FILIPPO LIPPI ca. 1406–1469
Bis ins 19. Jahrhundert wurden die Besucher der Benediktinerkapelle Sant‘Ambrogio in Florenz mit einer himmlischen Vision empfangen. Jetzt befindet sich das prachtvolle Altarbild von Fra Filippo Lippi, das Christus bei der Krönung seiner Mutter Maria zeigt, in den Uffizien. Eine jubelnde Menge ist Zeuge dieser Zeremonie. Alle sind mit der Handlung beschäftigt, außer einem, der in der linken unteren Ecke kniet. Den Kopf lässig in die Hand gelegt, wendet sich diese selbstbewusste Figur dem Betrachter zu. Sein faszinierender Ausdruck ist teils arrogant, teils verträumt. Viele glauben, diese Figur sei ein Porträt des Künstlers. Wenn sie sprechen könnte, würde sie vielleicht sagen: »Seht her, ich kann das Himmelreich im Geiste herbeirufen und meine Vision durch die Malerei Gestalt annehmen lassen.« Lippi spielt die Rolle eines anonymen Schaulustigen. Sein Platz in der Handlung unterstreicht die Relevanz religiöser Erzählungen für das zeitgenössische Publikum: Ich bin hier, das ist jetzt. Assistenza-Selbstporträts finden sich häufig in der Kunst der Frührenaissance. Diese diskreten Einfügungen in ein größeres Auftragswerk wirken wie Visitenkarten oder Unterschriften. Ihr verborgener Charakter spiegelt die Verpflichtungen wider, für einen Mäzen zu arbeiten. Assistenza-Selbstporträts zeugen auch von dem wachsenden Wunsch der Künstler, nicht als Handwerker, sondern als inspirierende Persönlichkeiten mit besonderen Talenten anerkannt zu werden. Der Karmelitenbruder Filippo Lippi arbeitete in und um Florenz und galt 14
Filippo Lippi Die Krönung der Jungfrau Maria im Himmel, 1439 – 1447 (Detail oben) Tempera auf Holz, 200 x 287 cm Uffizien, Florenz In der Kunst der Frührenaissance zeigt sich ein wachsendes Verständnis der verschiedenen Darstellungsmethoden, von Proportionen und Perspektive bis hin zur Darstellung von Gesten und Gefühlen. Ein öffentlicher Auftrag war eine ausgezeichnete Gelegenheit, sie zu präsentieren. Lippis Menschenmenge ermöglicht es ihm, verschiedene Posen und Ausdrücke darzustellen. Die Einbeziehung eines architektonischen Rahmens deutet auf sein Verständnis von Perspektive hin.