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Jüdisches Museum Creglingen

Gedenktopographie Creglingen

Erinnerungskultur in einer tauberfränkischen Landgemeinde Autor: JMC

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Im Oberen Taubertal, zwischen Rothenburg ob der Tauber und Bad Mergentheim, liegt das kleine beschauliche Städtchen Creglingen. Hier entwickelte sich seit Anfang des 17. Jahrhunderts eine Jüdische Gemeinde, die bis in das Jahr 1939 fortbestand. Am 25. März 1933 schlug in Creglingen die von der NS-Propaganda verbreitete rassistische Hetze in mörderische Gewalt um. Nahezu alle jüdischen Männer Creglingens wurden in einer gezielten Aktion der SA Heilbronn gegen die jüdische Gemeinde brutal misshandelt; zwei von ihnen, Hermann Stern und Arnold Rosenfeld, starben an den Folgen ihrer Verletzungen. Sie gelten heute als die ersten Todesopfer organisierter Ausschreitungen der Nationalsozialisten in Württemberg. In Anerkennung der historischen Verantwortung und zur Erinnerung an die Jüdische Gemeinde wurde das Projekt „Gedenktopographie Creglingen“ ins Leben gerufen. Es basiert auf drei Säulen: Dem Jüdischen Museum Creglingen, der Gedenkstätte 25. März 1933 und dem Jüdischen Friedhof Creglingen.

Vom Stall zum Museum

Die Badgasse 3 war seit 1618 für mehr als 200 Jahre der Lebensplatz einer jüdischen Familie. Am 15. Juli 1618 erwarb Simson zu Reinßbronn das alte dreistöckige Wohnhaus und durfte als erster Jude dauerhaft in Creglingen sesshaft werden. In dem Gebäude befand sich auch der erste Schul- und Betsaal der Jüdischen Gemeinde Creglingen (1659 erstmals urkundlich erwähnt). Das alte Fachwerkhaus musste im späten 19. Jahrhundert wegen Baufälligkeit abgerissen werden. Das neue Haus wurde 1880 als Stallgebäude und Getreide- und Mehlspeicher von einem örtlichen Bäckermeister erbaut. Der letzte jüdische Besitzer war der Pferdehändler Hermann Stern, der das Haus im Jahr 1903 zur Hälfte und 1910 ganz übernahm. Nach seinem gewaltsamen Tod im März 1933 und der folgenden Vertreibung der jüdischen Familien durch das Nazi-Regime verkaufte Sterns Sohn Emil, der im Jahr 1939 als letzter Jude Creglingen verließ, das väterliche Erbe an eine Creglinger Bauernfamilie, die es bis zur Aussiedlung im Jahr 1998 als Stall und Scheune nutzte.

Somit ist der Lebensplatz „Badgasse 3“ auf des engste mit dem Beginn und dem Ende der Jüdischen Gemeinde Creglingen verknüpft.

1998 erfuhr der amerikanische Geschäftsmann Dr. Arthur Sinsheimer Obermayer – ein Nachfahre des Simson in der 12. Generation – von der Creglinger Stadtarchivarin Claudia Heuwinkel, dass das Haus am Lebensplatz seiner Vorfahren zum Verkauf stand. Er entwickelte die Idee, an diesem

Platz ein jüdisches Museum einzurichten, das an die früheren jüdischen Creglinger Bürger, an ihr Leben und an ihre gesellschaftlichen Beiträge erinnern soll. Seine Initiative und großzügige finanzielle Zuwendung ermöglichte die Gründung der Stiftung Jüdisches Museum Creglingen, die das Haus gekauft und renoviert hat und im Jahr 2001 das Jüdische Museum Creglingen zunächst mit themenbezogenen Wechselausstellungen eröffnete.

Im Jahr 2004 konnte schließlich die kultur- und sozialhistorisch ausgerichtete Ausstellung „Wurzeln und Wege“ eröffnet werden. Sie lässt die jüdische Geschichte zweier Taubertäler Landgemeinden vom Anfang des 17. Jahrhunderts bis 1939 lebendig werden. In drei Abschnitten werden die Wurzeln und Besonderheiten jüdischen Lebens in Creglingen und Archshofen, die Wege und Schicksale der jüdischen Menschen und das Weiterleben der Erinnerung an die gemeinsame Vergangenheit dargestellt.

Ein Memorbuch für die Opfer des Pogroms vom 25. März 1933 zeigt eindringlich die Auswirkungen des nationalsozialistischen Rassenwahns auf die Schicksale einzelner Menschen. Mit Kurzbiographien und Bildern wird an die 16 jüdischen Männer erinnert. Eine Zusammenfassung der Ereignisse sowie der Vor- und Nachgeschichte ergänzen das Gedenkbuch eindrucksvoll.

Das Memorbuch beinhaltet zudem einen Auszug aus dem bereits 1933 in Amsterdam erschienenen Roman „Die Geschwister Oppenheim”, in dem der Autor Lion Feuchtwanger den Creglinger Pogrom literarisch verarbeitet hat sowie einen Auszug aus der Predigt des Pfarrers Hermann Umfrid aus dem benachbarten Niederstetten, der als Einziger den Mut aufbrachte, den gewalttätigen Überfall am folgenden Sonntag von der Kanzel aus öffentlich zu verurteilen.

Linke Seite: Creglingen Badgasse Rechte Seite, oben: Jüdisches Museum Creglingen Rechte Seite, unten rechts: Dr. Arthur S. Obermayer – Gemälde von Marlies Glaser; Leihgabe von Veit Veger Fotos: © JMC Rechte Seite, unten links: Memorbuch zur Erinnerung an die Opfer des 25.März 1933 © JMC/Oleg Kuchar

Das Jüdische Museum Creglingen ist aber auch ein Ort der Begegnung. Kulturelle Veranstaltungen, Vorträge und zwei Wechselausstellungen pro Jahr sollen die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, gegenseitiges Verstehen und Versöhnung fördern. Das Angebot des Museums richtet sich an die regionale Bevölkerung, Schulklassen, Jugendgruppen, Touristen und Nachfahren Creglinger Juden, denen das Angebot des Museums im übertragenen Sinn eine Heimkehr zu ihren Wurzeln und Vorfahren ermöglicht.

Mit kontinuierlich durchschnittlich 1.200 Besuchern im Jahr ist das ausschließlich ehrenamtlich betriebene und überwiegend durch Spenden finanzierte Museum seit nunmehr 20 Jahren eine anerkannte und feste Größe im Kultur- und Bildungsangebot im Main-Tauber-Kreis.

Linke Seite, oben: Konzert im Jüdischen Museum Creglingen © Inge Braune Linke Seite, unten: Altes Rathaus Creglingen © SV Creglingen Rechte Seite, oben: Jüdisches Museum Creglingen Erdgeschoss © JMC Rechte Seite, unten links: Jüdisches Museum Creglingen Obergeschoss © JMC/Oleg Kuchar Rechte Seite, kleines Bild, oben: Ausweis Rudolf Sinsheimer © JMC/Oleg Kuchar Rechte Seite, kleines Bild, Mitte: Thorazeiger und Thorawimpel © JMC/Oleg Kuchar Rechte Seite, kleines Bild, unten: Preßburger Klavier und Portraitfries © JMC

Gedenkstätte 25. März 1933

Am 25. März 1933, nur kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, wurden in Creglingen 16 Männer jüdischen Glaubens, darunter amtierende bzw. ehemalige Gemeinderäte, unter den Augen der Bevölkerung zusammengetrieben, ins Rathaus gebracht und dort schwer misshandelt und gedemütigt.

Zwei Männer – Hermann Stern und Arnold Rosenfeld – starben an den Folgen der Misshandlungen. Sie gehören zu den ersten ermordeten Juden des Jahres 1933 in Deutschland.

Im Jahr 2000 hat der Gemeinderat der Stadt Creglingen eine eigene Initiative zum dauerhaften Gedenken an das Pogrom vom 25. März 1933 ergriffen und der Einrichtung einer Gedenkstätte im alten Creglinger Rathaus zugestimmt.

Die Ausgestaltung der Gedenkstätte wurde von Studenten der Kunstakademie Stuttgart entwickelt und korrespondiert künstlerisch und inhaltlich mit dem Jüdischen Museum Creglingen.

Der Raum der Gedenkstätte befindet sich im ehemaligen Sitzungssaal des alten Creglinger Rathauses, genau dort, wo Hermann Stern nach den Misshandlungen unter den Augen des damaligen Bürgermeisters abgelegt wurde.

Um die Authentizität des Raumes zu erhalten, wurde die Gedenkstätte bewusst

schlicht gestaltet. Der Raum wurde so hergerichtet, wie er 1933 war. Er wurde leer gelassen, um den Betrachter auf sich selbst zurückzuwerfen und eine Brücke zum Nachdenken zu bauen. Die Fenster wurden mit einer speziellen Technik versehen, die es ermöglicht, die Durchsichtigkeit der Fenster zu verändern. Der Wechsel von Durchsichtigkeit und Undurchsichtigkeit, der minütlich erfolgt, ist entscheidend: Er symbolisiert das Sehen und Nichtsehen, das Hinschauen und Wegschauen. So wie damals, als viele Bürger weggeschaut haben.

Im Vorraum zur Gedenkstätte ist eine Kopie des Memorbuchs aus dem Jüdischen Museum aufgestellt, in dem der Besucher die Geschehnisse aus dem Jahr 1933 nachlesen kann.

Ziel des Konzeptes ist es nicht allein, die Geschichte darzustellen, sondern den Betrachter zum Nachdenken anzuregen. Dem Besucher der Gedenkstätte soll vermittelt werden, dass er die Wiederholung der Geschichte oder anderer Verbrechen durch Wahrnehmung und Zivilcourage verhindern kann.

In ihrer Schlichtheit soll die Gedenkstätte Raum für Ruhe und Trauer für die Opfer ermöglichen.

Im Herbst 2005 wurde die Gedenkstätte, mit der sich die Stadt Creglingen bewusst zu ihrer historischen Verantwortung bekennen will, eröffnet. Im Südwesten der Stadt liegt auf einer Anhöhe am Waldrand der Jüdische Friedhof. Vermutlich entstand er mit der Niederlassung der Juden in Creglingen im Dreißigjährigen Krieg.

Seit 1892 ist der Friedhof von einer mit zwei Eingängen versehenen Steinmauer umschlossen. Eine freie Rasenfl äche trennt ihn in einen älteren Nordteil und einen jüngeren Südteil, der 1889 hinzukam. Der mit Bäumen bewachsene sogenannte „Alte Friedhof“ ist auffallend hügelig, mit aufgeschütteten Bodenschichten hat man hier vermutlich auf einer ursprünglich begrenzten Fläche neue Grabstellen geschaffen.

Alle Grabsteine sind nach Osten ausgerichtet. Die aus Sandstein gearbeiteten Grabsteine im älteren Bereich sind zum größten Teil sehr verwittert und schlecht lesbar. Der älteste lesbare Grabstein des Eisik Jizchak ben Mosche stammt von 1696. Er dürfte Eysig Moses, dem Urenkel des Simson und ältesten Sohn des Moses Isaac zuzuordnen sein.

1943 musste der Friedhof im Zwangsverkauf der Stadt Creglingen übereignet werden, seine Rückgabe an die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg erfolgte mit Schenkungsvertrag vom April 2001.

Am 25. März 1998 wurde im Rahmen einer Gedenkfeier an der Mauer des Jüdischen Friedhofs eine den Opfern des Nationalsozialismus aus Creglingen und Archshofen gewidmete Totengedenktafel angebracht.

AUDIOGUIDE JÜDISCHES MUSEUM CREGLINGEN

www.museum.de/m/5566

Jüdisches Museum Creglingen Badgasse 3 97993 Creglingen Tel. 07933 - 700 25 20 jmc@stiftung-jmc.de www.juedisches-museum-creglingen.de

Gedenkstätte 25. März 1933 Hauptstraße 13 97993 Creglingen Tel. 07933 - 7010 info@creglingen.de www.creglingen.de

Rechts oben: Jüdischer Friedhof Creglingen © JMC Links unten: Gedenkstätte 25.03.1933 © SV Creglingen

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