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Das Therapeut-Patienten-Verhältnis im digitalen Zeitalter
Der informierte Patient
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Digitalisierung findet mittlerweile in vielen Bereichen des Alltags statt und ist manchmal Fluch, aber auch durchaus Segen. So in der Therapie, wo immer mehr Patienten mit ungefilterten Informationen in die Praxis kommen. Wie hat sich vor diesem Hintergrund der Patient entwickelt und was bedeutet dies für den Praxisalltag?
Früher war das Verhältnis zwischen Patienten und Therapeuten klar definiert. Im Rahmen einer feststehenden Diagnose zu einem manifesten Beschwerdebild wurden therapeutische Maßnahmen verordnet, die in der anschließenden Umsetzung nicht hinterfragt wurden. Das medizinische und therapeutische Wissensmonopol lag eindeutig auf der Seite des Leistungserbringers.
Heutzutage können wir uns aufgrund des Internets grenzenlos Informationen beschaffen. Hinzu kommt die Möglichkeit des thematischen Austauschs in sozialen Netzwerken, wie Facebook, WhatsApp, Instagram oder Tiktok. Damit hat sich der Therapieprozess und damit auch das Verhältnis zwischen Patienten und Therapeuten grundlegend verändert. Der Patient hat sich emanzipiert. Diagnosen werden von souveränen Patienten hinterfragt und oft geht es nur noch darum, laienhafte Selbstdiagnosen bestätigt zu sehen, die zu Hause über das Internet recherchiert wurde.
Kommunikation auf Augenhöhe?
Dies hat zur Folge, dass sich eine Kommunikation auf vermeintlicher Augenhöhe zwischen Therapeut und Patient entwickelt. Der medizinische Leistungserbringer wird mehr und mehr als Dienstleister wahrgenommen, der aufgrund befriedigter Bedürfnisse noch während der Therapie oder spätestens danach auf entsprechenden Portalen bewertet wird.
Wie wichtig vor diesem Hintergrund für den Patienten dabei die Nutzung digitaler Medien in Form von Wearables ist, zeigte bereits eine Studie aus den USA von 2016. In dieser Studie gaben mehr als 75 Prozent der Befragten an, Wearables für die eigene Gesundheit einzusetzen und auch zu nutzen.
Dieses sich im Wandel begriffene Kommunikationsverhalten verändert konsequenterweise auch das Verhältnis zwischen Patienten und Therapeuten. Die Kommunikation nimmt Formen einer zeitlich begrenzten Partnerschaft auf Augenhöhe an. Dieser Status kann sich im Praxisalltag positiv wie negativ auswirken. Apps und Wearables – Segen oder Fluch?
Während sich Patienten durch die digitalen Medien, die in jedem Haushalt zur Verfügung stehen, vielfältig informieren und aufklären lassen können, wächst auf der anderen Seite eine „Googlechondrie“ , eine hypochondrische Sicht und eine Ängstlichkeit vor Krankheitsgefahren, die manchmal nur auf Sensationslust beruhen und im keinem Verhältnis zur Realität stehen.
Die Eigeninitiative mancher Patienten, Gesundheitsapps und Wearables im Alltag zu nutzen und auch zurate zu ziehen, äußerst sich in der gesteigerten Selbstverantwortung hinsichtlich Gesundheitsfragen. Gleichzeitig können aber Falschalarme Laien verunsichern und verängstigen. Das führt im Fall zu zusätzlichen medizinischen Abklärungen und Untersuchungen, zu Überdiagnosen und Überbehandlungen, was wiederum die Kosten im Gesundheitswesen ansteigen lässt.
Doch grundsätzlich dient die Digitalisierung dazu, die Kostenexplosion zu minimieren. Die Patientensicherheit steigt, Apps und Wearables können den Gesundheitszustand von Patienten im Auge behalten, was kein Mediziner oder Therapeut leisten kann.
Bezüglich der Sicherheit ist auf der anderen Seite der Datenschutz ein wichtiger Aspekt, der bei der Nutzung von Apps und Wearables nicht außer Acht gelassen werden sollte.
Ein Faktor, der oftmals unterschätzt wird, ist jedoch auch die Tatsache, dass nicht alle Bevölkerungsschichten im gleichen Maß von Apps, Wearables profitieren, da sie oft kostspielig sind.
Abb. 1: Bedeutung von Wearables für die eigene Gesundheit (Quelle:ConsumerSurveyonPatientEngagement, 2016)
i o u d s t a 2 r M o l i a F o t
Performance statt Anordnung
Insbesondere im Umgang mit den eigengewonnenen Informationen des Patienten kommt dem Therapeuten nun eine neue wichtige Rolle zu. Denn bei aller Internetrecherche und Ansammlung von Wissen geht es im zweiten Schritt um die fachkompetente Interpretation von Daten und daraus resultierende Handlungsempfehlungen für die Therapie oder Prävention.
So kann aus Blutdruckwerten eine entsprechende Medikation abgeleitet werden oder aus den durchschnittlich gemachten Schritten die Empfehlung folgen, sich mehr zu bewegen. Hier wird der Therapeut zukünftig mehr Zeit in Patientengespräche investieren müssen. Die Kommunikation wird sicherlich, da sie nicht mehr topdown erfolgt, sondern auf eine Einsicht des Patienten zielt, länger und
intensiver sein. Der Therapeut hat mehr zu überzeugen und zu erklären denn anzuordnen, den Patienten mehr in seiner therapeutischen Entscheidung mit einzubeziehen. Das wird nachhaltig auch das Rollenverständnis des Physiotherapeuten verändern.
Wie unterschiedlich Menschen kommunikativ zu erreichen sind, hängt auch von ihrer Persönlichkeit ab. Dieser Fakt ist für Therapeuten wichtig, denn um Patienten zu bewegen, ihre therapeutische Behandlung erfolgreich umzusetzen, spielt die richtige Ansprache eine wesentliche Rolle.
Grundsätzlich ist zwischen vier Typen zu unterscheiden, die anhand von ein bis zwei Charakterzügen zu identifizieren sind (siehe Abb. 2). ››› Zielfokussiert ››› Variationsorientiert ››› Emotionszentriert ››› Prozessfixiert Umsetzung in der Praxis
Vor dem Hintergrund dieser neuen Ausgangsbasis hat sich im Laufe der letzten Jahre auch das Verhältnis zwischen Therapeuten und Patienten grundlegend verändert.
So hinterfragen Patienten viel eher mal therapeutische Maßnahmen. Sie erwarten transparente Entscheidungen, um sie zu verstehen und nachvollziehen zu können, was den Aufklärungs- und Beratungsaufwand seitens des Therapeuten nicht nur inhaltlich, sondern auch zeitlich erhöht.
Zudem sehen sich viele mittlerweile eher als Kunden der Therapieeinrichtung, wodurch eine gesteigerte Erwartungshaltung gegenüber dem Leistungserbringer besteht. Interessanterweise ist dabei häufig gar nicht die therapeutische Intervention an sich für den Patienten entscheidend. Vielmehr machen Rahmenbedingungen wie Wartezeiten oder der Flatscreen im Wartebereich den Unterschied aus.
Darüber hinaus ist mit der zunehmenden Souveränität der Patienten ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein zu beobachten, was dazu führt, dass immer mehr an privaten Zusatzleistungen auf Selbstzahlerbasis interessiert sind und somit dann auch tatsächlich zum Kunden werden.
Eine Vernetzung des 1. mit dem 2. Gesundheitsmarkt muss dabei die strategische Konsequenz einer jeden Einrichtung sein.
Christian Kunert
››› Die unterschiedlichen Persönlichkeitsdominaten
In der Kommunikation geht es darum, dass der Therapeut einfach auf die folgenden Fragen des Patienten typentsprechend eingeht: Zielfokussiert: Was
Patientenfrage: Was erreiche ich damit?
Therapeut: Balanceübungen kräftigen die tiefen Rumpfmuskeln zur Stabilisierung der Wirbelsäule. Prozessfixiert: Wie
Patientenfrage: Wie geht es richtig? Therapeut: Bitte die nächste Übung in drei Durchgängen zu 20 Wiederholungen im eigenen Tempo durchführen. Emotionszentriert: Wie
Patientenfrage: Wie fühle ich mich dabei? Therapeut: Fühle doch bei der nächsten Übung einmal in dich hinein, wo du die Muskelspannung spürst und wie sich das anfühlt.
Variationsorientiert: Welche Patientenfrage: Welche Möglichkeiten habe ich noch? Therapeut: OK, aus den nachfolgenden fünf Übungen zur Kräftigung der Oberschenkel wähle bitte drei aus.
Autor Sportwissenschaftler Christian Kunert gilt als Experte des 2. Gesundheitsmarktes, der sich seit Jahren der Schnittmenge von Fitness, Prävention und Physiotherapie zuwendet. Er unterrichtet unter anderem an der IST Hochschule in den Bereichen Gesundheitsmanagement und Prävention. E-Mail: christian@kunertgesundheit.de
Variantionsorientiert > Braucht Abwechslung > Möchte mitentscheiden > Sucht flexible Handlungsmöglichkeiten
Zielfokussiert > Braucht Ergebnisse > Setzt sich Ziele > Orientiert sich am
Soll-Ist-Vergleich
Emotionssorientiert > Wohlbefinden wichtig > Soziale Kontakte > Braucht Kommunikation
Prozessfixiert > Gewohnheit gibt Sicherheit > Orientiert sich an exakten
Vorgaben > Braucht Wissenstransfer
Abb. 2: Patienten-Persönlichkeitsstrukturen