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Görlitzer Museen

Auf Zeitreise im Landkreis Görlitz

Autorin: Anja Köhler

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Rund 100 km östlich von Dresden, direkt an der polnischen und tschechischen Grenze gelegen, wartet die Oberlausitz mit viel Natur, Kultur und vor allem spannender Geschichte auf. Die Städte Görlitz, Bautzen und Zittau locken mit Kulturdenkmalen, die ihresgleichen suchen. Der Braunkohletagebau und die zugehörige Kraftwerksstruktur formten eine Landschaft, die von ständigem Wandel gekennzeichnet war und heute vor allem zu Freizeitaktivitäten einlädt. Die Lage im Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechien eröffnet weitere Perspektiven. Handwerk und Gewerbe prägten die Menschen der Region.

Seit 1999 hat es sich die Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund gGmbH zur Aufgabe gemacht, vor allem die kleinen Museen im ländlichen Raum zu erhalten und weiterzuentwickeln. Gründungsmuseen des Verbundes waren das AckerbürgerMuseum Reichenbach, das Dorfmuseum Markersdorf, das Granitabbaumuseum Königshainer Berge und das Schloss Königshain. Unterschiedlicher könnten Museen nicht sein! Jedoch haben sie eines gemeinsam: Der Mensch mit all seinem Handeln steht im Mittelpunkt. Er macht es möglich, Geschichte mit Geschichten zu verknüpfen und auf Spurensuche in der Vergangenheit zu gehen. Museum macht Spaß, und mit der Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund gGmbH wird dieses Motto Wirklichkeit.

Dorfmuseum Markersdorf

Die Gründung des Dorfmuseums in Markersdorf geht auf eine Schenkung aus dem Jahr 1988 zurück. Die Eigentümerin überließ den Vierseithof dem Kreis Görlitz mit der Auflage, ein Museum daraus zu machen. In der Folge gründete sich ein Förderverein, der schließlich im Jahr 1992 das Schlesisch-Oberlausitzer Dorfmuseum Markersdorf feierlich eröffnen konnte. In dem etwa 250 Jahre alten Vierseithof öffnet eine Kleinbauernwirtschaft mit ihrer vollständig erhaltenen Einrichtung ein Tor in die Vergangenheit. Alle Wohn- und Wirtschaftsräume sind so gestaltet, als wäre der Bauer mit dem Gesinde auf dem Acker und könnte jeden Augenblick zurückkehren. Die tierischen Bewohner des Hofes verstärken mit ihrem Blöken, Grunzen und Wiehern diesen Eindruck auf ihre Weise. Der Bauerngarten mit seinen nahezu vergessenen Gemüsesorten und würzigen Kräutern erinnert sehr an-

schaulich an seine Aufgabe, den kargen Speisezettel einer kleinbäuerlichen Wirtschaft zu verbessern. In einem umgesetzten Ausgedingehaus ist eine Dorfschule aus der Zeit um 1900 eingerichtet. Hier können Schüler und Jugendliche in einer Schulstunde der besonderen Art erfahren, wie ihre Urgroßeltern schreiben und rechnen lernten.

Linke Seite: Das Wohnhaus begrüßt die Besucher schon von weitem, 2006 Rechte Seite, oben: Aktive Vermittlung von Geschichte fängt bei den Kleinsten an, z.B. mit Wäsche Waschen wie zu Uromas Zeiten, 2012 Rechte Seite, unten: Unterricht wie vor 100 Jahren, 2010 Fotos: © Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund gGmbH

Die Einzigartigkeit des Dorfmuseums Markersdorf begründet sich in der aktiven Vermittlung überlieferter Bräuche und traditioneller Arbeiten in der Landwirtschaft. Deshalb orientieren sich die Veranstaltungen vom Flegeldrusch im Winter bis zum Schlachtfest im Spätherbst am bäuerlichen Jahreslauf. Und eines ist jedem Besucher am Ende des Rundganges klar: Bauernleben vor 100 Jahren war kein Zuckerschlecken! Dorfmuseum Markersdorf Kirschstraße 2 02829 Markersdorf Tel. 035829 - 60329 AUDIOGUIDE DORFMUSEUM MARKERSDORF

www.museum.de/m/6280

Granitabbaumuseum Königshainer Berge

Drei Jahre nach dem Dorfmuseum Markersdorf wurde in der etwa 12 km entfernten Gemeinde Königshain das Granitabbaumuseum Königshainer Berge durch den Heimatverein Königshain und engagierte ehemalige Steinarbeiter gegründet.

Linke Seite, oben links: Die Gute Stube zeugt von Geschmack, 2005 Linke Seite, oben rechts: Das Brunnenhaus wurde original getreu wiedererrichtet, 2021 Linke Seite, Kleines Bild Mitte : Stall und Wohnhaus begrenzen den Vierseithof nach Norden, 2021 Linke Seite, unten: Industriekultur und Graffiti gehören zusammen – Eingangsschild zum „Granitabbaumuseum Königshainer Berge“ gestaltet von Kindern und Jugendlichen im Rahmen eines Workshops, 2021 Rechte Seite, oben: Steinmetz Robert Sauermann gibt sein Wissen im Rahmen eines Workshops an Kinder und Jugendliche weiter, 2019 Rechte Seite, unten: Schmied Reinhard Kunitzki unterstützt seit vielen Jahren Museumsveranstaltungen, 2009 Fotos: © Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund gGmbH

Inmitten einer reizvollen Landschaft vermittelt das Museum Einblicke in die schweren Arbeits- und Lebensbedingungen der Steinarbeiter in den Königshainer Bergen. Mit viel Liebe zum Detail eingerichtet, erfährt der Interessierte den gesamten Werdegang des Steins vom Bruch bis zur Verarbeitung als Pflaster. Ein zweiter Teil der Dauerausstellung widmet sich der Geologie der Königshainer Berge und erläutert die Entstehung und Besonderheiten des Königshainer Granits. Im Außengelände des Museums sind drei so genannte „Steinmetzbuden“ zu sehen, die mit ihrer Einrichtung die Tätigkeit der Pflastersteinschläger nachvollziehbar und wirklichkeitsnah darstellen. In einem wieder errichteten Gebäude sind Maschinen zur Steinbearbeitung ausgestellt. Der tonnenschwere Luftverdichter im Kompressorenhaus ist ein imposantes technisches Denkmal und lässt den Aufwand erahnen, der für die Versorgung der Steinbrüche mit Druckluft notwendig war.

Linke Seite, oben: Blick in die Dauerausstellung „Die Steinarbeiter in den Königshainer Bergen“, 2017 Linke Seite, unten: Aktive Vermittlung von Geschichte gehört dazu, auch wenn sie manchmal anstrengend ist, 2019 Fotos: © Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund gGmbH Rechte Seite, oben: Der zweistufige Luftverdichter versorgte die Steinbrucharbeiter mit Pressluft, 2009 Rechte Seite, unten links: Pressluftbohrer waren unerlässlich für die Arbeit im Steinbruch, 2020 Rechte Seite, unten rechts: Detail des zweistufigen Luftverdichters, 2012 Granitabbaumuseum Königshainer Berge Dorfstraße 163 b 02829 Königshain Tel. 035826 - 60127

Oben: Die spätbarocke Anlage besticht durch Zurückhaltung und Schlichtheit, 2020 © Mario Förster Unten, links: Gartenansicht des Barockschlosses, 2020 © Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund gGmbH Unten, Mitte: Barocke Sichtachsen kennzeichnen die Ausstellungsräume im Schloss Königshain, 2020 © Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund gGmbH

Schloss Königshain

Die Schlossanlage Königshain ist ein besonderer historischer Schatz in der Oberlausitz. Sie beherbergt drei herrschaftliche Wohnbauten aus unterschiedlichen Epochen auf engstem Raum. Den ältesten Teil des Ensembles bildet der Steinstock, ein Wohnturm aus dem 13./14. Jahrhundert. Gleich daneben befindet sich das Renaissanceschloss, neben dem noch Reste eines Burggrabens erkennbar sind. Im Spätbarock entstand die herrschaftliche Schlossanlage, die in einem zurückhaltenden französischen Stil durch Carl Adolph Gottlob von Schachmann erbaut wurde. Die zugehörige Parkanlage ist barock geprägt, lässt aber schon den Übergang zu den Landschaftsgärten mit englischem Einfluss erahnen.

Bis 2005 Teil des Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbundes, erweitert das Barockschloss Königshain seit 2020 wieder das Repertoire an Angeboten in der gGmbH. Heute befindet sich dort ein Kunst- und Kulturzentrum, das wechselnde Ausstellungen zeitgenössischer Künstler zeigt. Die historische Parkanlage wurde durch einen Rhododendrongarten ergänzt und lädt zum Verweilen ein. Und auch Heiratswilligen bieten Schloss und Park einen besonderen Rahmen, um den nächsten Schritt zu gehen.

Schloss Königshain Dorfstraße 29 02829 Königshain Tel. 035826 - 64686

Linke Seite, oben: Blick in den Hof mit Garten, Glasdrückerei, Gartenhaus und Werkstätten, 2018 Linke Seite, unten links: Landwirtschaftliche Geräte im Hof des Museums, 2021 Linke Seite, unten rechts: Haupteingang des AckerbürgerMuseums Reichenbach, 2018 Rechte Seite, oben: Blick in die Küche, 2005 Rechte Seite, Mitte: Im Schlafzimmer wird die Enge der Räumlichkeiten spürbar, 2020 Rechte Seite, unten: Blick in die Glasdrückerei-Werkstatt, 2020 Fotos: © Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund gGmbH

1998 gründete der Heimatverein Reichenbach nach 6 Jahren Arbeit das AckerbürgerMuseum Reichenbach, das eine Tradition in der Stadt wiederaufnahm, die bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurückreicht. Auch hier bildete die Schenkung eines Gebäudes die Grundlage für die Museumsgründung.

In dem kleinen, original wieder aufgebauten Haus mit seinem Hof und Garten kann in das Leben der so genannten „Ackerbürger“ um 1900 Einblick genommen werden. Neben ihrer Arbeit in der Fabrik, in Handel und Gewerbe, betrieben die Einwohner Reichenbachs / O.L. zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes eine bescheidene Landwirtschaft im Nebenerwerb. Die engen Räume lassen die einfachen Verhältnisse ihrer einstigen Bewohner wieder spürbar werden.

In den Hofgebäuden befi nden sich weitere Ausstellungsteile. Dabei sollte der Werkstatt eines Glasdrückers besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden. Der kleine Garten mit Blumen, Gemüse und Kräutern ist als typische Anlage eines Ackerbürgergartens gestaltet und enthält eine Auswahl an Bienenweidepfl anzen.

AckerbürgerMuseum Reichenbach Görlitzer Straße 25 02894 Reichenbach / O.L. Tel. 035828 - 72093

AUDIOGUIDE ACKERBÜRGERMUSEUM REICHENBACH / O.L.

www.museum.de/m/6282

Schloss Krobnitz

Schloss Krobnitz wurde seit dem Jahr 2002 aufwendig durch die Gemeinde Reichenbach / O.L. saniert und ist seit 2005 Teil der Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund gGmbH. Umgeben von einem Landschaftspark erhebt sich der imposante Bau des Krobnitzer Schlosses, das ab 1873 der preußische Kriegsminister und Generalfeldmarschall Albrecht Theodor Emil Graf von Roon sein Eigen nannte. Er ließ es in ein neoklassizistisches Gebäude umgestalten, erweiterte den Park und legte im hinteren Parkteil eine Familiengruft an, die 1876 eingeweiht wurde. Sein Sohn Waldemar bebaute diese Gruft mit einer neogotischen Kapelle, die jedoch 1980 dem Abbruch zum Opfer fiel. Der Einbau von Wohnungen nach 1945 zerstörte die einstige Raumstruktur des Schlosses leider nahezu vollständig.

Seit der Sanierung empfiehlt sich der Landsitz für alle, die das Besondere suchen. Ausstellungen, Vorträge und Veranstaltungen sind inzwischen längst ein fester Bestandteil des kulturellen Angebotes im Landkreis Görlitz. Längst kein Geheimtipp mehr ist das Schloss für junge Brautleute, die sich hier das Ja-Wort geben und gleichzeitig stilvoll feiern wollen. Ein Trauzimmer im Stile der Gründerzeit und der Festsaal für etwa 100 Personen in der Alten Schmiede bieten den geschmackvollen Rahmen für diesen besonderen Tag.

Schloss Krobnitz Am Friedenstal 5 02894 Reichenbach / O.L. Krobnitz Tel. 035828 - 88700

Linke Seite, oben: Ein Stück Preußen in Sachsen: Schloss Krobnitz, 2012 Linke Seite, Mitte: Die Dauerausstellung „Wegbereiter des Kaiserreichs“ widmet sich Albrecht Theodor Emil Graf von Roon, 2012 Rechte Seite, oben: Beutekanone aus dem DeutschFranzösischen Krieg, Eigentum: Städtische Sammlungen für Geschichte und Kultur Görlitz, 2012 Rechte Seite, unten: Zahlreiche Veranstaltungen finden jährlich im Schloss Krobnitz statt. Ein Highlight ist das Gartenfest im September, 2014 Fotos: © Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund gGmbH

Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund gGmbH

1999 nahm die Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund gGmbH ihre Arbeit auf. Neben den klassischen Museumsaufgaben widmen sich die Mitarbeiter mit Hingabe der Pflege der Parkanlagen, der Betreuung des Tierbestandes und der Vermittlung historischen Brauchtums. Aber auch die Betreuung von Brautpaaren und Festgesellschaften gehört zum Tagesgeschäft.

Eine Vielzahl von Veranstaltungen und museumspädagogischen Angeboten locken jährlich tausende Menschen an. Seit 1999 haben rund 300.000 Besucher den Weg in eines der fünf Häuser gefunden. Kammerkonzerte, Gartenfeste, Wanderungen, Sommerfeste, Flegeldruschwettbewerb und Schlachtfest stellen nur einige wenige Höhepunkte dar. Mit etwa 30 ständigen museumspädagogischen Angeboten ist das Spektrum breit gestreut. Der Leitsatz der Museumsarbeit lautet: „Museum macht Spaß“! Besonders die aktive Wissensvermittlung steht dabei im Vordergrund. Etwa 4.000 Teilnehmer museumspädagogischer Angebote jährlich, vor allem Kinder und Jugendliche, können nicht irren.

Seit 2017 geht der Museumsverbund neue Wege und integriert digitale Technik in seine Vermittlungsangebote. Dabei stellten digitale 3D-Rundgänge durch alle Häuser nur den Anfangspunkt dar. Seit Anfang 2021 können sich Besucher auf eine amüsante Reise in die Vergangenheit begeben, wenn sie Kater Jamal und Wandermaus Wutz bei ihren Abenteuern im Dorfmuseum Markersdorf und im AckerbürgerMuseum Reichenbach begleiten. Im Rahmen des Förderprogramms „NEUSTART“ des Bundesverbandes Soziokultur und der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien konnten kreative Audioguides in deutsch, polnisch und tschechisch erstellt werden, die vor allem Familien besondere Aspekte der Kulturgeschichte spielerisch erläutern. Dank museum.de und seinen unkonventionellen Ansätzen im Bereich Audioguide erwartet die Besucher ein besonderes Erlebnis.

Aber auch Augmented Reality und Virtual Reality halten nach und nach Einzug in die Museen des Museumsverbundes. 2022 wird die neue Dauerausstellung im Granitabbaumuseum Königshainer Berge eröffnet werden, die Dank der Unterstützung durch die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und die Euro-Region Neiße-Nisa-Nysa im Rahmen der Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung sowie das LEADER-Programm digitale Technik mit analoger Technik verbindet und so ein besonderes Erlebnis schafft, wenn Großgeräte wie Steinsäge, Kompressor und Hydraulikfallhammer wieder lebendig werden, und Kabelkrananlage oder Bremsbahn wiedererstehen. Seit mehr als 20 Jahren behauptet sich die Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund gGmbH auf dem Kulturmarkt im Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechien. Immer wieder treten weitere Museen an die Gesellschaft heran, um Teil des Verbundes zu werden. Denn die Chancen eines solchen Zusammenschlusses kleiner Museen vor allem im ländlichen Raum sind nicht zu unterschätzen. Das geschlossene Auftreten im Verbund – gleich dem Motto „Einer für Alle – Alle für Einen“ – hilft gegenüber Fördermittelgebern, aber auch bei der Vermarktung und der effektiven Ressourcennutzung. Und nicht nur der Mensch in der Vergangenheit steht im Mittelpunkt. In der SchlesischOberlausitzer Museumsverbund gGmbH werden durch viele engagierte und höchst motivierte Menschen Angebote für interessierte und begeisterungsfähige Menschen geschaffen! Also: Gehen auch Sie auf Zeitreise im östlichsten Landkreis Deutschlands und begeben Sie sich auf Spurensuche in die Vergangenheit.

Foto: Viele Menschen tragen zum Gelingen bei: die Ehrenamtler der Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund gGmbH, 2019 © Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund gGmbH

Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund gGmbH Elisabethstraße 40, 02826 Görlitz info@museumsverbund-ol.de Tel. 03581 - 329010 www.museum-oberlausitz.de

Jüdisches Museum Göppingen –Nachhaltigkeit als Konzept

Autor: Kurt Ranger, Ranger Design Stuttgart

Die Erzählung jüdischer, regionaler Geschichte

Warum befindet sich das Jüdische Museum Göppingen in einer ehemaligen evangelischen Kirche aus dem Jahr 1506 im Stadteil Jebenhausen? Ein Grund ist: Nach der Schließung der Jebenhausener Synagoge 1899, die aufgrund des Umzugs vieler Juden nach Göppingen erfolgte, schenkte die jüdische Gemeinde die Synagogenleuchter und -bänke der christlichen Gemeinde. Sie befinden sich immer noch dort. Mit dieser Verbindung zeigt das Museum das freundliche Miteinander von Juden und Christen in Jebenhausen. Das Museum dokumentiert die regionale Geschichte der Juden seit 1777. Als Kurt Ranger Ende der 80er Jahre mit der ersten Gestaltung des Museums beauftragt wurde, gab es unter den rund 1.000 Museen in Baden-Württemberg noch keines, das ausschließlich der jüdischen Geschichte im deutschen Südwesten gewidmet war. Nach der Ersteröffnung 1992 wurde das Museum 2019 neu eröffnet. Ziel war, den gewachsenen, aktuellen Wissensstand zu präsentieren. Dabei legten die Gestalter auch Wert auf die nachhaltige Nutzung vorhandener Einbauten, die modifiziert, ergänzt, neu gestaltet und mit neuer Medientechnik ausgestattet wurden.

Das Gestaltungskonzept

Das Design des Museums folgt durch seine zurückhaltende, aber trotzdem emotional berührende Gestaltung einem funktionalen Charakter: Es geht um die Vermittlung von Inhalten. Dabei arbeitet die Gestaltung mit diesen Gestaltungsprinzipien: Sie erzeugt eine eindeutige Zuordnung von inhaltlichen Themen zu bestimmten Raumabschnitten innerhalb der Ausstellung. Sie nutzt eine klassische, „zeitlose“ Gestaltung ohne modisch trendige Innenarchitektur bzw. Ausstellungsgrafik. Die Kombination von wenigen ausgewählten Objekten und Dokumenten, knappen, gut lesbaren Texten ergibt das Bild einer über annähernd 250 Jahre andauernden regionalen Geschichte der Juden.

Helle Zeiten, dunkle Zeiten

Diese Geschichte beginnt in Jebenhausen, führt nach Göppingen und in die Konzentrationslager der Nationalsozialisten. Sie führt auf der Flucht auch in andere Ländern der Welt. Ein weiteres Gestaltungsmittel ist die Farbgebung der Ausstellung. Sie unterscheidet zwischen heller und dunkler Gestaltung und folgt damit dem Charakter bestimmter Zeiten: Die Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus bis zu dessen Ende 1945 ist schwarz gestaltet. Die Erstfassung des Museums endete hier. Die Neufassung des Museums 2019 erzählt die Geschichte in dem Kapitel „Anklagen, Erinnern, Gedenken und Begegnen“ weiter und stellt Fragen an die Zukunft: Was wird sein, wenn alle Zeitzeugen verstorben sind?

Dialog zwischen Inhalt und Design

Für Ranger Design sind Inhalt und Gestaltung zwei Seiten einer Medaille. Eine gute Ausstellungsgestaltung setzt ein gut strukturiertes und kompaktes inhaltliches Konzept voraus. Deshalb entwickelte der Historiker Dr. Karl-Heinz Rueß federführend das inhaltliche Konzept gemeinsam mit dem Designer Kurt Ranger und der Agentur für Jüdische Kultur in Mannheim. Darauf aufbauend entstand die Gestalt der Ausstellung.

Kronleuchter und Bänke aus einer Synagoge, die in der Kirche weiter genutzt wurden. Eine alte Kirche von 1506, die als Museum genutzt wird. Eine Ausstellung von 1992, die 2019 weiterentwickelt und umgestaltet wurde. Die Idee der Nachhaltigkeit wohnt dem Gebäude inne. Eigentlich sah die Ausstellung seit der Zeit der Ersteröffnung nach über 25 Jahren immer noch zeitgemäß aus. Gestalterisch bestand also kein Bedarf für eine Überarbeitung. Der eigentliche Beweggrund war, die Erkenntnisse von 25 Jahren Forschung in die Ausstellung einzubringen. Deshalb mussten Themen verschoben, verändert und ergänzt werden. Die Gestalter entwickelten ein Konzept, bei dem die meisten Vitrinen und fast alle Unterkonstruktionen weitergenutzt werden konnten und nur wenige neue Einbauten erfolgten. Die sichtbaren Fronten der Ausstellung wurden erneuert, audiovisuelle, interaktive Medien ergänzen die Schau.

Die zweite Schicht

Um den Raumeindruck der evangelischen Kirche in Jebenhausen insgesamt zu erhalten, war ein sensibler Umgang mit der historischen Architektur geboten. Deshalb wurden die Einbauten der Ausstellung an bestimmten Stellen verdichtet und andere Stellen blieben komplett frei. Die Ausstellung schmiegt sich wie eine zweite Schicht der Geschichte in die alte Kirche. Die Gestaltung des Museums wurde aktuell mit dem Focus Open 2021, dem Internationalen Designpreis BadenWürttemberg, in der Kategorie Gold, ausgezeichnet.

Jüdisches Museum Göppingen Boller Straße 82 73035 Göppingen-Jebenhausen Öffnungszeiten: Mittwoch und Samstag 13-17 Uhr, Sonn- und Feiertag 11-17 Uhr Telefon 07161 650-9911 (Verwaltung) museen@goeppingen.de

Ranger Design Happoldstraße 71 B 70469 Stuttgart Telefon 0711 99 31 63 - 0 contact@ranger-design.com www.ranger-design.com

Ein Blick in die Installation von 1992 (oben) und in die veränderte und ergänzte neue Installation (unten)

Fotos: linke Seite, oben und unten sowie rechte Seite, Mitte © Rose Hajdu | rechte Seite, oben © Lorenz Kienzle Rechte Seite, unten © Kurt Ranger

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