerne erhalten dafür Prämien.

Bislang stand vor allem die Stromerzeugung mit den steigenden Anteilen von Wind- und Solarkraft im Mittelpunkt der Energiewende. Nun rückt der Wärmemarkt immer stärker in den Fokus – und mit ihm der Energieträger Erdgas.

W

enn Erdgas eine Farbe hätte, wäre es grün. Denn verglichen mit anderen konventionellen Energieträgern, ist die Umweltbilanz von Erdgas top. „Daraus ergibt sich ein großes Potenzial, um den nachhaltigen Umbau des Strom- und Wärmemarktes voranzutreiben und Erdgas als Partner der erneuerbaren Energien zu positionieren“, so Bodo Rodestock, Vorstand Finanzen/Personal bei der VNG – Verbundnetz Gas AG. Beim 4. Ostdeutschen Energieforum in Leipzig skizziert er, wie gut Erdgas in der Energiewende und im Energiemix der Zukunft positioniert ist und warum es so geschätzt wird. Im Energiewirtschaftsgesetz und im Koalitionsvertrag sind die Ziele ganz klar gesteckt: Die deutsche Energieversorgung soll bezahlbar, sicher und umweltverträglich sein. Die Senkung des CO2Ausstoßes steht dabei im Mittelpunkt. Verglichen mit anderen konventionellen Energieträgern bringt Erdgas alle Eigenschaften dafür mit. Erdgasbetriebene Brennwertgeräte setzen die Energie zu beinahe 100 Prozent um und moderne Blockheizkraftwerke holen aus dem Brennstoff nicht nur Wärme heraus, sondern produzieren auch Strom. „Das ist hocheffizient und eine ideale Voraussetzung für die Energieversorgung der Zukunft“, ergänzt Rodestock.

Erdgas ist in der Wärmeversorgung schon lange Nummer 1

Gas en masse: Verbraucher in Deutschland können sich auf ein optimal ausgebautes Versorgungsnetzwerk aus diversifizierten Lieferwegen und Quellen, ausreichend Speichern und einer modernen Transportinfrastruktur verlassen.

90 Prozent der Erdgasheizer würden wieder Erdgas oder eine Kombination aus Erdgas und Solarenergie wählen. Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und des Klimaschutzes erfüllt es alle entscheidenden Kriterien bei der Heizungswahl. Schon ein größerer Anteil an der bewährten Erdgas-Brennwerttechnik würde enorme Energieeinspareffekte bringen. Das Potenzial wäre sicherlich am schnellsten bei den rund zwei Millionen Wohngebäuden mit Ölhei-

„Die Weichen der Energiepolitik werden mittlerweile in Europa gestellt. Ostdeutschland braucht deshalb den europäischen Blick.“

Bei der Wärmeversorgung ist Erdgas schon seit vielen Jahren die Nummer eins. Von den rund 40 Millionen Bestandswohnungen in Deutschland wird knapp die Hälfte mit Erdgas beheizt. 49 Prozent nutzen dabei direkt Erdgas, weitere sechs Prozent setzen auf Fernwärme mit Erdgasbasis. Auch im Neubau dominiert es mit knapp 50 Prozent der eingesetzten Energie. Jährlich kommen in Bestand und Neubau rund 100 000 neue Erdgasnutzer hinzu. Erdgas ist extrem positiv besetzt.

Bodo Rodestock, Vorstand Verbundnetz Gas AG

zung zu erschließen, bei denen eine Erdgasleitung bereits in der Straße liegt.

Sicherheit, Verlässlichkeit und Vertrauen sind gefragt „Erdgas ist der einzige Energieträger, der besonders die Bedürfnisse des Wärmemarktes in Deutschland und Europa erfüllen kann. Es bedient zudem die wesentlichen Kundenwünsche nach Sicherheit, Verlässlichkeit und Vertrauen“, weiß Rodestock aus eigener Erfahrung. Er ist überzeugt, dass perspektivisch der Heizbedarf steigt, weil die Städte und Ballungszentren wachsen und der Wohnund Gewerbemarkt immer größer wird. Der könne innerstädtisch nur mit Erdgas oder mit darauf basierender Fernwärme gedeckt werden. Die notwendigen Infrastrukturen seien vorhanden und könnten Erdgas in jeden Winkel des Landes transportieren. Auch die Versorgungssicherheit mit Erdgas ist gewährleistet. Rodestock betont, dass man sich auf ein optimal ausgebautes Versorgungsnetzwerk in Deutschland aus diversifizierten Lieferwegen und

Quellen, ausreichend Speichern und einer modernen Transportinfrastruktur verlassen könne. Diese zähle zu den Besten in Europa. Auch VNG sei auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette bestens aufgestellt und gelte damit zu Recht als Erdgasspezialist. „Wir produzieren, importieren, speichern und transportieren Erdgas – mit unserer Tochter goldgas inzwischen auch sehr erfolgreich bis zum Endkunden.“ Gleichzeitig unterstreicht Rodestock, dass Erdgas noch sehr lange verfügbar ist. Das Tempo der Exploration von Erdgas und dessen Erschließung richtet sich aber immer nach der Nachfrage und dem einhergehenden Preisniveau. Aufgrund der aktuellen Situation am Markt hat sich die Erschließung neuer Reserven erst mal stark verlangsamt. Inzwischen haben sich die weltweiten Erdgasreserven seit 1980 von 72 Billionen Kubikmeter auf rund 198 Billionen Kubikmeter (2013) mehr als verdoppelt. Um ein Vielfaches höher sind sogar die Erdgasressourcen, also jene Mengen, die bereits nachgewiesen sind. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe schätzt sie auf knapp 640 Billionen Kubikmeter –

damit wäre der Erdgasbedarf für die nächsten 175 Jahre gedeckt.

Erdgas - fester Bestandteil im deutschen und europäischen Energiemix Rodestock sieht Erdgas weiterhin als wesentlichen Bestandteil im deutschen und europäischen Energiemix. „Wenn man das Hauptziel der Energiewende – eine kostengünstige und schnelle CO2Minderung bei gleichbleibender Versorgungssicherheit – erreichen will, führt kein Weg an Erdgas vorbei“, betont er. Einen weiteren Punkt, den Rodestock beim 4. Ostdeutschen Energieforum in Leipzig thematisieren will, ist der ostdeutsche Blick auf die Umgestaltung der Energiewirtschaft. Dieser sei wichtig, weil Ostdeutschland eine Vielzahl an Besonderheiten aufweist. „Allerdings wird die ostdeutsche Stimme in Zukunft immer weniger Gehör finden. Denn die Weichen der Energiepolitik werden mittlerweile in Europa gestellt. Auch Ostdeutschland braucht deshalb den europäischen Blick und europäische Antworten“, so Rodestock. Anzeige

„Wir schaffen mit Braunkohle echte Werte“ Mibrag-Chef Joachim Geisler über die Zukunftsperspektive fossiler Rohstoffe Welche Rolle spielt für Sie das Ostdeutsche Energieforum? MIBRAG ist als Braunkohlenunternehmen aus der mitteldeutschen Region ein wichtiger Teil der ostdeutschen Energiewirtschaft. Es ist wichtig, dass Interessen gebündelt und mit gemeinsamer Stimme vorgetragen werden. War es diese Stimme, die den „nationalen Klimabeitrag“ verhindert hat? Der „nationale Klimabeitrag“ ist ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn die Bundespolitik regionale Interessen aus den Augen verliert. Wir konnten den drohenden Verlust von Tausenden Arbeitsplätzen nur verhindern, weil Wirtschaft, Landespolitik und die Gewerkschaft IG BCE an einem Strang gezogen und eine Alternative erarbeitet haben.

kohle echtes Geld. Damit schaffen wir ein Fundament für Stabilität und Lebensqualität in der Region.

Das klingt sehr abstrakt. Was meinen Sie damit genau? MIBRAG sichert 3100 tarifvertraglich gebundene Arbeitsplätze. Das Unternehmen bremst die Abwanderung von jungen, talentierten Köpfen, weil es eine Perspektive in der Region bietet. Unsere Zulieferer und Dienstleister schaffen ihrerseits neue Werte aus der Braunkohle. Sie belebt lokale Industriestrukturen wie ein regionaler Wirtschaftsmotor. Und mit einer ökologischen Wärmeversorgung „Wir konnten den für Haushalte und Industriedrohenden Verlust kunden kann die Braunkohle selbst Klimaschützer übertausender Arbeitsplätze nur zeugen.

Sie sagen, dass Braunkohle noch lange gebraucht wird. Wie beurteilen Sie die Spricht die Politik da nicht Energiewende? Joachim Geisler eine andere Sprache? In der Energiewirtschaft ist Vorsitzender der Ganz und gar nicht. Schaut Wandel an der Tagesordnung. Energiepolitik ist aller- MIBRAG-Geschäftsführung man sich die CO2-Emissionsreduktionen seit 1990 in den dings sehr ideologisch geostdeutschen Ländern an, prägt. Das ist nicht immer gut. Die Energieversorgung wird immer wird eines ganz schnell deutlich: Der unberechenbarer und teurer. Die ener- Klimabeitrag ist hier schon lange ergieintensiven Branchen, aber auch viele bracht. Energiepolitik muss mehr als KliPrivathaushalte, sind an der Grenze der mapolitik sein. Belastbarkeit angekommen. Ich wage daher die Prognose, dass Braunkohle Was sagen Sie jungen Menschen, die sich noch lange für eine bezahlbare und si- für eine Berufsausbildung bei MIBRAG chere Energieversorgung erforderlich interessieren? Gut so. Hochqualifizierte Facharbeiter sein wird. haben immer Zukunft. Sie werden eine Wie sehen das denn die Menschen in der hervorragende Ausbildung genießen mitteldeutschen Region? und einen guten Arbeitsplatz bei Die partizipieren an den geschaffenen MIBRAG haben. Momentan haben wir Werten. Wir verdienen mit der Braun- 160 junge Menschen in Ausbildung.

Verlagsbeilage der Leipziger Volkszeitung Verlag, Herstellung und Druck: Leipziger Verlags- und Druckereigesellschaft mbH & Co.KG, Peterssteinweg 19, 04107 Leipzig

OSTDEUTSCHLAND GEHT

geschlossen verhindern.“

Impressum

Anzeigen: Dr. Harald Weiß Projektleitung: Nicky Steinberg

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Powern mit Gas

Energiewende verändert Börsenklima Das Paradox ist bekannt: Trotz der Bestrebungen, die deutsche Energieproduktion ökologischer und nachhaltiger zu gestalten, wird Braunkohle so stark für die Stromerzeugung genutzt wie seit der Wende nicht mehr. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des Bundesverbands Braunkohle etwa 156 Milliarden Kilowattstunden Strom in entsprechenden Kraftwerken erzeugt. Jetzt warnen Experten vor einer Finanzblase bei Aktien rund um die Kohle. Vor allem die Grünen-Politiker nehmen die Warnung ernst: Anfang Mai hatten sie angefragt, wie die Bundesregierung die Gefahr einer „Carbon Bubble“ einschätze. Weil Förderer von Öl, Kohle und Gas – neben Energiekonzernen sind das auch Staaten wie Venezuela oder Russland – größere Mengen der bekannten Reserven schon in ihren Bilanzen und Haushalten verbucht haben, drohe ein Dilemma: Verbrauchen die Förderer diese Reserven, schadet das der Umwelt und lässt die Klimaziele weiter in die Ferne rücken. Werden die Reserven jedoch nicht verbrannt, sind sie schlicht wertlos. Demnach droht den Grünen-Politikern zufolge aufgrund der „Überbewertung der Unternehmen und Finanzinstrumente“ eine neue Blase – die sogenannte Carbon Bubble, Kohlenstoffblase. Die Antwort der Bundesregierung: Im Rahmen ihrer Risikostrategie sollten sich Banken „auch mit sogenannten Megatrends wie zum Beispiel dem Klimawandel oder knapper werdenden Ressourcen auseinandersetzen“. Die Debatte darüber habe zwar erst begonnen, die Regierung unterstütze jedoch eine „ergebnisoffene Prüfung“ der Risiken für die Finanzstabilität. Bärbel Höhn (B90/Grüne), Vorsitzende des Umweltausschusses im deutschen Bundestag, freut sich über die Antwort: „Die Bundesregierung wacht endlich auf. Weltweit gibt es eine ‚Divestment‘-Bewegung – raus aus den fossilen Investments, weil sie mit einem Verlustrisiko behaftet sind. Dazu muss sich auch die Bundesregierung positionieren. Neben der Energiewende sind wir auch ein Kohleland. Das ist für unsere Bevölkerung mittelfristig ein hohes finanzielles Risiko. Wir sollten als das Heimatland der Energiewende auch bei diesem Thema vorangehen. Die indirekten Investitionen aus den Versorgungsrücklagen des Bundes müssen frei von fossilen Finanzanlagen werden, weil wir unsere Bevölkerung vor Verlusten in der Zukunft schützen müssen.“ Laut verschiedenen Medienberichten haben einige Finanzakteure bereits Konsequenzen gezogen und wollen sich vor allem von Kohle-Beteiligungen trennen, darunter die Axa-Versicherungsgruppe und die Kirche von England. In die gleiche Richtung zeigt der Beschluss Norwegens, wonach sich dessen aus Öl- und Gas-Verkäufen finanzierter Staatsfonds aus Kohle-Investments zurückziehen soll. Ebenfalls aus klimapolitischen Gründen will die schwedische Regierung das ostdeutsche Braunkohlegeschäft des Staatskonzerns Vattenfall verkaufen.

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Redaktion: Simone Liss Content/Fotos/Grafik: Christopher Resch, dpa, LVZ-Archiv/ André Kempner, rtr, AFP, IWR-Pressedienst, Elke Hagenau/ MIBRAG, Anke Jacob, Sandra Ludewig, Mandy Stauder, Handelmann/VNG, Citytree, Fraunhofer, Mellow Boards, Jan Pauls, BDEW, BEE, Elke Fuchs/Siemens, IHK zu Leipzig Titeloptik: Patrick Moye, dpa Kontakt: serviceredaktion@lvz.de

„Hinter intelligenter Energie stecken kluge Köpfe“ 3.500 Mitarbeiter der enviaM-Gruppe arbeiten täglich an einer nachhaltigen und sicheren Energieversorgung von morgen.


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ENERGIE REPORT

Kickstarter auf der Überholspur

Standpunkt Frank Büchner, Leiter Energy Management Siemens Deutschland, wird beim 4. Ostdeutschen Energieforum in Leipzig vor allem die Anforderungen thematisieren, die sich aus dem Umbau der Energieversorgung in Deutschland für die Stromverteilnetze ergeben. Der Bedarf an Stromtrassen steigt, weil mit den erneuerbaren Energien Strom oft entfernt von den Verbrauchszentren erzeugt und über weite Strecken übertragen werden muss. Die Netze müssten, so Büchner, aber nicht nur erweitert, sondern auch „intelligent“ werden. Gab es in Deutschland vor 20 Jahren ein paar Hundert mittlere und große Kraftwerke, so sind es heute fast zwei Millionen Energieerzeuger wie Solaranlagen auf Dächern, Windturbinen oder Biomassekraftwerke. Zunehmend werden Haushalte, Gebäude und Industriebetriebe zu Prosumern, also zu Konsumenten, die gleichzeitig selbst Energie produzieren. Die schwankende Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien und aus vielen unterschiedlichen Quellen gefährdet zunehmend die Netzstabilität. Intelligente Netze, die sogenannten „Smart Grids“, schaffen hier dank der Digitalisierung Abhilfe. Sie beruhen auf wechselseitiger Kommunikation zwischen allen am Strommarkt beteiligten Komponenten und binden sowohl große zentrale als auch kleine, dezentrale Erzeugungseinheiten sowie Verbraucher in eine Gesamtstruktur ein. „Smart Grids“ vermeiden Netzüberlastungen, indem sie dafür sorgen, dass stets nur so viel Strom wie nötig produziert wird. Mit Verfahren der Verbrauchssteuerung lässt sich zudem die Nachfrage besser dem Energieangebot anpassen. Im Zusammenspiel mit Energiespeichern sorgen „Smart Grids“ auch für mehr Energieeffizienz. Während heute Windparks vom Netz genommen werden, weil die erzeugte Energie nicht verbraucht werden kann, können künftig Energiespeicher überschüssigen Strom über Stunden oder Tage hinweg speichern. Hier ist noch umfangreiche Forschung nötig. Eine bereits verfügbare Lösung ist das Batteriespeichersystem Siestorage, das im Siemens-Werk für Niederspannungsschaltanlagen Leipzig hergestellt wird. Es puffert sekunden- bis stundenlange Schwankungen der Leistung aus erneuerbaren Quellen. Weitere Schwerpunkte für das Gelingen der Energiewende sind laut Büchner neben der besseren Energieerzeugung und dem intelligenten Lastenmanagement der effizientere Einsatz von Energie in der Industrie und die energetische Sanierung von Gebäuden. Bis zu 40 Prozent Energieeinsparung könnten allein durch intelligente Gebäudetechnik erzielt werden.

MITTWOCH, 16. SEPTEMBER 2015 | NR. 216

Sächsische Ideen-Schmieden setzen ein Zeichen für Innovation – auch im Energiebereich

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nbestritten: Eine Volkswirtschaft braucht die großen, starken Unternehmen, sie sind die Dampflokomotiven der Republik. Doch genauso wichtig sind die weniger PS-starken Unternehmen – vielleicht keine Dampfloks, aber dennoch Zugpferde. Die Rede ist von den Gründern, jungen, kreativen, flexiblen Unternehmen. „Gründungen sind Motor des wirtschaftlichen Strukturwandels“, heißt es im Wirtschaftsministerium. Sie tragen zur Stabilität der demokratischen Gesellschaftsordnung bei, indem sie Machtkonzentration verhindern, unternehmerische Freiheit fördern und die wirtschaftliche Verantwortung auf viele Schultern verteilen. Gründer verwirklichen innovative Ideen und schaffen damit im Idealfall nachhaltige Arbeitsplätze.

Interaktiver Baum aus Dresden Solche frischen Ideen kommen auch aus Sachsen. Ein Beispiel dafür ist das vierköpfige Team von Green City Solutions (GCS) aus Dresden. „Es gibt hier ein Gefühl für Start-ups“, erklärt Peter Singer. Der 23-Jährige ist einer der Geschäftsführer des jungen Unternehmens. „Es ist zwar nicht der perfekte Standort in ganz Deutschland, aber wir fühlen uns in Sachsen sehr gut aufgehoben. Wir bleiben in Dresden.“ GCS stellt den Green City Tree her, eine Art begrünte Werbetafel. Die soll zum einen wie ein Baum wirken, also die Luft reinigen und die Umgebung kühlen. Zum anderen entstehe eine attraktive, ungewöhnliche Werbemöglichkeit, weil auf der vertikalen Fläche des „Baums“ begrünte Schriftzüge und Logos gezeigt werden können. Der erste City Tree steht seit Ende April in Jena. Singer hat an der Dresdner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) studiert. Er und seine drei Kollegen versammeln Expertise aus den Bereichen Architektur, Maschinenbau, Gartenbau und Medieninformatik. „In Sachsen gibt es mit Dresden, Leipzig und Chemnitz höchstens drei Innovationszentren. Die Förderstrukturen waren für uns in Dresden am besten, hier sitzt die sächsische Aufbaubank, hier bekommen wir Unterstützung durch die Gründungsschmiede der HTW.“

E-Boards aus Hamburg Auch Johannes Schewe hat vom sächsischen Gründergeist profitiert. Zumindest reifte seine Idee eines elektrisch be-

el, die die Eine begrünte Werbetaf s Dresdede e Ide e ein – t nig Luft rei S. ner Start-ups GC

triebenen Skateboards während seines Studiums an der TU Chemnitz. Dass sein im Januar gegründetes Unternehmen Mellow Boards richtig an Fahrt aufgenommen hat, liegt vor allem an seiner Begeisterung, er ist Brettsportler durch und durch. Aber eben auch an seinem Studium: Sportwissenschaft und Betriebswirtschaftslehre standen auf dem Programm – seine Magisterarbeit schrieb Schewe folgerichtig über das Marktpotenzial elektrisch betriebener Skateboards. Ende Juni hat Mellow Boards per Crowdfunding 300 000 Euro eingeworben, das Dreifache des ursprünglichen Ziels. Die Unterstützer schätzen am Konzept des Unternehmens auch die konsequente Betonung von „Made in Germany“. Natürlich arbeitet Schewe nicht allein: Zwölf junge Fachleute umfasst das Team zurzeit, und vor der Gründung steckten schon vier Jahre Entwicklungsarbeit im Projekt. Ab Frühjahr 2016 soll das elektrische Rollbrett im Handel sein.

ndte MaterialforForscher vom Fraunhofer Institut für Fertigungstechnik und angewa Ladespulen in die die und edreht weiterg etwas schung in Bremen haben das Rad noch ut. Straße eingeba

Die Entwicklung bei dieser besonderen Art der Elektromobilität geht damit um einiges schneller als beim Auto. Das politisch verkündete Ziel von einer Million Elektroautos bis 2020 scheint utopisch. Aktuell sind auf den deutschen Straßen gerade einmal 25 300 elektrisch betriebene Autos unterwegs, 2014 wurden 8522 E-Fahrzeuge zugelassen. Die Autos gelten als zu teuer, die Reichweite als nicht groß genug, und das Tanken per Netzkabel sei langwierig und nervig. Zumindest der letzte Punkt gehört in manchen Gegenden schon der Vergangenheit an: Induktives Laden heißt das Stichwort, über Magnetspulen und ohne Kabel. Die Technik ist beileibe nicht neu, aus dem Haushalt kennt man sie vom Laden elektrischer Zahnbürsten oder mancher Handys. In Fahrzeugen funktioniert das prinzipiell genauso.

Ladespulen aus Bremen Forscher vom Fraunhofer Institut für Fertigungstechnik und angewandte Ma-

terialforschung in Bremen haben nun das Rad noch etwas weitergedreht und die Ladespulen in die Straße eingebaut. Damit frischt das E-Auto beim Fahren seine Energiespeicher selbst auf. Die Spulen im Boden werden genau dann für wenige Millisekunden ein- und danach wieder ausgeschaltet, wenn das Auto darüber fährt. Das von der Straße erzeugte Magnetfeld wandert quasi mit dem Fahrzeug – was wiederum eine Kommunikationsund Steuerungssoftware erfordert, die exakt arbeitet. Aktuell ist die Teststrecke im emsländischen Lathen nur 25 Meter lang. Die Technik in die knapp 13 000 deutschen Autobahnkilometer einzubauen, wäre teuer. Doch die Chancen sind groß, auch für den Schwerlastverkehr: „Ein 40-Tonner könnte so die Kasseler Berge hochfahren und auf der Bergabfahrt über die Bremsenergie-Rückgewinnung Strom in die Straße zurück speisen“, erklärt Professor Matthias Busse vom Fraunhofer-Institut. Allerdings spielt das induktive Laden in den Pla-

Mellow ist der erste ele ktrische Antrieb, der sich unter jedes Skateboard schrauben lässt.

nungen der Verkehrsministerien und -gesellschaften derzeit noch kaum eine Rolle. In Deutschland gebe es eben keine Risikokultur, sagen die Initiatoren des Start-up-Monitors, einer Initiative des Bundesverbands Deutsche Startups, der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und der Wirtschaftsprüfer von KPMG. Auch laut dem aktuellem Global Entrepreneurship Monitor liegt die Gründerquote in Deutschland im gesamteuropäischen und internationalen Vergleich noch immer deutlich unter dem Durchschnitt. Die Bundesregierung hat kürzlich auf eine kleine Anfrage der Grünen mitgeteilt: Die Zahl der Neugründungen sei rückläufig. Frank Wiethoff von KPMG erklärt, dass neben Finanzierungsengpässen auch das mangelnde Vertrauen in mutige junge Unternehmer die Verbreitung innovativer Geschäftsmodelle und Technologien behinderten – und „damit auch die Schaffung von Wohlstand und Arbeitsplätzen“.

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Keine Frage des Wollens

Wird die Energiewende ein Erfolg?

Der 5. Dezember ist für zehntausende Unternehmen entscheidend: Bis dahin müssen sie ein Energie-Audit durchführen. Das Problem ist nur, dass vielen Betroffenen das nicht bewusst ist. Mit der Neufassung des Gesetzes über Energiedienstleistungen und andere Energieeffizienzmaßnahmen (EDL-G) wird für alle Unternehmen, die nicht der EU-Definition für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) entsprechen, die Verpflichtung zur regelmäßigen Durchführung sogenannter Energieaudits eingeführt. Diese Verpflichtung wird von den betroffenen Unternehmen erstmalig bis zum 5. Dezember 2015 zu erfüllen sein. In der Folge muss ein Energieaudit mindestens alle vier Jahre erfolgen. Eine enorme Herausforderung, da schätzungsweise bis zu 120 000 Unternehmen in Deutschland betroffen sind. Was auf sie zukommt, skizziert Mark Becker, Referatsleiter Betriebliches Energiemanagement des Deutschen Industrie- und Handelskammertages.

„JA, WENN WIR AUCH BEIM SOZIALEN INNOVATIV BLEIBEN“

Wie können Unternehmen der neuen Verpflichtung nachkommen? Durch die Energieaudits soll den Unternehmen ein Instrument an die Hand gegeben werden, ihren Energieverbrauch zu analysieren und bewusste Entscheidungen über die Umsetzung von Effizienzmaßnahmen zu treffen. Das Energieaudit muss dabei den Anforderungen aus der DIN 16247-1 genügen, die eine Bestandsaufnahme aller eingesetzten Energieträger und Energieverbraucher inklusive Vor-Ort-Begehungen an allen Standorten enthält. Es kann sowohl von externen Beratern oder Dienstleistern als auch von unternehmenseigenem Personal durchgeführt werden. Auf Basis einer Darstellung der Energieflüsse sollen dann wirtschaftliche Effizienzmaßnahmen abgeleitet werden. Allerdings ergibt sich aus dem Energieaudit und dem EDL-G keine Verpflichtung zur Umsetzung einzelner Maßnahmen. Die Entscheidung hierüber trifft das jeweilige Unternehmen unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung und beispielsweise bestehender Investitionszyklen. Unternehmen können zudem alternativ ein Energiemanagementsystem nach DIN EN ISO 50001 oder ein Umweltmanagementsystem nach EMAS einführen. In diesen Fällen bleibt den Unternehmen bis zur vollständigen Umsetzung der Systeme Zeit bis zum 1. Januar 2017.

Fortschrittsmacher Peter Hopfinger Mitglied des Betriebsrates MIBRAG

Deutschland hat ein ehrgeiziges Ziel: Den nachhaltigen Umbau der Energieversorgung. Wir machen mit. Arbeit zu haben, ist gut. Noch besser ist gute Arbeit – mit fairer Entlohnung, Tarifverträgen und betrieblicher Mitbestimmung. Die Sozialpartnerschaft ist eine große Stärke der deutschen Industrie – und eine Errungenschaft unserer sozialen Marktwirtschaft. Davon profitieren wir seit Jahrzehnten auch in schwierigen Zeiten. Deshalb setzen wir uns für gute Arbeit in Tagebauen, Kraftwerken und Industriebetrieben ein. Einseitige politische Entscheidungen dürfen nicht die Wirtschaftskraft und den Wohlstand ganzer Regionen ge­ fährden. Wir sind das Herz unserer Volkswirtschaft – und wollen das auch morgen noch sein. Dafür stehen wir – die IG BCE zusammen mit den Unternehmensvorständen und Betriebsräten, die Energieerzeuger und die Unternehmen der energieintensiven Industrien im Innovationsforum Energiewende. Mit ihren rund 5,7 Millionen Beschäftigten in Deutschland. Erfahren Sie mehr unter www.innovationsforum­energiewende.de

Wir sind dabei:

Wer ist von der neuen Regelung betroffen? Kaufhäuser, Banken, produzierende Unternehmen, Stadtwerke, Handelsketten,

Logistiker, Krankenhäuser, Versicherungen – betroffen sind praktisch alle Branchen. Denn das Gesetz gilt für alle NichtKMU, also für alle Unternehmen, die gemäß europäischer Definition kein kleines oder mittleres Unternehmen (KMU) darstellen. Und diese Definition ist ein großes Problem. Denn sehr vielen Betroffenen sei nicht bewusst, dass ihr Unternehmen als „Nicht-KMU“ gelte. Nach EU-Definition gilt jede Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, als Unternehmen. Eine Gewinnerzielungsabsicht ist dabei nicht zwingend erforderlich. Entscheidend ist, ob bestimmte Schwellenwerte überstiegen werden. Sind

Die Kosten für das Auditing liegen beim jeweiligen Unternehmen und sind schwer zu schätzen, da sie stark von der Firmengröße und -art abhängen. Sie können aber leicht bei mehreren Tausend Euro liegen. Mark Becker, DIHK-Referatsleiter Energiemanagement

in dem Unternehmen mindestens 250 Personen beschäftigt oder übersteigen der Jahresumsatz 50 Millionen Euro und die Jahresbilanzsumme 43 Millionen Euro, gilt das Unternehmen als Nicht-KMU. Doch es kann auch deutlich kleinere Unternehmen treffen. Denn als Nicht-KMU gilt auch bereits, wenn die öffentliche Beteiligung an dem Unternehmen 25 Prozent oder mehr beträgt. Selbst wenn es sich dabei nur um eine Firma mit einer Handvoll Mitarbeitern handelt, beispielsweise die als GmbH geführte Marketingabteilung einer Stadt. Der Bund gibt die Summe der betroffenen Unternehmen mit etwa 50 000 an. Andere Schätzungen liegen deutlich höher und liegen im Bereich von bis zu 120 000. Nach Angaben des Handelsverband Deutschland (HDE) seien wohl 15 Prozent aller Verkaufsstellen des Einzelhandels betroffen. Allerdings

halten diese Betriebe rund 50 Prozent der gesamten Verkaufsflächen in Deutschland. Unter denen zur Auditierung verpflichteten Betrieben seien Unternehmen mit oftmals mehr als 1000 – teilweise sogar mit über 8000 Standorten. Spielt eine Branchenzugehörigkeit, etwa zum verarbeitenden Gewerbe, keine Rolle? Die Verpflichtung ist tatsächlich nicht an eine Branchenzugehörigkeit oder Rechtsform gekoppelt. Ausschlaggebend ist ausschließlich die Überschreitung der genannten Schwellenwerte. Damit sind sowohl Unternehmen des produzierenden Gewerbes betroffen als auch beispielsweise Versicherungen, Banken oder Hotelketten. Aber auch Stadtwerke oder Krankenhäuser können in den Anwendungsbereich fallen. Was sind die nächsten Schritte aus Sicht der Unternehmen? Die Zeit drängt. Jedes Unternehmen sollte zunächst klären, ob es in den Anwendungsbereich der neuen Regelung fällt. Besonders die Frage der Verflechtung mit anderen Unternehmen und die Eigentümerstruktur sollten geprüft werden. Im nächsten Schritt ist dann zu klären, wie das Unternehmen der Verpflichtung sinnvollerweise nachkommen kann. Die Durchführung des Energieaudits kann zunächst ein Schritt sein, um Rechtskonformität sicherzustellen. Größere Unternehmen oder Unternehmensverbünde – zumal wenn sie Standorte im Ausland unterhalten oder bereits über Managementsysteme und Erfahrungen mit deren Systematik verfügen – sollten ernsthaft die Einführung eines Energie- oder EMAS-Umweltmanagementsystems prüfen. Aufgrund der hohen Zahl betroffener Unternehmen ist auch mit einer hohen Auslastung bei qualifizierten Energieberatern zu rechnen. Nicht nur aus diesem Grund kann die Teilnahme an Energieeffizienz-Netzwerken eine gute Alternative für Unternehmen sein, der Verpflichtung nachzukommen und gleichzeitig einen Mehrwert für die eigene Arbeit zu generieren. Mehr Infos: z Jens Januszewski, Geschäftsfeldmanager Energie und Umwelt IHK zu Leipzig Telefon: 0341 1267-1263 januszewski@leipzig.ihk.de


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