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Toni Amort: Abenteuer in der Favela
Abenteuer in der Favela
¦ Toni Amort, Herberthaus, Brixen
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Als ich am 8. September 2000 in jenes Häuschen einzog, war es die Erfüllung meines Traumes, mitten unter den Armen zu leben. Ich wollte nicht nur, wie gewöhnlich, mit meinem Auto auf Besuch kommen und nachher wieder in meine eigene Welt zurückkehren, sondern Tag und Nacht dort wohnen. Natürlich hat dann meine Ankunft bei der Bevölkerung Staunen und Freude ausgelöst – ein Priester, der jetzt bei uns bleiben wird!
Schon allein das bedeutete eine deutliche Aufwertung für diese Menschen am Rand der Stadt und der Gesellschaft. Zugleich begleiteten mich Warnungen und Sorgen vieler meiner Freunde: dieses Viertel sei besonders berüchtigt wegen der vielen Gewalt vonseiten der Drogenhändler, immer wieder Schießereien und Morde. Da waren zwei Banden, eine auf der Höhe, die andere unten, die sich einen ständigen Krieg lieferten, auch viele Raubüberfälle verübten, selbst in Häusern sehr armer Menschen. Alles, um zur Droge zu kommen.
Aber ich blieb acht Jahre lang dort, trotz allem. Dazu ermutigt hat mich eine Nachbarin, die in einem armseligen Haus, mit schwachen Türen und Fenstern und ohne Schutzzaun dort mit ihrer Familie wohnte: „Padre,“ sagte sie mir, „wir können nirgends hinfliehen, denn wir haben sonst gar nichts. Wir müssen Tag und Nacht wehrlos in unserer Hütte bleiben, alles riskieren und mit der Angst leben.“
Ich war nicht Pfarrer, sondern wollte nur solidarische Gegenwart der Kirche unter diesen Armen sein, in ihrer ganz konkreten Situation. So hatte ich reichlich Zeit, dort umher zu gehen, wo sie wohnten, auf dem steilen Ge
lände. Viele Leute haben sich gerade dort angesiedelt, wo es zu steil für einen Baugrund war, der also nichts kostete. Was ich da an menschlichem Elend erlebte, das ahnt niemand, der nicht selbst hierherkommt.
Als ich noch im Pfarrhaus lebte, bat ich einige gute Leute, doch einmal eine Familie zu besuchen, die immer wieder zu mir kam und um Hilfe bat. Ihrer drei fanden schließlich die Wohnung dieser Menschen. Sie kamen dann zu mir zurück, in großer Aufregung: „Padre, wir hätten nie gedacht, dass es so viel Elend gibt!“ Eine fügte noch hinzu: „Ich wohne nur einen halben Kilometer von ihnen, hatte aber keine Ahnung!“ Eine Sozialhelferin von der Gemeinde kam einmal weinend in mein Haus. Sie hatte eine schwer kranke Frau in ihrer Hütte getroffen, in unvorstellbarem Elend und völlig allein gelassen. „Das ist unerträglich!“, schluchzte sie vor Mitleid und Empörung.
Als ich eines Tages in mein Haus zurückkehrte, saß auf der Brüstung der kleinen Veranda ein junger Mann, so ganz von der Art der Gefährlichen dieser Gegend. Zögernd näherte ich mich. Da stieg er von der Mauer herunter und kam sehr freundlich auf mich zu. „Padre, keine Angst! So lange ich da bin, wird dir nichts passieren.“ Dann erzählte er mir, dass er am Vortag aus dem Kerker entlassen worden war. Nun kam er, um mir zu danken. „Du hast ein paarmal meiner Frau geholfen, dass sie mich im Kerker besuchen konnte, mit dem Geld für den Bus; das werden wir nie vergessen!“ Am folgenden Tag, fast genau 24 Stunden später, hörte ich unterhalb meines Hauses mehrere Pistolenschüsse und gleich darauf Schreie. Da lag also ein Ermordeter, nahe an meinem Eingang. Und als ich näherkam, sah ich, dass es dieser mein neuer Freund war!
Hier im Stadtteil Palmeiras, im Haus ganz links unten, habe ich acht Jahre lang gewohnt und meine Abenteuer erlebt.