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Klar Schiff für den Sommer
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mal einem schweren Föhnsturm trotzen.
Text: Michael West Bild: Patrick Hürlimann
Ist hier ein Unglück passiert? Es sieht aus, als sei das mächtige Kursschiff MS Schwyz ganz in der Nähe des Luzerner Bahnhofs auf Grund gelaufen; der fast 60 Meter lange Kahn sitzt nun auf dem Trockenen. Man kann alles betrachten, was sonst vom Wasser verborgen wird – den unteren Teil des Rumpfs und auch die zwei Schiffsschrauben am Heck. Doch zum Glück ist das Schiff nicht gestrandet, sondern wurde absichtlich aus dem See gehoben. Zum Einsatz kam dabei ein Schwimmdock – eine riesige Plattform, die wie ein U-Boot abtauchen kann. Das Kursschiff wurde zuerst über das versenkte Dock manövriert. Dann saugten Pumpen das Wasser aus den Hohlräumen der Plattform, sodass sie allmählich aufstieg und das Schiff in die Höhe stemmte.
«Diese Aktion wird extrem lang- sam und vorsichtig durchgeführt», sagt der erfahrene Schiffbauingenieur Udo Rehm. «Von blossem Auge könnte man das kaum erkennen. Man müsste das Auftauchen des Schwimmdocks schon filmen und das Video anschliessend im Zeitraffer abspielen.»
Den Riesenpatienten abhorchen
Der 57-jährige Spezialist steht mittlerweile unter dem vorgewölbten Schiffsrumpf und misst mit einem zierlichen Ultraschallgerät die Dicke der Stahlblechplatten. Rehm sieht dabei fast wie ein Arzt aus, der den Körper eines riesenhaften Patienten mit einem Stethoskop abhorcht. Die MS Schwyz ist mit robusten Holzkeilen abgestützt, denn das 267 Tonnen schwere Schiff darf auf keinen Fall kippen – sonst wäre Rehm in Lebensgefahr.
«Bei der Messarbeit geht es um Bruchteile von Millimetern», erklärt er. «Das Stahlblech am Rumpf ist neu 7 bis 8 Millimeter dick. Mit den Jahren setzt ihm Rost zu, und es verliert an Substanz.» Es darf nicht weniger als 5,2 Millimeter dick sein, sonst könnte das Kursschiff buchstäblich aus der Form gehen und ein Leck bekommen. Schliesslich muss es einiges aushalten, wenn es zum Beispiel bei einem Föhnsturm durch den aufgewühlten Vierwaldstättersee pflügt.
Doch das dreistöckige Schiff, ein Veteran von 1959, hat Glück: Rehm findet bei seiner strengen Kontrolle nirgendwo eine dünne Stelle. Eine grössere Reparatur bleibt der MS Schwyz erspart. Mitarbeiter des Unternehmens Shiptec, für das auch der Ingenieur tätig ist, streichen nun den Rumpf unter der Wasserlinie mit Rostschutzfarbe. Bald glänzt er kupferrot in der Frühlingssonne. Ausserdem werden die Fugen im Holzdeck am Bug und am Heck neu abgedichtet. Danach ist das Schiff fit für den Sommer
Das Luzerner Werftunternehmen Shiptec bietet seine Dienste im ganzen Land an. Pro Jahr wartet es über 50 grosse und kleine Schiffe, darunter auch bewaffnete Patrouillenboote der Schweizer Armee. «Wenn es um die Schiffsmotoren geht, erinnert unsere Tätigkeit ein wenig an die Arbeit in einer Autowerkstatt», erzählt Rehm. «Wir füh- ren Abgaskontrollen durch, ersetzen Schläuche, Ventile und Keilriemen.» Dafür reist der Ingenieur kreuz und quer durchs Land, macht immer wieder an Seen Station und erlebt so die Postkartenschweiz von ihrer schönsten Seite. In Lausanne beaufsichtigt er gerade die Schweissarbeiten an zwei grossen Fähren, die im Bau sind.
In der DDR aufgewachsen Rehm stammt aus der ostdeutschen Region Mecklenburg – er ist in der DDR aufgewachsen. Seine Begeisterung für Schiffe geht auf schöne Ferienerlebnisse in der Kindheit zurück: Seine Eltern besassen ein Boot; im Sommer unternahm die Familie ausgedehnte Flussfahrten. Seine Ingenieurausbildung machte Rehm in der Hansestadt Rostock an der Ostsee. Dort hätte er sich auf Ozeanriesen spezialisieren können, blieb aber lieber der Binnenschifffahrt treu.
In die Schweiz kam Rehm 2014. Man hatte ihn für eine spezielle Aufgabe angeworben: Um den Bau der VierwaldstätterseeShowbühne «Seerose» zu beaufsichtigen. Es ist wohl typisch für den leidenschaftlichen Techniker, dass er sich sehr genau an die Arbeit an der schwimmenden Bühne erinnert, aber kaum an die vielen Darbietungen, die später darauf gezeigt wurden.
Mit seiner Frau, einer Röntgenassistentin, wohnt Rehm heute in Olten, seine erwachsenen Kinder leben in Deutschland. In der Freizeit entspannt er sich gern bei Waldspaziergängen, unternimmt aber kaum je einen Ausflug auf einen See. Selbst der passionierte Ingenieur braucht ab und zu eine Auszeit, in der er keine Rumpfbleche, Schaufelräder und Schiffsaufbauten sieht. MM