Interview Ulrike Folkerts

Page 1

Mord

exklusiv | tv

ist sein

Das Erfolgsrezept der tatort-Macher: Drehbuchautor Christian Jeltsch verriet TV DIGITAL, wie ein typischer Münchener Krimi der Reihe entsteht

A

Das D r e h b u c h

Von der ersten Idee bis zum fertigen „Tatort“Skript dauert es zwei Jahre. Hier das Originaldrehbuch von Chris­ tian Jeltsch (l.) mit einem Dialog zwischen Franz Leitmayr und Ivo Batic für den neuen Münchener „Tatort“

Anatomie des neuen „Tatorts“ Während der Drehbuchphase trug der aktuelle Fall „Um jeden Preis“ noch den Arbeitstitel „Täuschung“ (l.). Was darf in einem Münchener „Tatort“ auf keinen Fall fehlen? Für TV DIGITAL erklärt Drehbuchautor Christian Jeltsch vorab die wichtigsten Szenen in dem neuen Fall:

6 TV DIGITAL

geheimes Treffen

„Verspielt und doch bedrohlich soll diese erste Szene des ,Tatorts‘ wirken. Für das Verständnis der zwei Figuren Leo (l.) und Truss war wichtig, sie früh gemeinsam zu sehen. Deshalb habe ich die Szene an den Anfang gestellt.“

uf dem alten Nordfriedhof in München-Schwabing erweckt Christian Jeltsch Menschen zum Leben: etwa den unglücklich verliebten Journalisten Rainer Truss, den intriganten Strippenzieher Max Janussen und Leo Greedinger, einen kämpferischen Gewerkschafter. Jeltsch nimmt sie mit nach oben in sein Büro um die Ecke. Denn alle Figuren tauchen auf in dem von ihm erdachten neuen Drehbuch „Um jeden Preis“ (18.10., 20.15 Uhr, Das Erste). Es ist der dritte Fall des preisgekrönten Autors für den „Tatort München“. Zwei Jahre Arbeit stecken darin. TV DIGITAL hat Christian Jeltsch dabei begleitet und zeigt, wie aus einer ersten Idee ein neuer spannender Fall für die Kommissa­re Ivo Batic und Franz Leitmayr wird.

November 2007: exposé Alles beginnt Anfang 2007 mit einem Gedankenspiel: Wie wäre es, von einer Person zu erzählen, die Gutes will, aber Böses

Gags au f d e m L au f ba n d

„Anfangs spielte die Szene auf einem Trimm-dich Pfad mit mehreren Polizisten. Dann wäre sie aber zu teuer gewesen, gemessen an ihrer Funktion in der Geschichte. Die Aufgabe blieb, für die Kommissare einen humorigen Einstieg zu finden.“

d e r D r i tt e im Bunde

„Durch den Ausstieg von Carlo Menzinger fehlt eine wichtige Figur: humorvoll und ausgleichend zwischen den beiden Kommissaren. Die Rolle übernimmt hier Commissario Panini (r.), ein Austauschbeamter aus Verona.“

schafft? Eine Figur, die immer mehr Kompromisse eingeht und sich am Ende verrennt? Zunächst hat Jeltsch Politiker vor Augen, die zu Beginn ihrer Karriere idealistische Ziele verkünden, diese aber nicht mehr erwähnen, wenn sie in Amt und Würden stehen. Jeltsch erzählt Silvia Koller von seiner Idee. Die Redakteurin ist die Erfinderin des erfolgreichen Duos Batic und Leitmayr und betreut den „Tatort“ beim Bayerischen Rundfunk seit 1989. Als sie im Herbst 2007 neue Folgen in Angriff nimmt, bittet sie Christian Jeltsch, ein Exposé zu schreiben, das auf der Idee basiert. „Ein Exposé besteht aus maximal zehn Seiten“, erklärt Koller. „Darin sollte tunlichst auch angedeutet sein, welche Ermittlungswege die Kommissare gehen.“ Jeltsch lässt sich hier einen besonderen Kniff einfallen: Ivo Batic kennt den Politiker, der zum Tatverdächtigen eines mutmaßlichen Mordes wird. Weil es ein Jugendfreund ist, ermittelt der Kommissar auch auf eigene Faust.

februar 2008: Treatment Das Thema gewinnt durch den US-amerikanischen Präsidentschaftsbewerber Barack Obama an Brisanz: „Es war spannend, dass

„Ich hätte den Fall gern in der Politik angesiedelt.“ Christian Jeltsch, Drehbuchautor während ich an dem ,Tatort‘ schrieb, wirklich jemand auftrat, der sehr positi­ve Dinge verfolgte. Die Menschen nahmen das Oba­ma auch ab“, sagt Jeltsch. Doch der Plan, den Krimi im Umfeld der Politik anzusiedeln, scheitert: „Wenn ich einen Film mit politi­ scher Thematik mache und die SPD nicht SPD nennen kann und die CSU nicht CSU, dann wird es einfach lächerlich“, sagt Jeltsch. Deshalb sucht er zusammen mit Silvia Koller und Produzentin Kirsten Hager nach einem anderen Milieu, in dem sich die Geschichte erzählen lässt. Im sogenannten Treatment verankert Jeltsch dann die Geschichte in einer Gewerkschaft – auch ein Schauplatz, an dem

m ac h t u n d m i SSt rau e n

„Zwischen Janussen (l.) und Leo geht es immer auch um Macht. Wer besitzt sie wirklich? Diese Frage wird nicht ausgesprochen. Aber sie ist präsent. In jeder Pause, jedem Blick. Das wollte ich mit den Dialogen klarmachen.“


exklusiv | tv INTERVIEW Ulrike Folkerts

„Als Klischee-Lesbe habe ich mich nie gefühlt!“ 20 Jahre „Tatort“: ein exklusives Interview mit Ulrike folkerts zu ihrer Jubiläumsfolge Die Verfilmung

In 24 Drehtagen wird das „Tatort“-Drehbuch von Christian Jeltsch in München verfilmt. In dieser Szene sprechen Ivo Batic (Miroslav Nemec, l.) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, r.) mit der Schwester des Toten

Neuer Kollege aus Verona: Luca Panini (Leonardo Nigro)

Ideale auf alte Seilschaften treffen können. Im Treatment ist bereits jedes Bild, jede Szene aneinandergereiht, auch alle Nebenfiguren tauchen hier bereits auf.

Juni / Juli 2008: 1. Drehbuch Bevor sich Jeltsch an die erste Drehbuchfassung setzt, hat er intensiv geforscht: „Die Recherche ist das Spannendste am ganzen Projekt. Sie konfrontiert mich mit dem realen Leben“, sagt er. Diesmal trifft er auf Gewerk-

schaftsbosse und auf Manager, die wenig Verständnis für die Organisation von Arbeitnehmern zeigen. „Man kommt erstaunlich weit, wenn man ganz offen fragt“, so Jeltsch. „Auch bei anderen Themen, die ich für sensibel hielt, etwa die Nutzung von Handystrahlen in der Waffenforschung. Viele denken: Das ist ja für den ,Tatort‘, also Fiktion, dann kann ich es ruhig erzählen.“ Das Schreiben am Drehbuch ist dagegen ein einsames Geschäft: „Viele Kollegen haben damit zu kämpfen, aber ich sitze gern allein am Schreibtisch“, sagt Jeltsch. „Ich habe ja noch die Figuren, die ich auf den Weg schicke. Bestenfalls muss man nur noch aufschreiben, was sie gerade machen.“

aug.–nov. 2008: 2.–4. drehbuch Mit seiner ersten Version trifft sich Christian Jeltsch Ende Juli zu einem Gespräch mit Silvia Koller und Kirsten Hager. Auch Regisseur

Die erfolgreichsten Ermittler

52

Einsätze

Rekord: Das Duo Leitmayr (Udo Wachtveitl, l.) und Batic (Miro Nemec, r.) hat seit 1991 in 52 Fällen ermittelt

48

Einsätze

lu dw i gs h a f e n

Odenthal und Kopper* (Ulrike Folkerts und Andreas Hoppe) hatten seit 1989 48 Einsätze *nicht von Anfang an dabei

8 TV DIGITAL

„Vorsicht, Parkbank!“?

ULRIKE FOLKeRTS: Warum?

Weil Sie im neuen Fall zum zweiten Mal eine Tote auf einer Bank finden. Richtig. Erstmals geschah das in „Der Lippenstiftmörder“. Jetzt sitzt wirklich wieder eine Tote auf einer Bank. Ausgerechnet an Lenas Geburtstag!

Wie hat sich Lena entwickelt. Und wie lange schafft sie den Job noch?

44

Einsätze

tato rt k ö l n

Ballauf und Schenk (Klaus J. Behrendt, l., und Dietmar Bär) holen auf: 44 Fälle seit 1997

Sechs Wochen vor dem Drehstart bespricht Peter Fratzscher mit den „Tatort“-Stars Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl das Drehbuch. Sie nehmen leichte Änderungen vor, würzen die Dialoge ihrer Kommissare mit ihrem Humor und den typischen Frotzeleien. Für Jeltsch ist die Arbeit aber hiermit getan. Durchschnittlich 28 000 Euro bekommt ein Autor für ein „Tat­ ort“-Drehbuch. Statt über den Film­ set schlendert Chris­ tian Jeltsch bereits wieder über den Schwabinger Friedhof. Dort lässt er „Tatort“-Redakteurin Silvia Koller im Gespräch neue Figuren aufermit Dirk Oetjen stehen. Dirk Oetjen

SO 18.10.

Tatort: Um jeden Preis

Krimi Batic und Leitmayr ermitteln im Gewerkschaftsmilieu; Das Erste, 20.15 Uhr

44

Einsätze

D r es d e n / l e i pz i g

Ehrlicher und Kain (Peter Sodann und Bernd Michael Lade) lösten 1992 bis 2007 44 Fälle

41

Einsätze

tato rt h a m b u rg

Stoever und Brockmöller* (Manfred Krug und Charles Brauer) ermittelten bis 2001 41-mal

Ab und zu. Den „Roten Tod“ über Aids wollte ich unbedingt machen. Genau wie die beiden Fälle zu Ehrenmord und Sterbehilfe.

Doch. Vor zehn Jahren! Aber letztlich war es ein normaler Konflikt, den jeder Schauspieler im Laufe einer langjährigen Darstellung durchlebt. Zeitgleich tauchten übrigens immer mehr TV-Kommissarinnen auf. Ich habe das Gefühl, dass dieser Trend durch Lena Odenthal ausgelöst wurde.

Jahre IM DIENST

Was wäre Ihre Traumrolle?

Shakespeares Frauenfiguren! Ich würde auch gern mit Almodóvar drehen. Er macht tolle Filme. Und ich warte noch auf eine Hauptrolle in einem deutschen Kinofilm.

Ulrike Folkerts, Schauspielerin

Nie daran gedacht, die Knarre in die Ecke zu werfen?

20

Wie oft bringen Sie Themen ein?

„Ich war ein weiblicher Schimanski im ,Tatort‘.“

Noch lange! Ich sehe kein Ende, solange die Bücher gut sind. Als ich mit 28 Jahren in der TV-Mordkommission landete, galt ich als „französisches Jeansmädchen“. Das Ruppige baute ich erst später in die Rolle ein.

Fotos: Darren Jacklin für TV DIGITAL (4), BR (6), ARD (4), Archiv (4)

Christian Jeltsch, Drehbuchautor

tato rt m ü n c h e n

ids, Amok, Außerirdische: Wenn Ulrike Folkerts (48) als Lena Odenthal ermittelt, sind die „Tatort“-Folgen immer brisant. Inzwischen jagt sie im 20. Jahr Verbrecher und ist damit die dienstälteste „Tatort“-Kommissarin. Auch in der Jubiläums­ folge „Vermisst“ (11.10., 20.15 Uhr, Das Erste) löst sie einen undurchsichtigen Fall. TV DIGITAL traf Folkerts in Berlin. TV Digital: Stimmt die Warnung

februar 2009: drehstart

„Die Recherche ist das Spannendste am Projekt.“

Der erste „Tatort“ lief 1970. Bisher sind die Münchener Franz Leitmayr und Ivo Batic die Kommissare mit den meisten Einsätzen in der Kultreihe. Hier sind die Top 5 der erfolgreichsten „Tatort“-Ermittler:

A

Peter Fratzscher ist nun dabei. Allen geht es um eine gute Geschichte: Wie lässt sie sich mehr auf den Punkt bringen? Jeltsch setzt die Vorschläge in einer weiteren Drehbuchversion um: die Dialoge werden geschliffen, der Rhythmus verfeinert, das Tempo angezogen. Es folgt ein weiteres Treffen, der Ablauf wiederholt sich. Doch nun geht es immer mehr um das Budget: Kann man Drehorte einsparen oder zusammenlegen? Gibt es zu viele Komparsen? Stimmt die Länge der Geschichte? Mit der vierten Version sind alle zufrieden. Peter Fratzscher hat sich bereits einen Kurzauftritt im Stil von Hitchcock als Kneipenwirt gesichert. Mit vier Versionen liegt Christian Jeltsch gut: „Fünf bis neun sind der Normalfall“, sagt Koller.

Jubilarin Folkerts (mit Andreas Hoppe) als TV-Cop Lena Odenthal

Mit welcher TV-Kommissarin möchten Sie mal im Doppelpack ermitteln? Mit Senta Berger, Eva Mattes oder Hannelore Hoger.

Es gibt laut Dietmar Bär, Ihrem Kölner „Tatort“-Kollegen, viele tolle Themen für die Reihe, aber auch viele vorsich­ tige Fernsehredakteure.

Richtig. Es gibt die unausgesprochene Regel, dass die Menschen nicht sehen wollen, womit sie täglich konfrontiert werden. Ein gefrus­ teter Hartz-IV-Empfänger, der das Arbeitsamt auseinandernimmt, sei ebenso wenig erwünscht wie kriminelle Banden, die versuchen, Reiche abzuzocken.

Im Lauf von 20 Jahren „Tatort“ verwandelten Sie sich vom weiblichen Raubein über die Fäuste schwingende Lesbe zur schönen Sensiblen. Woran liegt das?

Ich bin mittlerweile entspannter. Das kommt von der jahrelangen Erfahrung in meinem Job. Zudem habe ich meine Verkrampfung

gegenüber Journalisten abgebaut. Dazu trugen auch die Psychotherapien bei. In meinen anderen Fernsehrollen darf ich endlich weiblichere Seiten zeigen. Als Klischee-Lesbe habe ich mich allerdings im „Tatort“ nie gefühlt, eher schon als weiblicher Schimanski.

Wie soll Lena Odenthal irgendwann einmal abtreten?

Indem sie die große Liebe findet, die sie in ein fernes Land lockt. Sie soll nicht sterben.

Welche Rollen würden Sie niemals spielen?

Frauen, die reine Opferlämmer sind. Das geht gar nicht. Interv.: Mike Powelz Folkerts mit Mike Powelz (TV DIGITAL)

S0 11.10.

Das komplette Interview lesen Sie auf www.tvdigital.de

Tatort: Vermisst

KRIMI 20 Jahre im TV-Dienst: Lena Odenthal feiert Fernsehjubiläum; Das Erste, 20.15 Uhr


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.