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Nein-Sagen – eine Kunst, die man lernen kann
Nein-Sagen – eine Kunst, die man lernen kann
oder Solidarität und andere Hürden bei der Arbeit
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Anke Reitzenstein wohnt in Berlin und ist Schauspielerin. In den 80er Jahren sammelte sie erste Erfahrungen in den Synchronateliers Berlins und hat sich als eine feste Größe in der Branche etabliert. Man kennt sie als die deutsche Stimme von Melissa McCarthy (Gilmore Girls, Mike & Molly, Ghostbusters), Chandra Wilson (Grey’s Anatomy) und Angela Bassett (Black Panther, 9-1-1) und viele weitere.
In den Fluren der Studios und vor allem auf Facebook gab es in den letzten Wochen Diskussionen darüber, ob das Arbeiten ohne Cutterin oder Cutter* im Synchronstudio geht oder nicht. Die Kollegin Anke Reitzenstein hat der Redaktion von ihren Erfahrungen berichtet. Das Synchronstudio, um das es in diesem Fall ging, war jedoch leider zu keinem Gespräch bereit. In der UNSYNC- BAR war die Arbeit ohne Cutterin schon des Öfteren Thema, und jedes Mal haben wir als Autoren im Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen zu spüren bekommen, dass dieses Thema durchaus polarisiert. Und da es aktuell in der Branche wieder die Runde macht, erlauben wir uns noch mal ein paar grundlegende Gedanken dazu.
Worum geht es?
Wir haben vor Jahren, ganz am Anfang zur Gründung des IVS (März 2006) in Gesprächen untereinander (Synchronschauspieler und Regisseurinnen) und auch im Austausch mit Synchronproduzentinnen einige Standards festgelegt, welche grundlegenden Dinge bei der Arbeit im Synchronstudio bei den Aufnahmen, aber auch vorher und nachher nötig sind, damit eine qualitativ hochwertige Synchronisation entstehen kann. Das wurde damals Credo-Liste genannt und auch von einem Großteil der Kolleginnen und Kollegen akzeptiert.
Inhalt war unter anderem, dass zu einer qualitativ hochwertigen Synchronisation die Besetzung aller Gewerke im Synchronatelier gehört: also neben der Synchronschauspielerin muss es eine Regisseurin, eine Tonmeisterin und eine Cutterin geben. In den Jahren danach kamen nicht wenige kleine Studios neu dazu und es war gar nicht unüblich, dass diese (um Geld zu sparen, um ihre Kalkulation nicht durch zusätzliche Kosten zu sprengen usw.) einen der Posten „einsparten“. Manchmal hat bspw. der Regisseur gleichzeitig „für den guten Ton“ gesorgt oder es wurde keine Cutterin eingeplant. Und auch die großen, etablierten Studios haben immer mal wieder ausprobiert, ob sie dadurch Einsparungen vornehmen können.
Das führte und führt immer noch teilweise zu unschönen Situationen, wenn ein Kollege zu dem vereinbarten Termin erscheint und erst vor Ort mitbekommt, dass eins der Gewerke unbesetzt ist. Was tun? Zähneknirschend den Termin trotzdem antreten, man ist ja schließlich sowieso da? Ansagen, dass man ohne Cutter oder mit einem Regisseur, der gleichzeitig die Aufgaben des Tonmeisters wahrnimmt, nicht arbeitet und gehen? Zumindest gewöhnten sich in dieser Zeit nicht wenige an, bei einem Termin von einer unbekannten Firma oder auch bei jedem Termin, erst mal nachzufragen, ob sie denn mit Cutterin arbeiten…
Wieso sollen denn eigentlich alle Gewerke besetzt sein?
Können versierte Synchronschauspielerinnen nicht auch „synchron gucken“ und kann eine Tonmeisterin mit Hilfe der neuen Technik nicht sowieso alles irgendwie synchron-schieben (Kurve auf Kurve, ein bisschen Time-Stretch, dann passt das schon)?? Wie gesagt, diese Diskussion ist eine alte, und 2006 haben wir bzw. alle Beteiligten sich klar dafür ausgesprochen, dass es eben nicht reicht, wenn die Synchronschauspielerin beim Sprechen auf die Synchronität achten oder der Synchronschauspieler ein paar Schnittpausen einbaut, sodass es in der Nachbearbeitung am Schneidetisch schon irgendwie synchron wird.
Grundlage dieses Konsenses war damals: wir wollen gute bis sehr gute Arbeit abliefern und jedes Gewerk kann sich bei einer vollständigen Besetzung auf seine Aufgabe konzentrieren. Die Cutterin achtet auf die Synchronität, Labiale, Pausen, Geschwindigkeit der Lippenbewegungen, gibt Hilfestellung, wo ein Rhythmuswechsel nötig ist und weiß, welche Dinge am Schneidetisch noch machbar sind und welche nicht. Die Tonmeisterin achtet u. a. auf die Tonqualität, die Lautstärke, Nebengeräusche und dass tonlich alle Rollen zu den anderen passen und zu den jeweiligen Situationen. Die Regisseurin gibt der Schauspielerin Anweisungen, wie die Rolle auszugestalten ist und welche Stimmung/Betonung in welcher Szene passt. Dieses setzt die Schauspielerin um und kann sich mit ihrem Spiel voll auf die Szene konzentrieren.
Neben dem Konzentrieren auf die eigentliche Aufgabe geht es auch darum, dass wir als Synchronschauspieler für faire Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezahlung kämpfen, angetreten sind und nach wie vor eintreten. Diese Anliegen sollen und dürfen aber nicht auf Kosten der anderen Gewerke gehen. Denn das war natürlich der erste Impuls vieler Produzenten: „Die Schauspieler wollen mehr Geld! Wo kann das eingespart werden? Genau – wir sparen uns den Cutter im Atelier.“ So oder so ähnlich mögen viele Produzenten gedacht haben oder noch denken.
Und – leider – haben auch nicht wenige Kollegen sich gedacht, dass es ohne Cutterin ja schneller geht und haben deshalb ganz gern mal einen Film oder eine Manga-Serie ohne Cutterin aufgenommen.
Bedauerlicherweise ist es so, dass dieses Thema auch aktuell immer noch zu Kontroversen führt. Denn nach wie vor gibt es Synchronstudios, die im Atelier ohne Cutterin arbeiten. Wo fängt Solidarität an und wo hört sie auf – mit den Kolleginnen und Kollegen, die nicht ohne arbeiten, mit anderen Studios, die nicht ohne arbeiten? Sollen wir gehen, wenn kein Cutter im Atelier ist? Oder sollen wir auch gehen, wenn die Dialogbücher unterirdisch sind und ohne grundlegende Änderungen im Atelier kein vernünftiges Arbeiten möglich ist? Wann ist der Punkt erreicht, an dem wir die vorgegebenen Arbeitsbedingungen nicht mehr akzeptieren können und dürfen?
Wir können niemanden dazu zwingen, sich an die Gepflogenheiten zu halten, die Credo-Liste ist lange her und rechtlich bindend war diese sowieso nie. Schon beim letzten Mal, als wir in der UNSYNCBAR über dieses Thema berichtet haben (da ging es um ein Studio in Offenbach…), wurde deutlich, dass nicht unbedingt nur die Kolleginnen unter solchen Voraussetzungen arbeiten, die es finanziell nötig hätten (weil sie wenig Aufträge haben). Es waren und sind vor allem bekannte, gestandene Kollegen, die hier und da auch mal einen Film ohne Cutter aufnehmen. Die Gründe sind vielfältig: „Ich kann ja selber synchron gucken!“/ „Ich habe eine Ver- antwortung meiner Schauspielerin/meinem Schauspieler gegenüber“/ „Lieber keine Cutterin als eine schlechte im Atelier!”/ „Die bezahlen sehr gut und schnell!“ – Also das Geld (gute Bezahlung, weil ja die Cutterin eingespart wurde?) und die Befürchtung, „seine Schauspielerin“ oder „seinen Schauspieler“in dieser Produktion nicht synchronisieren zu können??
Wenn aber gestandene Kolleginnen und Kollegen unter diesen Bedingungen arbeiten, wie kann man dann von Berufsanfängern oder Kolleginnen, die nicht so viel zu tun haben erwarten, dass sie sich deutlich gegen ein Arbeiten ohne Cutterin positionieren?
Wir haben immer eine Wahl und jeder von uns kann immer wieder selbst entscheiden, wie er arbeiten möchte und zu welchen Zugeständnissen er bereit ist. Aber wenn wir unseren Beruf noch lange machen wollen, wenn wir diese abwechslungsreiche, schöne, spannende Arbeit noch viele Jahre machen wollen dürfen, dann nur, wenn sie qualitativ auf einem hohen Niveau entsteht. Mit „irgendwie synchron“, Dumping und Einsparungen einzelner Gewerke werden wir mit ziemlicher Sicherheit nicht weit kommen. Also sollte die Entscheidung, wie und mit wem wir arbeiten, eigentlich eine ganz leichte sein. Und wenn sich einfach jeder so entscheidet, werden auch die Filme mit der Schauspielerin, die man immer synchronisiert hat oder mit dem Schauspieler, dem man schon so oft seine Stimme leihen konnte, nur noch mit Cutterin aufgenommen. Und wenn aus der genannten Kontroverse ein Konsens wird, können wir noch viele Jahre mit viel Freude alles geben, um die Filme und Serien zu synchronisieren – mit Demut und dem Willen, dass die Synchronisation dem Original gerecht wird und der Zuschauer im besten Fall die neue Sprache gar nicht bemerkt.
Ilona Brokowski