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Stadt- und Fachwerkmuseum

Im Herzen des Kraichgaus

Das Stadt- und Fachwerkmuseum "Alte Universität" in Eppingen Autor: Peter Riek

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Der Kraichgau ist eine der ältesten Kulturlandschaften Europas, hier fanden sich Spuren des Homo Heidelbergensis, datiert auf eine halbe Million Jahre. Die fruchtbaren Lösslehmschicht bildet die Lebensbasis für die früh entstandenen bäuerlichen Kulturen, die bis in unsere heutige Zeit für eine lückenlose Siedlungskontinuität von den frühen steinzeitlichen Kulturen über die Kelten und Römer, bis zu den Alemannen und Franken sorgten.

Die stolze Fachwerkstadt Eppingen findet im Jahr 985 erstmals urkundliche Erwähnung und bleibt selbst im 30-jährigen Krieg trotz wiederholter Besetzungen und Plünderungen bis heute unzerstört. Die ummauerte Altstadt und die spätere Erweiterung der Vorstadt lassen sich gut nachvollziehen und die Silhouette erinnert immer noch an die Ansicht auf dem Kupferstich von Matthäus Merian.

Linke Seite: Eppingens "Alte Universität" in der heute das Stadt- und Fachwerkmuseum untergebracht ist Rechte Seite: Stahlskulptur von Rüdiger Seidt mit Blick auf die Fachwerkstadt Eppingen und das im Entstehen befindliche Gartenschaugelände Fotos: Konrad Plank © Stadt- und Fachwerkmuseum „Alte Universität“

Die "Alte Universität", in der heute das Stadt- und Fachwerkmuseum untergebracht ist, ist mit einer Höhe von 22 m und sechs Geschossen das mächtigste Haus im Zentrum der historischen Altstadt. Der Name des Gebäudes erinnert an eine Begebenheit aus dem Jahr 1564, als in Heidelberg die Pest grassierte und ein Teil der Universität für wenige Wochen nach Eppingen verlegt wurde.

Der oberdeutsche Fachwerkbau, erbaut kurz nach der Entdeckung Amerikas, stammt aus dem Jahr 1495 und gehört mit seinen Spitzbogenfenstern und der von massiven Eichenpfeilern getragenen Konstruktion zu den herausragendsten Fachwerkbauten der Region. Nach ersten Fachwerkfreilegungs- und Instandsetzungsmaßnahmen um 1950 erwarb die Stadt nach und nach die Eigentumsrechte, um das imposante Architekturdenkmal durch eine Generalsanierung zu erhalten. Schon damals wurde im Erdgeschoss eine erste Heimatstube eingerichtet, ein Vorläufer des heutigen Museums, das sich schnell zum kulturellen Zentrum der historischen Altstadt entwickelte und heute mit über 800 m2 Ausstellungsfläche das kulturelle Erbe der Stadt bewahrt und für Bürger und Besucher erlebbar macht.

Auch wenn das Haus als Mehrspartenhaus in der Schulstadt Eppingen bewusst verschiedene Bereiche abdeckt, gibt es doch zwei deutliche Schwerpunkte in der ständigen Sammlung: Die Entwicklung der Stadt und die Geschichte des Fachwerkbaus. Diesen beiden Themen sind einzelne Stockwerke gewidmet.

Chronologisch wird die Stadthistorie mit Funden wie einem Mammutstoßzahn, bandkeramischen Gefäßen, Bronzebeilen, römischer Keramik und alemannischen Langschwertern von den Anfängen der Besiedlung bis zur wohlhabenden Fachwerkstadt erzählt.

Den „Eppinger Linien“, erbaut vor 300 Jahren im pfälzischen Erbfolgekrieg, ist eine besondere Inszenierung mit einem kleinen Wäldchen gewidmet. Das unüberwindbare Bollwerk errichtet gegen die Armeen Ludwigs XIV. unter dem gefürchteten General Melac sorgte schließlich für ein Ende des Schreckens. Heute führt ein premiumzertifizierter Wanderweg von Eppingen entlang des ehemaligen Wall- und Grabensystems über Maulbronn bis Pforzheim, vorbei an Rekonstruktionen einer Chartaque und künstlerischen Interventionen, die Einblicke in das oft verklärte 17. Jahrhundert geben, denn das Barock war vor allem ein Jahrhundert des Krieges, der Armut und der Seuchen.

Erstaunlich ist die hohe Zahl der gut erhaltenen Fachwerkbauten in Eppingen, was nicht nur zeigt, dass die Stadt von Kriegen weitgehend verschont blieb, sondern auch vor größeren Brandkataststrophen. Wenn man bedenkt, dass zum Bau jedes einzelnen Fachwerkhauses zwischen 80 und 300 Bäume notwendig sind, steht einem die Gefährdung noch deutlicher vor Augen. Der Wald mit seinen großen Eichenbeständen war deshalb über viele Jahrhunderte Quelle des Wohlstands der Stadt, die heute noch die zweitwaldreichste Kommune im Regierungsbezirk Stuttgart ist. In der Abteilung zur Geschichte des Fachwerks wird die Entstehung des frühen Holzbaus von den Pfahlbauten bis zum Fachwerkhaus anhand zahlreicher Modellrekonstruktionen, Werkzeugen und einer Vielzahl von Originalstücken überregional dargestellt und ausführlich erzählt. Die gesamte Altstadt steht längst unter Denkmalschutz und hier finden sich einige der bemerkenswertesten Häuser Süddeutschlands. Allen voran das sogenannte „Baumannsche Haus“, das zu den drei schönsten Bürgerhäusern zwischen Schwarzwald und Odenwald zählt und jüngst mit einer Sondermarke der Deutsch Bundespost geehrt wurde.

Natürlich gibt es in der "Alten Universität" und dem angrenzenden und einbezogenen kleinen Baumannschen Haus noch viel mehr zu entdecken, wie zum Beispiel

die Werkstatt und das Motorrad des Artisten und Tüftlers Günther Bossert, der einst den Motorrad-Salto-Mortale erfand oder den gut erhaltenen Kolonialwarenladen Morlock, der das komplette verfügbare Angebot eines vorindustriellen bäuerlichen Lebens präsentiert, von Sauerkraut und Suppensternchen bis zu Kaffee und Kernseife. All dies lässt sich Dank des neuen Audioguides an zahlreichen Stationen auch digital erleben – nicht nur in Deutsch, sondern ebenso in Englisch oder Französisch, was für die Besucher aus den Partnerstädten oder den Nachfahren, der im 19. Jahrhundert nach Übersee ausgewanderten Familien, eine wichtige Bereicherung darstellt.

Und auch an die jüngsten Besucher ist gedacht, die sich mit einem Pappköfferchen auf eine Reise durch das Haus machen können. Überall gibt es Mitmach-Stationen, etwas Besonderes zu entdecken, Rätsel zu lösen oder Bildkarten einzusammeln.

Ein Museum lebt natürlich nicht von den ständigen Sammlungen allein, sondern beweist seine Lebendigkeit in wechselnden Ausstellungen und Aktionen. So findet in diesem Jahr während der Sommermonate das Künstlerfahnenfestival zwischen Pfeifferturm und Museum bereits zum 25. Mal statt. Zehn jeweils 12 m2 große Flaggen werden jährlich von einem Künstler gestaltet und laden zur begleitenden Ausstellung in der großen Halle der "Alten Universität" ein.

Daneben gibt es Ausstellungen zu kulturhistorischen Themen, zur Gegenwartskunst und alle drei Jahre eine große KinderMitmach-Ausstellung.

Linke Seite, oben: Schanzkörbe bilden das Tor zum kleinen Waldstückchen im Museum, das die „Eppinger Linien“ behandelt Linke Seite, unten: In zahlreichen Modellen wird die Geschichte des Fachwerkbaus erzählt Rechte Seite, oben: Der Motorrad-Salto-Mortale ist eine Erfindung des Eppinger Tüftlers und Sportlers Günther Bossert Rechte Seite, oben: „Stadt im Mittelalter“ – eine Inszenierung zum Spielen und Entdecken für Groß und Klein Fotos: Konrad Plank © Stadt- und Fachwerkmuseum „Alte Universität“

2021 sollte ein ganz besonderes Jahr für Eppingen werden, das sich herausputzte für eine Gartenschau, die auch die Schönheit der alten Reichsstadt wieder besonders leuchten lässt. Alles ist nun bereit – das Museum zeigt im öffentlichen Raum über 30 große Skulpturen von Karl-Henning Seemann, Guido Messer, Gunther Stilling und Rüdiger Seidt – doch die Pandemie machte einen Strich durch die Rechnung. Die Gartenschau wird auf das kommende Jahr verschoben. Dann gibt es zwischen Mai und Oktober auf dem Parkgelände zahlreiche Veranstaltungen und auch ein Steinbildhauersymposium mit vier Künstlern aus England, Frankreich, Ungarn und Deutschland, aus den Regionen, mit denen die Stadt Partnerschaften unterhält, bei denen sich miterleben lässt, wie aus einem Sandsteinblock eine Skulptur entsteht. Und in einem temporär als Galerie genutzten Haus am Pfeiffertum wird mit „Aus die Maus?“ die Geschichte der Mausefalle vom Mittelalter bis zur Gegenwart erzählt, die mit den zahlreichen Würge-, Quetsch-, Schafott- und Massenfallen viele Parallelen zur Geschichte des menschlichen Strafvollzugs und Hinrichtungspraktiken aufzeigt.

Aber auch in diesem Jahr gibt es natürlich viel zu erleben in dem einst ummauerten Altstadtrund, wie etwa die begehbaren Kulturdenkmäler. Besondere Häuser, Türme oder technische Einrichtungen, die vom Museum mit einer Dauerausstellung versehen wurden, wie der Pfeifferturm mit der Schau „Hier ist bös sein“ zur Geschichte des Strafvollzugs, das Jordanbad, einem jüdischen Ritualbad mit der Darstellung des jüdischen Lebens vor Ort oder das Stellwerk West zur Geschichte der Eisenbahn.

Und wem das noch nicht reicht, der kann noch viel mehr entdecken, denn Eppingen besteht neben der Kernstadt aus sechs Teilgemeinden, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Vor Ort gibt es dort deshalb je eine Museumsdependance, die diese Besonderheiten thematisieren: Das Steinhauermuseum in Mühlbach, in dem in diesem Jahr eine Werkschau des Bildhauers Guido Messer gezeigt wird, das Bauernmuseum in Richen, das Tabakmuseum in Elsenz und das Weinbaumuseum in Kleingartach.

Eine Reise in den Kraichgau ist immer eine Entdeckungsreise und wird mit einem Besuch des Stadt- und Fachwerkmuseums "Alte Universität" im Herzen der Stadt auch zu einer spannenden Reise in die Vergangenheit.

Oben: Künstlerfahnen von Susanna Taras in der historischen Altstadt. Foto: Konrad Plank © Stadt- und Fachwerkmuseum "Alte Universität" AUDIOGUIDE STADT- UND FACHWERKMUSEUM "ALTE UNIVERSITÄT"

www.museum.de/m/3864

Stadt- und Fachwerkmuseum "Alte Universität" Marktplatz 1-5 75031 Eppingen Tel. 07262 - 920 - 1151 rathaus@eppingen.de www.eppingen.de/freizeit/museen/stadtund-fachwerkmuseum-alte-universitaet

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