Manuel Gegenhuber
Der Zollverein Kubus Sanaa Geht man mit offenen Augen durch die Welt, so entdeckt man jeden Tag neue Situationen und Räume. Jeder dieser Räume hat seinen individuellen Charakter. Doch gibt es Situationen die beim ersten Betreten ganz besonders sind. Und genau so ging es mir beim Erleben des Zollverein Kubus von Sanaa. An diesem Tag bekam die Bedeutung Raumerlebnis einen neuen Sinn für mich. Ich will zuerst meine sinnlichen Eindrücke in dieser Arbeit niederschreiben und mich danach auf sachliche und technische Details konzentrieren. An dieser Stelle will ich auch erwähnen, dass ich doch versuche auch einen kritischen Blick über die Nutzung und Wirtschaftlichkeit einfließen zu lassen.
Schreitet man zu Fuß in Richtung Zollverein Kubus, scheint es fast als würde man bei starkem Sonnenlicht nahezu geblendet werden. Die glatte Sichtbetonoberfläche reflektiert die Sonnenstrahlen vollkommen. Durch die starke Reflexion wirkt das Bauwerk wie ein perfekter weißer Würfel. Interessanterweise sei hier erwähnt, dass der Wettbewerbsbeitrag von Sanaa zunächst einen weißen Würfel vorsah, dessen Oberfläche an gewissen Punkten dichter und an manchen offener wirkt. Diesen Eindruck konnten sie obwohl das gebaute Objekt unterschiedlich ist, sinnlich dennoch vermitteln. Nachdem sich die Augen nun an die Reflexion gewohnt haben, wirft man einen genaueren Blick auf das Gebäude. Nun sieht man es doch in seiner puren Materialität den Sichtbeton.
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Legt man nun weitere Schritte zurück, scheint es als wäre der Kubus ganz leer und nur eine große Haut aus Beton. Die Fenster wurden in der Ausführung auch so gesetzt, dass der Betrachter zunächst nicht gleich die Trennung der Geschosse erahnen kann und zunächst einmal seiner Fantasie freien lauf lassen kann. Die Eingangstüre nimmt sich in seiner Ausformulierung sehr stark zurück. Es deutet lediglich ein schmaler Kiesweg darauf hin. Sobald man nun durch die Eingangstüre hinein kommt, merkt man gleich, dass es Zwischendecken gibt. Die erste Geschossdecke formt bereits einen sehr niedrigen Raum. Es wirkt im ersten Moment etwas erdrückend. Ansonsten wird der gesamte Raum lediglich von drei Stiegenhäusern gegliedert. Diese sind als Stahlbetonkerne ausgeführt und bilden gleichzeitig die tragende Konstruktion mit zwei weiteren Stützen im Raum. Als ergänzendes Element befindet sich auch ein Vortragssaal im Erdgeschoss. Dieser ist etwas tiefer gesetzt und wirkt durch seine Verglasung als wäre er fast nicht vorhanden. Zwei der Stiegenhäuser sind als Fluchtstiegen konzipiert. Ein Betonkern beinhaltet den Lift. Bei unserer Führung benutzten wir die Fluchtstiegen um in die anderen Geschosse zu gelangen. Und ich denke auch, dass mein räumliches Erlebnis niemals die Kraft gehabt hätte, hätten wir den Lift benutzt. Benutzt man die Stiegen in den nächsten Stock hinauf, herrscht ein Gefühl des gefangen seins. Es wirkt dunkel und erdrückend. Der Beton zeigt sich im Inneren ohne Licht und Reflexion als kühl und leer. Langsam schreiten wir alle in einer Gruppe die Steigen hinauf. Der Raum ist voller Besucher. Um das Stiegenhaus zu verlassen, öffnet man eine Tür. Langsam geht diese Tür auf und plötzlich steht man in einem 10 Meter hohen Raum. Das Licht strahlt wieder durch die großen Fenster herein. Der Raum erstrahlt in einem fast weißen Glanz. Es wirkt als wäre dieser unendlich groß. Das Licht fällt durch die perfekt verteilten Fenster in den Raum hinein. Ein Erlebnis das man nicht beschreiben kann. Durch die Verteilung der Fenster ermöglichen sich die verschiedensten Blicke in die Landschaft. Der Raum wirkt offen und gleichzeitig doch geschlossen. An manchen Stellen wird die Mauer dichter, an manchen löst sie sich in die umherliegende Umgebung auf. Es scheint als würde er an manchen Stellen direkt mit der Landschaft ineinander fließen. Vergleicht man hier wieder die erste Fassade des Wettbewerbs mit der Ausformulierung, so hat es Sanaa geschafft den abstrakten ersten Vorschlag in gebaute Realität zu verwandeln. Auch im inneren reflektiert der Sichtbeton die Sonnenstrahlen und lässt eine sakrale Stimmung entstehen. Dieser Effekt wird nochmals verstärkt durch die innen bündig liegenden Fenster. Der Rahmen wird zu einem Teil der Wand und das Glas formt mit der Umgebung den Außenraum. Der leicht farblich differenzierte Rahmen der Fenster wirkt jedoch gleichzeitig als Einfassung für die Landschaft. Der Kontrast zwischen eng und weit, offen und geschlossen wurde mir hier zum ersten Mal in einer neuen Form präsentiert. Der extreme Unterschied zwischen dem total verschlossenen
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Stiegenhaus und dem offenen und hohen ersten Stockwerk ist überwältigend und in dieser Form räumlich perfekt gelungen.
Vor allem auch durch die Wahl ähnlicher Materialien wirkt der Baukörper sehr monolithisch. Diesen Effekt spürt man im Innenraum wenn der helle Estrich das Licht auf die Sichtbetonwände wirft. Doch zur Perfektion wird es beim Detail der Fensterbänke gebracht. Der Beton stülpt von der Fassade über und wird zur Fensterbank. Die Fläche ist leicht in Neigung versetzt, um das Regenwasser in ein kleines Loch fließen zu lassen. Die Perfektion zeigt sich auch bei der Ausformulierung der Dachhaut weiter. Der Dachgarten wird mit einer dünnen Sichtbetondecke überspannt. Sie ist lediglich von drei Löchern durchbrochen. Die Fassade wirkt wie eine dünne Haut, die das gesamte Gebäude zusammenhält. Zwei weitere Geschosse folgen darüber noch. Der zweite Stock wurde auch ursprünglich als Atelierfläche verwendet mit kleinen weißen Kuben, welche als Seminarräumlichkeiten dienen sollten. Im dritten Stock befindet sich die Verwaltung. Der 4. Stock ist hingegen eine riesige Dachterrasse, welche wie bereits beschrieben mit einer Sichtbetondecke teilweise überspannt ist. Durch die offene Dachterrasse fällt das Licht in die Atrien des Verwaltungsgeschosses und stellt somit auch wieder einen räumlichen Bezug her. Interessant ist vor allem auch der sachliche Hintergrund dieser Architektur und des Ortes an dem sie errichtet wurde.
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Noch 1989 stand die Zeche Zollverein kurz vor dem Abriss. Ein geschichtsträchtiger Ort sollte weichen um neue Arbeitsplätze zu ermöglichen. Doch es kam anders. In genau diesem Jahr setzte die IBA die Erhaltung der Anlage durch. Es war zu Beginn nicht ganz einfach. Doch nun nach 30 Jahren wird das Areal als großartige Errungenschaft bezeichnet und von der Bevölkerung geliebt und Wert geschätzt. Schließlich wurde 2001 von der Kommune beschlossen die Zeche Zollverein zu einem Designstandort um zu nutzen. Anschließend entwickelte Rem Koolhaas mit seinem Büro OMA einen Masterplan für den Standort. In dem Konzept war die Idee dreier Attraktionen, welche den Standort beleben sollten. Diese sollten eine Designschule, ein Museum und ein Kongresszentrum sein.1 In einem Wettbewerb im Jahr 2002 ging als Planer der Designschule das japanische Architekturbüro Sanaa hervor. Für die ursprüngliche Nutzung wollte man ein innovatives Hochschulkonzept testen.
Der Name des Büros Sanaa ergibt sich aus der Zusammensetzung von Sejima And Nishizawa And Associate. Sanaa ist ein japanisches Architekturbüro mit Hauptsitz in Tokio. Das Büro wurde 2010 für seine Tätigkeiten mit dem Pritzkerpreis ausgezeichnet. Die Architektur von Sanaa ist sehr zurückhaltende und hat ihren Ursprung in der japanischen Kultur. Materialien bleiben meist unbehandelt und bei der Auswahl einer Farbe ist es stets weiß. Sejima beschrieb ihren Baustil: „Wir 1
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konzentrieren uns auf die Essenz, das ist das Wichtigste für uns, und die Essenz eines Raumes ist nun mal weiß. Noch reduzierter geht es nicht, dann wäre unsere Architektur wahrscheinlich durchsichtig und unsichtbar“.2 Zu den bekanntesten Architekturen des Büros zählen unter anderem das Rolex Learning Center, Das New Art Museum in New York City, als auch der Serpentine Gallery Pavillon und natürlich der Zeche Zollverein Kubus. Der sogenannte Zollverein Kubus wurde 2006 in Essen fertig gestellt. Die Ausführung übernahm der Essener Architekt Heinrich Böll. Die gesamten Errichtungskosten betrugen 23 Millionen Euro. Ich kann mich noch gut an unsere Führung durch das Gebäude erinnern. Zum Thema der Ausführungsplanung hieß es, dass Firmen speziell geschult wurden um die Sichtbetonoberflächen perfekt zu gießen. Doch leider mussten wir alle feststellen, dass die Qualität der Schalung nicht an die Perfektion von Tadao Ando heran kam. Wir hatten uns einen Tag zuvor den Bau der Raketenstation In Hombroich von Tadao Ando angesehen, daher war uns dies speziell aufgefallen. Ein kurzer Einblick in den Städtebau. Der Baukörper steht am Eingang der Hauptzufahrt zum Weltkulturerbe Zeche Zollverein. Um das Gebäude errichten zu können, wurde ein vor dem ersten Weltkrieg entstandenes Eisenbahndepot weggerissen. Der Masterplan von Rem Koolhaas sah an dieser Stelle einen städtischen Anziehungspunkt vor. Der Kubus hat eine Größe von 35 Metern und steht somit in einem starken Kontrast zur bestehenden nachbarschaftlichen Struktur. Diese besteht aus eingeschossigen Wohngebäuden mit einem Satteldach. Doch bei genauerer Betrachtung merkt man, dass Sanaa hingegen schon einen Bezug zu der Kubatur der Kohlenwäsche herstellen wollte. Sanaa spricht von einer „abstrakten Masse“ welche einen Übergang zwischen den zwei unterschiedlichen Bebauungsstruktur herstellen will.3 Die private Hochschule, welche das Gebäude besiedeln sollte, wurde jedoch wieder geschlossen. Sie konnte niemals ausreichend Studierende gewinnen und war auch zu keinen Zeitpunkt finanziell positiv.4 Doch ab dem Jahr 2017 besiedelte die Folkwang Universität der Künste das Gebäude und injizierte so die Entwicklung einer Designstadt in diesem gebiet. Gemeinsam mit einem zweiten Bau bildet sie das „Quartier Nord“.5 In der Übergangszeit zwischen 2010 und 2017 wurde der Kubus vor allem für Veranstaltungen und Events verwendet und vermietet. Das Bauwerk wirkt für sein Raumprogramm sehr groß. Vor allem der 10 Meter hohe Innenraum, als auch die sehr hohe Dachterrasse im fünften Stock formen die Dimension dieser Masse. 2
http://derstandard.at/1269448451496/Pritzker-Preis-Auszeichnung-fuer-fast-unsichtbares-Bauen https://www.nextroom.at/article.php?id=25016 4 https://www.waz.de/waz-info/design-schule-auf-zollverein-gilt-als-gescheitert-id905408.html 5 https://www.nrz.de/staedte/essen/folkwang-studenten-beziehen-zukunftsort-auf-zollverein-id212362239.html 3
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Eine Besonderheit des Gebäudes ist eine aktive Wärmedämmung. In die nur 25 cm dicken Außenwände ist ein 3000 Meter langes Schlausystem einbetoniert. Hier wird 28 Grad warmes Wasser aus dem stillgelegten Zechenschächten in die Fassade gepumpt. Es dient nicht nur um das Gebäude zu heizen, sondern auch um für eine aktive Wärmedämmung zu sorgen. Es wurde eine monolithische Konstruktionsweise genommen um auch einen historischen Bezug zu den Bauten am Gelände her zu stellen, welche alle nach dem Prinzip der Einschalligkeit errichtet wurden. Durch die Renaturierung des Flusses Emscher 2015 wurde bekannt, dass ab 2020 keine Möglichkeit mehr besteht warmes Grubenwasser zur Beheizung des Gebäudes zu verwenden. 6 Interessant ist auch die Gestaltung der Fassade. Im ursprünglichen Entwurf für den damaligen Wettbewerb wurde eine sehr feingliedrige Fassade vorgeschlagen. Die ursprüngliche Fassade hätte eine gesamte Anzahl von 3500 Fenster gehabt. Doch aufgrund von Lichtsimulationen, als auch unter Konstruktiven Aspekten wurde die Fassade abgeändert. Sie besteht nun aus nur vier verschiedenen Fenstergrößen. Ein weiterer zu beachtender Punkt war die konstruktive Logik des Gebäudes. Denn so tragen die 50 cm hohen Stahlbetondecken nicht nur über drei Stiegenhäusern, sondern auch über zwei im Raumverteilte Stützen und die Außenwände ab. Aufgrund dieser Studien wurden die Fenster platziert. Im Nachhinein wurden nur mehr kleine Änderungen vorgenommen um bessere Ausblicke zu ermöglichen. Diese verschiedensten Fenstersetzungen ermöglicht eine große Vielzahl von unterschiedlichen Impressionen. Die Umgebung wird gerahmt und es wäre fast möglich die Studierenden hätten Landschaftsbilder gemalt und sie in einem leeren Raum unterschiedlich verteilt.7 Doch ist nicht nur durch die interessante Fenstersetzung der Bezug zur Umwelt perfekt inszeniert, so scheint auch das Licht welches durch die Fenster in den Raum fällt ein perfektes Spiel von Licht und Schatten wieder zu geben. Welches durch den Lauf der Tageszeit seine Form verändert und für die darin Studierenden zu immer neuen Inspirationen führen kann. Das gesamte Gebäude beherbergt eine Fläche von 5700m2. Diese sind auf insgesamt 5 Geschosse verteilt. Pläne für eine Cafeteria und ein Empfangstressen wurden niemals realisiert. Im ersten Stock befindet sich ein sogenannter Multifunktionsraum. Er gilt als Herzstück des Gebäudes und besitzt eine Raumhöhe von 10 Metern. Im Boden sind überall Anschlüsse für Strom und Internet vorhanden. Man wollte in diesem Raum alles ermöglichen. Das zweite Obergeschoss sollte für die Studenten sein. In diesem Geschoss gibt es durch verschiedenste weiße Kuben eine weitere Unterteilung. Diese Kuben werden von den Studenten als 6 7
https://www.nrz.de/staedte/essen/wasserhaltung-2020-ist-auf-zollverein-schicht-im-schacht-id11271410.html https://de.wikipedia.org/wiki/SANAA-Gebäude
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Seminarräume genutzt. Im dritten Obergeschoß befinden sich die vollverglasten Büro und Verwaltungsräumlichkeiten. Diese können entweder durch einen umlaufenden Gang oder durch quadratische Innenhöfe erschlossen werden. 8 Der Dachgarten im 5. Geschoss war ursprünglich für die Öffentlichkeit geplant gewesen, wurde jedoch wegen rechtlichen Schwierigkeiten schlussendlich wieder verworfen.
Das Bauwerk wurde mit mehreren Architekturpreisen ausgezeichnet. Unter anderem mit dem deutschen Architekturpreis Nike. Die BDA-Jury urteilte: „Souveräne Zurückhaltung und Selbstbewusstsein lassen das Bauwerk in eine ebenso angemessene wie spannungsreiche Wechselwirkung mit dem Welterbe-Ensemble der Nachbarschaft treten.9 Nachdem ich damals durch das Gebäude geschritten bin, war klar, dass ich mich in naher Zukunft einmal tiefer mit dieser Architektur auseinander setzten will. Mein räumliches Erlebnis in diesem Bauwerk war für mich auch ein Grund in meinem architektonischem Entwerfen mich tiefer mit der Wirkung zwischen eng und geschlossen auseinander zu setzten. Und nach meiner Reflexion über das Gebäude, so muss ich auch noch zugeben, dass Sanaa noch viel mehr architektonische Tiefe in diesem Gebäude verwirklicht hat. Ein Ort, den man als Architekturstudent besucht haben muss.
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https://de.wikipedia.org/wiki/SANAA-Gebäude http://www.faz.net/suche/?query=bautistisch
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