Hin zur eigenen Kraft Wie wir unsere Resilienz stärken Der Begriff »Resilienz« ist nicht zuletzt seit der Covid-19-Krise in aller Munde und in vielen Bereichen strapaziert worden. Mag. Dr. Melanie Robertson – Klinische, Neuro- und Gesundheitspsychologin – und Mag. Thomas Blasbichler – Klinischer und Gesundheitspsychologe im Park Igls – haben sich mit dem Thema im Detail auseinandergesetzt und gemeinsam mit den Ärzten ein eigenes Programm entwickelt, das die »psychische Widerstandskraft« stärkt – nicht nur bei Pandemien, sondern auch in ganz persönlichen Krisen. Ganz so neu ist die Beschäftigung mit dem Thema gar nicht. Bereits 2017 ist ein Buch des Neurowissenschaftlers Raffael Kalisch erschienen: »Der resiliente Mensch. Wie wir Krisen erleben und bewältigen«. Er beschreibt darin unter anderem, dass man Resilienz lernen kann. Nach ihrer Einschätzung gefragt, was von »erlernbarer Resilienz« zu halten sei, bestätigt Dr. Melanie Robertson, der Mensch komme nicht resilient zur Welt, sondern Resilienz sei erlernbar und ein stetiger Entwicklungsprozess. Dies unterstreicht auch Mag. Blasbichler, der Resilienz als ein Zusammenspiel von vielen Faktoren sieht: Der Grundstein werde im Kindesalter gelegt und durch Erfahrungen und Lernprozesse im späteren Leben beeinflusst. Resilienz ist also eine Summe von Fähigkeiten, Einstellungen und Verhaltensweisen, die wir sowohl durch Genetik als auch durch Erfahrungen erworben haben. »Auch wenn die genetischen Ausgangsvoraussetzungen bei jedem Menschen unterschiedlich sind, kann durchaus davon ausgegangen werden, dass Resilienz erlernbar ist.« WIE RESILIENT IST DER MENSCH Dem Hirnforscher Kalisch zufolge gibt es bislang nur Hypothesen, warum manche Menschen resilienter sind als andere. Es sei aber, so Blasbichler, eine Frage des Bewertungsstils. Und dieser sei veränderbar, denn dabei gehe es um die Überzeugung eines
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Menschen, schwierige Situationen meistern zu können. Umfassende Forschungsergebnisse konnten sieben Resilienzfaktoren definieren: Akzeptanz, Optimismus, Lösungsorientierung, Emotionssteue rung, Selbstwirksamkeit, Eigenverantwortung und Netzwerkorientierung. Wie stuft man nun aber den Grad der psychischen Widerstandskraft eines Menschen ein? Lässt sich Resilienz messen? Obwohl das Bedürfnis nach einer Skala, auf der die eigene Resilienz eingeschätzt werden kann, nachvollziehbar ist, lässt sich Resilienz aber nicht allgemein wissenschaftlich beurteilen. Es handelt sich um ein komplexes Zusammenspiel von ganz unterschiedlichen – die individuelle Entwicklung und Persönlichkeit betreffenden – Komponenten. Dr. Robertson misst diesbezüglich den Ressourcen eines Menschen große Bedeutung bei, sieht also eine starke Kraft in jenen Säulen im Leben jedes Einzelnen, die Stabilität geben. Häufig sind das soziale Kontakte, die Familie, der Beruf oder Hobbys. Ihrer Ansicht nach investieren resiliente Menschen oft unbewusst in diese Säulen bzw. Ressourcen. Sie scheuen nicht vor einer Entwicklung zurück und bauen sich schnell ein Unterstützungssystem auf, wenn die Notwendigkeit gegeben ist. DER BLICK NACH VORNE Immer wieder erstaunlich findet Dr. Robertson, dass es Menschen gibt – und jeder kennt vermutlich selbst einen –, denen ein Schicksalsschlag nach dem anderen widerfährt und denen trotzdem Lebensmut und Freude am Leben nicht vergehen. Auch diese Menschen durchleben natürlich bessere und schlechtere Tage, aber der grundsätzliche Tenor sei der nach vorne gerichtete Blick, ohne dabei das Erlebte zu vergessen. Diesen Menschen gelingt es, trotz Belastungen wieder zu Lebensqualität und Wohlbefinden zurückzufinden. Sie sind nicht weniger verwundbar als andere oder leisten weniger – es geht darum,