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„Insgesamt hat eindeutig der Spaß überwogen!“
„Insgesamt hat eindeutig der Spaß überwogen!“
Ein Interview mit Thomas Danneberg
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Wenn man von jemand sagen darf, dass er die deutsche Stimme von...* ist, dann trifft das mit Sicherheit auf Thomas Danneberg zu. Seit den frühen 60er Jahren ist er einer der bekanntesten Synchronsprecher und einer der ganz Großen unseres Metiers. Für die UNSYNCBAR hat er die Zeit gefunden, ein paar Fragen zu beantworten…
Stefan Krause: Nach so vielen Jahren vor dem Mikro… wie siehst Du unser Handwerk (Mundwerk!) heute im Vergleich zu den alten Zeiten?
Thomas Danneberg: Ich habe die Atmosphäre in den Ateliers damals als familiärer empfunden, das Miteinander als ehrlicher und authentischer. Da wir bekanntlich mindestens zu zweit oder zu dritt vor dem Mikrofon standen, war vor allem Teamarbeit gefragt. Tanzte einer aus der Reihe oder war unkonzentriert, hatte das Auswirkungen auf alle Beteiligten. Und weil jeder mindestens so gut sein wollte wie sein Nachbar, hat man sich besonders stark ins Zeug gelegt. Meines Erachtens hört man auch, dass früher ein echter Dialog stattgefunden hat und kein Monolog Einzelner, der zu einem Dialog zusammengeschnitten wird. Die Arbeit war impulsiver, wir konnten uns während der Aufnahmen die Bälle zuspielen. Man war auch nicht so stark an das Original gebunden, im Gegenteil. Das kann man als Vor- oder Nachteil werten. Es war einfach eine andere Zeit.
War es auch eine „bessere“ Zeit?
Thomas: So mancher Produktion hat es jedenfalls nicht geschadet, im deutschsprachigen Raum zu einer völlig neuen Fassung umgewandelt worden zu sein. Das zeigt auch der Erfolg dieser Versionen, der ja im Original oft zu wünschen übrig ließ. Wenn wir mal wieder eine Aufnahme vor Lachen abbrechen mussten, wurden wir vom Regisseur in die Kantine eingeladen, um uns zu beruhigen. Gewisse Eigenarten einiger Kollegen wurden schmunzelnd hingenommen, weil sie trotz ihrer Marotten die Leistungen erbracht haben, die von ihnen erwartet wurden. Der Kollege, der während der Pausen im Schlafsack auf dem Boden schlief, der andere, der seinen Underberg auf der Herrentoilette versteckte oder das Atelier mit seinen Zigarren voll qualmte… heute unvorstellbar. Es stand deutlich mehr Zeit für eine gelungene Produktion zur Verfügung.
Und was ist – verglichen mit damals – im Laufe der Zeit schlechter geworden?
Thomas: Inzwischen wird jeder Sprecher einzeln aufgenommen, alles scheint auf Schnelligkeit und eine möglichst billige Abwicklung ausgerichtet zu sein. Die Qualität spielt heute offensichtlich nur noch eine untergeordnete Rolle, wenn es sich nicht gerade um eine gewinnträchtige Kinoproduktion mit großen Namen handelt. Erschreckend finde ich zudem die Austauschbarkeit und das schauspielerische Niveau. Viele der jüngeren Stimmen klingen in meinen Ohren gleich, künstlich aufgesetzt, austauschbar eben. Oft vermisse ich das echte Gefühl und die Atmosphäre früherer Synchronisationen. Nahezu alle meiner inzwischen verstorbenen Kollegen waren Theaterschauspieler und das war zweifelsohne hörbar. Ihre Stimmen waren charaktervoll und prägten über Jahrzehnte ein Film- und Fernsehpublikum. In der Gegenwart klingt für meinen Geschmack alles zu sauber. Ein blinder Zuschauer erzählte mir neulich, früher sei er aufgrund einer prägnanten Stimme an einem Film hängengeblieben, heute passiere ihm das nur noch selten.
Hat Dir der Job in all’ den Jahren immer Spaß gemacht oder hast Du Dich auch schon mal geärgert?
Thomas: Insgesamt hat eindeutig der Spaß überwogen. Wenn ich nur an die ganzen Produktionen mit Rainer Brandt zurückdenke, so etwas gibt es in dieser kreativen, unkomplizierten Form heute wohl nicht mehr. Wir durften improvisieren und mussten die Aufnahmen manchmal vor Lachen abbrechen. Nichts ging mehr! Ich konnte auch auf Kommando aufstoßen und bin nicht selten aus einem Atelier gerufen worden, um für den Kollegen nebenan eine Runde zu rülpsen.
Das hört sich ja nach sehr viel Spaß an. Aber wann und wo hörte der Spaß auch mal auf?
Thomas: Wenn ich mich mal geärgert habe, dann vor allem über mich selbst. Trotz aller Erfahrung und einer gewissen Routine haben sich natürlich Tage eingeschlichen, an denen überhaupt nichts so funktionierte, wie man es gewohnt war. Das kennt vermutlich jeder. Entweder ist man zu schnell oder zu langsam, findet nicht den richtigen Rhythmus oder muss sich ständig räuspern. Geärgert habe ich mich aber auch über schlechte Texte oder unkonzentrierte Kollegen. Cholerische Regisseure, die sich insbesondere dem Nachwuchs gegenüber herrisch und ungerecht verhalten haben, waren mir ebenfalls ein Gräuel. Gerade unerfahrene Menschen muss man fördern und nicht einschüchtern, das führt nur zu Ängsten und schlechterer Leistung. Ich freue mich, wenn mich heute längst erwachsene und etablierte Kollegen anrufen und mir rückblickend sagen, welche Bedeutung ich für sie als junge Anfänger hatte und wie wichtig es ihnen war, dass ich an ihre Fähigkeiten geglaubt habe. Das zeigt mir, dass mein Weg richtig war. Ich selbst hatte auch das Glück, mit Arnold Marquis, Michael Chevalier, Rolf Schult oder Klaus Miedel Menschen an meiner Seite zu haben, die mich im Studio emotional aufgebaut und nicht unterdrückt haben.
Du bist ja auch Musiker und ein toller Schlagzeuger. Wie hast Du Deine Bands in Deinem Synchron-Leben untergebracht?
Thomas: Schon als Jugendlicher habe ich mich sehr für New Orleans Jazz interessiert und auf dem Schlagzeug geübt, dass bei meinen Eltern im Haus stand. Mein Musiklehrer am Gymnasium war übrigens Papa Ko, der in den 1960er Jahren mit seiner Band „Papa Ko’s Jazzin’Babies“ aktiv war. Er war häufig bei meinen Eltern zu Besuch und bestärkte mich darin, dass ich durchaus Talent für dieses Instrument hätte. Er gab mir Unterricht. Zu „Abbi Hübners Low Down Wizards“ stieß ich Mitte/ Ende der 1960er Jahre. Stand ich unter der Woche im Atelier, konnte ich am Freitag in den Flieger nach Hamburg steigen und mich während der Live-Auftritte vor Publikum verausgaben. Das Schlagzeug ist ja ein körperlich sehr forderndes Instrument, während die Arbeit vor dem Mikrofon eher geistige Konzentration erfordert. Die Musik bildete neben dem Sport also das ideale Pendant. Mein Schlagzeug habe ich übrigens auch heute noch. Wenn ich mir die alten Live-Aufnahmen von uns anhöre, bekomme ich Gänsehaut und sehe uns alle vor dem geistigen Auge auf der Bühne. Musik spielt immer noch eine wichtige Rolle in meinem Leben, wenngleich ich auch nicht mehr auftreten kann.
Kriegst Du Fanpost bzw. Facebook-Anfragen und Mails mit Autogrammwünschen?
Thomas: Ich bin weder bei Facebook noch in irgendeinem anderen sozialen Netzwerk aktiv, aber ich bekomme handgeschriebene Briefe, in denen Menschen ihre Anerkennung ausdrücken, sich für meine jahrzehntelange Arbeit bedanken, und mir alles Gute wünschen. Zudem habe ich im vergangenen wie auch in diesem Jahr erleben dürfen, welchen Stellenwert ich zum Beispiel für die Fans der alten Filme mit Terence Hill und Bud Spencer habe. Mir war das in diesem Ausmaß nie so bewusst.
Anlässlich Terence Hills 80. Geburtstag wurde ich im März als Überraschungsgast zu einem Fan-Festival mit etwa 600 Besuchern eingeladen. Als ich angekündigt und auf die Bühne gebracht wurde, haben mir die Fans einen unvergesslichen Empfang beschert. Sie haben applaudiert, gejubelt, getrampelt, meinen Namen gerufen - es war einfach überwältigend. Mir sind vor Rührung die Tränen gekommen. Selbst der Moderator musste das Mikrofon weiterreichen, weil er einen Kloß im Hals hatte. Neben den Oliver Onions, die damals die Filmmusik für die Italo Western komponiert haben, waren auch zwei Schauspieler und Stuntmen aus jener Zeit zu Gast, Sal Borgese und Riccardo Pizzuti, inzwischen 82 und 85 Jahre alt. Obwohl sie sicher nie einen dieser Filme auf Deutsch gesehen haben, haben auch sie sich bei mir bedankt und mir während des ganzen Abends das Gefühl gegeben, im Mittelpunkt zu stehen.
Zuletzt war ich als Ehrengast zur Eröffnung des Terence Hill Museums in Lommatzsch bei Meißen eingeladen und durfte dort das Band durchschneiden. Nach vielen Jahrzehnten im „Dunkeln“ ist es schon etwas Besonderes, Menschen verschiedener Generationen zu begegnen, für die meine Tätigkeit sehr bedeutsam ist und die mir all ihre Sympathie entgegenbringen. Seit einigen Jahren habe ich auch Kontakt zu einem Fan, der von Geburt an blind ist. An ihm wird es besonders deutlich. Er hat keine Vorstellung davon, wie Terence Hill oder Arnold Schwarzenegger aussehen. Er ist mit meiner Stimme aufgewachsen und hat mir einmal erzählt, dass ich ihm in jungen Jahren sogar Trost gespendet habe. Das bewegt mich.
Hattest Du irgendwann mal Kontakt mit einigen der Schauspieler, die man mit Deiner Stimme kennt?
Thomas: Gemeinsam mit Wolfgang Hess habe ich in den 1980er Jahren Terence Hill und Bud Spencer kennengelernt, als sie in Berlin bei Filmproduzent Horst Wendlandt zu Gast waren. Vor einigen Jahren hat mir Hills Freund und Manager dann ein Foto zugeschickt, auf dem Terence mit den Worten „Danke für Deine Stimme!“ unterschrieben hat. Als er im August 2018 zur Premiere seines jüngsten Films in Dresden und Berlin war, hat er mich unter anderem zu einem gemeinsamen Essen eingeladen. Ich habe Terence Hill damals wie heute als sehr lieben, bescheidenen und zurückhaltenden Mann erlebt. Er hat mir gesagt, ich hätte einen besseren Schauspieler aus ihm gemacht, als er je gewesen sei und dass er mir viel zu verdanken habe.
Und wie war das mit Arnold Schwarzenegger?
Thomas: Ihm bin ich einmal Mitte der 1990er Jahre im Rahmen einer Filmpremiere persönlich begegnet und habe auch ihn als sehr sympathisch in Erinnerung. Letztes Jahr war ich mit meiner Frau im Urlaub in der Steiermark. Aus Jux sind wir an einem Tag ins Arnold Schwarzenegger Museum nahe Graz gefahren, allerdings ohne uns anzumelden. Der Leiter des Museums und frühere Schulfreund von Schwarzenegger war ganz begeistert, hat uns die Ausstellung persönlich gezeigt, ein bisschen aus dem Nähkästchen geplaudert und das gemeinsame Abschiedsbild an Schwarzenegger geschickt. Er hat es dann signiert und zurückgeschickt.
John Travolta, Sylvester Stallone, Dennis Quaid, Dan Aykroyd oder John Cleese bin ich nie persönlich begegnet, habe es aber um ehrlich zu sein auch nie angestrebt. Wenn es sich wie bei Hill oder Schwarzenegger aufgrund einer offiziellen Einladung ergeben hätte, ok. Aber ich hätte niemals eigeninitiativ versucht Kontakt aufzunehmen, um auf mich aufmerksam zu machen. Das ist nicht meine Art.
Du hast nun entschieden, Dich in den Ruhestand zu verabschieden...
Thomas: Ja. Ich war über 55 Jahre vor dem Mikrofon aktiv. In meinen Hoch-Zeiten habe ich mich mit meinem verstorbenen Freund Arne Elsholtz „duelliert“ und täglich 300 Takes (im analogen Schleifen-Betrieb! Anm. der Red.) abgearbeitet, ohne groß über die Konsequenzen
nachzudenken, die dieses Pensum möglicherweise nach sich ziehen könnte. Die Erwartungshaltung der Verantwortlichen steigt natürlich auch anderen Kollegen gegenüber, die dieses Pensum nicht bewältigen können oder wollen. Inzwischen bin ich 77 Jahre alt und gesundheitlich etwas geschwächt. Es ist wichtig, den richtigen Zeitpunkt für einen Rückzug in Würde zu erkennen. Ich habe insbesondere in den vergangenen zwei Jahren gespürt, dass mir die Arbeit im Studio kaum noch Freude bereitet hat. Menschen verabschieden sich in der Regel ab einem bestimmten Alter in den Ruhestand. Das hat seine Gründe. Wenn man spürt, dass die Konzentrationsfähigkeit nachlässt oder die „Maschine“ nicht mehr so rund läuft wie früher, sollte man rechtzeitig die Konsequenzen ziehen. Als Schauspieler habe ich ja auch einen gewissen Anspruch an mich selbst und muss hinter dem Ergebnis stehen.
Bei so manchem Sänger, der seit Jahren den Ton nicht mehr trifft, wünscht man sich, er hätte diesen Umstand früher erkannt und akzeptiert. Weil sie nicht loslassen können, dokumentieren solche Menschen im schlimmsten Fall ihren eigenen Niedergang in aller Öffentlichkeit, sei er nun altersbedingt, krankheitsbedingt oder gar suchtbedingt. Ich kann loslassen. Ich möchte positiv auf die letzten 55 Jahre zurückblicken und mich zugleich auf die Zukunft freuen. Familie, Freunde, vielleicht die ein oder andere Reise - das ist mir wichtig. Alle Menschen, auch einige Fans, mit denen ich bisher über meine Entscheidung gesprochen habe, haben vollstes Verständnis geäußert.
Danke für das Interview und alles Gute zu Deinem Geburtstag am 2. Juni!
Stefan Krause
* Arnold Schwarzenegger, Sylvester Stallone, John Travolta, Terence Hill, Dan Akroyd, Rutger Hauer, John Cleese, Nick Nolte, Dennis Quaid u.a.