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HILFE FÜR STERNENKINDELTERN
Gegen die Stille nach einer stillen Geburt
Wie gehen Sternenkindeltern weiter, wenn sie das Spital verlassen? Damit sie Orte zum Trauern und Fachleute für gute Gespräche finden, initiiert die Hospiz Bewegung Baden mehrere Projekte.
Text: Viktória Kery-Erdélyi Fotos: Christian Schörg, Vanessa Hartmann, Rainer Juriatti/mein-sternenkind.net, Der Kollektiv Verlag
Manche gehen mit einem Stein am Herzen durchs Leben. Nicht nur, weil sie etwas Schmerzliches erlebten, sondern auch weil sie sich nie öffnen konnten. Andrea
Hohl ist Obfrau der Hospiz Bewegung
Baden. Was die Menschen bewegt, erzählen sie häufig am Ende ihrer Leben. „Sternenkinder sind leider bis heute ein
Tabuthema. Immer wieder höre ich von älteren Frauen, die einen solchen Verlust ihr ganzes Leben schweigend mit sich tragen“, beschreibt sie. Gemeinsam mit der Pfarre St.
Stephan rief man nun ein schönes Projekt ins Leben: Am Stadtpfarrfriedhof von Baden soll eine Gedenkstätte für
Sternenkinder realisiert werden. „Es soll ein würdiger Ort mit einer Grabstätte werden, der auch künstlerisch gestaltet wird und wo Gedenkfeiern möglich sein sollen“, sagt Andrea Hohl. „Wenn Eltern ihr Baby verlieren, fallen sie in ein Loch“, weiß sie. Damit sie Fachleute mit viel Feingefühl auffangen können, will die Hospiz Bewegung Baden ein entsprechendes Netzwerk engmaschiger knüpfen; für den 21. Mai organisierte der Verein mit dem Titel „Kleine Seelen – großer Schmerz“ eine Fachtagung.
Hebammen, Ärztinnen und Ärzte, Pfarrerinnen und Pfarrer, Bestatterinnen und Bestatter sowie viele andere Berufsgruppen kommen mit Eltern in Berührung, die eine stille Geburt erleben; darauf gut vorbereitet zu sein, hilft beiden Seiten – dieses Thema rückt im ersten Teil in den Mittelpunkt der Vorträge und Gespräche (siehe Programm S. 78).
Das Ehepaar Vera und Rainer Juriatti gestaltet im Anschluss daran einen Workshop vorwiegend für Betroffene. Fünf Mal mussten die Juriattis schmerzlich Abschied von ihren
Sternenkinder sind bis heute leider ein Tabuthema. Manche tragen es ein Leben lang still mit sich.
Andrea Hohl, Obfrau Hospiz Bewegung Baden
Sternenkindern nehmen; das Paar engagiert sich seit Jahren, um das Vakuum der Ohnmacht und Sprachlosigkeit mit wertvollen Initiativen zu füllen.
In der Steiermark, wo das Paar lebt, gelang es ihnen landesweit eine Sternenkindbox-Aktion auszurollen; seit Kurzem wird diese auch in Vorarlberg verteilt. Jede Frau, die in einem Krankenhaus eine stille Geburt verkraften muss, erhält die Box. Es ist dies wie ein behutsam zusammengestelltes, tröstendes Erste-Hilfe-Paket für Eltern, das mit winzigen Erinnerungen für die Trauerarbeit gefüllt werden kann. Man findet darin etwa ein hübsches Kärtchen für den Fußabdruck, ein Duftöl, um als eine Art Ritual das Baby damit einzureiben und sich später an den Duft zu erinnern. Vera und Rainer Juriatti schrieben bislang drei bewegende Bücher zum Thema (siehe S. 78), eines liegt in der Box bei, ein anderes richtet sich auch speziell an Geschwisterkinder.
Sternenkindfotografie. Mit Pablo war Vera Juriatti bereits in der 25. Woche schwanger, als die Wehen einsetzten und sie ihn zur Welt bringen musste. „Er starb zur Welt“, schreibt Rainer Juriatti im Buch „Die Abwesenheit des Glücks“, das der Sternenkindbox beigelegt wird. Wie
Das Foto von ihrem Sternenkind hilft betroffenen Eltern sehr bei ihrer Trauerarbeit.
Vera und Rainer Juriatti, Sternenkindeltern und Sternenkindfotografierende
STILLE GEBURT. Die Füßchen können nie zu klein für den größten Schmerz sein. Das Bild stellte eine Familie zur Verfügung, die Rainer und Vera Juriatti mit ihrer Sternenkindfotografie beim Abschied von ihrem Baby unterstützten.
sehr er sie auch bat, der Schock war zu groß, sie wollte ihren Sohn nicht halten. Es gelingt ihm, ein Foto von Pablo zu machen. Als sie sich fängt und im Spital darum fragt, ihn doch sehen zu wollen, ist es zu spät. Das bedauert sie bis heute. Das Bild bleibt die einzige greifbare Erinnerung an den Sohn, den sie ein halbes Jahr unter ihrem Herzen trug.
Vera und Rainer Juriatti haben heute zwei erwachsene Kinder; ehrenamtlich verschrieben sie sich unter anderem auch der Sternenkindfotografie. Sie sind mit vielen Gleichgesinnten vernetzt und können auf Wunsch von jedem Spital und zu jeder Zeit gerufen werden. Wenn sie kommen, hat Vera winzige Hauben und Ponchos mit, Rainer hat spezielle Objektive und kleine Stative dabei. Dieses erste und letzte Bild soll besonders schön werden. Wenn es dann eines Tages vielleicht mitten im Wohnraum einer Familie stehen darf, wie bei den Juriattis, hilft das Foto auch Geschwisterkindern, die ihren kleinen Bruder oder Schwester zumeist gar nicht zu Gesicht bekommen, zu begreifen, was passiert ist. „Viele haben ganze falsche Vorstellungen vom Anblick. Babys sehen nach einer stillen Geburt aus, als würden sie schlafen“, sagt Vera Juriatti, selbst Kinderkrankenschwester. „Die Eltern sind dankbar, wenn wir kommen. Viele sagen danach: Ihr wart die Einzigen, die unser Baby wie einen Menschen behandelt haben“, ergänzt Rainer Juriatti.
Bei ihrem Workshop in Baden möchten sie vor allem betroffenen Eltern den Rücken stärken. Als Gesprächsgrundlage dient etwa ein „Sätze-Bullshit-Bingo“ mit überflüssigen Kommentaren aus dem Umfeld wie „das nächste Mal klappt‘s bestimmt“ oder „wer weiß, wofür es gut war“. Erwünscht ist stattdessen ehrliches Mitgefühl. „,Es tut mir leid, wie geht es dir?‘, ist das Beste, was man sagen kann“, findet Vera Juriatti. ständige Adressen von Expertinnen, die Betroffenen und Angehörigen Hilfestellung bieten können. Das reicht von Rückbildungskursen nach einer Schwangerschaft über Gruppenangebote und individuelle Begleitung für die Zeit nach dem Klinikaufenthalt bis hin zur Trauerarbeit mit Geschwisterkindern und Großeltern. Die beiden kontaktierten 700 Menschen bzw. Institutionen; nur jene, die über einen direkten Kontakt und eine entstprechende Expertise verfügen, wurden ins Verzeichnis aufgenommen. Es soll laufend aktualisiert und erweitert werden; Fachleute können sich auch
Interaktive Karte. Zuletzt arbeitete aktiv an das Paar wenden, um sich eindas Paar viele Monate hindurch – und tragen zu lassen. „Wir möchten gerne unterstützt durch das Campaigning Bu- eine möglichst perfekte Drehscheibe der reau – an einer interaktiven Österreich- Hilfestellung werden, um Sternenkindkarte: www.mein-sternenkind.net ging eltern eine angemessene und wichtige kürzlich online. Mithilfe dieses Tools Stütze zu bieten“, sagt Vera Juriatti. sollen Eltern von Sternenkindern aus www.mein-sternenkind.net ihrer Einsamkeit geholt werden. „Da sind keine Geschichten, die sie mit anderen teilen können. Zumeist bleibt das verstorbene Kind für Außenstehende FACHTAGUNG etwas Abstraktes. Nach den Tagen der stillen Geburt, der Entlassung aus dem „KLEINE SEELEN – Krankenhaus fallen sie oft in eine Zeit GROSSER SCHMERZ“ des Schweigens“, wissen die Juriattis.
Die Österreichkarte beinhaltet voll- Programm. Die von der Hospiz Bewegung Baden organisierte Tagung findet am 21. Mai von 9 bis 14 Uhr in Baden statt. Es beinhaltet die Vorträge „Und plötzlich ist alles anders“ (mit Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe Marcella Schamp), „Ich möchte dich noch kennenlernen“ über palliative Begleitung rund um die Uhr (mit Renate Hlauschek, MOKI Mobile Kinderkrankenpflege NÖ und Oberärztin für Kinder- und Jugendheilkunde Daniela Paulsen) und „Die stille Geburt zuhause“ (Hebamme Margarete Wana); diese richten sich an Berufsgruppen, die mit stillen Geburten konfrontiert sind. An Betroffene und Angehörige wenden sich Vera und Rainer Juriatti mit dem Workshop „Das erste und letzte Bild eines Kindes“.
KLEINE BÜCHER, GROSSE WIRKUNG.
Für Betroffene, Geschwisterkinder, Angehörige und Menschen, die es ehrlich mit dem Mitgefühl meinen: aus der Feder von Vera und Rainer Juriatti (Der Kollektiv Verlag) Info und Anmeldung: team@hospizbaden.at bzw. www.hospiz-baden.at. Der Reinerlös fließt in die Gestaltung der Sternenkinder-Gedenkstätte am Stadtpfarrfriedhof Baden.