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Von der Jugend profi tieren lernen
Von der Jugend profitieren lernen
Politik für Jugendliche sowie junge Erwachsene betreiben und dabei parteipolitisch neutral bleiben – in Liechtenstein keine ganz einfache Angelegenheit, aber genau das Ziel, dem sich Kevin Scherrer verschrieben hat. Als Präsident des Jugendrats macht er sich Gedanken, was seine Altersgenossen bewegt, als Teilzeitstudent bewegen ihn dabei selbst vor allem Fragen zum Thema Bildungspolitik und zum Wissenstransfer aus der Theorie in die Praxis.
Text: Heribert Beck · Fotos: Daniel Schwendener
Interviewtermine nimmt Kevin Scherrer gerne schon am frühen Morgen an. Denn der Tagesablauf des 22-Jährigen ist durchorganisiert. Er befindet sich im siebten Semester seines Betriebsökonomie-Studiums an der Fachhochschule Graubünden, das er an seine KV-Lehre mit Berufsmatura angeschlossen hat. In zwei Semestern möchte er den Bachelorgrad erlangen. Neben dem Studium arbeitet Kevin Scherrer bei einem Finanzdienstleister in Vaduz. «Das Finanzwesen hat mich von klein auf fasziniert. Wenn ich mit zur Bank durfte, haben die Damen und Herren an den Schaltern immer schon Eindruck auf mich gemacht», sagt er und schmunzelt. Viel Freizeit bleibt Kevin Scherrer daher nicht mehr. Die, die er noch hat, investiert er zu einem grossen Teil in den Jugendrat, dem er seit anderthalb Jahren als Präsident vorsteht.
Ehrenamtliche sind immer gefragt Der Jugendrat Liechtenstein ist eine seit 2012 bestehende Plattform für junge Erwachsene zwischen 15 und 28 Jahren, die für politische Themen interessieren möchte und sich dafür einsetzt. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, die Teilnahme von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Liechtenstein am politischen Prozess zu verbessern und die politische Bildung zu fördern. Ausserdem verfolgt der Jugendrat die Absicht, die jungen Erwachsenen neutral auf das Wählen vorzubereiten sowie diese zur Stimmabgabe zu bewegen. Bekannt wurde der Jugendrat vor allem durch sein Projekt «easyvote», das bereits bei drei Landtags- und zwei Gemeinderatswahlen zum Einsatz kam.
«Ich habe durch einen guten Kollegen, der mit mir die Berufsmatura abgelegt hat, vom Jugendrat erfahren und ihn einmal zu einer der Halbjahresversammlungen begleitet», sagt Kevin Scherrer. «Leute zum Mithelfen wurden und werden beim Jugendrat immer gesucht. Da ich ihn schon damals für eine gute Sache hielt, habe ich mich für die Mitarbeit entschieden. Dass ich schon so schnell Präsident werde, habe ich aber weder gedacht noch geplant.»
Eigene Vorstösse formulieren Der Jugendrat besteht aus vier Vorstands- und rund 60 weiteren Mitgliedern. An die Anlässe kommen durchschnittlich zehn bis 20 von ihnen. Natürlich sind aber auch Nichtmitglieder herzlich willkommen. «Meine persönliche Motivation zur Teilnahme an den Anlässen war der Einblick in die Politik, den sie ermöglichen», sagt Kevin Scherrer, der aber auch betont, dass es zwischen dem Jugendrat und den Jugendorganisationen der Liechtensteiner Parteien einen entscheidenden Unterschied gibt. «Wir sind vollkommen neutral und versuchen stets, alle Richtungen abzudecken sowie umfassend über Sachthemen zu informieren und werben nicht aktiv für Vorstösse von Parteien.» Der Kontakt mit den Jungparteien wird vom Jugendrat aber aufrechterhalten, um Synergien zu nutzen. So treten deren Exponenten beispielsweise an den Jugendarenen auf und äussern dort durchaus kontroverse Ansichten. «Ich hoffe daher, dass die Jungparteien so aktiv bleiben, wie sie es derzeit sind. Denn so macht es auch für uns Jugendratsmitglieder mehr Spass.»
Der bekannteste Anlass des Jugendrats ist sicher die Jugendsession im Landtagssaal, deren sechste Auflage sich gerade in der Vorbereitungsphase befindet. Ziel der Teilnehmenden ist es, eigene politische Vorstösse zu lancieren. «Wir fokussieren uns jeweils auf zwei Themen, laden Experten ein und formulieren schliesslich Anträge, die wir dem Landtagspräsidenten übergeben. Um wirklich etwas zu erreichen, versuchen wir, uns auf einige wenige Anträge zu beschränken. Wir denken auch darüber nach, sie in Form einer Petition beim Landtag einzureichen. Auf jeden Fall ist die Jugendsession immer ein spannender Anlass.»
Guten Ideen Gehör verschaffen Die Aufgaben von Kevin Scherrer, der sich selbst in der politischen Mitte verortet, sind als Präsident vor allem administrativer und repräsentativer Natur. Er koordiniert Termine, verwaltet die Vereinsfinanzen und sorgt für den Zusammenhalt im Vorstand. Doch dieser ist ohnehin gut, obwohl die Diskussionen manch-
mal kontrovers ablaufen. «Wir haben wohl alle einen gewissen Lernprozess durchlaufen und uns daran gewöhnt, andere Meinungen zu akzeptieren», sagt der Präsident und schmunzelt.
Da ihm für andere Hobbys kaum Zeit bleibt, bezeichnet Kevin Scherrer die Politik und das Finanzwesen als seine Hobbys. «Die Börse zu beobachten und ihre Entwicklungen zu verstehen, hat für mich beispielsweise etwas Faszinierendes an sich. Das Gleiche gilt für die Entwicklungen, welche die Mitglieder des Jugendrats durchlaufen.» Gerne würde Kevin Scherrer daher noch weit mehr Jugendliche und junge Erwachsene für die Politik begeistern und sie in die Entscheidungsprozesse integrieren. Dazu bedürfe es aber auch der Bereitschaft der etablierten Politikerinnen und Politikern. «Junge Leute haben oft sehr gute Ideen. Leider werden sie häufig aber nicht ernst genug genommen oder überhaupt nicht gehört. Das ein wenig zu ändern, ist ein grosses Ziel für mich.»
Die privilegierte Situation schätzen Kevin Scherrer selbst jedenfalls macht sich seine Gedanken, vor allem zum Bildungswesen. «Dass jungen Leuten oft das Interesse an der Politik fehlt, liegt meines Erachtens auch daran, dass sie in der Schule falsch vermittelt wird.» Der Jugendrat ist daher in der Vergangenheit schon direkt in die Klassen gegangen und hat dort «Politik zum Anfassen» angeboten. «Dabei hat sich gezeigt, dass sich die Schülerinnen und Schüler durchaus begeistern und motivieren lassen, ihre Meinung offen vor der Klasse zu vertreten. Leider haben wir nicht die Ressourcen, dieses Projekt im grossen Stil anzubieten. Auch aus diesem Grund suchen wir immer nach Synergien mit anderen Organisationen.»
Dabei möchte Kevin Scherrer seiner jungen Zielgruppe ebenfalls eine gewisse Dankbarkeit und Zufriedenheit vermitteln. «Politik besteht für mich definitiv nicht aus dauerndem Kritisieren. Denn als Land ist Liechtenstein sehr erfolgreich. Das ist etwas, das im Miteinander erreicht worden ist. Mir ist es wichtig, dass junge Leute unseren Wohlstand zu schätzen wissen, aber auch sehen, dass es nicht selbstverständlich ist, wie privilegiert sie sind.»
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Ein Lob auf das duale System Kevin Scherrer macht sich aber auch Gedanken darüber, wie Liechtensteins Wohlstand für die Zukunft gesichert werden kann. «Ich bin ein grosser Befürworter des dualen Bildungswegs. Leider scheint ihm aber je länger, desto mehr die Akzeptanz etwas abhandenzukommen. Gerade in den Elternhäusern heisst es oft, dass der Weg über die gymnasiale Matura und die Universität das Richtige für den Nachwuchs ist. Das führte zu einer sehr hohen Maturandenquote. Auch Teilzeitjobs für Teilzeitstudenten wie mich findet man leider oft nur mit Glück. Gerade von unseren grossen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen würde ich mir diesbezüglich mehr Flexibilität erwarten.» Der Wissenstransfer aus der Berufs- oder Fachhochschule bringe den Unternehmen deutliche Vorteile für alle Beteiligten. Die jungen Berufsleute könnten frische Inputs bringen und seien sehr motiviert, wenn sie denn eine gewissen Verant-
Kevin Scherrer, Präsident des Jugendrats
wortung übertragen bekämen und von ihren Vorgesetzten in die unternehmerischen Prozesse eingebunden würden.
«Ich hatte sowohl das Glück, auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie eine Teilzeitanstellung zu finden als auch einen Chef, der mir viel unternehmerisches Wissen mitgibt. Das weiss ich sehr zu schätzen», sagt Kevin Scherrer. Daher plädiert er für Mentoring-Programme in den Unternehmen, bei denen jemand aus dem Management einen jungen Mitarbeiter zugeteilt bekommt, den er aktiv in die Hintergründe des Berufslebens einführt, aber auch von ihm profitiert. «Schliesslich gehören wir von der Generation Z zur Kundengruppe der Zukunft, und es schadet sicher keinem Unternehmen, deren Bedürfnisse und Wünsche zu kennen sowie deren Meinung abzuholen.» Talent und Leidenschaft bringen Fachwissen Ein solches Mentoring-Programm würde Lernenden auch dabei helfen, sich für die richtigen Weiterbildungen und beruflichen Schwerpunkte zu entscheiden. «Denn ich kann mir wenig Schlimmeres vorstellen, als viele Jahre seines Lebens einen Job erledigen zu müssen, in dem man nicht glücklich ist, weil man sich in jungen Jahren falsch entschieden hat», sagt Kevin Scherrer. Er selbst hat seine Berufung jedenfalls gefunden und möchte nach dem Abschluss seines Bachelor-Studiums zunächst einmal komplett in die Arbeitswelt einsteigen. «Denn in einem Studium lernt man auch vieles, was man im Alltag gar nicht braucht. Wenn man sich aber mit Talent und Leidenschaft in seinen Beruf einbringt, dann kommt das Fachwissen ganz von alleine.»