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03/2022
«In Liechtenstein wäre deutlich mehr machbar» Die 29-jährige Schellenbergerin Julia Hassler hat als Schwimmerin jahrelang von sich reden gemacht und Liechtensteins Farben in der ganzen Welt grossartig vertreten. Nach dem Ende ihrer Karriere blickt sie gern auf ihre Erfahrungen zurück, aber mit sehr gemischten Gefühlen auf die Sportförderung. In einer wenig lukrativen Disziplin international Karriere zu machen und gleichzeitig für die Zukunft vorzusorgen, ist für sie in Liechtenstein ein Ding der Unmöglichkeit. Interview: Johannes Kaiser · Fotos: MB | ZVG
Du hast deine erfolgreiche und lange Karriere als Schwimmerin kürzlich beendet. Was machst du derzeit? Julia Hassler: Ich absolviere ein Graduate Programm bei der VP Bank in Triesen im HR-Bereich und arbeite dort 70 Prozent. Nebenbei mache ich eine Weiterbildung in Sportpsy-chologie an der Universität Bern. Du warst und bist die beste Liechtensteiner Schwimmerin aller Zeiten. Welches waren deine schönsten Erfolge und welche deine grössten? Es gab sicherlich viele. Alle drei Olympischen Spiele waren immer etwas Besonderes, natür-
lich auch meine Bronzemedaille an den Europameisterschaften und meine Finalteilnahme an den Weltmeisterschaften. Werden Leistungs- und Spitzensportler in unserem Land ausreichend gefördert? Du hast deinen Trainingsort – um sportlich ans internationale Niveau zu kommen – im Alter von 22 Jahren nach Heidelberg verlegt. Warum hast du diesen Schritt getan? In Liechtenstein ist sicher ein riesiger Vorteil, dass man schneller bzw. schon auf einem niedrigeren Niveau stark gefördert wird als in anderen Ländern. Das ist auch eine Chance,
die meiner Meinung zu wenige Sportlerinnen und Sportler zu schätzen wissen bzw. als zu selbstverständlich ansehen. Ich hätte dennoch von der neuen Sportförderung, wie sie vor einigen Jahren implementiert worden ist, deutlich mehr erwartet. Mir wurde damals gesagt, dass die Spitze stärker gefördert wird, aber für mich gab es im Vergleich zur alten Förderung eher weniger. Auf meinem Niveau hätte ich in den Nachbarländern definitiv mehr bekommen. Besonders was das Budget für internationale Wettkämpfe, Ausrüstungen etc. angeht. Ich verdiene mit meinem jetzigen Job fast das Drei- oder sogar Vier-
fache von dem, was durch die Sportförderung abgedeckt wurde. Natürlich hatte ich nebenbei noch einige Sponsoren, die mir das Ganze auf diesem Niveau überhaupt ermöglicht haben, aber das deckt bei weitem nicht das Gehalt eines normalen Jobs. Ab einem gewissen Alter stellt sich dann auch die Frage, ob sich das überhaupt noch lohnt, wenn man in Zukunft irgendwann einmal Berufserfahrung sammeln sollte oder auch noch familiäre Pläne hat. Dass es sich finanziell in Liechtenstein als Spitzensportler in einer nicht lukrativen Sportart nicht lohnt bzw. auszahlt, war am Ende sicher auch einer von vielen Gründen, warum ich zurückgetreten bin. Der Wechsel nach Heidelberg hatte ebenfalls mehrere Gründe. In der Schweiz war ich schon lange nicht mehr zufrieden, aber habe mich zunächst nicht zu wechseln getraut. Ich wollte jedoch mit einem Team trainieren, insbesondere Frauen, das ein höheres Niveau hat als ich. Das Umfeld in Heidelberg war auch viel professioneller als zu meiner Zeit in der Schweiz. Die Trainingslager und ganzen Vorbereitungen wurden nicht an
Johannes Kaiser im Gespräch mit der Allzeit-besten liechtensteinischen Schwimm-Ikone Julia Hassler aus Schellenberg.