WEIN Wolfgang Wachter
WISSEN
8
Inhalt
Inhalt Zu Buch & Autor
5
Vorwort
7
Kapitel 1
Wein entsteht
13
Qualitätsfaktor Gärung
16
Spontan oder monoton?
20
Terroirverlust durch gekühlte Gärung?
24
Sur lie – Wein auf der Hefe
28
Enzyme – auf den Spuren des Zauberlehrlings
31
Biologisch mild
36
Künstlich sauer
40
Filtern oder nicht filtern?
43
Schönung – alles klar
46
Ultraclean in die Flasche
49
Grober Lackl oder feiner Herr
51
Ökologisches Bodybuilding
58
Kampf dem Alkohol
61
Wie viel Holz braucht der Mensch?
65
Oxidationsverfahren
68
Wie Gott ihn schuf
69
Weinerzeugung etwas anders
72
Inhalt
Kapitel 2
Die Rebe und ihr Umfeld
77
Vitis vinifera, Hybride & Co
80
Gene im Untergrund
82
Piwi-Reben: Bio-Spleen oder Zukunft
86
Ahnenforschung
91
Wohlerzogen
95
Weingartenbegrünung
98
Weinbau extrem
104
Frost: der Weiße Tod im Weinbau
108
Bioregulatoren – die Quadratur des Kreises?
112
Rebkrankheiten
116
Zu Tode gespritzt
120
Natürliche und naturnahe Insektizide
125
Wer guten Wein verlangt, der keltere reife Trauben
129
Kapitel 3
Umweltfaktor Wein
131
Grenzen respektieren – Nachhaltigkeit im Weinbau
134
Carbon footprint
138
Weinbau im Klimawandel
142
9
10
Inhalt
Kapitel 4
Terroir
147
Terroir, die Seele des Weines
150
Zunächst eine Frage des Gesteins
153
Herkunftsmerkmal Boden
160
Mineralität – bloß ein Modewort?
164
Kapitel 5
Weinmarkt
169
DOC, DAC, DOP
172
In vino veritas
176
Fusel für Amerika
179
Wein als Geldanlage
184
Zum Ersten, zum Zweiten und zum …
188
Mehr Bio? Mehr Bio!
190
Kapitel 6
Gesundheit, Sensorik und Analyse
195
In vino sanitas
198
Von Alkohol und bösen Katzen
202
Allergisch gegen Wein
208
Schmecken und Riechen
212
Cassis im Cabernet
215
Atomare Spurensuche
218
Inhalt
Kapitel 7
Weinfehler & Weinkrankheiten
221
Krank oder bloß fehlerhaft
224
Flüchtige Aromen
229
Eigenartiges Zeug in der Flasche
232
Kapitel 8
Lagerung & Alterung von Wein
235
Wie der Wein zu wohnen beliebt
238
Weinalterung
241
Flaschenverschlüsse
246
Groß und mächtig
252
Index
258
11
16
Kapitel 1 Wein entsteht
Qualitätsfaktor Gärung Die Gärung gehört zu den ältesten lebensmittelchemischen Prozessen der Menschheit. Sie beeinflusst in hohem Maß die Qualität des Weines.
Hefezellen setzen sich zusammen mit anderen Trubstoffen am Boden des Gärbehälters ab und werden durch den sogenannten Abziehvorgang vom Wein getrennt. Manchmal bleibt der Wein auf der Hefe; darauf kommen wir in einem eigenen Artikel noch zu sprechen. Biochemische Zusammenhänge Bei der
Vom Most zum Wein Bei der Entstehung von
Wein aus Traubenmost spielen Hefepilze die tragende Rolle. Hefen zersetzen Zucker in Alkohol, Kohlendioxid (Kohlensäure) und Nebenprodukte. Hefen lieben Zuckerlösungen. Deshalb siedeln sie sich schon vor der Lese auf der Oberfläche der Trauben an. Nach dem Pressen vermehren sie sich im zuckerhaltigen Most bei passender Temperatur lawinenartig durch Sprossung und anschließende Teilung. Ursprünglich sind mehrere unterschiedliche Hefestämme vorhanden. Die alkoholempfindlichen Sorten sterben mit fortschreitender Gärung ab. In den meisten Fällen trägt dann die Gattung Saccharomyces cerevisiae die Hauptlast bei der Bildung von Alkohol. Gegen Ende des Gärprozesses findet man 50 bis 200 Milliarden Hefezellen pro Liter Wein. Neben den „wilden Hefen“ werden zur besseren Steuerung der Gärung auch Reinzuchthefen eingesetzt. Solche industriell hergestellte Hefen bestehen im Unterschied zu ihren natürlich vorkommenden Verwandten aus einheitlichen Populationen mit genau definierten Eigenschaften. Um es aber klar auszudrücken: Es sind keine künstlich erzeugten Produkte, sondern Stämme natürlicher Hefen, die als besonders günstig erkannt und dann mittels industrieller Verfahren vermehrt und haltbar gemacht werden. Üblicherweise endet die Gärung, wenn nahezu der gesamte Zucker in Alkohol und Kohlendioxid umgewandelt ist. Die Hefen haben dann keine Nahrung mehr. Die abgestorbenen
Gärung entstehen überwiegend Ethanol (das ist der wichtigste im Wein vorkommende Alkohol) und Kohlendioxid als Stoffwechselprodukte der Hefen. Als Nebenprodukte der Gärung und im Zuge komplexer Reaktionsmechanismen werden Stoffe wie Milchsäure, schwefelige Säure, Essigsäure, Methylalkohol, Aldehyde, Ester, Ketone sowie höhere und mehrwertige Alkohole (z. B. Glycerin) gebildet. Einige dieser Verbindungen sind sehr geruchsintensiv und prägen deshalb das Bukett und das Geschmacksbild eines Weines. Bestimmte höhere Alkohole sind rebsortenspezifisch und typisch für das Sortenbukett. In Summe werden nur rund 47 % des ursprünglich vorhandenen Zuckers in Alkohol umgewandelt. Der Rest geht zum Großteil in Form von Kohlendioxid verloren. Dieses Gas ist schwerer als Luft und wirkt erstickend. Es stellt eine erhebliche Gefahr für den Weinmacher dar, wenn der Gärkeller nicht ausreichend durchlüftet wird. Zu einem geringen Teil wird es im Wein gebunden; man spricht dann von Kohlensäure. Phasen der Gärung Die Gärung verläuft in
drei Phasen. In der Angärphase findet ein reges Sprossen der Hefen statt. Es wird bereits Kohlendioxid gebildet, das aber im Most gelöst bleibt. Essigstich und andere Fehltöne können nun entstehen, wenn die im Gärbehälter aufsteigenden Trubstoffe längere Zeit mit Sauerstoff in Berührung kommen. Am eindrucksvollsten ist die stürmische Gärung, die durch starke Hefevermehrung,
Wein entsteht Kapitel 1
UMWANDLUNG VON ZUCKER BEI DER GÄRUNG
Kohlendioxidbildung und Wärmeentwicklung gekennzeichnet ist. Der Most kann buchstäblich brodeln. Diese Phase der Gärung sollte gemäßigt verlaufen, weil zu rasche Gärung Einbußen an Frucht, Finesse und Reintönigkeit bringt. Bei Weißwein wird eine Gärdauer zwischen acht Tagen und drei Wochen angestrebt. Bei Rotwein sind je nach Verfahren auch kürzere Gärzeiten möglich. In der „stillen“ Nachgärphase werden die letzten Zuckerreste abgebaut, oder die Gärkraft der Hefen erlischt durch sonstige Einflüsse. Wertvolle Geschmackstoffe werden gebildet, das unerwünschte, stechend fruchtig riechende Acetaldehyd wird abgebaut, und Weinstein wird im Zuge der Abkühlung ausgeschieden. Will man einen Zuckerrest im Wein erhalten, wird die Gärung in dieser Phase abgebrochen. An die Nachgärung kann der Biologische Säureabbau anschließen, wenn der Winzer ihn zulässt. Sollen natürliche Hefen verwendet werden oder doch lieber Reinzuchthefen? Diesem Thema ist ein eigener Artikel gewidmet. Sonderformen wie Interzelluläre Gärung oder Macération Carbonique tanzen ein wenig aus der Reihe. Die Macération Carbonique, zu Deutsch Kohlensäuregärung, ist ein Verfahren primär zur Rotweinerzeugung. Ganze Beeren werden unter einer Schutzgasatmosphäre – eben Kohlensäure – vergoren und dann gepresst. Dadurch erhält man tanninarme, jung zu trinkende Weine wie den Beaujolais Nouveau. Ähnlich funktioniert die Interzelluläre Gärung, die in kleinem Maßstab von einigen österreichischen Winzern bei ihren hochwertigsten weißen Trauben angewandt wird. Hier stehen allerdings nicht frühe Trinkreife und Zugänglichkeit im Vordergrund, sondern die Kombination aus expressiver, tiefer Frucht und Lagerfähigkeit. Wohin die Reise geht, muss sich erst noch zeigen.
53% CO2 KOHLENDIOXID in die Luft
100% ZUCKER vorhanden im Most
47% C2H6O ALKOHOL im Wein
Unterbrechung der Gärung Wie wir bereits
festgestellt haben, endet die Gärung spätestens dann, wenn kein Zucker mehr vorhanden ist. Der Wein ist trocken. Doch wie kommen die Weine mit Restsüße zustande? Hohe Zuckergehalte wirken gärhemmend. Das Abtrennen der Trubstoffe, beispielsweise durch Filtern oder Zentrifugieren, genügt bei sehr zuckerreichen Weinen meist schon, um den Gärprozess zu stoppen. Eine andere Möglichkeit, einen Zuckerrest zu bewahren, ist das Abkühlen auf Temperaturen bis 4 °C. Die Hefen erfrieren.
17
56
ZITRONENSÄURE
MILCHSÄURE
ÄPFELSÄURE
WEINSÄURE
1 cm
1 g/l
HEFEZELLEN 10 Hefezellen pro Quadratzentimeter Beerenoberfläche im Weingarten. Die Anzahl steigt bei der Gärung explosionsartig an.
Um den Effekt von 1 Gramm Weinsäure pro Liter Wein zu erzielen, braucht es: 0,89 g Äpfelsäure, 1,2 g Milchsäure oder 0,85 g Zitronensäure.
STOFFWECHSELWEGE VON HEFEN Aerober Stoffwechsel mit Sauerstoff
Anaerober Stoffwechsel ohne Sauerstoff
GÄRKURVE: SPONTAN VERGOREN Nach einer vergleichsweise langen Gärung von 35 Tagen haben die wilden Hefen fast den gesamten Fruchtzucker in Alkohol umgesetzt. Die Gärung setzte verzögert ein.
225 200 175 150 125 100
ZUCKER g/l
75 50 25 0 0
7
14
21
28
35
42
49
56
TAGE
57
SAUERSTOFFZEHRUNG nach 140 Stunden durch unterschiedliche Gehalte an Feinhefe in Jungwein
60
O2 mg/l
50
NTU (Nephelometric Turbidity Unit) ist ein Maß für die Trübung und somit in diesem Fall für den Hefegehalt – je größer die Zahl, desto trüber der Wein (100 NTU entspricht 0,5 Gew.-% an Trub-Partikeln) Je höher die Sauerstoffzehrung, desto besser ist der Wein geschützt.
40 30 20 10 0 350
175
35
R
WEINSCHÖNUNG
0
EIWEISS
Prinzip der Reaktionen zwischen Eiweiß und Phenol bzw. Bentonit
BENTONIT
3,5
δ-
+NH2 O
δ-
+NH2 O
NTU
PHENOL
BARRIQUETOASTING
δ+ HO
Im Inneren des unten und oben noch offenen Fasses wird ein Feuer entzündet, das die Dauben ankohlen lässt. Je intensiver die Verkohlung, desto mehr Toasting.
δ+ HO
R TRÜBUNGSGRAD abhängig von der Anzahl der Hefezellen Zellkonzentration
Optische Beurteilung
10 3 Zellen/ml
glanzklar
4
10 Zellen/ml
nahezu glanzklar
105 Zellen/ml
gerade feststellb. Trübung
10 6 Zellen/ml
mittlere Trübung
107 Zellen/ml
starke Trübung
10 8 Zellen/ml
sehr starke Trübung
VINIFIZIERUNG IN AMPHOREN Bei der Naturwein-Herstellung wird der Wein gerne in Amphoren vinifiziert.Die Primärfrucht spielt hier keine tragende Rolle, vielmehr sind es Gewürznoten und florale Aromen, die das Geruchs- und Geschmacksbild prägen.
HISTAMININTOLERANZ Geschätzte ein bis drei Prozent der Bevölkerung Mitteleuropas leiden unter einer HistaminIntoleranz.
1–3%
198
Kapitel 6 Gesundheit, Sensorik & Analyse
In vino sanitas Wein hat so viele gesundheitsfördernde
Wirkstoffe Wein besteht zum überwiegenden
Eigenschaften, dass er rezeptpflichtig sein müsste. Entscheidend ist freilich die Dosis.
Teil aus Wasser, in dem verschiedene Alkohole gelöst sind. In geringen Mengen enthält er lebenswichtige Mineralstoffe und Spurenelemente wie Kalium, Magnesium, Eisen, Kupfer oder Mangan sowie eine Vielzahl von Polyphenolen. Bei Letzteren handelt es sich um pflanzliche Wirkstoffe aus dem Fruchtfleisch der Trauben, der Häute und der Kerne, aber auch aus dem Holz neuer Fässer. Phenolsäuren, Tannine, Proanthocyanidine, Catechin, Quercetin sowie die wasserlöslichen Pflanzenfarbstoffe Anthocyane und Flavonoide gehören zu dieser Gruppe. Im Zuge von Vinifikation und Ausbau im Holz gelangen sie in den Wein. Der Polyphenolgehalt eines Weines hängt von der Rebsorte und deren Standort ab und nicht zuletzt von den Herstellungs- und Gärtechniken. Rotwein enthält zwar viel mehr Polyphenole als Weißwein; sie unterscheiden sich aber in der Wirkung, wie wir noch sehen werden. Das Interesse der Wissenschaft gilt der hochgradig antioxidativen Wirkung der Polyphenole. Diese Antioxidantien fangen Radikale ein, das sind reaktionsfreudige, sauerstoffhaltige Moleküle, und machen sie unschädlich. Radikale sind einerseits für biologische Prozesse notwendig, verursachen aber andererseits Zellschäden, die zu Krebs, Arteriosklerose oder Alzheimer führen können. Die Wirkung der phenolischen Substanzen beruht auf der positiven Beeinflussung der Blutplättchenfunktion sowie des Insulinund Fettstoffhaushaltes und auf der Hemmung des körpereigenen Enzyms Cyclooxygenase, das an der Entstehung und Ausbreitung von Tumoren beteiligt ist. Zudem werden gefäßverengende Stoffe blockiert, und der Alterungsprozess der Zellen wird verlangsamt. Polyphenole unterstützen die körpereigenen Antioxidantien. Wahrlich ein Wundermolekül scheint Resveratrol zu sein, das die Trauben als Schutz gegen
„In vielen Fällen braucht der Mensch den Wein. Er stärkt den schwachen Magen, erfrischt die ermatteten Kräfte, heilt die Wunden an Leib und Seele, verscheucht Trübsal und Traurigkeit, verjagt die Müdigkeit der Seele, bringt Freude und entfacht unter Freunden die Lust am Gespräch.“ Nein, dieses Zitat entspringt nicht dem Wunschdenken eines vinophilen Zeitgenossen, vielmehr wird es dem heiligen Augustinus zugeschrieben. Heute untermauert eine schier unüberschaubare Anzahl wissenschaftlicher Publikationen diese uralten Thesen, warnt aber auch vor hemmungslosem Konsum. Geschichtliches Schon Hippokrates setzte um
400 v. Chr. Wein zu medizinischen Zwecken ein. Im Römischen Imperium wurde der vergorene Rebensaft zur innerlichen Anwendung gegen Krankheiten ebenso verwendet wie für Umschläge und als Antiseptikum zur Behandlung von Wunden. Bis ins 19. Jahrhundert wurde Wein von Ärzten verschrieben (die guten alten Zeiten!). Erst die moderne Pharmazie setzte dem ein Ende. Im ausklingenden Millennium wurde der Wein, oder präziser gesagt wurden seine Inhaltsstoffe, von der Medizin wiederentdeckt.
Gesundheit, Sensorik & Analyse Kapitel 6
SULFITE IN LEBENSMITTELN (SO2 in mg/l)
4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000
e
s
ht üc ck en
Tr o
es m m
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Fr
Sä or fr
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n
500
Pilzinfektionen, UV-Strahlen und zur Heilung von Verletzungen bilden. Dieses erstmals 1976 in Weintrauben nachgewiesene polyphenolische Antioxidans ist in der Lage, das „gute“ Cholesterin HDL zu erhöhen, somit also die negativen Folgen von zu hohen Blutfetten zu mindern. Tierversuche und Tests mit Zellkulturen zeigen zudem prophylaktische und therapeutische Wirkung bei Arteriosklerose, Karzinomen, Asthma, Osteoporose und die Eignung als Anti-Aging-Mittel. Pflanzliche Flavonoide lindern darüber hinaus allergische Reaktionen, hemmen Entzündungen, stärken die Immunabwehr und halten die Haut elastisch. Trauben enthalten auch das antioxidativ wirkende Hormon Melatonin.
Breites Wirkungsspektrum Wie sieht es mit der Wirkung von Wein nun tatsächlich aus? Man weiß, dass in den nordeuropäischen Ländern das Herzinfarktrisiko um das Zwei- bis Vierfache höher ist als bei den Bewohnern Südfrankreichs oder Italiens, und das trotz des häufigen Weinkonsums. Die Südfranzosen haben zudem einen Hang zu fettreicher Kost. Dass das Todesrisiko durch Koronarkrankheiten trotzdem gering ist, hat als „French Paradox“ Eingang in die Literatur gefunden. Während in den nördlichen Ländern vor allem Bier an Wochenenden konsumiert wird, und das zum Teil reichlich, verteilt sich der Weingenuss im Süden auf die täglichen Mahlzeiten, dafür aber in geringeren Mengen. Die Ernährung mit pflanzlichen Antioxidantien und Fisch mit seinen Omega-3-Fettsäuren,
199
200
Kapitel 6 Gesundheit, Sensorik & Analyse
»Wein ist in der Lage, vor allem in Kombination mit gesunder Lebensweise, das Krankheitsrisiko deutlich zu senken. Dies gilt besonders für das Herz-Kreislauf-System.« Stichwort Mittelmeerküche, dürfte auch eine Rolle spielen. Das französische Paradoxon ist jedoch keinesfalls durch die Wahl der Lebensmittel alleine zu erklären, wie die Kopenhagener Herzstudie belegt. 24.000 Probanden zwischen 20 und 98 Jahren haben daran teilgenommen: Im Vergleich zu abstinenten Zeitgenossen reduziert sich das Sterblichkeitsrisiko signifikant, wenn täglich rund 0,4 l Wein getrunken werden. Es waren 36 % weniger Herzinfarkte zu verzeichnen und 22 % weniger Krebs. Nicht richtig scheint die weit verbreitete Ansicht zu sein, nur Rotwein schütze das Herz. Da auch im Fruchtfleisch der Trauben Antioxidantien enthalten sind, wirken sowohl Weiß- als auch Rotwein positiv auf die Gefäße. Beide fördern die Bildung des HDL-Cholesterins, reduzieren das unerwünschte LDL und schützen so vor Gefäßverkalkung – Weißwein interessanterweise wirkungsvoller, wie die Mainzer Weinstudie gezeigt hat. Eine Untersuchung aus den Niederlanden an 1.373 Männern über einen Zeitraum von 40 Jahren lieferte ähnliche Ergebnisse. Jene Probanden, die täglich bis zu 20 g Alkohol in Form von Rot- oder Weißwein tranken, lebten länger als die Gruppe der Nichttrinker. Die Gesamtsterblichkeit lag um 36 % , die Sterblichkeit an HerzKreislauf-Erkrankungen um 34 % niedriger. Bei geringem Weinkonsum ergab sich gegenüber Abstinenzlern eine mittlere Verlängerung der Lebenserwartung um 3,8 Jahre. Als Erklärung werden auch hier die positive Beeinflussung der Cholesterine und die Abnahme der Thrombose-Neigung durch Hemmung der Blutplättchen-Aggregation vermutet. Aus New York wird berichtet, dass Frauen, die für Herz-Kreislauf-Leiden generell anfälliger sind als Männer, besonders gut auf Weinkonsum reagieren. An 1.885 Frauen im Alter von 35 bis 69 Jahren wurde nachgewiesen, dass das
Risiko einer Herzattacke bei moderatem Weingenuss um 44 % gesenkt werden konnte, bei Bier um 26 % , bei Schnaps um 12 % . Die Schlussfolgerung: Alkohol in Maßen wirkt positiv, Wein alleine positiver. Hand in Hand damit geht ein geringeres Risiko für Hirninfarkt, wobei allerdings die Gefahr spontaner Blutungen im Hirn zunimmt. Im Unterschied zur westlichen Welt ist die Bevölkerung in Asien anfälliger für dieses Phänomen. Bei Frauen sinkt das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, wenn eine an Folsäure reiche Ernährung (Hülsenfrüchte, Nüsse, grünes Gemüse, Leber, Orangen) mit Wein kombiniert wird. Die Dosis liegt bei 20–40 g Alkohol täglich, was rund 0,2 bis 0,4 l Wein mit 13 % entspricht. Im Vergleich mit abstinenten Frauen ist das Risiko deutlich geringer. Aus einer Studie im Zusammenhang mit prophylaktischen Dickdarmspiegelungen geht hervor, dass die Wahrscheinlichkeit für Darmkrebs und Polypen bei Weintrinkern gegenüber Abstinenzlern fast halbiert ist, und das auch bei mehr als acht Achteln pro Woche. Bier und Schnaps zeigen eine geringere Wirkung bei geringem und ein erhöhtes Risiko bei hohem Konsum. Allerdings sind Unterschiede im Lebensstil nicht auszuschließen; Weintrinkern wird ein gesünderer Lebenswandel nachgesagt. Wein kann die Demenz hinauszögern, wie an der Universität Bari an 1.445 Männern und Frauen im Alter zwischen 65 und 84 Jahren gezeigt wurde. Ein Glas Wein täglich führte zu einer um 85 % reduzierten Demenzquote. Auch mehr Wein ergab keine Progression der Erkrankung. Das Risiko für Diabetes (Typ 2) sinkt bei täglich 0,15 l Wein auf nahezu die Hälfte. Weißwein hilft beim Abnehmen: Je 20 an Fettsucht leidende Patienten wurden drei Monate lang mit einer Reduktionskost ernährt, die entweder von 0,2 l Obstsaft oder dergleichen Men-
Gesundheit, Sensorik & Analyse Kapitel 6
201
-85%
Demenz 1 Glas Wein täglich
ge Weißwein täglich ergänzt wurde. Die Weißweintrinker haben im Mittel 4,6 kg abgenommen, die Patienten in der Obstsaftgruppe 3,8 kg. Auch der Bauchumfang nahm deutlicher ab. Die Leberfunktionsproben seien in beiden Gruppen unverändert geblieben. Der Wein hat demnach die Wirkung der Reduktionskost verstärkt.
Universität Bari: Ein Glas Wein täglich führt zu einer um 85% reduzierten Demenzquote bei älteren Personen.
Die Dosis macht’s Alkohol kann die Gesund-
heit schädigen. Wein macht da keine Ausnahme. Während man früher die leberschädigende Wirkung von Alkohol bei vergleichsweise hohen Dosen ansetzte, sehen die Hepatologen heute eine Menge von täglich 30 g über einen längeren Zeitraum schon ausreichend für eine Leberverfettung. Medizinische Publikationen berichten, dass etwa 20 % der Bevölkerung eine Fettleber haben, 50 % der schweren Alkoholiker und 80 % der Übergewichtigen. Allgemeingültig die unbedenkliche Dosis zu definieren, ist kaum möglich. Die Unterschiede in der Alkoholverträglichkeit sind zu groß. Maßgeblich ist, über wie viel Alkohol-Dehydrogenase der Einzelne verfügt. Dieses Enzym baut den Alkohol im Körper ab. Geschlecht, Alter, Gewicht, Allgemeinzustand, genetische Faktoren und andere Einflussgrößen spielen dabei eine Rolle. Die leberschädigende Wirkung des Alkohols im Wein darf nicht isoliert gesehen werden. Wenn man die prophylaktischen Eigenschaften mit einbezieht, gelten für Frauen 10 g Alkohol täglich als unbedenklich, für Männer 20 g, also 1 bis 2 Gläser Wein. Da Wein die Ausscheidung von Harnsäure mindert, ist sein Konsum bei Gichtleiden nicht angebracht. Fazit Wein ist in der Lage, vor allem in Kombi-
nation mit gesunder Lebensweise, das Krankheitsrisiko deutlich zu senken. Dies gilt beson-
ders für das Herz-Kreislauf-System. Professor R. Curtis Ellison, Epidemiologe an der Boston University School of Medicine, hat es anlässlich eines Kardiologenkongresses auf den Punkt gebracht: „Ein Tag ohne ein Glas Wein ist ein Risiko für unsere Gesundheit.“ Diese einfache Botschaft ist in einer Publikation etwas sperriger formuliert: „Wenn man zu den Mahlzeiten ein oder zwei Gläser eines an Antioxidantien beziehungsweise Polyphenolen reichen Weines trinkt, erhöht sich das antioxidative Potenzial im Blut derartig, dass der bedrohliche oxidative Stress völlig neutralisiert werden kann.“ Allerdings zieht sich eine wichtige Voraussetzung wie ein roter Faden durch die wissenschaftlichen Veröffentlichungen, nämlich der moderate und tägliche Konsum. Professor Ellison, der von den gesundheitlichen Vorzügen eines maßvollen Weinkonsums überzeugt ist, warnt in zahlreichen Publikationen vor dessen Missbrauch. Paracelsus hatte schon recht: Auf die Dosis kommt es an!
206
WEIN ALS MEDIZIN
ZEITLICHER VERLAUF DER ALKOHOLKONZENTRATION IM BLUT
400 v. Chr. Von Hippokrates Wein zu medizinischen Zwecken eingesetzt
Abhängig von der Menge des konsumierten Alkohols, bezogen auf das Körpergewicht Blutalkoholkonzentration in Promille
1,4 1,2 1,0 0,8
Im Römischen Imperium
1,2 g/kg Körpergewicht
zur innerlichen Anwendung gegen Krankheiten ebenso wie für Umschläge und als Antiseptikum zur Behandlung von Wunden
0,8 g/kg Körpergewicht
Bis ins 19. Jahrhundert wurde Wein von Ärzten verschrieben
0,6 0,4
1976 Resveratrol, 0,4 g/kg Körpergewicht
0,2
das Wundermolekül, erstmals in Weintrauben nachgewiesen
t/h 0,0
1,0
2,0
3,0
4,0
5,0
6,0
DER KATER DANACH: PHASEN DER ALKOHOLINTOXIKATION die akuten Folgen von Alkoholkonsum
EXZITATION
Phase 1 0,2 – 2,0 ‰
NARKOSE
» Enthemmungserscheinungen » Redseligkeit, Flapsigkeit » verlängerte Reaktionszeit » verminderte Schmerzwahrnehmung » gestörtes Gleichgewicht » gerötete Augen » leicht undeutliche Sprache
HYPNOSE
Phase 2 2,0 – 2,5 ‰
» eventuell Aggressivität » Sprach- und Artikulationsstörungen » Koordinationsstörungen » Sehstörungen » Schlaffheit der Muskeln » verengte Pupillen » Amnesie » Erbrechen
Phase 3 2,5 – 4,0 ‰
» Bewusstlosigkeit » Schockzustand » erweiterte Pupillen
ASPHYXIE
Phase 4
über 4,0 ‰
» Koma » weite und reaktionslose Pupillen » Schockzustand -> Kreislaufversagen -> Tod » Unregelmäßige Spontanatmung -> Atemstillstand -> Tod » Hypothermie -> Tod
HISTAMIN-INTOLERANZ
der Bevölkerung
1–3%
» »
MITTELEUROPAS sind betroffen
davon
80%
Frauen
40
Jahre
bei der
ALTERSGRUPPE um 40 Jahre besonders stark
207
AROMENPROFIL VON WEIN Qualität Abgang
Farbtiefe 4
Farbart Aromaintensität Süßkirsche
Harmonie 3
Weichsel
Zweigelt
Körper, Extrakt 2
Zwetschke
Bitter Umami * Süß
Brombeere
Alkohol 1
Dörrobst
Gerbstoff
gekochtes Obst
0
Süße
Rumtopf
Medizinalton Leder, Pferdeschweiß
Fruchtdrops Walnuss
Kaffee, Mokka
Blaufränkisch
Teer
Blüte
(Selch)Speck Holz, Toasting
WEINANALYTIK
ANALYSEVERFAHREN ENTWICKLUNG
Isotopenmuster von Wasser und Alkohol aus authentischen, verdächtigen sowie eindeutig verfälschten Weinproben einer bestimmten geografischen Herkunft. Verfälscht bedeutet hier gewässert, gezuckert oder gewässert und gezuckert.
1922 Ursprung der NMRSpektroskopie durch Physiker Otto Stern
7
1943 Nobelpreis dafür
6
1946 NMR-Experimente in Flüssigkeiten und Feststoffen durch Physiker Felix Bloch und Edward Mills Purcell
4
2
1952 Nobelpreis dafür Isotopenverhältnis -Massenspektrometrie als Analysemethode für Getränke anerkannt
und bedeutet „wohlschmeckend“, „würzig“ oder auch „fleischig“
Gemüse
Δ18O WEINWASSER ‰ SMOW
Würze
Auf der Zunge sitzen die Geschmackspapillen, die von rund 9.000 Knospen gebildet werden, die ihrerseits aus 30 bis 80 feinsten Sinneszellen bestehen. Am sensibelsten nehmen wir Bitterstoffe wahr: 10.000 *Mal besser als die anderen Geschmacksrichtungen. * Umami kommt aus dem Japanischen
Kräuter, Tee Karamell
1990 IRMS
Marzipan
Sauer Salzig
Authentische Weine
0
Verdächtige Weine -2
-4
Wässerung
Saccharose-Anreicherung und Wasserzusatz
-6 92
94
96
98
100
102
104
Quelle: Bayrisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit
Alter