Staatstheater Mainz – Water by the Spoonful

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Staatstheater Mainz

Water by the Spoonful Quiara Alegría ­Hudes


WATER BY THE SPOONFUL Von Quiara Alegría Hudes Deutschsprachige Erstaufführung In der Übersetzung von K.D. Schmidt

Odessa Ortiz alias Haikumom … Anna Steffens Elliot Ortiz … Matthias Lamp Yazmin Ortiz … Katharina Alf John alias Fountainhead … Murat Yeginer Clayton Wilkie alias Chutes&Ladders … Martin Herrmann Madeleine Mays alias Orangutan … Antonia Labs Prof. Aman … Murat Yeginer Inszenierung … K.D. Schmidt Bühne … Thomas Drescher Kostüme … Sabine Böing Video … Christoph Schödel Licht … Jürgen Sippert Dramaturgie … Jörg Vorhaben Aufführungsdauer ca. 1 Stunde 50 Minuten – Keine Pause Aufführungsrechte: S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main Premiere am 4. Oktober 2014, U17   Regieassistenz und Abendspielleitung … Jana Vetten; Souffleur … Felix Schmekel; Regiehospitanz … Andreas Schwarzfärber; T ­ echnischer Direktor … Christoph Hill; Produktionsleiter … Olaf Lintelmann; ­Werkstättenleiter … Jürgen Zott; Assistent der T ­ echnischen Direktion … David Amend; Veranstaltungstechnik … Kevin Hauck; Bühneneinrichtung … Guido Reichert und Dirk Mathes; Leiter der Beleuchtung … Stefan Bauer; Leiter der Dekorationswerkstatt … Horst Trauth; Leiter der ­Schreinerei … Markus Pluntke; Leiter der Schlosserei … Erich Bohr; Vorstand des Malersaals … Andreas Beuter; Leiter der Tontechnik … Andreas Stiller; Kostümdirektorin … Ute Noack; Assistentin der Kostüm­direktorin … Ingrid Lupescu; ­Gewandmeisterinnen Britta Hachenberger, Mareike Notdurft; Gewandmeister Thomas Kremer, Falk Neubert; Modistin Petra Kohl; Chef­maskenbildner … Guido Paefgen; Maskenbildnerin Johanna Prange; Leitung der Requisite … Hannelore Taubert-Bénèch, Dagmar Webler; Requisite … Maren Luedecke



LIEBE, GNADE UND ­GEMEINSCHAFT AN U ­ NERWARTETEN ORTEN Jörg Vorhaben Die Dramatikerin Quiara­ ­A legría Hudes wird 1977 in eine große weitverzweigte Latino ­Familie in Philadelphia hineinge­ boren – eine Familie voller Freude, die zu feiern weiß. Ihre Mutter demonstriert für soziale Gerechtigkeit und kümmert sich um die Armen. Ihre Mutter demonstriert für soziale Gerechtigkeit und ­versorgt die Hungrigen. Nach der Schule geht Alegría auf die Yale University, um Musik zu studieren, und dann auf die Brown University, um Szenisches Schreiben zu lernen. Als ihr Cousin Elliot Ruiz die High School beendet, zieht er in den Krieg, schließt sich im Juni 2002 den Marines an und wir kaum ein Jahr später in den Irak geschickt. Jahr später in den Irak geschickt. Nach ein paar Wochen im aktiven Dienst wird er schwer verletzt, sein Bein ist zerfetzt. Es folgt eine sehr lange, schmerzhafte Rekon­ valeszenz mit 14 Operationen. Als Hudes ihn wieder sieht, weiß sie, dass er sich verändert hat und sie seine Geschichte erzählen muss. Sie beginnt zu recherchieren und befragt ihren Cousin und andere Familienmitglieder. Es entsteht das Stück Elliot: A Soldier’s Fugue, das die Geschichte dreier Generationen erzählt, die aus Kriegen der USA heimkehren (Korea/Vietnam/Irak)

und jeweils in die Fußstapfen des anderen treten. Bevor sie mit dem Schreiben des Stückes beginnt, versucht sie sich den Text bildlich vorzustellen und stellt dabei Gemeinsamkeiten mit einer Fuge fest – so ist die Struktur des Stückes geboren. Auch in Zukunft wird Musik ein wichtiges Strukturelement für Hudes sein. Das Stück ist unter den ­Finalisten des Pulitzerpreises 2007 und wird mehrfach auch außerhalb der USA nachgespielt. Nach Elliot entsteht das Musical In the heights, für das sie mehrere Preise erhält, und das Theaterstück 26 Miles. Aber Hudes fühlt die ­Notwendigkeit, die Geschichte von Elliot weiterzuerzählen, außerdem will sie weiter ausprobieren, wie man musikalische Formen als Struktur für Theaterstücke verwenden kann. So kommt ihr die Idee, eine Trilogie zu schreiben. „Bei Water by the Spoonful wusste ich ein paar Sachen, bevor ich anfing zu schreiben. Erstens, dass das Stück um Heilung gehen würde. Zweitens, dass einiges in einem Chatroom spielen würde. Und drittens, dass das zugrundeliegende Thema ­Wiedergutmachung wäre – auch wenn sie nur langsam voran geht. Und Coltrane kam mir in den Sinn. In der Suite A Love Supreme gibt es beides: sehr feine Kontrolle und trotzdem ein Loslassen in ­seinem Spiel. Coltrane behält die Beherrschung über sein Instrument, aber im Ausdruck ergibt er sich der Führung einer höheren Macht.

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Diese Mischung aus Kontrolle und Freiheit ähnelte der Reise, die meine Charaktere machen müssten, um wirklich gesund zu werden. Als ich in Chatrooms für genesende Süchtige recherchierte, empfand ich die Sprache, die die Leute ­gebrauchten, als spannend und virtuos. Sie erinnerte mich an Jazz Solos. Und so wird man diese in dem Stück wiederfinden, es gibt Monologe (Solos) der Charaktere, unterbrochen durch Ausbrüche oder verrückte intensive Gespräche.“ Einige Facetten der Figur Elliot sind fiktiv, andere entstammen der Biographie ihres Cousins. So wächst er wie Elliot bei seiner ­Großtante und seinem Großonkel auf, die ihn mit sechs Monaten aufnehmen, weil seine leibliche Mutter cracksüchtig ist. Obwohl Elliot die zentrale Figur in Water by the Spoonful ist, geht es auch um vier, zum Teil ehemals, Süchtige, die sich in einem Online Chat Room treffen und ­gegenseitig stützen. Alle Charaktere sind in irgendeiner Weise beschädigt, und Hudes entscheidet sich bewusst dafür, die Online-Community als eine Kraft des Guten zu zeigen, anstatt das Internet als ein gefähr­ liches Werkzeug darzustellen, das menschliche Beziehungen verhindert. Die vier Drogenabhän­ gigen, die sich noch nie persönlich getroffen haben, helfen einander zu ­überleben. „Ich denke, Water by the Spoonful hat drei Liebes­ geschichten, wobei die Liebe nicht

unbedingt romantisch ist. Aber in gewisser Weise ist es ein Stück über Liebe, Gnade und Gemeinschaft an unerwarteten Orten.“ Die Inspiration für das Thema Sucht kam ihr aufgrund der ­Erfahrungen ihres Cousins als ­verwundeter Marine. Von den Ärzten gab es als Antwort auf die Schmerzen und die Traumata nur Schmerzmittel. Und so wurde er abhängig, konnte sich aber wieder von seiner Sucht lösen. 2012 erhält Hudes für Water by the Spoonful den Pulitzerpreis und schließt 2013 mit The Happiest Song Plays Last die Trilogie ab. Im dritten Teil spielt Elliot, wie sein reales Vorbild, in einem Film über den Irakkrieg mit und wird während der Dreharbeiten wieder mit seinen Kriegserlebnissen konfrontiert. Eine zentrale Rolle kommt in diesem Stück Elliots Cousine Yaz zu, deren enges Verhältnis zu Elliot schon in Water by the Spoonful gezeigt wurde, und die nun die Position von Elliots verstorbener Mutter Ginny übernommen hat. Ihr diente wohl auch Hudes Mutter zum Vorbild: Yaz kämpft für soziale Gerechtigkeit, versorgt die Hungrigen der ­Nachbarschaft und veranstaltet wilde Partys.

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90 TAGE Bill Clegg Diesmal bin ich wütend. Aber noch wütender werde ich, als sie sagt: Ich geb’s auf. Clean sein ist nichts für mich. Das ist der Schluss, zu dem ich nach einem langen ­Gespräch mit Heather heute Morgen gekommen bin. Ich traue meinen Ohren nicht. HEATHER?!!??, schreie ich. Machst du Witze? Seit wann hörst du auf Heather? Sie sieht mich nur an. es ist keine Unterhaltung. Polly ist kaum da. Sie ist schon wieder zu Hause in der Wohnung. (…) Sie soll sich aufraffen, gleich mit mir zum nächsten Meeting gehen und verkünden, dass sie einen Tag hat. Ich bin fertig, sagt sie, eher sachlich als trotzig. Tut mir leid, aber ich bin fertig. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wir sitzen am Fenster, sehen uns an, und mir geht zweierlei durch den Kopf: 1. Ich bin neidisch, weil sie, wenn wir hier rausgehen, nach Hause laufen und sich zudröhnen kann. 2. Ich bin sicher, dass sie stirbt. Nicht irgendwann, auch nicht bald, sondern noch heute, sobald unsere Wege sich trennen. Ich weiß, dass sie sterben wird, und ich weiß, dass ich nichts daran ändern kann. (…) Also bete ich jetzt für Polly. Zu wem oder was, weiß ich nicht, aber ich bete: Gib mir die richtigen Worte ein. Bitte sag mir, was ich sagen soll, damit sie nicht stirbt. Aber die Worte kommen nicht, und schließlich sage ich das, was meine

Freundin Lili vor Monaten zu mir sagte, nachdem sie mich in One Fifth mitten im Drogensumpf vor­ gefunden hatte: Wenn du sterben willst, stirb. Wenn du leben willst, ruf mich an. Aber bis dahin lass mich aus dem Spiel. Und sowie ich das ausspreche, steht Polly auf, geht zur Tür und raus auf die Straße. Weg ist sie. Einfach so. Ich gehe zu dem Meeting im East Village, und die einzige, die ich da kenne, ist Pam. Ich hebe die Hand, sage, wie viele Tage ich habe, und frage mich, ob Polly nicht genau das Richtige macht. Nach dem Meeting erzähle ich Pam, was ­passiert ist, und sie schüttelt bloß mütterlich weise den Kopf und sagt: Manchmal muss man sie gehen ­lassen, damit sie zurückkommen können. Bis dahin betet man, dass sie nicht sterben.(…) Das Leben geht weiter, aus ­meinem einen Tag werden einige Tage und dann einige Wochen. Eines Abends verabschiede ich mich nach einem Dinner in der Sixth Avenue von Cy, schaue Richtung Houston und frage mich, was Mark wohl macht. Ich betrete die Triggerzone, stelle mich an die Ecke Sixth und Houston und sehe, dass bei ihm Licht brennt. Schatten schweben am Fenster vorbei, und mit Herzklopfen male ich mir aus, was da vor sich geht. Als ob das viel Phantasie erfordert. Das Gleiche wie immer geht da vor sich. (…) Scheiß drauf, denke ich, wie immer an dem Punkt, und gehe zur Tür.

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Doch ehe ich auf den Summer ­drücke, fällt mir Polly ein. Was ist, wenn sie anruft, während ich da oben bin? Wenn sie hört, dass ich wieder rückfällig geworden bin? Wenn ich bis zum Meeting morgen nicht die Kurve kriege, sondern ein paar Tage bei Mark hängenbleibe und sie verpasse, falls sie wiederkommt? Was, wenn mein Rückfall sie darin bestärkt, weiter zu koksen? So narzisstisch es ist, ich spinne das weiter und frage mich: Was, wenn mein Rückfall dazu

führt, dass Polly stirbt? Der Gedankengang erscheint mir plötzlich so zwingend, so überzeugend und so unausweichlich, dass ich wie erstarrt stehenbleibe. Keine drei ­Meter von dem Summer entfernt, den ich jahrelang unzählige Male und immer mit denselben schlimmen Folgen gedrückt habe, bleibe ich stehen. Noch nie war ich so nah dran, ohne auch reinzugehen. Ich mache kehrt und gehe auf der Sixth Avenue Richtung Norden, weg von Mark, ein für alle Mal.

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FOTOS S. 3 Martin Herrmann, Antonia Labs, Murat Yeginer, Anna Steffens S. 6 Antonia Labs, ­Katharina Alf, Matthias Lamp S. 7 oben: Katharina Alf, Anna Steffens S. 7 unten: Matthias Lamp, Anna Steffens S. 9 Matthias Lamp, Katharina Alf

NACHWEISE Der Artikel Liebe, Gnade und Gemeinschaft an unerwarteten Orten entstand für dieses Heft und basiert auf den Artikeln: „When war’s heartache struck, playwright knew story to tell“ von Patti Hartingan, Globe Correspondent 19.10.2013, „Music is her Muse: Quiara Alegría Hudes and her Path to the Pulitzer“ von Marcus Gardley in Brooklyn Rail vom 01.08.2012 und einem Interview von Kyle Frisina mit der Autorin. Bill Clegg: Neunzig Tage – Eine Rückkehr ins Leben; S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2014 Dank an Dr. Youssef Mohamed

IMPRESSUM Spielzeit 2014 / 2015 Herausgeber Staatstheater Mainz www.staatstheater-mainz.de Intendant Markus Müller Kaufmännischer ­Geschäftsführer Volker Bierwirth Redaktion Jörg Vorhaben Druck Druckerei Hassmüller, Frankfurt/Main Visuelle Konzeption Neue Gestaltung, Berlin

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Wir danken für die großzügige Unterstützung bei der Realisierung der Spielstätte U17

Herrn Peter E. Eckes Herrn Dirk Gemünden Herrn Stefan Schmitz und den weiteren Großspendern sowie der J. Molitor Immobilien GmbH Herrn Dr. Bernd Wegener der Sparkasse Mainz und allen weiteren Partnern Herrn Wolfgang Strutz für die tatkräftige Vermittlung, der Stiftung Mainzer Theaterkultur für das großartige Engagement

Staatstheater Mainz


www.staatstheater12 — MF


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