ALBRECHT DÜRER 1471–1528 Albrecht Dürers Beitrag zur Entwicklung des Selbstporträts ist nicht hoch genug zu schätzen. Dieser führende Maler und Grafiker aus Nürnberg war der erste Künstler, der das bedeutende kreative Potenzial der Gattung ausnutzte. Im Laufe seines Lebens schuf er sechzehn Selbstporträts, wobei er mit verschiedenen Materialien und Kompositionsmitteln experimentierte. Dürer war sich auch der Macht seiner Marke bewusst. Er nutzte seine herausragenden Fähigkeiten als Druckgrafiker, um sein Werk international zu verbreiten, und er integrierte seine Initialen in seine typische Logosignatur: »AD«. Nur wenigen Künstlern der nördlichen Renaissance gelang es, in die italienische Szene vorzudringen, aber Dürer tat genau das, indem er sich auf eine gefährliche Reise über die Alpen begab, um sich in Venedig einen Namen zu machen. Er gab seine Selbstporträts auch an Kollegen weiter, darunter Raffael, damit sie sich seiner erinnerten. Dürer schuf Selbstporträts mit unterschiedlichen Ansätzen. Manchmal präsentierte er sich als Zuschauer in einer größeren religiösen Szene, doch öfter spielte er sich selbst. Eine Reihe seiner autonomen Selbstporträts waren als eigenständige Kunstwerke gedacht. Andere hatten eine eher praktische Funktion, wobei der Künstler eine Pose einnahm, um einen technischen oder anatomischen Aspekt zu meistern. Sein Körper war einfach der am leichtesten zugängliche Bezugspunkt. Dürer benutzte das Selbstbildnis sogar zu diagnostischen Zwecken: In einer faszinierenden Tuschezeichnung von 1512/13 (Kunsthalle Bremen) zeigt der Künstler auf die Schmerzquelle im Unterleib, vermutlich zur Unterstützung seines Arztes. Anspielungen auf die Erfahrung intellektuellen Denkens sind in Dürers faszinierender Radierung Melancholie I von 1514 reichlich vorhanden. In diesem Werk ist eine grüblerische geflügelte Figur von einer Reihe mehrdeutiger Symbole und Werkzeuge umgeben. Obwohl Dürer physisch abwesend ist, könnte man Melancholie I als ein stellvertretendes Selbstporträt lesen. Das Werk nimmt auch romantische Vorstellungen vom Künstler als einer isolierten, missverstandenen Figur vorweg. In ihrer Gesamtheit wirken Dürers Selbstporträts wie ein aufschlussreiches visuelles Tagebuch, das in Schlüsselmomenten seines Lebens Anhaltspunkte liefert. Dürers frühreife Begabung zeigte sich schon in sehr jungen Jahren. Sein Selbstbildnis des Dreizehnjährigen (1484) verdeutlicht seine erstaunlichen Fähigkeiten, mit denen er die besonders anspruchsvolle Sil18