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«In Liechtenstein wäre deutlich mehr machbar»
Die 29-jährige Schellenbergerin Julia Hassler hat als Schwimmerin jahrelang von sich reden gemacht und Liechtensteins Farben in der ganzen Welt grossartig vertreten. Nach dem Ende ihrer Karriere blickt sie gern auf ihre Erfahrungen zurück, aber mit sehr gemischten Gefühlen auf die Sportförderung. In einer wenig lukrativen Disziplin international Karriere zu machen und gleichzeitig für die Zukunft vorzusorgen, ist für sie in Liechtenstein ein Ding der Unmöglichkeit.
Interview: Johannes Kaiser · Fotos: MB | ZVG
Du hast deine erfolgreiche und lange Karriere als Schwimmerin kürzlich beendet. Was machst du derzeit? Julia Hassler: Ich absolviere ein Graduate Programm bei der VP Bank in Triesen im HR-Bereich und arbeite dort 70 Prozent. Nebenbei mache ich eine Weiterbildung in Sportpsy-chologie an der Universität Bern.
Du warst und bist die beste Liechtensteiner Schwimmerin aller Zeiten. Welches waren deine schönsten Erfolge und welche deine grössten? Es gab sicherlich viele. Alle drei Olympischen Spiele waren immer etwas Besonderes, natürlich auch meine Bronzemedaille an den Europameisterschaften und meine Finalteilnahme an den Weltmeisterschaften.
Werden Leistungs- und Spitzensportler in unserem Land ausreichend gefördert? Du hast deinen Trainingsort – um sportlich ans internationale Niveau zu kommen – im Alter von 22 Jahren nach Heidelberg verlegt. Warum hast du diesen Schritt getan? In Liechtenstein ist sicher ein riesiger Vorteil, dass man schneller bzw. schon auf einem niedrigeren Niveau stark gefördert wird als in anderen Ländern. Das ist auch eine Chance, die meiner Meinung zu wenige Sportlerinnen und Sportler zu schätzen wissen bzw. als zu selbstverständlich ansehen. Ich hätte dennoch von der neuen Sportförderung, wie sie vor einigen Jahren implementiert worden ist, deutlich mehr erwartet. Mir wurde damals gesagt, dass die Spitze stärker gefördert wird, aber für mich gab es im Vergleich zur alten Förderung eher weniger. Auf meinem Niveau hätte ich in den Nachbarländern definitiv mehr bekommen. Besonders was das Budget für internationale Wettkämpfe, Ausrüstungen etc. angeht. Ich verdiene mit meinem jetzigen Job fast das Drei- oder sogar Vierfache von dem, was durch die Sportförderung abgedeckt wurde. Natürlich hatte ich nebenbei noch einige Sponsoren, die mir das Ganze auf diesem Niveau überhaupt ermöglicht haben, aber das deckt bei weitem nicht das Gehalt eines normalen Jobs. Ab einem gewissen Alter stellt sich dann auch die Frage, ob sich das überhaupt noch lohnt, wenn man in Zukunft irgendwann einmal Berufserfahrung sammeln sollte oder auch noch familiäre Pläne hat. Dass es sich finanziell in Liechtenstein als Spitzensportler in einer nicht lukrativen Sportart nicht lohnt bzw. auszahlt, war am Ende sicher auch einer von vielen Gründen, warum ich zurückgetreten bin.
Der Wechsel nach Heidelberg hatte ebenfalls mehrere Gründe. In der Schweiz war ich schon lange nicht mehr zufrieden, aber habe mich zunächst nicht zu wechseln getraut. Ich wollte jedoch mit einem Team trainieren, insbesondere Frauen, das ein höheres Niveau hat als ich. Das Umfeld in Heidelberg war auch viel professioneller als zu meiner Zeit in der Schweiz. Die Trainingslager und ganzen Vorbereitungen wurden nicht an
Johannes Kaiser im Gespräch mit der Allzeit-besten liechtensteinischen Schwimm-Ikone Julia Hassler aus Schellenberg.
die Schulferien angepasst, sondern an die Hauptwettkämpfe. Am Olympiastützpunkt waren neben den Sportstätten für das Schwimm- und Krafttraining auch Ärzte, Physiotherapeuten, Laufbahnberater, Sportpsychologen und so weiter. Alle waren in einem Gebäude untergebracht. Dadurch war sportlich immer alles an einem Ort, was natürlich ein grosser Vorteil ist.
Welche Voraussetzungen und Bedingungen müssten sich in unserem Land für die optimale Förderung des Spitzensports verbessern? Finanziell muss meiner Meinung nach gezielter gefördert werden. In einem so kleinen Land wäre deutlich mehr machbar. Die Frage beantwortet sich ja schon fast von selbst, dass bereits vier von fünf Teilnehmern der vergangenen Sommerolympiade zurückgetreten sind. Ich musste ständig Gespräche führen und dafür kämpfen, dass alle meine sportlichen Kosten vom Verband und vom LOC gedeckt werden, und am Ende wurde trotzdem nicht alles übernommen. Kosten, die zu Lasten der Sportler gehen, sind auch ein grosses Thema in anderen Sportarten und sicher ein grosser Faktor bei den Rücktritten. Kooperationen mit Trainingszentren bzw. Stützpunkten im Ausland müssten ebenso gefördert werden. Mein Trainingsbeitrag, damit ich in Deutschland am Olympiastützpunkt trainieren durfte, ging jedoch von meinem monatlichen Betrag der Sportförderung weg.
Wie werden Sporttalente in anderen Ländern gefördert, gecoacht und an die Spitze geführt? Die meisten Spitzensportler trainieren dort in Sportzentren und sind vom jeweiligen Militär angestellt. Sie haben in den Ländern in aller Regel viel mehr Möglichkeiten, werden rundum betreut, alles wird für sie organisiert und bezahlt. Auch was das Schulische angeht, werden die Unterrichtszeiten schon früh an die Trainingszeiten angepasst. Ich habe meistens alles selbst organisiert und meine Eltern haben, bis ich 16 Jahre alt war, auch alle Kosten komplett übernommen, weil es damals noch keine Förderung gab oder ich die Kriterien für eine solche Förderung nicht erfüllt habe. Dies hat sich jetzt sicher ein bisschen geändert, aber, wie schon gesagt, denke ich, dass viele die Chance dann nicht nutzen oder es nicht schätzen.
Wie hast du den Spitzensport und die Ausbildung bzw. ein Studium miteinander vereinbart?
Olympiade in Tokio 2021
Mit sehr viel Disziplin und Selbstorganisation. Es war nicht einfach, beides miteinander zu vereinbaren, aber dadurch, dass man vom Schwimmsport nicht Leben kann, war es für mich immer wichtig, dass ich etwas habe, wenn ich mit dem Schwimmen aufhöre. Ansonsten würde ich jetzt mit 29 Jahren mit der Matura dastehen und müsste nochmals fünf Jahre Studium hinter mich bringen. In Sachen Karriereübergang oder Nachsportkarriere stehen wir in Liechtenstein auch am Anfang und haben noch ganz viel Nachholbedarf.
Was hat dir deine lange Karriere als Spitzensportlerin fürs Leben gegeben? Sehr viel: Durchhaltevermögen, Disziplin, Umgang mit Niederlagen und Erfolg, Zielstrebigkeit, Belastbarkeit und Teamgeist sind nur einige Dinge, die mir der Sport gegeben hat. Dazu kommen noch unzählige Freundschaften auf der ganzen Welt und Erinnerungen, die mir keiner mehr nehmen kann.
Was kannst du der Politik aus deiner Lebenserfahrung im Sport mitgeben? Ich denke, in so einem kleinen Land ist es wichtig, dass man zusammenarbeitet und nicht gegeneinander. Natürlich sind sich nicht immer alle einig, aber letztlich wollen alle das Beste für Liechtenstein. Auch wenn man grössere Länder anschaut, ist es ein riesiges Privileg, hier zu wohnen und sich – im Vergleich zu anderen Ländern – mit sehr kleinen Problemen beschäftigen zu müssen. Viele Dinge sollten wir auch als Chance betrachten.
Welches sind aus deiner Sicht die wirklich wichtigsten geo- und gesellschaftspolitischen Themen? Wo erwartest du mehr Mut von den Volkvertreterinnen und -vertretern? Die letzten zwei Jahre war es sicherlich Corona, und im Vergleich zu Deutschland muss ich sagen, dass die Einschränkungen in Liechtenstein immer sehr moderat waren. Solche Entscheidungen zu treffen, ist natürlich immer sehr schwierig – und von aussen zu kritisieren, ist immer einfach. Das habe ich auch im Sport erlebt. Jeder wusste alles immer besser, aber wenige Leute kannten die genauen Hintergründe für Misserfolge oder ähnliches. Momentan steht natürlich auch der Krieg in der Ukraine im Fokus. Ich denke, allgemein ist es am wichtigsten, dass die Leute zufrieden sind mit dem was sie haben und es mehr schätzen. Dann würde es sicher auch einige Probleme weniger geben.