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LEBEN FÜRS FLIEGEN
Leben für eine HIMMLISCHE Minute
Auf rund 1.200 Fallschirmsprünge blickt Lisa Buchner zurück, ihr zweites Zuhause ist der Paraclub Wiener Neustadt. Die 32-Jährige ist zudem die erste Wingsuit-Coachin Österreichs.
Text: Viktória Kery-Erdélyi
© Simon Bauer I hre Mama sah ihre Abenteuerlust schon immer gelassen, ihr Papa gab sich kürzlich quasi seinem Schicksal hin. Obwohl er auch gleichzeitig stolz auf seine Fallschirm springende Tochter war, „hat er mich immer wieder gebeten, dass ich es bleiben lassen soll“, lacht
Lisa Buchner. Doch vergangenen Winter fasste er sich ein Herz und unterstützte die taffe Extremsportlerin sogar dabei, ein Bett in ihren Wagen einzubauen, damit sie – und das ist wortwörtlich zu verstehen – am Sprungplatz in Wiener
Neustadt übernachten konnte. Ihrem zweiten Zuhause.
Dass der Traum vom Fliegen vermutlich so alt ist wie die Menschheit, ist hinlänglich bekannt. Und doch war die Sehnsucht von Lisa, aufgewachsen mit zwei Brüdern in Maria Enzersdorf, schon in Kindertagen speziell. „Ich hab‘ mir eingebildet, wenn ich ganz schnell laufe und schön weit springe, fliege ich“, erinnert sie sich. Fliegen im Flugzeug empfand sie als ganz nett, ihre erste
WIE EIN TANZ ÜBER DEN WOLKEN. Bei rund 200 Kilometern pro Stunde werden im Team zuvor abgesprochene Figuren vollführt.
Fahrt im Heißluftballon schon intensi- Tag nicht so rosig war, wenn du aus dem ver, doch Lisa wollte mehr. Flieger springst, gibt es nur den Moment,
Eine Sportskanone war sie von klein das Gefühl vom Fliegen, die Freude. Es auf; sie besuchte ein ist wie ein Leo.“ Dabei Sportgymnasium und dauert die Freifallzeit machte parallel eine Fitnesstrainerausbil- Es ist pure im Schnitt nur eine Minute, „aber wenn dung. Nach der Matura will sie die Welt Freiheit. Wenn du man fokussiert ist, ist eine Minute länger, als sehen und packt ihren Rucksack. „Ich war aus dem Flieger man glaubt“, erklärt sie. mit 18 Jahren ein Jahr springst, gibt es Abgesehen davon, lang als Backpackerin in Australien unter- nur den Moment dass ohnehin der ganze Körper angespannt wegs“, erzählt sie. Als sie sich dort mit einer und die Freude. sein muss, während er mit bis zu 200 KiloSpanierin anfreundet, Lisa Buchner, Fallschirmspringerin meter pro Stunde in überredet sie diese die Tiefe rast, lässt kurzerhand: „Sie hatte sich dort ver- Lisa die rund 60 Sekunden bis zum liebt und ich hab‘ ihr gesagt: Komm, Ziehen des Fallschirms aber nicht etwa wir springen bevor du heiratest.“ Über „tatenlos“ verstreichen. Sie spezialisierte dem Great Barriere Reef zelebrierten sich auf die akrobatische Disziplin „Free sie ihre Tandem-Sprünge mit Profis, für Fly“, bei der man während des freien Lisa tat sich eine neue Welt auf: „Das war Falls diverse Figuren im Team absolviert. einfach Wow. Der komplette Overload von Freude. Für mich war sofort klar: Vorreiterinnen. Im Vorjahr ist sie in Ich will mehr davon.“ „Free Fly“ mit einem reinen Frauenteam, dem ersten Österreichs, bei den Staats-
Wie ein Leo. Nach ihrer Rückkehr meisterschaften gestartet und erreichte begann sie mit dem Publizistikstudium, gleich einmal Platz vier. „Ich bin schon mit 23 hatte sie schließlich nach ent- lange nicht mehr aufgeregt, weil ich aus sprechender Ausbildung und Prüfung dem Flieger springe, sondern weil ich ihre Fallschirmspringerin-Lizenz in der einen guten Sprung hinlegen möchte“, Tasche. Das ist nunmehr rund 1.200 beschreibt sie. „Die Teilnahme im WettSprünge her, „seit dem ersten Mal ist es bewerb macht aber vor allem Spaß; wir immer schöner geworden“, findet sie. kennen uns fast alle, abends feiern wir „Es ist die pure Freiheit. Ganz egal, was unabhängig vom Erfolg gemeinsam.“ du vorher im Kopf hast oder dass dein Ihren Heimverein, den Paraclub Wiener Neustadt, erlebte die heute 32-Jährige von Beginn an wie eine zweite Familie. Auch deswegen, weil sie als Frau in dieser Extremsportart für Außenstehende oft als Exotin galt. „Das hat sicher niemand böse gemeint, aber es hat mich immer geärgert, wenn ich gehört habe, dass ich gar nicht wie eine Fallschirmspringerin aussehe.“
Davon dennoch unbeirrt, beginnt Lisa vor gut fünf Jahren parallel auch mit dem Wingsuiten (siehe Infobox). Dabei schlüpfen die Fallschirmspringer in einen Spezialanzug mit Arm- und Beinflügeln, die vielen Luftkammern füllen sich beim freien Fall mit Luft „und du wirst zu einem fliegenden Teppich oder zu einer fliegenden Luftmatratze. Ein unglaublicher Spaß!“ Freilich wird auch hier in einer bestimmten Höhe der Fallschirm gezogen. Die Angelegenheit bedarf allerdings noch mehr Konzentration und Geschick; um überhaupt damit anfangen zu dürfen, braucht es mindestens 200 „klassische“ Fallschirmsprünge.
Für Lisa war das kein Problem. „Ich verbringe während einer normalen Saison von April bis Oktober fast jedes Wochenende am Sprungplatz“, erzählt sie. Da kann es vorkommen, dass man dort einen halben Tag darauf wartet, dass sich das Wetter bessert, oder aber bei idealen Verhältnissen sogar acht bis zehn Sprün-
KURZ ERKLÄRT
Ein Wingsuit ist ein Flügelanzug, mit dem man beim Fall den Gleitwinkel auf ein Verhältnis von etwa 1:3 verändern kann. Das heißt: ein Meter nach unten, drei Meter nach vorne (ohne Wingsuit: 1:0). Die Minimalvoraussetzungen für eine Ausbildung zum Wingsuitpiloten sind 200 Fallschirmsprünge; um Coachin bzw. Coach zu werden – wie Lisa Buchner – braucht es weitere 100 Wingsuitsprünge. Als BASE-Jumping – das macht Lisa bewusst nicht – wird ein Fallschirm- oder Wingsuitsprung von etwas Statischem (B=building, A=antenna, S=span, E=earth) bezeichnet; hier hat man im Regelfall mehr Nähe zur Umgebung, was zumeist für das viel höhere Risiko sorgt.
Schade, wenn man etwas nicht tut, nur weil es nicht der Geschlechterrolle entspricht.
Lisa Buchner, Wingsuit-Coach
RITUAL MIT SCHMÄH.
Wer die letzte Landung am Tag sanft absolviert, wird mit einer Bierdose belohnt. Im Bild: Lisa Buchner
ge macht. Das geht durchaus ins Geld. „Sonst würde ich vermutlich in einer größeren Wohnung sitzen“, schmunzelt sie. Nachdem Lisa ihren Magister gemacht hatte, absolvierte sie berufsbegleitend einen WU-Lehrgang in Marketing & Sales, seit 2015 arbeitet sie als Marketingmanagerin in einem internationalen Konzern. „Ich bin Vereinsmitglied, ein Sprung kostet 24 Euro. Aber selbst wenn ich als Studentin nur 24 Euro am Konto hatte und das Monat noch nicht zu Ende war, hab ich gesagt: Nimm es und lass mich springen“, lacht sie.
Bis auf eine ordentliche Steißbeinprellung bei einer unsanften Landung ist ihr noch „nichts Wildes“ passiert, wie sie sagt. Auch ihr Freundeskreis blieb bislang von schlimmen Unfällen verschont. „Wenn etwas passiert, dann zumeist weil sich die Leute überschätzen“, weiß sie. „Denn in Wahrheit ist Autofahren gefährlicher als Fallschirmspringen und trotzdem tun‘s alle.“
Als sie feststellte, dass es beim Wingsuiten noch weniger Frauen gibt, hat sie das erst recht angespornt. Nach 100 Wingsuitsprüngen investierte sie in eine Ausbildung zur Coachin, reiste dafür nach Belgien. „Bis heute habe ich sicher schon 25 bis 30 Männern das Wingsuiten beigebracht – und was mich besonders freut: auch einer Frau“, schildert sie.
Dabei verfolgt Lisa Buchner tatsächlich eine tiefgründige Mission. „Ich will möglichst viele Frauen ermutigen, es mit dem Fallschirmspringen zu versuchen. Ich finde es total schade, wenn sich Frauen, aber ebenso Männer etwas nicht zu machen trauen, nur weil es nicht klassischen Rollenbildern entspricht.“
Instagram: Chickenwings_at
SUPERWOMAN.
Lisa Buchner (in Blau-Orange) beim Wingsuiten
PREMIERE. 2020 nahm Lisa Buchner mit dem ersten reinen Frauenteam bei der Österreichischen Staatsmeisterschaft teil.
© Elisabeth Jeryczinski