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THEATER PUR
WENN SICH DER SAND SENKT
Eva Herzig kennt man von der Bühne und aus dem Fernsehen, Miriam Hie sorgte zuletzt als Kabarettistin für Furore und Lukas Johne spielt etwa bei den „Vorstadtweibern“: In Puchberg am Schneeberg machen die drei etwas komplett Neues. Theater pur.
Text: Viktória KeryErdélyi Fotos: Laurent Ziegler, privat
Vom Burgtheater bis hin zum Musical spielt er alles und arbeitete bereits mit Regisseuren wie Robert Zemeckis und Stefan Ruzowitzky zusammen. Aufgewachsen ist Lukas Johne in Puchberg am Schneeberg. Zum dritten Mal lädt er dort zur „Kultur. Sommerfrische“. „Ich mach‘ gern etwas, das die Leute überrascht, was man nicht erwartet“, sagt der Theatermacher, der im ersten Jahr seiner Intendanz Shakespeare in einem Boxring stattfinden ließ. Ausgangspunkt heuer ist Aischylos‘ „Die Orestie“, ein Klassiker der griechischen Antike, in der es ganz schön zugeht: Da wird eine Tochter für den günstigen Wind für die kriegerische Schifffahrt des Vaters geopfert, weitere Tragödien sind vorprogrammiert …
NIEDERÖSTERREICHERIN: Zum dritten Mal „Kultur. Sommerfrische“ in Puchberg. Wie kam es dazu?
Lukas Johne: Einmal war ich im Freibad und bin aus einem Impuls nicht nach rechts in Richtung nach Hause, sondern nach links abgebogen, um beim Bürgermeister anzuklopfen, ob er sich ein Theaterfestival vorstellen kann (lacht). Danach fügte sich alles schnell zusammen, weil ich in Wahrheit schon lange mit der Idee schwanger ging.
Du sprichst von einem „Anti-Sommertheater“. Was bedeutet das?
Lukas: Ich sage auch: Es ist ein Stück Avantgarde, das es aufs Land geweht hat. Es ist ein Vorurteil, wenn es heißt, Sommertheater diene ausschließlich der Unterhaltung. Ich mag es als Theatermacher, die Menschen zu fordern, den Finger in die Wunde zu legen; wir schenken dem Publikum nichts: Wir hatten schon im ersten Jahr Shakespeare auf Englisch, es ging um Rassismus, Antisemitismus und Inzest. Ich will emotional berühren. Da höre ich dann schon mal: „Ich hab‘ Asiatin oder Türkin ist. Lukas: Für mich ist es superschön, dass Mimi zugesagt hat. Diversity und Pluralism sind mein Ein und Alles. Miriam: Allerdings schlug meine Dankbarkeit bei der zweiten Leseprobe in Panik um (lacht). Ich hab‘ mir gedacht: nicht alles verstanden, aber ich hab‘s ge Bist du deppert, Mimi, wie wirst du das spürt.“ Das ist super! schaffen? Ich fühlte mich ungeübt in
Dabei baue ich alles auf drei Elemen meinen ausgebeulten Hosen und meite auf: den Ort, heuer sind es der Kurpark nem ausgebeulten Hirn; wir Künstlerinund die Burgruine, die Schauspielerin nen brauchen Inspiration von draußen! nen bzw. Schauspieler und den Text. Wir Aber ich blieb dran und es passierte der haben kaum Technik. AhaMoment: Ich war plötzlich so glück
Ihr kombiniert den 2.500 Jahre al- lich mit diesem großartigen, vielsagenten Text mit je einem modernen Stück den Text, der auf einmal so viele Paralleaus Lukas‘ Feder; es soll um weibliche len zu meinem Leben geöffnet hat – zum Identität und unbewusste Muttersein, zum TochterRache am Patriarchat sein, zum Frausein, zum gehen. Wie blickt ihr Schwestersein, … dem entgegen? Lukas, du hast
Eva Herzig: den modernen Part Ich suche meine geschrieben und Projekte da führst Regie. Wie nach aus, wie sind die Stücke ich meine miteinander Lebenszeit verwoben? verbringen Lukas: Das möchte; das ist Stück fängt am mir wichtig. Ich Samstag dort an, wo hab‘ Lukas‘ Texte das Stück am Freitag gelesen und fand aufhört. Wir beginseine Idee sofort in nen jeden Abend mit teressant und neu. Aischylos‘ Text, verMiriam Hie: Ich hab‘ wahnsinnigen Ich hab‘ Respekt lassen kurz die Bühne und kommen gleich Respekt vor dem wieder; es sind dieselvor dem klassischen klassischen Text, das wird meine ers Text, das ist meine ben Figuren, aber eine für das 21. Jahrhundert te Erfahrung dieser Art sein. Ich musste erste Erfahrung adaptierte Situation. Zwischen Rolle und wegen Corona mein Comedyprogramm dieser Art. Leben: Wo sind die Herausforderungen, wo („Who is Hie?“, Anm.) Miriam Hie die Parallelen? ein bisschen ruhig Miriam: Zum eistellen und war so dankbar, dass ich nen ist da der Konflikt mit den Eltern. drehen konnte („Vienna Blood“, „Euer Zum anderen geht es um etwas, womit Ehren“, Anm.), dass sich auf einmal neue ich mich auch zuvor beschäftigte: um Türen geöffnet haben. In einer stand Lu das Ausbrechen wollen aus bzw. um das kas mit diesem griechischen Klassiker. Gefangensein in Systemen. Ich erzähle Ich hab‘ immer gesagt, ich will nicht im in meinem Soloprogramm über das asimer für dieselben Geschichten gecastet atische Mädchen, das sehr angepasst in werden. Ich möchte, dass Theater divers Oberösterreich aufgewachsen ist. Man wird, dass man nicht drauf schaut, ob sie will sich anpassen, weil man ja geliebt
und akzeptiert werden möchte, aber ir- was magst du am Themen, sondern gendwann merkt man, dass das nicht Livepublikum setze mich mit glücklich macht, weil man sich selbst, bzw. am Som- dem antiasiaseine eigene Identität vergisst. Das pas- mertheater? tischen Rassiert jedem, nicht nur einem Mädchen Ich habe sismus ausmit Migrationshintergrund. bei den Salz- einander, der
Lukas: Ich hab‘ vier ältere Schwes- burger Festspielen uns gerade mit tern, bin elffacher Onkel und wechsle und auf der Rosen- nacktem Grauen Windeln seit ich zehn Jahre alt bin. Ich burg gespielt, es ist entgegenkommt. Es bin Gleichheit auf allen Ebenen gewöhnt. immer wieder anders, geht mir nahe, was da Wenn es heißt, Frauen sind die Emoti- aber ich finde überall passiert, was ich von onalen, Männer die Rationalen, dann die Verbindung zum meinen Verwandten halte ich das für Bullshit. Wir haben alle alles in uns. In meinen modernen Texten Publikum. Das Schöne ist, dass man sich Das Schöne ist, reingespült bekomme und ich habe beschlosgeht es um einen Befreiungsschlag. Ich gemeinsam auf eine sich mit dem sen, eine Stimme dagehab‘ mich gefragt, ob die Hierarchien, dieses krasse Patriarchat noch aktuell Reise begibt, die man gemeinsam erfährt und Publikum auf gen zu sein. Lukas: Ich hab‘ früist – und kam zum Schluss: Es ist aktuell genug, um es zu debattieren, um ein die jeden Abend anders ist. Jede Vorstellung ist eine Reise zu her oft gehört, dass ich wie ein Opa lebe. Ich Stück zu machen. Miriam: Das Thema Befreiungsanders, es herrscht immer eine andere Ener- begeben, die treibe viel Sport, genieße das Essen, gehe schlag ist für mich auch in meinem Leben gie, das hängt auch von man gemeinsam um halb zehn mit meiein zentrales. Ich hab‘ auch vor ein paar Jahren beschlossen, aus dem Fernsehden Menschen ab, die kommen; das liebe ich erfährt. nen Büchern schlafen. Plötzlich musste ich studio rauszugehen, weil ich nicht mehr am Theater. feststellen: Krass, die so sehr von außen bestimmt sein wollte. Wie haben euch die Eva Herzig Leute sind jetzt ge-
Eva: Ich habe Ähnli- vergangenen zwungen so zu leben, ches erlebt. Ich bin mit Monate verändert? wie ich es seit Jahren tue (lacht). Wenn 19 ans Burgtheater Eva Herzig: Ich konzent- sich der aufgewirbelte Sand senkt, wenn gekommen, spiel- riere mich auf den Moment. das Wasser klar wird, sieht man, was te große Rollen Du weißt nicht, wie lang wirklich wichtig ist: Heute lechzen die und kündigte dein Leben dauert, du Leute nach Kultur und Natur, nach Umtrotzdem mit hast es nicht im Griff. armungen. Diese Simplicity war immer 25, weil ich Du hast es aber im meines, wie beim Theatermachen: Ort, selbst über Griff, das Beste aus Schauspieler, Text – das war‘s. Diese mein Leben dem Moment zu Einfachheit ist der Gegenentwurf zur entscheiden machen, bewusst zu Konsumgesellschaft, zum extremen wollte. Seit- leben. Man kann sagen, Entertainment. her arbeite ich dass es furchtbar ist, was frei. Leicht ist das jetzt alles nicht geht oder nicht immer, vor al- dankbar sein für alles, INFOBOX lem als Alleinerziehende (ihre Söhne was wir haben. Was gibt es jetzt Schönes? FESTIVAL IN sind zwölf und acht, Ich mache gerne Ich kann in den Wald PUCHBERG Anm.). Aber ich hab‘ ein Urvertrauen ins etwas, das die gehen, mich an der Natur erfreuen. Durch „Kultur. Sommerfrische. Puchberg am Schneeberg“ findet von 4. bis 27. Juni Leben, dass es immer weiter geht, dass immer neue Leute überrascht, was man nicht die Einschränkungen kann gleichzeitig unser Bewusstsein geschärft statt: mit „Die Orestie. Ein Show-Talk in zwei Teilen“ nach Aischylos kombiniert mit modernen Texten des Theaterma-Türen aufgehen. Ich habe an erwartet. werden; wir dürfen hinterfragen: Was ist chers Lukas Johne. Er steht selbst auf der Bühne: jeweils an Freitagen mit der Burg gespielt, an vielen anderen Lukas Johne die Wahrheit? Miriam: Bei mir Miriam Hie (Teil I: „Identität“) und an Samstagen mit Eva Herzig (Teil II: Bühnen und auch verschiedene Filme hat sich noch etwas dazugemischt: dass „Rache“). Die Abende können getrennt gedreht; diese Art von Theater, wie es nämlich in der Pandemie neben Tod und oder kombiniert genossen werden.Lukas macht, habe ich noch nicht erlebt Krankheit der Rassismus so entsetzlich https://kultursommerfrische.com– ich bin sehr dankbar für dieses Projekt. neue Levels erreicht. Ich nutze soziale
Eva, du hast zuletzt viel gedreht, Netzwerke nicht nur für leichtfüßige