Priester Daniil Sysojew. Weshalb bist du nicht getauft?

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PRIESTER DANIIL SYSOJEW WESHALB BIST DU NICHT GETAUFT?


Die russische Ausgabe erschien mit dem Segen

S. E. Wladimir, Metropolit von Kiew und der ganzen Ukraine Titel der russ. Originaltitel: Так чем же являются Дни Творения? © 2005, Пролог (Vlg. Prologue) Deutsche Ausgabe — 1. Auflage 2015 Aerbecker Str. 8, D-47669 Wachtendonk kontakt@edition-hagia-sophia.de www.edition-hagia-sophia.de Übersetzung: Diakon Roman Bannack Korrektur: Katharina Fernbach Satz & Gestaltung: Gregor Fernbach

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige Medien, Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabe sowie des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten. © Yulia Sysoeva, 2016 ISBN-13: 978-3-937129-37-2


Priester Daniil Sysojew

Weshalb bist du nicht getauft?

Missionszentrum „Priester Daniil Sysojew“ (Karitative Stiftung) Moskau 2016

Edition Hagia Sophia


Inhalt Ohne Gott gleicht die Seele einem Ödland . . . . . . . . . . . 9 „Die Wissenschaft hat bewiesen, dass es Gott nicht gibt!..„ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 „Ich habe Gott im Herzen…“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Die acht Tugenden, die den acht hauptsächlichen Leidenschaften entgegenstehen . . . . . . . . . . 33 „Ich bin noch nicht reif für die Taufe…“ . . . . . . . . . . . . 43 Muss ein Christ Fanatiker sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Warum kämpft die Kirche nicht für die Rechte des Volkes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 „Sie alle sind habgierig…“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Gott lehnt Nationalismus in der Religion ab . . . . . . . . . 62 „Ich bin so erzogen worden…“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 „Ich brauche keine Mittelsmänner…“ . . . . . . . . . . . . . . 68 Führt wirklich jeder Weg zu Gott? . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 „Von dort ist noch niemand zurückgekehrt…“ . . . . . . . 74 „Nicht wie bei den Katholiken…!“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 „Das ist unhygienisch…“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 „Bei euch in der Kirche sind die Leute alle so böse…“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84


„Man versteht überhaupt nichts…“ . . . . . . . . . . . . . . . . 88 „Gott wird nicht vergeben…?“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Wenn du dich zur Taufe entschlossen hast . . . . . . . . . . 95 Das Maß des Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Das Glaubensbekenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Das Alphabet des Christentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Wie lange muss man sich auf die Taufe vorbereiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Es naht der Zeitpunkt der Taufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Was passiert während des Mysteriums? . . . . . . . . . . . 128 Was ist weiter zu tun? Wie verhalte ich mich in Versuchungen? . . . . . . . . . . . 133 Der Rhythmus des christlichen Lebens . . . . . . . . . . . . 137 Seid heilig… . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

Priester Daniil Sysojew (1974–2009)

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Ohne Gott gleicht die Seele einem Ödland

Ohne Gott gleicht die Seele einem Ödland

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ürre. Die ausgetrocknete Erde ist von Furchen durchzogen. Die letzten überlebenden Pflanzen sind gelb geworden und kurz vor dem Vertrocknen. Es scheint, als gäbe es für nichts, das lebendig ist, eine Hoffnung… Doch plötzlich lässt das unerbittliche Sengen der Sonne nach, der Himmel zieht sich mit Wolken zu und Regengüsse kommen auf die Erde herab. Dort, wo noch vor wenigen Minuten hässliche Furchen klafften, beginnen die Gräser zu sprießen, und am Morgen ist die Wüste bereits mit einem Teppich bunter Blumen bedeckt. So hat es der Poet in früheren Zeiten besungen: „Du sorgst für das Land und tränkst es; du überschüttest es mit Reichtum. Der Bach Gottes ist reichlich gefüllt, du schaffst ihnen Korn; so ordnest du alles. Du tränkst die Furchen, ebnest die Schollen, machst sie weich durch Regen, segnest ihre Gewächse. Du krönst das Jahr mit deiner Güte, deinen Spuren folgt Überfluss. In der Steppe prangen die Auen, die Höhen umgürten sich mit Jubel. Die Weiden schmücken sich mit Herden, die Täler hüllen sich in Korn. Sie jauchzen und singen.“ (Ps 64,10-14). So passiert das in der Natur. Doch das gleiche passiert auch mit dem Herzen des Menschen, der die heilige Taufe erfährt. Du aber, teurer Freund, hast diese lebendig machende Freude noch nicht verspürt, denn noch bist du nicht getauft. Etwas hat deine Eltern daran gehindert, das zu tun, solange du noch ein kleines Kind warst, und deine Seele, die von Natur aus Christin ist, hat sich intuitiv allem Heiligen zugewandt. Jetzt aber hast du diese deine Seele hinter dicken Mauern aus „Lebensweisheiten“ verborgen, und das Leben mit Christus 9


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erscheint dir als irreales, dein „normales“ Leben vielleicht auch störendes Leben zu sein. Wie dem auch sei, du verschiebst den ersten Schritt in Richtung Heil immer und immer wieder oder hast womöglich gar nicht mehr vor, ihn zu unternehmen. Es scheint, als gehe es dir auch ohne Gott gut. Doch lass uns einmal darüber nachdenken, wie du so ohne deinen Schöpfer lebst. Hattest du nie den Eindruck, als sei deine Seele ohne Gott wie ein Ödland? Schau genauer hin: die Sorgen verzehren dich, und wenn du auch nur einen Augenblick lang innehältst, so kommt die Trübsal. Die Genüsse, die einmal endlos zu währen schienen, verwandeln sich innerhalb von nur einer Minute in Katerstimmung. Die Menschen, auf die du gebaut hast, verraten dich, und das tun sie just in dem Moment, in dem du sie am meisten brauchst. Das Geld, auf das du alle Hoffnung gesetzt hast, wird bei der nächsten Inflation wertlos werden. Doch selbst wenn du nicht an Geldmangel leidest, so gibt es Situationen, in denen es nutzlos ist. Die Ideale, die du deinem Leben zum Ziel gesetzt hast, helfen dir nicht in der Not, noch tun sie das in der Stunde deines Todes… Und so findet sich die unsterbliche Seele vor dem zerbrochenen Gefäß deines Lebens. Wie in einem Alptraum läufst du, doch alle Türen verschließen sich vor dir, alle Fäden reißen in deinen Händen, und all das, was du für wichtig gehalten hast, richtet dich zugrunde. Du suchst Frieden und findest nur Hetzerei, leere Sorgen und Mühen, die mit trügerischer Hoffnung verführt, für die du aber mit Schmerz bezahlen musst. Die Sünden der Jugend schlagen plötzlich im Alter schmerzhaft zu. Das Vergangene wird zu einem unerbittlichen Ankläger. Du denkst, es stünde in deiner Macht, aus eigener Kraft etwas Großes zu erreichen? 10


Ohne Gott gleicht die Seele einem Ödland

Doch schau dich an: alle Kräfte des menschlichen Geistes sind ausgezehrt. Der Verstand sucht unablässig nach einem unerschütterlichen Grund, sieht aber, dass ihm nur Nebel bleibt: Wissen, das sich schon am nächsten Tag als verkehrt herausstellt. Der Wille weiß nicht, worauf er gründen soll. Hast du es denn nie erlebt, dass du das eine willst, etwas anderes denkst und etwas Drittes tust? Auch die Gefühle sind verzerrt, und manches Mal liebst du, wie ein Trunkener, das, was eigentlich verachtenswert ist, und hasst das, was man lieben sollte. Und dann rufst du: „Ich versinke in einem tiefen Sumpf und habe nichts, worauf ich mich stützen kann!.. Ich bin in einen Strudel geraten, und die Strömung reißt mich fort!“ Doch kein Mensch kann dir mehr helfen… Und so sagt denn der Weise, der versteht, dass Hilfe nur von Oberhalb dieser Welt kommen kann: „Gott, du mein Gott, dich suche ich, meine Seele dürstet nach dir. Nach dir schmachtet mein Leib wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser. Darum halte ich Ausschau nach dir im Heiligtum, um deine Macht und Herrlichkeit zu sehen. Denn deine Huld ist besser als das Leben“ (Ps 62,2-4). Wie wunderbar, wenn du, noch bevor du am Boden bist und alle Not eines gottlosen Lebens kostest, verstehst, dass man nur in Gott Antworten auf quälende Fragen erfährt und die heimatlos umherirrende Seele zur Ruhe kommt. Tatsächlich ist es besser, zu Gott zu gelangen, auch wenn man alles, bis auf das Leben, bereits verloren hat, als wenn man aus demselben scheidet, ohne am ewigen Sein Teil zu haben. So erfährt der Mensch, der sich seiner Kraftlosigkeit vor dem ihn zersetzenden Tod bewusst wird, dass es einen Ausweg aus seinen Irrungen gibt. Der lebendig machende Strom der 11


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Ewigkeit umspült seine Seele und teilt ihr einen Hauch des ewigen Seins mit. Gott steht bereit, den Schleier der Dunkelheit von den Augen des Menschen zu entfernen und ihm dabei zu helfen, die Welt zu sehen, wie sie ohne die betäubende Atmosphäre des Subjektiven wirklich ist. Viele kommen auch deshalb an die Wasser der heiligen Taufe (die zu Recht göttlich genannt wird), weil darin, wie in einer mystischen Werkstatt, der Mensch zu einem Gottessohn wird. Die Taufe ist, wie es der heilige Gregor der Theologe tiefsinnig ausdrückt, „eine Unterstützung für unsere Schwachheit, ein Ablegen des Leibes, ein Folgen dem Geist, Gemeinschaft mit dem Wort, Veränderung des Bewusstseins, Untergang der Sünde, Teilhabe am Licht, Zerstreuung der Dunkelheit. Die Taufe ist der Wagen, der zu Gott empor trägt, ein Mitgehen mit Christus, Stärkung des Glaubens, Vollendung des Verstandes, Schlüssel zum Himmelreich, Umkehr des Lebens, Abstreifen der Knechtschaft, Befreiung von Fesseln, Verwandlung des Menschen. Die Taufe ist die beste und erhabenste unter den Gaben Gottes.“ Die Seele eines Menschen, der getauft wird, erhält neue Sinnesorgane, und alle Dinge rücken an den rechten Ort. Der Verstand wird befähigt, ganzheitlich zu denken. Das Herz wird von der Bürde der Vergangenheit befreit. Die Seele bekommt genügend Kraft, in himmlischem Frieden und ewiger Freude zu verbleiben. Man spürt erstmals nicht nur periodische Gewissensbisse, sondern auch ein Gutheißen durch das eigene Gewissen. Es werden Träume wahr, die du vorher gar nicht träumen konntest. All das, was widersprüchlich schien, wird verständlich. Das Dunkel des Unverständnisses beginnt sich zu erhellen, und wie beim Anbruch der Dämmerung treten allmäh12


Ohne Gott gleicht die Seele einem Ödland

lich die Umrisse vorher unsichtbarer Dinge hervor. Der Geist spürt die ihn erfüllenden außerordentlichen Kräfte, und allen Versuchungen (welche natürlich nach der Taufe nur noch heftiger werden — später wirst du verstehen, weshalb) begegnet er so, wie ein erfahrener Schachspieler eine interessante, wenn auch schwierige Figurenkonstellation angehen würde. Der Kampf um die Erneuerung der Seele zu einem neuen Leben ist ja ein schwieriges, jedoch zu bewältigendes Unterfangen. Die Schlacht ist gefährlich, doch der Sieg wird unser sein. Die Hörner sind erklungen, die Armeen ziehen in den Kampf, doch in der Ferne kann man schon den Triumph erkennen. Das ist auch nicht verwunderlich! Denn Christus ist auferstanden, der Tod ist bereits besiegt. An uns ist nur, den bereits gerichteten Feind zu zertreten. Aus dem Herzen des Erlösten ertönt ein Lied. Hört euch in diese ewigen Worte hinein, die seit vielen hundert Generationen im Gebet wiederholt werden: „Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig. So sollen alle sprechen, die vom Herrn erlöst sind, die er von den Feinden befreit hat. Denn er hat sie aus den Ländern gesammelt, vom Aufgang und Niedergang, vom Norden und Süden. Sie, die umherirrten in der Wüste, im Ödland, und den Weg zur wohnlichen Stadt nicht fanden, die Hunger litten und Durst, denen das Leben dahinschwand, die dann in ihrer Bedrängnis schrien zum Herrn, die er ihren Ängsten entriss und die er führte auf geraden Wegen, sodass sie zur wohnlichen Stadt gelangten: Sie alle sollen dem Herrn danken für seine Huld, für sein wunderbares Tun an den Menschen, weil er die lechzende Seele gesättigt, die hungernde Seele mit seinen Gaben erfüllt hat. 13


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

Sie, die saßen in Dunkel und Finsternis, gefangen in Elend und Eisen, die den Worten Gottes getrotzt und verachtet hatten den Ratschluss des Höchsten, deren Herz er durch Mühsal beugte, die stürzten und denen niemand beistand, die dann in ihrer Bedrängnis schrien zum Herrn, die er ihren Ängsten entriss, die er herausführte aus Dunkel und Finsternis und deren Fesseln er zerbrach: Sie alle sollen dem Herrn danken für seine Huld, für sein wunderbares Tun an den Menschen, weil er die ehernen Tore zerbrochen, die eisernen Riegel zerschlagen hat. Sie, die dahinsiechten in ihrem sündhaften Treiben, niedergebeugt wegen ihrer schweren Vergehen, denen vor jeder Speise ekelte, die nahe waren den Pforten des Todes, die dann in ihrer Bedrängnis schrien zum Herrn, die er ihren Ängsten entriss, denen er sein Wort sandte, die er heilte und vom Verderben befreite: Sie alle sollen dem Herrn danken für seine Huld, für sein wunderbares Tun an den Menschen.“ (Ps 106,1-21) Selbst der fürchterliche Knochenmann mit der Sense verliert seinen Schrecken vor dem Angesicht eines Christen. Denn er sieht, dass hinter dem schwarzen Vorhang des Todes der unvergleichliche Glanz der Ewigkeit erstrahlt. Er weiß, nach den Worten des Apostels Paulus, welche Seligkeiten Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben, auch wenn sie „kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat“, und sie „keinem Menschen in den Sinn gekommen“ sind (1 Kor 2,9) — jedoch der Vater Selbst offenbart dies durch Seinen Geist. Deshalb sprechen wir auch davon, dass für uns „Christus das Leben und Sterben Gewinn“ ist… und „Ich sehne mich danach, aufzubrechen und bei Christus zu sein“ (Phil 1,21.23). Und das ist nicht verwunderlich. Denn in der Taufe sind wir gestorben und mit Christus 14


Ohne Gott gleicht die Seele einem Ödland

auferstanden, und seitdem ist unser Leben mit Christus in Gott verborgen. „Wenn Christus, unser Leben, offenbar wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbar werden in Herrlichkeit“ (Kol 3,4), doch nur, wenn wir nicht nach der untergehenden Welt streben, sondern nach dem Himmlischen Königreich. Wie sollte man, da man von diesen großen Gaben und dem Lohn weiß, welche man in der Taufe erhält, nicht zu ihren erlösenden Wassern schreiten? Desto mehr, da von dir nichts verlangt wird als der orthodoxe Glaube und die Reue über die bösen und leeren Werke deines bisherigen Lebens. Denn selbst deine guten Werke (die in Wahrheit in der Regel eher bescheiden ausfallen), derer du dich rühmst, fallen durchaus nicht dem Vergessen anheim oder gelten plötzlich nichts mehr, sondern sie werden lediglich von der Patina der Eitelkeit und der Selbstsucht gereinigt und treten in wunderbaren Einklang mit dem ewigen Leben ein. Doch erstaunlicherweise (andererseits ist das gar nicht so verwunderlich) lehnen viele eine solch große Gabe aus vollkommen absurden Gründen ab. Nicht verwunderlich ist das deshalb, weil hinter allem Widerspruch in Wirklichkeit der Urfeind des Menschen steht, der alte Drache, der seine Beute nicht fahren lassen will. Er ist es, dem nach dem „Urhebergesetz“ alle Ungetauften gehören. Er ist der Erfinder der Sünde und verlangt gewissermaßen als ein Honorar dafür die Seele des Menschen. Wie sollte er es zulassen, dass die Sünden vergehen, die Menschen aus seinen geschickten Fallen befreit werden und unter den Schutz der gewaltigen Hand des Herrn fliehen? Ganz selbstverständlich wird er versuchen, dich durch seine hinterlistigen Stricke zu Fall zu bringen und zu verwirren. 15


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

Wollen wir doch einmal versuchen, die Einwände zu betrachten, welche von denen hervorgebracht werden, die nicht getauft zu werden wünschen. Wir versuchen, sie nicht von unserem menschlichen Standpunkt aus zu betrachten, sondern vom Standpunkt der Orthodoxen Kirche, indem wir daran denken, dass das orthodoxe Christentum eine Religion des Verstandes ist, dieser aber kann, ist er einmal durch den Geist Gottes erleuchtet, die Fallstricke des Feindes mit Leichtigkeit gleich Spinnweben zerreißen. Doch gehen wir nun zu den eigentlichen Argumenten über, mit deren Hilfe unser verdorbener Wille, von den Geistern der Finsternis abgelenkt, gegen die vergöttlichende Taufe auftritt.

„Die Wissenschaft hat bewiesen, dass es Gott nicht gibt!“ Der erste Einwand: Ich glaube an keinen Gott, wozu bräuchte ich dann dieses euer Bad? Zumal die Wissenschaft bewiesen hat, dass es Gott nicht gibt!

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s ist klar, dass, wenn du nicht an die Existenz Gottes glaubst, keine Rede von der Taufe sein kann. Jeder ehrliche Priester wäre verpflichtet, eine solche Gotteslästerung zu unterbinden, sobald er erfährt, dass der Täufling ohne den Glauben an den Schöpfer zur Taufe herantritt. Das kommt mitunter vor, wenn ahnungslose Verwandte einen Menschen zwingen wollen, sich taufen zu lassen. Doch das ist sowohl Gotteslästerung, als auch

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„Die Wissenschaft hat bewiesen, dass es Gott nicht gibt!“

vollkommen nutzlos. Nach den Worten des heiligen Bischofs Kyrill von Jerusalem wird „das Wasser dich annehmen, der Geist dich aber ablehnen“. Nun denn, mit dem einen deiner Argumente sind wir vollkommen einverstanden: ein Ungläubiger darf nicht getauft werden. Doch sei auch du einmal ehrlich und stelle dir einige unangenehme Fragen und beantworte sie ehrlich, ohne die verschlagene Falschheit der atheistischen Lektoren. Weshalb bist du so davon überzeugt, dass es keinen Gott gibt? Dieser Gedanke ist doch zumindest etwas naiv. Denke einmal darüber nach: wenn es keinen Schöpfer gibt, wie konnte eine solch komplexe Welt entstehen? Durch Zufall? Was ist, wenn man dir erzählte, dass der Computer, mit dem ich diesen Text schreibe, als Resultat des Gewittersturms in Moskau entstanden ist, als der Blitz in ein Ersatzteillager einschlug? Sicher wirst du entgegnen, das sei ein Hirngespinst. Wenn man dich aber mit voller Ernsthaftigkeit davon zu überzeugen versucht, wirst du sicher denken, dass man dich entweder veralbern will, oder du es mit dem potentiellen Patienten einer Irrenanstalt zu tun hast. Und damit hättest du Recht. Wie kann man dann jedoch ernsthaft denken, dass das Sonnensystem, oder mehr noch, der menschliche Organismus durch Zufall entstanden ist? Dabei hat es mehrere Jahrzehnte Arbeit hunderter der besten Wissenschaftler gebraucht, um allein den genetischen Code des Menschen zu entschlüsseln. Welch eine Weisheit ist denn dazu notwendig, einen solchen Code erst zu schreiben? Und du behauptest doch, das Leben sei Resultat von Zufällen. Weshalb erschuf der Zufall die verschiedensten 17


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

Lebensformen nach auf dem ganzen Planeten gültigen Gesetzen? Und wie können die Naturgesetze selbst ohne einen Gesetzgeber entstanden sein? Wäre der Atheismus im Recht, dann wäre gar keine Wissenschaft möglich. Denn wenn der Mensch das Produkt von sinnloser Materie ist, die dem blinden Zufall unterliegt, so wäre jeder seiner Gedanken (einschließlich der Evolutionstheorie und alle Arten des Atheismus) nur das Ergebnis zufälliger Verbindungen von Elementarteilchen, Verbindungen, die keinen Wert haben. Für uns wäre es dann gleichgültig, was wir postulieren, denn alle Worte und Gedanken wären gleichermaßen falsch. Man könnte mit derselben Ernsthaftigkeit (und mit genau der gleichen Beweislage) behaupten, wir seien das Ergebnis der tiefschürfenden Gedanken eines Kühlschranks… Der Atheismus weiß nicht, weshalb die Naturgesetze eine Einheit bilden und erläutert nicht, warum die Welt überhaupt ergründbar ist. Die Evolutionstheorie, welche ein Atheist braucht, widerspricht direkt dem zweiten Gesetz der Thermodynamik. Der Schriftsteller Isaac Asimov hat es folgendermaßen definiert (übrigens ohne Zuhilfenahme mathematischer Formeln): „Eine andere mögliche Formulierung des zweiten Gesetzes wäre: ‘Das Universum wird ständig immer ungeordneter!’ Betrachten wir das zweite Gesetz von diesem Gesichtspunkt aus, so sehen wir, dass hier die Rede von uns selbst ist. Wir müssen eifrig Hand anlegen, um in unserem Zimmer Ordnung zu schaffen, während es von allein wieder unordentlich wird, was auch noch viel schneller und einfacher passiert. Selbst, wenn wir dieses Zimmer nicht betreten, sammelt sich Schmutz und Staub. Wie schwierig ist es, in einem Haus Ordnung zu halten, oder auch 18


„Die Wissenschaft hat bewiesen, dass es Gott nicht gibt!“

nur in unseren eigenen Leibern! Selbst, wenn man gar nichts tut, gerät alles in Verfall, geht kaputt, verschleißt von allein — das ist es, was das zweite Gesetz bedeutet.“ Wenn hingegen die Evolutionstheorie richtig wäre, so wären sowohl unsere täglichen Beobachtungen als auch die Berechnungen von Ingenieuren falsch. Mehr noch, die Evolutionisten müssten die Russische Akademie der Wissenschaften verklagen, und zwar dafür, dass sie keine Patentmeldungen in Betracht zieht, die ein Perpetuum mobile mit hundertprozentigem Wirkungsgrad zum Gegenstand haben. Von mathematischem Standpunkt aus betrachtet ist der Atheismus eine unwahrscheinliche Weltanschauung. So beträgt die Chance eines zufälligen Auftretens unserer allgemeingültigen Konstanten (also solcher wie der Lichtgeschwindigkeit, Elektronenmasse und -ladung) 1 zu 103.000; die Wahrscheinlichkeit des Auftretens der einfachsten Bakterienform beträgt 1 zu 1040.000; und eine zufällige Veränderung von 5 Eiweißen in eine sinnvolle Ausrichtung hätte eine Wahrscheinlichkeit von 1 zu 10275 usw. Der Atheismus entbehrt jeglicher wissenschaftlicher Voraussicht. Man kann den Atheismus nicht experimentell nachweisen, ganz im Gegensatz zu wissenschaftlichen Theorien, deswegen kann man ihn auch mit Biegen und Brechen nicht in den Bereich der Wissenschaften einordnen. Der Atheismus ist außerstande, eine ganze Reihe von Tatsachen des irdischen Lebens zu erklären (beispielsweise die Existenz des Bombardierkäfers, des Sonnentaus, der Echoortung bei Fledermäusen, oder die Unterwassergeburt bei Walfischen) und kann deshalb nicht 19


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wissenschaftlich genannt werden. Man könnte ihn vielmehr als eine exotische Glaubensform klassifizieren. Insofern gehen deine Worte davon, dass „die Wissenschaft bewiesen hat, dass es keinen Gott gibt“, mit der Realität auseinander. Andererseits behauptest du, dass es einen gewissen Sinn des Lebens und einen Unterschied zwischen Gut und Böse gibt. Doch wenn du Recht hättest mit deiner Leugnung eines Gottes, so ist alles Reden von Gut und Böse vollkommen absurd. Kann denn ein sterbliches Stück sinnlose Materie einen Sinn im Leben haben? Es hat weder ein Ziel seiner Existenz, noch Moral, nichts, außer dem einen, mächtigen Tod, der deine einzige Gottheit darstellt. Das musst du ehrlich zugeben, denn Ziel und Sinn des Lebens siehst du letztlich im Grab! Wenn du damit einverstanden bist, dem Tod zu dienen, so ist das dein gutes Recht. Du hast dir den ewigen Tod selbst erwählt. Doch ich muss dich warnen. Was auch immer du annimmst — die Seele kann man nicht zerstören, und jenseits der Schwelle des Lebens wirst du dich sofort davon überzeugen, dass es in Wirklichkeit sowohl Gott, als auch die Auferstehung des Leibes, und das Gericht gibt, vor welchem jeder, auch du, für seine Werke geradestehen muss. So leid es mir tut, dort werden dir deine Erörterungen wie „Ich habe nicht geglaubt, deshalb kannst Du, Gott, mich nicht richten“ nicht helfen können. Fürchtest du nicht, Gott könnte dir sagen: „Hättest du dir nicht selbst deine Ohren verstopft und deine Augen bedeckt, so würdest du Mich kennen. So aber hast du Mich aus freiem Willen verleugnet. Doch das passierte, weil deine Werke böse waren, so dass das Licht der Offenbarung deinen kranken Augen unerträglich gewor20


„Ich habe Gott im Herzen…“

den ist. Du wolltest so leben, als existiere Ich nicht; nun denn, lebe auch weiterhin so. Geh fort von Mir! Doch denke daran, Ich bin das Licht, und jenseits des Lichts ist Finsternis. Ich bin das Leben, und jenseits des Lebens ist der ewige Tod. Ich bin die Liebe, jenseits von Mir ist der Hass. Ich bin Freude, und jenseits von Mir ist Geheul und Zähneklappern. Das hast du selbst gewählt, so empfange das, was du dir gewünscht hast“? Wünschst du jedoch das ewige Leben, so nimm die Taufe an und lebe gottgefällig.

„Ich habe Gott im Herzen…“ Der zweite Einwand: Ich habe Gott im Herzen, deshalb brauche ich eure Rituale nicht. Ich tue auch so nur Gutes. Gott wird mich doch nicht nur allein deshalb in die Hölle schicken, weil ich ungetauft bin? Und was ist dann mit den Eingeborenen in Afrika oder Papua Neuguinea, die nie von Christus gehört haben?

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inen solchen Einwand trifft man am häufigsten an. Doch gestatte es, dich zu fragen: was verstehst du unter dem Begriff „Gott“? Wenn damit nur das Gewissen gemeint ist, dann ist das natürlich richtig: jeder Mensch hört die Stimme seines Gewissens im Herzens. Da gibt es auch keine Ausnahmen. Nicht einmal Hitler oder Tschikatilo1 sind davon ausgenommen. Sie alle wussten, dass es Gut und Böse gibt, und Gottes Stimme versuchte, auch Andrei Tschikatilo, Serienmörder in den 1970er bis 1990er Jahren

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— Anm. d. Ü.

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sie vom Bösen abzuhalten. Sie sind doch aber nicht allein aus dem Grund, dass sie diese Stimme hörten, bereits Heilige? Das Gewissen ist ja nicht Gott gleichzusetzen, es gilt vielmehr als Seine Stimme. Wenn du beispielsweise die Stimme des Präsidenten über das Radio hörst, bedeutet das doch nicht, dass er bei dir zu Hause zu Besuch ist? Ebenso zeugt die Existenz des Gewissens noch nicht davon, dass Gott in deinem Herzen weilt. Wenn man sich jedoch in den Sinn dieser Redewendung hineindenkt, kommt man auf folgende Gedanken: Wer ist Gott? Gott ist der allmächtige, allwissende, gerechte, gute Geist, der Schöpfer des Alls, Den die Himmel und die Himmel der Himmel nicht zu fassen vermögen. Ebenso kann dein Herz Ihn nicht fassen, Ihn, vor dessen Angesicht die Engel erzittern. Denkst du wirklich zu Recht, dass diese nicht zu bemessende Macht mit dir verweilt? Zeige mir, worin sich das äußert. Bist du in der Lage, ein Wunder zu wirken (beispielsweise einen Toten wiederzuerwecken), oder das Wunder der Liebe zu zeigen, zum Beispiel dadurch, dass du dem, der dich schlägt, die andere Wange hinhältst? Kannst du denn deine Feinde wenigstens zu einem Hundertstel so stark lieben wie unser Herr, der vor Seiner Kreuzigung für sie betete? Denn wahrheitsgemäß behaupten, „Gott ist in meinem Herzen“, kann nur ein Heiliger. Bist du denn heilig? Zeige mir doch deine Heiligkeit, sonst bleibt es nichts als Selbstbetrug, ein leerer Einwand, mit dem du dich vor dem ewigen Schöpfer verschließt. Du sagst: „Ich tue nur das Gute, Gott wird mich doch nicht in die Hölle senden?“ Doch gestatte es mir bitte, an deiner Rechtschaffenheit zu zweifeln. Was ist denn das Kriterium für das Gute und das Böse, demzufolge man sagen 22


„Ich habe Gott im Herzen…“

kann, dass du oder ich Gutes oder Böses tun? Wenn man sich selbst als das Kriterium dazu ansieht (wie häufig gesagt wird: „Ich bestimme für mich selbst, was gut und was schlecht ist.“), so muss ich anmerken, dass diese Begriffe in diesem Fall jedweden Wert und Sinn verlieren. Denn auch Beria, Göbbels und Pol Pot waren wohl überzeugt davon, im Recht zu sein, weshalb bist du dann der Meinung, dass ihre Werke verurteilungswürdig sind? Wenn du das Recht hast, für dich selbst das Maß des Guten und des Bösen zu bestimmen, dann gestehe das doch auch den Mördern, Perversen und Vergewaltigern zu. Ach, und übrigens, gestatte es bitte auch Gott, nicht mit diesen deinen Kriterien einverstanden zu sein, sondern dich nach Seinen Maßstäben zu beurteilen. Sonst wird das ja irgendwie ungerecht, du selbst bestimmst das Maß, der allmächtige und freie Gott aber bekommt von dir verboten, dich nach Seinen Gesetzen zu beurteilen. Nach diesen Gesetzen aber ist es so, dass du, so beklagenswert das auch ist, ohne Reue (die nur einem Getauften innerhalb der Kirche vor Gott wirklich möglich ist) in der Hölle landest. Nun sage mir ehrlich: was ist dein eigener Maßstab von Gut und Böse vor Gott wert, wenn du nicht einmal das Recht hast, solche Gesetze zu formulieren? Du hast ja weder deinen Leib, noch deine Seele, noch den Verstand, den Willen oder die Sinne erschaffen. Alles, was du besitzt, ist eine Gabe (und vielleicht nicht so sehr ein Gabe, als vielmehr ein zeitweilig zum Gebrauch überlassener Besitz), und du bist aus irgendeinem Grunde der Meinung, dass man nach Gutdünken und ungestraft darüber verfügen kann. Dem aber, der dich geschaffen hat, verweigerst du das Recht, Rechenschaft darüber zu verlangen, wie du Seine Gaben gebraucht hast. Scheint dir 23


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das nicht eine etwas freche Einstellung zu sein? Denkst du etwa, dass der Herr des Alls aus irgendeinem Grunde deinen durch die Sünde verdorbenen Willen tun soll? Du hast ja Sein direktes Gebot nicht gehalten: „Kehrt um und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung seiner Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen“ (Apg 2,38) und bist dennoch der Meinung, dass Gott dir etwas schuldig ist. Ist das nicht leichtsinnig? Das folgende hat die Bibel dazu zu sagen: „Zum Frevler aber spricht Gott: «Was zählst du meine Gebote auf und nimmst meinen Bund in deinen Mund? Dabei ist Zucht dir verhasst, meine Worte wirfst du hinter dich. Siehst du einen Dieb, so läufst du mit, du machst dich mit Ehebrechern gemein. Dein Mund redet böse Worte und deine Zunge stiftet Betrug an. Von deinem Bruder redest du schändlich, auf den Sohn deiner Mutter häufst du Verleumdung. Das hast du getan und ich soll schweigen? Meinst du, ich bin wie du? Ich halte es dir vor Augen und rüge dich. Begreift es doch, ihr, die ihr Gott vergesst! Sonst zerreiße ich euch und niemand kann euch retten.“ (Ps 49,16-22). Öfters sagt man (zurecht!), dass die Zehn Gebote das Maß für Gut und Böse sind (die der Herr übrigens den Menschen des Alten Testaments anderthalbtausend Jahre von Christus durch den Moses gegeben hat). Lass uns doch einmal schauen, ob du diesen Minimalanforderungen an die Rechtschaffenheit entsprichst (und dabei spreche ich noch gar nicht von Heiligkeit). Ich glaube, dass deine Selbstsicherheit über deine Rechtschaffenheit auf ganz einfacher Unkenntnis beruht. Oft hört man, das erste Gebot laute „du sollst nicht töten“, doch das ist nicht wahr. Ich werde für dich einmal 24


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den gesamten Text der Zehn Gebote anführen, und danach kannst du selbst urteilen, ob du sie alle erfüllst. Ein unvollständiges Erfüllen der Gebote wird dir übrigens am Tage des Gerichts nicht helfen. Ein Dieb wird nicht gerechtfertigt durch den Einwand: „Ja, ich habe Autos gestohlen, aber ich habe doch niemanden umgebracht!“. Umso weniger wird dir das vor Gottes Richtstuhl weiterhelfen. So sagt es die Bibel: „Wer das ganze Gesetz hält und nur gegen ein einziges Gebot verstößt, der hat sich gegen alle verfehlt. Denn er, der gesagt hat: Du sollst nicht die Ehe brechen!, hat auch gesagt: Du sollst nicht töten! Wenn du nicht die Ehe brichst, aber tötest, hast du das Gesetz übertreten“ (Jak 2,10f.). Wohlan, folgendes wird in der Heiligen Schrift über die zehn Gebote Gottes ausgesagt: „Am dritten Tag, im Morgengrauen, begann es zu donnern und zu blitzen. Schwere Wolken lagen über dem Berg und gewaltiger Hörnerschall erklang. Das ganze Volk im Lager begann zu zittern. Mose führte es aus dem Lager hinaus Gott entgegen. Unten am Berg blieben sie stehen. Der ganze Sinai war in Rauch gehüllt, denn der Herr war im Feuer auf ihn herabgestiegen. Der Rauch stieg vom Berg auf wie Rauch aus einem Schmelzofen. Der ganze Berg bebte gewaltig und der Hörnerschall wurde immer lauter. Mose redete und Gott antwortete im Donner“ (Ex 19,16-19). „Dann sprach Gott alle diese Worte: Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. [Das erste Gebot] Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde. Du sollst dich nicht vor anderen 25


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld. [Das zweite Gebot] Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der Herr lässt den nicht ungestraft, der seinen Namen missbraucht. [Das dritte Gebot] Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig! Sechs Tage darfst du schaffen und jede Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun: du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, dein Vieh und der Fremde, der in deinen Stadtbereichen Wohnrecht hat. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel, Erde und Meer gemacht und alles, was dazugehört; am siebten Tag ruhte er. Darum hat der Herr den Sabbattag gesegnet und ihn für heilig erklärt. [Das vierte Gebot] Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt. [Das fünfte Gebot] Du sollst nicht töten. [Das sechste Gebot] Du sollst nicht die Ehe brechen. [Das siebente Gebot] Du sollst nicht stehlen. [Das achte Gebot] Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen. [Das neunte Gebot] 26


„Ich habe Gott im Herzen…“

Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten verlangen. Du sollst nicht nach der Frau deines Nächsten verlangen, nach seinem Sklaven oder seiner Sklavin, seinem Rind oder seinem Esel oder nach irgendetwas, das deinem Nächsten gehört“ [Das zehnte Gebot] (Ex 20,1-17). Wollen wir jetzt einmal schauen, ob du alle zehn Gebote gehalten hast? Wenn du nicht getauft bist, wenn du also das eindeutige Gebot Gottes „Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden“ (Mk 16,16) nicht befolgen möchtest, wie erfüllst du denn das erste Gebot? Denn an anderer Stelle spricht Gott: „Der Herr, unser Gott, der Herr ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen… Den Herrn, deinen Gott, sollst du fürchten; ihm sollst du dienen, bei seinem Namen sollst du schwören“ (Deut 6,46,13). Ist es denn ein Anzeichen von Liebe zu Gott, wenn man es ablehnt, durch die Taufe in einen ewigen Bund mit Ihm zu treten? Ist es denn nicht so, dass du anderer Götter verehrst, wenn du deine Meinung über die Offenbarung Gottes stellst? Wirst du es schaffen, den Allmächtigen zu besiegen, indem du Seine Gebote missachtest? Folglich erfüllst du das erste Gebot nicht. Doch wollen wir einmal sehen, ob du das zweite Gebot erfüllst. Ich glaube nicht, dass ich irre, wenn ich sage, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass du ganz offensichtliche Götzen hast. Das sind auch die Horoskope, denen du wahrscheinlich glaubst, oder Amulette, die du möglicherweise von Zauberern bekommen hast (als was auch immer man letztere bezeichnet: Geistheiler, oder sogar „orthodoxe“ Heiler, Übersinnliche, Bioenergetiker, As27


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trologen, Schamanen, Hellsichtige, Spiritisten, Magier und dergleichen Diener des Teufels). Es stellt eine Todsünde und eine schlimme Versündigung gegen Gott dar, sich an solche zu wenden. Nun, und dein Verhältnis zum Geld unterscheidet sich schwerlich vom Götzendienst, wenn du der Meinung bist, dass man „mit Geld alles kann“. Sind denn Stolz und Eitelkeit, die man gängig als „Selbstwertgefühl“ bezeichnet, nicht klassische Götzen? Ist es nie vorgekommen, dass du gegen dein Gewissen gehandelt hast, weil deine Freunde dich um etwas gebeten haben? Das ist doch aber Liebedienerei, die aus einem Geschöpf einen Götzen macht. Das dritte Gebot aber wird heutzutage von jedermann gebrochen: durch Schwüre, durch Gotteslästerung, Verunglimpfung der Kirche, durch Flüche. Bist du von alledem immer gefeit gewesen? Es ist fast nicht mehr notwendig, vom vierten Gebot zu sprechen. Wann hat es das je gegeben, dass ein Ungetaufter den siebten Tag Gott weiht? Eher schon wird der Sonntag, der Tag der Auferstehung, dem Teufel gewidmet. An diesem Tage ist es nicht selten, dass sich die Menschen besaufen, streiten, unzüchtig sind, und wenn nicht, so amüsieren sie sich auf nicht gerade anständige Weise: schauen zweifelhafte TV-Sendungen und Filme, die voll der Darstellung von Sünden und Leidenschaften sind. Einzig der Schöpfer ist an Seinem Tag der Überflüssige. Hat denn Gott, der uns alles gab — einschließlich der Zeiten —, nicht das Recht, von uns nur ein paar Stunden zu bekommen, und zwar gerade dazu, damit wir von Ihm die Kräfte der Ewigkeit empfangen? Wir achten auch den Sabbat, doch einen besonderen Platz nimmt für uns und unser Heil der Sonn28


„Ich habe Gott im Herzen…“

tag ein, an dem jeder Gläubige, es sei denn, er ist schwer krank, in der Kirche sein muss: sowohl am Vorabend, als auch am Morgen des Festtags selbst. Bist du denn jeden Sonntag in der Kirche, dem Haus Gottes? Die Bibel sagt doch aber: „Ihr sollt meine Sabbate halten; denn das ist ein Zeichen zwischen mir und euch von Generation zu Generation, damit man erkennt, dass ich, der Herr, es bin, der euch heiligt. Darum haltet den Sabbat; denn er soll euch heilig sein. Wer ihn entweiht, soll mit dem Tod bestraft werden. Denn jeder, der an ihm eine Arbeit verrichtet, soll aus seinen Stammesgenossen ausgemerzt werden“ (Ex 31,14f.). Es gibt eine Menge an Frevlern, „Workaholics“, die behaupten, Arbeit sei keine Sünde, und in den geheiligten Stunden der Liturgie wühlen sie in ihren Gärten, stecken dabei ihre Nasen in die Erde und recken die andere Seite gen Himmel empor. Mit anderen Worten, auch mit dem vierten Gebot ist bei dir nicht alles in bester Ordnung, obwohl dessen Übertretung von Gott mit dem Tod bestraft wird. Vielleicht ist es nicht mehr notwendig, von den übrigen Geboten zu sprechen, denn rein formal werden sie selbst von der Mehrzahl der Gottlosen anerkannt. Doch in Wahrheit hat die moralische Zersetzung der Gottlosen ein derartiges Maß erreicht, dass es nötig ist, auch von diesen Geboten zu sprechen. Nun denn, das fünfte Gebot verlangt vom Menschen eine Achtung gegenüber seinen Eltern, ganz unabhängig von deren Verhalten. Man muss ihnen in allem gehorchen, was nicht dem Willen Gottes zuwiderläuft. Eine Kränkung der Eltern, besonders aber Gewaltanwendung gegen sie wird mit dem Tode bestraft (Ex 21,15.17). Dieses Gebot betrifft auch die Achtung gegenüber den 29


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

Herrschenden, was alle vergessen zu haben scheinen. So spricht Gott: „Die Richter sollst du nicht lästern, und einem Fürsten deines Volkes sollst du nicht fluchen“2 (Ex 22,28). Mit welcher Begierde aber tragen wir Gerüchte weiter und die Gedanken in solchen bösartigen Veröffentlichungen, die Führungspersönlichkeiten aller Ränge verunglimpfen und erniedrigen! Und das, obwohl wir wissen, dass das Machtprinzip vom Schöpfer eingesetzt worden ist. Aus diesem Grunde wird übrigens beim Gericht viel mehr von einem Menschen mit Macht gefragt werden als von einem einfachen. Der Herr schaut ja nicht auf das Gesicht, sondern gibt einem jeden nach seinen Werken. Das sechste Gebot nun verbietet nicht etwa nur den Mord an einem erwachsenen Menschen, sondern auch die Abtreibung. Der Mensch entsteht ja bereits im Augenblick der Empfängnis als unsterbliche Persönlichkeit! Versucht euch vorzustellen, ihr, die ihr eure Kinder tötet (und dieser Todsünde sind alle Beteiligten gleichermaßen schuldig: die Frauen und ihre Männer, die ihr Einverständnis damit geben), oder ihr, die ihr den Mord an Ungeborenen befürwortet, WAS werdet ihr denen sagen, die ihr umgebracht habt, wenn ihr ihnen begegnet? Begegnen werdet ihr ihnen mit Sicherheit, denn sie werden beim Gericht Gottes gegen euch aussagen, wo euch dann schon keine Ausflüchte wie „Wozu sollte man Kinder zur Welt bringen, die in Armut leben müssten?“ helfen werden. Und nun wollen wir uns einmal daran erinnern, dass das Gesetz seit den Zeiten Mose strenger geworden ist; der Herr sagte: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten; wer aber jemand tötet, soll Zit. aus Elberfelder 1905.

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„Ich habe Gott im Herzen…“

dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein; und wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein; wer aber zu ihm sagt: Du (gottloser) Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein. Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe. Schließ ohne Zögern Frieden mit deinem Gegner, solange du mit ihm noch auf dem Weg zum Gericht bist. Sonst wird dich dein Gegner vor den Richter bringen und der Richter wird dich dem Gerichtsdiener übergeben und du wirst ins Gefängnis geworfen. Amen, das sage ich dir: Du kommst von dort nicht heraus, bis du den letzten Pfennig bezahlt hast“ (Matth 5,21-26). Hast du deinen Nächsten wirklich niemals einen Dummkopf genannt? Dafür verfällt man doch aber dem Feuer der Hölle! Ist es etwa das, was du willst? Doch kehren wir zu den einfachen Geboten zurück. Das siebte Gebot verbietet die eheliche Untreue und voreheliche sexuelle Beziehungen, wobei Aussagen wie „wenn es Liebe ist, ist das in Ordnung“ oder „in meinem Herzen bin ich nicht untreu geworden“ keine Rechtfertigung sein können. Christus fügt nämlich hinzu: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe brechen. Ich aber sage euch: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen. Ferner ist gesagt worden: Wer seine Frau aus der Ehe entlässt, muss ihr eine Scheidungsurkunde geben. Ich aber sage euch: Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, liefert sie dem Ehebruch aus; und wer eine Frau heiratet, die aus der Ehe ent31


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lassen worden ist, begeht Ehebruch“ (Matth 5,27f.31f.). Hast du denn dieses Gebot so erfüllt, wie Gott das will? Den Ehebrecher erwartet ja ebenso der Feuersee! Das achte Gebot wird häufig von denen gebrochen, die sagen: „Ich nehme nur das, was ungesichert herumliegt.“ Diebstahl von Staatseigentum gilt heute gar nicht mehr als sündhaft. Doch Gott macht keinen Unterschied zwischen verschiedenen Arten des Diebstahls. All das untergräbt die souveräne Macht des Schöpfers über das Universum und stellt eine Meuterei gegen Ihn dar. Im Grunde einer solchen Meuterei liegen Habgier und Neid, mit dem man oftmals versucht, diese Gesetzlosigkeit zu rechtfertigen. Auch das neunte Gebot wird heutzutage von jedermann gebrochen. Die Lüge hält ja fast jeder für sich selbst für gestattet. Oftmals wird eine Theorie ersonnen, der zufolge es eine Notlüge, oder „fromme Lügen“ gibt. Folgendermaßen jedoch verhält sich der Herr zu all denen, die lügen: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst keinen Meineid schwören, und: Du sollst halten, was du dem Herrn geschworen hast. Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht, weder beim Himmel, denn er ist Gottes Thron, noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel für seine Füße, noch bei Jerusalem, denn es ist die Stadt des großen Königs. Auch bei deinem Haupt sollst du nicht schwören; denn du kannst kein einziges Haar weiß oder schwarz machen. Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen“ (Matth 5,33-37). Schau hin, hast du dieses Gebot wirklich gehalten? Der Vater der Lüge ist ja der Teufel (Joh 8,44). Und schließlich gilt es heute fast schon als eine Tugend, gegen das zehnte Gebot zu verstoßen. Das, was 32


Die acht Tugenden, die den acht hauptsächlichen Leidenschaften entgegenstehen

man früher als Neid gegeißelt hat, nennt man heute die „Herstellung sozialer Gerechtigkeit“. Und jeder, dem sonst langweilig ist, echauffiert sich über die Autos, die Wohnungen oder Häuser der anderen. Das Hauptthema der Unterhaltungen: „Warum darf er und ich nicht“. Das ist doch aber ein direkter Verstoß gegen den Willen des Allherrschers! Nun denn, schau in dein Herz. Hast du diese Gebote erfüllt? Dabei verbieten sie ja lediglich das Böse, darüber hinaus jedoch soll man Gutes tun. Eine Aussage wie „ich habe niemanden umgebracht und nichts gestohlen“ kann auch von einem gewöhnlichen Baumstumpf kommen. Ist er deshalb des Himmelreiches würdig? Um aufzuzeigen, was man tun muss, will ich eine Aufstellung an Tugenden bringen, welche die Orthodoxen anstreben und welche sie durchgehen, wenn sie sich auf die Beichte vorbereiten.

Die acht Tugenden, die den acht hauptsächlichen Leidenschaften entgegenstehen 1. Enthaltsamkeit

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an enthält sich von übermäßigem Essen und Trinken, besonders von übermäßigem Alkoholgenuss. Man befolgt genau die Fastenzeiten, welche von der Kirche vorgegeben sind. Der Leib wird mittels mäßiger und immer gleichartiger Ernährung gebändigt, wovon über33


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haupt alle Leidenschaften allmählich nachlassen, insbesondere die Eigenliebe, welche in Hingabe an den Leib, dessen Komfort und Bequemlichkeit besteht. 2. Keuschheit Sie bedeutet, sich allen Arten von unzüchtigen Dingen zu verweigern. Man flieht genusssüchtiges, unkeusches Reden und das Lesen solcher Schriften, man spricht keine schmutzigen, unkeuschen oder doppeldeutigen Dinge. Die Sinne werden behütet, insbesondere der Gesichtsund Gehörsinn, mehr noch der Tastsinn. Bescheidenheit. Ablehnung unkeuscher Gedanken und Träumereien. Schweigen. Dienst für Kranke und Versehrte. Gedenken an die Stunde des Todes und die Hölle. Der Beginn der Keuschheit ist ein Verstand, der von unkeuschen Gedanken und Träumereien nicht ins Wanken gerät; die Vollendung der Keuschheit ist eine Reinheit, in der man Gott schaut. 3. Uneigennützigkeit Man beschränkt sich allein auf das Notwendige. Man verachtet Luxus und Bequemlichkeit, liebt die evangelische Armut. Man vertraut auf Gottes Vorsehung und befolgt die Gebote Christi. Diese Tugend bedeutet Frieden und Freiheit des Geistes. Sie schafft Sorglosigkeit und bewahrt ein gutes Herz.

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Die acht Tugenden, die den acht hauptsächlichen Leidenschaften entgegenstehen

4. Sanftmut Die Abkehr von zornigen Gedanken und von grimmigem Aufruhr des Herzens. Geduld. Nachfolge Christi, der Seine Schüler bis hin zum Kreuz ruft. Friede im Herzen und im Verstand. Festigkeit und christliche Tapferkeit; Gefühllosigkeit gegenüber Kränkungen. Arglosigkeit. 5. Seliges Weinen Es ist das Gespür für den eigenen gefallenen Zustand, der allen Menschen gemein ist, und die eigene geistliche Armut. Man hadert damit, das Herz ist zerknirscht. Daraus folgt ein leichtes, reines Gewissen, seliger Friede und Freude. Man hofft auf die Gnade Gottes und dankt Gott auch in Schwierigkeiten, erträgt sie geduldig, da man der Vielzahl der eigenen Sünden gewahr ist. Man ist bereit zu dulden. Der Verstand wird rein. Die Leidenschaften wiegen weniger schwer. Man wünscht zu beten, in Einsamkeit zu verweilen, zu gehorchen, ebenso die Demut und das Bekennen seiner Sünden. 6. Nüchternheit Die Beflissenheit in allen guten Dingen. Die eifrige Ausübung der kirchlichen und privaten Gebetsregel. Beim Gebet ist man konzentriert und betrachtet all seine Werke, Worte und Gedanken mit großer Aufmerksamkeit. Sich selbst gegenüber ist man überaus misstrauisch. 35


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Es bedeutet, unaufhörlich im Gebet und im Wort Gottes zu verharren. Man ist ehrfürchtig und wacht immer über sich. Man bewahrt sich vor zu viel Schlaf, Verweichlichung, leerem Gerede, Scherzen und pikanten Worten. Man liebt durchwachte Nächte, Gebet mit Metanien und andere asketische Übungen, welche die Seele erfrischen. Man verlässt das Haus allein aus Notwendigkeit. Ist der ewigen Seligkeit eingedenk, wünscht sich diese und erwartet sie. 7. Demut Gottesfurcht. Das Gefühl dafür beim Gebet. Die Furcht davor, zu verschwinden und zu Nichts zu werden, die bei einem besonders lauteren Gebet auftritt, wenn die Anwesenheit und Größe Gottes besonders gefühlt werden. Die tiefe Einsicht in die eigene Nichtigkeit. Die Änderung dessen, wie man auf seine Nächsten blickt, wobei diese dem Demütigen ehrlich und ohne Zwang als in jeder Hinsicht besser und vortrefflicher scheinen, als er selbst es ist. Arglosigkeit, die von lebendigem Glauben herrührt. Abneigung gegen menschliche Lobeserhebungen. Ein ständiges Sich-Beschuldigen und Ermahnen. Rechtschaffenheit und Direktheit. Unvoreingenommenheit. Leidenschaftslosigkeit gegenüber allem. Rührung. Erkenntnis des Geheimnisses, das im Kreuz Christi verborgen ist. Der Wille, sich der Welt und den Leidenschaften gegenüber zu kreuzigen und das Streben danach. Ablehnung und Vergessen aller schmeichelnden Sitten und Worte, die durch Zwang oder Absicht oder gewohnte Schauspielerei bescheiden erscheinen. Annahme der 36


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geistlichen Armut. Ablehnung der Weisheit dieser Welt als eine Weisheit, die für das Himmelreich keine Wichtigkeit besitzt. Verachtung aller Dinge, die den Menschen viel gelten, doch in den Augen Gottes ein Gräuel sind (Lk 16,15). Abkehr von Selbstrechtfertigung. Schweigen vor denen, die beleidigen, wie es das Evangelium lehrt. Verlassen eigener Dünkel und Annahme der evangelischen Vernunft. Demütiges Denken, oder geistliches Urteilen. Ein bewusster Gehorsam gegenüber der Kirche in allem. 8. Liebe Im Gebet verwandelt sich Gottesfurcht zu Gottesliebe. Sie bedeutet eine Treue gegenüber dem Herrn, die durch ständige Ablehnung eines jeglichen sündigen Gedankens und Gefühls unter Beweis gestellt wird. Eine unbeschreibliches, liebendes Hingezogensein zum Herrn, Jesus Christus, und der angebeteten Heiligen Dreifaltigkeit. Man sieht im Nächsten Gottes Ebenbild und Christus selbst, und aus dieser geistlichen Schau ergibt es sich, dass man jeden seiner Nächsten für vorzüglicher als sich selbst hält und diese im Herrn ehrt. Brüderliche, reine Liebe gegenüber seinem Nächsten, die leidenschaftslos, fröhlich und sowohl Freund als auch Feind gegenüber gleich flammend ist. Der Verstand, das Herz und der ganze Leib erheben sich im Gebet und der Liebe, man genießt geistliche Freude auf unbeschreibliche Weise. Ein Zustand geistlicher Wonne; die leiblichen Sinne sind im Gebet still. Ein Schweigen des Verstandes, die Erleuchtung des Verstandes und des Herzens. Eine Kraft aus dem 37


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Gebet, welche die Sünde besiegt. Der Friede Christi. Eine Abkehr von allen Leidenschaften. Alle Gedanken gehen im überragenden Verstand in Christo auf. Die sündigen Verstandesregungen werden schwach und der Möglichkeit beraubt, sich im Verstand zu manifestieren. Es ist Seelenfrieden und eine Fülle an Trost bei Kummer. Die Veranlagungen des Menschen werden sichtbar. Es bringt tiefe, wirkliche Demut mit vollkommen demütiger Meinung von sich selbst… und das Ende ist die Ewigkeit!“ Kann denn ein Mensch von sich behaupten, er habe all dies aus eigenen Kräften erreicht und sei folglich des Himmelreiches würdig? Sicherlich nicht. Aus diesem Grunde wissen wir auch, dass „durch Werke des Gesetzes … niemand … gerecht werden [kann]; durch das Gesetz kommt es vielmehr zur Erkenntnis der Sünde“ (Röm 3,20). Das liegt nicht etwa daran, dass Gott uns ungerechte Gebote aufbürdet. Nein, sie sind vielmehr wunderbar und gerecht. Ich denke, damit werden alle einverstanden sein. Doch wir wissen gleichzeitig, dass für ein „gerecht werden“ vor Gott mehr vonnöten ist, als nur gute Werke, selbst, wenn du sie alle erfüllst. Das Heil des Menschen liegt ja nicht nur in der Befreiung von Strafe, sondern in der Wiedererrichtung seiner Gemeinschaft mit dem Schöpfer. Kann denn der Mensch aus eigenen Kräften Raum und Zeit überwinden, die Grenzen des Alls durchstoßen und sich so eine Begegnung mit dem Schöpfer erkämpfen? Nein, es ist notwendig, dass Gott Selbst ihm entgegenkommt. Aus diesem Grunde heißt es auch in der Bibel: „Jetzt aber ist unabhängig vom Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbart worden, bezeugt vom Gesetz und von den Propheten: die Gerechtigkeit Gottes aus dem Glauben an Jesus Christus, offenbart für alle, die glauben. Denn es gibt keinen 38


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Unterschied: Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren. Ohne es verdient zu haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus. Ihn hat Gott dazu bestimmt, Sühne zu leisten mit seinem Blut, Sühne, wirksam durch Glauben. So erweist Gott seine Gerechtigkeit durch die Vergebung der Sünden, die früher, in der Zeit seiner Geduld, begangen wurden; er erweist seine Gerechtigkeit in der gegenwärtigen Zeit, um zu zeigen, dass er gerecht ist und den gerecht macht, der an Jesus glaubt.“ (Röm 3,21-26). Wie sollte jedoch jemand, der sich der Taufe, dieser Neugeburt, die uns durch die Kraft des Heiligen Geistes reinigt, verweigert, die Gnade erlangen? Wie sollten die das Heil schauen, welche darauf vertrauen, gegen den Willen des Unsterblichen zu Diesem zu gelangen, indem sie einzig auf die eigene, eingebildete Rechtschaffenheit vertrauen? Nein, solches ist einfach unmöglich. Das ganze Gerede über die Eingeborenen Afrikas oder Asiens sind lediglich ein Versuch, eine Entscheidung zu vermeiden, sie sind eine Flucht in dir eigentlich unwichtige Fragestellungen. Denn im Unterschied zu den Eingeborenen hast du doch die Möglichkeit, an die Wasser der Taufe zu treten, durch welche man in Gemeinschaft mit Christus tritt, Welcher der einzige Weg zum Vater ist (vgl. Joh 14,3). Doch, wenn es recht ist, so werde ich auch auf diesen Einwand antworten, damit es keinen Grund gibt zu sagen, die Kirche hätte keine Antwort darauf. Die Bibel spricht deutlich von denen, die außerhalb der Offenbarung lebten: „Alle, die sündigten, ohne das Gesetz zu haben, werden auch ohne das Gesetz zugrunde gehen und alle, die unter dem Gesetz sündigten, werden durch das Gesetz gerichtet werden. Nicht die sind vor Gott gerecht, die das Gesetz hören, 39


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sondern er wird die für gerecht erklären, die das Gesetz tun. Wenn Heiden, die das Gesetz nicht haben, von Natur aus das tun, was im Gesetz gefordert ist, so sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie zeigen damit, dass ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist; ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab, ihre Gedanken klagen sich gegenseitig an und verteidigen sich — an jenem Tag, an dem Gott, wie ich es in meinem Evangelium verkündige, das, was im Menschen verborgen ist, durch Jesus Christus richten wird.“ (Röm 2,1216). Verloren gehen werden sie nicht, weil sie Christus nicht kannten, sondern „weil sie sich der Liebe zur Wahrheit verschlossen haben, durch die sie gerettet werden sollten“ (2 Thess 2,10). Jeder Mensch, der aufrichtig nach der Wahrheit sucht, wird diese auch finden. Gott kennt die Herzen aller Menschen, und an ihrem Untergang sind die Untergehenden selbst schuld. Denn einer gerechten Aussage des Apostels Paulus zufolge wird „der Zorn Gottes … vom Himmel herab offenbart wider alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten. Denn was man von Gott erkennen kann, ist ihnen offenbar; Gott hat es ihnen offenbart. Seit Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit. Daher sind sie unentschuldbar. Denn sie haben Gott erkannt, ihn aber nicht als Gott geehrt und ihm nicht gedankt. Sie verfielen in ihrem Denken der Nichtigkeit und ihr unverständiges Herz wurde verfinstert. Sie behaupteten, weise zu sein, und wurden zu Toren. Sie vertauschten die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes mit Bildern, die einen vergänglichen Menschen und fliegende, vierfüßige und kriechende Tiere darstellen. 40


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Darum lieferte Gott sie durch die Begierden ihres Herzens der Unreinheit aus, sodass sie ihren Leib durch ihr eigenes Tun entehrten. Sie vertauschten die Wahrheit Gottes mit der Lüge, sie beteten das Geschöpf an und verehrten es anstelle des Schöpfers — gepriesen ist er in Ewigkeit. Amen.“ (Röm 1,18-25). Diese Einschätzung wird auch von der weltlichen Religionswissenschaft bestätigt, der zufolge praktisch alle Völker eine Vorstellung vom Schöpfergott haben, es aber ablehnten, Ihm zu dienen. Wer sollte denn schuld daran sein, dass sie verlorengehen? Selbst, wenn man sich von purer Logik leiten lässt, wenn ein einzelner Götzendiener oder Mörder keine Hoffnung auf das Heil hat, warum sollten eine Million Götzendiener und Mörder nur deshalb Aussicht auf das Heil haben, weil sie ein gewisses Volk darstellen, das in der Ferne lebt? Sollte etwa Gottes Gerechtigkeit von der Bevölkerungszahl oder der geographischen Lage abhängen? Sicher nicht. Noch zu Zeiten der Sintflut zeigte der Herr, dass es Ihm gleichgültig ist, wie viele Menschen sich der Sünde oder der Tugend befleißigen. Lediglich acht Menschen von Milliarden hielten dem Schöpfer die Treue, und nur diese wurden in der Arche errettet. Ähnlich ist es in der Kirche, mithilfe der, wie mit Noahs Arche, nur die das Heil erreichen, die sich selbst für die erlösende Kraft Gottes entschieden und darin durch die Taufe eingetreten sind. So sagt es auch der Apostel Petrus: „Dem entspricht die Taufe, die jetzt euch rettet. Sie dient nicht dazu, den Körper von Schmutz zu reinigen, sondern sie ist eine Bitte an Gott um ein reines Gewissen aufgrund der Auferstehung Jesu Christi, der in den Himmel gegangen ist; dort ist er zur Rechten Gottes und Engel, Gewalten und Mächte sind ihm unterworfen.“ (1 Petr 3,21f.). 41


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„Ich bin noch nicht reif für die Taufe…“

Es ist folglich unsinnig, sich auf weit entfernt lebende Völker zu berufen. Jeder wird vor Gott über seine Werke Rechenschaft geben müssen. Die Ungerechtigkeit des einen wird keinem anderen Sünder helfen. Es ist also besser, nicht auf seine eigene, angebliche Rechtschaffenheit zu vertrauen und dabei zu meinen, man habe „Gott im Herzen“; richtig wäre es, in Demut die Rechtfertigung vom Herrn anzunehmen, im Glauben an Christus durch die heilige Taufe.

„Ich bin noch nicht reif für die Taufe…“ Der dritte Einwand: Ich bin noch nicht reif für die Taufe. Aber wenn ich in Rente gehe (oder auf der Arbeit weniger zu tun ist), würde ich zur Taufe kommen.

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ies nun ist der erstaunlichste Einwand. Was heißt denn „reif“? Du bist doch keine Tomate oder Aprikose, um in Abhängigkeit von der Zeit oder von klimatischen Bedingungen zu reifen. Deine „Reifung“ hängt gänzlich von deinem Willen ab. Die verstreichende Zeit nun kann deinen Verstand nur noch mehr verwirren. Denn dem wahren Wort eines antiken Philosophen zufolge ist „die Erfahrung die Mutter der Illusion“. Je eher ein Mensch zu seinem Schöpfer herantritt, desto leichter wird es ihm sein, gottgefällig zu leben. Auch in der Medizin ist es ja üblich, sich möglichst schon im Anfangsstadium einer Erkrankung an den Arzt zu wenden. Dann verläuft die Erkrankung auch gut. Im andern 43


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

Fall jedoch kann man zu einem tödlichen Ende „heranreifen“. Ähnlich verhält es sich im geistlichen Leben. In den Werken des Abba Dorotheos wird das folgende Beispiel gebracht. Einmal fragte man ihn, wie und wann man mit den Leidenschaften zu kämpfen habe. Der Abba gebot seinem Jünger, einen kleinen Zypressenspross herauszureißen. Er tat dies mit zwei Fingern. Danach gebot ihm der Lehrmeister, einen etwas größeren Spross herauszureißen. Der Jünger gebrauchte nun schon beide Hände. Schließlich gebot ihm Abba Dorotheos, einen ganzen Zypressenbusch aus der Erde zu reißen. Mit großer Mühe schaffte der Jünger die ihm gestellte Aufgabe. Und schließlich sollte er einen großen Baum entwurzeln. Lediglich unter Herbeirufung einer großen Menge an Leuten konnte das bewerkstelligt werden. Also sprach Abba Dorotheos: „Ebenso ist es auch mit den sündigen Angewohnheiten; sind sie noch klein, so überkommt man sie leicht, mit der Zeit jedoch werden sie nur sehr schwer heilbar.“ Deshalb wird es so sein, dass je länger du deine „Reife“ zur Taufe hinauszögerst, desto schwieriger es letztlich für dich wird. Übrigens, auch wenn du wahrscheinlich nicht daran gedacht hast, so lass mich doch anmerken: Gott kümmert sich dein Leben lang um dein Heil. Wenn du in Zeiten, in denen es dir gut geht, nicht zu Ihm kommen magst, so wird Er dich vermittels Leid und Not rufen. Deshalb wäre es besser, sogleich, sobald Er dich ruft, beim Schöpfer Zuflucht zu nehmen. Und um einmal an das Gewissen zu appellieren: ist es denn gerecht, dem Schöpfer die schlimmste, dem Teufel 44


„Ich bin noch nicht reif für die Taufe…“

aber die beste Zeit des Lebens zu widmen? Stell dir einen dir lieben Menschen vor. Würdest du es nicht versuchen, deine Angelegenheiten zu verschieben, um dich mit ihm zu treffen? Verdient denn der Schöpfer, der über jeden deiner Schritte wacht, wie es nicht einmal eine Mutter tun kann, nicht wenigstens ein Minimum an Dankbarkeit? Ich will schon nicht einmal mehr davon reden, dass all deine „Ersparnisse“, „Errungenschaften“, deine „Karriere“ und die Dinge, denen du eine solch unverhältnismäßige Bedeutung beimisst und sie damit den Sinn deines Lebens verdecken lässt, allesamt zu Staub zerfallen, noch bevor der Tod dich ereilt. Die „guten Werke“, die du nicht im Namen Gottes gewirkt hast, schlagen sich in der Undankbarkeit der Menschen nieder oder werden im günstigsten Fall vergessen. Was bleibt dir also an der Schwelle zur Ewigkeit? Und wer sollte zufrieden damit sein, dass du all deine Kraft in Dinge investiert hast, die zu Staub werden, welcher dir die Augen verschließt? Niemand könnte sich über diesen deinen Selbstbetrug und Fall mehr freuen als nur der alte Widersacher des Menschen — der Teufel. Weshalb sollte man diesem also seinen Willen tun? Er wird dir nichts bringen als den Tod, Trübsal und Verzweiflung, und all das reichlich. Schau doch andererseits einmal, wie viele von denen, welche die Taufe hinausgezögert haben, letztlich nicht getauft worden sind. Es heißt in einem russischen Sprichwort nicht umsonst, dass der Tod nicht hinter den Bergen ist, sondern dir schon im Rücken steht. Ich möchte ein Beispiel aus von mir selbst Erlebten anführen. Einmal trat eine Frau an mich heran und sagte, sie hatte einen Sohn, 27 Jahre alt ist er gewesen. Er wollte die Taufe empfangen, aber ständig hatte er keine Zeit. Mal musste 45


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

er viel arbeiten, dann wieder gefiel ihm eine bestimmte Kirche nicht, und ein weiteres Mal noch etwas anderes. Er beruhigte seine Mutter: „Das mache ich schon noch, schau, so alt bin ich noch nicht! Ich nehme Urlaub, fahre aufs Land und lasse mich dort taufen.“ Aber die Sache endete tragisch. Eines Herbstabends wurde er an einer Bushaltestelle von einem Verrückten mit einer Axt umgebracht. So verließ dieser junge Mann das Leben, ohne dazu fähig zu sein, in Gottes Reich einzugehen. Wozu braucht er jetzt noch seine Arbeit, all seine Pläne, und die ganzen Argumente wie „gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“?

Muss ein Christ Fanatiker sein? Der vierte Einwand: Wenn ich getauft bin, muss ich leben wie ein Mönch: es ist nichts mehr erlaubt, ich habe keine Zeit mehr für mich, die Wochenenden werden belegt sein, kurz gesagt, keinerlei Vergnügen mehr. Was soll ich damit? Man lebt doch nur einmal, und dieses eine Mal muss man das Leben genießen! Und hier bietet man mir an, zu einer Art von Fanatiker zu werden.

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oher kommen denn solch seltsame Gedanken? Die freiwilligen Selbstbeschränkungen eines Christen engen nur den Willen zur Sünde ein. In der Tat, wir dürfen nichts Böses tun. Sicher, wir halten uns an die Fastenzeiten, damit es uns leichter fällt, die Sünde zu zähmen, wir gehen an den Sonntagen in die Kirche, aber ist denn

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Muss ein Christ Fanatiker sein?

das so schwer? Wie kannst du denn darüber urteilen, ohne es einmal versucht zu haben und dabei zu erfahren, welch immense Freude uns durch ein Leben in der Kirche geöffnet wird? Es versteht sich von selbst, dass niemand dich zwingen wird, den Weg des Mönchtums zu beschreiten; dazu sind wohl nur Asketen fähig, zumal dieser Weg ein freiwilliger ist. Aber um mit dir selbst und deinem Zweifel reinen Tisch zu machen, versuche doch einmal zu verstehen, wie die Mönche leben, von denen du der Meinung bist, dass sie „nichts dürfen“. Schau dir einmal die Mönche in den Klöstern an, wie sehr viel fröhlicher sie sind als jene Menschen, die in der Welt leben. Schau einfach einmal in ihre Gesichter und dann in die Gesichter der Menschen in der U-Bahn oder im Supermarkt, und versuche einmal daraus zu schließen, wessen Leben wohl mehr inwendige Freude birgt. Und dann sieh dir einmal diejenigen Orthodoxen an, die in einer Familie leben, ein erfülltes und harmonisches Leben führen, dessen Sinn und Ziel sie begreifen und für all das Gott danken. So lebte der Großteil der Menschen im alten Russland, das noch nicht von Dekaden der Gottlosigkeit gezeichnet gewesen ist. Denkst du etwa, dass die Menschen im Russland des vorletzten Jahrhunderts weniger glücklich waren als die heutigen, von der alltäglichen Hast geblendeten Menschen, die sich an kaum noch etwas erinnern können als den Fonds-Markt, Fußball, Wodka und Fernsehserien? Richtet denn der heutige Mensch oft genug seinen Blick nach Oben? Kann er in der Stille sein Herz sprechen hören? Ist es dir bekannt, wie es ist, wenn dein Gewissen etwas gutheißt (nicht schweigt, sondern gutheißt!)? Hast du jemals die österliche Freude 47


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

verspürt und den Duft der Ewigkeit geatmet? Bist du jemals wie auf Flügeln getragen worden, nachdem du gebeichtet hast, und weißt du, was Gottes Vergebung ist? Tatsächlich ist es nämlich so, dass du keine einzige wahre Freude kennst. Du betrügst dich selbst. Was darfst du denn, was ein Christ nicht darf und das Freude bereitet? Dich an schmackhafter Speise laben? In Wahrheit weißt du, der du nie gefastet hast, gar nicht, was das Fastenbrechen ist. Du hast keine Ahnung davon, wie gut Brot und Tee in der ersten Woche der Großen Fastenzeit nach dem Großen Bußkanon des heiligen Andreas von Kreta schmecken. Du kannst die Speisen ja gar nicht einmal richtig genießen. Du weißt nicht, wie herrlich die Speisen schmecken, die man unter Gebet zubereitet hat, wie süß der Dank dafür gegenüber Gott ist. Stell dir vor, Christen dürfen, so wie du auch, Schaschlik essen, überhaupt jede Speise, mit Ausnahme von Blut, Aas oder dessen, was Götzen geweiht wurde (beispielsweise Matze oder das hinduistische Prasad und ähnliche Dinge). Alkoholische Getränke sind auch nicht verboten. Man darf sich lediglich nicht so betrinken, dass das Bewusstsein dadurch getrübt wird. Mit anderen Worten, Fanatismus gab und gibt es bei den Christen nicht. Was nun die Behauptung angeht, dass wir keine Zeit für uns selbst haben, so ist das richtig. Doch das interessante ist ja, dass auch du keine Zeit für dich hast. Kannst du dir auch nur eine Minute Lebenszeit hinzufügen? Kannst du das Vergangene wieder zurückbringen? Wie solltest du also, der du weder den Fluss der Zeit anhalten, noch überhaupt verstehen kannst, was das ist, behaupten, dass man dir die Zeit stiehlt? Diese Behauptung ähnelt, sagen wir, meiner Beschwerde darüber, dass man 48


Muss ein Christ Fanatiker sein?

mir einen Diamant so groß wie einen Eimer gestohlen hätte. Nun, ebenso wie dies, ist es unmöglich, dir die Zeit zu nehmen. Sie gehört ohnehin Gott. Es ist etwas anderes, dass Gott möchte, dass diese Zeit zum Dienst an Ihm, nicht aber an Seinem Feind genutzt wird. Sicher, wenn du das willst, kannst du Ihm absagen. Doch dann könnte Gott dir diese Gabe wieder nehmen, weil du sie nämlich selbstmörderisch gebrauchst. Du sagst, man lebt nur einmal. Du hast Recht. Doch daraus folgt doch, dass man dieses Leben nicht zum eigenen Vergnügen verschwenden kann, sondern sich bereitmachen muss für die Ewigkeit. Das Leben ist doch eine Lehranstalt für unsere Seelen, der Tod nun das unvermeidbare Examen. Wenn du die ganze Schulzeit damit verbracht hast, Papierflugzeuge zu basteln, dann wirst du die Prüfung nicht bestehen, in unserem Fall bedeutet das die ewige Verdammnis. Die, welche in die Hölle geraten, klappern mit den Zähnen und denken nicht mehr an ihre Vergnügungen, weil sie sehen, dass sie das große Glück „verpennt“ haben, das so einfach zu erreichen war, aber wegen der eigenen Liederlichkeit verloren ist. Hattest du nie eine Vorfreude über ein mögliches Glück? Hast du dich nie gefragt, weshalb du, der nicht an die Ewigkeit glaubt, irgendwie immer der Meinung warst, dass wahres Vergnügen und wahre Freude ewig währen müssten? Wäre es anders, so würde das Leben einer Schikane gleichen. Stell dir vor: man setzt dich, den Hungrigen, an eine üppig gedeckte Tafel, und kaum dass du die Hand ausstreckst, verschwindet alles, und anstelle des Weins schenkt man dir Schmutzbrühe in deinen Becher ein und bietet dir Unrat als Beilage. Ist es denn nicht ebenso mit den Vergnügungen dieser Welt? 49


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

Der Herr jedoch gestattet es uns, die Segen dieser Welt zu genießen (nur nicht, dass sie von uns Besitz ergreifen!) und Teilhaber der Freude der künftigen Welt zu sein, wie es auch der Apostel Paulus sagt: „Wir verkündigen… was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. Denn uns hat es Gott enthüllt durch den Geist. Der Geist ergründet nämlich alles, auch die Tiefen Gottes.“ (1 Kor 2,9f.), und die Kirche lobsingt: „Kostet und seht, wie gütig der Herr ist; wohl dem, der zu ihm sich flüchtet!“ (Ps 33,9). Koste, und du wirst sehen, dass das Ziel all unserer Mühen das nicht endende Glück ist! Nicht umsonst sagte der heilige Gregor von Nyssa: „Das Ziel des Baumeisters ist das Haus, das Ziel aber dessen, der die Tugenden erfüllt, ist die Seligkeit“. Und das stimmt auch. Nicht ohne Grund gingen die Christen, die dieses Glück einmal gekostet haben, mit einem Freudenlied durch jede Folter hindurch. Denn schon im ersten Jahrhundert lebten sie in dem Ruhm, der jenseits der Grenzen der Zeit beheimatet ist. So ähnlich sagten es auch die Sendboten des Fürsten Wladimir, als sie aus Konstantinopel zurückkehrten: „Niemand, der einmal die Süße gekostet hat, will danach Bitteres schmecken, und wir wünschen und deshalb keinen anderen Glauben als den orthodoxen!“ Ein guter englischer Schriftsteller namens C. S. Lewis ist Verfasser des Werks „Dienstanweisung für einen Unterteufel“, worin es um einen Dämon geht, der einen anderen Dämon anweist, wie dieser am besten einen Menschen verdirbt. Der Oberdämon beschuldigt darin Gott: „In der Tiefe seiner Seele ist er Hedonist. All dieses Fasten und Wachen, die Feuer und die Kreuze sind nur Fassade, Schaum 50


Muss ein Christ Fanatiker sein?

am Ufer eines Meeres. In den Weiten Seiner Meere jedoch ist Freude und nochmals Freude. Und das verbirgt Er ja nicht einmal. In Seiner Rechten befindet sich, hört, hört!, die ewige Seligkeit. Er hat die ganze Welt, Seine ganze Welt mit Seinen Freuden angefüllt. Die Menschen tun tagein, tagaus Dinge, die von Ihm in keiner Weise beanstandet werden: sie baden, schlafen, essen, lieben einander, spielen, beten, arbeiten. All das muss man verzerren, damit es zu unseren Gunsten erfolgt. Wir mühen uns unter höchst unvorteilhaften Bedingungen. Nichts, das natürlich wäre, arbeitet von sich aus zu unseren Gunsten“. Das, was Lewis hier formuliert, ist vollkommen richtig. In der Tat gibt es am Leben nichts, das dem Willen des Schöpfers zuwider steht. Deswegen lügen ja auch jene, die sagen: „Was willst du, wir leben, folglich sündigen wir“. Worin liegt hier die Lüge, wenn es doch zuweilen so ist, dass der Mensch jede Minute sündigt? Die Lüge besteht darin, dass hier das Leben selbst mit der Sünde gleichgesetzt wird. Nein! Das Böse besitzt kein Wesen, es ist zweifelsohne schwächer als das Gute. Nur, indem sie die guten Dinge verzerrt, bekommt die Sünde Macht. Aus diesem Grunde beruhen deine Bedenken entweder auf falschen Informationen oder gar auf einer schlimmen geistlichen Krankheit, bei der es vorkommt, dass ein von Leidenschaften erfasster Mensch Schmerzen für Freude hält und das Glück flieht wie den Tod. In beiden Fällen bleibt mir nichts als dir das zu wünschen, was man an jeder traditionellen russischen Tafel wünscht: Gesundheit. Sei gesund, empfange die Taufe und deine Seele wird genesen, die ewige Seligkeit aber wirst du schon auf Erden verspüren.

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Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

Warum kämpft die Kirche nicht für die Rechte des Volkes? Der fünfte Einwand: Ich will deshalb nicht getauft werden, weil allerlei Halunken in eure Kirche aufgenommen werden. Jelzin stand mit einer Kerze da, obwohl er noch kurz zuvor gesagt hatte, er sei Atheist. Und überhaupt kämpft die Kirche nicht für die Rechte des Volkes. In einer solchen Kirche möchte ich nicht sein.

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ieser Einwand ist interessant, weil er von der Annahme ausgeht, du seist ein durchaus tadelloser Mensch, der in seinem Leben nichts Böses getan hat, und dazu scheinst du noch allwissend zu sein. Du weißt natürlich alles. Du kannst in den Herzen der Menschen wie in einem offenen Buch lesen und kennst die wahren Beweggründe eines jeden. Mehr noch, du bist wahrscheinlich auf irgendeine Weise Jelzins Schöpfer und der Schöpfer all derer, die in die Kirchen gehen und hast aus diesem Grund das exklusive Recht, über sie alle zu urteilen. Wenn es sich tatsächlich so verhält, dann bist du in Wirklichkeit Gott und kein Mensch, und für uns Sünder ist es einfach unmöglich, mit dir zu reden. Ich will nur daran erinnern, was der Wahrhaftige Schöpfer dem König Tyrus, der dir in seiner Einstellung sehr ähnelte, gesagt hat: „Willst du dann angesichts deiner Mörder noch sagen: Ich bin ein Gott? Du bist nur ein Mensch und kein Gott in der Hand deiner Mörder. Wie Unbeschnittene sterben, so stirbst du durch Fremde; denn ich habe gesprochen — Spruch Gottes, des Herrn.“ (Hes 29,9f.). Für den König ging das tatsächlich auch schlecht aus. Der Talmud berichtet, dass König Nebukadnezar diesen

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Warum kämpft die Kirche nicht für die Rechte des Volkes?

König gefangen nahm, ihn in einem Turm einsperrte und ihm das eigene Fleisch zu essen gab, bis er tot war. Hier kann man eine geistliche Symbolik erkennen. Der Stolze ist tatsächlich jemand, der sich selbst auffrisst, weil er, einmal von der Quelle des Lebens abgekehrt, gezwungen ist, sich selbst zu fressen. Das ist es, was die Hölle auf Erden bedeutet. Wenn du dir aber göttliche Attribute beimisst, dann wollen wir uns weiter mit deinem Einwand beschäftigen. Du behauptest, dass, wenn jemand noch unlängst daran glaubte, es gebe keinen Gott, so kann sein jetziger Glaube an Dessen Existenz nur reine Heuchelei sein. Woher weißt du aber, dass dieser Mensch in der Vergangenheit wirklich nicht an Gott glaubte und jetzt lügt? Das sind doch nur Mutmaßungen! Auch zu Zeiten des Kommunismus haben sehr viele die Dogmen der Kommunistischen Partei nur äußerlich bekannt, meist aus ganz egoistischen Gründen. Der Mensch ist doch aber ein viel zu kompliziertes Wesen, als dass er sich allein auf ökonomische oder politische Interessen beschränken ließe. In jedem Nachkommen Adams erklingt die Stimme des Schöpfers, selbst, wenn man sich bemüht, diese Stimme nicht zu hören. Woher willst du also wissen, dass ausgerechnet in diesem Fall diese Stimme den ehemaligen aufrichtigen Atheisten nicht dazu veranlasst hat, zum Herrn des Lebens zurückzukehren? Weshalb legst du alle Zeugnisse gegen den Angeklagten aus (mal angenommen, du hättest das Recht zu richten)? Auch in den normalen Gerichten gilt die Unschuldsvermutung, du aber gehst aus irgendeinem Grunde gerade vom Gegenteil aus. Und wer hat dir überhaupt das Recht gegeben, Dinge zu beurteilen, die 53


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du nicht weißt und nicht wissen kannst? Selbst die Priester, denen Gott das Recht zu binden und zu lösen verliehen hat, versuchen nicht an Seiner Stelle zu entscheiden, wer eine Kirche betreten darf und wer nicht. Selbst in der wichtigsten Frage, nämlich wen man zur Kommunion zulässt und wen nicht, stützen sie sich auf das Zeugnis dessen, der beichtet. Was nun die Taufe anbelangt, so sind wir, wie der heilige Kyrill von Jerusalem sagt, dabei lediglich die Pförtner. Wir prüfen, ob der Mensch das orthodoxe Glaubensbekenntnis spricht, und wenn er sagt, dass er, wie es im Credo gesagt wird, glaubt, dann taufen wir ihn und nehmen ihm das Versprechen ab, dass er christlich leben will. Ob er nun sein Versprechen hält oder nicht, mag der Allerhöchste sehen! Du aber, der du gar kein Recht in der Kirche hast (denn du bist ja immer noch nicht in der Kirche!) bist so verwegen, Dinge zu beurteilen, die du nachweislich nicht wissen kannst! Kannst du denn ergründen, was in den Tiefen des menschlichen Herzens vor sich geht? Wenn nicht, weshalb betrügst du dich selbst und ziehst diesen Vorwand dazu heran, vom Leben weg unter die Schwingen des Todes zu flüchten? Und nun wollen wir einmal schauen, wieso du so sicher bist, dass die Kirche sich nicht für die Rechte des Volkes einsetzt. In der Tat unterstützen wir in keiner Weise die heutigen kommunistischen Illusionen und versuchen nicht, die bestehenden Regierungen zu stürzen, ebenso wie wir das auch nicht in den Zeiten des Kommunismus getan haben. Aber besteht denn der Zweck der Kirche darin? Hat der Herr sie etwa zu diesem Zweck geschaffen? Natürlich nicht. So zu denken wäre absurd. Der Zweck der Kirche ist das Heil der 54


Warum kämpft die Kirche nicht für die Rechte des Volkes?

Menschen, ihre Errettung von Sünde, Verdammnis und Tod. Ist auch nur irgendeine irdische Organisation in der Lage, solches zu bewerkstelligen? Nein! Wieso versuchst du denn, uns Funktionen aufzudrängen, die nicht die unseren sind und verurteilst uns dann noch dafür, dass wir sie nicht erfüllen? Das ist, wie als würde man meinen, Ärzte müssen, anstatt Patienten zu behandeln, auf die Straße gehen und modernere Technologien bei der Kohleförderung fordern. Es ist ja klar, dass ein solches Experiment mit einer Epidemie unter den Demonstranten wie auch unter den in der Kohleförderung Arbeitenden ausgehen muss. Ist es denn nicht noch eine größere Dummheit, die Kirche als ein Instrument zur Verbesserung derjenigen Umstände zu gebrauchen, die unweigerlich mit dem Tod zu Ende sein werden? Werden denn höhere Löhne oder Renten im Jenseits weitergezahlt? Weshalb sollte man die Kirche also mit Angelegenheiten belasten, die schon wenige Minuten später nicht mehr aktuell sein können? Der Tod ist ja nicht hinter den Bergen, sondern er steht dir bereits im Rücken, so heißt es in einem weisen Sprichwort. Aber auch von praktischem Gesichtspunkt ist dein Pathos unbegründet. Wie oft haben sowohl der Patriarch als auch die Konzilien die Machthabenden und die Reichen dazu aufgerufen, die Gebote des Herrn zu erfüllen und gerecht zu handeln! Wenn aber die Machthabenden und die Reichen nicht so zu handeln wünschen, so gibt es für sie, wie auch für dich, einen Richter, den man nicht mehr bestechen kann, der keine Acht darauf gibt, ob du reich oder arm bist, und der jedem (sowohl dir, als auch mir) nach seinen Werken vergelten wird. Vor Ihm kann man sich nicht verstecken, man kann Ihm nicht entfliehen. 55


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Es wäre also besser, würdest du dich mit Ihm durch die Taufe versöhnen, als dass du durch das Begehen von offensichtlichen Sünden (denn Verurteilen ist eine schwer wiegende Sünde) mitsamt den Frevlern dem ewigen Feuer anheimfällst. Dort könntest du freilich in alle Ewigkeit Beweis führen, wer von uns der Sündigere ist, und wer der weniger Sündige. Aber hast du das wirklich nötig?

„Sie alle sind habgierig…“ Der sechste Einwand: Ich will nicht von einem Priester getauft werden, denn alle Priester sind habgierig. Sie predigen die Uneigennützigkeit, fahren aber selbst „Mercedes“. In der Kirche sollte es alles kostenlos geben! Ganz zu schweigen davon, dass man unter ihnen allerlei Halunken antrifft, zum Beispiel Spitzel oder Perverse. Wie sollte Gott solche erhören?

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iese Behauptung ließe sich mit der Ablehnung medizinischer Hilfe vergleichen, nur weil die heutige Medizin in aller Regel eine Gewinn anstrebende Branche ist. Das Streben nach Luxus mancher Ärzte ist ja ganz offensichtlich, was Menschen, die medizinischer Hilfe bedürfen, dann und wann feststellen müssen. Doch aus irgendeinem Grund lehnen sie die Behandlung deswegen nicht ab! Wenn es nun um viel wichtigere Dinge geht — nämlich um die Gesundheit der Seele, so kramen sie allerlei Geschichten und Märchen hervor, nur um nicht in die Kirche gehen zu müssen. Betrachten wir doch einmal die ursprüngliche These, dass in den Kirchen alles kostenlos sein müsse, die Pries-

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„Sie alle sind habgierig…“

ter aber ihren eigenen Predigten zuwiderhandeln. Das erste, was man hier anmerken muss: solche Behauptungen gibt es in dieser Formulierung weder in der Heiligen Schrift, noch in der Überlieferung der Christen. Ja, natürlich, den Aposteln wurde gesagt: „Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben“ (Matth 10,8), doch der Kontext deutet darauf hin, dass sie selbst keinerlei Lohn für Wunder zu verlangen haben, und der übernächste Vers sagt nun schon, dass „wer arbeitet, … ein Recht auf seinen Unterhalt“ hat (Matth 10,10). Auf genau die gleiche Weise verbietet es heute der Patriarch beispielsweise, eine bestimmte Summe an Spenden für die Spende eines Mysteriums zu verlangen, was den Sinn hat, dass man sie auch niemandem verweigern darf, der nicht eine bestimmte Summe aufbringen kann. Die absolute Mehrheit der Priester handelt auch genauso. Diejenigen aber, die dabei anders vorgehen, werden von der Kirche bestraft. Doch dabei spricht Gott Selbst davon, dass die Priester „vom Altar ihren Anteil erhalten“ (1 Kor 9,13). Mehr noch, im Gesetz Mose wird eine genaue Taxe für diese oder jene sakrale Handlung festgelegt. Die These, in der Kirche müsse es alles umsonst geben, kommt also von irgendwoher, aber nicht von Gott. Es gibt keinen Widerspruch zwischen unserer Predigt und unserem Leben. Er ist einfach ersonnen! Wir sind nicht verpflichtet, den unsinnigen Verhaltensregeln der uns Missgünstigen zu folgen. Geh doch einmal ins Geschäft und gib an, dass Marx dir gesagt hat, im Kommunismus würde es kein Geld mehr geben, folglich müsse man dir jetzt alles ohne Bezahlung überlassen. Ich schätze, ein solcher Versuch könnte für dich mit einer Festnahme enden. In der Kirche aber versuchst du ja auch, alles mit diesem eigensinnigen Maß zu 57


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messen, indem du behauptest, man müsse dir alles kostenlos zur Verfügung stellen. Wieso bist du dir da so sicher? Bist du vielleicht selbst ein leuchtendes Beispiel für Selbstentsagung, und unterrichtest beispielsweise jeden, der es möchte, kostenlos in der englischen Sprache (und hast dabei keinerlei andere Einkommensquelle)? Eine solche „Wohlfahrt“ wird wohl kaum sinnvoll enden. Die Kirche hat die Menschen nie dazu aufgerufen, auf ihr Habe zu verzichten, wie es manche Sekten tun. Wir sind der Meinung, dass ein solcher Verzicht nur freiwillig erfolgen sollte, und es gibt bei uns eine ganze Reihe von Leuten, die genauso verfahren sind — das sind die Mönche, die ein Armutsgelübde (Verzicht auf Privateigentum) geleistet haben. Wie gut sie sich daran halten ist nun schon eine Frage, die sich dem Gewissen eines jeden Einzelnen stellt. Der überwiegende Großteil der Priester jedoch sind keine Mönche, sondern verheiratete Männer, häufig kinderreich, und auf welcher Grundlage erstreckst du die Gültigkeit des Armutsgelübdes auf sie, obwohl sie dieses gar nicht geleistet haben? Wie sollen sie ihre Kinder ernähren? Indem sie das Geld dazu an anderen Arbeitsstellen verdienen? Aber wenn du dir einmal den Tagesablauf eines beliebigen Priesters ansiehst, so wirst du sehen, dass das überhaupt nicht möglich ist. Wenn ein Priester noch anderweitig arbeiten muss, so kann er Menschen nicht mehr wirklich helfen, denn für sein Werk bedarf es einer kolossalen seelischen, aber auch körperlichen Anstrengung. Und alles das muss ja irgendwie kompensiert werden. Wir würden natürlich damit einverstanden sein, nichts für unser Werk zu fordern, freilich unter einer kleinen Bedingung: wir zahlen weder Miete, noch Energie- oder Fahrtkosten. In den 58


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Geschäften bekommen wir kostenlos Lebensmittel und Kleidung. Wie auch andere Menschen brauchen wir hin und wieder Urlaub — wir sind ja nicht aus Stahl. Wenn die Gesellschaft für all diese Dinge aufkommt, könnte man uns natürlich der Gewinnsucht zeihen, sofern wir noch für irgendetwas Geld verlangen. Alles, was wir brauchen, müssen wir aber auch selbst bezahlen, weswegen sich die Frage stellt, aus welchem Grunde du uns Geldgier vorwirfst. Im Alten Testament hat der Herr es überhaupt geboten, Priestern den zehnten Teil des Einkommens zu spenden, und obwohl wir nun nichts dergleichen mehr fordern, sollen wir trotzdem der Habsucht schuldig sein? Und woher hast du die Ansicht, dass wir Reichtum für etwas Schlechtes halten? Das haben wir nie gelehrt. Wir wissen ja, dass das Materielle an sich keine Sünde ist, Sünde ist vielmehr, wenn man an etwas Materiellem hängt. Kennst du die Herzen der Geistlichen, dass du entscheiden kannst, wer an seinem Habe hängt, und wer nicht? Bist du der Richter? Es ist keine Sünde im „Mercedes“, ebenso wenig wie in einem „Trabant“. Es möge der Mensch nur an nichts Irdischem hängen, das nun aber hat, wie ich meine, keine direkte Relation zur Größe des Besitzes. Man kann an einem Pfennig mehr hängen als an einer Million. Erinnere dich daran, was Gogol geschrieben hat, an Akakij Akakijewitsch mit seinem Mantel, der wegen einer Klamotte gestorben ist. Mal ganz ehrlich, hinter vielen der aufdringlichen Sprüche über „Uneigennützigkeit“ steckt banaler Neid, den man heutzutage aus irgendeinem Grunde als „Gefühl für soziale Ungerechtigkeit“ bezeichnet. Kann man denn auf einem solch unreinen Gefühl etwas bauen? Nein, und einzig Gottes Zorn trifft den „Kläger“ für seine 59


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Worte. Es ist fast schon nicht mehr nötig davon zu sprechen, dass sich hinter solchen Beurteilungen auch noch die Lüge verbirgt. Die Mehrheit der Priester ist durchaus nicht etwa wohlhabend, manche leben sogar unter der Armutsgrenze (besonders solche in ländlichen Gegenden). Dieselbe Lage haben wir bei den Anschuldigungen zu „Perversionen“, Spitzeleien, Alkoholismus und ähnlichen Dingen. In 90% der Fälle handelt es sich einfach um üble Nachrede, aber selbst, wenn solches in einem dir konkret (dir sicher und nicht nur Gerüchten zufolge) bekannten Fall wahr ist, so frage dich selbst, woher kommen denn die Priester? Sie alle sind Menschen dieser Welt, in der man Unkeuschheit für normal hält, wo Millionen für den KGB gearbeitet haben und uns trotzdem am lautesten ihrer eigenen Sünden bezichtigen! In der Kirche nun verhält es sich so, dass wenn ein Mensch aufgrund seiner Schwäche in eine derartige Sünde verfällt, er sich des von ihm begangenen Übels schämt, bereut, und sofern der Bischof davon erfährt, so wird ein Geistlicher, der sich schwer versündigt hat, in der Regel suspendiert und in den Laienstand zurückversetzt. Dabei sind solche Sünden in der Welt heutzutage Anlass für Stolz. Hast du aber jemals genug Mumm gehabt, wenigstens irgendjemanden von den reulosen Trägern des Bösen in der Welt anzuklagen? Nun urteile selbst: was gehen dich die Schwächen und Sünden dieses oder jenes Geistlichen an, für die er sich selbst vor Gott verantworten muss? Du sollst ja nicht zu einem sündigen Menschen, sondern zu Gott kommen. Er aber nimmt Seine Worte nicht wegen sündiger Menschen zurück. Der heilige Gregor der Theologe schreibt: 60


„Sie alle sind habgierig…“

„Nimm einmal an, du hast zwei Petschafte: ein goldenes und eines aus Eisen, aber mit dem gleichen Siegel. Wärest du in der Lage, den Unterschied anhand des Abdrucks im Wachs auszumachen? Wie das Leben eines Priesters auch sein mag, solange er in der Kirche besteht und seines Amtes nicht enthoben wurde, sind alle Mysterien unabhängig von seiner Rechtschaffenheit oder Sündigkeit gültig. Es ist etwas anderes, wenn wir es mit einem Titelbetrüger oder mit jemandem, der des Priesteramtes enthoben wurde, zu tun haben: in diesem Fall haben seine Mysterien keinerlei Wirkung, denn er hat sich aus der Kirche entfernt, welche der Leib Christi ist“. Es gab einmal den folgenden Fall. Ein in der Wüste lebender Mönch wurde von einem Priester besucht, der ihm die Kommunion reichte. Und eines Tages hörte der Mönch, dass dieser Priester, von dem er die Kommunion empfängt, der Hurerei verfallen ist. Er lehnte es daraufhin ab, die Kommunion von ihm zu empfangen. In der folgenden Nacht empfing er eine Offenbarung. Er sah einen goldenen Brunnen mit kristallklarem Wasser, und einen Aussätzigen, der mithilfe eines goldenen Eimers Wasser daraus schöpfte. Die Stimme Gottes ertönte: „Siehst du, wie das Wasser rein bleibt, auch wenn es dir von einem Aussätzigen gereicht wird? So hängt auch die Gnade nicht von dem ab, durch den sie vermittelt wird“. Nach dieser Vision empfing der Einsiedler wieder die Kommunion von dem Priester und kümmerte sich nicht mehr darum, ob dieser rechtschaffen oder sündig sei. Es ist, wie es ein weiser Mensch einmal sagte: Strom fließt sowohl durch ein neues, wie auch durch ein rostiges Kabel, Hauptsache, es ist nicht gebrochen. Du siehst, auch dieser Einwand steht auf modrigem Grund und gibt dir keinerlei Rechtfertigung dafür, dass 61


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

du Unwillens bist, das Gebot des Herrn zu erfüllen. Wenn nämlich ein sündiger Priester seinem Schöpfer für sein Tun Antwort zu geben hat, so wirst auch du nicht umhin kommen, das zu tun. Verweise auf schlechte Beispiele werden dir dann schwerlich von Nutzen sein. Gott könnte sagen: „Er hat mir schon für sich Antwort gegeben, aber warum hast du Mich nicht gehört? Bist du der Meinung, dass ich Mein Wort wegen der Sünden anderer nicht halte? Auch anständige Menschen würden das nie tun.“ Und was wirst du Ihm antworten?

Gott lehnt Nationalismus in der Religion ab Der siebte Einwand: Der Geburt nach bin ich Moslem (Jude, Buddhist), und jeder sollte sich zu der Religion bekennen, der seine Vorfahren angehörten.

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uf diesen Einwand können wir folgendermaßen antworten. Kann denn die Wahrheit mit der ethnischen Herkunft des Menschen zusammenhängen? Die Antwort ist offensichtlich — nein! Denn wenn man anderer Meinung darüber wäre, so würde sich herausstellen, dass allein der Begriff „Wahrheit“ ein durch und durch menschlicher Begriff ist. Sowohl die Heilige Schrift als auch das ganz normale Erleben zeigen doch, dass „die Menschen lügen alle“ (Ps 115,11). Wenn dem so ist, wenn es uns allen zu eigen ist, dass wir irren, wie sollten wir uns dann in der wichtigsten aller Fragen auf veränder-

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Gott lehnt Nationalismus in der Religion ab

liche menschliche Meinungen stützen? Woher kommt denn überhaupt das Vorurteil, dass, sofern uns etwas von den Vorfahren zugekommen ist, dieses schon allein deshalb gut sei? Denkt man sich in die Sache hinein, so wird die Sinnlosigkeit einer solchen Behauptung offenbar. Ist die Neigung zu irren etwa davon abhängig, in welcher Beziehung ein bestimmter Mensch zu dir steht, oder in welcher Zeit er gelebt hat? Keine Art der Achtung unserer Eltern kann uns dazu verleiten, ihrem schlechten Beispiel zu folgen. Umso weniger ist es zulässig, Frevel unter dem Hinweis darauf gutzuheißen, dass die Vorfahren so gehandelt haben. Das würde ja heißen, dass Kinder von Alkoholikern sich der Trunksucht hingeben müssen, und Kinder von Kannibalen sich Schnitzel aus Menschenfleisch zuzubereiten hätten. Zu solch albernen Schlüssen kommt man, wenn man der Stimme der Vorfahren blindes, nicht von der göttlichen Offenbarung geprüftes Vertrauen entgegenbringt. Selbst die Achtung der Eltern wird erst dadurch möglich, weil dies ein Gebot Gottes darstellt. Wenn wir aber das fünfte Gebot befolgen, aus welchem Grunde missachten wir das erste? Allein die Behauptung, dass ein Mensch der Geburt nach Moslem oder Buddhist sei, ist absurd. Weshalb sollte es denn die diversen Initiationsriten geben, wenn nicht, um etwas zu verleihen, das man vorher nicht hatte? Die Orthodoxen sagen ja auch, dass die Seele eines jeden Menschen von Natur aus Christin ist, doch daraus folgt nicht, dass ein neugeborenes Kind nicht getauft zu werden braucht. Der Geburt nach ist jeder Mensch eine Tabula rasa, auf der sowohl die Eltern als auch die Erzieher (in erster Linie aber der Mensch selbst) das Leben zeichnen, mit dem er sich einmal in die Ewigkeit begibt. 63


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Es bedarf also einer bewussten Entscheidung des Menschen zugunsten der Offenbarung oder zugunsten ihrer Ablehnung, und der Mensch selbst trägt die Verantwortung für seine Wahl. Übrigens ist eine „nationale“ Herangehensweise an die Religion auch noch deshalb unrichtig, weil sich dahinter oft Doppelstandards verbergen. Die Moslems meinen ja auch (ausgehend von einem Hadith), dass Allah eine Vielzahl von Sendboten (bis zu 124.000) zu den verschiedenen Völkern gesandt hat. Ein zeitgenössischer Apologet des Islam sagt, dass es „kein einziges Volk und keine einzige Nation gibt, zu der nicht ein Prophet gesandt worden ist“. Auch der Buddhismus verbreitete sich unabhängig von nationaler Zugehörigkeit in der Welt. Damit ist es offensichtlich, dass die Wahrheit durchaus nicht mit der Nationalität eines Menschen zusammenhängt, sondern mit Gott — ihrer Quelle. Auch Gottes Offenbarung bestätigt das. Der Herr Jesus Christus sagte Seinen Aposteln (von denen selbst Mohammed sagte, diese seien „Helfer Allahs“ — Koran, Sure 61:14) unmittelbar vor Seiner Himmelfahrt zum göttlichen Vater: „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen! Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden“ (Mk 16,15f.). Er hat ebenso verkündet, dass am Tag des Gerichts „man wird von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen“ (Lk 13,29). Doch in dieses Reich finden allein die Einlass, die an Ihn gläubig geworden sind. „Wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben; wer aber dem Sohn nicht gehorcht, wird das Leben nicht sehen, sondern Gottes Zorn bleibt auf ihm.“ (Joh 3,36) — das bezeugt Gottes Prophet, 64


Gott lehnt Nationalismus in der Religion ab

Johannes der Täufer. Selbiges spricht Gott noch lange vor der Menschwerdung des Herrn durch David in den Psalmen (vgl. Koran 21:105): „Küsset den Sohn, dass er nicht zürne, und ihr umkommet auf dem Wege, wenn nur ein wenig entbrennt sein Zorn. Glückselig alle, die auf ihn trauen!“3 (Ps 2,12). Wir sehen also, dass sowohl der Koran, als auch die Bibel gleichermaßen Nationalismus in der Religion ablehnen. Das ist auch verständlich, denn der Mensch ist allein ja nicht in der Lage dazu, eigene, richtige Erkenntnisse über den Schöpfer zu ersinnen, gleich wie ein Bild nicht von sich aus Erkenntnis über den Künstler zu gewinnen vermag. Wenn es sich aber so verhält, so darf sich kein menschliches Ding (einschließlich einer Nation) zwischen den Menschen und dem Gebieter der Welten stellen. Mehr noch, für Mohammed ist eine Bedingung für das Heil eines jeden Menschen, dass dieser an ihn und an Allah glaube (Koran 8:13). Ich denke, dass Moslems tatarischer, baschkirischer oder sonst irgendeiner Nationalität einem russischen Neophyten nie sagen werden, er solle im traditionellen Glauben seines Volkes verbleiben. Auf diese Weise stellt sich heraus, dass jene, welche vom „Glauben der Herkunft nach“ sprechen, mit doppelten Standards agieren. Gott sind Lügner doch aber ein Gräuel! Natürlich ist die Behauptung Mohammeds fehlerhaft (was wir weiter unten beweisen werden), doch allein diese Fragestellung von Seiten der Moslems ist ein Zeichen ihrer Verschlagenheit. In Gesprächen über den Glauben sollte man einzig davon reden, ob dieser Glaubenslehre eine Offenbarung Zit. aus Elberfelder 1905.

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Gottes ist oder nicht, und welche Beweise es für eine solche Behauptung gibt. Diese letzte Frage ist sehr wichtig, denn es gibt immer Betrüger, die Gottes Lehre verzerren. Denn genau aufgrund solcher (und des Teufels, der hinter solchen steht) ist überhaupt eine solche Fülle an Religionen entstanden. Ein Verzicht auf die Taufe aus nationalen Beweggründen ist, alles in allem, ein Anzeichen für eine unehrliche Geisteshaltung, für die man wird in Ewigkeit zu büßen haben. Stellt euch einen Menschen vor, der Gott beim Gericht sagen wird: „Ich habe Dein Gebot nicht erfüllt, weil ich ein Tatare (oder Jude) bin.“ — Wäre das etwa eine ernstzunehmende Erwiderung?

„Ich bin so erzogen worden…“ Der achte Einwand: Ich bin Kommunist, ich bin so erzogen worden, deshalb lasse ich mich nicht taufen. Denn ansonsten müsste ich ja eingestehen, dass ich mich das ganze Leben lang geirrt habe.

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u wurdest als Kommunist erzogen? Ein Papua beispielsweise wurde als Menschenfresser erzogen, aber bedeutet das denn, dass der Papua bis ans Ende seines Lebens diesem teuflischen Brauch treu bleiben muss? Und wo ist denn überhaupt dein Kommunismus? Was hat er dem Menschen für sein ewiges Leben gegeben? Selbst seine irdischen Versprechen waren ja nichts als ein gigantischer Betrug. Wo ist das Reich der Freiheit, das Marx versprochen hatte? Sage jetzt lieber nicht, dass man

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„Ich bin so erzogen worden…“

euch diese „wunderbare Gesellschaft“ nicht hat bauen lassen; die Kommunisten haben fast ein Jahrhundert daran gebaut und haben fast ein Drittel der Erdbevölkerung in dieses monströse Experiment involviert. Was aber bleibt davon? Hunderte Millionen von Leichen, zerstörte Staaten, verarmte und ständig von Terror heimgesuchte Völker. Ein Zusammenbruch der Kultur und ein Aussterben der Menschen. In Wahrheit versprach der Kommunismus ein „unerreichbares Land“, das wie der Horizont immer weiter weg rückt, je näher man ihm kommt. Du wirst die Wohltaten erwähnen, die das kommunistische Regime beschert hat. Ich will nicht dagegen streiten, obwohl es auch hier eine Menge zu sagen gäbe. Bitte antworte aber ehrlich: was hat der Kommunismus dir persönlich nach deinem Tod versprochen? Nichts! Das „ewige Andenken“ der Nachfahren, welches sich, wenn es noch gut geht, nach zwanzig Jahren bereits aufgelöst ist wie das Vergissmeinnicht auf deinem Grab. Und das war es! Wozu sollte dieses Vergissmeinnicht folglich kostenlose medizinische Versorgung und eine „Bildung der Massen“ brauchen? Denn das erstaunlichste an diesem großen Betrug ist doch, dass dem einzelnen Menschen gar nichts versprochen wird, all diese Segnungen sind einer gesichtslosen Gesellschaft insgesamt in einer nicht zu erreichenden Zukunft bestimmt. Und dabei soll jeder Einzelne aus irgendeinem Grunde alles für diese große Leere opfern! Also, wofür denn das alles? Für die vollen Mägen der Menschen im dreißigsten Jahrhundert? Ist das denn keine Dummheit? Und bei alledem werden kommunistische Idealisten aus irgendeinem Grunde noch zu den Helden gezählt. Was sind denn das für Helden? Sie sind 67


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

gewöhnliche Dummköpfe, die sich nicht länger als nur für Minuten in Nachdenkprozessen verloren haben. Ist es immer noch nicht klar, dass man mit dir einen regelrechten teuflischen Bauernfang betreibt? Du aber sagst: „Kann ich mich denn ein Leben lang irren?“ Das kann man bestenfalls noch damit vergleichen, wie wenn ein Bestohlener spricht, „Konnte ich denn bestohlen werden?“ Noch irrwitziger wird das, wenn dieser Bestohlene dann in ein Geschäft geht und versucht, sich für sein nicht mehr vorhandenes Geld Lebensmittel zu kaufen. Bist denn du, mein Freund, ihm nicht ähnlich, wenn du behauptest, du habest dich nicht dein ganzes Leben lang irren können? Womit wirst du in die Ewigkeit eingehen? Mit Geschichten über Wurst für 2,20 das Kilo oder kostenlosen Urlaub in Sotschi? Mit Prahlerei über die Eroberung des Weltalls und strategische Raketen? Wer braucht all das auf der anderen Seite des Grabes? Es ist also doch besser, wenn auch spät, so sich letztlich doch einzugestehen, dass man irrte, und mit Reue zu Gott zu kommen, um wenigstens im Alter ein ganz klein wenig Schätze für das ewige Leben anzusammeln.

„Ich brauche keine Mittelsmänner…“ Der neunte Einwand: Für die Gemeinschaft mit Gott brauche ich keine Mittelsmänner.

T

eurer Freund, weshalb bist du dir so sicher mit dieser Behauptung? Bist du etwa selbst dazu in der Lage,

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„Ich brauche keine Mittelsmänner…“

durch die Gefilde von Raum und Zeit zu dringen, um dem mehr als nur unfassbaren und ewigen Schöpfer zu begegnen? Denn genau das ist es ja, was du behauptest, wenn du davon sprichst, du habest keine Mittelsmänner in der Kommunikation mit Gott nötig. Urteile selbst, ob deine Behauptung stichhaltig ist, wo du doch selbst zur sicheren Steuerung eines Kraftfahrzeugs eines Lehrers bedarfst, der dir zeigt, wie man diesen Mechanismus steuert. Um einen Job zu bekommen, brauchst du eine Ausbildung. Und in der schwierigen und höchst komplizierten Sache mit der Gottesschau reicht es deiner Meinung nach aus, sich auf die eigene Dreistigkeit und Selbstsicherheit zu verlassen? Stell dir einen Wilden vor, der sich dazu entschließt, in einem Waffenlager zu experimentieren und dabei alle Ratschläge als unnötige Spinnerei in den Wind schlägt. Ganz ähnlich (du kannst es ruhig zugeben!) verhältst du dich, wenn du behauptest, das Wichtigste sei die Spiritualität, und dabei vergisst, dass es ganz verschiedene Arten von Geistern gibt, und ohnedies liebt der Herr keine allzu selbstsicheren Patrone. Ja, sicher, der Herr hört jeden, wer oder wo auch immer er sei. Er ist die Hoffnung aller an den Enden der Erde und aller in den Weiten des Meeres. Aber es geht doch nicht darum, ob Gott in der Lage wäre, dich zu hören, sondern darum, ob du an Seinem ewigen Leben teilhaben kannst. Auch die Christen selbst beten ja ohne Mittelsmänner (abgesehen von Christus), beten den Schöpfer an allen Orten Seiner Schöpfung an. Doch es genügt uns nicht zu beten. Wir streben nach dem ewigen Leben, und dieses kann nur der Herr Jesus Christus gewähren, der zum Einzigen Mittelsmann geworden ist, denn in Ihm 69


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

sind göttliche und menschliche Natur verbunden, womit Er zu dem werden kann, durch den das alle Maße übersteigende Sein Gottes in unser schwaches und sterbliches Wesen Einlass findet und uns Kraft zum Sieg über den Tod sowohl des Leibes (durch dessen Auferstehung) als auch des Geistes (durch die Vergebung der Sünden) verleiht. Der Herr Selbst sagt, dass niemand zum Vater kommen könne als nur durch Ihn, und du glaubst Ihm nicht. Kennst du denn die Wege ins Himmelreich besser, als der Gott der Himmel Selbst? Zürne nicht, aber eine solche vollkommen haltlose Selbstsicherheit hat man schon immer als aggressive Dummheit bezeichnet. Warum wohl? Urteile selbst — hinter deinen Worten verbirgt sich ja nicht etwa eine lebendige Gemeinschaft mit Gott. Die größten unter den Propheten sind, als sie den Glanz des Schöpfers erblickten, in frommer Furcht niedergefallen, du aber sprichst von einer solchen Begegnung, als würdest du einfach einkaufen gehen. Dem Moses hat der Herr offenbart, dass ein Mensch Sein Angesicht nicht sehen und am Leben bleiben kann (Ex 33,20). Jesaja erblickte den Herrn Sabaoth, thronend zwischen flammenden Geistern und von Weihrauch eingehüllt, und rief aus: „Weh mir, ich bin verloren. Denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen und lebe mitten in einem Volk mit unreinen Lippen und meine Augen haben den König, den Herrn der Heere, gesehen.“ (Jes 6,5). Und nur das Eingreifen eines Mittlers, eines Serafim (einer der höchsten Ränge unter den Engeln) rettete den Propheten, da der Engel ihm die Lippen durch Berührung mit glühender Kohle reinigte. Du aber behauptest, du könnest ohne Mittler in Gemeinschaft mit Gott treten, unrein, mit unreinen Lippen, 70


Führt wirklich jeder Weg zu Gott?

ohne Gottesfurcht. Nein, Gott wird dir nicht allein aus Mitleid begegnen, denn du würdest vor Seinem Angesicht auflodern und verbrennen wie eine Motte in einer Flamme. Die Bibel sagt es ja ganz direkt: „unser Gott ist ein verzehrendes Feuer“ (Hebr 12,29). Deshalb hatte es ja der Inkarnation Gottes bedurft, damit die Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen möglich wurde. Aus diesem Grunde können die Priester, diese Diener des Auferstandenen, dabei behilflich sein, die Verbindung mit dem Schöpfer wieder aufzunehmen. Denn ihnen ist ja die Macht gegeben, Sünden zu vergeben (Joh 20,23), die Liturgie zu zelebrieren, in der Christus Selbst im Menschen einkehrt.

Führt wirklich jeder Weg zu Gott? Der zehnte Einwand: Es gibt nur einen Gott, alle Religionen führen zu ein und demselben Gipfel. Deshalb muss ich nicht unbedingt getauft werden. Ihr Orthodoxen seid sowieso Fanatiker. Ihr sagt, nur ihr könnt das Heil erlangen. Das ist aber reiner Hochmut!

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ahrhaftig, Gott ist Einer. Aber ist Er denn unpersönlich? Kann es denn sein, dass Geschöpfe höher stehen als der Schöpfer? Deine Worte bedeuten aber, wenn man sie genauer betrachtet, genau das. Man kann den Herrn ja erst mit dem Gipfel eines Berges vergleichen, wenn man von Ihm der Meinung ist, Er sei eine Sich selbst nicht bewusste Macht. Würde denn eine belie71


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

bige Persönlichkeit es wollen, dass wahllos jeder zu ihr herantreten kann? Du zum Beispiel, würdest du es wollen, von Jack the Ripper besucht zu werden? Und dabei behauptest du, ein jeder Weg führe zu Gott. Und nun betrachten wir einmal die häufig aufkommende Behauptung, Gott stehe über einer solchen Kategorie wie Persönlichkeit. Hier muss man anführen, was damit üblicherweise gemeint ist. Wenn du Persönlichkeit mit einer leiblichen Erscheinung gleichsetzt, dann hast du recht. Der Allerhalter hat keine materielle Form. Er ist Geist und deshalb ohne Erscheinung. Doch Christen meinen, wenn sie von der Persönlichkeit des Schöpfers sprechen, dass Er sich Seiner Selbst bewusst ist: Er kann sagen „Ich“. Jedem Menschen, der daran glaubt, dass Gott der Schöpfer ist, wird sogleich klar, dass das richtig ist. Ein Schöpfer ist ja der Definition gemäß vollkommener als Seine Schöpfung. Es ist auch offensichtlich, dass der Besitz eines Bewusstseins über sich selbst vollkommener ist, als eine unbewusste Existenz. Kein Mensch, der sich nicht zum Ziel gesetzt hat, das Offensichtliche zu leugnen, käme auf die Idee zu behaupten, ein Stein, ein Frosch, ein Krokodil oder ein Haufen Dung seien vollkommener als der Mensch. Das Maß der Vollkommenheit hängt ja gerade damit zusammen, dass wir sowohl uns Ziele setzen können, als uns auch unserer selbst bewusst sind. Wenn das aber so ist, dann haben wir umso weniger ein Recht darauf, den über alle Maßen vollkommenen Herrn der Eigenschaft der Selbstbewusstheit zu berauben. Es ist eine andere Frage, dass die Christen wissen: Gott ist auf andere Weise überpersönlich. Er ist nicht einpersönlich, sondern dreieinig. Doch aus dem Wissen darüber folgt eher die Ein72


Führt wirklich jeder Weg zu Gott?

deutigkeit eines Wegs als eine Vieldeutigkeit. Denn wenn Gott die Dreieinigkeit ist, so ist Er die Liebe (wir sprechen jetzt vom christlichen Glauben, nicht von anderen Konzeptionen). Ist das aber so, so werden die, welche nicht in der Liebe sein und erst recht die, welche nicht an die Dreieinigkeit glauben wollen, von der Gemeinschaft mit Gott ausgeschlossen. Die Liebe drängt sich niemals auf, und es ist unmöglich, sie durch Erpressung und Gewalt zu erzwingen. Ja, nur der, welcher mit Gott in Gemeinschaft ist, kann errettet werden. Der Weg dieser Errettung ist die Kirche. Außer ihr gibt es kein Heil, denn es gibt außerhalb von ihr keine organische Vereinigung mit Christus, welche durch die Mysterien bewirkt wird. Deshalb ist das Heil einzig den Rechtgläubigen offen. Wer Gottes Offenbarung verkehrt hat, der kann nicht zu den Mysterien herantreten. Wer nicht an den Mysterien teilnimmt, der hat nicht das ewige Leben in sich. Das ist nichts, was wir uns ausgedacht hätten, sondern das ist Ontologie, das sind die Wurzeln des Seins überhaupt. Hier gibt es keinen Raum für Fanatismus, welcher den Verstand umnebelt. Ganz im Gegenteil handelt es sich um die Tür zu den Gemächern des blühenden Gedankens. Was nun den Vorwurf des Hochmuts betrifft, so ist es eher ein Zeichen von Demut, wenn man die Wahrheit spricht. Gewiss, nach den Worten des Apostels Johannes „Wir wissen: Wir sind aus Gott, aber die ganze Welt steht unter der Macht des Bösen.“ (1 Joh 5,19). Hätten wir den Glauben erfunden, so wäre es Irrsinn, jedermann davon überzeugen zu wollen, dass nur er der einzig wahre ist. Doch der Glaube ist uns von Schöpfer Selbst gegeben, und nicht wir haben uns der veränderlichen Welt unterzuordnen, 73


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

sondern soll doch besser die Welt sich diesem Glauben unterordnen. Was aber den Hochmut anbelangt, so haben wir gar keine Möglichkeit, uns unserer „Erwähltheit“ zu rühmen, denn der Weg Christi steht allen offen. Die Orthodoxie ist keine Religion für eine Elite, sondern das ewige Evangelium für alle Völker. Kommt alle! Die Wasser des Taufbads, das Myron des Heiligen Geistes und der Kelch der Kommunion mit Gott reichen für die gesamte Menschheit. Hört die Stimme der vorewigen Weisheit: „Kommt, esst von meinem Mahl und trinkt vom Wein, den ich mischte. Lasst ab von der Torheit, dann bleibt ihr am Leben, und geht auf dem Weg der Einsicht!“ (Spr 9,5f.)

„Von dort ist noch niemand zurückgekehrt…“ Der elfte Einwand: Es mag schon sein, dass es dort etwas gibt, aber das spielt jetzt für mich keine Rolle. Ich habe Familie, einen Job, all das aber ist… Komme ich einmal dahin, dann erfahre ich auch alles. Umso richtiger ist das, da von dort ja noch nie jemand zurückgekehrt ist. Manche sagen auch, dass sie so oder so in den Himmel kommen.

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icher, wenn du keinen Bedarf an der Wahrheit hast, dann habe ich dir nichts mitzuteilen. Wie kannst du dich dann selbst zum Menschengeschlecht, zur Art Homo sapiens („der weise Mensch“) rechnen? Ein Verstand, der auf das Verständnis von Wahrheit verzichtet, kehrt sich von seinem ureigenen Wesen ab. Wenn es eine absolute Wahrheit nicht gibt, dann existiert überhaupt

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„Von dort ist noch niemand zurückgekehrt…“

kein reales Wissen. Der Mensch unterscheidet sich ja aber gerade darin von der Tierwelt, dass er sich über Gedanken des Niveaus „was kann ich essen und mit wem kann ich schlafen“ erheben kann. Wenn du das Interesse an Erkenntnis über die Bestimmung deines Lebens verloren hast, welchen Sinn haben dann noch all deine Werke, deine Familie, deine Arbeit? All deine Errungenschaften werden vom Ungeheuer des Todes verzehrt werden, von dir aber bleibt nicht einmal mehr Asche in deinem Grab. In einer Sache hast du recht. Du gelangst „dorthin“ und wirst alles erfahren. Doch denke daran, dass der Tod den Schlusspunkt unter der Möglichkeit darstellt, dich frei zu entscheiden. All das Wissen, das du dir dort, hinter der Schwelle zum Tod, aneignest, wird dir nichts mehr nützen. Du magst Gott schauen und erkennen, dass es für deine Werke Verantwortung zu tragen gilt. Doch diese Erkenntnis wird dir leider nur zu ewiger Trübsal gereichen. Der Herr Jesus Christus spricht: „Da wird sein das Weinen und das Zähneknirschen“ (Matth 22,13)4. Weinen über unwiderruflich verlorene Möglichkeiten, auf die du in deiner Kurzsichtigkeit verzichtet hast. Du behauptest, niemand sei „von dort“ zurückgekehrt. Doch weshalb betrügst du dich selbst? Von dort sind hunderte, gar tausende zurückgekehrt. Die Geschichte der Menschheit kennt zahlreiche Fälle der Auferstehung von Toten. Das größte unter diesen Zeugnissen ist die Auferstehung Christi. Über fünfhundert Zeugen sahen den Auferstandenen (vgl. 1 Kor 15), viele von ihnen haben die Echtheit dieser Botschaft durch ihren Tod bezeugt. Wie kannst du einer solchen Menge an Menschen einfach 4

Zit. nach Elberfelder 1905.

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Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

aus dem Grunde nicht glauben, weil du keine Lust darauf hast, deine Gedanken anzustrengen? Das ist doch ein Anzeichen für Unaufrichtigkeit und Unverstand. Achte wohl darauf! Von den vielen, die zurückgekehrt sind, haben alle bekräftigt, dass von unserem Leben hier auf der Erde unser Schicksal in der Ewigkeit abhängt. Ja, bei weitem nicht alle gelangen ins Himmelreich. Dort gibt es keinen Platz für jene, die das Heil nicht angenommen haben. Über nicht an Christus Gläubigen schwebt das Schwert des Zornes Gottes. Die, welche nicht aus Wasser und Geist geboren werden, gehen nicht ins Reich Gottes ein (vgl. Joh 3,5). Wer dem Willen des Herrn nicht folgt, der wird in dem See aus Feuer und Schwefel lernen müssen. Solches ist die Realität, und wie nehmen sich diese deine Rechtfertigungen aus: „Ich hatte keine Zeit und habe mich nicht dafür interessiert“, wenn das Gericht anbricht? All das, was Gott über das Los der Sünder geäußert hat, sind durchaus nicht nur effektvolle Phrasen zur Einschüchterung von „Widerspenstigen“. Gebe es dir Gott, das hier zu erkennen, solange noch Zeit bleibt.

„Nicht wie bei den Katholiken…!“ Der zwölfte Einwand: In der Kirche wird mir immer schlecht, besonders von dem ganzen Weihrauch. Bei euch gibt es keine Sitzbänke, es ist zu warm. Ganz anders bei den Katholiken!

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atürlich kann man einen solchen Einwand nicht wirklich ernst nehmen, aber für viele ist der Komfort wichtiger als die Frage nach dem Seelenheil. Doch 76


„Nicht wie bei den Katholiken…!“

Gott wünscht selbst den Tod des Ausgestoßenen nicht, und Christus wird selbst das zerstoßene Rohr nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. Da du es nun schon einmal versucht hast, eine Kirche zu besuchen, bedeutet das ja, dass es in deiner Seele ein gewisses Streben zum Höchsten Guten gibt. Und allein das macht schon Hoffnung… Doch lass uns einmal deine Argumente betrachten. Warum kann es sein, dass einem Menschen in der Kirche schlecht wird? Die Antwort kann in durchaus natürlichen Dingen liegen: zu größeren Festtagen, wenn auch die Lauen (also die, welche nur selten für ein paar Augenblicke hereinschauen) in die Kirchen kommen, sind diese vollgestopft mit Menschen. In der Tat gibt es ja gar nicht so viele sakrale Orte für diese Menge Christen. Aus diesem Grunde verspüren viele wirklich eine gewisse Atemnot. Mitunter kommt es vor, dass man in armen Gemeinden schlechten Weihrauch verwendet. Aber tatsächlich sind all das nicht die wahren Gründe. Es kommt doch auch häufig vor, dass den Menschen in vollkommen leeren Kirchen schlecht wird. Christen kennen die geistlichen Ursachen solcher Fälle sehr gut. Die Sache ist die, dass — den Worten der Bibel nach — die Kirche eine Stätte ist, über der „die Augen (des Herrn) offen stehen … Tag und Nacht“ (1 Kön 8,29)5. Und nun erinnern wir uns daran, dass diese Augen heller scheinen als zehntausend Sonnen, dass der Herr auch all das sieht, was in der Finsternis geschieht (vgl. Sir 23,27f.)6, und dass Er Herz und Nieren erforscht (vgl. Offb 2,23). Und nun lass uns einmal nachdenken — will die Seele wirklich Zit. nach Luther 1912. Nach Luther 1912 mit Apokryphen.

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Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

alles in ihr Verborgene Gott zeigen? Gibt es in dir nicht den Wunsch, eine Stelle in deinem Herzen zu haben, zu der du niemandem Zugriff gewähren willst? Und genau darin besteht die Ursache dafür, dass du die von der Gegenwart des Herrn erfüllte Kirche ablehnst. Dein Geist spürt die Macht des Herrn, und verwirft voller Stolz Seine Gnade. Doch nicht nur der Mensch wendet sich vom Herrn ab, der Herr Selbst nimmt niemanden an, der mit Stolz zu Ihm herantritt. Es ist doch gesagt: „Gott tritt den Stolzen entgegen“ (Jak 4,6). Solche Fälle sind auch aus alten Zeiten bekannt. Maria von Ägypten, die eine Hure gewesen ist, versuchte, in die Grabeskirche Christi in Jerusalem einzutreten, um dort das Lebensspendende Kreuz zu verehren. Doch eine unsichtbare Macht warf sie von den Pforten der Kirche zurück. Und erst, als sie Reue zeigte und gelobte, nie wieder zu ihrer Sünde zurückzukehren, ließ Gott sie in Sein Haus ein. Ebenso erleben wir auch in unserer alltäglichen Praxis Beispiele wie die, dass Berufskiller oder Prostituierte den Geruch von Weihrauch nicht ertragen können und in Ohnmacht fallen. Sehr oft passiert das mit denen, die sich mit Magie, Astrologie, Geistheilungen und anderen Arten des Verkehrs mit Dämonen beschäftigen. Wir sind Zeugen dessen geworden, wie manche unter solchen Menschen an den wichtigsten Momenten des Gottesdienstes von einer unsichtbaren Gewalt gepackt wurden, wonach sie von einem Krankenwagen aus der Kirche abgeholt werden mussten. Und hier bekommen wir es mit einem weiteren Grund der Ablehnung von Kirchenbesuchen zu tun. Nicht nur du, sondern auch jene, die ursächlich hinter deinen sündigen Bestrebungen stehen, wünschen keine 78


„Nicht wie bei den Katholiken…!“

Begegnung mit dem Schöpfer. Beim Mysterium der Taufe vertreibt der zelebrierende Priester „jeden tückischen und unreinen Geist, der heimlich im Herzen (des Menschen) nisten könnte“. Diese unreinen Wesen — einst Engel, nun aber Dämonen — sind es, die den Menschen daran hindern, eine Kirche zu betreten. Sie rauben einem Menschen, der in der Kirche steht, die Kraft. Ein und derselbe Mensch ist ja in der Lage, Stunden im Fitnesszentrum zuzubringen, bringt es aber nicht zurande, auch nur zehn Minuten in der Gegenwart des Schöpfers zu verweilen. Es ist klar, dass nur Gott Allein dem zu helfen vermag, der sich in der Gewalt des Teufels befindet. Aber diese Hilfe kommt erst dann, wenn der Mensch selbst es wünscht, gottgefällig zu leben. Ohne den Wunsch, dein Leben zu ändern, sind all deine Erörterungen nichts anderes als Wiederholungen der Agitation des Feindes. Wozu solltest du, wie ein Papagei, die Worte dessen wiederholen, der deinen Untergang wünscht? Und was die Sitzbänke anbelangt, so ist das ganz und gar keine prinzipielle Frage. Die orthodoxen Griechen haben in ihren Kirchen Sitzbänke, die Russen haben keine. Außerdem wird dich, wenn du krank bist, niemand daran hindern, dich auf den Sitzbänken niederzulassen, die es im hinteren Teil fast einer jeden Kirche gibt. Umso weniger, da es nach der gottesdienstlichen Ordnung der Russisch-Orthodoxen Kirche allein im Verlauf einer Vesper vor großen Feiertagen sieben Stellen gibt, bei denen die Gläubigen sich setzen können. Und wenn alle Stränge reißen, es dir schwer fällt, den ganzen Gottesdienst über zu stehen, die wenigen Sitzbänke aber besetzt sind, so wird dich auch niemand daran hindern, dir einen kleinen Klappstuhl mitzubringen. Wohl schwerlich wird dich je79


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

mand dafür verurteilen. Aufstehen sollte man aber bei der Lesung aus dem Evangelium, beim Cherubim-Hymnus, während des Eucharistischen Kanons und noch an einigen wichtigen Momenten des Gottesdienstes. Das sollte eigentlich für niemanden ein Problem sein. Behinderte Menschen betreffen diese Regeln ohnehin nicht. Ich will es noch einmal wiederholen, dass all diese Einwände nicht wirklich ernst sind und kein Grund dafür sein können, dass man die Taufe oder das kirchliche Leben ablehnt. Was bedeuten schon schmerzende Beine, wenn man dafür das ewige Leben in Aussicht hat?

„Das ist unhygienisch…“ Der dreizehnte Einwand: Bei euch läuft die Taufe in schmutzigen Wasserbecken, außerdem empfangen alle von ein und demselben Löffel die Kommunion. Das ist unhygienisch.

H

ier haben wir es mit dem Nachhall kommunistischer Propaganda zu tun. Denn in Wahrheit hat es keinen einzigen bewiesenen Fall einer Ansteckung über das Taufbecken oder den Kommunionskelch gegeben. Wenn also in zweitausend Jahren niemand davon erkrankt ist, warum solltest ausgerechnet du eine Ausnahme davon werden? Überhaupt werden solche Fragen nach der Hygiene irgendwie selektiv gestellt. Alle wissen, dass es vollkommen unhygienisch ist, U-Bahn zu fahren. Kein Problem, sich in einer überfüllten U-Bahn mit Tuberkulose anzustecken, oder sich die Krätze oder andere Krankheiten 80


„Das ist unhygienisch…“

einzufangen. Tausende Menschen erkranken jedes Jahr an Grippe, und zwar dadurch, dass sie die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Aber aus irgendeinem Grunde läuft deswegen niemand zu Fuß. Wenn es aber um die Erlangung des ewigen Lebens geht, erinnert einen der Teufel sofort an die Regeln der Hygiene. Solche Regeln sind übrigens erstmals gerade in der Bibel eingeführt worden. Noch im Pentateuch Mose wurde es beispielsweise verboten, etwas zu tun, ohne sich gewaschen zu haben und eine gewisse Zeit verstrichen war, nachdem man einen Toten oder Kranken berührt hat (vgl. Lev 13; Num 19,11.22). Genau aus solchen Gründen war es in unseren Kirchen immer rein, selbst in Zeiten, als es überall schmutzig war. Bei uns wird das Taufbecken vor jeder Taufe gereinigt und nach der Liturgie der Kelch ausgewaschen. Natürlich wird niemand die Kirche mit Chlorlösung bearbeiten, aber solches tut man ja auch weder in den Wohnungen, noch in Büros. Weshalb sollte man also in den Kirchen die Hygienevorschriften eines Lazaretts befolgen? Doch das wichtigste ist ja, dass wir im Haus Gottes auf Den bauen, dessen Name „Quelle der Reinheit“ und „Heiler der Seelen und Leiber“ ist. Das Weihwasser vom Fest der Theophanie verdirbt über Jahre nicht — ich glaube, du hast schon von diesem alljährlich in allen Kirchen wiederkehrenden Wunder gehört, das ganz und gar nicht damit zusammenhängt, dass man dem Wasser angeblich Silber beimischt. Alle silbernen Segenskreuze haben uns noch die Bolschewiken weggenommen, und nur in ganz wenigen Kirchen kann man sie noch finden. Und von welcher Silberlösung kann überhaupt die Rede sein, wenn man beispielsweise für die Kirche der hll. 81


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

Petrus und Paulus in Jasenewo das Wasser mit Feuerwehrfahrzeugen anliefern muss, so dass die Priester alle Stunde wieder tonnenweise Wasser weihen, das dann auch in kürzester Zeit unter die Leute kommt. Trotzdem bleibt dieses Wasser über Jahre frisch! Im Angesicht eines solchen offensichtlichen Wunders stellt sich die Frage, weshalb du der Meinung bist, dass eine Berührung des Heiligen dir schaden könne. Im Übrigen kann es dir schaden, aber nicht etwa, weil das unhygienisch wäre, sondern weil sich deine durch Sünden befleckte Seele der Gnade verschließt. Der Apostel Paulus warnt: „Denn wer davon isst und trinkt (gemeint ist die Kommunion — Anm. d. Autors), ohne zu bedenken, dass es der Leib des Herrn ist, der zieht sich das Gericht zu, indem er isst und trinkt. Deswegen sind unter euch viele schwach und krank und nicht wenige sind schon entschlafen. Gingen wir mit uns selbst ins Gericht, dann würden wir nicht gerichtet. Doch wenn wir jetzt vom Herrn gerichtet werden, dann ist es eine Zurechtweisung, damit wir nicht zusammen mit der Welt verdammt werden.“ (1 Kor 11,29-32). Wenn du also in der Kirche nicht krank werden möchtest, dann zeige Reue über deine Sünden und kehre nicht wieder zu ihnen zurück, und das Böse wird sich dir nicht nähern. Dabei solltest du aber nicht denken, dass du ungestraft bleibst, wenn du einfach die Kirche meidest. Im Alten Testament wird ein Fall beschrieben, als Korach, Datan und Abiram gegen Gott und Moses rebellieren. Als sie zur Stiftshütte (einem „Kirchenzelt“) gerufen wurden, lehnten sie es ab, sich dahin zu begeben. Da öffnete die Erde ihren Schlund und sie fuhren lebendig herab in die Hölle (vgl. Num 16). Ähnlich verhält es sich heute mit Banditen und Dieben, die keine Kirche betreten — auch sie entkommen der Strafe Gottes 82


„Bei euch in der Kirche sind die Leute alle so böse…“

nicht. Sie finden einen gewaltsamen Tod in Hausaufgängen oder Autos. Doch kehren wir zur Frage zurück, ob das denn nun „unhygienisch“ sei. Zu deinem Einwand, man könne sich bei den Mysterien anstecken, will ich gerade das Gegenteil behaupten. Während der Taufe, der Kommunion und bei anderen Mysterien kann man nicht nur seelisch, sondern durchaus auch körperlich gesunden. Als Beispiel möchte ich dir von zwei Fällen berichten, die unlängst einem Priester passiert sind. Der erste Fall ereignete sich im Institut für Transplantologie. Dort hatte er eine Frau zu taufen, der man eine Niere verpflanzt hatte, bei der aber ein Prozess der Abstoßung eingesetzt hatte. Ihr ging es derart schlecht, dass die Taufe nach einem verkürzten Ritus — „bei drohendem Tode“ — vorgenommen wurde. Und was denkst du? Als der Priester zwei Wochen später wieder in diesem Institut war, erkundigte er sich nach ihrem Schicksal. Es stellte sich heraus, dass die Niere noch am Tag der Taufe, direkt nach derselben, von ihrem Körper angenommen wurde, und die Werte dieser Patientin waren so gut, dass sie bereits entlassen worden war. Der zweite Fall ereignete sich am 13. Mai 2003 im Metochion von Krutizy in Moskau. Der Priester sollte einen kleinen Jungen namens Alexander taufen. Nachdem man ihn verschiedenen Geistheilern vorstellte, hatte er schon drei Monate lang Fieber von 38 Grad. Als das Mysterium vollzogen wurde, bot der Junge einen erbärmlichen Anblick. Sein Fieber betrug 38,5 Grad. Nach der Taufe brachte man ihn nach Hause, und er wollte schlafen; als er erwachte, lag seine Körpertemperatur bei 36,6 Grad. Er war vollkommen gesund. Seither ist diese Krankheit nicht mehr zu ihm zurückgekehrt. Solcher Beispiele gibt 83


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

es bei uns viele, und wir können erkennen, dass Gott tatsächlich nicht nur in der Lage ist, ein Taufbecken rein zu machen, sondern mit seiner unermesslichen Macht auch einen darin Getauften zu heilen. Folglich muss man auf deine Frage nach der Hygiene mit einer Gegenfrage antworten: „Wer ist stärker: Gott oder ein Virus?“. Ich denke, die Antwort ist offensichtlich. Es wäre also ratsam, nicht mehr auf diese alte kommunistische Propaganda zu hören.

„Bei euch in der Kirche sind die Leute alle so böse…“ Der vierzehnte Einwand: Bei euch in der Kirche sind die Leute alle so böse und zornig. Die Alten zischeln herum und schimpfen. Und sie nennen sich Christen! Ich will nicht so sein. Ich habe einen Bekannten, er ist orthodox, dabei säuft er und benimmt sich auch nicht besser als ein Ungetaufter. Welchen Unterschied macht das also?

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ersuche doch erst einmal, selbst nicht böse und zornig zu sein. Du wirst doch nicht gezwungen, so zu sein? Oder verlangt jemand von dir, dass du dir Boxerhandschuhe überstülpst, sobald du eine Kirche betrittst? Erst höre selbst auf zu zischeln und zu schimpfen, dann kannst du auch versuchen, andere zu bessern. Der Apostel Paulus sagt dazu: „Wie kannst du den Diener eines anderen richten? Sein Herr entscheidet, ob er steht oder fällt“ (Röm 14,4). Deine Einwände wären gerechtfertigt, würden die Priester lehren, dass man schimpfen und stänkern soll. 84


„Bei euch in der Kirche sind die Leute alle so böse…“

Aber so ist es ja nicht. Weder die Bibel, noch die Kirche oder ihre Diener haben je so etwas gelehrt, sondern ganz im Gegenteil werden wir in jeder Predigt und jedem kirchlichen Gesang dazu aufgefordert, sanftmütig und barmherzig zu sein. Das ist also kein Grund, die Taufe zu verweigern. Denke doch einfach einmal daran: in die Kirche gehen nicht Leute vom Mars, sondern aus der sie umgebenden Welt. Und in dieser Welt ist es ja gerade üblich zu schimpfen, und zwar teilweise so, dass man bei manchem Mannsbild kaum jemals auch nur ein russisches Wort7 hört. Nichts als Fluchrede. Übrigens, gerade diese gibt es in den Kirchen nicht. Man kann sagen, dass die Kirchen die einzigen Orte sind, in denen Fluchrede verboten ist. In der Welt dagegen ist es üblich, zornig zu sein und seinen Ärger auf die Menschen zu ergießen, wobei man das dann als Kampf für Gerechtigkeit bezeichnet. Hast du denn noch nie Schimpfreden in der U-Bahn gehört? Und was machen die Alten in den Krankenhäusern anderes, als dass sie über jedermann auf der Welt — vom Präsidenten bis hinunter zu den Krankenschwestern — lästern? Du glaubst doch wohl nicht, dass diese Leute, sobald sie einmal eine Kirche betreten, sich wie von Zauberhand verändern und in sanftmütige Schäfchen verwandeln? Nein, Gott hat uns einen freien Willen gegeben, und ohne unsere Bemühungen kann sich nichts ändern. Es sind einzig Zauberer, die lügen, sie können ohne Einverständnis des Menschen einen Trunkenbold in einen Abstinenzler verwandeln. In Wahrheit geht das nicht. Wenn ein Mensch nach solchen Beschwörungen Also kaum etwas anderes außer Flüchen — Anm. d. Ü.

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Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

auch das Trinken aufgibt, dann üblicherweise nur eine Zeitlang, wonach er oft genug in einen noch schlimmeren Suff fällt oder gar Selbstmord begeht. Der Autor hatte oft mit solchen Fällten zu tun, als er in einer Entzugsklinik seinen Dienst tat. Eine wahre Heilung kann es wirklich nur in der Kirche geben, doch dieser Prozess dauert seine Zeit und kommt nicht ohne den Willen des Menschen selbst in Gang. Wir sind immer nur gewissermaßen teilweise in der Kirche. Manchmal ist das ein großer Teil, und dann nennt man einen solchen Menschen „heilig“, manchmal ist dieser Teil kleiner. Mitunter hält ein Mensch sich nur mit einem kleinen Finger an Gott fest. Aber für all das bist nicht du der Gutachter und Richter, auch ich nicht, sondern der Herr. Solange es noch Zeit gibt, gibt es Hoffnung. Solange ein Bild noch nicht vollendet ist, kann man es nicht beurteilen, es sei denn, man beschränkt sich auf die fertigen Abschnitte. Solche Abschnitte sind die Heiligen. An diesen sollst du die Kirche beurteilen, und nicht an jenen, die ihren irdischen Weg noch nicht vollendet haben. Man sagt ja nicht umsonst, dass „das Ende ein Werk krönt“. Die Kirche nennt sich selbst eine Heilanstalt (bei der Beichte heißt es: „da du in eine Heilanstalt gekommen bist, sollst du nicht ungeheilt wieder weggehen“), also ist es doch nicht sehr vernünftig anzunehmen, dass sie nur mit Gesunden angefüllt ist. Es gibt diese Gesunden, aber sie sind im Himmelreich. Wenn alle, die genesen wollen, die Hilfe der Kirche in Anspruch nehmen, dann erscheint sie in all ihrer Schönheit. Die Heiligen sind die, welche uns ganz klar die Macht des in der Kirche wirkenden Gottes aufzeigen. 86


„Bei euch in der Kirche sind die Leute alle so böse…“

Zum Abschluss kann man noch eine weitere Sache anführen. Man darf Menschen auch deswegen nicht untereinander vergleichen, weil sie vollkommen unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen. Der eine ist in der Familie eines Priesters groß geworden, ein anderer bei Alkoholikern. Der eine ist gesund wie ein Ochse, ein anderer kann kaum ein Bein vors andere setzen. Einer kann nicht einmal von einem Tyrann gebrochen werden, der Wille eines anderen ist schwach wie ein Grashalm. Wie wolltest du solche Menschen vergleichen? Stelle dir einen Menschen vor, der in einer Gaunerhöhle großgeworden ist, der einen schwachen Willen hat und der zum ersten Mal eine Kirche betritt. Vielleicht ist es für ihn anfangs schon eine Heldentat, wenigstens an zwei Tagen in der Woche nüchtern zu bleiben. Es kann ja sein, dass er von nur einem Glas in einen Suff verfällt, und du stellst Forderungen an ihn, als habe er die Charakterstärke eines Alexander von Mazedonien. Warte ein wenig, gib Gott die Gelegenheit, in ihm wirksam zu werden. Vielleicht vergeht nur ein Jahr und er wird sich seiner Laster schämen und wird besser sein als du. „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ (Matth 7,1) sagt Christus, und Seine Worte sind Wahrheit. Schau also nicht auf die anderen. Du bist ja nicht zu ihnen gekommen, sondern zum Schöpfer; lasse dich taufen und lebe ein christliches Leben, dann wirst du selbst in den unangenehmsten Menschen unter allen Mengen an geistlichem Müll noch das Ebenbild Gottes hervorleuchten sehen.

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Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

„Man versteht überhaupt nichts…“ Der fünfzehnte Einwand: Bei euch in der Kirche versteht man nichts. In den Gottesdiensten wird eine unverständliche Sprache benutzt.

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ersuche doch einmal zu verstehen, was genau dir unverständlich ist. Doch denke dabei daran, dass die Gottesdienste nicht der Mission unter Ungläubigen dienen, sondern Sache der Gläubigen selbst sind. Gott sei Dank ist es so, dass uns, wenn wir nur aufmerksam beten, nach einem bis anderthalb Monaten regelmäßiger Gottesdienstbesuche alles verständlich wird. Doch die ganze Tiefe der Gottesdienste kann sich auch erst nach Jahren erschließen. Wir haben nicht die seichten Predigten der Protestanten, sondern, wenn du so willst, eine ewige Universität, in der die gottesdienstlichen Texte die Lehrmaterialien sind, der Lehrer aber ist der Herr Selbst. Und nun vergleiche einmal: wenn du dir eine Vorlesung des fünften Semesters an der mechanisch-mathematischen Fakultät der Moskauer Staatlichen Lomonossow-Universität anhörst, wirst du am Anfang auch kein Wort verstehen, doch daraus folgt doch nicht, dass die Mathematiker und Physiker zur Gemeinsprache übergehen oder dass man sich nicht an dieser Fakultät immatrikulieren sollte. Ganz im Gegenteil, wäre alles gleich verständlich, dann hätte das Studium keinen Sinn, denn du weißt ohnehin schon alles, wovon die Fachleute reden. Und glaube mir, die Wissenschaft vom Leben mit Gott ist nicht minder kompliziert und distinguiert als die Mathe-

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matik, und deshalb sollte sie auch ihre eigene Terminologie und Sprache haben dürfen. Andererseits ist die kirchenslawische Sprache kein Latein und kein Sanskrit. Es ist vielmehr eine sakrale Form der russischen Sprache. Mühe dich ein wenig, erwirb ein Wörterbuch und ein paar Büchlein, lerne ein paar Dutzend Wörter und du wirst verstehen, und deine Mühen werden sich hundertfach lohnen. Beim Gebet wird es dir leichter fallen, dich auf Gott zu konzentrieren. Deine Gedanken werden nicht den Gesetzmäßigkeiten der Assoziation nach in die Ferne gleiten. Das heißt, die kirchenslawische Sprache verbessert die Bedingungen der Kommunikation mit Gott, und das ist es ja, wofür wir in die Kirchen kommen. Was aber die Informationsvermittlung angeht, so geschieht diese in russischer Sprache. Ich habe noch keinen einzigen Prediger erlebt, der in kirchenslawischer Sprache gepredigt hätte. In der Kirche ist also alles sehr weise verbunden — sowohl die antike Sprache des Gebets, als auch die moderne Sprache der Predigt. Für die Orthodoxen selbst ist die kirchenslawische Sprache außerdem noch dadurch wertvoll, dass sie es gestattet, das Wort Gottes möglichst genau zu hören. Wir hören in dieser Sprache fast dem Buchstaben nach genau das Evangelium, denn die Grammatik des Kirchenslawischen ist der des Griechischen, in welchem wir die Offenbarung empfangen haben, fast identisch. Glaube mir, es ist in der Theologie so, wie in der Poesie oder der Rechtswissenschaft: Nuancen bei Sinnbildern verändert oft genug das Wesen einer Sache. Ich denke, dass ein jeder, der sich mit Literatur beschäftigt, das sehr gut versteht. In einem Krimi kann ein zufällig fallengelassenes Streich89


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holz den Lauf der Ermittlung ändern. Ebenso wertvoll ist es für uns, die Worte Christi so genau wie möglich zu vernehmen. Dabei ist die kirchenslawische Sprache für uns natürlich kein Dogma. In der Orthodoxen Kirche weltweit wird der Gottesdienst in insgesamt mehr als 80 verschiedenen Sprachen zelebriert. Selbst in Russland wäre es theoretisch möglich, auf das Kirchenslawische zu verzichten. Aber das kann erst dann passieren, wenn diese Sprache für die Gläubigen einst in eine ebenso weite Ferne rückt, wie das Latein für die Italiener. Derzeit steht die Frage so noch nicht. Aber wenn das einmal eintreten sollte, dann schafft sich die Kirche eine neue sakrale Sprache, welche die Bibel möglichst exakt übersetzt und die es unserem Verstand nicht gestattet, in die Ferne abzuschweifen. Die Kirche ist immer noch lebendig und hat die Kraft, einem jeden, der sie betritt, Leben einzuhauchen. So tritt denn ein — die Tür ist geöffnet!

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er sechzehnte Einwand: Ich habe so viel Böses getan, dass Gott mir nicht vergeben wird. Ich komme so oder so in die Hölle. Ich werde also weiterleben, wie ich bisher gelebt habe. Solche Worte sind ganz direkt eine Versuchung des Teufels! Höre nicht auf den Feind, der deinen Untergang will. Er lügt, denn er ist ein Lügner und der Vater der Lüge! Das sind gar nicht deine Gedanken, sondern die Agitation des Feindes. Wie kannst du Gott misstrauen?

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Er hat solchen wie dir gesagt: „Ihr behauptet: Unsere Vergehen und unsere Sünden lasten auf uns, wir siechen ihretwegen dahin. Wie sollen wir da am Leben bleiben? Sag zu ihnen: So wahr ich lebe — Spruch Gottes, des Herrn —, ich habe kein Gefallen am Tod des Schuldigen, sondern daran, dass er auf seinem Weg umkehrt und am Leben bleibt. Kehrt um, kehrt um auf euren bösen Wegen! Warum wollt ihr sterben…? … Wenn ich aber zu dem Schuldigen sage: Du musst sterben!, und er gibt sein sündhaftes Leben auf, handelt nach Recht und Gerechtigkeit … richtet sich nach den Gesetzen, die zum Leben führen, und tut kein Unrecht mehr, dann wird er gewiss am Leben bleiben und nicht sterben. Keine der Sünden, die er früher begangen hat, wird ihm angerechnet. Er hat nach Recht und Gerechtigkeit gehandelt, darum wird er gewiss am Leben bleiben.“ (Hes 33,10f.14-16). Christus starb für dich am Kreuz, glaubst du etwa, deine Sünden seien größer als das göttliche Erbarmen? Nein und nochmals nein! Der Apostel Paulus war vor seiner Taufe ein grausamer Christenverfolger und an der Ermordung des hl. Stephanus beteiligt. Petrus, der unter den Jüngern Christi Diesem besonders nahe stand, hat sich dreimal von Ihm losgesagt und doch Vergebung erlangt. König David beging Ehebruch und Mord, aber er bereute und blieb ein Prophet. König Manasse brachte den Propheten Jesaja um, indem er ihn mit einer Holzsäge zersägen ließ, tränkte Jerusalem bis zum Rand in Blut, machte aus dem Tempel Gottes ein Hurenhaus und ließ Götzen aufstellen, später aber, in Gefangenschaft, bereute er und ihm wurde vergeben. Der Prophet Micha sagt dazu vollkommen richtig: „Wer ist ein Gott wie du, der du Schuld verzeihst und dem Rest deines Erbvolkes das Unrecht vergibst? Gott hält nicht für immer fest an seinem Zorn; denn er liebt es, gnädig zu sein. 91


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Er wird wieder Erbarmen haben mit uns und unsere Schuld zertreten. Ja, du wirfst all unsere Sünden in die Tiefe des Meeres hinab.“ (Mi 7,18f.). Das Erbarmen des Schöpfers ist ein uferloser Ozean. Deine Sünden gehen darin unter und verschwinden gleich einem Tropfen Tinte, wenn du nur wünschst, sie nicht wieder zu begehen. Dir wird nicht nur vergeben werden, sondern du bekommst auch die Kraft, die Verirrungen deines bisherigen Lebens nicht zu wiederholen. All das gibt dir die Taufe, und so sprechen wir es auch im Glaubensbekenntnis: „Ich bekenne die eine Taufe zur Vergebung der Sünden“. Die Bibel sagt, dass manch einer ein Hurer, Götzendiener, Ehebrecher, Lustknabe, Knabenschänder, ein Dieb, Habgieriger, Trinker, Lästerer und Räuber war, aber solche sind durch die Wasser der Taufe „rein gewaschen, geheiligt, gerecht geworden im Namen Jesu Christi, des Herrn, und im Geist unseres Gottes“ (1 Kor 6,11). Auch du wirst schmutzig und unrein, wie mit Mantel eines Streuners bekleidet, hineingehen, und herauskommen wirst du glänzend wie in der Robe eines Kaisers, die mit Hermelin und Edelsteinen geschmückt ist. Deine Seele wird strahlen wie frisch gefallener Schnee, sie wird wie lichtblauer Saphir sein, mit einem Stern darinnen. Du wirst sagen: wofür sollte es mir so ergehen? Darauf antworte nicht ich, sondern Gott Selbst: „Nicht euretwegen handle ich … sondern um meines heiligen Namens willen“ (Hes 36,22), wegen Seines Sohnes, den Er als Opfer dahingab, mit Seinem Blut Sühne zu leisten zur Vergebung der Sünden (vgl. Röm 3,25). Was wird von dir gefordert? Nur eine Sache. Der Glaube an den Sohn Gottes und der Wunsch, Gottes Geboten gemäß zu leben. Nichts weiter! Das übrige bewirkt die Kraft des Schöpfers. Kann denn 92


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der, welcher bis jetzt über die Galaxien gebietet und dich im Anfang geschaffen hat, dich nach wie vor in seiner Hand hält, deine Schlechtigkeit nicht hinwegnehmen? Einst kam ein Soldat zum heiligen Antonius und sagte, er könne nicht glauben, dass Gott den Sündern vergibt. Der Heilige zeigte auf dessen Umhang und sagte: „Wenn dieser Umhang reißt, wirst du ihn denn sogleich fortwerfen?“ Dieser antwortete: „Nein, ich flicke ihn und trage ihn weiter.“ Daraufhin sagte Antonius: „Du hast diesen Umhang nicht geschaffen, und sorgst dich doch um ihn. Wie kannst du meinen, dass der Herr Sein Geschöpf, das Seinen Händen entstammt, vergisst?“ Kannst du immer noch nicht glauben, so komm und sieh. Koste und sieh, wie gütig der Herr ist (vgl. Ps 33,9), und der Teufel wird fliehen, und all seine Gedanken werden vergessen sein, wie ein Traum vom vergangenen Jahr beim Anbruch des Ewigen Morgens. So denn, vertreibe die Gedanken des Teufels, und er wird dich fliehen. Rufe Gott an, und Er wird dich in Seine allmächtigen Hände nehmen. Reue, und ein jeder möge sich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes taufen lassen. So empfängst du die Vergebung der Sünden und endlose Freude im ewigen Reich des allgütigen Vaters.

93 Taufbecken in der griechisch-orthodoxen Kirche der Verklärung des Herrn, Lowell / USA


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Wenn du dich zur Taufe entschlossen hast

Wenn du dich zur Taufe entschlossen hast Wie bereitet man sich richtig auf die heilige Taufe vor?

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u hast dich also dazu entschlossen, die heilige Taufe anzunehmen. Was ist dafür notwendig? Wie sollte man sich darauf vorbereiten? Was muss man mitbringen? Wie verhält man sich vor und nach diesem Mysterium? Gehen wir der Reihe nach. Um die Taufe zu empfangen, ist ein wahrhaftiger Glaube notwendig, die Reue über solche deiner Werke, für die du dich vor deinem Schöpfer schämen würdest, sowie der Wille, Gottes Geboten gemäß zu leben. Wahrscheinlich ist dir klar, weshalb der Glaube eine Voraussetzung ist. Den Worten der Schrift nach ist es unmöglich, ohne Glauben Gott zu gefallen, und man muss glauben, dass Er ist und dass Er denen, die Ihn suchen, ihren Lohn geben wird (vgl. Hebr. 11,6).

Das Maß des Glaubens

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s ist aber auch notwendig zu wissen, dass es ein Maß des Glaubens gibt, das für die Taufe Voraussetzung ist. Dieses Maß ist das Credo, das Glaubensbekenntnis, das vom Täufling unmittelbar vor dem Mysterium auswendig rezitiert wird. Der Text des Glaubensbekenntnisses beruht vollständig auf der Göttlichen Offenbarung und ist in seiner gegenwärtigen Gestalt von den Vätern des I., Nizänischen (im Jahr 325 n.Chr.) und dem II., Kon95


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stantinopolitanischen (im Jahr 381 n.Chr.) Ökumenischen Konzils angenommen worden. Als Ökumenisches Konzil bezeichnet man eine Versammlung aller Bischöfe der weltweiten Kirche. Wir glauben, dass der Heilige Geist Selbst sie angeleitet hat, und es ist Seine Führung, mithilfe derer die Kirche die ursprüngliche Offenbarung bewahrt und sie in genauen Formulierungen überliefert hat, während allerlei Verirrungen abgeschmettert wurden. Eine besonders exakte Formulierung der Inhalte des christlichen Glaubens stellt nun dieses Glaubensbekenntnis dar, das zu lernen dir bevorsteht. Aus der griechischen Bezeichnung des Texts — „Symbol des Glaubens“ (το σύμβολον της πίστεως) — könnte man das Wort „symbolon“ auf insgesamt 29 verschiedene Weisen übersetzen. Die wohl älteste Bedeutung bezeichnet bezieht sich auf einen in zwei Teile gebrochenen Halm oder einen solchen Ring, dessen Hälften jeweils von Freunden oder Geliebten mitgenommen wurden, wenn diese sich für längere Zeit trennten. Nach möglicherweise jahrelanger Trennung erkannten sie einander, indem sie die beiden Bruchstücke zu einem „symbolon“ aneinanderfügten. Gleichermaßen hat unser Ewiger Freund und der Bräutigam unserer Seelen, Christus, uns diesen Glauben als eine der Hälften des Rings überlassen, mithilfe dessen Er uns am Tage seiner Wiederkunft erkennen wird. Damit ist klar, dass, wenn wir diese unsere Hälfte verlieren oder sie auch nur an der Stelle der Verbindung beschädigen, wir ein Wiedererkennen beim Treffen unmöglich machen. Christus wird sagen: „Ich kenne euch nicht. Weg von mir, ihr Übertreter des Gesetzes!“ (Matth 7,23). 96


Das Maß des Glaubens

Einer anderen Übersetzung nach bedeutet „symbolon“ einen Treueeid. Wir, die Christen, glauben daran, dass Jesus Christus unser einziger Herr und König ist. Indem wir also in Seine Kirche eintreten, welche als „kämpfende Kirche“ bezeichnet wird, schwören wir Ihm als unserem Ewigen König die Treue. Damit nun wird klar, dass wir, wenn wir diesen Eid nach der Taufe brechen, Eidesbrechern und Deserteuren gleich sein werden, die Gottes Gericht anheimfallen. „Symbolon“ kann auch als „Kennwort“, „Parole“ übersetzt werden. Auf diese Parole hin würden wir im zurückgekehrten Paradies Einlass finden. Diese Parole müssen wir bei jedem abfragen, der in unser Herz dringen will, und unser Verstand muss an unserem Herzen Wache stehen wie ein Wachmann, damit niemand es ausrauben kann. Somit müssen wir dieses geheiligte „Symbolon“ im Herzen aufnehmen und es bis ans Ende unserer Tage bewahren. Natürlich sollte man, wenn man nicht gerade ein schwaches Gedächtnis hat, diesen Text auswendig lernen.

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Das Glaubensbekenntnis Ich glaube an den einen Gott, den Vater, den Allherrscher, den Schöpfer des Himmels und der Erde, alles Sichtbaren und Unsichtbaren, [2]und an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes einziggezeugten Sohn, den aus dem Vater Gezeugten vor aller Zeit, Licht vom Lichte, wahren Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, den dem Vater Wesenseinen, durch den alles geworden ist, [3]den für uns Menschen und zu unserer Errettung von den Himmeln Herabgestiegenen und Fleischgewordenen aus dem Heiligen Geist und der Jungfrau Maria und Menschgewordenen, [4]den für uns unter Pontius Pilatus Gekreuzigten, der gelitten hat und begraben worden ist, [5] den am dritten Tage Auferstandenen gemäß den Schriften, [6] den in die Himmel Aufgestiegenen und zur Rechten des Vaters Sitzenden, [7]den mit Herrlichkeit Wiederkommenden, zu richten die Lebenden und die Toten, dessen Königtum ohne Ende sein wird; [8]und an den Heiligen Geist, den Herrn, den Lebenschaffenden, den aus dem Vater Hervorgehenden, den mit dem Vater und dem Sohn Angebeteten und Verherrlichten, der gesprochen hat durch die Propheten; [9]an die eine, heilige, allumfassende und apostolische Kirche. [10]Ich bekenne die eine Taufe zur Vergebung der Sünden. [11]Ich erwarte die Auferstehung der Toten [12]und das Leben der künftigen Welt. Amen.8 [1]

Der deutsche Text des Glaubensbekenntnisses wird in der Über-

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setzung der Liturgischen Kommission der Orthodoxen Bischofskonferenz (www.obkd.de) wiedergegeben. Stand Oktober 2014. — Anm. d. Ü.


Das Glaubensbekenntnis

Ich denke, es wäre angebracht, eine kurze Erläuterung zum Glaubensbekenntnis anzuführen. Denn es passiert ja oft, dass verschiedene Leute ein und dieselben Worte ganz verschieden verstehen. Wohlan: wie du schon gesehen haben wirst, besteht das Glaubensbekenntnis aus 12 Gliedern, und wir wollen sie der Reihe nach kurz kommentieren. Gott – unser aller Schöpfer 1. Ich glaube an den einen Gott, den Vater, den Allherrscher, den Schöpfer des Himmels und der Erde, alles Sichtbaren und Unsichtbaren.

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it dem Glauben ist hier durchaus nicht ein blinder Verzicht auf den Verstand gemeint, wie es die Atheisten denken mögen, sondern ganz im Gegenteil handelt es sich dabei um seine höchste Manifestation. Der Mensch findet den Schöpfer mit Verstand und Herz, und vertraut Ihm daraufhin. Gläubig geworden, anerkennt der Mensch zum Einen die Existenz einer unsichtbaren Wirklichkeit, und dadurch werden seinem Verstand neue Horizonte eröffnet, und zum Anderen beginnt er, Gott zu vertrauen und spürt dadurch, dass sein Leben unter einem höheren, sicheren Schutz steht. Das Wichtigste am Glauben der Christen ist Gott. Mit diesem Begriff meinen wir das endlose Geistwesen, das in seiner unermesslichen Macht, Weisheit und Ruhm nicht endgültig zu ergründen ist. Gott ist allgegenwärtig und ewig (steht über der Zeit), allmächtig und allwissend. Er ist die vollkommene Wahrheit und Liebe, 99


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Er benötigt nichts und gibt Selbst freimütig alles. Gott lässt sich nicht durch irgendein konkretes Sinnbild beschränken: Er ist nicht Materie, nicht Energie, nicht der Kosmos, nicht der Höchste Verstand, nicht das höchste Element der Seele. Im Gegenteil — alles Seiende empfängt von Ihm das Sein: alles Lebende empfängt von Ihm Leben, alles Vernünftige — die Vernunft, alles Starke — die Kraft. Gott wird nicht aus dem Grunde als der Eine bezeichnet, weil das hieße, dass egal, wen die Menschen verehren, sie doch letztlich Ihn verehren, sondern aus dem Grunde, dass nur Er allein der wahrhaft Seiende ist, alle anderen Wesen aber, die von den Menschen aus Unverstand als „Götter“ bezeichnet werden (beispielsweise Zeus, Krischna, Perun usw.) — sind Irrtum, Betrug oder Selbstbetrug, hinter dem gefallene Engel, also Dämonen, stecken. Neben Gott, dem Schöpfer, an den die Christen glauben, gibt es keinen anderen. Der Eine Gott wird als Vater bezeichnet, weil Er eine Person ist, die vor aller Zeit den Sohn gebärt. Aber Er wird auch für alle die zum Vater, die im Glauben an Seinen Sohn getauft werden. Folglich wird Er auch dein Vater sein… Gott der Vater ist nirgendwoher hervorgegangen und wird deshalb auch als ungeboren und anfanglos bezeichnet Als Allherrscher9 wird Er bezeichnet, weil die ganze Welt bis heute aus dem einen Grunde besteht, dass Seine Macht sie erhält. Die ganze Welt wird ebenso durch Seinen allmächtigen Willen gelenkt, der allem Guten förderlich ist, alles Böse aber, das aufgrund der Abkehr der 9

„Pantokrator“, auch „Allerhalter“ — Anm. d. Ü.

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freien Geschöpfe vom Guten auftritt, unterbindet und zu guten Folgen führt. Der Vater heißt weiterhin Schöpfer des Himmels und der Erde, denn Er hat in Seinem freien Willen und ohne jedwede Unterstützung das All in sechs Tagen aus dem Nichts geschaffen. Ziel dieses schöpferischen Aktes war der Wille, dass freie und vernunftbegabte Wesen in Seine ewige Seligkeit eingehen würden. Die sichtbare und die unsichtbare Welt, die im Glaubensbekenntnis erwähnt werden — das ist sowohl der materielle Kosmos, als auch die Geistwelt, zu der die Engel gehören (vernunftbegabte und mächtige Geistwesen, die keinen materiellen Leib besitzen, und ein Teil derer aufgrund von Stolz von Gott abgefallen ist und zu Dämonen wurde), ebenso auch unsere unsterblichen Seelen. Doch sowohl die eine, wie auch die andere Welt sind durch den freien Willen des Vaters aus dem Nichtsein ins Sein getreten. Das Licht der Herrlichkeit Gottes 2. Und an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes einziggezeugten Sohn, den aus dem Vater Gezeugten vor aller Zeit, Licht vom Lichte, wahren Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, den dem Vater Wesenseinen, durch den alles geworden ist.

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ie bereits weiter oben angemerkt, wird Gott als Vater bezeichnet, weil Er den Sohn geboren hat, und an dieser Stelle sehen wir, wie die Kirche ihren Glauben an Christus etwas näher beschreibt. Für uns ist Christus nicht etwa ein „Hoher Eingeweihter“, nicht ein großer Lehrer in Sachen Moral, und auch nicht der Erste unter den Revolutionären, sondern der Ewige Gott, die zweiter Person der heiligsten Dreifaltigkeit. Er wird als der Eine bezeichnet, da Er eine einzige Persönlichkeit ist, auch wenn Er zwei Naturen besitzt. Als Herr wird Er bezeichnet, weil Er Seiner Natur nach der Herr der Schöpfung ist. Sein Königtum ist das Königtum aller Äonen, und Seine Herrschaft besteht in jedem Geschlecht. In besonderer Weise aber ist Er unser Herr, als unser Erlöser und Haupt der Kirche. Der Name „Jesus“ wurde Ihm verliehen, als Er Mensch wurde, und er bedeutet „der Seiende, der zur Errettung kam“ oder einfach „Erretter“. Das Wort „Christus“ ist nun kein Name, sondern die Bezeichnung für den Dienst Seiner Fleischwerdung. Übersetzt heißt es „der Gesalbte“, da Er als Mensch von Seiner Göttlichkeit und dem Heiligen Geist gesalbt war. Diese Salbung wurde Ihm als König, Prophet und Hohepriester zuteil. Denn in der Antike, in den Zeiten des Alten Testaments, wurden Propheten und Priester durch Salbung mit geweihtem Öl in ihren Dienst eingeführt. Jesus heißt der Eingeborene, da nur Er aus dem Wesen des Vaters geboren ist, im Unterschied zu den anderen Kindern Gottes (Menschen und Engel). Diese besitzen ein anderes Wesen als der Vater, und werden zu Gotteskindern, indem sie diese Kindschaft durch Christus erwerben.

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Weiter wird durch die Worte „den aus dem Vater Gezeugten vor aller Zeit“ unterstrichen, dass der Sohn vor Anbeginn der Zeit aus dem Wesen des Vaters geboren ist (die Zeit begann mit Erschaffung der Welt). Die Welt hätte auch nicht ins Sein treten müssen, doch der Sohn ist urewig vom Vater geboren, und Seine Geburt aus dem Vater gleicht dem, wie eine Kerze von einer anderen entzündet wird: die erste Flamme wird dadurch nicht geringer, und das zweite Licht ist dem ersten gleich. Der Sohn ist ewig mit dem Vater verbunden, wie die Sonne mit ihren Strahlen. Er ist das Licht der Herrlichkeit und ein Bildnis Seiner Person. Er ist der ewige Selbstausdruck des Vaters, Sein Wort, Seine Weisheit und Kraft. Der Sohn ist, wie auch der Vater, wahrer Gott, im Unterschied zu den trügerischen Gottheiten der Heiden und Andersgläubigen. Doch dabei ist es falsch anzunehmen, dass es zwei oder drei Götter gebe. Alle drei Personen der Dreifaltigkeit sind der Eine Gott, da es für die Göttlichkeit nur die Eine Quelle gibt — den Vater. Alle drei Personen haben ein Wesen (eine Natur), einen Willen, ein Königtum, eine Herrlichkeit und Macht, und Sie alle sind ewig ineinander, und unterscheiden sich lediglich dadurch voneinander, dass der Vater ungeboren, der Sohn geboren und der Heilige Geist vom Vater ausgehend ist. Um die Wahrhaftigkeit der Göttlichkeit Christi zu unterstreichen, heißt es im Glaubensbekenntnis, dass Er geboren ist, aber nicht geschaffen, und eines Wesens mit dem Vater. Durch Christus hat Gott Vater die Welt geschaffen. Doch nicht als Instrument gebrauchte der Vater den Sohn, sondern als Vollbringer Seines Willens, so dass das All auch die Schöpfung des Herrn Jesus ist. Aus diesem 103


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Grunde hat er die Welt, die Er Selbst auch geschaffen hat, erlöst. Kann denn ein Mensch sich selbst erlösen? Kann der Mensch sich selbst erretten? 3. Den für uns Menschen und zu unserer Errettung von den Himmeln Herabgestiegenen und Fleischgewordenen aus dem Heiligen Geist und der Jungfrau Maria und Menschgewordenen.

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ie wir schon angeführt haben, bedeutet der Name „Jesus“ selbst schon „Erretter“. Angefangen von diesem Glied des Glaubensbekenntnisses beschreibt es detailliert, wie diese unsere Errettung vonstattengegangen ist. Wovon aber mussten wir errettet werden? Die Kirche gibt die Antwort: von der Sünde, dem Fluch und dem Tod. Es ist so, dass die ersten Menschen, Adam und Eva, sich von Gott, der Quelle des Lebens, abgekehrt haben, indem sie sündigten. Als Ergebnis ist das Wesen der Menschen verdorben worden. Fortan sahen die Menschen nicht mehr das Angesicht des Herrn. Der Verstand verlor die Kontrolle über den Willen und die Gefühle und fiel der Zersetzung anheim, denn es ist ihm schwer möglich, die Wahrheit zu erkennen. Der Wille kehrte sich ab von Gott, und das Böse erfüllte unser ganzes Wesen, so dass es uns inzwischen schon leichter fällt zu sündigen, als etwas Gutes zu tun. Dieser Zustand heißt „Ursünde“, die den leiblichen Tod hervorbringt, ebenso auch die ewige Verdammnis der Seele, die nach dem Tod in die Hölle fährt. Niemand hätte den unglückseligen Menschen von

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Das Glaubensbekenntnis

dieser ewigen Not erlösen können, als nur der Schöpfer Selbst. Denn es war ja notwendig geworden, unser Wesen zu ändern, das Verbrechen zu tilgen, den Tod zu besiegen und — unsere Verbindung mit Gott wieder zu errichten. Wer von den Menschen oder den anderen Geschöpfen hätte das vollbringen können? Und so kommt es, dass der Herr in Seiner Gnade Sich Selbst für Seine Geschöpfe einsetzt. Drei Hindernisse standen vor Ihm. Das erste war der Abgrund zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Wesen. Dem Moses wurde ja gesagt: „Kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben.“ (Ex 33,20). Wie sollte ein schwaches Geschöpf vor dem ewig brennenden Feuer des Höchsten Lebens bestehen? Das zweite Hindernis war die Sünde, die vom Heiligen Gott nicht einfach ignoriert werden konnte. Der Gerechte kann ja ein Verbrechen nicht ungesühnt belassen. Andererseits „gibt [es] ja niemand, der nicht sündigte“ (2 Chr 6,36), folglich müssten alle bestraft werden. Das dritte Hindernis war der Tod, der das Wesen des Menschen zerstört. Wovon konnte denn überhaupt die Rede sein, wenn alle Werke eines Menschen vom Tod gefressen werden? Wie sollte ein Sterblicher mit dem Unsterblichen verkehren, wenn der Tod nicht beseitigt wird? Und so kommt der Herr Jesus Christus, um diese Hindernisse zu vernichten, den Menschen zu erretten und ihn zu einem Gott der Gnade nach zu machen. Der ewige Sohn steigt von den Himmeln herab, ohne sich im Raum zu bewegen, denn als Gott erfüllt Er ohnehin alles. Aber so, wie die Engel in den Himmeln Ihn schauen und Ihm in allem gehorchen, so wird er durch Seine Geburt auf Erden sichtbar. Christus empfängt ei105


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nen Leib von der Jungfrau Maria, die Ihn ohne Beteiligung eines Mannes durch die Macht des Lebensspendenden Geistes gebären konnte. Die Eine Persönlichkeit des Gottessohnes beginnt, in zwei Naturen zu existieren, die unvermischt, unveränderlich, unteilbar und untrennbar verbunden sind. So verbleibt Christus vollkommener Gott, wird aber zum vollkommenen Menschen, der eine menschliche Seele, einen menschlichen Verstand und einen menschlichen Willen besitzt. Allein die Ursünde war Ihm fremd, überdies hat Er Selbst keinerlei Böses getan, und es fand sich kein trügerisches Wort in seinem Munde. Genau aus diesem Grunde wurde die Unbefleckte Empfängnis notwendig; es ist so, dass bei einer normalen Empfängnis dem Menschen von Anbeginn an der Tod mitgegeben wird, und die solchermaßen entstehenden Menschen sind außerstande, andere Menschen zu erretten, da sie der Errettung selbst bedürfen. Wenn aber die menschliche Natur im Leib der Jungfrau, durch die Kraft des Heiligen Geistes, entsteht, da wird sie dazu fähig, in der Person des Gottessohnes zu verweilen, so dass sie von Anbeginn Seine eigene Natur war. So wurde durch die Fleischwerdung Gottes das erste der Hindernisse aus dem Weg geräumt — nämlich der Unterschied der Naturen. Beide Wesen haben sich, ohne sich gegenseitig aufzulösen, in der Einen Göttlichen Person verbunden, und nun bekommen wir durch Christus Zugang zum Vater. Christus wird so zum Stammvater der erlösten Menschheit.

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Stammvater der erlösten Menschheit 4. Den für uns unter Pontius Pilatus Gekreuzigten, der gelitten hat und begraben worden ist.

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hristus kam in die Welt und gab ihr ein neues Gebot — das Gebot der Liebe. Doch Sein wichtigstes Werk ist, dass Er uns vom Bösen und von der Sünde erlöst hat, dafür aber war der Tod ein notwendiges Mittel. Leben kann man nur um den Preis des Lebens erkaufen. So nimm Jesus Christus, um das Hindernis der Sünde zu vernichten, freiwillig die Sünden der Welt auf Sich. Der schuldlose Gerechte stirbt für die Schuldigen, nimmt ihre Bestrafung und ihren Fluch auf Sich, damit jeder, der an Ihn glaubt, nicht verderben, sondern das ewige Leben haben möge. Sein Blut wird zum Lösegeld für unsere Sünden. Er gibt Blut für Blut, Seele für Seele, Leib für Leib, und auf diesem Wege wird Gottes Gerechtigkeit in uns wirksam. „Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jes 53,5). Christus als Mensch bringt Sich Selbst Gott zum Opfer für unsere Sünden dar, und durch diese sakrale Handlung erleuchtet er uns, vertreibt die Sünde aus unserem Herzen, aus unserem Verstand, aus der ganzen Natur des Menschen. Er heilt den Ungehorsam des alten Adam, indem Er dem Vater gehorsam ist, gehorsam bis zum Tod am Kreuz — einem schändlichen, schrecklichen, qualvollen Tod. Der Herr wird zum neuen Adam, zum Stammvater der erlösten Menschheit. Gleich wie durch den ersten Menschen der Tod in die Welt gekommen war, so kommt das ewige Leben durch 107


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Christus in die Welt. Anstelle des Baums der Erkenntnis steht das Kreuz, das für uns aus einem Hinrichtungsinstrument zum Zeichen unseres Sieges und der Errettung geworden ist. Unsere Hände, die zu bösen Taten ausgestreckt waren, sind geheilt durch die durchbohrten Hände Christi. Unsere Füße, die Gott flohen, sind zu Ihm zurückgekehrt durch die Nägel, welche die Füße des Gottmenschen durchbohren. So wurde Gottes Gerechtigkeit offenbar, denn den Feind, Satan, hat nicht nur Gott, sondern auch der Mensch besiegt. Die gleiche Natur, die im Paradies zur Geisel genommen worden war, siegt am Kreuz. Durch die Worte unter Pontius Pilatus unterstreicht die Kirche, dass dieses Ereignis zu einer ganz konkreten historischen Zeit stattgefunden hat, und zwar zur Statthalterschaft des Pontius Pilatus, als die alten Prophezeiungen über das Kommen des Versöhners (vgl. Gen 49,10) von Gott und Menschen, die alte Feindschaft zwischen Geschöpfen und Schöpfer beigelegt wurde. So wurde die Hoffnung der Völker, die aufgrund ihres Götzendienstes und der Verehrung unreiner Geister Gott fremd gewesen sind, erfüllt, und sie wurden zu den Seinen durch die Zuwendung zum Gekreuzigten. Wir glauben, dass Christus nicht nur zum Schein gelitten hat, sondern dass Er tatsächlich schreckliche Qualen zu erleiden hatte, um uns vom Tode zu erlösen. Dabei betrafen diese Leiden natürlich nur Seine menschliche Natur (die göttliche Natur leidet nicht). Und Er ist wahrhaftig gestorben und wurde begraben. Seine Seele löste sich vom Leib und stieg hinab in den Hades, und der Hades wurde zerstört. Die Gerechten, die an Christus glaubten, gingen in das Himmelreich ein, und seither 109


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gibt es wieder einen freien Weg dorthin, einen Weg, der einst durch die Sünden der ersten Menschen versperrt gewesen ist. Der alte Feind der Menschen, der Teufel, wurde niedergeworfen und seiner Macht beraubt, als einer, der ungerechtfertigt seine Hand gegen den Schöpfer erhoben hat. So brach die zweite Mauer zwischen Gott und den Menschen zusammen — die Mauer der Sünden; so verschwand der Grund für den ewigen Tod, der den Menschen in seiner Gewalt hatte. Christus hat diesen Tod gleichermaßen von innen heraus zerstört. Der den Tod von innen heraus zerriss 5. Den am dritten Tage Auferstandenen gemäß den Schriften.

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er Apostel Petrus sagt, dass der Tod Wehen zu leiden hatte, als er Christus in sich aufnahm, denn er konnte Ihn nicht halten (vgl. Apg 2,24). Der Grund dafür ist, dass der Tod üblicherweise die Natur des Menschen zerstört, denn der Mensch ist nicht lediglich durch die unsterbliche Seele bestimmt, sondern durch die Verbindung von Seele und Leib. Doch Christus war nicht nur eine menschliche, sondern eine allgegenwärtige göttliche Persönlichkeit. Obwohl Seine Seele sich vom Leib trennte, so blieb sie doch durch Seine Göttlichkeit mit ihm in Verbindung. Deshalb verblieb die Seele Christi nicht im Hades, und Sein Leib fiel im Grabe nicht der Verwesung anheim. So zerriss Christus den Tod von innen heraus. Am dritten Tag, in der Nacht auf Sonntag, dem Tag, als Gott die Welt aus dem Nichts schuf, aufersteht Chris-

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tus durch die Macht Seiner Göttlichkeit von den Toten. Seine Seele ist wieder und auf ewig mit Seinem Leib verbunden, so dass er auf ewig unverweslich und dem Untergang nicht unterworfen ist. Der auferstandene Christus ist der Erste unter den Toten, der Anfang, die erste Garbe der neuen Ernte an Auferstandenen. Der Tod wurde vernichtet, und vom Morgen der Auferstehung an begann in der Weltgeschichte die Umkehr — der Prozess der Auferstehung aller Toten. So zerbrach das letzte Hindernis zwischen dem Schöpfer und den Menschen, und der unsterbliche Gott „steckt die Menschheit an“ mit Seiner Unsterblichkeit. Das sahen noch die alten Propheten voraus, deren Worte uns in der Heiligen Schrift überliefert sind, und in denen es heißt, dass der Tod vom Leben verschlungen und sich die Menschheit anstelle von Verweslichkeit in Unverweslichkeit kleiden wird. Im aufgestiegenen Christus verweilt unser Leben 6. Den in die Himmel Aufgestiegenen und zur Rechten des Vaters Sitzenden.

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m vierzigsten Tage nach Seiner Auferstehung ist Christi leiblich in die Himmel aufgestiegen und ebnete uns den Weg ins Ewige Vaterland. Er ging durch den Kosmos und die Engelswelten hindurch, und nun verweilt ganz dieselbe Natur, wie auch wir sie besitzen, im Ungeschaffenen Ozean der Gottheit, höher als alle feurigen Geister. Solches ist der Ruhm des vergöttlichten Menschen. Im in die Himmel aufgestiegenen Chris111


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tus verweilt fortan unser Leben, und wir erwarten Seine Wiederkunft, in der unser Leben offenbar wird. Der Herr Jesus thront zur Rechten des Vaters und ist auch als Mensch an der Lenkung der Welt beteiligt. Er ist nach wie vor der Ewige Hohepriester, der immer lebt, um vor dem Vater für uns zu bitten, Er ist der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen und Derjenige, der die Sünden der Christenheit durch Sein Blut tilgt. Und Er erwartet das Ende des Predigtdienstes der Kirche, die alle Erretteten für das Königtum sammelt. Wenn diese ihre Mission erfüllt ist, wird Christus wieder auf die Erde zurückkehren, und Seine Feinde werden vor Seine Füße niedergeworfen werden; weder Tod noch Trübsal wird es dann geben. Weder Tod, noch Trübsal 7. Den mit Herrlichkeit Wiederkommenden, zu richten die Lebenden und die Toten, dessen Königtum ohne Ende sein wird.

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ie Wiederkunft des Herrn Jesus wird sich anders gestalten, als Sein erstes Erscheinen in der Welt. Er wird dann schon nicht mehr als der Erretter, sondern als der Gerechte Richter in die Welt kommen. Zuerst wird das Kreuz — als Zeichen Seines Sieges über Tod und Sünde — über der Welt erstrahlen. Vor dem Angesicht Jesu geht eine Flamme, die das Universum verbrennt. Die Himmel werden eingerollt wie eine Schriftrolle, und die Erde wird im Feuer dahinschmelzen. Es erscheinen eine neue Erde und ein neuer Himmel, in denen die Ge-

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Das Glaubensbekenntnis

rechtigkeit wohnt. Christus kommt mit der Herrlichkeit Seines Vaters, und mit Ihm alle Engel. Auf Sein Wort werden alle Toten beim Ertönen der Posaune des Erzengels auferstehen. Alle Lebenden werden in einem Augenblick verklärt werden. Somit wird sich die gesamte Menschheit, vom ersten Menschen bis hin zum letzten, vor Seinem Thron versammeln. Dann wird der Herr einem jeden nach seinen Werken geben. Die Gerechten erlangen das ewige Leben, die Sünder werden zusammen mit dem Satan in das ewige Feuer geworfen. So wird die Gerechtigkeit vollständig wiederhergestellt werden. Alles Gute wird belohnt, alles Böse bestraft. Und den Ruchlosen wird keine Bestechung, werden keine falschen Zeugen helfen können. Nach dem Gericht beginnt das ewige Königtum der Herrlichkeit, das kein Ende haben wird. Darin gibt es weder Tod, noch Krankheit, noch Trübsal, keine Sünde, sondern nur eine sich immerfort steigernde Freude. Der Heilige Geist, der Lebenschaffende 8. Und an den Heiligen Geist, den Herrn, den Lebenschaffenden, den aus dem Vater Hervorgehenden, den mit dem Vater und dem Sohn Angebeteten und Verherrlichten, der gesprochen hat durch die Propheten.

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esweiteren lehrt uns das Glaubensbekenntnis, an die dritte Person Gottes zu glauben — an den Heiligen Geist. Er ist wahrhaftiger Gott, eine Persönlichkeit, nicht 113


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

nur eine Macht, wie es manche denken. Er ist der Herr der Schöpfung, der im Anfang allem Lebendigen das Leben eingehaucht hat, es nun erhält und zur Vollkommenheit bringt. Das Wichtigste aber ist, dass der Heilige Geist uns das ewige Leben und die Heiligkeit gibt. Aus diesem Gründen heißt Er auch der Lebenschaffende. Der Heilige Geist geht urewig vom Vater aus, aus Seinem Wesen, und das ist Seine persönliche Eigenschaft, durch die Er sich vom Vater und vom Sohn unterscheidet. Dabei ist Er Ihnen aber gleich. Deshalb sagt man auch, dass wir den Heiligen Geist anbeten und Ihn zusammen mit dem Vater und dem Sohn verherrlichen. Er ist Schöpfer, Er verweilt immer im Sohne, Er offenbart uns Christus und führt uns durch den Sohn zum Vater. Der Heilige Geist gestattet es uns, uns die Errettung zu eigen zu machen, welche der Herr Jesus vollbracht hat. Er lenkt die Kirche, die Er auch geschaffen hat, indem Er am Pfingsttag in Gestalt von Feuerzungen auf die Apostel herniederkam. Der Heilige Geist wird am Ende der Welt diese verklären und den Toten das Leben einhauchen. Durch Ihn haben wir die göttliche Offenbarung empfangen, und deswegen wird auch ausgesagt, dass Er durch die Propheten gesprochen hat. Er ist der Autor sowohl der Bibel, als auch der heiligen Überlieferung der Kirche.

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Das Glaubensbekenntnis

Das neue Volk des Vaters 9. An die eine, heilige, allumfassende und apostolische Kirche.

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ie Kirche (im Sinne der Gemeinschaft der Christen), an die wir glauben müssen, ist ein mystischer Organismus, der Leib Christi, das Haus Gottes, das neue Volk des Vaters, das durch das Blut des Herrn erkauft worden ist. Das Haupt der Kirche ist der Herr Jesus Christus. Glieder der Kirche sind sowohl lebende, als auch im Glauben verstorbene Menschen, aber auch die Engel. Nur denen, die Glieder der Kirche sind, ist die Errettung versprochen worden. Auf Erden ist die Kirche die Versammlung der Christen, die durch den orthodoxen Glauben, durch die Kommunion im Gottesdienst, durch den Gehorsam gegenüber der Hierarchie und durch das Befolgen der göttlichen Gebote vereint sind. All die Häretiker (jene, die die göttliche Offenbarung verzerren) und Spalter (welche aus anderen Gründen, als aus denen der Glaubenslehre, von der Kirche abgefallen sind) befinden sich außerhalb der Kirche und besitzen die Errettung nicht, bis sie Reue zeigen und umkehren. Die Kirche wird als die Eine (d.h. die einzige) bezeichnet, da es nur die eine und keine anderen gibt. Es gibt nur einen Leib Christi, wie es auch nur ein Haupt gibt, und einen Heiligen Geist. Gott ist ja Einer, und der Weg zu Ihm ist auch der Eine. Und obwohl es eine Reihe an Lokalkirchen gibt (die russische, griechische, die von Jerusalem und andere), so handelt es sich dabei nicht um 115


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

separate Gemeinschaften, sondern um Glieder der Einen Kirche. Sie ist heilig, da sie einen jeden Christen heiligt und Gott ähnlich macht, welches Leben auch immer er zuvor geführt haben mag. Die Quelle der Heiligkeit ist der Heilige Geist, der seit dem Pfingsttage in ihr wohnt (vgl. Apg 2,1-4). Aus diesem Grunde sollte man auch nicht etwa meinen, dass die Gnade von einem Priester ausgeht. Solange er sich in der Kirche befindet, heiligt dich Gott Selbst durch ihn. Die aber, welche darin verharren, Böses zu tun, werden entweder offensichtlich (wie z.B. Leo Tolstoi), oder durch den nicht sichtbaren Urteilsspruch Gottes von der Kirche abgetrennt. Die Kirche heißt allumfassend oder universell, weil sie dem gesamten Universum für alle Zeiten und für ausnahmslos jedes Volk das Licht der Errettung bringt. Es gibt in ihr keine Nationalitäten oder sozialen Unterschiede, sondern es werden alle ohne Unterschied durch die Macht Gottes von allen Sünden erlöst; sie lehrt alle Tugenden, enthält die Fülle der Wahrheit. Sie heißt apostolisch, weil sie durch die Apostel gegründet worden ist. Und die Gabe des Heiligen Geistes wird in ihr ununterbrochen durch die Handauflegung der Bischöfe und Priester seit den Jüngern Christi selbst übertragen. Außerdem erfüllt die Kirche bis heute die apostolische Pflicht der Predigt des Evangeliums gegenüber allen Völkern der Erde, und sobald dieses Werk vollendet ist, tritt das Ende der Welt ein.

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Das Glaubensbekenntnis

Eine neue Geburt 10. Ich bekenne die eine Taufe zur Vergebung der Sünden.

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ie hauptsächliche Quelle an Kraft für die Glieder der Kirche sind die Mysterien, oder Sakramente, deren erstes die Taufe ist. Die Mysterien sind besondere, von Gott Selbst eingesetzte sakrale Handlungen, bei denen dem Gläubigen unter der Gestalt von Ritualen die verklärende Gnade des Heiligen Geistes gespendet wird. Das gnadenvolle Leben eines Christen beginnt durch eine neue Geburt, also die Taufe zur Vergebung der Sünden, über die wir hier ausführlich gesprochen haben. Sie wird nur einmal im Leben gespendet, denn wir können ja auch nur einmal geboren werden. Dann empfängt der Mensch die persönliche Gabe des Heiligen Geistes zum Vollbringen guter Werke. Dies ist das zweite Mysterium, die Myronsalbung, welche sogleich nach der Taufe gespendet wird. Das Höchste der Mysterien ist die Kommunion, bei der ein orthodoxer Christ unter der Gestalt von Brot und Wein den Leib und das Blut des auferstandenen Jesus Christus zur Überwindung der Sünde und zum ewigen Leben empfängt. Sündigt ein Mensch nach der Taufe, so kann er durch einen Priester beim Mysterium der Buße (bzw. der Beichte) Vergebung für seine Verfehlungen empfangen. Im Falle einer körperlichen Krankheit nimmt ein Christ zum Mysterium der Krankensalbung Zuflucht. 117


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

Die Ehe wird im entsprechenden Mysterium der Krönung geheiligt, bei dem der Mann zum Bild Christi, die Frau zum Bild der Kirche wird. Sie bekommen die Kraft zur ewigen Liebe und zur christlichen Erziehung von Kindern. Und schließlich wird im Mysterium der Priesterweihe ein Christ durch die bischöfliche Handauflegung die Gnade zuteil, in der Kirche zu dienen. Wenn ein Diakon geweiht wird, so bekommt er das Recht, dem Priester bei den Gottesdiensten zu unterstützen. Ein Priester kann alle Mysterien wirken mit Ausnahme der Weihe, der Bischof wirkt die Mysterien, weiht und lenkt die lokale Kirche, beaufsichtigt die Reinheit des Glaubens und die Sittlichkeit ihrer Glieder. Die Leiber spiegeln den Zustand der Seelen wieder 11. Ich erwarte die Auferstehung der Toten.

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ir sehen der Auferstehung unserer Leiber mit Hoffnung entgegen. Wir wissen, dass die Seele eines jeden Menschen unsterblich ist. Nach dem Tod gelangen die Gerechten in das Paradies, wo sie in einer gewissen (wenn auch nicht vollkommenen) Seligkeit verweilen und für die noch lebenden Christen beten. Die Sünder aber und die Ungetauften gelangen in die Hölle, wo sie in einer schrecklichen Erwartung der Strafe verharren. Zu diesem Zeitpunkt können die Getauften noch durch die Gebete der Kirche Linderung erfahren. Aber das endgültige Los fällt ihnen am Tag des Gerichts zu. Dann werden durch die Allmacht Gottes und

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Das Glaubensbekenntnis

die Gabe des auferstandenen Heilands alle Toten auferstehen. Die Leiber der Menschen, genau die, welche gestorben sind, verbinden sich erneut mit den Seelen. Sie werden vollkommen sein, ohne Entstellungen und ohne Krankheit. Ein jedermann wird im Alter Christi auferstehen. Die Leiber der Menschen werden den Zustand der Seele genau wiederspiegeln. Die Gerechten erstrahlen wie die Sonne, die Sünder aber werden finster sein wie die Nacht. Die Ewigkeit hält Einzug, die Ewigkeit, in der die Auferstandenen für immer mit ihren Leibern vereint sein werden, denn den Tod wird es nicht mehr geben. Mit Christus herrschen

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12. Und das Leben der künftigen Welt. Amen.

ie schon weiter oben angeführt wurde, werden die Sünder von Gott verflucht und zusammen mit dem Teufel und seinen Engeln in das ewige Feuer geworfen werden. Dort erwartet sie das Feuer, das nicht erlischt, die äußerste Finsternis und der Wurm, der nicht stirbt. Ihre Qualen werden niemals enden. Die Gerechten aber erlangen das ewige Leben. Sie werden immer Gott schauen und immer höheres Wissen, Glück und Freude von Ihm empfangen. Die Heiligen werden mit Christus in einer neuen Welt herrschen, sie werden Freunde der Engel sein und die himmlischen Güter erlangen. Sie werden im Neuen Jerusalem leben und der Gnade nach zu Göttern werden, so dass die Heiligste Dreifaltigkeit in ihnen Wohnung nimmt. Ihre Seligkeit wird all die endlose Ewigkeit lang andauern, sie wird im119


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mer weiter zunehmen durch die Kommunion mit dem endlosen Vater. Dieses wäre eine kurze Auslegung des Glaubensbekenntnisses. So glaubt es die Orthodoxe Kirche. Und wenn du die heilige Taufe empfangen möchtest, dass musst du von ganzem Herzen diesen wahren Glauben annehmen, und so wirst du die Vergebung deiner Sünden empfangen.

Das Alphabet des Christentums

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atürlich ist das, was hier geschrieben steht, nichts als das Alphabet des Christentums, mit dessen Hilfe der Täufling vor seiner Taufe gründlich Literatur über den orthodoxen Glauben lesen sollte, um möglichst mit Herz und Verstand durch das Bad der Taufe zu gehen und dessen Gehalt möglichst weitgehend zu verstehen. Zu empfehlen wäre der „Katechismus“ des hl. Filaret von Moskau, das Werk des hl. serbischen Bischofs Nikolaj (Velimirović) „Ich glaube“ und andere, die „Katechesen an die Täuflinge“ des hl. Kyrill von Jerusalem10, „Was ist das geistliche Leben und wie stellt man sich darauf ein“, „Der Weg zum Heil“ des hl. Bischofs Feofan des Klausners. Es gibt weiterhin eine ganze Menge an guter Literatur, die der Glaubenslehre der Orthodoxen Kirche und den Anfängen im geistlichen Leben gewidmet ist. Was davon du dir aussuchen sollst, kann dir der Priester sagen, mit dem du dich besser einige Male noch vor der Taufe selbst triffst. In der „Bibliothek der Kirchenväter“ online unter http://www.

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unifr.ch/bkv/kapitel2725.htm — Anm. d. Ü.

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Das Alphabet des Glaubens

Es versteht sich von selbst, dass der, welcher die Taufe begehrt, die Heilige Schrift lesen sollte. Die Alte Kirche empfahl den Katechumenen (denn so nennt man die, welche sich auf die Taufe vorbereiten), aus dem Neuen Testament die vier Evangelien zu lesen (wenn man gar keine Zeit hat, so sollte es wenigstens das Evangelium nach Markus sein). Aus dem Alten Testament sollte man die Bücher Genesis, Exodus, die Sprüche Salomos, das Buch der Weisheit Jesu Sirach und das Buch der Weisheit Salomos gelesen haben. Während der Vorbereitung auf die Taufe muss man eifrig beten (entgegen einer verbreiteten Meinung kann und sollte man das tun), aber noch nicht das „Vaterunser“, denn Gott wird erst in der Taufe zum Vater des Menschen. Besonders nützlich ist es, so oft wie möglich ein Gotteshaus zu besuchen. Man muss dessen gedenken, dass ein Mensch, der sich zur Taufe entschlossen hat, schon ein klein wenig zur Kirche gehört. Die Kirche betet auch für einen solchen Katechumenen. Es ist deswegen nicht ratsam, ihre mütterliche Fürsorge gering zu schätzen. Ein Ungetaufter kann am gesamten abendlichen Gottesdienst teilnehmen und am Morgen, bei der Göttlichen Liturgie, bis zu den vom Diakon oder vom Priester ausgerufenen Worten „Alle Katechumenen, gehet hinaus. Keiner der Katechumenen bleibe. Ihr Gläubigen alle, wieder und wieder…“ bleiben — bei diesen Worten sollte er die Kirche verlassen. Um Gedränge zu vermeiden, ist es am besten, sich hinten hinzustellen, aber noch so, dass zu hören ist, was in der Kirche gesungen wird. Gut wäre es, eine Kirche zu finden, in der die Predigt direkt nach der Evangeliumslesung gehalten wird, und in der es katechetische Treffen und Gespräche vor der Taufe 121


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

gibt. Ist das nicht möglich, so sollte man trotz alledem alle Fragen, die durch die Lektüre entstehen, oder die Unverständliches in den Gottesdiensten oder das Leben mit Gott betreffen, ohne Scheu dem Priester stellen. Dabei ist es besser, ihn vorab um ein Treffen zu bitten, um nicht gekränkt zu sein, wenn er uns nur in aller Eile Antwort gibt. Ein Katechumene kann ebenso nicht bei anderen Mysterien zugegen sein: bei der Taufe eines anderen, beim Mysterium der Krönung, der Krankensalbung oder Priesterweihe.

Wie lange muss man sich auf die Taufe vorbereiten?

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ie lange dauert die Vorbereitung? Eine eindeutige Antwort darauf kann man nicht geben. Wenn du krank geworden bist oder eine weite Reise vor dir hast, und besonders, wenn diese Reise nicht ungefährlich ist (beispielsweise eine Dienstreise in Krisengebiete), wenn deine Arbeit mit Lebensgefahr verbunden ist (bspw. bei der Armee oder Polizei), dann sollte man nicht zögern. Lerne das Glaubensbekenntnis auswendig (wenn du ein schlechtes Gedächtnis hast, dann lies es aufmerksam und verinnerliche es), lies wenigstens das Evangelium nach Markus und lasse dich, wenn es geht, noch am selben Tag taufen. Wenn es keinerlei solche außerordentlichen Umstände gibt, dann ist eine Vorbereitungsfrist von vierzig Tagen optimal. Genau so lange währte die Vorbereitung in der Alten Kirche, ebenso war es auch bei uns, in Russland,

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Wie lange muss man sich auf die Taufe vorbereiten?

vor der Revolution. Während dieser Zeit muss man daran gehen, sein Leben zu verändern. Seine Verirrungen und Fehler (vor Gott sind das Gesetzlosigkeiten) erkennen und von ihnen abkehren, eine Arbeitsstelle aufgeben, die mit dem Christentum unvereinbar ist (beispielsweise die Arbeit in einer Abtreibungsklinik, Prostitution und derlei), und mit den Mühen um die Erfüllung der Gebote beginnen. Es ist nicht gut, die Zeit vor der Taufe allzu sehr in die Länge zu ziehen, denn niemand kennt die Stunde seines Todes, und ist denn das Risiko nicht zu hoch, ohne Aussicht auf die Errettung zu sterben? Man muss daran denken, dass — wenn du dich zur Taufe entschlossen hast — der Teufel seine Angriffe gegen dich unternehmen wird, denn er will es nicht, dass du aus seiner Knechtschaft befreit wirst. Doch fürchte ihn nicht und höre nicht auf ihn. Denn wer gewarnt ist, der ist gewappnet. Das Gebet und das Kreuzeszeichen werden den Bösen vertreiben. Denke daran, dass eine seiner liebsten Fallen die Hektik und Betriebsamkeit ist. Heute habe ich keine Zeit, ich lasse mich lieber morgen, am kommenden Wochenende, in meiner Urlaubszeit taufen… Ich habe es erlebt, wie der Teufel Katechumenen ein Jahr lang und länger von der Taufe abgehalten hat, und einige von ihnen haben es bis heute nicht geschafft, getauft zu werden. Denke daran: wenn du an dieser Angel anbeißt, dann wird es dir später schwer fallen, ein christliches Leben zu führen. Denn — wie Christus sagt — „keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes.“ (Lk 9,62).

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Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

Es naht der Zeitpunkt der Taufe

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nd nun naht die Zeit der Taufe. In der Alten Kirche fastete der Katechumene vor diesem Mysterium vierzig Tage lang. Heute ist das nicht mehr unbedingt notwendig, aber eine kleine Fastenzeit von wenigstens drei Tagen vor der Taufe wäre sicher sehr gut. Das Fasten hilft ja dabei, den Teufel zu besiegen, lässt das Gebet erstarken und verleiht dem Menschen die Fähigkeit, sein Herz zu kontrollieren. Zu fasten bedeutet die Enthaltung von Fleischund Milchspeisen (während der strengen Fastenzeiten ist darüber hinaus Fisch verboten), ebenso bedeutet es die Enthaltung von jeglicher Völlerei und Trunkenheit (Dinge, die ohnehin immer unzulässig sind). Auf ein gegenseitiges Einverständnis hin verkehren Eheleute in solchen Zeiten nicht miteinander. Während der Zeiten des Fastens muss man sich leerer Erheiterungen enthalten, im Gebet verharren, die Bibel lesen und etwas mehr Mildtätigkeit an den Tag legen. Sicherlich betreffen die Fastenregeln nicht so sehr die Kranken, Schwangeren, Stillenden, die in der Armee Dienst tun, die in Gefangenschaft oder auf Reisen sind. Diese Menschen fasten nach dem Maß ihrer Möglichkeiten. Während der Vorbereitung auf das Mysterium solltest du versuchen, sich all deiner Sünden zu erinnern, um diese vor der Taufe zu bereuen und dich zu bemühen, sie nach Möglichkeit nicht wieder zu begehen, so, wie es der Apostel Petrus ausdrückt: „Tut Buße, und ein jeder von euch werde getauft auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden, und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.“ (Apg 2,38)11.

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Zit. nach Elberfelder 1905.

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Es naht der Zeitpunkt der Taufe

Gut wäre es, wenn man einen frommen orthodoxen Christen ausfindig macht, der dein Taufpate sein würde und dich auf deinem Weg zu Christus unterstützt. Dabei sollte es sich aber nicht um deinen Gatten oder deine Gattin handeln, ob er oder sie es bereits ist oder es beabsichtigt ist, dass er oder sie es wird, denn sonst würde eine solche Ehe dem kirchlichen Eherecht widersprechen. Eigentlich ist es auch nur für Kinder bis zu einem Alter von 14 Jahren wirklich unumgänglich notwendig, einen Taufpaten zu haben. Ein Erwachsener kann in diesem Sinne für sich selbst bürgen. Eine Taufe kann an jedem beliebigen Tag stattfinden, außer an Wochentagen während der Großen Fastenzeit. In der Alten Kirche und vor der Revolution in Russland bevorzugte man besondere, für die Taufe besonders geeignete Tage — den Karsamstag, Heiligabend und den Tag vor dem Festtag der Taufe Christi (Theophanie), den Lazarus-Samstag und das Pfingstfest. Wenn du aber gedenkst, diese wunderbare Tradition wieder aufleben zu lassen, sprich dich zuerst mit dem Priester ab. Zur Taufe erwirbt man sich (oder näht sich selbst) ein Taufhemd, das dir der Priester direkt nach der Taufe überzieht. Es muss lang sein, bis unter die Knie reichen, weiß als Symbol der Reinheit der Seele des Neugetauften, der sich in Christus kleidet, und auf der Brust oder auf dem Rücken ein Kreuz eingestickt haben. Ebenso benötigt man ein Taufkreuz, das in der Kirche geweiht worden ist und dergestalt auf eine Schnur gefädelt ist, dass man es leicht über den Kopf ziehen kann. Dieses Taufkreuz soll an die Worte Christi erinnern: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ (Mk 8,34). Denke im125


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

mer daran, dass du nach der Taufe das Kreuz niemals abnehmen darfst, auch nicht beim Waschen. Das Kreuz ist unser Schutz. Es gibt wohl nicht von ungefähr die Beobachtung, dass man Selbstmörder so gut wie nie mit einem Kreuz auffindet. Der Teufel kann einen Menschen nicht endgültig ins Unheil stürzen, solange dieser nicht sein Kreuz abnimmt. Lege dir ebenso ein großes Handtuch und Hausschuhe zurecht, damit du direkt nach dem Taufbad nicht nass und barfuß herumlaufen musst. Am Vortag der Taufe solltest du wenigstens für eine kurze Zeit in der Kirche sein, um zu beten, und bete ebenso zu Hause. Sehr gut passen dafür die Worte der Psalmen 26, 31, 41, 50, 83 und anderer. Bete auch in mit eigenen Worten. Gott wird dich erhören, wenn du Ihn in Christi Namen anrufst. In der Nacht vor der Taufe musst du dich unbedingt vom ehelichen Beischlaf enthalten. Ab Mitternacht wird nicht mehr gegessen und nicht mehr getrunken, und Raucher dürfen nicht rauchen, um sogleich nach der Taufe den Leib und das Blut des Herrn in der Kommunion zu empfangen. Frauen werden zu Zeiten ihrer monatlichen Unreinheit und innerhalb von vierzig Tagen nach einer Entbindung nicht getauft, es sei denn, es handelt sich dabei um Fälle mit lebensbedrohlichem Zustand. Bemühe dich, rechtzeitig in der Kirche zu sein, möglichst auch so, dass dir noch etwas Zeit bleibt. Aus der Praxis kann man sagen, dass an solchen Tagen sogar diejenigen, die niemals zu spät kommen und nie verschlafen, des Öfteren in unangenehme Situationen geraten. Das ist auch nicht verwunderlich. Der alte Tyrann, der Teufel, will ja sein Opfer nicht hergeben. 126


Es naht der Zeitpunkt der Taufe

Es ist gut, wenn deine Verwandten und Freunde deine Freude mit dir teilen. Aber es ist nicht zulässig, dass — wie das manchmal der Fall ist — du in einer Gesellschaft von angetrunkenen Gaffern zur Taufe erscheinst. So werdet ihr Gott erzürnen. Wenn du aber nicht einfach nur ein Ungläubiger gewesen bist, sondern zu einer anderen Religion gehört hast — beispielsweise zum Judentum, Islam, Buddhismus, oder zu irgendeiner Sekte gehörtest, oder gar einen okkulten Initiationsritus durchgemacht hast, dann ist es notwendig, dass du vor der Taufe die Ordnung der Aufnahme in die Kirche durchläufst. Weise den Priester rechtzeitig (am besten, einige Tage im Voraus) darauf hin, damit dieses Ritual unbedingt an dir vollzogen wird (es findet sich im Zusatz zum Euchologion). Aus der Praxis ist bekannt, dass diejenigen, die dieses Ritual nicht durchlaufen haben, oftmals wankelmütig im Glauben sind und infolgedessen verschiedenen dämonischen Einflüssen unterworfen sind. Den Regeln der Kirche gemäß muss die Taufe durch dreifaches, vollständiges Untertauchen in das Wasser erfolgen. Seine Heiligkeit, Patriarch Alexij II, hat es mehrfach von den Priestern gefordert, diese Regel zu befolgen. Folglich sollte man in einer Kirche getauft werden, in der es ein Taufbecken für Erwachsene gibt. Bemühe dich, das vorab in Erfahrung zu bringen. Auf dem Dorf wird zur Sommerzeit in offenen Gewässern getauft. Das ist gleichzeitig auch die apostolische Praxis. Wenn die Lage aber dergestalt ist, dass ein vollständiges Untertauchen unmöglich ist (beispielsweise bei Armeebediensteten, in Gefängnissen, im Krankenhaus, in der Wüste oder bei extremem Wassermangel), dann ist es zulässig 127


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

— und genauso vollkommen wirksam — die Taufe durch Übergießen zu vollziehen. Dabei solltest du darum bitten, dass dein gesamter Leib mit dem Wasser übergossen werden möge, wenigstens aber dein Kopf. Viele Priester nehmen einem Täufling vor der Taufe die Beichte ab. Wenn es in deiner Kirche diese wunderbare Gepflogenheit gibt, dann schäme dich dessen nicht und bekenne aufrichtig deine Sünden. Wenn es diese Sitte aber bei dir noch nicht gibt, dann solltest du ohne zu zögern dann, wenn du dich vom Satan und all seinen Werken abkehrst, auch von deinen Gesetzlosigkeiten lossagen.

Was passiert während des Mysteriums?

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ie Abfolge der Taufe ist die folgende. Zuerst betet der Priester das Gebet, in dem dir ein christlicher Name verliehen wird. Gedenke dessen, dass man durch die Taufe einen anderen Namen annehmen kann, selbst dann, wenn dein bisheriger Name im Heiligenkalender zu finden ist; es ist das ein Zeichen für die Veränderung in deinem Leben, aber das ist nicht zwingend notwendig. Dein Name wird in jedem Fall erneuert, denn er wird im Buch des Lebens verzeichnet. Du bekommst ebenso einen himmlischen Namensvetter, der dein Schutzpatron sein wird. Der Tag seines Andenkens wird dein wichtigster persönlicher Feiertag sein. Bitte frage den Priester unbedingt nach der Taufe, wer dein himmlischer Schutzpatron ist und an welchem Tage sein Andenken gefeiert wird.

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Was passiert während des Mysteriums?

Danach werden die Exorzismen gebetet, die gegen den Teufel gerichtet sind, zu dem alle Ungetauften gehören. Sei in diesem Augenblick aufmerksam und wundere dich nicht, wenn dir vielleicht schlecht werden sollte. Es handelt sich dabei um einen Versuch des Feindes, dich in seinen Krallen zu behalten. Nach der Taufe werden solche Versuchungen vorüber sein. Es gab einen Fall, als eine drogenabhängige Frau getauft wurde, der während der Exorzismen übel wurde; und als das Glaubensbekenntnis gebetet wurde, da bekam sie Atemtnot; im Taufbecken fiel sie fast in Ohnmacht, aber sobald man sie das dritte Mal untertauchte, war der Spuk im gleichen Augenblick vorüber. Das spielte sich ab, weil der Teufel durch ihre Leidenschaft ganz besonders fest Besitz von ihr ergriffen hatte. Doch die Macht Gottes erwies sich als unvergleichlich mächtiger. Fürchte deshalb nichts! Du wirst bemerken, dass der Priester sich dem Teufel in keine Weise anbiedert, sondern ihm mit Macht gebietet, sich davonzumachen. So sollst auch du nach der Taufe keine Furcht vor dem Teufel haben, sondern ihn mit dem Namen Jesu Christi davonjagen, und er wird dich fliehen. Wir haben ja die Macht verliehen bekommen, die ganze Macht des Feindes zu überwinden (vgl. Lk 10,19), und sie kann uns nicht schaden, wenn wir mit Gott verbleiben. Fürchte also weder den bösen Blick, noch Verwünschungen oder Zauberer, sondern befolge eifrig die Gebote, und kein geistliches Übel vermag sich dir zu nähern. Es kommt jetzt die Zeit für dich, der du schon von der Macht des Feindes befreit worden bist, dich von ihm loszusagen. Der Priester fragt, ob du es wünschst, dich vom Satan, all seinen Werken und all seinen Engeln (den Dämonen, die in Gestalt von heidnischen Gottheiten, oder 129


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

„kosmischen Energien“ auftreten), von all seinem Dienst (Magie, andere Religionen, Astrologie), und all seinem Hochmut (Massenspektakel, die den Menschen des Verstandes berauben, worauf der Teufel besonders stolz ist) loszusagen. Und du antwortest: „Ich entsage“, danach bläst und spuckst du gen Westen, zum Bereich der Finsternis. Danach fragt dich der Priester, ob du dazu bereit bist, dich Christus anzuschließen (mit Ihm in einen ewigen Bund einzutreten), und nach deinem Einverständnis wird er dich fragen, ob du an Ihn glaubst. Du wirst antworten: „Ich glaube an Ihn, als an meinen König und Gott“ und schwörst Ihm die Treue, indem du das Glaubensbekenntnis liest. Danach weiht der Priester das Wasser, nachdem er es vorher beweihräuchert hat. Es kehrt dann in genau den Zustand zurück, in dem es am ersten Tag der Schöpfung war, als Finsternis über der Urflut lag und der Geist Gottes über den Wassern schwebte (vgl. Gen 1,2). Du aber gedenke dessen, wie die Israeliten durch das Rote Meer hindurch gegangen sind, als sie von einer Wolken- und einer Feuersäule geleitet wurden, während der Pharao mit all seinen Heerscharen in den Wassern umkam. So empfängst auch du, von Christus geleitet, die Errettung in den Wassern, während der Teufel darin zugrunde geht. Nach der Weihe des Wassers salbt der Priester das Wasser und dich mit gesegnetem Öl. Das ist das Öl der Freude, und die Salbung damit gibt dir Kraft, den Fängen des Feindes zu entgleiten, so, wie sich die Ringer im Altertum mit Öl salbten, um aus den Händen ihrer Gegner zu entwischen. Verteile dieses Öl über deinen gesamten Körper. 130


Was passiert während des Mysteriums?

Und danach kommt der wichtigste Moment. Du wirst nackt in die Wasser der Taufe eintreten. Dreifach wird dich die Hand des Priesters (und durch sie Christus Selbst) im Wasser untertauchen mit den Worten: „Getauft wird der Knecht Gottes (dein Name) im Namen des Vaters. Amen. Und des Sohnes. Amen. Und des Heiligen Geistes. Amen“. Du entsteigst dem Wasser als ein Neugeborener, sündlos und heilig. Deswegen schäme dich deiner Nacktheit nicht. Denn du schämst dich ja auch nicht vor einem Arzt. Gleichermaßen ist der Priester ja auch der Arzt der Seele. Wenn du in das Wasser hinabsteigst, vergiss nicht, zu Gott zu beten, Er möge dich reinigen und lehren, wie man christlich lebe. Denn das Wasser der Taufe ist ja ganz und gar von der jenseitigen Kraft des Heiligen Geistes durchdrungen. Wenn du aus dem Wasser gestiegen bist, legt man dir das Taufkreuz an wirft dir das Taufhemd über. Man überreicht dir eine brennende Kerze, die an die Worte Christi gemahnen soll: „So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ (Matth 5,16). Danach, und nach weiterem Gebet, spendet der Priester dir ein weiteres Mysterium — die heilige Myronsalbung. Deine Stirn, Augen, Nase, Mund, Ohren, Brust, Hände und Füße werden durch wohlriechendes Myron (ein besonderes Öl, das vom Patriarchen geweiht wird) versiegelt, und dabei wird dir die Gabe des Heiligen Geistes zuteil. Als Zeichen dafür, dass du in einen ewigen Bund mit Christus eingetreten bist, wirst du dreimal um das Taufbecken geführt, während die Worte des Apostels Paulus gesungen werden: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus ge131


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

tauft seid, habt Christus angelegt. (Gal 3,27) — Halleluja (Lobet den Seienden)“. Dir werden Auszüge aus dem Neuen Testament (Röm 6,3-12; Matth 28,16-20) vorgelesen, die von der Bedeutung der Taufe handeln. Bemühe dich, dich vorher mit diesen Stellen bekannt zu machen, damit diese Worte in deinem Herzen Einlass finden. Danach wird dir das Siegel der Myronsalbung abgewaschen und dir werden in Kreuzform Haare vom Kopf geschnitten, was daran erinnern soll, dass in diesem Kopf fortan nur noch gottgefällige Gedanken wohnen sollen. Diese letzte Handlung erfolgte ursprünglich am achten Tag nach der Taufe, und die Zeit bis dahin hatte der Neugetaufte weiße Kleider an und empfing täglich die Kommunion (daher stammt eine Reihe von Besonderheiten in den Gottesdiensten der Lichten Woche — der ersten Woche nach Ostern). Doch in den Städten ist es schwierig, diese alte Regel zu befolgen, so dass alles an ein und demselben Tag vonstattengeht. Hierauf folgt die Ordnung der Aufnahme in die Kirche, bei der dem Himmlischen Vater Seine neuen Kinder vorgestellt werden. Du wirst in die Kirche geführt und vor die Ikonostase gestellt, und wenn du ein Mann bist, dann führt man dich in den Altarraum. So wird allen gezeigt, dass ihr von nun an neue Glieder der Kirche seid, Könige und Priester, die Herren über ihr Herz sind und in ihm zeitlebens Gott Opfer darbringt. Schließlich kommt mit der Kommunion der Höhepunkt. In Gestalt von Brot und Wein nimmt der gestorbene und auferstandene Herr Jesus Selbst in dir Wohnung, und du wirst zu einem Glied Seines Leibes. Tritt mit Glauben, Gottesfurcht und Liebe zum Kelch heran, ge132


Was ist weiter zu tun? Wie verhalte ich mich in #Versuchungen?

denke des Todes, der Auferstehung und der Wiederkunft Christi. Deine Arme mögen vor deiner Brust kreuzförmig verschränkt sein — als Zeichen unserer Errettung. Der rechte Arm ruht über dem linken, als Erinnerung daran, dass die bösen Werke in uns durch die guten besiegt werden sollen, solche, durch die wir uns zur Rechten Christi, des Richters, wiederfinden. Sprich laut und deutlich deinen Taufnamen, denn Gott Selbst tritt mit uns in eine persönliche Gemeinschaft. Trinke nach der Kommunion vom angebotenen Zeon, damit deinem Mund nichts entweicht. Nachdem du das Segenskreuz verehrt hast, kehre heim in der Freude des Heiligen Geistes, und teile diese Freude mit deinen Nächsten. Merke dir den Tag deiner Taufe als den Tag deiner Neugeburt, und bemühe dich, immer zu diesem Tag die Kommunion zu empfangen und ihn in Seelenfrieden zu verbringen.

Was ist weiter zu tun? Wie verhalte ich mich in Versuchungen?

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ndlich bist du getauft worden. Doch was ist nun weiter zu tun? Viele denken, dass mit der Taufe alles erledigt sei. Doch das ist bei weitem nicht so. Mit der Taufe beginnt alles erst. In dir wurde die Saat des ewigen Lebens gesät, und man muss sie aufziehen. Wie tut man das aber praktisch? Die Saat wird nicht auf Beton, sondern auf gelockerte Erde ausgebracht. Das heißt, die Gnade Gottes muss ins Herz eingehen und das gesamte Leben des Menschen verändern. Um zu wachsen, muss die Saat 133


Priester Daniil Sysojew: Weshalb bis Du nicht getauft

gegossen werden — durch eine häufige Kommunion, der Boden muss gelockert werden — durch das Erdulden von Not um Christi willen. Häufig passiert es, dass einen Menschen nach der Taufe verschiedene Nöte heimsuchen, die Versuchungen stärker werden, obwohl es nie so weit geht, dass sie die eigenen Kräfte übersteigen. Allerdings ist für einen Neugetauften anfangs eher die Euphorie typisch. Ihm sendet der Herr meist einen Überschwang an Gnade, um ihn zu stützen, zu festigen, seine vielleicht noch schwach ausgeprägten guten Absichten voranzubringen. Es ist, als würde Christus Selbst einen solchen Menschen auf seinen Händen tragen. Dann aber tritt gleichsam eine Abkühlung ein. Bei manchen kann das zu Mutlosigkeit führen — frei nach dem Motto „Mir geht es nach der Taufe jetzt nur noch schlechter“. Doch auf diese Weise prüft Gott, ob denn der Mensch Ihn tatsächlich liebt, oder ob er Ihn sich nur zunutze machen will. Außerdem können Kummer und Versuchungen natürlich noch ganz andere Ursachen haben. Denn es gilt ja noch, die Folgen des vorherigen sorglosen, sündhaften Lebens zu überwinden, also gewissermaßen eine „postoperative Phase“ hinter sich zu bringen, und diese Phasen sind niemals leicht. Außerdem können Nöte auch daher kommen, dass der Mensch nach der Taufe sich einfach selbst beruhigt und nicht wirklich etwas an seinem Leben ändert. Ganz natürlich kommen so an die Stelle der durch die Taufe vertriebenen bösen Geister siebenfach mehr noch viel bösere, da sie das Haus der Seele aufgeräumt, aber leer, nicht von geistlicher Arbeit an sich selbst erfüllt vorfinden. 134


Was ist weiter zu tun? Wie verhalte ich mich in #Versuchungen?

Die beste Medizin sind allmähliche Mühen, ohne, dass man dabei durch Rückschläge und Misserfolge missmutig wird. Verliere nicht den anfänglichen Eifer, unterstütze ihn durch Beständigkeit im Gebet (und sei dies auch eine ganz kurze Gebetsregel), durch Fasten, durch allmähliche, aber beharrliche Überwindung sündiger Angewohnheiten, Neigungen, und schließlich auch der Leidenschaften. Wie tut man das? Greifen wir wieder das Sinnbild einer Pflanze auf. Man muss den Acker pflügen, aus dem Herzen üble Gewohnheiten und Gedanken ausreißen. Um die Pflanze herum muss es reine, abgasfreie Luft geben — das ist die Atmosphäre des kirchlichen Lebens, die sich besonders in der Bewahrung eines unverfälschten Glaubens zeigt. Es braucht die Aufsicht eines Gärtners — also die Hilfe eines Geistlichen. Ein Gewächshaus — die Hoffnung auf Gott. Man muss die Pflanze vor Schädlingen und Krankheiten bewahren — also von Häresien, Spaltungen und geistlichen Leidenschaften (Stolz, Prahlerei, Habgier, Mutlosigkeit). Es muss viel Licht geben: das ist die Heilige Schrift und die Lektüre der Heiligen Väter. Desöfteren wird es notwendig sein, überflüssige Blätter zu entfernen — nämlich das pharisäische Anhangen an äußerlichen Ritualen, das zum Nachteil des inneren Wachstums von einem Menschen Besitz ergreifen kann. Und dann wird es die Früchte wahrhaft guter Werke geben. Aber gerade dann kommt es wieder zu einer Verstärkung der Versuchungen. Auch das ist verständlich: wenn ein Sportler eine neue Höhe nimmt, so setzt der Trainer die Latte höher, um zu einem besseren Resultat zu kommen. So verfährt auch Gott. Häufig belohnt Er unsere guten Werke, indem Er uns die Gelegenheit gibt, noch grö135


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ßere und noch schwierigere zu vollbringen. Das ist ein Zeichen Seiner Liebe zu uns. Und wenn die Früchte reif sind, dann nimmt Gott den Menschen zu Sich und krönt ihn wie einen Sieger. Es gibt verschiedene Etappen auf dem Wege des Wachstums der Seele, deren erste eine knechtische Gottesfurcht ist, worauf ein tagelöhnerhaftes Streben nach Belohnung kommt. Schließlich steht am Gipfel die kindliche Liebe zum Vater. Doch allem seine Zeit und sein Platz. Man sollte nicht versuchen, mit einem Mal gleich auf die Spitze der Leiter zu gelangen, die zum Himmel führt. Man muss sie Schritt für Schritt erklimmen. Dafür haben wir Gehilfen — die heiligen Väter der Kirche und den Beichtvater. Doch das Wichtigste ist es, dessen eingedenk zu sein, dass das geistliche Wachstum des Menschen nicht einfach nur von den Werken abhängig ist, sondern von der Gnade des Heiligen Geistes, die den Demütigen gegeben wird. Von den Vätern der Kirche kann man sich für den Anfang die Werke des heiligen Bischofs Feofan des Klausners und des heiligen Bischofs Ignatij (Brjantschaninow) vornehmen, oder die Homilien des heiligen Johannes Chrysostomos. Ich empfehle es, folgende Bücher zu lesen: „Mein Leben in Christus“ des heiligen gerechten Johannes von Kronstadt, „Altvater Siluan“ von Archimandrit Sofronij (Sacharow). Für ein tieferes Verständnis des geistlichen Lebens studiere man die Werke des Abba Dorotheos und des heiligen Gregorios des Theologen sowie die „Leiter“ des heiligen Johannes Klimakos.

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Der Rhythmus des christlichen Lebens

Der Rhythmus des christlichen Lebens

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eginnen wir mit den einfachsten Dingen. Jede Lebensart hat ihre Besonderheiten, ihren Rhythmus und ihre Ordnungen. So müssen auch im Leben eines Neugetauften ein besonderer Rhythmus und eine besondere Lebensart eintreten. Erstens ändert sich der Tagesablauf. Nachdem man morgens erwacht ist, begibt sich ein Christ zu seinen Ikonen (man bringt sie üblicherweise an der Ostseite des Raumes an), entzündet eine Kerze oder ein Öllämpchen und betet die Morgengebete aus dem Gebetsbuch. Wie betet man richtig auf der Grundlage eines Textes? Der Apostel Paulus schreibt, dass man besser fünf Worte mit Verstand sagt, als tausende mit der Zunge (vgl. 1 Kor 14,19). Aus diesem Grunde muss der Betende jedes Wort des Gebets verstehen. Der heilige Bischof Feofan empfiehlt, damit zu beginnen, nachdem man einen Teil der Gebetsregel auseinandergenommen hat, diese Gebete zu sprechen, und allmählich immer weitere Gebete hinzuzufügen, bis man die komplette Gebetsregel versteht. Während des Gebets darf man sich keinesfalls die Heiligen oder Christus im Geiste bildlich vorstellen. So kann man den Verstand verlieren oder sonstig geistlich zu Schaden kommen. Mit dem Verstand soll man sorgfältig auf die Worte des Gebets Acht geben, und das Herz dazu anhalten, dessen zu gedenken, dass Gott überall ist und alles sieht. So ist es auch besser, dass man im Gebet die Hände an die Brust drückt, so, wie es eigentlich auch die Regel der Gottesdienste vorgibt. Man sollte auch nicht vergessen, sich mit dem Kreuzzeichen zu bezeichnen und Verbeugungen zu machen. Sie sind der Seele sehr zuträglich. 137


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Nach den Morgengebeten nimmt man eine Prosphora zu sich und trinkt etwas Weihwasser, und dann begibt man sich an sein Tagwerk. Bevor der Christ sich zum Essen setzt, betet er das Gebet des Herrn: Vater unser, der Du bist in den Himmeln, geheiligt werde Dein Name, Dein Königtum komme, Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden. Unser notwendiges Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern, und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Dann bezeichnet er die Speisen mit dem Zeichen des Kreuzes und spricht dabei: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Nach dem Essen wollen wir nicht vergessen, dem Herrn zu danken. Wir danken Dir, Christus, unser Gott, dass Du uns mit Deinen irdischen Gütern gesättigt hast. Entziehe uns auch nicht Dein himmlisches Reich; sondern wie Du einst, o Erlöser, zu Deinen Jüngern kamst und ihnen Deinen Frieden gabst, so komme zu uns und errette uns! Die Du ehrwürdiger bist als die Cherubim und unvergleichlich herrlicher als die Seraphim, die Du unversehrt Gott, das Wort, geboren hast, wahrhafte Gottesgebärerin, Dich preisen wir hoch. Im Verlauf des Tages bemühen sich die Christen, allezeit Gottes zu gedenken. Aus diesem Grunde wiederholen wir oft die Worte: Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, sei mir Sünder gnädig. Wenn wir es schwer haben, oder uns in Versuchung befinden, so wenden wir uns an die Gottesmutter mit den Worten: Gottesgebärerin und Jungfrau, freue Dich, hochbegnadete 138


Der Rhythmus des christlichen Lebens

Maria, der Herr ist mit Dir. Gesegnet bist Du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht Deines Leibes, weil Du den Retter unserer Seelen geboren hast. Vor einem jeden guten Werk bitten wir Gott um Beistand. Wenn es sich um ein großes Werk handelt, kann man in der Kirche eine Andacht bestellen. Überhaupt ist unser ganzes Leben dem Schöpfer geweiht. Wir segnen unsere Häuser und Wohnungen, Fahrzeuge, Büros, das Saatgut, Fischernetze, Boote und vieles andere, um durch diese Dinge Gnade zu empfangen. Man könnte sagen, wir versuchen, um uns herum eine Atmosphäre der Heiligkeit zu schaffen. Das Wichtigste aber ist, dass eine ebensolche Atmosphäre in unseren Herzen herrscht. Wir bemühen uns darum, in Frieden mit allen zu sein und gedenken dessen, dass ein jedes Werk (ob es die Arbeit ist, die Familie oder das Saubermachen der Wohnung) uns zur Errettung gereichen kann, aber auch zum Untergang. Am Abend, vor dem Schlafengehen, beten wir die Abendgebete, und bitten darin Gott, uns in der Nacht unter Seinem Schutz zu bewahren. Wir lesen jeden Tag in der Heiligen Schrift. Normalerweise sind das ein Kapitel eines Evangeliums, zwei Kapitel aus den Episteln, ein Kathisma des Psalters (allerdings wird das Maß dieser Lektüre doch individuell bestimmt). Eine jede Woche fasten wir mittwochs (im Gedenken an den Verrat des Judas) und freitags (im Gedenken an die Leiden Christi auf Golgatha), wir befolgen die längeren Fastenzeiten (die Große Fastenzeit, die Fastenzeit vor dem Apostelfest, vor dem Fest Mariä Entschlafung und vor dem Fest der Geburt Christi). Samstagabend und Sonntagmorgen sind wir immer in der Kirche. Wir empfangen die Kommunion möglichst mindestens einmal im 139


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Monat (je öfter, desto besser). Vor der Kommunion fasten wir üblicherweise drei Tage (wenn wir einmal monatlich oder seltener zur Kommunion gehen; geschieht dies aber öfter, so bestimmen wir das Maß des Fastens gemeinsam mit dem Beichtvater), halten die Gebetsregel (drei Kanones: den Bußkanon, den Kanon zu Ehren der Gottesgebärerin und den Kanon zu Ehren des Schutzengels, ebenso auch die Gebete vor der heiligen Kommunion). Wir sind unbedingt beim abendlichen Gottesdienst zugegen, beichten unsere Sünden und kommen morgens auf nüchternen Magen zur Göttlichen Liturgie. Es ist sehr nützlich, sich einen Beichtvater zu suchen, der uns auf dem Weg zu Christus unterstützt. Es ist nicht nötig, sich den erstbesten Priester zum geistlichen Vater zu wählen. Beichte bei mehreren, bete, und wenn du mit einem im Herzen eine Verständigung aufbauen kannst, dann kann dieser allmählich zu deinem geistlichen Vater werden. Aber versuche vorher in Erfahrung zu bringen, ob sein Lebenswandel auch fromm ist und ob er den Kirchenvätern folgt, ob er dem Bischof gegenüber gehorsam ist oder nicht. Es wird auch geraten zu betrachten, wie er die Gottesdienste zelebriert. Seine Ehrfurcht vor Gott wird dir zeigen, ob er dir dabei behilflich sein kann, zu Christus zu finden. Bitte deinen Beichtvater um Erläuterungen, die auf der Heiligen Schrift und den Vätern der Kirche beruhen, und danach befolge seine Ratschläge. Das ist nicht deshalb geraten, weil du ihm nicht vertrauen sollst, sondern weil du der Unterweisung bedarfst, die in blindem Gehorsam nicht möglich ist.

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Der Rhythmus des christlichen Lebens

Seid heilig… Vergiss aber überdies das Wichtigste nicht. Du bist in die Kirche, zu Gott, gekommen, so lebe denn auch vor Seinem Angesicht, liebe Ihn und sei ohne Makel. Dann wirst du Heiligkeit erlangen und so das Ziel des christlichen Lebens erreichen. Denn nur das ist es ja, wofür man die Taufe annimmt, denn es steht geschrieben: „Seid mir geheiligt; denn ich, der Herr, bin heilig“ (Lev 20,26). Das gebietet der allmächtige Gott! Befolge Seinen guten Willen und empfange von Ihm das Leben, und das Leben in Fülle.

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Wohltätige Stiftung

„Missionszentrum des Priesters Daniil Sysojev“ Die Wohltätige Stiftung „Missionszentrum des Pries-ters Daniil Sysojev“ wurde im Jahr 2010 von Julia Sy-sojeva, der Gattin des ermordeten Priesters gegrün-det. Die Stiftung unterstützt bedürftige Familien und Witwen von Geistlichen. Leider gibt es in Russland viele Priesterfamilien, die bedürftig sind. Doch in noch größerer materieller Be-drängnis befinden sich die Witwen von umgebrach-ten oder verstorbenen Vätern. Wir Christen sind ver-pflichtet, uns um diese zu kümmern. Höret auf die Worte Gottes – Spender, sammelt euch einen Schatz im Himmel und bekleidet eure Herzen mit den Taten der Wohltätigkeit. Die Bedürftigen aber – betet für eure Fürsorger beim Herrn, dass Ihre Seelen errettet werden. Ihre Spende können Sie überweisen über: Intl bank transfer: SWIFT: CITIUS33 Beneficiary: Daniel Sysoev Inc. Acc. Number: 4989398433 ABA/Routing Number 021000089 CITIBANK, N.A. 2201 86th street, Brooklyn, NY, 11214 PayPal - ssv379@gmail.com WebMoney - E890455169512 ; Z439597687838 Oder über andere Methoden auf der Webseite 142

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Ohne Gott gleicht die Seele einem Ödland

Es kommt immer wieder vor, dass unsere Fürsprecher beim Herrn, diejenigen, die oft für uns beten, durch die Gott unsere Sünden vergibt, durch die wir Trost erfahren, plötzlich entschlafen.

Zurzeit unterstützt die Stiftung über 40 solcher Familien. Wir bitten alle Christen, einen möglichen Beitrag zu spenden und unsere Tätigkeit zu unterstützen.

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WERKE VON

PRIESTERMÖNCH SERAPHIM ROSE Nihilismus — die Ideologie des Antichristen — Der Glaube an das Nichts als Quell des Untergangs. Ob von humanistischen Idealen geprägter Liberalismus, ein allein dem Diesseits huldigender Realismus oder der Nihilismus der ruhelos gewordenen Massen; ein auf Zerstörung alles Tradierten hin ausgerichtetes Drängen und Gedrängtsein; ihnen allen ist die Ansicht gemein, dass es absolute Wahrheit nicht gibt, dass alle Wahrheit relativ ist. ISBN 978-3-937129-62-4, 176 S., Pb., 16,90 Euro.

Orthodoxie und die Religion der Zukunft

Ein aufrüttelndes Buch über die Gefahren der New-AgeKulte Yoga, Zen, Tantra usw. Sie alle sind Symptome eines „neuen religiösen Bewusstseins“, das den Weg zu einer Religion der Zukunft, den Weg zur Ankunft des Antichristen bereitet. ISBN 978-3-937129-60-0, 304 S., Pb., 22,50 Euro.

Der Königsweg in der Postmoderne

— Beiträge aus «The Orthodox Word». Der amerikanische Priestermönch Seraphim Rose überzeugt durch seine prägnante Analyse der Zeitzeichen auf der Grundlage der traditionellen orthodoxen Überlieferung. In dieser Anthologie spannt Vater Seraphim den Bogen von der Lage der Orthodoxie in der westlichen Diaspora bis hin zum wiedererwachenden orthodoxen Russland. ISBN 978-3-937129-61-7, 160 S., Pb., 14,90 Euro.

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