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Schlaflos
V
iele Menschen nehmen Cannabis wegen seiner beruhigenden, relaxierenden Wirkung ein. Um Schlaflosigkeit zu bekämpfen, konsumiert man es abends, und schnell kann der Punkt erreicht sein, wo man sich einen ruhigen Schlaf ohne Grasrauchen nicht mehr vorstellen kann. Regelmäßige Konsument/innen, die von einem Tag auf den anderen mit ihrer Gewohnheit brechen, schlafen oft schwerer ein, haben lebhafte, intensive Träume und wachen unausgeschlafen auf. Wenn sie den Konsum wieder aufnehmen, werden die intensiven Träume seltener und der Schlaf tiefer und erholsamer. Diese Phänomene haben das Interesse der Wissenschaft geweckt. Obwohl viele Menschen ihren Schlaf als passiven Zustand auffassen, funktioniert das Gehirn unterdessen sehr aktiv. Man unterscheidet zwei Schlafphasen: den langsamwelligen Tiefschlaf (SWS), bestehend aus vier Stadien, und den REM-Schlaf, der durch intensive Augenbewegungen charakterisiert ist. Ein Schlafzyklus besteht also insgesamt aus fünf Phasen und dauert ungefähr 90–120 Minuten, danach beginnt ein neuer. Weckt man jemanden im REMSchlaf, dann reißt man ihn aus seinen Träumen. Den Schlafzyklus können viele äußere Faktoren beeinflussen, beispielsweise Lichtverhältnisse und Geräusche. Es spielt aber auch eine wichtige Rolle, was wir vor dem Einschlafen zu uns genommen haben. Leider gibt es nur wenige Studien zum Thema Cannabis und Schlaf. Feinberg verglich in seiner Untersuchung aus dem Jahr 1975 die Schlafmuster zweier Gruppen. Eine Gruppe bekam Cannabis, die Kontrollgruppe hingegen Placebos. Die 10
Forscher beobachteten, dass die Cannabiskonsument/innen weniger Zeit in der REMPhase und mehr in der langwelligen vierten Phase des Schlafes verbrachten als die Kontrollgruppe. Sie träumten also weniger. Nach Entzug des THCs stieg der Anteil des REMSchlafes wieder. Das erklärt, warum Grasraucher/innen weniger träumen und gleichzeitig tiefer schlafen. Neuere Forschungen brachten zutage, dass das Marihuana auf Menschen mit gutem Schlaf anders wirkt als auf jene, die sich schlaflos im Bett wälzen. Hat man keine Schlafstörungen, dann beschleunigt das Gras in der Regel das Einschlafen und verlängert die im Schlaf verbrachte Zeit. Es kann allerdings vorkommen, dass man in der ersten Hälfte des Schlafes wach wird. Die Wir-
kung ist augenfälliger, wenn Patient/innen mit Schlafstörungen vor dem Einschlafen Cannabis konsumieren. Bei ihnen schwinden diese Phänomene spürbar und sie wachen in der ersten Schlafphase seltener auf. Zudem steigt die Qualität ihres Schlafes. Dr. Karen Bolla schließt aus ihrer Untersuchung aus dem Jahr 2008, dass neurobiologische Ursachen für den Zusammenhang von erholsamem Schlaf und Cannabisgebrauch verantwortlich sind. Die Testpersonen dieser Studie lehnten Alkohol, Beruhigungsmittel oder andere Arzneimittel als Einschlafhilfen ab und konsumierten ausschließlich Marihuana vor dem Zubettgehen. Beim plötzlichen Marihuanaentzug litten sie unter längeren Perioden der Schlaflosigkeit mit seltsamen Träumen und fanden es schwierig, in den grasfreien Zeiten klarzukommen. Wie wirken in solchen Fällen Cannabisextrakte? Eine Untersuchung von Russo kam 2007 zu dem überraschenden Ergebnis, dass das THC beruhigt, während das (den IndicaSorten zugeordnete) CBD eine leicht aufputschende Wirkung hat. Gemeinsam angewendet kann der gewünschte Effekt erzielt werden. Im Verlauf der klinischen Untersuchung des weitverbreiteten Medikaments Sativex, das zu gleichen Teilen THC und CBD enthält, stellte sich heraus, dass sich die Schlafqualität von Patient/innen mit chronischen Schmerzen durch den Extrakt deutlich verbesserte. Ebenfalls von therapeutischer Bedeutung könnte die Erkenntnis sein, dass Cannabis die Zeit in der REM-Phase verkürzt. Das Fehlen der Tiefschlafzeit ist einer der Risikofaktoren für hohen Blutdruck im Alter, abgesehen davon treten während der REM-Phase am häufigsten Atmungsstörungen im Schlaf auf. Gegenwärtig untersuchen Wissenschaftler/innen, wie man diese Eigenschaft des Cannabis medizinisch einsetzen kann.